Kinder, die als vergessene Angehörige psychisch kranker
Eltern unter den gravierenden Auswirkungen der elterlichen
Erkrankung leben, werden häufig nicht als solche
wahrgenommen. Um dieses Problem besser zu verdeutlichen,
werde ich erst einmal die Ausgangslage in Deutschland
darstellen.
So machen heute diverse Zeitungsartikel, wie z.B. „Psychisch kranke
Eltern. Mama, warum bist du so?“ [In: www.stern.de (Zugriff:
18.06.10)] oder „Psychisch kranke Eltern machen Kinder krank“ [In: www.weltbild.de (Zugriff: 18.06.10)] auf das schwierige Zusammenleben mit einem psychisch kranken Elternteil deutlich. Mein Interesse am Thema dieser Arbeit wurde ganz besonders dadurch geweckt, dass das Thema Kinder psychisch kranker Eltern in den letzten Jahren immer mehr in die Öffentlichkeit
gerückt ist und gerade im Bereich der Erwachsenenpsychiatrie
im Hinblick auf die Soziale Arbeit fortgesetzt an Bedeutung
gewinnt und auch notwendige frühpräventive Arbeit für die
betroffenen Kinder verlangt. Dieses Thema hat auch, zum Teil mit gravierenden Folgen für Kinder depressiver Mütter, in der Öffentlichkeit für ein großes Aufsehen gesorgt, wie z.B. „Depressive Mutter tötet Baby mit Rasierklinge“ [In: www.focus.de (Zugriff: 18.06.10)] oder auch: „Mutter erhängt 3 Kinder und tötet sich selbst“ [In:www.carechild.de (Zugriff: 18.06.10)], wodurch für diese Kinder jede Hilfe zu spät kam, sei es seitens des Jugendamtes, des
sozialen Umfeldes (z.B. Partner/ Geschwister/ Nachbarn) oder
der notwendigen Behandlung durch die zuständigen Ärzte.
Welche Hilfemöglichkeiten gibt es für die psychisch kranken
Eltern(-teile) und ihre Kinder, um diese Familien optimal bei der
Bewältigung ihrer schwierigen Lebenssituation unterstützen zu
können? Der Gegenstand dieser Arbeit sind die betroffenen Kinder, die im selben Haushalt mit dem psychisch kranken Elternteil leben,
demnach werde ich nicht spezifisch auf die Kinder eingehen,
die aufgrund der elterlichen Erkrankung fremduntergebracht
worden sind.
Um aus den oben genannten Fragestellungen, in Hinblick auf
die Thematik der betroffenen Kinder und ihre schwierige
Lebenssituation mit einem psychisch kranken Elternteil, einen
Einblick zu verschaffen, wird im Kapitel I. die Lebenssituationen
von psychisch kranken Eltern und ihrer Kinder dargestellt.
