Das Essay setzt sich mit dem von Prof. Binswanger in „Vorwärts zur Mäßigung – Perspektiven einer nachhaltigen Wirtschaft“ postulierten Wachstumszwang moderner Ökonomien auseinander. Dazu wird zunächst die Theorie zum Wachstumszwang dargelegt, welcher eine Folge des zinsbasierten Währungssystems sowie eine Folge der Gewinnerwartung von Investoren sei. Zinsen, welche die Zentralbank und der Bankensektor erheben, seien nur durch Wachstum und weitere Aufnahme von Krediten zu decken.
Daran anschließend wird auf die faktische Arbeitsweise von Geld- und Kreditschöpfung in modernen Ökonomien eingegangen. Es wird gezeigt, dass die Folgerung eines Wachstumszwangs auf einem fehlgeleiteten Verständnis des Zinskreislaufes basiert. Zinsen, einschließlich des Zentralbankzinses, stellen die Einnahmen des Bankenwesens dar und fließen als Konsum von Staat und Haushalten wieder zurück in den Geldkreislauf. Ein realwirtschaftlicher Steady-State bzw. ein Nullwachstum ist im bestehenden Wirtschaftssystem theoretisch möglich.
Inhalt
Vorwort
I. Das Modell von Binswanger zu Zins, Kredit und Geldmenge
II. Zins, Kredit und Geldmenge in der bestehenden Geldsystemtheorie
III. Kritik am Modell von Binswanger – Geldenstehung und Preistabilität
IV. Hauptkritikpunkt am Modell von Binswanger – Zinsverwendung
V. Abschließende Würdigung des Modellansatzes von Binswanger
Literatur
Vorwort
In den modernen Ökonomien herrsche ein Zwang zu Wachstum. Nachhaltiges Wirtschaften, das die Endlichkeit natürlicher Ressourcen einbezieht, sei mit dem bestehenden Geld- und Wirtschaftssystem nicht kompatibel. Diese Thesen vertritt insbesondere Prof. Hans Christoph Binswanger, der auf dem Gebiet nachhaltiger Ökonomik forscht.
Im folgenden Essay wird zunächst von Binswanger in „Vorwärts zur Mäßigung – Perspektiven einer nachhaltigen Wirtschaft“ vertretene These dargelegt, dass die Zinsen, die die Zentralbank erhebt, nur durch Wachstum und weitere Aufnahme von Krediten zu decken seien. In einem weiteren Schritt wird die faktische Arbeitsweise der Europäischen Zentralbank und die allgemeine Theorie des Geldwesens in Zusammenhang mit Geldschöpfung und Leitzins analysiert. Die Ergebnisse aus dieser Analyse werden in Kontext gesetzt mit Binswangers Theorie zum Wachstumszwang und es wird gezeigt, dass der von Binswanger postulierte Effekt auf falschen Schlussfolgerungen zu Zinsgewinnen und dem Zentralbanksystem basieren. Abschließend wird festgehalten, dass ein Zwang zu Wachstum nicht aufgrund des Wirtschaftssystems entsteht, sondern – wenn überhaupt – in der Natur menschlichen Wirtschaftend zu finden ist. Ein Nullwachstum bzw. ein Steady-State ist theoretisch möglich.
I. Das Modell von Binswanger zu Zins, Kredit und Geldmenge
„Die moderne Wirtschaft ist auf Wachstum angelegt. Sie unterliegt einem Wachstumszwang und Wachstumsdrang. Wachstumszwang heißt, dass die Alternative zu Wachstum Schrumpfung ist.“[1]
Mit den Problematiken eines Wachstumszwang im bestehenden Wirtschaftssystem hat sich Hans Christoph Binswanger schon bei seiner Antrittsvorlesung 1969 an der Hochschule St. Gallen auseinandergesetzt und die maßgeblichen Ursache in Geldschöpfung und Kreditgewährung gefunden.[2] In „Vorwärts zur Mäßigung – Perspektiven einer nachhaltigen Wirtschaft“, das 2009 erschienen ist, beschreibt Binswanger den zugrunde liegenden Prozess der Wachstumsspirale auf zweierlei Wegen. Es wird dabei allgemein angenommen, dass es eine Zentralbank, Geschäftsbanken, Unternehmen und Haushalte bzw. Konsumenten gibt. Der Bankensektor gewährt den Unternehmen Kredite, damit diese investieren können. Die Unternehmen werden jedoch nur investieren, wenn sie einen Gewinn erwarten können. Dies gilt für alle Unternehmungen gleichermaßen. „Damit die Unternehmungen zusammen im Saldo stets Gewinne erzielen können, müssen daher die Einnahmen aller Unternehmungen zusammen im Saldo stets größer sein als die Ausgaben aller Unternehmungen zusammen. Dies ist offensichtlich nicht möglich, wenn das Geld nur im Kreis läuft“.[3]
Um den Gewinnerwartungen zu entsprechen, ist es also notwendig, dass neues Geld hinzu fließt. Nach Binswanger fließt in der modernen Wirtschaft Geld hinzu durch Kredite der Banken an die Unternehmen. Die Banken gewähren dabei den Unternehmen Kredite, indem sie die Kredite den Unternehmen auf deren Girokonten gutschreiben. Die auf das Girokonto gutgeschriebene Summe wird als Passivposten in der Bilanz der Bank verbucht, da es sich nun um eine Verpflichtung der Bank dem Unternehmen gegenüber handelt, den Kredit in Zentralbankgeld, beispielsweise in Bargeld, auszugeben. Auf der anderen Seite wird der Kredit auch in die Aktivseite der Bankbilanz verbucht, da es sich um eine Forderung der Bank dem Unternehmen gegenüber handelt, den Kredit zurückzuzahlen, zuzüglich anfallender Zinsen.
