Die Arbeit gliedert sich in 5 Teile. Im Teil I, der Einleitung, wird die Problemstellung der Arbeit detailiert wiedergegeben. Teil II befasst sich mit den versicherungsökonomischen Grundlagen in einem durch risikounabhängige Beiträge gekennzeichneten Versicherungsmarkt. Im Besonderen soll dabei auf die Notwendigkeit und die Ausgestaltungsoptionen eines Risikostrukturausgleichs eingegangen werden. Im Teil III wird auf die derzeitige Ausgestaltung des Risikostrukturausgleichs detailliert eingegangen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Kriterien des RSAs, anhand derer der
Finanzausgleich zwischen den Kassen ermittelt wird. Diese wurden im Laufe der letzten 16 Jahre von den zu Beginn sehr groben Kriterien Alter, Geschlecht, Bezug einer Erwerbsminderungsrente und Anzahl der mitversicherten Familienangehörigen immer weiter präzisiert. Im Mittelpunkt des neuen RSAs steht die Berücksichtigung von 80
Krankheiten, die zur Feststellung der Morbiditätslast einer Versichertengruppe herangezogen werden. Im IV. Kapitel werden die Anreizwirkungen der stärkeren Morbiditätsorientierung durch die 80 Krankheiten näher beleuchtet. Es soll dabei untersucht werden, ob die ausgewählten Krankheiten die Risikostruktur der Krankenkasse unverzerrt wiedergeben und somit Anreize zur Risikoselektion
minimieren. Die Auswahl der Morbi RSA Kriterien wird dabei mit den Ergebnissen aus Kapitel II verglichen. Eventuelle Unterschiede und deren Auswirkungen werden anhand von diesen Ergebnissen näher evaluiert.
Inhaltverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einführung
1.1. Problemstellung
1.2. Vorgehensweise
2. Risikoausgleichsysteme auf dem Markt von Krankenversicherungen
2.1. Wettbewerbsorientierung staatlicher Gesundheitssysteme
2.2. Implementierung von Risikoausgleichssystem zur Vermeidung von Risikoselektion
2.2.1. Risikoselektion im Markt von Krankenversicherungen
2.3. Ziele von Risikostruktur-Ausgleichssystemen
2.4. Ausgestaltungsoptionen von RSA Systemen
2.4.1. Soziodemographische Variablen
2.4.2. retrospektiv vs. prospektiv
2.4.3. Morbiditätsorientierung
2.5. Empirische Analysen zur Effektivität verschiedener RSA Modell-varianten..
3. Der Risikostrukturausgleich in Deutschland
3.1. Die Implementierung des RSA in Deutschland
3.2. Über die historische Weiterentwicklung des RSA
3.3. Morbi RSA ab Jan 2009
3.4. Risikoselektion auf dem Markt der GKV
4. Bewertung des Morbi RSAs unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus Kapitel
4.1. Beitragseinzug
4.2. Zusatzbeiträge
4.3. prospektive Ausgestaltung
4.4. Morbiditätswiedergabe
4.5. Disease Managment Programme
4.6. Multimorbidität
4.7. Upcoding
5. Fazit
Abbildungsverzeichnis:
Abbildung 1: Nominale Gesundheitsausgaben in Deutschland
Abbildung 2: Geschlechtsspezifische Gesundheitsausgaben
Abbildung 3: Zuweisungen für Pflichtleistungen der Krankenkasse: Grundpauschale mit alters-, geschlechts- und risikoadjustierenden Zu- und Abschlägen
Abbildung 4: Klassifikationsmodell des Morbi RSAs
Abbildung 5: interner vs. externer Risikostrukturausgleich
Abbildung 6: Finanzströme im Gesundheitsfond
Tabellenverzeichnis:
Tabelle 1: R2 Werte für Versicherte und Ausgaben für Sachleistungen ohne Zahnmedizin
1. Einführung
1.1. Problemstellung
