Die vorliegende Studie umfasst die Konzeption, Durchführung und Evaluierung eines Trainings zur Förderung der Interkulturellen Kompetenz bei Polizisten der Landespolizei Rheinland-Pfalz. Die theoretische Basis der Studie bildet das multiple Konstrukt der interkulturellen Kompetenz (Thomas, 2003 a; Bolten, 2007). Es handelt sich um eine quasiexperimentelle Untersuchung an einer Experimentalgruppe und zwei Kontrollgruppen mit zwei Messzeitpunkten. Die empirischen Ergebnisse weisen auf ein sehr effektives Training hin. Diese werden unter theoretischen, methodischen, anwendungsbezogenen und forschungspraktischen Perspektiven diskutiert. -------- The present study includes the design, implementation and evaluation of a training for the advancement of intercultural competence with police officers of the German Federal Land Rheinland-Pfalz. The theoretical basis of the study is the multiple construct of intercultural competence (Thomas, 2003a; Bolten, 2007). It is a quasi-experimental study with an experimental group and two control groups at two measuring times. The empirical results indicate a very effective training. These are discussed from theoretical, methodological, application-oriented and practical research perspectives.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Zusammenfassung
1 Einleitung
1.1 Zielsetzung
1.2 Aufbau der Arbeit
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Der Kulturbegriff
2.2 Kulturstandards und kulturelleüberschneidungssituation
2.3 Wandel des Kulturbegriffs
2.4 Interkulturelles Lernen
2.5 Interkulturelle Kompetenz
2.5.1 Interkulturelle Kompetenz als Strukturmodell
2.5.2 Interkulturelle Kompetenz als Prozessmodell
2.5.3 Interkulturelle Kompetenz in vorliegender Arbeit
3 Interkulturelle Trainings
3.1 Ziele interkultureller Trainings
3.2 Trainingsinhalte
3.3 Trainingsmethoden
4 Evaluation interkultureller Trainings
4.1 Ziele und Funktionen von Evaluationen
4.2 Aktueller Forschungsstand zur Wirksamkeit interkultureller Trainingsmaßnahmen
4.2.1 Das Vier-Ebenen-Evaluationsmodell von Kirkpatrick
5 Das vorliegende Training
5.1 Ziele des vorliegenden interkulturellen Trainings
5.1.1 Hypothesenformulierung
5.2 Inhalte und Methoden des vorliegenden interkulturellen Trainings
6 Methoden
6.1 Statistische Auswertung
6.2 Untersuchungsdesign
6.3 Messinstrument
6.4 Gewinnung der Stichprobe
7 Ergebnisse
7.1 Stichprobenbeschreibung
7.2 Reliabilit„tsanalyse der Skalen
7.3 Hypothesentests
7.3.1 Kulturbewusstheit
7.3.2 Wissenüber Kulturstandards
7.3.3 Perspektivenwechsel und Empathie
7.3.4 Respekt vor kulturellen Unterschieden
7.3.5 Interkulturelle Kommunikation
7.3.6 Kulturelle Missverst„ndnisse
7.3.7 Offenheit und Interesse
7.4 Zus„tzliche Ergebnisse
8 Diskussion
8.1 Diskussion der Reliabilit„tsanalyse
8.2 Diskussion der Ergebnisse
8.3 Diskussion der Methoden
8.4 Anwendung - praktischer Nutzen
8.5 Weiterentwicklung des Trainings
8.6 Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang A: Training zur Förderung der interkulturellen Kompetenz
Anhang B: Feedback zum Interkulturellen Kompetenz-Training am 25.01.10
Anhang C: Feedback zum Interkulturellen Kompetenz-Training am 11.02.10
Anhang D: Fragebogen zur Interkulturellen Kompetenz
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Ein handlungs- und lerntheoretisches Modellüber die Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz (Thomas & Simon, 2007)
Abbildung 2: Komponenten interkultureller Kompetenz (angelehnt an Bolten 2003 und Stüdlein 1997)
Abbildung 3: Interkulturelle Kompetenz im Zeitalter der Globalisierung (Zülch, 2004)
Abbildung 4: Interkulturelle Kompetenz als anwendungsbezogener Spezialfall allgemeiner Handlungskompetenz (Bolten, 2007)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:überblicküber die Inhalte und Methoden des Trainings
Tabelle 2: Reliabilit„ten zu den Messzeitpunkten t1 und t2
Tabelle 3: Skalenmittelwerte und Standardabweichungen der Variable Kulturbewusstheit
Tabelle 4: Ergebnisse der Varianzanalyse der Variable Kulturbewusstheit
Tabelle 5: Ergebnisse des t-Tests der Variable Kulturbewusstheit von t1 zu t2
Tabelle 6: Skalenmittelwerte und Standardabweichungen der Variable Kulturstandards
Tabelle 7: Ergebnisse der Varianzanalyse der Variable Kulturstandards
Tabelle 8: Ergebnisse des t-Tests der Variable Kulturstandards von t1 zu t2
Tabelle 9: Skalenmittelwerte und Standardabweichungen der Variable Perspektivenwechsel u. Empathie
Tabelle 10: Ergebnisse der Varianzanalyse der Variable Perspektivenwechsel u. Empathie
Tabelle 11: Skalenmittelwerte und Standardabweichungen der Variable Kulturelle Unterschiede
Tabelle 12: Ergebnisse der Varianzanalyse der Variable Kulturelle Unterschiede
Tabelle 13: Ergebnisse des t-Tests der Variable Kult. Unterschiede von t1 zu t2
Tabelle 14: Skalenmittelwerte und Standardabweichungen der Variable Interkulturelle Kommunikation
Tabelle 15: Ergebnisse der Varianzanalyse der Variable Interk. Komm
Tabelle 16: Ergebnisse des t-Tests der Variable Interk. Komm. von t1 zu t2
Tabelle 17: Skalenmittelwerte und Standardabweichungen der Variable Kulturelle Missverst„ndnisse
Tabelle 18: Ergebnisse der Varianzanalyse der Variable Kult. Missverst„ndnisse
Tabelle 19: Ergebnisse der t-Tests der Variable Kult. Missverst„nd. von t1 zu t2
Tabelle 20: Skalenmittelwerte und Standardabweichungen der Variable Offenheit und Interesse
Tabelle 21: Ergebnisse der Varianzanalyse der Variable Offenheit und Interesse
Tabelle 22: Trainingsevaluation
Zusammenfassung
