Am 23. Juni 2000 unterzeichneten die Europäische Union (EU) und Staaten aus Afrika, der Karibik und dem Pazifik (AKP) ein neues handels- und entwicklungspolitisches Kooperationsabkommen: das Partnerschaftsabkommen von Cotonou. Die nach ihrem Unterzeichnungsort im westafrikanischen Benin benannte Vereinbarung steht für den erklärten politischen Willen, die Wahrung vertragspolitischer Kontinuität mit tiefgreifenden und unumgänglichen Neuerungen zu verbinden. Sie tritt damit an die Stelle der im Februar 2000 ausgelaufenen Lomé-Konvention, die über 25 Jahre die Entwicklungszusammenarbeit zwischen der EU und den Entwicklungsländern des Südens bestimmt hat. In den letzten Jahrzehnten mit immer weiterreichenden Kompetenzen und Befugnissen ausgestattet, hat sich die EU längst von ihrer ursprünglichen Rolle als reine Wirtschaftsgemeinschaft verabschiedet und ist zu einem international handelnden Akteur avanciert, der sich an Prozessen zur Beilegung globaler Probleme beteiligt. Was den afrikanischen Kontinent betrifft, so gerät aber fast ausschließlich die handels- und entwicklungspolitische Zusammenarbeit in die öffentliche Aufmerksamkeit: Bis Ende Juni 2008 wollten die EU auf der einen und die afrikanischen Staaten auf der anderen Seite sog. EPAs unter Dach und Fach bringen. Die Handelskooperation kommt allerdings nicht voran, da WTO-Beschlüsse zur Liberalisierung und entsprechende Maßnahmen seitens der EU zu Verstimmungen auf afrikanischer Seite führen: Kleinbauern befürchten den Zusammenbruch lokaler Produktionszweige, ein Sinken der Ernährungssouveränität sowie eine noch stärkere Abhängigkeit von Europa. Gleichzeitig fordern afrikanische Länder eine Aufhebung der Subventionen für die europäische Landwirtschaft und der Exportsubventionen für Agrarprodukte. Insgesamt betrachtet geben die Vertragsbedingungen der EPAs Anlass zu der Befürchtung, dass sich die Situation der betroffenen Staaten nicht verbessern, sondern erheblich verschlechtern wird.
Die These dieser Arbeit ist folglich, dass aus dem Verständnis der EU als ein »global player« eine Erwartungshaltung erwachsen ist, der die europäische Handels- und Entwicklungspolitik (inklusive handelsrelevanter Bereiche der Agrarpolitik) bislang nur sehr unzureichend gerecht wurde. Zu oft leidet diese an einer Diskrepanz und zu deutlich klafft ein Loch zwischen formulierten Ansprüchen und politischen Realitäten. Exemplarisch wird dies im Rahmen dieser Arbeit am Fallbeispiel Kamerun verdeutlicht.
Inhaltsverzeichnis
Abkurzungsverzeichnis
KAPITEL I: Einfuhrung IN die Thematik
1 Vorbemerkungen
1.1 Thematische Einleitung
1.2 Problemstellung und Erkenntnisinteresse
1.3 Aufbau der Arbeit und Vorgehensweise
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Das Konzept der Nord-Sud-Kooperation und das entwicklungspolitische Rollen- verstandnis der Dependenztheorie
2.2 Logik und Motivation von Liberalisierungsmafinahmen und Freihandel
KAPITEL II: Die EU-Handels- und Entwicklungspolitik und Afrika
3 Historische Entwicklungsstrange und Ausgestaltung der europaischen Afrikastrategie
4 Die neue handels- und entwicklungspolitische Zusammenarbeit: Das Partnerschaftsab- kommen von Cotonou
4.1 Grundsatze und Ziele der reformierten Entwicklungszusammenarbeit
4.2 Die neue Handelsregelung der EU: ^Economic Partnership Agreements«
5 Zusammenfassung: Theoretische Uberlegungen zum reformierten handels- und entwick- lungspolitischen Engagement der EU
KAPITEL III: Ausrichtung und Qualitat europaischer Entwicklungs politik: Das Fallbeispiel Kamerun und CEMAC
6 Die Europaische Union und Kamerun: Die politische Dimension der Handels- und Ent- wicklungspolitik
6.1 Akteursstrukturen einer asymmetrischen Partnerschaft
6.2 Die offensiven Interessen der EU in den EPAs
7 Auswirkungen von Freihandel in Kamerun und Herausforderungen durch EPAs
7.1 Zunehmende Armut durch Liberalisierungsmafinahmen
7.2 Zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen Freihandel
7.3 Kameruns Interims-EPA und seine Implikationen
8 Zusammenfassung: Wechselwirkung und Spannungsverhaltnis zwischen Handel und Entwicklung
KAPITEL IV: Resumee: Die reformierte EU-Entwicklungspolitik zwischen Anspruch und Realitat
9 »Economic Partnership Agreements«: einseitige Partnerschaft oder fester Referenzrah- men fur Kooperation?