Das Solidarprinzip stellt eines der Hauptcharakteristika im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Dieses besagt, dass die Beiträge nach einem einheitlichen Beitragssatz je nach dem zur Verfügung stehenden Einkommen der Versicherten bemessen werden, während dagegen die Leistungsausgaben vom Einkommen unabhängig erbracht werden. Mit der Einführung der Kassenwahlfreiheit durch das Gesundheitsstrukturgesetz im Jahr 1993 wurde der Risikostrukturausgleich auf dem Markt der GKV implementiert. Durch diesen soll die unterschiedliche Finanzkraft, die direkt auf die kassenindividuelle Risikostruktur zurückzuführen ist, ausgeglichen werden. Der Risikostrukturausgleich bewegt sich dabei in einem Spannungsfeld zwischen der Option eines vollständigen Finanzausgleichs, welcher jegliches Rationalisierungspotential ungenutzt ließe und der Option einer oberflächlichen und dadurch ungenauen und verzerrten Wiedergabe der Risikostruktur einer Kasse, was ein Ansteigen der Risikoselektion zur Folge hätte. Ein Gutachten von Lauterbach brachte im Jahr 2001 zu Tage, dass gewisse Krankheitsgruppen (vor allem chronisch Kranke) durch den Risikostrukturausgleich nur unzureichend erfasst werden und es dadurch zu einer systematischen Unterversorgung dieser Gruppen kommt (vgl. Lauterbach und Wille (2001), S. 91). Auf der Grundlage dieses Gutachtens wurde die Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs mit dem Ziel einer stärkeren Morbiditätsorientierung beschlossen. Anhand von 80 ausgewählten Krankheiten wird nun ab dem 1. Januar 2009 durch den RSA der Finanzbedarf einer Kasse ermittelt. Ziel dieser Arbeit soll es sein, die Anreizwirkungen des neuen morbiditätsorientierten RSAs zu evaluieren. Insbesonderes soll dabei auf die Auswahl der 80 vorgegebenen Krankheiten eingegangen werden und aufgezeigt werden, ob es möglich ist, die kassenindividuelle Risikostruktur anhand dieser Krankheiten unverzerrt wiederzugeben.
1.2. Vorgehensweise
Die Arbeit gliedert sich zu diesem Zweck in 5 Teile. Im Teil I, der Einleitung, wird die Problemstellung der Arbeit detailiert wiedergegeben. Teil II befasst sich mit den versicherungsökonomischen Grundlagen in einem durch risikounabhängige Beiträge gekennzeichneten Versicherungsmarkt. Im Besonderen soll dabei auf die Notwendigkeit und die Ausgestaltungsoptionen eines Risikostrukturausgleichs eingegangen werden. Im Teil III wird auf die derzeitige Ausgestaltung des Risikostrukturausgleichs detailliert eingegangen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Kriterien des RSAs, anhand derer der Finanzausgleich zwischen den Kassen ermittelt wird. Diese wurden im Laufe der letzten 16 Jahre von den zu Beginn sehr groben Kriterien Alter, Geschlecht, Bezug einer Erwerbsminderungsrente und Anzahl der mitversicherten Familienangehörigen immer weiter präzisiert. Im Mittelpunkt des neuen RSAs steht die Berücksichtigung von 80 Krankheiten, die zur Feststellung der Morbiditätslast einer Versichertengruppe herangezogen werden. Im IV. Kapitel werden die Anreizwirkungen der stärkeren Morbiditätsorientierung durch die 80 Krankheiten näher beleuchtet. Es soll dabei untersucht werden, ob die ausgewählten Krankheiten die Risikostruktur der Krankenkasse unverzerrt wiedergeben und somit Anreize zur Risikoselektion minimieren. Die Auswahl der Morbi RSA Kriterien wird dabei mit den Ergebnissen aus Kapitel II verglichen. Eventuelle Unterschiede und deren Auswirkungen werden anhand von diesen Ergebnissen näher evaluiert.