Thema und Ziel der Studie: Die vorliegende Diplomarbeit umfasst die Konzeption,Durchführung und Evaluierung eines Trainings zur Förderung der InterkulturellenKompetenz bei Polizisten der Landespolizei Rheinland-Pfalz. In diesem Rahmen wurdeein Fragebogen zur Erfassung von sieben Facetten der interkulturellen Kompetenzentworfen. Die theoretische Basis der Studie bildet das multiple Konstrukt derinterkulturellen Kompetenz, das aus affektiven, kognitiven und verhaltensbezogenenDimensionen besteht. Dabei ist zu betonen, dass interkulturelle Kompetenz nicht alsSynthese, sondern als synergisches Produkt des permanenten Wechselspiels dergenannten Teilkompetenzen bezeichnet wird. Dementsprechend wurde vorliegendesTraining so aufgebaut, dass sich die Methoden und Bausteine in einem ganzheitlichenZusammenspiel wechselseitig durchdringen. Ziel des Trainings war, dass dieTeilnehmer in sieben Facetten der interkulturellen Kompetenz (Kulturbewusstheit,Wissenüber Kulturstandards, F„higkeit zum Perspektivenwechsel und Empathie,Umgang mit kulturellen Unterschieden, Interkulturelle Kommunikation, KulturelleMissverst„ndnisse, Offenheit und Interesse) trainiert und dafür sensibilisiert wurden. Methode/ Design: Es handelt sich um eine quasiexperimentelle Untersuchung an einer Experimentalgruppe und zwei Kontrollgruppen mit zwei Messzeitpunkten (jeweils vor und nach dem Training). Die Auswertung der Daten des Trainings erfolgte mit einer Varianzanalyse mit Messwiederholung sowie mit t-Tests. Ergebnisse: Von sieben aufgestellten Hypothesen konnten fünf empirisch best„tigt werden. Nach dem Training zeigten sich hochsignifikante Verbesserungen in den Variablen Kulturbewusstheit, Wissenüber Kulturstandards, Umgang mit kulturellen Unterschieden, kulturelle Kommunikation und kulturelle Missverst„ndnisse. Laut Feedbackaussagen der Teilnehmer erlangte das Training zudem eine sehr hohe Akzeptanz und Zufriedenheit bei den Teilnehmern. Diskussion: Die Ergebnisse weisen auf ein sehr effektives Training hin. Damit stelltvorliegendes Training einen wichtigen Beitrag zur interkulturellen Sensibilisierung beiPolizisten dar. Darüber hinaus ist das Training so aufgebaut, dass es sich durch geringeAnpassungen auch bei weiteren Zielgruppen durchführen l„sst. Abschließend l„sst sichsagen, dass das Training, der Fragebogen und die Evaluation mit zwei Kontrollgruppeneinen Fortschritt in der Erforschung interkultureller Kompetenz darstellen.
1 Einleitung
„Die Angst vor dem Fremden fördert rassistisches Gedankengut als Schutz gegen das,was man nicht kennt und einsch„tzen kann. Die Angst vor dem Fremden lenkt nichtnur die Handlungen einer Person sondern sagt auch immer etwasüber die eigeneKultur aus.
Gerade die Mitarbeiter der Polizei und der Gerichte sollten endlich einsehen, dass interkulturelle Trainings keine verschwendete Zeit sind, sondern helfen, sich zu öffnen, die „ngste zuüberwinden und vorurteilsfrei(er) auf Andere zuzugehen.“
(Hoffmeier, 2010)
Das oben angeführte Zitat zeigt, wie wichtig in der heutigen Gesellschaft und besonders bei der Polizei ein ad„quater Umgang mit Migranten und die hierfür notwendige interkulturelle Kompetenz ist.
Durch die fortschreitende Globalisierung kommt es zunehmend zu einer ethnischen, kulturellen und religiösen Heterogenit„t der Gesellschaft. Laut einer Untersuchung des statistischen Bundesamtes, die auf den Ergebnissen des Mikrozensus 2008 basiert, ist in Deutschland der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund auf 19% angestiegen. Davon sind 9% Ausl„nder und 10% Deutsche mit Migrationshintergrund, also Personen mit eigener Migrationserfahrung oder Kinder bzw. Enkel von Einwanderern (vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland, 2008). Durch diese Vielfalt der Gesellschaft werden auch die Kontakte zwischen Menschen mit unterschiedlichen Werthaltungen und Bezugssystemen zunehmen.
Um in solchen interkulturellen Handlungssituationen erfolgreich und angemessenhandeln zu können, bedarf es interkultureller Kompetenz (Thomas & Simon, 2003).Jacobsen (2009) betont, dass besonders die Polizei hier vor der Heraus]forderung steht,sich auf die Bedingungen und die Erfordernisse einer multikulturellen Gesellschafteinzustellen.
In der Kommunikation mit Migranten wie z.B. in allt„glichen Polizeiarbeiten wieZeugenvernehmung, Einschreiten wegen Ruhestörung,überprüfung der Personalien,Schlichtung in Familienauseinandersetzungen und Verkehrskontrollen treten h„ufigSchwierigkeiten auf, da oft das als fremdartig wahrgenommene Verhalten zugegenseitigen Missverst„ndnissen führen kann. Solche Situationen, die durch dieUnfreiwilligkeit der Begegnungen sowie starken emotionalen Stress gekennzeichnetsind, führen zu einer nervlichen Belastung der Beteiligten (Leenen, 2005).
Zudem ist es auch wichtig, dass die Polizei auf „ußerungen von Personen dermultikulturellen Gesellschaft nicht diskriminierend reagiert, sondern Verst„ndnis,interkulturelle Sensibilit„t und Handlungskompetenz aufweisen kann. In derPolizeiarbeit steht die Verantwortung für die Einhaltung von Gesetzen und Erhaltungöffentlicher Ordnung im Vordergrund. Durch ihre öffentliche und soziale Stellung solltedie Polizei in jeder Situation mit Fairness gegenüber allen Gruppierungen auftreten,Neutralit„t ausstrahlen und nicht das Gefühl bei der Bevölkerung erwecken (z.B. durchUnwissen), manche Personenkreise zu bevorteilen und andere zu benachteiligen(Leiprecht, 2002).
In den 90er Jahren wurde jedoch an zunehmenden Spannungen und skandaltr„chtigenKonflikten mit Angehörigen ausl„ndischer Minderheiten deutlich, dass die Polizei inDeutschland noch unzureichend auf die „Multikulturalisierung“ unserer Gesellschaftvorbereitet ist (Leenen, 2005). Ein höheres Maß an interkultureller Kompetenz in derPolizeiarbeit scheint wünschenswert. Diese ermöglicht dem Polizeibeamten nicht nurein ad„quates Einschreiten bei Konflikten, sondern kann auch zur erfolgreichen Kl„rungsowie der Pr„vention von Straftaten beitragen. Diese Schlüsselkompetenz kann durchgezielte Programme wie z.B. durch interkulturelle Trainings für Polizisten aufgebautwerden (Liebl, 2009). Mit Hilfe dieser Trainings soll vermittelt werden, dass für eineerfolgreiche polizeiliche T„tigkeit nicht nur Fachkompetenz notwendig ist, sondernauch das Verst„ndnis für andere Normen, Regeln und Br„uche anderer Kulturr„ume,wodurch ein interkulturelles Bewusstsein geschaffen werden soll. Ein wichtigerLernprozess ist hierbei die Selbsterfahrung in Kultursimulationsspielen, bei denen dieTeilnehmer sich mit Missverst„ndnissen auseinandersetzen und ihr gewohntesVerhaltensrepertoire erweitern können. Die dabei durchlaufene Selbstreflektion und derPerspektivenwechsel können zu einem besseren Verst„ndnis einer fremden Kultur und der zugrundeliegenden Prozesse w„hrend einer interkulturellen Überschneidungssituation führen (Thomas, 2006).
