In dieser Arbeit werden die Strukturreformen und Hauptentwicklungslinien der
deutschen Gesundheitspolitik seit Beginn der 1990er Jahre in chronologischer
Reihenfolge beschrieben und die wesentlichen Reformversuche der vorherigen
sowie der gegenwärtigen Bundesregierung bis Anfang 2003 benannt und
gegenübergestellt. Dabei soll untersucht werden, welche Ziele die gegenwärtige
Gesundheitspolitik verfolgt und welche vernachlässigt werden. Gesundheitspolitik in Deutschland fokussiert schon seit Mitte der 1970er Jahre, vor
allem aber seit dem Beginn der 1990er Jahren, sehr stark auf die Stabilität der
Beitragssätze in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). „Die Politik sah und
sieht sich auch gegenwärtig dazu gezwungen, mittels immer neuer Regulierungen
und Reglementierungen den Versuch zu unternehmen, die Ausgabenentwicklung im
Gesundheitswesen zu dämpfen. Es bestand oder besteht hierbei die Gefahr, dass
die Interessen der Betroffenen, allen voran die der Versicherten und jene der
Leistungserbringer, immer weiter aus dem gesundheitspolitischen Blickfeld geraten“
(Oberender, Hebborn, Zerth 2002, Vorwort).
Gesundheitspolitik ist aber ein wesentlich umfassenderer Begriff und definiert sich
wie folgt: „In der Gesundheitspolitik im engeren Sinne werden unmittelbar
gesundheitsbezogene Ziele angestrebt, also etwa Senkung von Krankheitshäufigkeit
und Sterblichkeit, Verbesserung des Zugangs und der Inanspruchnahme von
Versorgungsleistungen, Abbau von sozialen und geschlechtsbezogenen
Ungleichheiten in der Versorgung, Verbesserung der fachlichen Ausbildung des
professionellen Personals und Optimierung der Kosten-Nutzen-Bilanz des gesamten
Systems. Gesundheitspolitik im weiteren Sinne geht hierüber hinaus und versteht
sich als Teil der staatlichen Sozialpolitik, greift also in die Gestaltung von
Arbeitsbedingungen, Wohn- und Umweltgegebenheiten mit ein“ (Hurrelmann, Laaser
(Hrsg.) 1998, S. 43). [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmung: Gesundheitspolitik in Theorie und Praxis
3. Entwicklung und Veränderung von Gesundheitssystem und Gesundheitspolitik seit Beginn der 1990er Jahre
3.1 Die christlich-liberale Regierung
3.1.1 Das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) von 1993
3.1.2 Die „dritte Stufe“ der Gesundheitsreform (1994-1997)
3.2 Die rot-grüne Regierung
3.2.1 Das Solidaritätsstärkungsgesetz von 1998
3.2.2 Die GKV-Gesundheitsreform von 2000
3.2.3 Reform des Risikostrukturausgleichs
3.2.4 Das Beitragssatzsicherungsgesetz
3.3 Bewertung und Zusammenfassung der Gesundheitspolitik beider Regierungen
4. Herausforderungen und Innovationschancen
4.1 Problembeschreibung
4.2 Innovationschancen
4.3 Zusammenfassung
5. Ausblick
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In dieser Arbeit werden die Strukturreformen und Hauptentwicklungslinien der deutschen Gesundheitspolitik seit Beginn der 1990er Jahre in chronologischer Reihenfolge beschrieben und die wesentlichen Reformversuche der vorherigen sowie der gegenwärtigen Bundesregierung bis Anfang 2003 benannt und gegenübergestellt. Dabei soll untersucht werden, welche Ziele die gegenwärtige Gesundheitspolitik verfolgt und welche vernachlässigt werden.
2. Begriffsbestimmung: Gesundheitspolitik in Theorie und Praxis
Gesundheitspolitik in Deutschland fokussiert schon seit Mitte der 1970er Jahre, vor allem aber seit dem Beginn der 1990er Jahren, sehr stark auf die Stabilität der Beitragssätze in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). „Die Politik sah und sieht sich auch gegenwärtig dazu gezwungen, mittels immer neuer Regulierungen und Reglementierungen den Versuch zu unternehmen, die Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen zu dämpfen. Es bestand oder besteht hierbei die Gefahr, dass die Interessen der Betroffenen, allen voran die der Versicherten und jene der Leistungserbringer, immer weiter aus dem gesundheitspolitischen Blickfeld geraten“ (Oberender, Hebborn, Zerth 2002, Vorwort).