2. Risikoausgleichsysteme auf dem Markt von Krankenversicherungen
2.1. Wettbewerbsorientierung staatlicher Gesundheitssysteme
Seit Mitte der 80er Jahre war eine enorme Kostenexplosion in den Gesundheitssystemen der westlichen Staaten zu verzeichnen. Diese Entwicklung ist zum einen durch den demographischen Wandel und die damit einhergehende Ausweitung der Leistungsinanspruchnahme zu erklären. Zum anderen stellt der kostenintensive medizinische Fortschritt einen großen Kostentreiber im Gesundheitswesen dar. Die Kombination dieser beiden Faktoren führte in Deutschland innerhalb von 10 Jahren zu einer Ausgabensteigerung von ca. 60 Prozent.
Um die in Europa vor allem solidarisch finanzierten Gesundheitssysteme durch diese Entwicklung nicht zu überfordern, wurde sehr oft versucht, die Kostenspirale zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen.
Als Instrument zur Begrenzung der Kostenexplosion wurde versucht, wettbewerbsfördernde Elemente in das Gesundheitssystem zu implementieren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Nominale Gesundheitsausgaben in Deutschland; Quelle: Statistisches Bundesamt 2005
Durch diese Ausrichtung sollte die Leistungserstellung im Gesundheitswesen zu reduzierten Kosten und in einer verbesserten Qualität erfolgen (vgl. Koopmeiners et al. (2007), S. 27-30).
In vielen Ländern gestaltet sich die Umsetzung dieser Elemente allerdings als schwierig. Zwar steht die effizienzfördernde Wirkung des Wettbewerbs auch im Gesundheitswesen außer Frage, der übergeordnete Grundsatz der meisten europäischen Gesundheitssysteme, der Solidaritätsgedanke, erfordert allerdings ein Abweichen von versicherungsökonomischen Grundgedanken (vgl. Wynand et al. (2003), S. 3). In unreglementierten Versicherungsmärkten werden die Versicherungsprämien auf Grundlage der individuellen Risikowahrscheinlichkeiten gebildet. Auf dem Markt von Krankenversicherungen spiegeln risikoäquivalente Prämien somit das Ausgabenrisiko im Krankheitsfall wieder. Es wird zugleich als sehr wichtiges gesellschaftliches Ziel angesehen, Empfänger von notwendigen Gesundheitsleistungen durch die entstehenden Kosten nicht zu diskriminieren (vgl. Schokkaert und Voorde (2009), S. 3). Aus diesem Grund wurde in vielen europäischen Gesundheitssystemen (u.a. in Deutschland, in der Schweiz, in den Niederlanden und in Belgien) auf Einheitsprämienregelungen zurückgegriffen, um der gesellschaftlichen Vorstellung von Gerechtigkeit (im Sinne von Gleichbehandlung von kranken und gesunden Menschen) gerecht zu werden (vgl. Zweifel (2004), S. 20; Spycher (2002), S. 26). Die Einrichtung der Einheitsprämie als zentraler Bestandteil der Krankenversicherung bringt allerdings erhebliche Probleme mit sich. Durch Einheitsprämien ergeben sich für die Versicherungsunternehmen automatisch schlechte und gute Risiken. Wenn andererseits sowohl chronisch Kranke, als auch Gesunde die gleichen Versicherungsprämien aufbringen müssen, werden die Gesunden automatisch zu guten und präferierten Risiken und vice versa (Leu und Beck (2006), S. 11). Da Versicherungsunternehmen in der freien Marktwirtschaft daran interessiert sind, ihre Deckungsbeiträge und damit ihre Gewinne zu maximieren, werden sie in Aktivitäten investieren, mit denen sie für ihre Versicherung gute Risiken akquirieren können (vgl. Spycher (2002), S. 12).
2.2. Implementierung von Risikoausgleichssystemen zur Vermeidung von Risikoselektion
2.2.1. Risikoselektion im Markt von Krankenversicherungen
Im nächsten Abschnitt werden Selektionsmechanismen auf dem Markt von Versicherungsunternehmen und im Besonderen bei Krankenversicherungen näher dargestellt.