Interkulturelle Kompetenz kann nicht auswendig gelernt werden. Vielmehr muss ein Bewusstsein für interkulturell relevante Situationen geweckt und ihre Gestaltung ausprobiert werden. Interkulturelle Kompetenz muss immer wieder trainiert werden, wobei die individuelle Persönlichkeit und Nutzung der eigenen Potentiale eine wichtige Rolle spielen (Jacobsen, 2009).
1.1 Zielsetzung
Ziel dieser Diplomarbeit ist, herauszufinden, ob sich die interkulturelle Kompetenz vonPolizistinnen und Polizisten durch ein interkulturelles Kompetenz- Training verbessernl„sst. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird eiin interkulturelles Training konzipiert,durchgeführt und evaluiert. Die interkulturelle Kompetenz wird hierbei in sieben Facetten erfasst. Inübereinstimmung mit der Zielfestlegung des Trainings umfasst dieEvaluation insgesamt sieben Bausteine, aus denen Informationenüber das Erreichen dergenannten Ziele mithilfe eines Fragebogens gewonnen werden. Der Fragebogen wirdauf Grundlage von theoretischenüberlegungen und ausreichendem Literaturstudiumselbst entwickelt. In dem Fragebogen machen die Teilnehmer Angaben zu deneinzelnen Facetten der interkulturellen Kompetenzen. Vor und nach dem Trainingeingesetzt,überprüft dieser, ob die interkulturelle Kompetenz der Teilnehmer durch dasTraining gesteigert wurde. Zurüberprüfung dienen zwei Kontrollgruppen, die an eineminhaltlich unterschiedlichen Training teilgenommen haben. Folgende Fragen sollenuntersucht werden. ,Erhöht sich bei den Teilnehmern durch das Training
1. die Kulturbewusstheit?“
2. das Wissenüber Kulturstandards?“
3. die F„higkeit zur Perspektivenübernahme und Empathie?“
4. der Respekt vor kulturellen Unterschieden?“
5. das Verst„ndnis von interkultureller Kommunikation?“
6. das Verst„ndnis von und der Umgang mit kulturellen Missverst„ndnissen?“
7. das Interesse, sich mit fremdkulturellen Situationen zu besch„ftigen?“
1.2 Aufbau der Arbeit
In den theoretischen Grundlagen des Kapitels II werden wichtige Konzepte wie Kultur, interkulturelles Lernen und interkulturelle Kompetenz genauer beleuchtet.
Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der Konzeption und Evaluation einesinterkulturellen Trainings liegt, werden die verschiedenen Arten und Besonderheitenvon interkulturellen Trainings in Kapitel III sowie der aktuelle Forschungsstand zuEvaluationen von interkulturellen Trainings und das Evaluationsmodell von Kirkpatrickin Kapitel IV vorgestellt. In Kapitel V wird das vorliegende Training pr„sentiert, das auftheoretischen Annahmen der Kulturpsychologie und den wichtigsten sieben Facettender interkulturellen Kompetenz basiert. Das Training, das bei Polizeibeamten seineAnwendung findet, wird hier genauer in seiner Konzeption, Durchführung und in denverwendeten Methoden dargelegt. In Kapitel VI werden auf die Methoden dervorliegenden Studie und insbesondere auf den selbstkonstruierten Fragebogen zurAuswertung des Trainings eingegangen. Schließlich werden im Kapitel VII dieEvaluationsergebnisse dargelegt und im Kapitel VIII diskutiert. Darüber hinaus werdenMöglichkeiten der Weiterentwicklung des Trainings sowie der Evaluationvorgeschlagen und im Ausblick wird abrundend auf die zukünftigen Chancen und Möglichkeiten interkultureller Bildungsmaßnahmen eingegangen.
2 Theoretische Grundlagen
Die vorliegende Arbeit setzt sich mit den zentralen Begriffen wie Kultur im weiterenSinne, interkulturellem Lernen, interkulturellenüberschneidungssituationen undinterkultureller Kompetenz auseinander. Insbesondere wird darauf eingegangen, wiesich das Konstrukt der interkulturellen Kompetenz erfassen und beschreiben l„sst. Dazuwird die aktuelle Literatur interkultureller Forschung herangezogen. In der Literaturexistieren jedoch keineswegs einheitliche Definitionen der genannten zentralenBegriffe. Daher soll zun„chst festgelegt werden, in welchem Sinne sie in dieser Arbeitzu verstehen sind.
2.1 Der Kulturbegriff
Um den Begriff der interkulturellen Kompetenz bestimmen zu können, ist zun„chst eineBestimmung dessen, was „Kultur“ in diesem Kontext meint, notwendig. Bei einemKonzept, welches sowohl in der Kulturwissenschaft, Kulturanthropologie undSoziologie als auch in der Psychologie und P„dagogik seine Verwendung findet, l„sst esnicht verwundern, dass ein sehr heterogenes und vielseitiges Bild zum Konstrukt„Kultur“ existiert (Rathje, 2007). Kroeber und Kluckhohn verzeichnen bereits 1952mehr als 164 Begriffsverwendungen, die je nach Forschungsdisziplin andereSchwerpunkte setzen.
Der Regensburger Psychologe Alexander Thomas (1993), dessen
Forschungsschwerpunkte im Bereich der kulturvergleichenden und interkulturellen Psychologie, speziell der Theorie interkulturellen Handelns, der interkulturellen Kommunikation sowie in der Trainings- und Evaluationsforschung zur interkulturellen Kompetenz liegen, definiert Kultur folgendermaßen:
„Kultur ist ein universelles, für eine Gesellschaft, Organisation und
Gruppe aber sehr typisches Orientierungssystem. Dieses
Orientierungssystem wird aus spezifischen Symbolen gebildet und in derjeweiligen Gesellschaft, Organisation und Gruppe tradiert. Es beeinflusstWahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller ihrer Mitglieder unddefiniert somit deren Zugehörigkeit zur Gesellschaft. Kultur alsOrientierungssystem strukturiert ein für die sich der Gesellschaftzugehörig fühlenden Individuen spezifisches Handlungsfeld und schafftdamit die Voraussetzungen zur Entwicklung eigenst„ndiger Formen derUmweltbew„ltigung“ (S.380).