Inhaltsverzeichnis
I. Abbildungsverzeichnis
II. Tabellenverzeichnis
III. Abkürzungsverzeichnis
Teil I. EINFÜHRUNG INS THEMA
1. Einleitung
1.1. Ausgangslage und Motivation
1.2. Fragestellung und Zielsetzung
1.3. Aufbau der Arbeit
2. Kinder psychisch kranker Eltern
2.1. Familiensituation
3. Suizidalität im Zusammenhand mit psychischen Störungen in Deutschland
Teil II.STÖRUNGSBILD
4. Was sind Affektive Störungen?
4.1. Definition und Klassifikation
4.2. Symptome der Subtypen
5. Definitionskriterien - Klassifikation bipolar affektiver Störungen nach ICD-10/ DSM IV
5.1. Formen der bipolaren Störungen
5.2. Epidemiologie
5.3. Verlauf der bipolaren Störungen
5.4. Komorbidität
6. Ätiologie der affektiven Störungen
7. Behandlungsmöglichkeiten der affektiven Störungen
7.1. Psychotherapieformen bei Depression
7.2. Psychotherapie bei bipolaren Störungen
7.3. Medikamentöse Therapie affektiver Störungen
Teil III.ZUR LEBENSSITUATION DER BETROFFENEN KINDER
8. Kinder als Angehörige psychisch kranker Eltern
8.1. Kinder psychisch Kranker: Zum Stand der Forschung
8.2. Psychische Erkrankungen als Familienkrankheiten
8.3. Beziehungen psychisch kranker Eltern zu ihren Kindern
9. Psychisch kranke Eltern und Kindeswohlgefährdung?
10. Zur Lebenssituation der Kinder psychisch kranker Eltern
10.1. Was wissen die Kinder über die Krankheit der Eltern?
10.2. Bewältigungsstrategien von Kindern mit einem psychisch kranken Elternteil
10.3. Probleme und Reaktionsformen der Kinder psychisch kranker Eltern
10.4. Rollen von Kindern in belasteten Familien
Teil IV. HILFSANGEBOTE FÜR PSYCHISCH KRANKE ELTERN UND BETROFFENE KINDER UND JUGENDLICHE
11. Psychisch kranke Eltern mit Kindern - Aufgaben und Leistungen der Psychiatrie
11.1. Hilfemöglichkeiten der psychiatrischen Versorgung
11.2. Die Rolle der Sozialen Arbeit in der Psychiatrie
12. Kinder mit psychisch kranken Eltern - Aufgaben und Leistungen der Jugendhilfe
12.1. Art der gewährten Hilfeleistungen
12.2. Aufgaben und Ziele der Jugendhilfe
13. Formen der Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen in die Behandlung
13.1. Ziele der Angehörigenarbeit
13.2. Die Angehörigenvisite
13.3. Die Mutter- Kind- Behandlungen
14. Netzwerkförderung und Hilfsangebote für Kinder psychisch kranker Eltern
14.1. Patenschaften für Kinder psychisch kranker Eltern
14.2. Peer Involvement - Strategien
14.3. Gruppenarbeit zur Förderung sozialer Ressourcen
Teil V. SCHLUSSBETRACHTUNG
15. Reflexion und Ausblick
15.1. Kinder psychisch kranker Eltern - Risiken und Chancen
15.2. Schlusswort
16. Danksagung
17. Literatur,- und Quellenverzeichnis
18. Anhang
I. Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Subtypen der affektiven Störungen
Abbildung 2: Phasen der bipolaren Störungen
Abbildung 3: Phasen der Bipolar I Störung
Abbildung 4: Phasen der Bipolar II Störung
Abbildung 5: Phasen der Rapid Cycling
Abbildung 6: Phasen der gemischten Episoden
Abbildung 7: Phasen der zyklothymen Störung
II. Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Art der Erkrankung der Eltern
Tabelle 2: Welches Elternteil hat psychische Probleme?
Tabelle 3: Altersgruppen
Tabelle 4: Lebensorte der Kinder
Tabelle 5: Wenn die Mutter erkrankt war, lebten Kinder
Tabelle 6: Wenn der Vater erkrankt war, lebten Kinder
Tabelle 7: Einkommensverhältnisse der Eltern
Tabelle 8: Informationsquelle für die Kinder
Tabelle 9: Gewährte Hilfen durch das Jugendamt
III. Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Vorwort
„ Gestern war ich so aktiv, so leistungsstark, so einfallsreich
und
schlagfertig, so tatenfroh...
Alles ging wie von selbst...
Ich war der Engelder Nacht...
Und der König des Tages.
Kein Ziel schien unerreichbar! Heut sitze ich nun hier und
gräme mich…
Meine Energien sind verbraucht, ich fühle mich unfähig und
kraftlos!
Ich bin zu Nichts mehr im Stande und empfinde nur Leere..."
(Patientenzitat 2004)
„ Also, selbstständiger wird man, weif
man sebst was in die Hand nehmen
muss und man dafür ja auch sorgen
witf, wenn man sieht,
dass es der Mutter nicht gut geht
und man nicht weiß wieso,
dass man dann irgendwas macht, dass
man spüt, kocht...
Man denkt auch ganz anders als andere in diesem Alter, weil man hat schon Vieles erlebt."
Teil I. EINFÜHRUNG INS THEMA
1. Einleitung
Die Tochter einer psychisch kranken Mutter erinnert sich aus ihrer turbulenten Kindheit:
„Meiner Therapeutin kann ich vertrauen, wie hilflos ich mich fühlte, als sich meine Mutter aus dem Fenster stürzen wollte, weil sie sich für einen Vogel hielt, oder wie geschockt und verängstigt ich war, als ich sie vollgepumpt mit Lithiumtabletten oder Alkohol fand und sie ins Krankenhaus einliefern lassen mußte. [...]
