Seit dem Jahr 1968 verfügt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland über ein Notstandsrecht, auch bezeichnet als die Notstandsverfassung. Die Artikel 115a – 115l GG regeln seit dem den Verteidigungsfall.
Durch das Ende des Ost-West-Konfliktes 1990 hat sich die sicherheitspolitische Gefährdungslage verschoben. Die Gefahr klassischer, kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen zwei oder mehreren Staaten in Mitteleuropa ist unwahrscheinlicher geworden. Die Neubewertung von Risiken und Gefahren, die in bedrohlichen Dimensionen vom internationalen Terrorismus ausgehen wird, lässt feststellen, dass die strategische Ausgangssituation Deutschlands sich grundlegend geändert hat, da groß angelegte, infrastrukturzerstörende Bodenkampfhandlungen unwahrscheinlich geworden sind. Doch die Bedrohung durch Terrorakte und die zunehmende Entwicklung hin zu asymmetrischen Kriegen, sowie die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen an Staaten mit instabilen politischen Verhältnissen oder extremistischen Ausrichtungen, schaffen für die Bundesrepublik Deutschland eine völlig neue Bedrohungslage. Vor allem die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen an Staaten im Nahen und Mittleren Osten, welche in wenigen Jahren über Trägersysteme verfügen die bis nach Mitteleuropa reichen können, beschreiben die neuen sicherheitspolitischen Risiken.
Inwieweit das momentan, scheinbar „verstaubte“ Instrumentarium des Grundgesetzes zum Verteidigungsfall, auf die Folgen aus den neuen Bedrohungen des 21. Jahrhunderts, durch Fundamentalismus und Terrorismus, angewendet werden kann, werde ich in dieser Arbeit versuchen darzustellen. Zu Beginn werde ich die historische Entwicklung der Notstandsinstrumentarien bis zur heute gültigen Form aufzeigen. Anschließend möchte ich ausführlich im Hauptteil dieser Arbeit, die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen des Grundgesetzes zum Verteidigungsfall aufzeigen. Insbesondere möchte ich auch hier schon auf akute Regelungslücken und Ergänzungs- bzw. Verbesserungsmöglichkeiten aufmerksam machen.
Im Anschluss werde ich ein Beispielszenario skizzieren, durch welches es in der Bundesrepublik, auch in Zeiten von asymmetrischen Kriegsbedrohungen, zur Anwendung der Notstandsregelungen in der heutigen Zeit kommen kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Historische Entwicklung bis zur heutigen Notstandsverfassung
2.1 Historische Grundlagen bis zur Gründung der BRD 1949
2.2 Entstehung der heutigen Form des Verteidigungsfalls in der BRD
3. Die Regelungen des Grundgesetzes zum Verteidigungsfall
3.1 Definition des Verteidigungsfalls und die Einbettung in die Notstandsverfassung
3.2 Die Feststellung des Verteidigungsfalls
3.3 Die Änderungen der Gesetzgebungskompetenzen und des Gesetzgebungsverfahrens
3.3.1 Änderung der Befehls- und Kommandogewalt nach Art. 115b GG
3.3.2 Erweiterte Gesetzgebungskompetenzen des Bundes nach Art 115c GG
3.3.3 Abgekürztes Gesetzgebungsverfahren nach Art. 115d GG
3.4 Weitere Rechtsfolgen des Verteidigungsfalls anhand des Grundgesetzes
3.4.1 Außerordentliche Befugnisse der Bundesregierung nach Art. 115f GG
3.4.2 Stellung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 115g GG
3.4.3 Wahlperioden von Verfassungsorganen nach Art. 115h GG
3.4.4 Befugnisse der Landesregierungen nach Art. 115i GG
3.5 Beendigung des Verteidigungsfalls und Geltungsdauer der außerordentlichen Vorschriften
4. Die Beschreibung eines möglichen Eintrittszenarios des Verteidigungsfalls in heutigen Zeiten
4.1 Tatsächliche Folgen des Beispielsszenarios auf Bundesebene
4.2 Auswirkungen auf die Landesebene und auf die Kommunen
4.3 Gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf das öffentliche Leben
5. Kritik an den bestehenden Regelungen zum Verteidigungsfall und Ausblick für zeitgemäße Anpassungen
6. Thesen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einführung
Seit dem Jahr 1968 verfügt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland über ein Notstandsrecht, auch bezeichnet als die Notstandsverfassung. Die Artikel 115a - 115l GG regeln seit dem den Verteidigungsfall.
In den Zeiten des Ost-West-Konfliktes und der ständigen atomaren Bedrohung, entstanden die Regelungen zur verfassungsmäßigen Ordnung in Kriegszeiten. Denn schließlich muss sich eine Verfassung nicht nur in normalen Zeiten bewähren, sie muss vielmehr auch in Krisen- und Kriegszeiten den Bestand des Staates und der Rechtsordnung, unter demokratischen Gesichtspunkten, garantieren. Eine Verfassung sollte daher für vorhersehbare Krisenfälle, welche sich nicht mit den normalen rechtlichen Regelungen bewerkstelligen lassen, ein spezielles Instrumentarium bereithalten, welches die Staatsorgane befähigt die Lage zu bewältigen.[1] Nur durch diese Möglichkeit kann ein Abgleiten eines Ausnahmezustandes in die Rechtlosigkeit verhindert werden. Im Zuge dessen kann es vorübergehend zu erheblichen Einschränkungen bzw. Veränderungen des Rechtssystems kommen. Von den Suspendierungen bestimmter Rechte der Bürger bis hin zu einschneidenden bundesstaatlichen Kompetenzverschiebungen, gilt es staatliche Entscheidungsprozesse, immer unter den demokratischen und rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, zu vereinfachen und zu beschleunigen.[2]
Auch die Rechtssysteme vieler anderer demokratischer Staaten kennen Notstandsregelungen, welche sich aber stark voneinander unterscheiden. Teilweise ist das Notstandsrecht in den Verfassungen festgeschrieben oder aber auch in einfachen Gesetzen geregelt.[3]
Schweden, Griechenland und Portugal sind einige der wenigen Länder, in welchen der Umfang der Abweichung vom „normalen“ Recht zum Großteil in der Verfassung geregelt ist. Wogegen z.B. Spanien und die Niederlande zwar über detaillierte Notstandsregelungen verfügen, diese aber überwiegend in einfachen Gesetzen festgehalten sind.[4]
In Frankreich, als ein Beispiel für ein zentralistisches, parlamentarisch - präsidentielles System, werden die Befugnisse zum Großteil auf den Präsidenten übertragen. Anders als in rein parlamentarischen Regierungssystemen, hier wird die Rolle des Parlamentes stärker hervorgehoben.[5]
Einen weiteren Ausnahmefall stellt Großbritannien dar, welches keine geschriebene Verfassung besitzt. Dort verfügt die Regierung in Kriegszeiten, gewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahmebefugnisse. Außerdem können ihr, wie z.B. während der beiden Weltkriege, per Gesetz noch weitreichende Vollmachten zur Kriegsführung erteilt werden.[6]
Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass viele Regierungen demokratischer Staaten umfangreichere und weitgehende Vollmachten besitzen, als das Grundgesetz in der Bundesrepublik für die Exekutive vorsieht.