Diese Kulturdefinition erweist sich nach Thomas (2003 b) zur Erfassung derinterkulturellen Kompetenz als geeignet, da sie sich mit dem Aspekt besch„ftigt, „wie Theoretische Grundlagen man die Zusammenarbeit zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturenverbessern kann und wie man sich auf eine solche Zusammenarbeit gut vorbereitet“(S.21). Diese Definition basiert auf handlungstheoretischen Konzepten und ist der„kognitiv orientierten Sozial-und Persönlichkeitspsychologie verpflichtet“ (Thomas,1993, S. 158).
Die vorliegende Definition verdeutlicht, dass Kultur nicht nur der vom Menschengestaltete Teil der Umwelt ist, sondern sie legt auch fest, wie jeder Einzelne seinematerielle und soziale Umwelt strukturiert, die spezifisch für eine bestimmte Gruppe ineinem bestimmten Raum ist. Alle Menschen wachsen in eine bestimmte Kultur hineinund entwickeln diese weiter. Sie bietet einen gemeinsamen Rahmen, wie man mit derUmwelt umgeht, sie versteht und akzeptiert. Kultur bietet jedem Einzelnen einewertvolle Hilfe, sich in seiner Lebenswelt zu orientieren und den umgebenden Dingen,Personen sowie Ereignissen oder Verhaltenskonsequenzen einen Sinn und eineBedeutung zu verleihen. Kultur strukturiert demnach ein spezifisches Handlungsfeld,das für alle Mitglieder einer kulturellen Gruppe einen verbindlichenHandlungsspielraum bestimmt, der Handlungsbedingungen und -grenzen festlegt(Thomas, 2003 b). Im Laufe des individuellen Sozialisationsprozesses, „also desHineinwachsens des Einzelnen in die Gesellschaft respektive Kultur“ (Thomas, 2003 b,S.23) werden bestimmte Wahrnehmungs-, Denk-, Beurteilungs- und Verhaltensmusterso weit entwickelt und verinnerlicht, dass sie unbewusst in routinierte Handlungeneingehen und in der Regel nicht mehr gesondertüber deren Funktionsweise, Dynamikund Folgen nachgedacht wird (Thomas, 2003 b).
Wie Thomas (2003 b) bezeichnet der amerikanische Psychologe Harry Triandis (1989)Kultur als den vom Menschen gemachten Teil der Lebensumwelt, wobei er Kulturwiederum auch als bestimmend für die Umwelt des Menschen sieht. Kultur ist alsozugleich Bedingung und Ergebnis von Handlung (Kroeber & Kluckhohn, 1952).Triandis (1994) unterscheidet zwischen „objektiver“ und „subjektiver“ Kultur. In dieserUnterscheidung finden sich die unterschiedlichen Konzeptionalisierungen desKulturbegriffs wie z.B. von Thomas (2003 b) und des holl„ndischen KulturpsychologenHofstede (1993), der Kultur als „mentale software“, also so etwas wie ein „kollektivesBewusstsein“ bezeichnet, wieder. In der Unterscheidung von Triandis bezieht sich„objektiv“ auf Elemente einer Kultur, die offen sichtbar sind, wie z.B. Kleidung,H„user, Werkzeuge, Straßen usw., wohingegen „subjektive“ Kultur diepsychologischen Eigenschaften einer definierten Gruppe von Menschen kennzeichnetund deren spezifische Art und Weise, wie sie ihre Umwelt wahrnimmt (z.B.Einstellungen, Werte, Normen, Rollen, Kategorisierungen,überzeugungen,Erziehungsstil, Kommunikationsstil, …). Kultur ist durch bestimmte Beziehungendieser Elemente untereinander gekennzeichnet und verhilft zu einer wichtigen Anpassung des Menschen in Reaktion auf seine Umwelt. In vorliegender Arbeit wird der „subjektive“ Kulturbegriff verwendet (s. Kap. 2.3).
2.2 Kulturstandards und kulturelleüberschneidungssituation
Auf Basis der von Triandis (1994) angesprochenen subjektiven Kultur bezeichnet Thomas (2003 b) die zentralen Merkmale eines kulturspezifischen Orientierungssystems als „Kulturstandards“.
Unter Kulturstandards werden „alle Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens undHandelns verstanden, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur fürsich und für andere als normal, selbstverst„ndlich, typisch und verbindlich angesehenwerden“ (Thomas, 2003 b, S.25). Thomas bezeichnet diese als „zentrale Maßst„be,Gradmesser, Bezugssysteme, und Orientierungsmerkmale einer Kultur“ (Thomas, 1996,S.114). In Analogie zur subjektiven Kultur bei Triandis (1994) kommenKulturstandards auf verschiedenen Abstraktionsniveaus zum Ausdruck und „ußern sichbeispielsweise im Arbeitsverhalten, in allgemeinen Werten und Regeln, inErziehungsregeln, in Beerdigungs- oder Begrüßungsritualen, in religiösen Gebr„uchen,in der Zeitplanung, im Kommunikationsstil usw. (Thomas, 2003 b).
Aufgrund dieser Kulturstandards kann eigenes und fremdes Verhalten gesteuert,reguliert und beurteilt werden. Dies kommt der Situationsbew„ltigung und demUmgang mit Personen zu Gute. Dabei kann die individuelle und gruppenspezifischeAuspr„gung der Situationsbew„ltigung im Umgang mit Kulturstandards zurVerhaltensregulation in einem bestimmten Toleranzbereich variieren. Werdenbereichsspezifische Grenzen jedochüberschritten, so wird das entsprechende Verhaltenvon der sozialen Umwelt abgelehnt und sanktioniert. Nach Thomas (2003 b)unterscheiden sich Kulturen entsprechend der Bedeutung, welche einzelnenKulturstandards beigemessen wird, und in welchen Bereichen zentrale Kulturstandardsüberhaupt existieren. Kulturstandards werden im Laufe der Sozialisation erlernt undverinnerlicht, wodurch das Wissen um die in der eigenen Kultur gültigen Regelnimplizit wird. Erst im Kontakt mit anderskulturell sozialisierten Interaktionspartnern werden diese Kulturstandards bewusst. Es kommt zu kritischen Interaktionserfahrungen, sogenannten „critical incidents“ (Thomas, 1996, S.113), beidenen die Interaktionspartner nicht mehr auf ihre gewohnten Symbole, Denkmuster undVerhaltensweisen zurückgreifen können, da diese in der ungewohnten und neuenSituation versagen.