10 Zukunftsperspektiven: Theoretische Ansatze fur eine Neuorientierung der Entwick- lungszusammenarbeit
11 Schlussbetrachtungen
Bibliographie
1. Internetquellen
2. Sekundarliteratur
Abkurzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
KAPITEL I: Einfuhrung in die Thematik
1 Vorbemerkungen
1.1 Thematische Einleitung
Am 23. Juni 2000 unterzeichneten die Europaische Union (EU) und Staaten aus Afrika, der Karibik und dem Pazifik (AKP) ein neues handels- und entwicklungspolitisches Koopera- tionsabkommen: das Partnerschaftsabkommen von Cotonou. Die nach ihrem Unterzeich- nungsort im westafrikanischen Benin benannte Vereinbarung steht fur den erklarten politi- schen Willen, die Wahrung vertragspolitischer Kontinuitat mit tiefgreifenden und unum- ganglichen Neuerungen zu verbinden. Sie fufit auf den partnerschaftlichen Prinzipien von Gleicheit, Achtung der Souveranitat, wechselseitigen Interessen und Interdependenz und tritt damit an die Stelle der im Februar 2000 ausgelaufenen Lome-Konvention, die uber 25 Jahre die Entwicklungszusammenarbeit zwischen der EU und den Entwicklungslandern des Sudens bestimmt hat.[1] Die Bedeutung der neuen Konvention grundet mafigeblich in dem Umstand, dass die EU heute die wichtigste Partnerin der Entwicklungslander in der Entwicklungszusammenarbeit, im Handel und bei den direkten Investitionen ist. Gemein- sam stellen sie und ihre Mitgliedsstaaten zu Beginn des dritten Jahrtausends mehr als 50 Prozent der weltweiten staatlichen Entwicklungshilfe zur Verfugung.[2]
Heute ist das Cotonou-Abkommen damit das weltweit umfassendste entwicklungs- politische Abkommen: Es vereint insgesamt 106 Staaten - 79 AKP-Staaten und 27 EU- Mitgliedsstaaten - und definiert die EU-AKP-Beziehungen bis zum Jahr 2020.[3] Es soll eine Reorganisation der Entwicklungszusammenarbeit garantieren und anstatt eines undurch- sichtigen Kompetenzwirrwarrs eine koharente und effiziente Entwicklungspolitik sicher- stellen. In den vorangegangenen Abkommen von Yaounde und Lome gelang es der uber- wiegenden Mehrheit der AKP-Staaten nicht, ihre potenziellen Wettbewerbsvorteile aus gewahrten Praferenzen im Handel mit der EU zu nutzen. Es gab keine Steigerung des An- teils der AKP-Staaten am Handel mit Europa, im Gegenteil, der Anteil ging von bereits geringen acht Prozent in den 1970er Jahren auf rund zwei Prozent Ende der 1990er Jahre zuruck.[4]Als schliefilich im Zuge der Verhandlungen zur Grundung der Welthandelsorgani- sation (WTO) 1995 deutlich wurde, dass die einseitigen Handelspraferenzen, die die EU den AKP-Staaten gewahrte, mit dem neuen Welthandelsregime unvereinbar sein wurden, war eine Reform des Systems uberfallig.[5] Bei den Verhandlungen zum Cotonou-Abkom- men wurde diese Perspektive mitbedacht: Das globale AKP-Abkommen soll durch regio- nale Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (»Economic Partnership Agreements«, EPAs)[6] erganzt werden, die zum einen Handelspraferenzen anbieten, die mit den WTO-Regeln u- bereinstimmen, und die zum anderen einen verlasslichen politisch-okonomischen Refe- renzrahmen fur die Nord-Sud-Kooperation bieten sollen - mit einem starken Schwerpunkt auf der Forderung regionaler Kooperation und Integration im Suden. So verhandelt die EU-Kommission seit 2003 auf der Grundlage eines EU-Ministerrats-Mandates EPAs mit sechs AKP-Regionalgruppen aus.[7] Die zu diesem Zwecke identifizierten Regionen bzw. Regionalorganisationen sind:
- Die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS)
- Die zentralafrikanische Wirtschafts- und Wahrungsgemeinschaft (CEMAC)
- Der gemeinsame Markt fur das ostliche und sudliche Afrika (COMESA)
- Die sudafrikanische Entwicklungsgemeinschaft (SADC)
- Die karibischen Staaten (CARIFORUM)
- Die pazifischen Staaten
Ebenfalls im Jahr 2000 hoben die Vereinten Nationen (UNO) im Rahmen der Milleniumserklarung die Bedeutung der Entwicklungspartnerschaft zwischen Norden und Suden mit besonderem Augenmerk auf Afrika hervor (Millenium Development Goals). Es folgten schliefilich im Jahr 2005 die »Paris Declaration on Aid Effectiveness«[8], der Bericht der von Tony Blair eingesetzten »Commission for Africa« sowie der gemeinsam von Europaischem Rat, Kommission und Parlament vorgelegte »Europaische Konsens uber die Entwicklungspolitik«[9], die alle fur sich dem Prinzip der Partnerschaft groBes Gewicht einraumten. Doch all diese zum Teil sehr ausgefeilten Abkommen, Strategien, Erklarungen und Konzepte reichten nicht aus, um vor allem zwischen der EU und Afrika eine langfristige Partnerschaft zu definieren und zu etablieren.[10] In der Offentlichkeit wird die EU kaum als bedeutender, strategisch handelnder Akteur in den internationalen Beziehungen wahrgenommen. Uberwiegend gilt sie noch immer als »wirtschaftlicher Riese undpolitischer Zwerg«. Dieses Missverhaltnis zwischen Partnerschaftsrhetorik und empirischen Befunden scheint erklarungsbedurftig und deutet auf Schwachen in der Gestaltung und Umsetzung der strategisch angelegten Politik hin.
1.2 Problemstellung und Erkenntnisinteresse
Die EU ist unlangst zu einer 27 Mitglieder umfassenden Staatengemeinschaft angewach- sen. In den letzten Jahrzehnten mit immer weiterreichenden Kompetenzen und Befugnis- sen ausgestattet, hat sie sich langst von ihrer ursprunglichen Rolle als reine Wirtschaftsge- meinschaft verabschiedet und ist zu einem international handelnden Akteur avanciert, der sich an Prozessen zur Beilegung globaler Probleme beteiligt. Dieses Verstandnis einer Europaischen Union als »global player« resultiert in erster Linie aus ihrem unbestrittenen handelspolitischen Gewicht. Doch auch die internationalen Entwicklungen in den letzten Jahren lieBen die europaischen Akteure die Notwendigkeit erkennen, dass Europa ein vers- tarktes gemeinsames auBenpolitisches Engagement leisten kann und muss.
Was den afrikanischen Kontinent betrifft, so gerat fast ausschlieBlich die handels- und entwicklungspolitische Zusammenarbeit in die offentliche Aufmerksamkeit. Nach den fur alle Beteiligten enttauschenden Ergebnissen der Entwicklungskooperationsvertrage von Lome gerat auch das neue Abkommen von Cotonou zunehmend in die Kritik: Bis Ende Juni 2008 wollten die EU auf der einen und die afrikanischen Staaten auf der anderen Seite die EPAs unter Dach und Fach bringen. Die Handelskooperation kommt allerdings nicht voran, da die WTO-Beschlusse zur Liberalisierung und die entsprechenden MaBnahmen seitens der EU zu Verstimmungen auf afrikanischer Seite fuhren: Afrikanische Kleinbauern befurchten den Zusammenbruch lokaler Produktionszweige, ein Sinken der Ernahrungssouveranitat sowie eine noch starkere Abhangigkeit von Europa. Gleichzeitig fordern die afrikanischen Lander eine Aufhebung der Subventionen fur die europaische Landwirtschaft und der Exportsubventionen fur Agrarprodukte. Die Vertragsbedingungen der EPAs geben Anlass zu der Befurchtung, dass sich die Situation der betroffenen Staaten - entgegen den Versprechen der EU - nicht verbessern, sondern erheblich verschlechtern wird.[11] Denn die EU ist Haupthandelspartner fur nahezu alle Entwicklungslander und spielt eine strategisch wichtige Rolle bei der Ausgestaltung der Welthandelsordnung.[12]
Die These dieser Arbeit ist, dass aus dem Verstandnis der EU als ein »global play- er« eine Erwartungshaltung - einerseits von aufien an sie herangetragen, andererseits aber auch aus dem eigenen Anspruchsdenken resultierend - erwachsen ist, der die europaische Handels- und Entwicklungspolitik (inklusive handelsrelevanter Bereiche der Agrarpolitik) bislang nur sehr unzureichend gerecht wurde. Zu oft leidet diese an einer Diskrepanz und zu deutlich klafft ein Loch zwischen formulierten Anspruchen und politischen Realitaten. Diese Arbeit setzt sich zum Ziel, diesem »capability-expection-gap« im Hinblick auf die gemeinsame EU-Handels- und Entwicklungspolitik nachzugehen. Dabei wird argumen- tiert, dass
- die symbolische Bedeutung des Cotonou-Abkommens seine tatsachliche entwick- lungspolitische Bedeutsamkeit ubersteigt,
- eine effiziente europaische Entwicklungszusammenarbeit im Spannungsverhaltnis zu national definierten Interessenlagen der Handelspolitik steht und die EU an vie- len Stellen deutlich starker wirtschaftliche Eigeninteressen als die Entwicklungszie- le der afrikanischen Staaten im Blick hat,
- es sich bei den EPAs um einen historisch zu verstehenden Kompromiss handelt, der in seiner gegenwartigen Form entwicklungspolitisch nur begrenzt funktional ist und sich in Teilen sogar strukturell verheerend auswirkt.