Durch das Ende des Ost-West-Konfliktes 1990 hat sich die sicherheitspolitische Gefährdungslage verschoben. Die Gefahr klassischer, kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen zwei oder mehreren Staaten in Mitteleuropa ist unwahrscheinlicher geworden.[7] Die Neubewertung von Risiken und Gefahren, die in bedrohlichen Dimensionen vom internationalen Terrorismus ausgehen wird, lässt feststellen, dass die strategische Ausgangssituation Deutschlands sich grundlegend geändert hat, da groß angelegte, infrastrukturzerstörende Bodenkampfhandlungen unwahrscheinlich geworden sind.[8] Doch die Bedrohung durch Terrorakte und die zunehmende Entwicklung hin zu asymmetrischen Kriegen, sowie die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen an Staaten mit instabilen politischen Verhältnissen oder extremistischen Ausrichtungen, schaffen für die Bundesrepublik Deutschland eine völlig neue Bedrohungslage. Vor allem die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen an Staaten im Nahen und Mittleren Osten, welche in wenigen Jahren über Trägersysteme verfügen die bis nach Mitteleuropa reichen können, beschreiben die neuen sicherheitspolitischen Risiken.[9]
Inwieweit das momentan, scheinbar „verstaubte“ Instrumentarium des Grundgesetzes zum Verteidigungsfall, auf die Folgen aus den neuen Bedrohungen des 21. Jahrhunderts, durch Fundamentalismus und Terrorismus, angewendet werden kann, werde ich in dieser Arbeit versuchen darzustellen. Zu Beginn werde ich die historische Entwicklung der Notstandsinstrumentarien bis zur heute gültigen Form aufzeigen. Anschließend möchte ich ausführlich im Hauptteil dieser Arbeit, die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen des Grundgesetzes zum Verteidigungsfall aufzeigen. Insbesondere möchte ich auch hier schon auf akute Regelungslücken und Ergänzungs- bzw.
Verbesserungsmöglichkeiten aufmerksam machen. Als Hauptkommentar zum Grundgesetz nutze ich hier den von Hopfauf aus dem Jahr 2008, ziehe allerdings stets Parallelen bzw. stelle Unterschiede mit den Kommentaren von Herzog (2000), Hesselberger (2003), Jarass (2007) und Sachs (2007) dar.
Im Anschluss werde ich ein Beispielszenario skizzieren, durch welches es in der Bundesrepublik, auch in Zeiten von asymmetrischen Kriegsbedrohungen, zur Anwendung der Notstandsregelungen in der heutigen Zeit kommen kann. Anschließend werde ich anhand dieses fiktiven Ausblickes, konkrete Beispiele liefern, wie die Rechtssetzung mit der ihr, durch den Verteidigungsfall unter Einbeziehung der Rahmenbedingungen zum Katastrophenschutz, gegebenen Handlungsmöglichkeit, tatsächlich umgehen kann.
Abschließend treffe ich eine zusammenfassende Darstellung meiner Erkenntnisse, neben einer fundierten kritischen Zustandsbetrachtung unter modernen Gesichtspunkten.
2. historische Entwicklung bis zur heutigen Notstandsverfassung
2.1 historische Grundlagen bis zur Gründung der BRD 1949
Schon in den früheren konstitutionellen Verfassungen der Zeit vor Bismarck, war eine mehr oder weniger große Vorsorge für Not- oder Kriegszeiten vorgesehen. Z.B. der so genannte „Große Belagerungszustand“ war als Ausnahmemöglichkeit für den Inhaber der höchsten staatlichen Macht vorgesehen, welchen er bei inneren Unruhen oder äußeren Bedrohungen verhängen konnte. Daraus folgend überging alle vollziehende Gewalt aus dem zivilen in die militärischen Behörden über. Auch konnten wesentliche Grundrechte[10] vorübergehend außer Kraft gesetzt werden. Diese Möglichkeit der Ausnahmegewalt stand allerdings nicht bei Naturkatastrophen oder Wirtschaftskrisen zur Verfügung. Außerdem war bei der Verhängung des Ausnahmezustandes eine Beteiligung des Parlamentes regelmäßig nicht vorgesehen.[11]
Durch die Paulskirchenverfassung von 1849 wurden die ersten ernsthaften demokratischen Strukturen in Deutschland eingeführt. Sie hatte allerdings nur einen beschränkten Ausnahmezustand vorgesehen. Im Kriegsfall konnten verschiedene Grundrechtsbestimmungen über Verhaftung, Hausdurchsuchung und das Versammlungsrecht durch Verfügung der Reichsregierung, also erstmals nicht durch den Kaiser, außer Kraft gesetzt werden.[12]
Erstmals unter der Bismarckschen Reichsverfassung von 1871, hatten der Bundesrat und der Reichstag bei der Verhängung des Ausnahmezustandes, das Recht auf Information und Kontrolle gegenüber dem Reichskanzler.[13] Tatsächlich wurde der Ausnahmezustand 1870/71 zur Zeit des deutsch-französischen Krieges und während des ersten Weltkrieges von 1914-1918 verhängt.
Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 ermächtigte hingegen den Reichspräsident bei Störungen der Sicherheit und Ordnung zu sehr weitreichenden Notstandsmaßnahmen. Zum Beispiel hatte das Staatsoberhaupt die Möglichkeit der Reichsexekution gegen einzelne Bundesländer anzuordnen, wenn diese ihre obliegenden Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllten.[14] Der Reichspräsident konnte einzelne Grundrechte ganz oder teilweise außer Kraft setzen und durch die so genannten Notverordnungen am Parlament vorbei regieren. Man sprach daher von der „Diktaturgewalt des Reichspräsidenten“[15], da es kaum zu verfassungsrechtlichen Überprüfungen der Notverordnung durch die Justiz kam und z.B. auch der Reichstag beliebig durch den Reichspräsidenten aufgelöst werden konnte. Die permanente Funktionsstörung der Legislativen durch Aufstände und Wirtschaftskrisen hatte einen ständig wechselten Reichstag zur Folge, so dass der Reichspräsident die einzig konstante Machtinstitution im Staatsgefüge darstellte.[16] Allerdings ermächtigte die Weimarer Reichsverfassung das Staatsoberhaupt zu stark und zu einfach zum Regieren per Notverordnungsrecht am Parlament vorbei.[17] Die Notstandsbefugnisse der Reichsverfassung boten dem Reichspräsidenten die Möglichkeit auf „scheinlegalen Weg ein Parlament für dauernd zu entmachten und eine Diktatur zu errichten“[18]. Vor allem Hindenburg nutzte diese Option, ermöglichte letztendlich dadurch auch die Beteiligung der Nationalsozialisten an der Regierung und schließlich der damit verbundenen Einführung der Ermächtigungsgesetze als Vorstufe der Gleichschaltung aller staatlichen Institutionen.
2.2 Entstehung der heutigen Form des Verteidigungsfalls in der BRD
Die 1949 beschlossene Fassung des Grundgesetzes der BRD enthielt keine Notstandsregelungen. Der Herrenchiemseer Verfassungsentwurf und auch der Entwurf des Parlamentarischen Rats enthielten Notstandsregelungen, welche aber wahrscheinlich durch die Vorbehalte der Alliierten und der allgemeinen Entmilitarisierung letztendlich gestrichen wurden.[19] Somit hatte vorerst die BRD keine Möglichkeit, auf politische Katastrophen wie einen bewaffneten Angriff von außen oder Aufstände im Inneren, zu reagieren.[20]
1955 trat die BRD der NATO bei und erhielt durch die Aufhebung des Besatzungsstatus ihre weitestgehende Souveränität zurück. Mit den Verfassungsänderungen 1954 und 1956 wurde die neugegründete Bundeswehr als bewaffnetes Instrument zur militärischen Verteidigung des Staates in die Verfassung aufgenommen. Die Streitkräfte unterstanden nicht dem Staatsoberhaupt, sondern dem Verteidigungsminister und damit einem durch das Parlament eingesetzten verantwortlichen Mitglied der Regierung.[21] Die Bundeswehr sollte ein sog. „Parlamentsheer“ darstellen, welches durch ein ausgeprägtes System parlamentarischer Kontrolle, durch den Verteidigungsausschuss oder etwa den Wehrbeauftragten, sich besonders in die demokratisch rechtstaatliche Verfassung einfügen sollte.[22] Die sog. „Wehrverfassung“ mit dem Art. 59a GG[23] gilt als vorsichtiger Vorläufer für den Art. 115a ff GG und den heutigen Regelungen des Verteidigungsfalls, allerdings ohne umfassenden Charakter. Die damalige Wehrverfassung traf keine vollständigen Regelungen für verfassungsrechtliche Fragen in Zeiten des Verteidigungsfalls. Es blieb offen inwieweit die zivilen Organisationsstrukturen und die staatliche Rechtsordnung an die Besonderheiten des Kriegsfalls angepasst werden.[24] Um in diesen Fragen Gewissheit zu erlangen und um die Notstandsrechte der Alliierten aus Besatzungszeiten zu ersetzen (Art. 5 Abs. 2 Deutschlandvertrag), sollte durch die Aufnahme von umfassenden Notstandsregelungen in das Grundgesetz, rechtliche Sicherheit für den Verteidigungsfall geschaffen werden.