Aufgrund von unterschiedlichen kulturellen Hintergründen kommt es bei einer solchen„kulturellenüberschneidungssituation“ zu gegenseitigem Unverst„ndnis, was imExtremfall zu einer Handlungsunf„higkeit führen kann. Wiederholen sich solche Erlebnisse kann die Person schlimmstenfalls einen Kulturschock erleiden (Oberg,1960). Eine kulturelleüberschneidungssituation ist nach Kinast (1998) ein Handlungsfeld,in dem Kulturstandards unterschiedlicher kulturspezifischer Orientierungssystemeaufeinandertreffen. Durch die Analyse solcher kritischen Interaktionserfahrungen mitder sogenannten „critical incident technique“ (Flanagan, 1954; Thomas, 1996), könnendie jeweiligen Kulturstandards, die in einer kulturellenüberschneidungssituationhandlungswirksam geworden sind, identifiziert, interpretiert und kulturhistorisch sowiefunktional eingeordnet werden.
Kulturstandards, ihre Vernetzung untereinander und ihre Einbindung inkulturhistorische Analysen und Entstehungskontexte eignen sich in Verbindung mitprototypischen kritischen Interaktionssituationen als Ausgangsmaterial zur Entwicklunginterkultureller Trainings, die darauf abzielen, eine Sensibilisierung und eine guteVorbereitung auf den Umgang mit Personen einer anderen Kultur zu erreichen.Kulturstandards lassen verstehen, dass unterschiedliche Kulturen unterschiedlicheOrientierungssysteme entworfen haben und machen es somit möglich, eine gegenseitigeinterkulturelle Wertsch„tzung zu entwickeln (Thomas, 2003 b). Durch dieseWertsch„tzung kann der Grundstein für den Aufbau von interkulturellerHandlungskompetenz gelegt werden, die sich durch ein „zielgerichtetes,erwartungsgesteuertes, geplantes und willentlich vollzogenes interpersonales Verhaltenim Kontext kulturellerüberschneidungssituationen“ (Thomas, Kammhuber & Schmid,2005, S. 187) auszeichnet.
Zu den Kulturstandards ist jedoch anzumerken, dass sich eine Kultur keinesfalls, wederanhand von einigen wenigen zentralen Kulturstandards noch anhand eines Netzwerkesvieler Kulturstandards in ihrer Gesamtheit beschreiben l„sst (Thomas, 2003 b).Kulturstandards fungieren allenfalls als Orientierungshilfen, „um sich einenWissensfundusüber das fremdkulturelle Orientierungssystem aufbauen zu können, umsich das unerwartete und fremdartig wirkende Verhalten des Interaktionspartners zuerkl„ren und um auf diesem Hintergrund auf das eigenkulturelle Orientierungssystemaufmerksam zu werden und es reflektieren zu können“ (Thomas, 2003 b, S.30). Kulturist einem stetigen Wandel unterworfen und kann deshalb niemals in ihrer Gesamtheiterfasst werden. Sie ist kein starres, sondern ein dynamisches System (Laurent, 1983).Im Folgenden soll deshalb erl„utert werden, wie der dynamische Kulturbegriff zuverstehen ist.
2.3 Wandel des Kulturbegriffs
Durch die Verwendung eines statischen Kulturbegriffs entzündet sich viel Kritik, dagerade in Einwanderungsgesellschaften die Gefahren von Stereotypisierung und die11 Vernachl„ssigung der individuellen Enkulturationsgeschichte sowie die Missachtungder Prozesshaftigkeit von Kulturen liegen (Gültekin, 2005). Mit ihren zentralenBegriffen wie „Nationalkultur; die kollektive Programmierung des Geistes“ (Hofstede,1993) und „Monokultur; ein abgegrenztes, einzigartiges Handlungsfeld“ (Thomas, 2003 b) bewegen sich die Kulturpsychologen in die N„he zu fundamentalistischen undethnozentristischen Diskursen, und arbeiten an einer Ideologie der Differenz (Hüsken,2006). So suggerieren Begriffe wie mentale Software und Kulturstandards „dieExistenz eines ontologischen Gegensatzes zwischen dem Eigenem und dem Fremden,der auch schon typisch für den kolonialen Diskurs war“ (Hüsken, 2006, S.13). DieVerwendung solcher Begriffe machen sich auch Beraterm„rkte als strategische Funktionzunutze, wodurch bestimmte mentale Programme und Kulturstandards stilisiert und alskulturspezifische Trainings (Brislin & Pedersen, 1976) angeboten werden (s. Kap. 3.2).
In Folge des Kolonialismus, der Verwestlichung, der Amerikanisierung und derGlobalisierung tritt das Ph„nomen des Kreolismus auf. Dieses beschreibt den Prozessderübernahme fremder Kulturen, der entsteht, wenn eine fremde Kultur auf einetraditionelle, lokale Kultur trifft. Formen und Inhalte der fremden Kultur werdenteilweiseübernommen und an die lokalen Strukturen angepasst. Dabei entsteht eineKreolkultur, die weder der alten Lokalkultur, noch der fremden Kultur gleicht, sonderneine eigene Kultur formt. Das Verst„ndnis von Kultur als ein dynamisches Konstruktmit einem prozesshaften Charakter hat in den 80er Jahren und im Verlauf der 90er Jahrein der Globalisierungsdebatte zu einer Neuorientierung des ethnologischenKulturbegriffes geführt (Hüsken, 2006).
Im Laufe der weltweiten Migration sowie der globalisierten Finanz-, Waren- und Dienstleistungsm„rkte wandeln sich Kulturen st„ndig, entwickeln sich weiter, verschmelzen und verfallen. Es findet ein fortlaufender Austausch von Waren, Ideen, Lebensweisen, Sprachen, Religionen, Werten, Normen und Weltsichten statt. Kultur wird nicht mehr als ein statisches, in sich geschlossenes System verstanden, sondern vielmehr als ein Fluss von Bedeutungen, der best„ndig alte Beziehungen auflöst und neue Verbindungen eingeht (Deardorff, 2006).
In diesem Sinne wird in der vorliegenden Arbeit der „erweiterte Kulturbegriff“ (Grosch & Leenen, 2000, S.33) verwendet, der seinen Schwerpunkt auf die subjektive Kultur legt und Kultur größtenteils latent und dadurch nur indirekt aus ihren Manifestationen erschließbar begreift. Der erweiterte Kulturbegriff ist auf ein Kollektiv bezogen, welches sowohl ethnisch oder geographisch als auch durch eine Organisation oder Berufsgruppe gebildet werden kann. Kultur wird als prozesshaft gekennzeichnet, die demnach offen für „ußere Einflüsse und Wandlungen ist.