Allgemein wird unter Risikoselektion im Bereich von Versicherungen ein Auswahlprozess bezeichnet, durch den der vorhandene Versichertenstamm bzw. potentielle Versicherungsnehmer nach bestimmten Kriterien taxiert wird. Diese Informationen sollen dazu dienen, die eigene spezifische Risikostruktur der Versicherung in die gewünschte Richtung zu verändern (vgl. Kühn (1997), S. 74).
Eine Definition von Risikoselektion im Bereich von Krankenversicherungen findet sich bei Lauterbach und Wille: „Eine Selektion von positiven (negativen) Risiken liegt im weitesten Sinne vor, wenn die risikobereinigte Beitragszahlung, die eine Krankenkasse für einen Versicherten erhält, die erwarteten Ausgaben seiner Leistungsinanspruchnahme signifikant überschreitet (unterschreitet).“ (Lauterbach und Wille (2001), S. 223).
Risikoselektion ist generell erst möglich, wenn die Versicherer genügend Informationen besitzen, um eine valide Risikoschätzung zu betreiben. Das gängigste Modell zur Abschätzung wurde von Newhouse entwickelt (vgl. Newhouse (1989), S. 42):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Für eine detaillierte Risikoeinschätzung benötigen Versicherer Informationen aus folgenden Bereichen:
- Soziodemographische Faktoren: Diese Faktoren bilden eine statistische sehr gute, aber grobe Schätzung. (z.B. steigende Gesundheitsausgaben im Alter, geschlechtsspezifische Unterschiede, etc.) Auf das individuelle Risiko einzelner Versicherten lassen sich dabei jedoch keine genaueren Rückschlüsse ziehen.
- Gesundheitsrisiko: Bestimmte Verhaltensweisen beeinflussen die
Wahrscheinlichkeit für erhöhte Leistungsausgaben enorm. Dabei sind körperliche Indikatoren wie Hypertonie, Adiposität, etc. oder Verhaltensweisen wie Nikotinkonsum und Bewegungsgewohnheiten gute Anhaltspunkte für eine Risikoeinschätzung.
- individuell wahrgenommener Gesundheitszustand: Der individuell wahrgenommene Gesundheitszustand wirkt sich sehr stark auf die Leistungsinanspruchnahme aus. Anhand von Befragungen ist z.B. das individuelle Schmerzempfinden, die soziale und psychische Gesundheit zu ermitteln. Durch die ausschließlich subjektive individuelle Wahrnehmung und die Manipulationsgefahr, weist diese Methode aber einige Nachteile auf.
- Menge der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen: Der wahrgenommene Gesundheitszustand lässt dann auch Rückschlüsse auf den Umfang der wahrscheinlichen Leistungsinanspruchnahme zu. Allerdings sind auch diese Rückschlüsse nicht frei von Verzerrungen.
- Kosten der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen: Mit Hilfe der Kostengewichte der verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten können die Mengenangaben in die gesamten wahrscheinlichen Gesundheitsausgaben überführt werden (vgl. Spycher (1999), S. 12 ff).
Liegen Versicherungsunternehmen genügend Informationen zur Risikoschätzung vor, ist es ihnen möglich, Risikoselektionsstrategien als Handlungsparameter zu wählen. Unterschieden werden dabei zum einen positive und negative Risikoselektionsprozesse. Bei der positiven Risikoselektion zielt das Versicherungsunternehmen darauf ab, positive Risiken anzuziehen. Bei der negativen Risikoselektion versucht das Unternehmen, seinen Versichertenbestand von schlechten Risiken zu befreien (vgl. Knüppel (2004), S. 86ff).
Eine weitere Differenzierungsmöglichkeit bezieht sich auf direkte und indirekte (aktive und passive) Risikoselektionsprozesse. Unterschieden wird dabei der Grad des Aktivitätsniveaus der Versicherung. Eine aktive Risikoselektion liegt vor, wenn eine Krankenkasse versucht, durch aktives Handeln die Risikostruktur ihres Versichertenbestandes zu beeinflussen (vgl. Lauterbach und Wille (2001), S. 227; Leu und Beck (2006, S. 12). Von indirekter/passiver Risikoselektion spricht man, wenn die Krankenversicherung nicht aktiv versucht, bestimmte Versichertengruppen anzuwerben oder abzustoßen (vgl. IGES et al. (2001), S. 22). Man spricht deshalb auch von einer Selbstselektion der Versicherten.