Der Fokus liegt dabei weniger auf eine Analyse der entwicklungspolitischen Aktivi- taten der EU in ihrer Gesamtheit als vielmehr auf ein Herausstellen der Diskrepanz zwi- schen Anspruchen und Realisierungen in Teilbereichen. Im Gegensatz zum Zusammen- hang Handelsoffnung und Wachstum stellt die Frage der direkten Auswirkungen von Han- delsoffnung auf Armut ein vergleichsweise wenig erforschtes Gebiet dar. Entsprechend der stets von Seiten der EU formulierten Ambition, dem afrikanischen Kontinent in allen entwicklungspolitischen Angelegenheiten die hochste Prioritat einzuraumen, ruckt die Arbeit die Entwicklungszusammenarbeit mit dieser Weltregion, im speziellen der »Zentralafrika- nischen Wirtschafts- und Wdhrungsgemeinschaft« (CEMAC) um Kamerun, das als einzi- ges Land der CEMAC ein so genanntes Interimsabkommen zu den EPAs unterzeichnet hat, in den Mittelpunkt.[13] Da vor allem der Agrarbereich in den afrikanischen Staaten unter dem zunehmenden Konkurrenzdruck zu leiden hat, wird am Fallbeispiel von europaischen Geflugelexporten nach Kamerun verdeutlicht, mit welchen Herausforderungen von Frei- handel und Liberalisierungsmafinahmen sich viele Entwicklungslander konfrontiert sehen. Die Auswahl des Fallbeispiels impliziert dabei nicht, dass die zu erwartenden Effekte der EPAs in anderen Regionen geringer waren. Die Auswahl ist vielmehr dadurch begrundet, dass hier schon in der Vergangenheit landliche Entwicklung und Ernahrungssicherung durch Liberalisierungsmafinahmen und Importe aus der EU beeintrachtigt wurden (siehe 7.2.1). Diese fruheren Auswirkungen geben Anlass zu der Sorge, dass sich die Situation fur Kamerun mit dem Abschluss des Interims-EPAs, das ahnliche Zielsetzungen verfolgt, nicht verbessern, sondern weiter verschlechtern konnte.
Wenngleich ein Fallbeispiel fur Generalisierungen wenig geeignet ist, so konnen die Beziehungen der EU zu Kamerun und zur CEMAC doch als stellvertretend fur die Konfrontationen zwischen der EU und den Entwicklungslandern der WTO angesehen wer- den. Nach gegenwartigem Mitgliedsstand stellen die 48 Staaten Schwarzafrikas gegenuber den kleinen Inselstaaten in der Karibik (16) und im Pazifik (15) die uberwiegende Mehr- heit der AKP-Vertragsstaaten. Das sub-saharische Afrika[14] reprasentiert etwa 95 Prozent der Gesamtbevolkerung in den AKP-Landern, es erhalt etwa 80 Prozent der Handels- und Hilfetransfers und 33 von 48 afrikanischen Landern sudlich der Sahara finden sich auf der Liste der am wenigsten entwickelten Lander (LDCs).[15] Dies begrundet im Rahmen dieser Arbeit eine einseitige Fixierung auf den afrikanischen Kontinent.
1.3 Aufbau der Arbeit und Vorgehensweise
Aussagen zur Qualitat der Entwicklungszusammenarbeit konnen eigentlich nur dann ge- troffen werden, wenn moglichst viele Projekte analysiert werden und in der Gesamtschau festgestellt wird, ob sie im Grofien und Ganzen eher als wirkungsvoll oder wirkungslos bezeichnet werden konnen. Der Raum ist hier nicht ausreichend, um dies im Detail nach- zuverfolgen. Daher soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit »Die EU-Handels- und Ent- wicklungspolitik nach dem Abkommen von Cotonou. Herausforderungen durch Freihandel und Wirtschaftspartnerabkommen am Fallbeispiel Kamerun« eine allgemeine Aussage, die Hinweis fur die eigene Analyse sein soll, ausreichend sein. Denn wer sich mit der Frage nach den Wirkungen der europaischen Handels- und Entwicklungspolitik auseinandersetzt, kommt sehr rasch zu dem Schluss, dass eine differenziertere Betrachtungsweise nach Landern und Regionen notwendig ist: Es gibt schon lange nicht mehr die Entwicklungslander mit gewissen gemeinsamen, strukturellen Bedingungsfaktoren der Unterentwicklung; de- mentsprechend gibt es im Grunde auch keine pauschale Antwort darauf, ob Entwicklungs- politik - im Chor mit anderen Politiken - etwas zur Verbesserung der Situation beigetragen hat. Wer sich mit den Details befasst, wird feststellen, dass man mittlerweile mit einer ver- wirrenden Vielfalt von Situationen konfrontiert wird, die trotz aller eingangigen Diskussi- onen Pauschalurteile verbietet.