So fragte mich meine Psychotherapeutin einmal, wann die Kindheit zu Ende sei. Erstaunlicherweise konnte ich ihr die Frage nicht beantworten. Dazu fiel mir nur ein, dass meine Kindheit spätestens 1986 - als ich elf Jahre war - beendet war. 1986 wurde meine Mutter zum ersten Mal krank." [Bern, K., 2005, S. 13 ff]
1.1. Ausgangslage und Motivation
Kinder, die als vergessene Angehörige psychisch kranker Eltern unter den gravierenden Auswirkungen der elterlichen Erkrankung leben, werden häufig nicht als solche wahrgenommen. Um dieses Problem besser zu verdeutlichen, werde ich erst einmal die Ausgangslage in Deutschland darstellen.
Die Einwohnerzahl in Deutschland beträgt ca. 82,5 Millionen, davon betrug die Anzahl der minderjährigen Kinder pro Familie im Jahr 2007 ca. 1,61 Kinder [Lützenkirchen, A., 2008]. Demnach leben heute etwa 8,6 Millionen Familien mit mindestens einem minderjährigen Kind im Haushalt, insgesamt sind es 13,8 Millionen Kinder in Deutschland, die unter 18 Jahre sind: „Als Kinder gelten dabei- neben leiblichen Kindern- auch Stief-, Adoptiv- und Pflegekinder." [Statistisches Bundesamt in: http: //www.destatis.de (Zugriff: 17.06.2010)]
Somit leben nach den Angaben von Remschmidt und Mattejat, von den 13,8 Millionen Kindern ca. 500.000 in Familien mit mindestens einen psychisch kranken Elternteil [Remschmidt & Mattejat, 1994].
Dieses Thema nimmt auch immer mehr in der Öffentlichkeit an Bedeutung zu und wird weitgehend auf die schwierigen kindlichen Lebenswelten der „kleinen Angehörigen" von psychisch kranken Eltern aufmerksam gemacht. So machen heute diverse Zeitungsartikel, wie z.B. „Psychisch kranke Eltern. Mama, warum bist du so?" [In: www.stern.de (Zugriff: 18.06.10)] oder „Psychisch kranke Eltern machen Kinder krank" [In: www.weltbild.de (Zugriff: 18.06.10)] auf das schwierige Zusammenleben mit einem psychisch kranken Elternteil deutlich.
Mein Interesse am Thema dieser Arbeit wurde ganz besonders dadurch geweckt, dass das Thema Kinder psychisch kranker Eltern in den letzten Jahren immer mehr in die Öffentlichkeit gerückt ist und gerade im Bereich der Erwachsenenpsychiatrie im Hinblick auf die Soziale Arbeit fortgesetzt an Bedeutung gewinnt und auch notwendige frühpräventive Arbeit für die betroffenen Kinder verlangt.
Dieses Thema hat auch, zum Teil mit gravierenden Folgen für Kinder depressiver Mütter, in der Öffentlichkeit für ein großes Aufsehen gesorgt, wie z.B. „Depressive Mutter tötet Baby mit Rasierklinge" [In: www.focus.de (Zugriff: 18.06.10)] oder auch: „Mutter erhängt 3 Kinder und tötet sich selbst" [In: www.carechild.de (Zugriff: 18.06.10)], wodurch für diese Kinder jede Hilfe zu spät kam, sei es seitens des Jugendamtes, des sozialen Umfeldes (z.B. Partner/ Geschwister/ Nachbarn) oder der notwendigen Behandlung durch die zuständigen Ärzte.
1.2. Fragestellung und Zielsetzung
Aus der oben beschriebenen Ausgangslage in Deutschland, lässt sich für die Bearbeitung der Thematik die folgende Hauptfrage ableiten:
Welche Hilfemöglichkeiten gibt es für die psychisch kranken Eltern(-teile) und ihre Kinder, um diese Familien optimal bei der Bewältigung ihrer schwierigen Lebenssituation unterstützen zu können?