2.4 Interkulturelles Lernen
Verschiedene Autoren haben sich mit der Entwicklung interkultureller Kompetenz alsResultat interkulturellen Lernens befasst. Thomas (2003) bezeichnet interkulturellesLernen als einen Prozess, bei dem gemachte Erfahrungen zukünftiges Handelnbeeinflussen. Analog zu der hier verwendeten Kulturdefinition zeichnet sich nachThomas (1993) interkulturelles Lernen durch das Streben aus, fremdeOrientierungssysteme zu verstehen und in das eigene System zu integrieren. Hierbei istauch die Reflexion eigener kultureller Werte und Muster ausschlaggebend.Interkulturelles Lernen wird dann als erfolgreich gesehen, wenn das eigene und dasfremde Orientierungssystem so verbunden werden, dass erfolgreiches Handeln in dereigenen und in der fremden Kultur möglich ist. Demnach werden im interkulturellenLernprozess fremdkulturelle Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster erarbeitetund das eigenkulturelle Orientierungssystem wird hinterfragt. HandlungswirksameMuster werden erworben und erlernte Kompetenzen werden auf neue Situationenübertragen (Thomas, 1993).
Interkulturelles Lernen kann sowohl durch kulturelleüberschneidungssituationen alsauch durch vermittelnde (indirekte) Erfahrungen wie z.B. Erfahrungsberichte undinterkulturelle Trainings stattfinden. Das Ziel des interkulturellen Lernprozesses ist dieErreichung der interkulturellen Kompetenz. Laut Nieke (1994) wird der Begriff desinterkulturellen Lernens als Zentralbegriff für den Prozess reserviert, der ausgehend von Situationen kultureller Begegnung oder aber durch entsprechende Bildungsarrangements zu interkultureller Kompetenz führen soll. Ziel des interkulturellen Lernens ist es, im Umgang mit Angehörigen anderer Kulturen eine respektvolle und wertsch„tzende Haltung für kulturelle Unterschiede zu finden, die es ermöglicht, dauerhaft und ohne Anpassungszwang und Orientierungsverlust in der interkulturellen Begegnungssituation fruchtbar zu handeln.
W„hrend interkulturelle Kompetenzen und interkulturelle Orientierungen auchmittelfristig vermittelt und entwickelt werden können, ist die Entwicklung zurinterkulturellen Persönlichkeit eine Angelegenheit l„ngerfristiger Lernprozesse, die einganzes Leben lang andauern können (Flechsig, 1997). „Interkulturelles Lernen ist einlebenslanger Lernprozess zur Förderung und Stabilisierung der Akkulturations-bereitschaft und -f„higkeit aller Bürgerinnen und Bürger.“ (Otten 2004, S.26).
2.5 Interkulturelle Kompetenz
Ausgehend von dem oben erl„uterten „erweiterten Kulturbegriff“, soll nachstehend aufdas Konstrukt der interkulturellen Kompetenz eingegangen werden. Dabei soll dasKonstrukt als kulturallgemeine Kompetenz verstanden werden, die eine Theoretische Grundlagen Teilkomponente der allgemeinen Handlungskompetenz und eine Erweiterung der allgemeinen sozialen Kompetenz darstellt (Thomas, 2003 a).
In der heutigen Globalisierungsrhetorik von Regierungen, internationalen Diensten und multinationaler Unternehmungen bilden interkulturelle Kommunikation und interkulturelles Management die Kernelemente. Ein erfolgreicher Umgang und eine konstruktive Zusammenarbeit mit „fremden Partnern“ und auf „fremden M„rkten“ erfordern die Einbeziehung kultureller Bedingungen in das politische, wirtschaftliche und soziale Handeln. Deshalb wird interkulturelle Kompetenz als wichtige Schlüsselqualifikation gesehen (Hüsken, 2006).
Eine veröffentlichte Streitschrift mit Beitr„gen vonüber dreißig Wissenschaftlernunterschiedlicher Disziplinen zum Thema „interkulturelle Kompetenz“ (Benseler, 2003)zeigt, dass keineswegs Einigkeit darüber existiert, was man genau unter interkulturellerKompetenz versteht und wie man sie operationalisiert (Bolten, 2007). DieseFeststellung wird durch Forschungsberichte zum state oft the art der wissenschaftlichenDiskussion im deutschsprachigen Raum (Rathje, 2006) und in den USA (Deardoff,2006) untermauert.
Innerhalb der vergangenen vierzig Jahre, in denen zu interkultureller Kompetenzgeforscht wurde, lassen sich verschiedene Schwerpunkte und Entwicklungslinienerkennen. Es existieren Listen-, Struktur- und Prozessmodelle, wobei auch oftMischformen zur Beschreibung und Operationalisierung von interkulturellerKompetenz gew„hlt werden. Dies zeigt, dass es kein „allgemein gültiges oder idealesModell“ (Bolten, 2007, S. 1) gibt. Entsprechend der Wahl eines Modells wird dasVerfahren der Messung und die Vermittlung von interkultureller Kompetenz beeinflusst(Bolten, 2007).
Nach Auernheimer (1995) umfasst die interkulturelle Kompetenz das offene Zugehenauf Gruppen mit anderer kultureller Orientierung und Menschen mit anderenIdentit„tsentwürfen, für die fremde Kulturelemente bedeutsam sind. AndereOrientierungssysteme und Identit„tskonstrukte sollen anerkannt werden, was eineÜberwindung von Vorurteilen bzw. ein Misstrauen gegenüber den eigenenWahrnehmungs- und Bewertungsschemata impliziert. Durch angeleiteteSelbsterfahrung und kritische Selbstreflexion kann interkulturelles Lernen beginnen.Dabei ist die Anerkennung des Fremden eine Voraussetzung des interkulturellenVerstehens und dies wiederum vertieft umgekehrt die Anerkennung. Neben derkritischen Distanz gegenüber der eigenen Kultur verlangt interkulturelles Verstehen einMaß a n Identifikation oder Empathief„higkeit. Dies wiederum verlangt eine kognitiveKontextualisierung. Damit ist die F„higkeit gemeint, das Handeln der anderen imKontext ihrer Wertvorstellungen und diese im Kontext ihrer Lebensbedingungen oderauch ihrer historischen Erfahrungen zu sehen (Auernheimer, 1995). Nach Auernheimer (1995) ist hierbei zu betonen, dass Wissenüber die fremde Kultur hilfreich sein kann,aber weniger bedeutsam ist als die Infragestellung der subjektiven Sicherheit desVerstehens. Missverst„ndnisse können am wenigsten aufgekl„rt werden, wenn man sichseiner Deutungen allzu sicher ist. Missverst„ndnisse werden als produktive Basisbetrachtet, um darauf aufbauend neue Verknüpfungen der verschiedenenOrientierungsmuster zu ermöglichen. Daher ist es unabdingbar, sich seiner eigenenkulturellen Pr„gung bewusst zu sein, sich offen auf ein fremdkulturelles Wertesystemeinzulassen und dieses möglichst vorurteilsfrei zu verstehen und zu hinterfragen.