In dieser Arbeit wird daher exemplarisch aufgezeigt, wie sich in den Bemuhungen der EU durch geplante EPA-Abschlusse, Aufienwirtschaftspolitik und Entwicklungspolitik aus einem Guss zu schaffen, die Komplexitat kunftiger Herausforderungen widerspiegeln. Zu diesem Zweck ist diese Arbeit in vier, aufeinander aufbauende und inhaltlich miteinan- der verbundene Kapitel eingeteilt. In einem ersten Schritt werden theoretische Grundlagen - insbesondere Theorien - andauernder Unterentwicklung als notwendige Bedingung fur Entwicklungspolitik vorgestellt. Der zweite Teil liefert einen kurz gefassten Uberblick uber die EU-Handels- und Entwicklungspolitik nach dem Abkommen von Cotonou, mit beson- derer Konzentration auf den afrikanischen Kontinent. Fragen nach der Priorisierung von Politikfeldern und -zielen spielen ebenso eine Rolle wie Fragen nach dem institutionellen Design. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf die bereits erwahnten EPAs gelegt, mit de- nen die EU versucht, ihre Handels- und Entwicklungspolitik zielgruppenorientiert zu ge- stalten. Um dabei ihre Defizite zu verdeutlichen, werden Kontext und Konzeption der Stra- tegie vorgestellt. Diesem zweiten, eher deskriptiv gepragten Schritt, schliefit sich eine Analyse der Ausrichtung und Qualitat europaischer Entwicklungspolitik an, die den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet. Zu diesem Zweck liegt der Fokus auf der Zentralafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (CEMAC) um Kamerun: Auswirkungen von Freihandel und Li- beralisierungsmafinahmen werden am Beispiel europaischer Geflugelfleischexporte nach Kamerun verdeutlicht, wahrend die Herausforderungen in den EPA-Verhandlungen anhand des kamerunischen Interims-EPAs mit der EU erlautert und analysiert werden. Da in der Beurteilung der EU-Handels- und Entwicklungspolitik handelsrelevante Bereiche wie die Agrarpolitik mit einbezogen werden, sind Koharenzbemuhungen ein ebenfalls zu untersu- chender Aspekt. Die aus der Analyse des strategischen Charakters der EU-Handels- und Entwicklungspolitik gewonnenen Befunde werden schliefilich genutzt, um die verschiede- nen Leitbilder und Konzepte kritisch zu befragen. Dies geschieht im vierten und letzten Kapitel, wo auf Grundlage dieser Erkenntnisse vorsichtige Schlussfolgerungen zum strategischen Charakter gezogen werden. Dabei gilt es auch der Frage nachzugehen, ob Han- delsliberalisierung forderlich oder hinderlich fur Wachstum und Armutsminderung ist. Ein analysierendes Fazit, in dem auch mogliche Strategien und Entwicklungsperspektiven auf- gezeigt und bewertet werden, bildet den Schluss dieser Arbeit. Diese Zukunftsperspektiven konnen sich allerdings lediglich auf mittelfristig zu erwartende Entwicklungen beziehen. Die EU-Handels- und Entwicklungspolitik mitsamt ihren Auswirkungen und Herausforde- rungen lasst sich im Rahmen dieser Arbeit nur skizzieren, in einigen Punkten vielleicht et- was zugespitzter darstellen, sicherlich aber kaum endgultig und umfassend analysieren und bewerten.
Da die aufienwirtschaftlichen Beziehungen der Entwicklungslander und die spezifi- sche Form ihrer Einbindung in die Weltwirtschaft haufig als wichtigste Ursache fur Ent- wicklungshemmnisse und unzureichende Entwicklungserfolge angesehen werden, bildet die entwicklungspolitische Denktheorie der Dependenz das methodische Gerust dieser Arbeit. Die theoretische Zweiteilung in Zentren und Peripherien (siehe 2.1) kann Erklarungs- ansatze fur landerspezifische Analysen der Unterentwicklung bieten.[16] Die unbestreitbaren Vorzuge der Dependenztheorie liegen indes in ihrem Versuch, auch die strukturellen Aus- wirkungen der Weltmarktintegration auf interne Wirtschafts- und Sozialstrukturen zu ent- decken. Daher kann dieses Modell in einer globalisierten - und gleichzeitig regionalisierten - Welt auch fur die Analyse innerstaatlicher oder regionaler Abhangigkeitsstrukturen fruchtbar gemacht werden.[17]
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Das Konzept der Nord-Sud-Kooperation und das entwicklungspolitische Rollenverstandnis der Dependenztheorie
Wenn dem »Suden«, so wie er sich in der Gruppe der 79 AKP-Staaten prasentiert, als Ge- genpol der »Norden« gegenubergestellt wird, so sind damit ganz uberwiegend die westli- chen Industrielander gemeint, die als ehemalige Kolonialmachte und weltwirtschaftlich dominante Staaten fur die Entwicklungslander stets wichtige Partner waren. Unter Norden werden insofern die Industrielander (IL) Europas und Nordamerikas sowie Japan, Australi- en und Neuseeland verstanden - andernorts vermutlich der »Westen«, die Staaten der OECD-Welt. Demgegenuber ist »Suden« ein Sammelbegriff, der sich als Bezeichnung fur die »Dritte Welt«[18] in der Praxis oft durchgesetzt hat. »Entwicklungslander« (EL) ist dabei ein Begriff, der im offiziellen Sprachgebrauch internationaler Organisationen verwendet wird, gegen den aber eingewendet wird, dass er einen Zustand vortauscht - Entwicklung - der de facto in den letzten 50 Jahren nicht fur alle in gleichem Mafie stattgefunden hat.[19]
Die Gegenuberstellung von Norden und Suden steht indes inhaltlich fur das Problem der ungleichmafiigen Entwicklung bei fortschreitender Verflechtung aller Volkswirt- schaften. Mit Galtung kann der Nord-Sud-Konflikt als »struktureller Konflikt« bezeichnet werden, der sich nicht vorrangig in manifester Gewalt zwischen Norden und Suden aufiert.[20] Bei einem strukturellen Konflikt handelt es sich um einen Konflikt, in dem Gewalt den Gesellschaftsstrukturen inharent ist, und die sich im Fall des Nord-Sud-Konflikts in der extremen Ungleichverteilung von Macht, Lebens- und Entwicklungschancen aus- druckt. Der Begriff der »strukturellen Abhangigkeit« ruckt dabei die internen Entwick- lungsunterschiede zwischen einem entwickelten modernen Sektor und einem so genannten traditionell ruckstandigen Sektor in EL in eine neue Perspektive: Trotz ihrer staatlichen Unabhangigkeit sind viele EL weiterhin strukturell abhangig.[21] Das bedeutet, dass Struktu- ren aus den IL (dem Zentrum) in die EL (die Peripherie) ubertragen werden, die deren Ab- hangigkeit verfestigen, Entwicklung verhindern und dort zu struktureller Heterogenitat fuhren, da traditionelle Strukturen und moderne kapitalistische Strukturen aufeinandertref- fen. Dadurch werden in EL gewachsene Strukturen zerstort und es entsteht gesellschaftli- che Deformation und Desintegration.[22]
Wenngleich der kausale Zusammenhang zwischen Abhangigkeit und Unterentwick- lung nach wie vor umstritten ist[23], verspricht sich die EU mittels bi- oder multilateraler Entwicklungszusammenarbeit die potentielle Uberwindung des Nord-Sud-Gegensatzes zu erreichen. Diese Strategie ist allerdings aus Sicht des Sudens in den letzten 50 Jahren we- nig erfolgreich verlaufen: Die Ungleichsstrukturen blieben bestehen, die Kluft zwischen Norden und Suden - etwa in Bezug auf das Pro-Kopf-Einkommen - hat sich sogar vergrofiert.[24] Die Suche nach einer eigenstandigen Position und Rolle der EL in Weltwirt- schaft und Weltpolitik geht jedoch trotz der marktwirtschaftlichen Vereinheitlichung der gesamten Staatenwelt weiter. Diese lasst EL aber wenig Raum fur ihre jeweils eigenen Entwicklungswege, weshalb Entwicklung letztlich ein »Nachholen, ein Kopieren, ein Sich- Hinentwickeln zur Norm der industrialisiert-kapitalistischen Okonomie und nicht ein ei- genstandiges Sich-Entwickeln«25 bedeutet. So gesehen werden EL nicht uber das definiert, was sie auszeichnet, sondern primar uber ihre Defizite im Vergleich zu einem westlichen Standard.