Der Gegenstand dieser Arbeit sind die betroffenen Kinder, die im selben Haushalt mit dem psychisch kranken Elternteil leben, demnach werde ich nicht spezifisch auf die Kinder eingehen, die aufgrund der elterlichen Erkrankung fremduntergebracht worden sind.
Die Soziale Arbeit beinhaltet ein vielfältiges Arbeitsfeld mit verschiedenen Aufgabenbereichen. In dieser Arbeit werden jedoch die Aufgaben der Sozialarbeiter im Hinblick auf die Jugendhilfe und insbesondere der Erwachsenenpsychiatrie aufgezeigt, da diese die Schnittstellen der betroffenen Familien darstellen.
Um die oben gestellte Hauptfrage beantworten zu können, werden zuerst auf einige wichtige spezifische Fragen eingegangen, und zwar:
1. In welchen Lebensumständen leben die Kinder psychisch kranker Eltern in Deutschland?
2. Was haben psychische Erkrankungen mit dem Thema Suizid gemeinsam und vor allem welches Störungsbild ist am häufigsten Suizidgefährdet?
3. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit zum Wohle des Kindes in das Elternrecht eingegriffen werden kann?
4. Welche Auswirkungen und Probleme hat das Zusammenleben mit einem psychisch kranken Elternteil?
5. Welche Bewältigungsstrategien entwickeln die betroffenen Kinder?
Durch die Beantwortung dieser spezifischen Fragen ergibt sich der folgende inhaltliche Aufbau der Arbeit.
1.3. Aufbau der Arbeit
Um aus den oben genannten Fragestellungen, in Hinblick auf die Thematik der betroffenen Kinder und ihre schwierige Lebenssituation mit einem psychisch kranken Elternteil, einen Einblick zu verschaffen, wird im Kapitel I. die Lebenssituationen von psychisch kranken Eltern und ihrer Kinder dargestellt. Daraus leitet sich im Kapitel II. die Frage nach der Bedeutung der affektiven Störungen und das klinische Bild der Depression und Manie, als die bipolar affektive Störung. Auf die Symptomatik der bipolar affektiven Störung wird deshalb spezifisch in dieser Arbeit eingegangen, da dieses Störungsbild sich zwischen zwei gegensätzlichen Polen der Gefühle schwankt, der ungewöhnlichen Niedergeschlagenheit und der ungewöhnlichen Unberechenbarkeit und somit eine ungewöhnliche, aber auch schwierige Situation für betroffene Kinder darstellt [vgl. Kapitel 4.2].
Kapitel III. geht spezifisch auf die Kinder als Angehöriger psychisch Kranker ein, die im Folgenden auf die Mutter- KindBeziehungen bei einer depressiven und einer bipolaren Störung eingeht und die damit verbundenen Probleme, Reaktionsformen und Bewältigungsstrategien der Kinder darlegt.
Im darauf folgenden Kapitel werden die Hilfemöglichkeiten der psychiatrischen Versorgung und die Leistungen der Jugendhilfe für die betroffenen Familien und ihre Angehörigen dargestellt. Im Kapitel IV werden unter anderem noch die Formen der Einbeziehung der Kinder in die Behandlung des psychisch kranken Elternteils eingegangen und die Vorteile dieser Interventionsmöglichkeiten vorgestellt. Kapitel V rundet die Arbeit mit einer Reflexion und eigener Schlussbetrachtung ab.
2. Kinder psychisch kranker Eltern
2.1. Familiensituation
In Deutschland werden jährlich etwa 1,6 Millionen Menschen aufgrund einer psychischen Erkrankung in fachärztlichen stationären Einrichtungen behandelt. In der Gesamtbevölkerung sind es rund 3% der über 21 jährigen Erwachsenen die eine psychische Störung aufweisen [Schone & Wagenblass, 2006].
Um in die Lebensumstände der betroffenen Kinder psychisch kranker Eltern einen Einblick zu verschaffen, werden einige Informationen anhand von empirischen Forschungen in verscheidenden Bereichen vermittelt. Kinder als Angehörige der psychisch kranken Eltern erleben in unterschiedlicher Art gravierende Auswirkungen als Folgen der elterlichen Erkrankung, deshalb werden die folgenden Informationen einen allgemeinen Überblick darüber geben [aaO]:
- Welche Art der psychischen Erkrankung haben die meisten Eltern?
