Das Milieu der Wiener Jahrhundertwende, mit seinen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüchen, seinem Wechsel von den statisch traditionellen Rollenverhältnissen einer Monarchie zu denen einer modernen Republik sowie seinen zahlreichen Umbrüchen und Konflikten als Folge der sich allmählich verändernden Gesellschaftsordnung, verursacht eine allgemeine Verunsicherung „des modernen Subjekts“ . Nicht nur durch politische und soziale Konflikte fühlt sich das moderne Ich aus seinen bisherigen Schranken herausgerissen, auch eine „geistesgeschichtliche Umbruchphase“ bringt Neuerungen in Medizin, Literatur und Kunst mit sich, welche die Menschen in dieser krisenhaften Atmosphäre beeinflussen. Kaum ein Dichter verkörpert diese nervöse und hektische Zeit voller „Aufbrüche und Durchbrüche“ besser als Arthur Schnitzler, dem es als Zeitgenossen all jener Änderungen im sozialen, politischen, kulturellen und technischen Bereich gelingt, diese Grundstimmung in seinen Werken einzufangen und literarisch zu verdichten. Der Schwerpunkt seiner Werke liegt in dem Zusammenleben zwischen Mann und Frau unter den Bedingungen sich verändernder traditioneller Geschlechterverhältnisse. Unumgänglich ist deshalb seine Beschäftigung mit dem Epochenphänomen schlechthin: der Nervosität, deren Aufkommen, wie in dieser Arbeit zu beweisen sein wird, eng verknüpft ist mit den Emanzipationsbestrebungen beider Geschlechter aus ihren festgefügten Rollen innerhalb der Gesellschaft. Nicht erst mit Breuers und Freuds „Studien über Hysterie“ rückt ein weiteres Spezifikum der Zeit in den Fokus der Öffentlichkeit: die Hysterie. Sie steht für all das, was das Fin de Siècle verkörpert: Lug und Trug, Schein und Fassadenhaftigkeit, Schwäche und Krankheit, Lethargie und gescheiterte Existenzen. Als Autor seiner Zeit nimmt Schnitzler den Epochendiskurs auf und nutzt ihn, um in seinen Werken eine Gesamtdarstellung der Gesellschaft auszuarbeiten, indem er ihr einen zeitgemäßen Rahmen und Hintergrund gibt. Da Schnitzlers Vielseitigkeit allein schon durch die Tatsache, dass er Arzt und Dichter zugleich war und in diesen beiden Disziplinen bis zu seinem Tod aktiv blieb, unumstritten sein dürfte, muss auch in der vorliegenden Arbeit eine klare Eingrenzung und Herangehensweise sowohl in Bezug auf die ausgewählte Thematik als auch auf die zu bearbeitenden Werke festgelegt werden.
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- Jacqueline Turpel (Autor), 2010, Hysterie bei Arthur Schnitzler, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/165805
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