Der Werdegang bis hin zur heutigen Form der sog. Notstandsverfassung war damals sehr umstritten. Eine Vielzahl unterschiedlicher Entwürfe wurde von 1958 bis 1967 im Bundestag diskutiert, doch erst unter der ersten Großen Koalition (1966-1969) zwischen CDU und SPD kam es 1968 zur endgültigen Verabschiedung der Notstandsregelungen in der heutigen Form.[25] Der erste Entwurf von 1960 („Schröder-Entwurf“) differenzierte nicht zwischen einem inneren und äußeren Notstand und gewährte recht weitreichende Eingriffe in die einzelnen Grundrechte, so dass er auf Ablehnung in allen Fraktionen stieß.
Der „Höcherl-Entwurf“ von 1963 unterschied erstmals zwischen den verschiedenen Notstandslagen (innerer, äußerer Notstand und Katastrophenlage) und sah für diese auch unterschiedliche Feststellungskompetenzen vor. Außerdem sollte ein Notstandsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat eingerichtet werden. Vor allem durch die SPD und die Gewerkschaften wurde an dem Entwurf weiterhin scharfe Kritik geäußert.[26] Auch der „Benda-Entwurf“ von 1965 durch den Rechtsausschuss des Bundestages errang durch den Widerspruch der SPD nicht die 2/3 Mehrheit. Erstmals war in diesem Entwurf kein Notverordnungsrecht mehr für die Bundesregierung vorgesehen, auch wurden die Grundrechtseingriffe entschärft. Außerdem wurde erstmals der Gemeinsame Ausschuss in den Rang eines Verfassungsorgans gehoben und bekam die Kompetenz eines Notparlamentes zugesprochen.[27] Schließlich erst der „Lücke-Entwurf“ einer interfraktionellen Zwölferkommission im Jahre 1967, welcher in den wesentlichsten Punkten auf den „Benda-Entwurf“ aufgebaut war, fand endgültig im Parlament die 2/3 Mehrheit.[28] Mit dem Entwurf wurde die begonnene „Parlamentarisierung des Verteidigungsfalls“[29] zu Ende geführt. Vor allem ließ die NATO-Übung „Fallex 66“[30] die Bundesregierung und viele Abgeordnete feststellen, dass ein Notparlament stets arbeitsfähig bleiben muss und deshalb für Krisenfälle dieser Art unabdingbar war.
Bevor es zur besagten Schlussabstimmung im Bundestag kam, wurde in fünf Informationsveranstaltungen (sog. „Hearings“) 42 Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens angehört. Daraufhin wurden in den parlamentarischen Beratungen noch Detailfragen ergänzt, allerdings die grundsätzliche Konzeption nicht mehr verändert. Während dieser Zeit kam es auch zu einer großen Debatte über die Notstandsgesetze innerhalb der Bevölkerung, welche einen gesellschaftlichen Umbruch, als Kristallisationspunkt der 68-Generation, darstellte. Ebenfalls gründete sich, aus dem Widerstand gegen die Notstandsgesetze, die Außerparlamentarische Protestbewegung (APO). Aus den Kreisen der Hochschulen und Gewerkschaften, bis hin zu juristischen Ebenen wurde vor den Gefahren für den Rechtsstaat und der Demokratie gewarnt.[31] Die parlamentarische und gesellschaftliche Debatte hin zu den bis heute bestehenden Regelungen der Notstandsgesetze, markierte einen wichtigen Entwicklungspunkt in der politischen Kultur der BRD.
3. Die Regelungen des Grundgesetzes zum Verteidigungsfall
3.1 Definition des Verteidigungsfalls und die Einbettung in die Notstandsverfassung
Die Staatsrechtswissenschaft sieht in einem Ausnahmezustand die „erhebliche Störung des staatlichen Lebens, die üblicher Weise nicht mit den in der Verfassung vorgesehenen normalen Mitteln behoben werden kann, sondern spezieller rechtlicher Regelungen bedarf“[32]
Generell trifft die sog. Notstandsverfassung die Unterscheidung in drei verschiedene Ausnahmesituationen (innerer Notstand, äußerer Notstand und Funktionsstörungen des Verfassungslebens).
Mit innerer Notstand ist einerseits der Katastrophenzustand nach Naturkatastrophen oder schweren Unfällen (Kernkraftwerksunfall) gemeint und andererseits der sog. Verfassungsnotstand, welcher durch einen gewaltsamen Aufstand gegen die verfassungsmäßige Ordnung hervorgerufen werden kann.[33] Eine Funktionsstörung im Verfassungsleben liegt dann vor, wenn die Staatsorgane, aufgrund ihres Selbstversagens nicht in der Lage sind, ihre verfassungsmäßigen Pflichten und Aufgaben zu erfüllen.[34] Für diesen unwahrscheinlicheren Fall hält das Grundgesetz verschiedene Lösungsmöglichkeiten, wie Art. 81 GG (Gesetzgebungsnotstand) und Art. 37 GG (Bundeszwang), bereit.
Beim äußeren Notstand wiederum unterscheidet das Grundgesetz in vier verschiedenen Bedrohungsstufen, wobei die wichtigste, umfangreichste und letzte Stufe, der Verteidigungsfall darstellt. Die drei anderen Arten sind als eine Art Vorstufe zu diesem gedacht, damit die BRD flexibler auf außenpolitische Spannungslagen reagieren kann.[35] Im Art. 80a Abs. 1 GG stellen sich die ersten beiden Stufen, der Spannungsfall (Alt. 1) und der Zustimmungsfall (Alt. 2) als dessen Vorstufe dar. Der Spannungsfall kennzeichnet sich durch „eine schwere außenpolitische Konfliktsituation, die eine umgehende erhöhte Verteidigungsbereitschaft gebietet“[36]. Durch den Eintrittsbeschluss werden mehrere Mechanismen freigegeben, unter anderem kann die Bundeswehr hier schon begrenzt im Inneren eingesetzt werden.
Eine weitere Form des äußeren Notstands stellt der Bündnisfall nach Art. 80a Abs. 3 S.1 GG dar. Dieser wird bei einem Angriff auf einen Bündnispartner, durch das Bündnisorgan (z.B. NATO-Rat) unter der Zustimmung der Bundesregierung festgestellt.[37]
Schließlich regelt sich der Verteidigungsfall, als vierte Stufe des äußeren Notstandes, in Abschnitt Xa des Grundgesetzes unter den Artikeln 115 a bis 115l und stellt den wichtigsten und umfangreichsten Bestandteil der Notstandsverfassung dar. Seine Feststellung bewirkt den endgültigen Übergang zur Notstandsverfassung und passt das Staatsorganisationsrecht an die Anforderungen eines bewaffneten Angriffs von außen an.[38] Jedoch bleibt das Ziel, nur so kurz wie möglich nach der Notstandsverfassung handeln zu müssen, aber so schnell wie es die Situation hergibt, wieder zum „normal - verfassungsmäßigen“ Zustand zurückzukehren.
Nach der Legaldefinition des Art. 115a Abs. 1 GG liegt der Verteidigungsfall vor, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht.