Gesundheitspolitik ist aber ein wesentlich umfassenderer Begriff und definiert sich wie folgt: „In der Gesundheitspolitik im engeren Sinne werden unmittelbar gesundheitsbezogene Ziele angestrebt, also etwa Senkung von Krankheitshäufigkeit und Sterblichkeit, Verbesserung des Zugangs und der Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen, Abbau von sozialen und geschlechtsbezogenen Ungleichheiten in der Versorgung, Verbesserung der fachlichen Ausbildung des professionellen Personals und Optimierung der Kosten-Nutzen-Bilanz des gesamten Systems. Gesundheitspolitik im weiteren Sinne geht hierüber hinaus und versteht sich als Teil der staatlichen Sozialpolitik, greift also in die Gestaltung von Arbeitsbedingungen, Wohn- und Umweltgegebenheiten mit ein“ (Hurrelmann, Laaser (Hrsg.) 1998, S. 43). Für die Erreichung einer Verbesserung des Gesundheits-zustandes „ist die Gesundheitsversorgung im engeren Sinne nur ein Faktor; individuelle Gesundheit wird ebenso geprägt durch die genetischen Voraussetzungen, ökonomischen Verhältnisse, die Lebensweise, Umweltfaktoren oder das Bildungsniveau (Böcken, Butzlaff, Esche (Hrsg.) 2000, S. 16).
Aufgrund fehlender finanzieller und struktureller Ressourcen konkurrieren die o.g. Ziele nicht nur miteinander, sie kollidieren auch in nicht zu vernachlässigender Weise mit den Interessen gesellschaftlicher Gruppen und Interessenvertretungen wie Kassenärzte, Pharmaindustrie, Krankenhausträger oder Vertreter von Kranken-kassen, die für oder gegen bestimmte gesundheitspolitische Vorhaben auftreten (Bandelow 1998).
Des weiteren ist das deutsche Gesundheitswesen geprägt „durch das Zusammenwirken staatlicher, parastaatlicher und privater Akteure sowie das Ineinandergreifen öffentlich-rechtlicher und marktwirtschaftlicher Steuerungs-mechanismen (Kania, Blanke 2002, S. 568). Der Staat „setzt die Rahmenbedin-gungen für die GKV, die im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung von den Verbänden der Finanzierungsträger und Leistungserbringer konkretisiert werden“ (Gerlinger 2001, S. 89). Es existiert also ein Mix aus neokorporatistischer und wettbewerblicher Steuerung.
3. Entwicklung und Veränderung von Gesundheitssystem und Gesundheits-politik seit Beginn der 1990er Jahre
Wie oben bereits erwähnt, muss als wichtigstes Ziel von Gesundheitspolitik die Beitragssatzstabilität erwähnt werden. Dabei beruht das Delta zwischen Einnahmen und Ausgaben vor allem auf einem Einnahmeproblem, hervorgerufen durch eine rückläufige Lohnquote und dem „Verschiebebahnhof“ finanzieller Aufgaben auf Kosten der GKV (vgl. u.a. Wille, Igel 2002). Kostendämpfungsgesetze hat es bereits seit Mitte der 1970er Jahre gegeben, lediglich unter anderen Voraussetzungen und mit anderen Zielrichtungen. „Seit dem Krankenversicherungs-Kostendämpfungs-gesetz von 1977 wurden 46 größere Gesetze mit über 6.800 Einzelverordnungen erlassen mit dem Ziel, die Ausgabensteigerungen im Gesundheitswesen zu begrenzen und den Beitragssatz zu stabilisieren“ (Ulrich 1998, S. 2). Zu Beginn der 1990er Jahre veränderten sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch steigende Arbeitslosenzahlen und durch die Globalisierung der Wirtschafts-beziehungen. Eine Senkung oder zumindest Stabilisierung der Lohnnebenkosten wurde zu einem Standortfaktor der deutschen Wirtschaft im Weltmarkt bzw. zu einem wichtigen Parameter zur Lösung der Arbeitslosenfrage. Daneben war die Erhaltung oder Erhöhung der Kaufkraft der Versicherten ein wichtiges wirtschaftspolitisches Ziel. Alle Bundesregierungen sahen sich gleichermaßen mit dem Zwang zum Handeln konfrontiert. Reformen folgten immer schneller und quasi als Ergänzung der vorhergehenden.