Der Wahl dieser Risikoselektionsstrategie stehen auch negative Elemente wie administrative Kosten des Selektionsprozesses, Rufschädigung bei der Aufdeckung der Handlungen und Strafen durch zuständige Behörden gegenüber (vgl. Beck (2007), S. 9.; Beck (2001), S. 1).
Den Nachteilen stehen aber auch erhebliche Vorteile einer solchen Handlungsweise gegenüber. So wurde in mehreren Studien das Einsparungspotential von Risikoselektionsprozessen untersucht. Diese brachten Kostenersparnisse zwischen 36 und 48 Prozent zu Tage (Beck (2007), S. 12; Beck et al. (2006), S. 22). Demgegenüber stehen Kosteneinsparpotentiale aufgrund von Effizienzsteigerungen durch Managed Care Programme, selektive Verträge zwischen Krankenversicherern und Leistungserbringern und auf Grund von weiteren Innovationen. Der Kostenreduktionseffekt wird hierbei auf 20 bis 25 Prozent beziffert (vgl. Leu und Beck (2007), S. 139). Die Versicherer befinden sich durch diese Ergebnisse in einem Gefangenendilemma. Sollte nur einer ihrer Konkurrenten Risikoselektion betreiben, so stellt sich dieser im Wettbewerb deutlich besser auf. In Bezug auf die Volkswirtschaft stellt Risikoselektion eine Verschwendung knapper Ressourcen dar. Durch Selektionsprozesse werden gute und schlechte Risiken nur angeworben oder abgestoßen, wodurch Kosten entstehen. Die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt hinsichtlich der Gesundheitsversorgung wird dadurch aber nicht gesteigert. Ein Wettbewerb ohne Risikoselektion ist nach dem Pareto Kriterium optimal, da kein Versicherer Kosten für diese Prozesse aufwenden muss und somit diese Aufwandsersparnis in effizienzsteigernde Maßnahmen stecken kann (Schokkaert et al. (1998), S. 470).
Risikoselektion stellt allerdings eine dominante Handlungsstrategie dar. In einem Markt, in welchem sich alle Teilnehmer von Risikoselektionsprozessen distanzieren, kann sich der einzelne Versicherer durch eine solche Strategie eine starke Wettbewerbsposition verschaffen (Beck et al. (2006), S. 32-35). Risikoselektionsprozesse stellen somit zum einen eine Verschwendung knapper Ressourcen dar und verschlechtern die Versorgungssituation schlechter Risiken.
Die Gesetzgeber sind dadurch gezwungen, im Wettbewerb von Krankenversicherungen Rahmenbedingungen zu schaffen, die solche Handlungsoptionen unterbinden.
2.3. Ziele von Risikostruktur-Ausgleichssystemen
Um die beiden Ziele Einheitsprämie und Kassenwettbewerb zusammenzubringen, sind die Regierungen gezwungen, Ausgleichssysteme einzuführen, welche die Anreize beseitigen, die von der Risikostruktur der einzelnen Kasse bedingt sind (Leu und Beck (2006), S. 3). Die Risikostruktur einer Krankenkasse darf im Idealfall keinerlei Einfluss auf die Versicherungsprämien und das Leistungsangebot einer Krankenkasse haben, um Risikoselektion komplett auszuschließen und so einen unverzerrten Wettbewerb um die beste Versorgung zu forcieren. Würde der RSA die Kostenunterschiede zwischen Individuen mit unterschiedlichem Gesundheitszustand so weit ausgleichen, dass für die Kassen bei einer effizienten Versorgung jedes Individuums die gleichen Nettokosten entstehen würden, dann würde sich das Handeln der Kassen allein auf eine Optimierung der Versorgung konzentrieren (Cassel und Janßen (1999), S. 11; Breyer und Kifmann (2001), S. 14; Beck (2007), S. 1).