Der Angriff muss als ein bewaffneter Angriff von außen durchgeführt werden, wobei es uninteressant ist ob feindliche Streitkräfte die Landesgrenzen tatsächlich überschreiten oder das Bundesgebiet z.B. mit Raketen beschossen wird.[39] Laut dem Kommentar von Dr. Michael Sachs zum Grundgesetz ist es sogar nicht einmal erforderlich, dass Waffen wie Flugzeuge oder Raketen bereits das Bundesgebiet erreicht haben, denn selbst der Start solcher Waffen in Richtung der Bundesrepublik reicht für die Feststellung aus, da man auch im Zweifel mit einem unmittelbar, drohendem Angriff (Art. 115a Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG) rechnen muss. Unmittelbar bedeutet in diesem Zusammenhang, dass ein Angriff mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit droht.[40] Der Kommentar von Hopfauf setzt dagegen als „...formales, doch entscheidendes Kriterium...“ den Grenzübertritt feindlicher Angreifer voraus.[41]
Auf jeden Fall muss der Angriff erheblich sein, dass heißt einen gewissen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterworfen sein.[42] Somit erfüllt eine einzelne Rakete, welche ohne große Zerstörungskraft bleibt, an sich nicht die nötigen gesetzlichen Voraussetzungen zur Feststellung des Verteidigungsfalls.
Das bedeutet auch, dass das Eindringen von Spionen oder das Infiltrieren innerhalb des Bundesgebietes, im Sinne eines Partisanenkrieges, nicht dafür ausreicht.[43] Auch reicht ein Angriff auf deutsche Botschaften, deutsche Schiffe, Flugzeuge oder Truppenteile im Ausland, also außerhalb des Bundesgebietes, nicht aus. Selbst ein terroristischer Anschlag (wie 2001 in den USA) im Inland würde an sich noch nicht zur Feststellung des Verteidigungsfalls berechtigen, da solche Anschläge keinen Angriff i.S.d. Art. 115a Abs. 1 GG darstellen.[44]
Unter dem Begriff „Waffen“ sind alle konventionellen, nuklearen, chemischen, biologischen und physikalischen Kampfmittel zu fassen. Andere Mittel der unfriedlichen Auseinandersetzungen, welche ohne Waffengewalt erfolgen (Wirtschaftsblockaden oder politische Sanktionen) lösen den Verteidigungsfall nicht aus.[45]
3.2 Die Feststellung des Verteidigungsfalls
Nach Art. 115a Abs. 1 GG trifft die Feststellung, dass das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder das ein solcher Angriff unmittelbar droht der Bundestag mit der Zustimmung des Bundesrates. Jedoch sind auch an der Entscheidung alle (ständigen) Verfassungsorgane, außer dem Bundesverfassungsgericht, beteiligt. Neben den genannten Legislativorganen, ist auch die Exekutive durch die Bundesregierung, welche nach Art. 115a Abs. 1 S. 2 GG den Antrag auf Feststellung des Verteidigungsfalls im Bundestag einbringt, vertreten. Außerdem unterzeichnet und verkündet der Bundespräsident nach Art. 115a Abs. 3 GG i.V.m. Art. 82 GG im Bundesgesetzblatt die entsprechende Feststellung. Dabei hat er dieselben materiellen und formellen Prüfungsrechte wie bei der Verkündung von Gesetzen. Ist diese Verkündung im Bundesgesetzblatt nicht rechtzeitig möglich, kann sie in anderer Weise (Mitteilung im Rundfunk, Fernsehen oder Zeitung) erfolgen.[46]
Den Antrag auf Feststellung kann nur die Bundesregierung im Bundestag einbringen, denn der Art. 115a GG sieht kein Eigeninitiativrecht des Bundestages oder ein Antragsrecht durch den Bundesrat vor. Die Feststellungsentscheidung des Bundestages, als unmittelbar demokratisch legitimiertes Verfassungsorgan, ergeht als Parlamentsbeschluss und nicht in Gesetzesform.[47] Dieser Beschluss beseitigt die Sperre für das Inkrafttreten der Notstandsverfassung und vielmehr noch darüber hinaus die Entscheidung über die politische Notwendigkeit in den Krieg zu ziehen.[48]
Der Antrag bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, jedoch mindestens die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Durch eine vereinfachte Darstellung lässt sich sagen, es müssen zur Feststellungsentscheidung doppelt so viele Ja-Stimmen wie Nein-Stimmen abgegeben sein, wobei die Ja-Stimmen zu gleich die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages ausmachen müssen. Diese doppelte, qualifizierte Mehrheit soll einer vorschnellen Feststellung vorbeugen und den weitreichenden innerstaatlichen Konsequenzen dieses Votums Rechnung tragen.[49]
Im Bundesrat hingegen reicht die einfache Mehrheit zur Zustimmung aus. Allerdings liegt hier eine gewisse Verfassungslücke vor, da das Grundgesetz nicht grundsätzlich regelt, wie zu verfahren ist, wenn der Bundesrat nicht beschlussfähig ist.[50] Nach der überwiegenden Literaturmeinung soll der Beschluss dann durch die Ländervertretung im Gemeinsamen Ausschuss erwirkt werden. Allerdings steht dem wiederum entgegen, dass der Gemeinsame Ausschuss sich als ganzes definiert und nicht einzeln nach Angehörigen der Länder bzw. des Bundes untergliedert werden darf.[51]
Eventuell wäre eine Lösung, folgende Koppelung. Falls einer der legislativen Organe, Bundestag oder Bundesrat, nicht beschlussfähig ist, entscheidet nach Art.
115a Abs. 2 der Gemeinsame Ausschuss stellvertretend. Hierzu müsste natürlich eine Ergänzung des Grundgesetzes, durch Änderungen im Abs. 2 (z.B.: „...einen rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages oder des Bundesrates...“) erfolgen.
Besteht jedoch nach Art. 115a Abs. 2 GG die Lage, dass ein sofortiges Handeln unabweisbar ist und einem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindbare Hindernisse entgegenstehen (oder er gar nicht beschlussfähig ist, dass heißt nicht in der geforderten Stärke abstimmen kann), so trifft der Gemeinsame Ausschuss diese Feststellung ebenfalls mit der doppelten qualifizierten Mehrheit.[52] Allerdings berechtigt die bloße Beschlussunwilligkeit des Bundestages nicht den Gemeinsamen Ausschuss tätig zu werden. Auch für diese Verfahrensweise bleibt ein vorheriger Antrag der Bundesregierung Voraussetzung, da der Ausschuss nur die legislativ Organe, Bundestag und Bundesrat, ersetzt und nicht auch die Bundesregierung, als Vertreter der Exekutive.[53]
Der Gemeinsame Ausschuss darf nur im äußersten Notfall die Feststellung treffen, wenn z.B. Verkehrswege durch feindliche Einheiten blockiert sind, so dass dem rechtzeitigen Zusammentreten des Bundestages unüberwindbare Hindernisse entgegenstehen.[54] Unter den Gliederungspunkt 3.3.4 werde ich umfangreiche Ausführungen zum Gemeinsamen Ausschuss an sich anführen.
Ist ein Angriff bereits im Gange und sind die Bundessorgane außerstande den Eintritt des Verteidigungsfalls festzustellen, gilt die Feststellung nach Art. 115a Abs. 4 GG als zu dem Zeitpunkt getroffen und verkündet, in dem der Angriff begonnen hat. Sobald es dann die Umstände erlauben, verkündet der Bundespräsident offiziell seit wann der Verteidigungsfall eingetreten ist.