Aus diesem Grund kommt dem Begriff der Dependenz, der Abhangigkeit der EL, eine entscheidende Bedeutung zu: Die entwicklungspolitische Theorie der Dependenz lie- fert Erklarungsansatze, mit denen Entwicklung erreicht bzw. Unterentwicklung uberwun- den werden kann.[25] [26] Dazu postuliert die Dependenztheorie eine einseitige Abhangigkeit der sich entwickelnden Peripherie von kapitalistischen Metropolen, weshalb der Asymmetrie internationaler Wirtschaftsbeziehungen eine entscheidende Bedeutung zukommt. Die Abhangigkeit der EL von den IL entsteht durch eine ungleiche Integration in den Weltmarkt. Diesem Verstandnis entsprechend, ist Entwicklung letztendlich nur als okonomische E- manzipation, als Industrialisierung und Wirtschaftswachstum aus eigener Kraft zu verste- hen, generell verbunden mit einem sehr starken staatsinterventionistischen Ansatz.[27] Unterentwicklung ist im Denken der Dependenztheorie kein vorubergehendes Stadium, das ohne Weiteres uberwunden werden konnte.
Die theoretische Grundthese - in Bezug zur Problemstellung dieser Arbeit - lautet demnach: Es besteht ein weltweites Abhangigkeitsgefuge schwacher von starken Landern. Unterentwicklung bzw. ausbleibende Entwicklungserfolge sind das Resultat der gewaltsa- men Integration von EL in den Weltmarkt. Dabei beherrschen hochstentwickelte IL - oder Gemeinschaften wie die EU - als Zentren das hierarchische System, wahrend EL als Peri- pherien keine Moglichkeit zur wirtschaftspolitischen Eigenstandigkeit haben. Der Hand- lungsspielraum von Peripherien ist reduziert auf eine reflexhafte Exekution von externen, weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Funktionsimperativen. Dabei kommen Wachs- tumsraten in der Peripherie dem dortigen Zentrum zugute, die »Peripherie der Periphe- rie«, in der Regel im landlichen bzw. landwirtschaftlichen Bereich, entwickelt sich nicht (siehe 7.2). Strukturelle Abhangigkeit des Entwicklungslandes im Aufieren fuhrt so zu struktureller Heterogenitat im Inneren.[28] Im Verlauf der Arbeit wird sich die Dependenz, d.h. die Abhangigkeit der EL im Suden vom industrialisierten Norden, am Fallbeispiel Kamerun bestatigen.[29]
2.2 Logik und Motivation von Liberalisierungsmatinahmen und Freihandel
Die Frage, ob Handelsliberalisierung und die Einbindung von EL in den Weltmarkt fur die- se von Vorteil ist oder sie benachteiligt bzw. zu Wachstum und Armutsminderung beitragt, wird hochst kontrovers diskutiert.[30] Seit David Ricardos 1817 veroffentlichten »Principles of Political Economy and Taxations[31] geht die neoklassische Aufienhandelstheorie davon aus, dass internationale Arbeitsteilung und Freihandel mit Wohlfahrtsgewinnen einherge- hen. Ohne die Auswirkungen dieser Theorie im Einzelnen zu bewerten, werden von au- Benwirtschaftlicher Offenheit positive Auswirkungen auf Produktivitat und gesamtwirt- schaftliches Wachstum einer Volkswirtschaft erwartet. Der Freihandel, d.h. die freie Zirku- lation von Waren, Kapital und Arbeitskraften sei am besten geeignet, die andauernde Un- terentwicklung in EL zu uberwinden und zu nachhaltigem Wachstum beizutragen, indem unter anderem vermehrt auslandische Direktinvestitionen angezogen werden und die Pro- duktivitat gesteigert wird. Die Intensivierung des Welthandels ist dabei die Motivation der Globalisierung, weshalb nicht zuletzt GATT- und WTO-Vertrage[32] wesentlich dazu beige- tragen haben, dass Zolle sowie tarifare und nichttarifare Importbeschrankungen reduziert wurden und so der gesetzliche Rahmen fur freien Handel geschaffen werden konnte.[33]
Als Entwicklungshemmnisse werden demgemaB vor allem interne Sozial- und Wirtschaftsstrukturen der Entwicklungslander ausgemacht. Eine moglichst weitgehende Offnung der nationalen Markte sowie eine moglichst weitreichende Integration in den Weltmarkt sollen als universelle Strategien fur alle EL zu nachhaltigem Wachstum fuhren. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch die Entwicklungsstrategien der EU im Rahmen der EPAs auf die Einbindung von EL in das multilateral Handelssystem sowie auf die Steigerung ihrer Wettbewerbsfahigkeit abzielen. Auf diese Weise sollen sich die armeren Lander vom Status des Entwicklungshilfeempfangers stetig hin zu autonomen Teilnehmern an der Weltwirtschaft weiterentwickeln konnen. Fur seine Verfechter ist Freihandel also ein notwendiger Schritt zur wirtschaftlichen Entwicklung und im Verstandnis der EU und ihrer neuen EPA-Handelsregelung (siehe 4.2) sind Liberalisierungsmafinahmen als universelles Modell wirtschafts- und entwicklungspolitischen Erfolgs einsetzbar.[34]
Zumindest in der Theorie tragen Deregulierung, Freihandel und Liberalisierung da- zu bei, den Wohlstand aller Beteiligten zu mehren. Die These, dass durch Freihandel ange- lockte Direktinvestitionen wirtschaftliches Wachstum erzeugen, das uber Beschaftigungs- effekte und Umsatzsteigerungen eine Wohlfahrtssteigerung fur die Bevolkerung bewirkt, gilt mit Abstrichen allerdings nur unter der Bedingung, dass die Handelspartner zu glei- chen Bedingungen am freien Handel teilnehmen konnen. Dass dem nicht so ist und han- delsschaffende Effekte durchaus ungleichmafiig zwischen wie auch innerhalb der beteiligten Volkswirtschaften verteilt sein konnen, wird noch artikuliert werden (siehe Kap. III).