Nachfolgend eine Zusammenfassung der wichtigsten Reformgesetze seit Beginn der 1990er Jahre in chronologischer Reihenfolge, daran anschließend eine Bewertung der Maßnahmen.
3.1 Die christlich-liberale Regierung
3.1.1 Das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) von 1993
Während die Regierung Kohl mit dem Gesundheitsreformgesetz (GRG) von 1989 („erste Stufe“ der Gesundheitsreform) noch eher traditionelle Kostendämpfungspolitik verfolgte, leitete sie mit dem Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) von 1993 („zweite Stufe“ der Gesundheitsreform) einen tiefgreifenden Wandel mit echten Strukturänderungen des Gesundheitssystems ein. Zum Handeln gezwungen wurde sie auch hier durch die Gefahr steigender Beitragssätze, da die Effekte des GRG nur kurzfristiger Natur waren (anfangs Überschüsse, ab 1991 bereits wieder Defizite).
„Das Gesetz folgt in seinen wesentlichen Zügen dem Grundgedanken von der totalen Budgetierung aller Leistungsbereiche und der Verwaltungsausgaben. Die Budgets stellen Obergrenzen dar, Steigerungen sollen nur noch im Rahmen der Steigerung der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder zulässig sein, d.h. es wird eine Bindung an die Grundlohnsumme implementiert (Oberender, Hebborn, Zerth 2002, S. 55). Budgetiert wurden z.B. die Ausgaben für Arzneimittel, die ärztliche und zahnärztliche Versorgung. Ferner wurde die Organisation der GKV reformiert, was zu einer einschneidenden Veränderung der Krankenkassenlandschaft führte. Alle Versicherten konnten ab dem 01. Januar 1997 ihre Krankenkasse frei wählen, was mit einem Kontrahierungszwang für die Kassen verbunden war. Wahlfreiheit der Versicherten bedeutet Wettbewerb für die Krankenkassen, die nun über den Beitragssatz um Versicherte werben konnten, was zu mehr Effizienz führen sollte. Unterschiede in der Risikostruktur der einzelnen Versichertenkollektive sollten über einen permanenten, bundesweiten und kassenartenübergreifenden Risikostruktur-ausgleich, der bereits ab 01. Januar 1994 gestartet wurde, ausgeglichen werden. Berücksichtigt wurden dabei die Faktoren Einkommen, Anzahl der beitragsfrei Mitversicherten, Alter und Geschlecht, nicht aber das Krankheitsrisiko. Zu erwähnen sind weiter eine Reform der Krankenhausvergütung durch die Einführung von ersten Fallpauschalen und Sonderentgelten sowie Abteilungs- und Basispflegesätzen. Schrittweise sollte dadurch die duale Finanzierung der Krankenhäuser (Investitions-kosten durch die Länder, Betriebskosten durch tagesgleiche Pflegesätze über die Krankenkassen) abgelöst werden. Das Selbstkostendeckungsprinzip in Form der begleitenden prospektiven Budgetierung auf der Basis tagesgleicher Pflegesätze, das zu unwirtschaftlichem Verhalten der Krankenhäuser beigetragen hatte, wurde zum 01.Januar 2003 durch Gesamtbudgets abgelöst (Oberender, Hebborn Zerth 2002). Im Bereich der ambulanten Versorgung wurde die Hausarzttätigkeit inhaltlich von der Facharzttätigkeit abgegrenzt und gestärkt, „sprechende Medizin“ wurde aufgewertet und Einzelleistungen wurden teilweise zu Leistungskomplexen zusammengefasst. Reformen in den Versorgungsstrukturen waren für damalige Verhältnisse neu, realisiert wurde z.B. der Versuch der besseren Verzahnung ambulanter und stationärer Versorgung durch die Einführung vor- und nach-stationärer Behandlung im Krankenhaus und das Recht des Krankenhauses zur Durchführung ambulanter Operationen, eine Positivliste verordnungsfähiger Arznei-mittel wurde letztlich nicht realisiert.
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- Quote paper
- Markus Müller (Author), 2003, Ziele und Strategien der Gesundheitspolitik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16690
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