Aufgrund dieser fiktiven Feststellung laufen dann deren Rechtsfolgen automatisch ab, sie ersetzt alle Stadien nach Abs. 1 - 3, welche normalerweise ablaufen würden.[55] Der Art. 115a Abs. 4 GG regelt „den Fall des chaotischen Durcheinanders bei einem laufendem Angriff“ und bringt zum Ausdruck, „dass jeder einzelne, an welcher Stelle er auch stehen mag, dann die Verantwortung für sein eigenes notstandsgerechtes Verhalten trägt“.[56]
An diesem Zitat erkennt man allerdings auch die Problematik, welche in der trotz allem unerlässlichen Rechtswirkung der fiktiven Feststellung steckt. Schließlich bedeutet dies, dass dem einzelnen Truppenkommandeur bis hin zu den einzelnen Behördenchefs, die Entscheidung ob die fiktive Feststellung schon eingetreten ist alleine auferlegt werden und schließlich auch zu völlig verschiedenen Handlungsweisen führen kann.[57] Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Abs. 4 einen zaghaften Versuch darstellt, das Unregelbare so weit zu regeln, wie es irgendwie möglich scheint. Allerdings steht auch fest, dass die Anwendung auf den äußersten Notfall beschränkt bleiben muss.[58]
Der Art. 115a Abs. 5 GG regelt die Abgabe von völkerrechtlichen Erklärungen im Verteidigungsfall, durch den Bundespräsidenten. Dem liegt auch eine gewisse Bedeutung bei, da im Kriegsfalle die BRD gegenüber anderen Staaten eine Erklärung durch das Staatsoberhaupt abgeben wird, dass sie sich im Kriegszustand befindet.[59] Außerdem gehört auch die Kriegserklärung gegen den Angreifenden hier dazu. Die entsprechenden Erklärungen benötigen keinerlei besondere Form, ausgenommen die völkerrechtliche Vereinbarungen, z.B. über die Form und die Wirkung einer Kriegserklärung (Drittes Haager Abkommen).[60]
3.3 Die Änderungen der Gesetzgebungskompetenzen und des Gesetzgebungsverfahrens
3.3.1 Änderung der Befehls- und Kommandogewalt nach Art. 115b GG
Nach Art. 115b GG geht mit Verkündung des Verteidigungsfalls die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte auf den Bundeskanzler über.
Diese Regelung soll eine wirksame militärische Verteidigung sicherstellen, wobei die Konzentration aller zivilen und militärischen Entscheidungen bei dem Kanzler, als Führungsorgan der Regierung, sichergestellt werden soll (sog. Lex churchill[61] ), als eine Art politisch-militärische Gesamtleitung.[62] Hierbei wird deutlich, dass es nicht so wie in früheren deutschen Verfassungen dem Staatsoberhaupt die oberste Befehlsbefugnis übertragen wird, sondern nachdem Primat des Politischen, den parlamentarisch verantwortlichen Regierungschef zugewiesen wird.[63]
Der Übergang vom Bundesminister der Verteidigung hin zum Bundeskanzler ist jedoch ausschließlich für den Verteidigungsfall vorgesehen und nicht schon für den Spannungs-, Zustimmungs- oder Bündnisfall.[64] Diese Vorschrift tritt aber als Rechtsfolge automatisch in Kraft, bzw. nach der Beendigung des Verteidigungsfalls automatisch außer Kraft, und bedarf keiner weiteren formellen Voraussetzungen. Sollte jedoch im Fiktionsfalle nach Art. 115a Abs. 4 GG der Angriff unklar sein, gibt letztendlich die Lagebeurteilung durch den Bundeskanzler den entscheidenden Ausschlag.[65]
Durch den Übergang der Kommandogewalt ist der Bundeskanzler nicht mehr nur auf seine Richtlinien-Kompetenz beschränkt, sondern wird direkter Vorgesetzter der Streitkräfte und kann damit direkt an jeden Angehörigen der Streitkräfte militärische Befehle erteilen.[66] Außerdem übernimmt der Bundeskanzler durch die Konzentration der militärischen und auswärtigen Gewalt auf seine Person die damit verbundene volle parlamentarische Verantwortung. Der Verteidigungsminister wird aus der Befehlshierarchie ausgeschlossen und aus seiner Stellung als oberster Truppenkommandeur verdrängt.[67] Selbst die Truppen welche im Zuge des Verteidigungsbündnisses der NATO unterstellt sind oder große Truppenteile, welche im Ernstfall internationalisiert werden, würden dann immer noch truppendienstlich und disziplinarisch dem Bundeskanzler unterstehen.[68]
Dieser Übergang stellt auch eine Ausnahme des Kabinetts-, Ressort- und Kollegialprinzips nach Art. 65 GG und Art. 65a GG dar. Ebenso besteht auch für den Bundeskanzler die Möglichkeit die Befehls- und Kommandogewalt wieder auf den Verteidigungsminister oder z.B. auf eine neu gegründete „operative Führungsspitze“, ähnlich einem Generalstab, zu delegieren, allerdings handelt dieser dann im Namen und im Auftrag des Bundeskanzlers.
Mit der Beendigung des Verteidigungsfalls geht die Befehls- und Kommandogewalt bis auf weiteres auch wieder auf den Verteidigungsminister über.[69]
Die Bundeswehrverwaltung ist jedoch von diesem Artikel nicht erfasst und verbleibt weiterhin im Zuständigkeitsbereich des Verteidigungsministers.
Dem Bundeskanzler bleibt aber die Möglichkeit auch diesen Bereich durch eine Umstrukturierung, aufgrund der Richtlinienkompetenz nach Art. 65 GG, unter seine Zuständigkeit zu unterstellen.[70] Hier wird von vielen Kommentaren (z.B. Herzog) zum Grundgesetz die Meinung vertreten, dass auch der Verwaltungsbereich eine „dienende Funktion“[71] innehat und kompetenzrechtlich die Veränderung bei der Truppenführung auch mit einfließen sollte. Also wird in der Praxis jeder Bundeskanzler auch die Bundeswehrverwaltung per Organisationsakt mit unter seine Zuständigkeit unterstellen.
3.3.2 Erweiterte Gesetzgebungskompetenzen des Bundes nach Art. 115c GG
Der Art. 115c GG enthält eine Reihe von Vorschriften zum Erlass von Gesetzen während des Verteidigungsfalls, welche dem Bundesgesetzgeber die Möglichkeit zu umfangreichen Eingriffen in die bundesstaatliche Kompetenzverteilung einräumen. Zudem wird der Gesetzgeber aufgrund dieses Artikels ermächtigt, in wenigen Fällen, eine behutsame Modifikation des Grundrechtschutzes vorzunehmen.[72]
Jedoch bleibt hier nochmals ausdrücklich festzuhalten, dass der Art. 115c GG bei weitem kein Notverordnungsrecht für die Bundesregierung beinhaltet.
In einer Art Zentralisierung wird durch die Konzentration von Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Finanzkompetenz dem Bund das Recht eingeräumt, neben der konkurrierenden Gesetzgebung, auch für Sachthemen zuständig zu sein, welche in Friedenszeiten den Ländern zugehören (Art. 115c Abs. 1 S. 1 GG). Selbst die Gesetzesmaterien, für welche ansonsten ausschließlich die Länder zuständig wären, schließen sich damit ein.[73] Ziel dieser Regelung ist den möglichst konzentrierten, effektiven und gebündelten Einsatz aller Kräfte zu gewährleisten. Allerdings wird weiterhin die Zustimmung des Bundesrats, als legitime Vertretung der Länder, zu solchen Gesetzen benötigt (Abs. 1 S. 2).