- Welches Elternteil ist am häufigsten betroffen?
- Wie alt sind die betroffenen Kinder?
- In welchen Einkommensverhältnissen leben sie?
- Wie sieht die momentane Wohnsituation aus?
Diese Informationen sind notwendige Indizien für eine präventive und zielgerichtete sozialpädagogische Hilfe, die im späteren Verlauf der Arbeit dargestellt werden.
Die Befunde im Bereich der verschiedenen empirischen Forschungen der Lebenswelten von Kindern psychisch kranker Eltern beruhen auf den Ergebnissen des sächsischen Staatsministeriums für Soziales, Gesundheit, Jugend und Familie [Böhme, 2001] und den Ergebnissen des Praxis- und Forschungsprojektes von Schone und Wagenblass aus 2006.
2.1.1 Art der psychischen Erkrankung
Tabelle 1: Art der Erkrankung der Eltern
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
* Quelle: Schone & Wagenblass, 2006, S. 71
Diese Ergebnisse legen deutlich dar, dass die Schizophrenie und die Depression am häufigsten auftreten, wobei die Ergebnisse nur auf stationär behandelte Patienten im Zeitraum von 01.08.1999 bis 31.01.2002 beruhen und einen Abzug der häufigsten psychischen Störungen der Eltern darstellen.
2.1.2 Geschlecht des erkrankten Elternteils
Tabelle 2: Welches Elternteil hat psychische Probleme?
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
* Quelle: Böhme ,2001, S. 8: Fragenbogenerhebung Chemnitz
Die Fragebogenerhebung in Chemnitz (2001) zeigt eine geschlechtsspezifische Unterscheidung im Bereich der Häufung von psychischen Störungen bei Müttern im Vergleich zu Vätern.
Es besteht eine deutliche Mutterlastigkeit, die sich möglicherweise darauf begründen lässt, dass die meisten behandelten Patienten an einer Depression oder Schizophrenie erkrankt waren, wobei die Frauen doppelt so häufig an den beiden Formen erkranken als Männer [vgl. Kapitel 5.3.2].
Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit vorwiegend von mütterlichen Auswirkungen auf die Lebenswelten der Kinder gesprochen.
2.1.3 Alter der betroffenen Kinder
Tabelle 3: Altersgruppen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
* Quelle Böhme, 2001, S. 8 Fragebogenerhebung Chemnitz
Diese Zahlen belegen, dass Kinder in allen Altersgruppen von einer psychischen Erkrankung der Eltern betroffen sind. Eine Häufung findet besonders in der Altersgruppe zwischen dem 7. und 14. Lebensjahr statt.
Eine Erklärung für die große Anzahl der betroffenen Kinder in dieser Altersgruppe lässt sich möglicherweise darauf schließen, dass die Entwicklung einer psychischen Erkrankung bei Müttern häufig erst nach der Geburt entsteht, wobei die Diagnosestellung im Durchschnitt nach etwa 10 Jahren erfolgt: „Mehr als 50 Prozent der Patientinnen und Patienten mit einer bipolaren Störung bleiben länger als fünf Jahre nach Auftreten der ersten Symptome unbehandelt, 36 Prozent sogar länger als zehn Jahre. Bei 73 Prozent wird initial eine andere Diagnose gestellt." [Bock, T. & Koesler, A., 2005, S. 95 ff.]
Die Auswirkungen elterlicher Erkrankung auf die Kinder, gerade im Hinblick der bipolar erkrankten Elternteile, haben somit längerfristige lebensbeeinträchtigende Folgen [vgl. Kapitel 8.3].
Da Kinder in allen Altersgruppen betroffen sind, werden im weiteren Verlauf der Arbeit demnach unterschiedliche Interventionsmöglichkeiten vorgestellt [vgl. Kapitel 14].
2.1.4 Lebensort der betroffenen Kinder
Tabelle 4: Lebensorte der Kinder
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
* Quelle: Böhme, 2001, S. 8 Fragebogenerhebung Chemnitz
Aus dieser Erhebung geht deutlich hervor, dass etwa 50% der Kinder trotz einer psychischen Erkrankung der Eltern bei einem erkrankten Elternteil leben und etwa 20% der Kinder in einer Fremdunterbringung.