KAPITEL II: Die EU-Handels- und Entwickl ungspolitik und Afrika
3 Historische Entwicklungsstrange und Ausgestaltung der europaischen Afrikastrategie
Die Entwicklungspolitik der EG besteht bereits seit ihrem Anbeginn mit den Romischen Vertragen von 1957.[35] Die Abkommen von Yaounde und Lome gehen historisch auf den Wunsch der fruheren Kolonialmachte Belgien, Frankreich und Niederlande zuruck, die Handelspraferenzen fur ihre ehemaligen Kolonialgebiete auch auf den gemeinsamen Markt der Europaischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zu ubertragen. Aufgrund der fur langere Zeitraume rechtsverbindlich vereinbarten Zusicherung von Entwicklungshilfeleistungen galt gerade die Lome-Politik der EG lange als Kernstuck europaischer Sudpolitik. Sie war vor dem Hintergrund bedruckender Kolonialerfahrungen der Idee einer zwischenstaatli- chen Entwicklungspartnerschaft verpflichtet. Dabei wog sie den Nachteil, als »kolonial begrundete Praferenzpolitik«[36] eine Reihe ebenfalls bedurftiger Lander indirekt zu diskri- minieren, durch eine Reihe theoretisch als vorbildlich geltender Besonderheiten auf: So legten die Abkommen die Ziele und Pflichten der Vertragsparteien verbindlich fest, erlaub- ten dank mehrjahriger Laufzeiten mittelfristige Planungen und garantierten durch parita- tisch besetzte Gremien einen kontinuierlichen Dialog.
Generell unterhielten Europa und Afrika als unmittelbare Nachbarkontinente stets besondere Beziehungen. Afrika wurde von den Europaern kolonialisiert und Ende der 1950er Jahre in die Unabhangigkeit entlassen, das koloniale Erbe wirkt jedoch bis heute nach: Der Kolonialismus im Zusammenhang mit Eroberungskriegen fuhrte zu einer Unter- brechung eigenstandiger Entwicklungswege in den Gesellschaften des Sudens.[37] Tatsache ist, dass sich in vielen Gebieten der Kolonialzeit Produktionsstrukturen in den EL heraus- gebildet haben, die einseitig auf den Export eines oder mehrerer Agrarprodukte ausgerich- tet waren, nicht zuletzt um den Kolonialmachten den gunstigen Bezug von Rohstoffen und anderen Primargutern aus ihren Kolonien zu sichern.[38] Auch gegenwartig sind viele EL wirtschaftlich noch durch die aus der Kolonialzeit uberkommenen Produktions- und Ex- portstrukturen gepragt (siehe 6.). Diese Schadigung ist fur viele Lander auch Jahrzehnte spater kaum aufzuholen.
Norden und Suden dieses Nord-Sud-Konflikts (vgl. 2.1) haben sich also aus koloni- alen Strukturen entwickelt, die bis heute nachhaltigen Einfluss auf die betroffenen Landern haben. Aus der Situation der Entkolonialisierung und im beginnenden Zeitalter des Kalten Krieges entstand nach dem Zweiten Weltkrieg das politische Konzept, Entwicklungshilfe zu leisten. Die Lome-Abkommen haben in der Vergangenheit mit ihrem breiten Ansatz von Handel und Hilfe den afrikanischen Staaten eine im Vergleich zu anderen EL zweifellos privilegierte Stellung eingeraumt, was jedoch keineswegs uneigennutzig erfolgte. Neben entwicklungspolitischen Motiven spielten auf europaischer Seite vor allem geopolitische Interessenlagen eine wichtige Rolle: Zu den ubergeordneten Anliegen der Lome-Politik zahlte vor dem Hintergrund des Ost-West-Konfliktes nicht zuletzt die Absicht, eine grofie Zahl von EL politisch und wirtschaftlich an das kapitalistische System zu binden und die Ausbreitung des Kommunismus zuruckzudrangen.[39] Durch eine solide politische Fundie- rung mit wechselseitigen Verpflichtungen hat das Vertragswerk von Lome insofern eine erhebliche stabilisierende Wirkung auf die Beziehungen zwischen de facto ungleichen Blocken in Nord und Sud gehabt.[40] Es verwundert deshalb nicht, dass die Lome-Vertrage jahrzehntelang kaum hinterfragt, sondern vielmehr als Modellfall einer langfristig angeleg- ten, partnerschaftlichen Kooperation in den Nord-Sud-Beziehungen gepriesen wurden.
Wahrend der Laufzeit von Lome IV (1989-2000) wurde allerdings klar, dass eine unveranderte Weiterfuhrung nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes nicht mehr den Inte- ressen der Beteiligten entsprach. Aus europaischer Perspektive ist deshalb der politische Wert des Vertragswerkes, das vor allem in Zeiten des Kalten Krieges sicherstellte, dass der grofite Teil der Lome-Staaten fest zum Westen stand, deutlich gesunken. Das Lome-Ab- kommen diskriminierte zudem kolonialhistorisch nicht an die EU gebundene Lander und stand in Konkurrenz zu GATT- und WTO-Vereinbarungen.[41] Parallel dazu hat die zuneh- mende wirtschaftliche Globalisierung die Bedeutung afrikanischer Staaten als Rohstofflie- feranten sowie als Handelspartner marginalisiert. Auch die EU selbst hat sich in diesem Prozess durch die vollzogene Sud- und Osterweiterung tiefgreifend verandert. Im vergan- genen Jahrzehnt sind Osteuropa, der Balkan und die Mittelmeerstaaten sehr viel bedeuten- der geworden als die herkommlichen Beziehungen zu den Entwicklungslandern.[42]
Diese politischen Einstellungen, die stark durch okonomische Zwange und politi- sche Interessen gepragt waren, aufierten sich in einer kritischen Beurteilung der Ziele, In- halte und Formen der bisherigen EU-Afrika-Zusammenarbeit und leiteten eine politische Re-Orientierung ein, die in einer grundsatzlichen Neuordnung der Kooperation mundete.