Auch bei dieser Regelung fällt wieder der Blick auf die Problematik eines nichtbeschlussfähigen Bundesrates. Denn im Falle eines Großangriffs auf die Bundesrepublik muss man sich durchaus darauf einstellen, dass nicht alle Ländervertreter zeitnah in Berlin, im Rahmen des Bundesrates, zusammen kommen können. Wie ist dann in diesem Fall zu verfahren? Hier möchte ich erneut auf meinen Lösungsansatz unter Gliederungspunkt 3.2. verweisen, denn auch in diesem Fall bleibt der Übergang der Gesamtzuständigkeit an den Gemeinsamen Ausschuss als logische und einzig effiziente Konsequenz bestehen. Offen bleibt auch, ob hier eine „qualitative Dimension“ wie von Sachs gefordert vorliegt, durch welche diese Ausnahmekompetenz den Bund nur die Möglichkeit zum Erlass von Gesetzen gibt, welche wirklich im sachlichen Zusammenhang mit der Bewältigung des Verteidigungsfalls stehen.[74] Auch Herzog bestätigt diese These und setzt den „vernünftigen sachlichen Zusammenhang“ der beabsichtigten Regelung, zur Bewältigung des Verteidigungsfalls, zwingend voraus. Denn auch seiner Meinung nach, deckt der Art. 115c Abs. 1 GG kein Gesetz, welches ohne jeden Zusammenhang zum Verteidigungsfall steht.[75]
Zur Abwehr eines gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriffs und um die Lebensfähigkeit von Ländern und Kommunen zu erhalten, kann durch ein Bundesgesetz die Verwaltung und das Finanzwesen des Bundes und der Länder einheitlich gestaltet werden.[76] Nachdem Art. 115c Abs. 3 GG ist die Zentralisierung der Finanz- und Verwaltungskompetenz von Bund und Ländern beim Bundgesetzgeber erlaubt. Beispielsweise kann es zu Änderungen über die Ertragshoheit der Länder kommen. Möglich wären auch generelle Zuständigkeitsänderungen bei der Verwaltung.[77]
Durch die Straffung und Konzentration der Verwaltungs- und Finanzkompetenz, kann eine einheitliche Verwaltungsstruktur geschaffen werden. Diese Festlegung ermöglicht die Bündelung der Bundes- und Landesverwaltungen in einen Weisungsstrang, welcher letztendlich durch die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, zentral gesteuert werden kann.[78] Allerdings stellt das Grundgesetz ausdrücklich hervor, das nach Art. 115c Abs. 3 zweiter Halbsatz, die Lebensfähigkeit der Länder und Gemeinden, insbesondere in finanzieller Hinsicht, unbedingt zu wahren ist. Der Restbestand eines politischen Eigenlebens der Bundesländer, unter der besonderen Beachtung des Föderalismusgebotes nach Art. 79 Abs. 3 GG, soll somit auch im Verteidigungsfall gewährleistet bleiben.[79] Auch bleibt die Zustimmungspflicht des Bundesrates, für solche tief greifenden Änderungen, ausdrücklich durch den Gesetzeswortlaut, erhalten.
Festzuhalten bleibt abschließend einerseits, dass „unter den besonderen Voraussetzungen des Verteidigungsfalls an der Erforderlichkeit bundeseinheitlicher Vorschriften nicht zu zweifeln ist“. Andererseits jedoch sollte der Art. 115c Abs. 1 GG auch nur stets mit Bedacht angewandt werden, denn die bundesstaatliche Struktur soll selbst in dieser Notsituation nur soweit wie unbedingt nötig, beeinträchtigt werden.[80]
Der Art. 115c Abs. 4 GG schafft ein besonderes Rechtsinstitut, weil danach Bundesgesetze für den Verteidigungsfall[81], schon vor dessen Eintritt, beschlossen und verkündet werden können. Diese Möglichkeiten werden auch als sog. „Schubladengesetze“ bezeichnet. Ihre Anwendung ist grundsätzlich auf den Verteidigungsfall beschränkt, dass heißt nur wenn dieser tatsächlich besteht, entfalten sich die in den Gesetzen festgehaltenen Rechtsfolgen.[82] Somit muss man im zivilrechtlichen Sinne von einer schwebenden Unwirksamkeit dieser Gesetze sprechen, da sie zwar alle Phasen des Gesetzgebungsverfahrens, im Voraus durchlaufen, aber eben vom Eintritt des Verteidigungsfalls das Inkrafttreten abhängig ist.[83] Diese Bundesgesetze für den Verteidigungsfall setzen entgegenstehendes Recht außer Kraft, allerdings nur vorübergehend, da nach Beendigung des Verteidigungsfalls das „normale Recht“ automatisch wieder in Kraft tritt.[84] Vom Verbot der vorherigen Anwendung gibt es eine Ausnahmeregelung. Denn nur zu verwaltungsinternen Zwecken können die „Schubladengesetze“ schon zur Vorbereitung ihres Vollzuges angewandt werden, jedoch ist jede Wirkung nach außen hin unzulässig.[85] Hierfür könnten z.B. in Betracht kommen: Ausarbeitung von Verwaltungsvorschriften und Formularen oder etwa Vorbereitungen der Behördenmitarbeiter in Form von Lehrgängen.
Auch wenn der Gesetzgeber nicht zum Erlass solcher vorbereitenden Gesetze verpflichtet ist, sprechen die überwiegenden Vorteile für die Nutzung dieser Option.
Durch diese Möglichkeit der „Vorsorge-Gesetzgebung“[86] soll dem Gesetzgeber die Erstellung von Gesetzen für den Krisenfall, in Ruhe und Abgewogenheit, ermöglicht werden. Auch soll durch diese vorbeugenden Gesetze, ein Notverordnungsrecht für die Bundesregierung sich gänzlich überflüssig machen.[87] Außerdem beugt diese Möglichkeit in einem gewissen Maße, einem chaotischen Gesetzesstand bei einer unübersichtlichen Verteidigungslage, vor. Verschiedene Institutionen können aufgrund dieser „Schubladengesetze“ gezielt Regelungen für den Eintrittsfall treffen und gehen damit vorbereiteter in eine solche Notsituation.
Im Artikel 115c kommt es auch zu vorsichtigen Beschränkungen von Grundrechten, allerdings bleibt nochmals festzustellen das eine generelle Einschränkbarkeit von Grundrechten im Krisenfall ausdrücklich in der Notstandsverfassung nicht vorgesehen ist. Denn auch im Verteidigungsfall behalten die Grundrechte, trotz eines noch so chaotischen Kriegsverlaufs, ihre tragende Bedeutung für die demokratische Gesellschaft.[88] Auch gelten selbstverständlich die „normalen“ Grundrechtsschranken bzw. die -eingriffe genauso wie in Friedenszeiten.[89]
Der Art. 115c Abs. 2 GG räumt dem Gesetzgeber die Möglichkeit ein vorübergehend zwei Grundrechte, im Verteidigungsfall geringfügig einzuschränken.
Nach Art. 115c Abs. 2 Nr. 1 GG kann per Bundesgesetz von den Entschädigungsregelungen bei Enteignungen nach Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG abgewichenen werden. Allerdings gilt hier besonders der Wortlaut „vorläufig“ zu beachten, denn somit müssen nach der Beendigung des Verteidigungsfalls die endgültigen Regelungen zur Entschädigung getroffen werden. Damit lässt sich dies als eine Art Ermächtigung zur zeitlichen Relativierung, vorübergehender Modifizierung, der Junktim-Klausel betrachten.[90] Allerdings darf deswegen trotzdem nicht völlig ohne Entschädigung enteignet werden, vielmehr zielt diese Regelung darauf ab, dass vorläufige Entschädigungsleistungen nach einer Art Pauschalierung oder Abschlagszahlung getroffen werden können, um dadurch eine erhebliche Vereinfachung des ansonsten komplexen und langwierigen Verfahrens zu erreichen.[91] Die Höhe der pauschalen Vorabentschädigung, bzw. der generelle Umfang von Enteignungen kann dann in dem erlassenen Bundesgesetz geregelt werden.
Im Zustand größter äußerer Gefahr, ist davon auszugehen das ein erhöhter Bedarf an Sachgütern besteht, welche durch schnelle und problemlosere Enteignungen teilweise gedeckt werden soll.[92] Allerdings bleiben letztendlich die Regelungen zur Entschädigung sehr unbestimmt. Denn weder der Umfang der Zahlung, noch die Art und Weise der Entschädigung werden näher definiert. Schließlich ermöglicht diese Regelung dem Gesetzgeber einen großen Spielraum zur Ausübung. Da es bisher noch zu keiner praktischen Anwendung des Artikels kam, gibt es auch noch keine Rechtssprechung dazu, welche eventuell engere Ausübungsgrenze ziehen könnte. Die anderen Regelungen des Art. 14 GG bleiben von dieser Ausnahmemöglichkeit allerdings unberührt.
Der Art. 115c Abs. 2 Nr. 2 GG ermöglichst für die Überprüfung von Freiheitsentziehungen nach Art. 104 Abs. 2 S.3 GG eine abweichende Frist, welche auf bis zum vierten Tag nach der Festnahme verlängert werden kann, wenn es keinem Richter möglich ist, innerhalb der normal geltenden Fristen tätig zu werden.