Bei welchem Elternteil die Kinder leben, wurde in einer Erhebung in der Stadt Bielefeld anhand der vorliegenden Zahlen aller psychiatrischen Kliniken und des Jugendamtes durchgeführt [Schone &Wagenblass, 2006].
Hierbei wird noch mal deutlich, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt, wenn die Mutter erkrankt ist, als wenn der Vater eine psychische Erkrankung aufweist.
Tabelle 5: Wenn die Mutter erkrankt war, lebten Kinder
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Schone & Wagenblass, 2006, S. 77
Tabelle 6: Wenn der Vater erkrankt war, lebten Kinder
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
* Quelle: Schone & Wagenblass, 2006, S. 77
Diese Erhebung macht deutlich, dass es mehr alleinerziehende psychisch kranke Mütter gibt, die mit ihren Kindern zusammenleben, als getrennt lebende Väter, die keine Kinder zu betreuen haben.
Es ist eine weitere Schwierigkeit für die betroffenen Kinder und ihre psychisch kranken Mütter, die durch die Alleinerziehung mehr Aufmerksam und Versorgung benötigen. Somit bedeutet das für die Soziale Arbeit, dass ein weiterer Schwerpunkt auf diese Problematik gelegt werden muss [vgl. Kapitel 14.1].
2.1.5 Einkommenssituation der Eltern
Tabelle 7: Einkommensverhältnisse der Eltern
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
* Quelle: Böhme, 2001, S. 7: Fragebogenerhebung in Chemnitz
Diese Zahlen legen offensichtlich dar, dass eine psychische Erkrankung einen großen Einfluss auf die Einkommensverhältnisse der Betroffenen darstellt. Die aktuelle Arbeitslosenquote in Deutschland beträgt ca. 7,5% (rund 3,15 Millionen Menschen in der Gesamtbevölkerung) und nimmt somit im Hinblick auf die Einkommenssituation psychisch Kranker auch wirtschaftlich betrachtet an Bedeutung zu [http://www.spiegel.de (Zugriff: 10.07.2010)].
Eine psychische Erkrankung bedeutet für den Betroffenen weniger Belastbarkeit, aber auch im Hinblick auf eine psychiatrische Vergangenheit der Betroffenen eine große Herausforderung, wieder einen Platz im Arbeitsleben zu erhalten und das eigene Einkommen zu sichern [vgl. Kapitel 5.3.4].
3. Suizidalität im Zusammenhand mit psychischen Störungen in Deutschland
In diesem Zusammenhang soll ein kurzer Überblick über die Suizidalität in Deutschland im Hinblick auf die psychischen Störungen dargestellt werden, um herauszufinden, welche psychische Erkrankung die meisten Suizidale hervorruft und somit ein weiteres Problem für die betroffenen Familien, insbesondere der kindlichen Entwicklung darstellt.
In Deutschland sterben jährlich etwa 10.000 Menschen aufgrund von Suiziden, wobei diese neben den Verkehrunfällen, Drogenmissbrauch, Verbrechen und AIDS zu 90% aufgrund einer psychischen Störung erfolgen. Weltweit sind es jährlich ca. 500.000 Suizide, wobei die Dunkelziffer aufgrund von unermittelten Todesfällen sicherlich höher ist [Hautzinger & Thies, 2009].
Die zweithäufigste Todesursache nach den Unfällen ist demnach der Suizid. Die Personen sind meistens unter 40 Jahre alt und anhand der Todesraten steht fest, dass jeder vierter Sterbefall eines Menschen unter 30 Jahren der Suizid ist [Pohlmeier, 1980].
Das Mortalitätsrisiko ist besonders dann hoch, wenn bereits ein Suizidversuch unternommen wurde, da fast jeder fünfte bis zehnte Mensch nach einem Versuch durch Suizid stirbt. [Schmidtke et al., 1998].
Nach den Angaben des statistischen Bundesamtes begannen 2008 rund 9.451 Personen einen Selbstmord. Davon waren 7.039 Männer und 2.412 Frauen, die sich das Leben nahmen [http://www.theologische-links.de (Zugriff: 20.07.10)].