[...]
[1] Es wurde in dieser Zeit drei Mal erneuert (Lome I-IV) aber jeweils nur leicht modifiziert. Vgl. Weiland, Heribert: Von Lome zu Cotonou. Das neue Abkommen zwischen den AKP-Staaten und der Europaischen Union, in: Institut fur Afrika-Kunde (Hrsg.): Afrika-Jahrbuch 1999, Opladen 2000, S. 48-57.
[2] BMZ (Hrsg.): Medienhandbuch Entwicklungspolitik 2008/09, S. 159, <http://www.entwicklungsdienst.de/ fileadmin/users/Publik_ext/2009/Medienhandbuch2008_2009.pdf> am 15.07.2010.
[3] BMZ (Hrsg.): Wirtschaftspartnerabkommen zwischen AKP-Staaten und EU (= BMZ-Materialien 174), Bonn 2007, <http://www.bmz.de/de/publikationen/themen/wirtschaft/Materialie174.pdf> am 15.07.2010, S. 4.
[4] Grimm, Sven/ Buntrup, Michael: EU-Wirtschaftspartnerabkommen (EPAs) mit AKP-Regionen, in: Klingebiel, Stephan (Hrsg.): Afrika-Agenda 2007. Ansatzpunkte fur den deutschen G8-Vorsitz und die EU-Ratsprasidentschaft (= DlE Discussion Paper, Nr. 18), Bonn 2006, S. 91-97, hier S. 91.
[5] Vgl. Kappel, Robert: Die entwicklungspolitischen Fehlleistungen des Kooperationsmodells von Lome, in: Journal fur Entwicklungspolitik, Nr. 3 (1999), S. 257-274.
[6] In der Arbeit wird der englische Begriff bzw. die Abkurzung benutzt, da dieser auch in der Literatur uberwiegend verwendet wird.
[7] Vgl. dazu Europaische Kommission: Trade. Negotiations and Agreements, <http://ec.europa.eu/trade/ wider-agenda/development/economic-partnerships/negotiations-and-agreements/> am 15.07.2010.
[8] Vgl. SANGMEISTER, Hartmut: Entwicklung und international Zusammenarbeit. Eine Einfuhrung (= Weltwirtschaft und international Zusammenarbeit, Bd. 5), Baden-Baden 2009, S. 159.
[9] Der Europaische Konsens vom Dezember 2005 gibt der EZ der EU einen Rahmen mit gemeinsamen Zielen, Werten und Grundsatzen, innerhalb dessen Entwicklungspolitik komplementar umgesetzt werden soll. Vgl. SCHUHKRAFT, Corina: Die EU als afrikapolitischer Akteur. Akteursqualitaten und -kapazitaten, in: Muller- Brandeck-Bocquet, Gisela u.a. (Hrsg.): Die Afrikapolitik der Europaischen Union. Neue Ansatze und Perspektiven, Opladen 2007, S. l27-194, hier S. 111.
[10] Vgl. dazu NUSCHELER, Franz: Die umstrittene Wirksamkeit der Entwicklungshilfe (= INEF-Report 93/2008), Duisburg-Essen 2008.
[11] Begleitet wurde diese Kritik von einer globalen Stop-EPA-Kampagne, der sich bisher 164 Netzwerke und Organisationen aus den AKP-Staaten und aus Europa angeschlossen haben, darunter u.a. die bekannten deut- schen Nichtregierungsorganisationen Germanwatch, Oxfam, FIAN und WEED. Die Kampagne lehnt EPAs in ihrer gegenwartigen Form ab und fordert wirtschaftliche, soziale und okologisch nachhaltige Alternativen und folgt dabei einer Initiative des Africa Trade Network; vgl. <http://www.stopepa.de/> am 15.07.2010.
[12] Vgl. Europaische Kommission (Hrsg.): Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europaische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss. Eine Strategie der Europaischen Union fur Afrika: Wegbereiter fur einen Europa-Afrika-Pakt zur Beschleunigung der Entwicklung Afrikas, Brussel 2005, <http://eur- lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2005:0489:FIN:DE:PDF> am 15.07.2010, S. 2.
[13] Die Wirtschafts- und Wahrungsgemeinschaft Zentralafrikanischer Staaten (CEMAC) besteht seit 1999 und bildet eine Zollunion der folgenden Mitgliedsstaaten: Kamerun, Zentralafrikanische Republik, Tschad, Republik Kongo, Gabun und Aquatorial-Guinea. Sao Tome und Principe sind der CEMAC durch ein Freihandelsabkommen verbunden und nehmen ebenfalls an den EPA-Verhandlungen teil.
[14] Das politische Afrika ist heute deckungsgleich mit dem afrikanischen Kontinent und seinen 53 Staaten. Im entwicklungspolitischen Bereich werden allerdings haufig die 48 Staaten in Sub-Sahara-Afrika als eigene statistische Einheit dargestellt. Die funf nordafrikanischen Mittelmeeranrainer sind in ihrer politischen und wirtschaftlichen Ausrichtung stark auf Europa und die arabische Welt fixiert. Vgl. LENNKH, Georg: Afrika. Die politische Dimension der Entwicklung, in: Freudenschufi-Reichl, Irene/ Bayer, Kurt (Hrsg.): Internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, Wien 2008, S. 217-244, hier S. 217.
[15] Weiland, Heribert: Von Lome zu Cotonou. Das neue Abkommen zwischen den AKP-Staaten und der Europaischen Union, in: Institut fur Afrika-Kunde (Hrsg.): Afrika-Jahrbuch 1999, Opladen 2000, S. 48-57, hier
[16] Vgl. dazu Braun, Gerald: Nord-Sud-Konflikt und Entwicklungspolitik. Eine Einfuhrung (= Studienbucher zur Sozialwissenschaft, Bd. 51), Opladen 1985, S. 103f.
[17] Vgl. Nuscheler, Franz: Lem- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik, 4., vollig neu bearb. Aufl., Bonn 1995, S. 170f.
[18] Der Terminus »Dritte Welt« wurde ursprunglich zur Bezeichnung eines Dritten Weges jenseits des industrialisiert-kapitalistischen Weges der westlichen Industrielander (Erste Welt) und des realsozialistischen Weges des ehemaligen Ostblocks (Zweite Welt) benutzt. Der Begriff wurde in den 1960er Jahren von Frantz Fanon gepragt und war emanzipatorisch in Anlehnung an den Dritten Stand in der Franzosischen Revolution gemeint. Mittlerweile existiert die Zweite Welt als ideologisch-politischer Block nicht mehr und auch die Existenz der Dritten Welt wurde in Frage gestellt. Vgl. dazu FANON, Frantz: Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt am Main 1981; Menzel, Ulrich: Das Ende der Dritten Welt und das Scheitern der grofien Theorie, Frankfurt am Main 1992.