Dem Risikostrukturausgleich kommen daher drei übergeordnete Hauptfunktionen zu:
- Chancengleichheit im Wettbewerb zwischen den Krankenkassen: Durch die Befreiung der Versicherungsprämien und des Leistungskatalogs von risikostrukturbedingten Einflüssen, werden Krankenkassen mit einer schlechteren Risikostruktur oder Kassen mit einem auf bestimmte Krankheiten fokussierten Leistungsangebot nicht diskriminiert.
- Vermeidung von Risikoselektion: In einem perfekten RSA gibt es keine guten und schlechten Risiken unter den Versicherten. Risikoselektionsprozesse werfen daher keine höheren Deckungsbeiträge ab, weshalb solche Prozesse nicht zur Anwendung kommen (Jacobs et al. (2000), S. 21 ff; Schokkaert und van de Voorde (2007), S. 7).
- Anreize zur Wirtschaftlichkeit: Krankenkassen ist es nicht mehr möglich, durch eine Erhöhung der positiven Risiken innerhalb ihrer Versicherten ihre Versicherungsprämien zu senken. Sie sind daher darauf angewiesen, durch effizienzsteigernde Maßnahmen und Innovationen ihre Kosten zu senken. Des Weiteren werden durch Risikostrukturausgleichsysteme nicht tatsächliche, sondern nur standardisierte Kosten ausgeglichen, wodurch Kostensparanreize entstehen (vgl. Breyer und Kifmann (2001), S. 3; Leu und Beck (2007), S. 29; Wynand et al. (2003), S. 3).
Zur Erreichung dieser Ziele gibt es sehr viele Ausgestaltungsoptionen, die im folgenden Abschnitt näher beleuchtet werden.
2.4. Ausgestaltungsoptionen von RSA Systemen
Die Anzahl der Faktoren, die in Ausgleichsystemen berücksichtigt werden können, ist immens. Bevor auf die verschiedenen Ausgleichsvariablen näher eingegangen wird, gilt es zunächst zu klären, anhand welcher Kriterien die verschiedenen Optionen ausgewählt werden. Es haben sich dabei folgende Kriterien herauskristallisiert:
- Anreizwirkung: Der Risikostrukturausgleich darf durch die Verwendung bestimmter Parameter keine falschen Anreize für Versicherte, Leistungserbringer und Versicherungen geben. Falsche Anreize sind Risikoselektionsanreize oder Anreize, welche die effiziente Leistungserstellung behindern.
- Validität: Als Ausgleichsparameter müssen Variablen ausgewählt werden, welche die zu erwartenden Gesundheitskosten am besten wiedergeben.
- Verfügbarkeit von Daten: Die zur Ausführung des Ausgleichsmechanismus benötigten Daten müssen rasch und in einer guten Qualität verfügbar sein.
- Zuverlässigkeit: Die Qualität der Ausgleichsysteme wird durch die
Zuverlässigkeit der einbezogenen Parameter bestimmt. Die Daten sollen daher
möglichst wenig Messfehler aufweisen. Des Weiteren soll durch die einbezogenen Faktoren die Ausgabenvarianz der Gesundheitsausgaben bestmöglichst wiedergegeben werden.
- Datenschutz: Die zur Durchführung des RSAs benötigten Daten müssen höchsten Datenschutzanforderungen entsprechen.
- Manipulationsgefahr: Die Parameter und somit der gesamte Risikostrukturausgleich dürfen nicht manipulierbar sein.
- Transparenz: Um eine breite Akzeptanz des RSAs zu erreichen, müssen die einzelnen Parameter so transparent wie möglich sein (vgl. Spycher (1999), S.93; Wynand et al. (2004), S. 46; Van de Ven und Ellis (2000), S. 779).