Mehr Männer begehen Suizide, aber es sind die Frauen, die mehr Suizidversuche hinter sich haben. Der Grund für die hohe Rate der Suizidale von Männern liegt wahrscheinlich darin, dass Männer härtere Mittel, wie z.B. Erhängen, Sprung aus der Höhe etc. unternehmen, als Frauen, die meistens „weichere" Suizidmethoden, wie z.B. eine Tablettenüberdosis vorziehen. Trotz einer sinkenden Tendenz der Suizide werden jährlich immerhin 100.000 Selbstmordversuche unternommen, ohne dass der Tod erfolgt [Bronisch, 1995].
Die WHO Studien belegen, dass Betroffene mit Suizidgedanken meistens in den ersten Wochen vor dem Suizid einen Arzt aufsuchen, der wiederum die offenbare Suizidgefährdung des Patienten nicht als solche erkennt und demnach nicht richtig behandelt [Möller et al., 1994]. Dieses schwerwiegende Problem wurde erst nach einer Sitzung der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) 2001 in Berlin zur Sprache gebracht und über die relevanten Suizidpräventionen diskutiert [Wassermann, 2002].
Es zeigt sich noch heute, dass viele behandlungsbedürftige Patienten, die jedoch nicht als solche erkannt werden, große Folgen für die Familienmitglieder und den Betroffenen mit sich tragen [vgl. Kapitel 10].
Die affektiven Störungen, darunter die Depression, zählen zur größten Risikogruppe der psychischen Störungen, besonders mit einer Begleiterkrankung [vgl. Kapitel 5.4.3]. Insgesamt ist das Suizid bei einer Depression um das 15 bis 20 fache erhöht und rund 4% der depressiven Patienten begehen einen Suizid [Pohlmeier, 1980].
Eine weitere große Risikogruppe der affektiven Störungen stellen die bipolaren Störungen dar, wobei ca. 10 bis 15% der Patienten ebenfalls mit einem hohen Risiko Suizid begehen [Pohlmeier, 1980].
Affektive Störungen sind demnach eine ernst zu nehmende Problematik, denn: „Mehr als die Hälfte aller vollendeten Suizide geschehen im Verlauf einer depressiven Erkrankung. Etwa 15% aller Depressiven nehmen sich das Leben." [vgl. Hautzinger, M. & Thies, E., 2009, S. 75]
Somit haben diese gravierenden Zahlen eine große Bedeutung für die Soziale Arbeit. Daher werde ich im folgenden Kapitel zu nächst einmal die affektiven Störungen definieren und auf das klinische Krankheitsbild der bipolaren Störungen eingehen, sowie in den folgenden Kapitel die daraus ergebenen Schwierigkeiten, Risiken und Hilfemaßnahmen für die Betroffenen und ihre Angehörigen aufzeigen.
Teil II.STÖRUNGSBILD
4. Was sind Affektive Störungen?
Affektive Störungen sind durch die starken Beeinträchtigungen der Stimmung (des Affekts) gekennzeichnet und beinhalten unterschiedliche Störungsformen und -verläufe. Tendenziell sind sie durch phasenhafte Verläufe charakterisiert, die durch: Depression, Manie, Hypomanie, Zyklothymie und Dysthymie gekennzeichnet sind [R. Lemke, 2004].
Affektive Störungen, sei es in Form einer ungewöhnlich gehobenen Stimmungslage (Manie) oder einer ungewöhnlich gedrückte Stimmungslage (Depression), stellen für den Betroffenen eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Lebensumstände dar. Die häufigste Störungsform der affektiven Störungen ist die Depression: „Fast jeder Fünfte (jede vierte Frau und jeder achte Mann) ist mindestens einmal im Leben davon betroffen" [vgl. Hautzinger, M. & Thies, E., 2009, S. 63]
4.1. Definition und Klassifikation
Im ICD 10 unter F3 codierten affektiven Störungen werden unter folgenden Subtypen unterschieden und klassifiziert:
Abbildung 1: Subtypen der affektiven Störungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
* Quelle: Paulitsch, 2009, S.
4.2. Symptome der Subtypen
In diesem Kapitel werden im Einzelnen die Symptome der oben genannten affektiven Störungen nach dem ICD 10 dargestellt.