Problematisch ist nach Binswanger das Kreditwesen insbesondere deshalb, weil die Zentralbank auf gleiche Weise arbeitet. Die Zentralbank ist eine Bank der Banken und besitzt das Monopol auf die Herausgabe von Zentralbankgeld. Darunter fällt das Bargeld, das hauptsächlich von Privathaushalten verwendet wird - aber auch Zentralbankkredite an Banken. Fordert eine Bank einen Kredit bei der Zentralbank an, so schreibt die Zentralbank die entsprechende Summe auf das Zentralbankkonto der jeweiligen Bank und im Gegenzug verpflichtet sich die Bank, das geliehene Geld inklusive des Leitzinses zurückzuzahlen. Die Banken benötigen das Zentralbankgeld, weil sie verpflichtet sind, einen Prozentsatz der selbst herausgegeben Kreditsumme durch Zentralbankgeld zu decken – die sogenannte Mindestreserve. Außerdem halten Banken Zentralbankgeld vor für den Fall, dass Kunden Überweisungen oder Abhebungen zu tätigen wünschen.
Binswanger behauptet jedoch, dass die Zentralbank bei der Herausgabe von Zentralbankgeld keine wirkliche Verpflichtung eingehe. Früher bestand diese Forderung daraus, Zentralbankgeld auf Wunsch gegen einen festgesetzte Menge Gold einzutauschen - der sogenannte Goldstandard. In den modernen Ökonomien gebe es keine Begrenzung der Geldmengenexpansion, da keine fixe Golddeckung mehr gegeben sei.
Binswanger erläutert, dass es außerdem den Banken in unbegrenztem Umfang freistehe, Kredite von der Zentralbank aufzunehmen.[4] Dies steht jedoch nicht in Übereinstimmung mit der tatsächlichen Arbeitsweise moderner Zentralbanken, worauf in Punkt II. des Essays eingegangen wird.
Ein weiterer Grund für die permanente Geldmengenausweitung sei darin zu finden, dass die ausgegebenen Kredite inklusive der zugehörigen Zinsen zurückgezahlt werden müssen. Binswanger fragt woher gesamtwirtschaftlich gesehen das Geld stammen soll, um die Zinsen auf eine ausgegebene fiktive Geldmenge M zu zahlen, wenn sich nur die Geldmenge M in Umlauf befindet? Unproduktivere und erfolglosere Unternehmen und Wirtschaftsakteure könnten bankrottgehen und ihr Geld an erfolgreichere Unternehmen verlieren, womit zumindest diese die ausstehenden Zinsen begleichen könnten. Gesamtwirtschaftlich gesehen würden jedoch nicht alle Kredite und Zinsen gezahlt und die Geldmenge, als auch die Wirtschaft würde aufgrund der Bankrotte schrumpfen. Einziger Ausweg aus der drohenden Schrumpfung ist nach Binswanger eine ständige Ausweitung der Geldmenge. Neues Geld werde wiederum über Kredite in den Kreislauf gebracht. Diese Kredite werden gewährt, um neue Investitionen zu finanzieren, welche die Unternehmen in Erwartung weiterer Gewinne tätigen und immer so weiter. Ein Nullwachstum sei nicht möglich, die einzige Alternative zu Schrumpfung sei Wachstum.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. aus Binswanger (2009): S. 22.
„Der Wachstumszwang ergibt sich daraus, dass der notwendige Geldzufluss heute durch zusätzliche Kredite erfolgt, mit welchen zusätzliche Investitionen und damit ein Produktionszuwachs finanziert werden. Damit die zusätzliche Produktion ebenfalls wieder mit Gewinn abgesetzt werden kann und außerdem der Abfluss von Geld durch die Zinszahlungen kompensiert wird, muss wieder ein neuer Geldzufluss durch weitere Kredite und damit weitere Investitionen und damit ein weiterer Produktionszuwachs erfolgen und so weiter, in steter Fortsetzung.“[5]
Binswanger stellt fest, dass Investitionen Effekte auf das Einkommen als auch auf die Produktion haben, wobei die Einkommenseffekte unmittelbar, die Produktionseffekte erst mit zeitlicher Verzögerung auftreten. Wird ein Kredit zu Investitionszwecken gewährt, so wandelt sich er bei Ausgabe, also bei Investition, in Einkommen der beteiligten Arbeiter und Angestellten um. Das Geld für die Investition ist unmittelbar in Umlauf, und der Einkommenseffekt resultiert sofort. Der Produktionseffekt, also eine ausgeweitete Produktion wird jedoch erst mit Fertigstellung der Investition erreicht.
[...]
[1] Binswanger (2009): S.11.
[2] Vgl. ebd.: S.224.
[3] Ebd.: S. 18.
[4] Vgl. ebd.: S. 144.
[5] Ebd. S. 145.
- Citation du texte
- Gregor Geist (Auteur), 2010, Woraus resultiert der Wachstumszwang?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/163674
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