Als wichtige F„higkeit und vor allem als eine zentrale Voraussetzung für kompetentesinterkulturelles Handeln sei hier die F„higkeit zum Perspektivenwechsel genannt.Darunter wird allgemein die F„higkeit einer Person verstanden, multiple Perspektiveneinzunehmen und für ihr Handeln zu berücksichtigen (Hatzer, 2000). In ihrerempirischen Studie best„tigt Hatzer (2000), dass die F„higkeit zum Perspektiven-wechsel als Indikator für interkulturelle Handlungskompetenz dient. Sie geht davon aus,dass erst eine grunds„tzliche Wahrnehmungssensitivit„t einer Personüberhaupt dazuführt, in der interkulturellen Begegnung eine Handlungsproblematik zu erkennen unddarauf aufbauend kulturad„quat interagieren zu können. Durch die F„higkeit, in einerkulturellenüberschneidungssituation eine andere Perspektive im Zuge einerumfassenden Situationsanalyse einnehmen zu können, wird die soziale Wahrnehmungeiner Person erweitert, was wiederum zu einer besseren Bew„ltigung voninterkulturellen Problemsituationen führt. Auch Thomas (2003 a, S.143) liefert eineumfassende Definition des Konzepts des Perspektivenwechsels:
„Unter Perspektivenwechsel wird die F„higkeit verstanden, andere Perspektiven unter Berücksichtigung des fremdkulturellen Orientierungssystems einzunehmen und diese bei der Situationsinterpretation zu bedenken. Dies impliziert die kritische Reflexion des eigenkulturellen Orientierungssystems und das Verlassen gewohnter Denkmuster, gegebenenfalls auch deren Aufgabe, wenn alternative Denkmuster sich konstruktiver, ad„quater oder vorteilhafter erweisen.“
In der kritischen Reflexion des eigenen kulturellen Hintergrundes und der darausresultierenden F„higkeit, fremdkulturelle Blickwinkel einzunehmen sieht Thomas (2003 a) eine ausschlaggebende Voraussetzung für die weitere Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz.
2.5.1 Interkulturelle Kompetenz als Strukturmodell
In Abgrenzung zu den Listenmodellen, die interkulturelle Kompetenz additiv alsSumme verschiedener Teilkompetenzen verstehen, haben sich seit den 90er JahrenStrukturmodelle entwickelt, die den Kontext des Handelns für die Kompetenz- entwicklung in den Vordergrund stellen (Zülch, 2004). Der Handlungserfolg wird alsInteraktion von Person und Situation verstanden. Zu den Strukturmodellen gehört unteranderem das handlungs-und lerntheoretische Modell von Thomas (2003 a) (s.Abbildung 1). Dieses betont das Zusammenspiel von personalen Grundbedingungen,situativen interkulturellen Erfahrungen, Prozessen des interkulturellen Lernens undVerstehens sowie der Interdependenzen im Begegnungs- und Handlungsvollzug. DasModell arbeitet die zentrale Rolle, die interkulturellen Lernprozessen beim Aufbauinterkultureller Kompetenz zukommt, in einem komplexen handlungs- undlerntheoretischen Konzept interkultureller Kompetenz heraus. Dabei definiert Thomasinterkulturelle Kompetenz als die „F„higkeit, kulturelle Bedingungen und Einflussfaktoren im Wahrnehmen, Urteilen, Empfinden und Handeln bei sich selbst und bei fremden Personen zu erfassen, zu würdigen und produktiv zu nutzen im Sinne einerwechselseitigen Anpassung, von Toleranz gegen über Inkompatibilit „ ten und einer Entwicklung hin zu synergietr „ chtigen Formen der Zusammenarbeit, des Zusammenlebens und handlungswirksamer Orientierungsmuster in Bezug auf Weltinterpretation und Weltgestaltung“ (Thomas, 2003 a, S.143).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Ein handlungs- und lerntheoretisches Modellüber die Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz (Thomas & Simon, 2007).
Im Allgemeinen teilen Strukturmodelle die interkulturelle Kompetenz in affektive,kognitive und verhaltensbezogene Teilkomponenten ein (Müller & Gelbrich, 2004).Thomas (2003 a) ist der Auffassung, dass es zur Bew„ltigung einer interkulturellenBegegnung nicht ausreicht, fremdkulturelle Einflüsse zu erfassen (Kognition), manmuss diese auch wertsch„tzen (Emotion) und produktiv nutzen können (in Handlungumsetzen/Verhalten/Affekt). Dieser Auffassung stimmen auch weitere Autoren zu (vgl.Brislin, 1989; Gertsen, 1990; Eder, 1996; Gudykunst, Gutley & Hammer, 1996; Bolten,2003). In Abbildung 2 ist die interkulturelle Kompetenz in Anlehnung an Stüdlein(1997) und Bolten (2003) dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Komponenten interkultureller Kompetenz (angelehnt an Bolten 2003 und Stüdlein 1997).
Müller und Gelbrich (2004) erweitern die interkulturelle Kompetenz um die Außenkriterien „Effektivit„t“ und „Angemessenheit“ (s. Abbildung 3). Interkulturelle Kompetenz bezeichnet dementsprechend „die F„higkeit, mit Angehörigen anderer Kulturen effektiv und angemessen zu interagieren“ (Müller & Gelbrich 2004, S. 793). Das externe Kriterium "Effektivit„t" bezeichnet das Erreichen der Interaktionsziele des Akteurs und "Angemessenheit" bezeichnet die Achtung und Anerkennung der Ziele und Gefühle des Gegenübers sowie dessen soziokulturelle Normen.
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Theoretische Grundlagen
Abbildung 3: Interkulturelle Kompetenz im Zeitalter der Globalisierung (Zülch, 2004).
Eine Person kann in einer kulturellenüberschneidungssituation durchaus effektiv oderangemessen oder im Sinne beider Komponenten interkultureller Kompetenz, alsoeffektiv und angemessen handeln. Dies veranschaulicht folgendes Beispiel von Lustig& Koester (1999):
„Ein amerikanischer Gesch„ftsmann leitet ein Büro in Thailand. Einerseiner thail„ndischen Angestellten kommt zu sp„t zur Arbeit. Deramerikanische Gesch„ftsmannüberlegt, wie er mit der Situation umgehensoll und kommt auf folgende vier Strategien: 1. Den thail„ndischenAngestellten privat auf das Problem aufmerksam machen und ihn zurPünktlichkeit auffordern, 2. Das Problem ignorieren, 3. Denthail„ndischen Angestellten bei der n„chsten Versp„tung öffentlich hierzuansprechen, 4. Den thail„ndischen Angestellten privat daraufansprechen, dass es innerhalb der Firma ein Problem mit Versp„tungender Angestellten gebe und den thail„ndischen Mitarbeiter um seinen Ratund seine Unterstützung bei der Bew„ltigung dieses Problems bitten.W„hrend die erste Strategie effektiv ist, da sie wahrscheinlich dasVerhalten des Angestellten ver„ndern wird, ist sie gleichzeitig imkulturellen Kontext Thailands unangemessen, da direkte Kritik hierunüblich (Gesichtsverlust) ist. Die zweite Strategie w„re angemessen aberim Hinblick auf die Verhaltens„nderung des Angestellten nicht effektiv.Die dritte Strategie ist weder angemessen noch effektiv, da sie denAngestellten öffentlich bloß stellt und ihn somit wahrscheinlich zurKündigung zwingt. Die vierte Strategie ist effektiv und angemessen, da sieeine Verhaltens„nderung des Angestellten herbeiführt und gleichzeitig das Gesicht des Angestellten wahrt“ (Lustig & Koester, 1999, S.67f, zitiert nach Germ 2006, S.39f). Wie obiges Beispiel erkenntlich macht, kann eine langfristige erfolgreiche interkulturelle Zusammenarbeit nur dann gew„hrleistet werden, wenn die Interaktionspartner sowohl effektiv als auch kulturell angemessen handeln.