[19] Vgl. FILZMAIER, Peter u.a.: Internationale Politik. Eine Einfuhrung, Wien 2006, S. 122f.
[20] Vgl. insgesamt GALTUNG, Johan: Strukturelle Gewalt. Beitrage zur Friedens- und Konfliktforschung, Reinbek 1975; Galtung, Johan: Eine strukturelle Theorie des Imperialismus, in: Senghaas, Dieter (Hrsg.): Imperialismus und strukturelle Gewalt. Analysen uber abhangige Reproduktion, Frankfurt am Main 1972, S. 29-104.
[21] Vgl. SANGMEISTER, Hartmut: Entwicklung und international Zusammenarbeit, a.a.O., S. 104ff.
[22] Vgl. zum Begriff der strukturellen Heterogenitat BROCK, Lothar: Nord-Sud-Politik, in: Knapp, Manfred/ Krell, Gert (Hrsg.): Einfuhrung in die international Politik, 3., uberarb. und erw. Aufl., Munchen 1996, S. 275-304, hier S. 280.
[23] Vgl. dazu Braun, Gerald: Nord-Sud-Konflikt und Entwicklungspolitik, a.a.O., S. 46ff. und 133ff.
[24] Vgl. Bendiek, Annegret/ Kramer, Heinz: Die EU als globaler Akteur. Unklare Strategien, diffuses Leit- bild, hrsg. von Stiftung fur Wissenschaft und Politik, Berlin 2009, S. 5.
[25] Filzmaier, Peter u.a.: Internationale Politik. Eine Einfuhrung, S. 125.
[26] Zu den wichtigsten Grunden fur Unterentwicklung zahlen: ethnische Vielfalt, niedrige Produktivitat, einseitige Exportstruktur, schlecht ausgebildete Arbeitnehmer, Kriege und Fluchtlingsbewegungen, geografische Isolation, Markt- und Staatsversagen sowie institutionelle Schwachen.
[27] Vgl. Kevenhorster, Paul/ van den Boom, Dirk: Entwicklungspolitik, Wiesbaden 2009, S. 21f.
[28] Vgl. Filzmaier, Peter u.a.: Internationale Politik. Eine Einfuhrung, S. 132.
[29] Die Arbeit widerspricht damit u.a. der Behauptung von Arthur Lewis, der postulierte, dass das Schicksal armer Lander in ihrer Entwicklung »nicht von der Existenz der entwickelten Lander abhangt; ihrpotenzielles Wachstum ware auch dann unbeeinflusst, wenn alle entwickelten Lander im Meer versinken wurden.« Vgl. Lewis, Arthur W.: The Theory of Economic Growth, London 1956.
[30] Vgl. dazu u.a. NUSCHELER, Franz: Lem- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik, a.a.O., S. 268-287.
[31] Ricardo, David: Uber die Grundsatze der politischen Okonomie und der Besteuerung, ubers. von Gerhard Bondi, hrsg. von Heinz Kurz, Marburg 1994 (ursprunglich 1821).
[32] Die Grundung der Welthandelsorganisation im Jahre 1995 baute auf dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) auf und ist der bislang letzte multilaterale Schritt zur Schaffung eines Umfeldes zur Forderung des Handels mit Waren und Dienstleistungen. Die WTO ist ausschlieBlich als Handelsorganisation konzipiert, die sich der Liberalisierung verschrieben hat.
[33] Vgl. Ghafele, Roya: Globalisierung, frankophones Afrika und die WTO. Eine historische Diskursanalyse (= Dissertationen der Universitat Wien, Bd. 82), Wien 2002, S. 39.
[34] Vgl. in diesem Zusammenhang Kublbock, Karin: Kontroversen in der Entwicklungsdiskussion, in: Freu- denschufi-Reichl, Irene/ Bayer, Kurt (Hrsg.): Internationale Entwicklungspolitik und Entwicklungszusam- menarbeit, Wien 2008, S. 23-40, hier S. 30f.
[35] Entwicklungspolitik war bis zu diesem Zeitpunkt Teil der Aufienwirtschafts- und Aufienhandelspolitik bzw. der Assoziierungs- und Kooperationspolitik. Vgl. Knodt, Michele/ Schnurre-WEifi, Xandra: Entwicklungspolitik, in: Heinelt, Hubert/ Knodt, Michele (Hrsg.): Politikfelder im EU-Mehrebenensystem. Instru- mente und Strategien europaischen Regierens, Baden-Baden 2008, S. 81-96, hier S. 81.
[36] Vgl. Brune, Stefan: Europas Aufienbeziehungen und die AKP-Staaten. Das Abkommen von Cotonou. Eine erste Zwischenbilanz, in: Nord-Sud Aktuell, 2. Quartal (2002), S. 301-314, hier S. 303f.
[37] Filzmaier, Peter u.a.: Internationale Politik. Eine Einfuhrung, S. 135.
[38] Vgl. Braun, Gerald: Nord-Sud-Konflikt und Entwicklungspolitik, a.a.O., S. 120.
[39] Gleichwohl hatten die Lander der Dritten Welt sich 1961 in der »Bewegung der Blockfreien« und 1967 in der »Gruppe der 77« zusammengeschlossen, nicht zuletzt um eigene Interessen und Positionen vertreten zu konnen und um nicht zwischen den beiden Ost- und West-Blocken zerrieben zu werden.
[40] Vgl. Weiland, Heribert: Von Lome zu Cotonou. Das neue Abkommen zwischen den AKP-Staaten und der Europaischen Union, a.a.O., S. 49f.
[41] Vgl. Brune, Stefan: Europas Aufienbeziehungen und die AKP-Staaten. Das Abkommen von Cotonou. Eine erste Zwischenbilanz, a.a.O., S. 303f.
[42] Ein Indiz dafur sieht Weiland in dem seit Jahren quantitativ schrumpfenden Mitteltransfer der EU nach Afrika. Die afrikanischen Staaten, die zwei Drittel aller AKP-Staaten reprasentieren, erhielten Mitte der 1990er Jahre nur noch 45 Prozent aller Hilfsgelder, wahrend sie 1980 noch 60 Prozent erhalten hatten. Vgl. Weiland, Heribert: Von Lome zu Cotonou. Das neue Abkommen zwischen den AKP-Staaten und der Europaischen Union, a.a.O., S. 49.
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