Im Normalfall müsste ein Richter spätestens am darauf folgenden Tag der Festnahme über die Zulässigkeit der Freiheitsentziehung entscheiden. Falls jedoch kein Richter während des Verteidigungsfalls in diesem Zeitraum handeln kann, ist es möglich die Freiheitsentziehung, ohne richterlichen Beschluss, bis zum vierten Tag nach der Festnahme zu verlängern. Allerdings müssen sich die Strafverfolgungsbehörden auch im Krisenfall bemühen, nach Art. 104 Abs. 2 S. 2 GG, ohne schuldhaftes Zögern, sofort einen Richter tätig werden zu lassen.[93] Für die Exekutivorgane, wie die Polizei, ändert sich damit nichts, da sie weiterhin verpflichtet sind, einen Festgenommenen so schnell wie ihnen möglich, einem Richter vorzuführen. Sie dürfen deshalb nicht einfach von sich aus, die mögliche, verlängerte Frist verstreichen lassen. Denn diese Frist gilt nur, wenn z.B. eine Störung der Gerichtsorganisation an sich oder der Verkehrswege, etc., als Folge des Verteidigungsfalls vorliegt.[94]
Sollte jedoch während dieser verlängerten Frist kein Richter die Festnahme bestätigen, muss der Festgehaltene wieder auf freien Fuß gesetzt werden.[95]
Weiterhin zu betrachten ist noch der Art. 17a GG. Er gehört nicht explizit zu den Sonderrechten des Notstandes, sondern beschreibt schon in Friedenszeiten Grundrechtseinschränkungen zu Verteidigungszwecken.[96] Der Abs. 1 ermöglicht für Soldaten und Ersatzdienstleistende z.B. Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Durch den Absatz 2 könnte sogar jedermann betroffen sein, denn durch diesen können Gesetze zu Verteidigungszwecken erlassen werden, welche zu Einschränkungen des Rechts auf Freizügigkeit (Art. 11) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13) führen können.
Grundsätzlich garantiert der allgemeine Justizgewährleistungsanspruch und die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG auch im Verteidigungsfall den Zugang zu Gerichten. Lediglich einzelne Notstandsgesetze sehen Beschränkungen der Rechtsmittel gegen richterliche Entscheidungen vor.[97]
3.3.3 Abgekürztes Gesetzgebungsverfahren nach Art. 115d GG
Im Verteidigungsfall können Bundesgesetze auf vier verschiedenen Wegen zustande kommen. Nach Art. 76 ff. GG auf dem „normalen“ Weg der Gesetzeseinreichung, nach Art. 81 GG auf dem eher seltenen Weg des Gesetzgebungsnotstandes, nachdem beschleunigten Verfahren des Art. 115d GG und schließlich nachdem Notgesetzgebungsverfahren nach Art. 115e GG.[98] Generell setzt die Anwendung des Art. 115d GG voraus, dass der Bundestag und der Bundesrat noch funktionsfähig sind, da ansonsten die Regelungen des Art. 115e GG greifen würden.
Um die Staatsorgane auch im Falle eines großflächigen Angriffes so lang wie möglich handlungsfähig zu erhalten, hat der Art. 115d GG zum Ziel das Gesetzgebungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Diese Möglichkeit ist als eine Art Zwischenstufe zwischen dem „normalen“ Gesetzgebungsverfahren und der Gesetzgebung durch den Gemeinsamen Ausschuss nach Art. 115e GG zu betrachten.[99] Zu diesem Zweck werden nach Art. 115d Abs. 1 GG die Art. 76 Abs. 2 GG (Einbringung von Gesetzesvorlagen), Art. 77 Abs. 1, 2 und 4 GG (Gesetzgebungsverfahren), Art. 78 GG (Zustandekommen von Bundesgesetzen) und Art. 82 Abs. 1 GG (Ausfertigung, Verkündung von Gesetzen) teilweise suspendiert.[100]
Wenn die Bundesregierung in einer Ermessensentscheidung, nach Art. 115d Abs. 2 GG eine Gesetzesvorlage für dringlich erklärt, wird diese im Bundestag eingebracht und gleichzeitig dem Bundesrat zugeleitet. Beide Legislativorgane beraten dann in gemeinsamer Sitzung diese Vorlage unverzüglich, dass heißt ohne schuldhaftes Verzögern.[101] Die Mitglieder beider „Kammern“ sind in der Diskussion völlig gleichberechtigt und können in unterschiedlicher Reihenfolge sich zur Sache äußern.[102] Obwohl der Art. 115d GG nicht ausdrücklich regelt, wie im vereinfachten Gesetzgebungsverfahren durch Bundestag und Bundesrat abzustimmen ist, lässt sich jedoch ein eindeutiger Schluss ziehen. Nach dem Grundsatz „itio in partes“[103] ist davon auszugehen, dass die Legislativorgane einzeln abstimmen müssen, damit für jede „Kammer“ ein eigenständiger Beschluss zustande kommt.[104] Rein formell konkretisiert die Geschäftsordnung für das Verfahren nach Art. 115d GG[105] (GO) diese Verfahrensabläufe. Nach derer Regelungen, berufen die Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates, nach der dringlichen Vorlage der Bundesregierung, unverzüglich zu einer gemeinsamen Beratung ein (§ 1 GO). Unter dem Vorsitz des Bundestagspräsidenten (§ 2 Abs. 1 GO) findet nur eine gemeinsame Gesetzesberatung (§ 3 GO) statt. Die Schlussabstimmung erfolgt schließlich in gemeinsamer Sitzung, wobei allerdings getrennt nach den „Kammern“ abgestimmt wird, beginnend mit dem Bundestag und anschließend der Bundesrat (§ 5 Abs. 3 GO).[106] Die Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens soll insbesondere das, oft zähe, Vermittlungsverfahren überflüssig machen. Die Ermessensentscheidung der Bundsregierung zur Dringlichkeit bleibt für das gesamte Gesetzgebungsverfahren bindend. Die Regelungen sehen allerdings, während des Verteidigungsfalls, keine Möglichkeit zur Einbringung von Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Bundestages oder vom Bundesrat vor. Jedoch könnte in der Praxis einfach die Bundesregierung deren Vorschläge (z.B. einer Fraktion) übernehmen und selber einbringen.
Benötigt ein Gesetz die Zustimmung des Bundesrates (Zustimmungsgesetz nach Art. 77 Abs. 2a GG), so wird zum Zustandekommen dieses Gesetzes die Zustimmung der Mehrheit seiner Stimmen benötigt (S.3). Allerdings enthält der Art. 115d keine Regelung für die Gesetze, für welche der Bundesrat das Einspruchrecht inne hat (Einspruchsgesetz nach Art. 77 Abs. 3 GG). Nach Meinung von Hopfauf und Herzog, bleibt das Einspruchsrecht des Bundesrates in jedem Fall bestehen, da es ansonsten zu einer zu großen Beschneidung der Rechte des Bundesrates kommen würde und die Bundesregierung eventuell durch geschickte Gesetzesvorhaben den Bundesrat weitestgehend aus dessen staatsorganisatorischen und verfassungsmäßigen Stellung drängen könnte.[107] Auch geht die Geschäftsordnung für das Verfahren nach Art. 115d GG von einem Einspruchrechts des Bundesrates, im Verteidigungsfall aus. Dort ist der Ablauf so geregelt, dass bei Ablehnung eines Gesetzesbeschluss durch den Bundesrat, für welchen es nicht seiner Zustimmung bedarf, die Beratung des Bundestages wieder eröffnet wird, ohne das zuvor ein Vermittlungsverfahren stattfindet (§ 5 Abs. 5 S. 1 GO). Dieser Einspruch kann dann durch die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages nach § 5 Abs. 5 S. 2 GO zurückgewiesen werden.[108] Die Gegenmeinung vertritt hier Sachs, nach dessen Ansichten wäre das Einspruchsrecht des Bundesrates verfassungsrechtlich nicht mehr von Nöten, sondern nur noch die Mitbestimmung des Bundesrates bei Zustimmungsgesetzen.[109] Da der Art. 115d GG das Gesetzgebungsverfahren straffen will, muss man die Problematik der Einspruchsgesetze durchaus unter diesem Blickwinkel betrachten. Obwohl durch die wünschenswerte vertikale Gewaltenteilung, mit der Beteiligung der Ländern, verkompliziert die „normale“ Regelung des Art. 77 Abs. 3 GG, das Mitwirken des Bundesrates in diesen Fällen, oftmals schon generell das Gesetzgebungsverfahren.[110] Da im „normalen“ Einspruchsverfahren der Bundesrat, durch die Ablehnung eines Gesetzesentwurfs, nur eine nochmalige Überprüfung durch den Vermittlungsausschuss erreichen kann, ist dies nach Art. 115d GG entbehrlich. Schließlich gilt der Grundsatz der Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens im Verteidigungsfall. Da nach dem Art. 115d GG im Krisenfall kein Vermittlungsverfahren vorgesehen ist, kann davon ausgegangen werden, dass ein Einspruch des Bundesrates bei Einspruchsgesetzen nur mit großem formalen Aufwand verbunden ist und keine wirkliche Änderungsmöglichkeit herbeiführen kann. Denn schließlich hat der Bundestag schon im „normalen“ Verfahren die Möglichkeit in der 3. Abstimmung den Einspruch des Bundesrates zu überstimmen. Damit vertrete ich auch die Meinung, dass die Anwendung des Art.