2.5.2 Interkulturelle Kompetenz als Prozessmodell
Interkulturelle Trainings, die konzeptionell an vorangegangenen Strukturmodellenorientiert sind, haben bis heute weiter an Systematik und Ausgewogenheit gewonnen.Es hat sich ein Methodenmix bew„hrt, der die drei genannten Teilkonstrukte derinterkulturellen Kompetenz (kognitiv, affektiv und verhaltensbezogen) gleichermaßenberücksichtigt. Dabei ist jedoch zu betonen, dass die Methoden sich in einemganzheitlichen Zusammenspiel wechselseitig durchdringen, denn auch in derallt„glichen Handlungswirklichkeit besteht ein Interdependenzverh„ltnis zwischenkognitiven, affektiven und verhaltensbezogenen Kompetenzen. Diese Erkenntnis legtnahe, interkulturelle Kompetenz nicht als Synthese, sondern als synergisches Produktdes permanenten Wechselspiels der genannten Teilkompetenzen zu bezeichnen. Somithandelt es sich nicht mehr um einen strukturellen, sondern um einen prozessualenBegriff von interkultureller Kompetenz (Bolten, 2007).
Prozessmodelle interkultureller Kompetenz stimmen mit neueren lerntheoretischenDiskussionen zum Begriff der Handlungskompetenzüberein. Diese Kompetenz wirdseit den neunziger Jahren zunehmend als „multiples Konstrukt“ wahrgenommen undbesteht aus zusammenwirkenden Teilkompetenzen. Diese sind: (a) Personal- oder Selbstkompetenz, (b) Sozialkompetenz, (c) Fachkompetenz und (d) Methodenkompetenz. Dementsprechend ist Handlungskompetenz keine fünfte Kompetenz neben diesen vier Teilkompetenzen sondern versteht sich als das synergetische Resultat ihres Interdependenzverh„ltnisses (Bolten, 2007).
So l„sst sich laut Bolten (2007) schlussfolgern, dass sich die in den Strukturmodellenunter affektiven, kognitiven und verhaltensbezogenen Dimensionen aufgeführtenTeilkompetenzen der interkulturellen Kompetenz ohne weiteres den vierKompetenzbereichen (personal, sozial, fachlich, methodisch) des Prozessmodells zuordnen lassen. So w„ren z.B. „Einfühlungsvermögen“ und „Kommunikationsf„higkeit“ Merkmale der sozialen Kompetenz und „Offenheit“,„Flexibilit„t“ oder „Kulturelles Bewusstsein“ müsste der Selbstkompetenz zugeordnetwerden. Damit ist interkulturelle Kompetenz zwar auch „eine Form von sozialerKompetenz“ (Kumbruck & Derboven, 2005, S.6), aber sie darf keinesfalls daraufreduziert werden, da ihre Besonderheiten auch in den anderen drei Kompetenzbereichen angesiedelt sind. „Interkulturelle Kompetenz ist gleichermaßen personale, soziale, fachliche und strategische Kompetenz“ (Bolten, 2007, S.5).
Sp„testens hier stellt sich jedoch die Frage, ob es sich bei dem Konstrukt interkulturelleKompetenzüberhaupt um einen eigenst„ndigen Kompetenzbereich handelt. Es zeigensich keine grunds„tzlichen Unterschiede zwischen allgemeinen und interkulturellenKompetenzmerkmalen, und es ist naheliegend, „interkulturelle Handlungskompetenz alseine auf interkulturelle Kontexte bezogene Variante einer allgemeinenHandlungskompetenz und nicht als eigenst„ndige fünfte Teilkompetenz zu verstehen“(Bolten, 2007, S. 5). Diese These findet ihre Best„tigung u.a. durch eindeutigeÜbereinstimmungen, die in Vergleichsstudien von Persönlichkeitsmerkmaleninterkulturell kompetenter und allgemein handlungskompetenter Probanden gefundenwurden (Kealey & Ruben 1983, S. 165).
„Prozessmodelle verstehen interkulturelle Kompetenz dementsprechend als erfolgreiches ganzheitliches Zusammenspiel von individuellem, sozialem, fachlichem und strategischem Handeln in interkulturellen Kontexten“ (Bolten, 2007, S.5). Abbildung 4 verdeutlicht die Interkulturelle Kompetenz als anwendungsbezogenen Spezialfall allgemeiner Handlungskompetenz.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Interkulturelle Kompetenz als anwendungsbezogener Spezialfall allgemeiner Handlungskompetenz (Bolten, 2007).
2.5.3 Interkulturelle Kompetenz in vorliegender Arbeit
Auf Basis bisheriger Arbeiten und Modellen zu interkultureller Kompetenz l„sst sich diese laut Hesse und Göbel (2006) wie folgt zusammenfassend beschreiben:
Interkulturelle Kompetenz ist mehrdimensional, bezieht sich auf kulturallgemeine und kulturspezifische Aspekte, impliziert kognitive, affektive und verhaltensbezogene Komponenten, umfasst deklaratives Wissen und kommunikative, interaktive Teilkomponenten, zwischen denen ein komplexes Gefüge besteht und deren Entwicklung nicht immer linear erfolgt.
Die dargestellte Einteilung in kognitive, affektive und verhaltensbezogene Dimensionen heben die verschiedenen Ebenen der interkulturellen Kompetenz hervor und verdeutlichen damit die Komplexit„t der sich abspielenden Prozesse innerhalb interkulturellen Begegnungen.
Um das Konstrukt der interkulturellen Kompetenz greifbar und operationalisierbar zu machen, wird in vorliegender Arbeit eine Mischform von Struktur- und Prozessmodell gew„hlt. Interkulturelle Kompetenz wird mit ihren affektiven, kognitiven und verhaltensbezogenen Teilkompetenzen als synergisches Produkt des prozesshaften und ganzheitlichen Wechselspiels der genannten Teilkompetenzen verstanden.
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- Quote paper
- Cécile Kälber (Author), 2010, Interkulturelle Kompetenz - Evaluation eines Trainings zu verschiedenen Facetten der interkulturellen Kompetenz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/166820
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