2.4.1. Soziodemographische Variablen
Soziodemographische Variablen ermöglichen es, eine Personengruppe durch Verwendung spezifischer Merkmale näher zu beschreiben. Zu den gebräuchlichsten soziodemographischen Variablen gehören Alter, Geschlecht, Familienstand, Berufstätigkeit, verfügbares Haushaltseinkommen, Schulabschluss, etc. Diese Faktoren eignen sich gut zur Einbeziehung in Risikostrukturausgleichsysteme, da sie meist sehr leicht und schnell bestimmt werden können. Sie weisen außerdem eine hohe Manipulationsresistenz auf (vgl. Spycher (1999), S. 22). Die beiden Faktoren Alter und Geschlecht geben die undifferenzierteste Einschätzung über die zu erwartenden Gesundheitsausgaben wieder.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Geschlechtsspezifische Gesundheitsausgaben; Daten: Bundesamt für Statistik 2006; eigene Darstellung
Durch die Einbeziehung der Faktoren Alter und Geschlecht lassen sich nach mehreren Untersuchungen ca. 3 Prozent der Ausgabenvarianz erklären. (van de Ven und van Vliet (1992), S. 30-40; Beck (2001), S.8). Auf die Aussagekraft und die maximal prognostizierbare Varianz wird bei der Zusammenfassung der Ausgestaltungsmöglichkeiten von Risikostrukturausgleichsystemen im Kapitel 2.5. näher eingegangen.
Neben den Faktoren Alter und Geschlecht lassen sich auch noch andere soziodemographische Variablen wie Familienstand und verfügbares Einkommen in den RSA mit einbeziehen. Alleinstehende Versicherte verursachen signifikant höhere Gesundheitsausgaben, ein Faktum, das auf das fehlende soziale Umfeld und die schlechtere familiäre Versorgung zurückgeführt werden kann. Auch die Einbeziehung der Erwerbs-/Berufstätigkeit lässt Rückschlüsse auf die zu erwartenden Ausgaben zu. Der Bezug einer Erwerbsminderungsrente aus medizinischen Gründen lässt auf die Wahrscheinlichkeit einer überdurchschnittlich hohen Leistungsinanspruchnahme schließen. (Breyer und Kifmann (2001), S.33). Da die Morbidität durch soziodemographische Faktoren nur indirekt erfasst wird, lässt sich auch nur eine sehr geringe Varianz der Gesundheitsausgaben durch diese Parameter bestimmen. Da Risikoselektion in der Krankenversicherung auf Grundlage der versichertenspezifischen Morbidität betrieben wird, gilt es diese bestmöglichst zu erfassen. Morbidität beschreibt dabei die Wahrscheinlichkeit, eine medizinische Versorgung zu benötigen (Breyer et al. (2005), S. 301). Da dies durch soziodemographische Variablen allein nur unzureichend möglich ist, können diese Parameter nur einen Teil RSA Systems bilden. (Vieregge (2003), S. 72; Spycher (1999), S. 23; Wynand und van de Ven (2000), S. 25; Lauterbach und Wille (2001), S. 226).
2.4.2. retrospektiv vs. prospektiv
Wie im Kapitel 2.2. beschrieben, wird durch RSA Parameter eine kassenindividuelle Risikostruktur ermittelt. Liegt eine einzelne Kasse unter der durchschnittlichen Risikostruktur, d.h. versorgt sie mehrheitlich gute Risiken, so zahlt diese in das Transfersystem ein. Kassen, die eine schlechtere Risikostruktur aufweisen, erhalten aus dem System einen Zuschuss, um ihre überdurchschnittlich hohen Leistungsausgaben auszugleichen. Diese Zahlungen können grundsätzlich retrospektiv oder prospektiv ausgestaltet werden. Unter der Bewertung hinsichtlich der Anreize zur Vermeidung von Risikoselektion ist das retrospektive Modell zu bevorzugen.
[...]
- Citation du texte
- Christoph Fürleger (Auteur), 2009, Morbiditätsadjustierung des RSA anhand 80 ausgewählter Krankheiten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/163844
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