[...]
[1] Hopfauf 2008, S. 2324
[2] Hopfauf 2008, S. 2324
[3] Hopfauf 2008, S. 2326
[4] vgl. Hopfauf 2008, S.2326
[5] Hopfauf 2008, S. 2326
[6] Hopfauf 2008, S. 2326
[7] Dritter Gefahrenbericht der Schutzkommission beim Bundesminister des Innern 2006, S.33
[8] Läpke 2003, S. 12
[9] Bestandsaufnahme „Die Bundeswehr an der Schwelle zum 21. Jahrhundert“ 2000, S. 13
[10] „wesentliche Grundrechte“ zur damaligen Zeit nicht vergleichbar mit den heute als „wesentlich“ bezeichneten Grundrechten
[11] vgl. Hopfauf 2008, S. 2324
[12] Hopfauf 2008, S.2325
[13] Hopfauf 2008, S. 2325
[14] so z.B.: 1923 gegen die SPD-KPD Regierungen in Sachsen und Thüringen und 1932 der sog. „Preußenschlag“ zur Absetzung der SPD Regierung in Preußen
[15] Hopfauf 2008, S.2326
[16] vgl. Hopfauf 2008, S.2326
[17] sog. „Präsidialdiktatur“
[18] Hesselberger 2003, S. 362
[19] vgl. Hopfauf 2008, S.2327
[20] Hesselberger 2003, S. 362
[21] vgl. Hopfauf 2008, S.2328
[22] Hopfauf 2008, S.2329
[23] aufgehoben 1968 , siehe Anlage 4
[24] vgl. Hopfauf 2008, S. 2329
[25] Hopfauf 2008, S.2330
[26] vgl. Hopfauf 2008, S.2330
[27] vgl. Hopfauf 2008, S.2330
[28] Abstimmung am 30.05.1968 im Bundestag über die Notstandsverfassung: 384 Ja-Stimmen zu 100 Nein-Stimmen
[29] Hopfauf 2008, S. 2331
[30] ausführlich unter Anlage 3
[31] vgl. Hopfauf 2008, S.2331
[32] Hopfauf 2008, S. 2332
[33] Hopfauf 2008, S. 2332
[34] vgl. Hopfauf 2008, S.2332
[35] vgl. Hopfauf 2008, S.2333
[36] Hopfauf 2008, S. 2333
[37] Bündnisfall eingetreten nach den Terroranschlägen des 11.09.2001
[38] Hopfauf 2008, S. 2330
[39] Hesselberger 2003, S.364
[40] Jarass 2007, S. 1068
[41] Hopfauf 2008, S. 2340
[42] Sachs 2007, S. 2266
[43] Sachs2007, S. 2266
[44] Hopfauf 2008, S. 2340
[45] Sachs 2007, S. 2266
[46] Hesselberger 2003, S. 365
[47] vgl. Hopfauf 2008, S. 2341
[48] Herzog 2000, S. 115a 43
[49] vgl. Hopfauf 2008, S. 2341
[50] vgl. Hopfauf 2008, S. 2341
[51] mehr dazu unter Gliederungspunkt 3.3
[52] näheres dazu unter Gliederungspunkt 3.3.4
[53] vgl. Hopfauf 2008, S. 2342
[54] Hopfauf 2008, S. 2342
[55] Hopfauf 2008, S. 2342
[56] Hesselberger 2003, S. 365
[57] Hopfauf 2008, S. 2342
[58] Herzog 2000, S. 115a 60
[59] vgl. Hesselberger 2003, S. 365
[60] vgl. Hopfauf 2008, S.2343
[61] wird so bezeichnet, da Churchill im Vereinigten Königreich während des zweiten Weltkrieges alle Kompetenzen auf sich vereinte und damit als „starker Mann“ der Landesverteidigung galt
[62] Hopfauf 2008, S. 2344
[63] Hopfauf 2008, S. 2345
[64] Hopfauf 2008, S. 2345
[65] Hopfauf 2008, S. 2345
[66] vgl. Jarass 2007, S. 1070
[67] Hopfauf 2008, S. 2345
[68] vgl. Herzog 2000, S. 115b 6
[69] Sachs 2007, S. 2271
[70] vgl. Hopfauf 2008, S. 2346
[71] Herzog 2000, S. 115b 4
[72] Hopfauf 2008, S. 2346
[73] Hesselberger 2003, S. 367
[74] vgl. Sachs 2007, S. 2272
[75] Herzog 2000, S. 115c 6
[76] Hesselberger 2003, S.367
[77] Hesselberger 2003, S.367
[78] Sachs 2007, S. 2273
[79] Hopfauf 2008, S. 2347
[80] Hopfauf 2008, S. 2347/2348
[81] siehe Anlagen, Übersicht über die Bundesgesetze für den Verteidigungsfall
[82] vgl. Hopfauf 2008, S. 2350
[83] Herzog 2000, S. 115c 4
[84] Hopfauf 2008, S. 2350
[85] vgl. Hopfauf 2008, S. 2350
[86] Hopfauf 2008, S. 2350
[87] Hopfauf 2008, S. 2350
[88] vgl. Hopfauf 2008, S. 2348
[89] Hopfauf 2008, S. 2349
[90] vgl. Hesselberger 2003, S. 367
[91] Hopfauf 2008, S. 2348
[92] Hesselberger 2003, S. 367
[93] Hopfauf 2008, S. 2349
[94] vgl. Herzog 2000, S. 115c 15
[95] Sachs 2007, S. 2273
[96] Hopfauf 2008, S. 2349
[97] Hopfauf 2008, S. 2349
[98] Hesselberger 2003, S. 368
[99] Hopfauf 2008, S. 2351
[100] vgl. Hesselberger 2003, S. 369
[101] vgl. Hesselberger 2003, S. 369
[102] Hopfauf 2008, S. 2352
[103] bedeutet das „Auseinandertreten“ von Parteien, stammt aus dem deutschen Reichsrecht zur Unterteilung bei Abstimmungen in Katholischen und Evangelischen
[104] Hopfauf 2008, S. 2352
[105] Siehe Anlage 2
[106] Hopfauf 2008, S. 2353
[107] Hopfauf 2008, S. 2353
[108] Hopfauf 2008, S. 2353
[109] vgl. Sachs 2007, S. 2275
[110] vgl. Fritz 2003, S. 122
- Citar trabajo
- Jens Benedict (Autor), 2010, Der Verteidigungsfall - noch zeitgemäß?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/165703
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