Die Kriterien der psychischen Störungen, hierbei die bipolaren Störungen sind: „Um die Diagnose einer psychischen Störung zuverlässig und vergleichbar stellen zu können, [...] in Deutschland die von der Weltgesundheitsorganisation erarbeiteten diagnostischen Leitlinien verbindlich." [vgl. Schaub et al., 2004, S. 15]
4.2.1 Manische Episode (F30)
Die manische Episode kann sich in einer Hypomanie, einer Manie mit und ohne psychotische Symptome je nach der Schweregrad des Betroffenen äußern.[1]
Symptome der Hypomanie (F30.0) anhaltende leicht gehobene Stimmung gesteigerter Antrieb und Aktivität ein anhaltendes Gefühl von Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit gesteigerte Geselligkeit, Gesprächigkeit und übermäßige Vertraulichkeit gesteigerte Libido und ein vermindertes Schlafbedürfnis Reizbarkeit, Selbstüberschätzung und flegelhaftes Verhalten Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit und Konzentration und damit verbundene Einschränkungen im Alltag Interesse an neuen Unternehmungen etwas überhöhte Geldausgabe Die Dauer der Symptomatik der Hypomanie müssen beim Betroffenen mindestens vier Tage anhalten und mindestens drei der o.g. Symptome beinhalten, um die Kriterien nach dem ICD 10 für eine hypomanische Störung erfüllen zu können [Meyer & Hautzinger, 2004].
Manie ohne psychotische Symptome (F30.1)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten [2]
Die Manie ohne psychotische Symptome beeinträchtigt den Betroffenen mindestens eine Woche andauernd in der sozialen und beruflichen Funktionsfähigkeit und kennzeichnet sich durch eine deutlich gereizte und meist misstrauische Stimmungslage aus [R. Lemke, 2004].
Manie mit psychotischen Symptomen (F30.2) Die Symptome der Manie (F30.1) werden mit zusätzlichen psychotischen Symptomen begleitet, die mindestens eine Woche beim Betroffenen andauern: Verfolgungswahn, Größenideen religiöse Wahnvorstellungen, die die eigene Rolle betreffen Unverständlichkeit durch Ideenflucht und Rededrang Aggression, Gewalt und Verwahrlosung Jedoch wird durch diese Affektstörungen das komplette Leben stark beeinträchtigt (s.u. Fallbeispiel) und zudem geht durch den Betroffenen Wahnvorstellungen der Realitätsbezug verloren, was wiederum zu großen Schwierigkeiten in der Behandlung solcher Patienten führt [Stark et al., 1997].
Zur Verdeutlichung der schwierigen Lebensumstände der Betroffenen wird ein Fallbeispiel dargestellt.
Fallbeispiel:
Herr G. ist 25 Jahre alt. Bis vor anderthalb Wochen war er ein unauffälliger junger Mann, der seiner Arbeit nachging. Doch innerhalb weniger Tage hat er sich radikal verändert: Er hat einen hohen Kredit aufgenommen und seine Arbeit gekündigt, um neue radikale Geschäftsideen zu verwirklichen. Mit dem Geld hat er sich jedoch gleich zwei teure Sportwagen gekauft. Seine Stimmung ist außergewöhnlich gut, er schläft fast gar nicht mehr und kann kaum noch ruhig sitzen. Er ist der Meinung, er könne alles schaffen, was er sich vornehme, und werde bald Millionär sein. Was seine Geschäftsideen angeht, so fallen ihm immer neue Möglichkeiten ein, wobei er nie lange bei einer Idee bleibt. [Hautzinger & Thies, 2009, S. 64]
Die besondere Schwierigkeit bei den manischen Episoden kommt noch hinzu, dass von seitens der Betroffenen keine Krankheitseinsicht besteht. Die betroffenen empfinden die Manie, besonders nach einer schweren depressiven Episode, als eine Erlösung [Stark et al., 1997].
4.2.2 Depressive Episode (F32)
Für eine Diagnose der depressiven Episode, muss beim Betroffenen fast täglich 2 Wochen anhaltend und mindestens zwei der folgenden Symptome vorhanden sein [Meyer & Hautzinger, 2004]:
gedrückte Stimmung (ändert sich wenig von Tag zu Tag, meist situationsabhängig, häufig charakteristische Tagesschwankungen) Interessenverlust, Freudlosigkeit, erhöhte Ermüdbarkeit, Aktivitätseinschränkungen jedoch kann bei ungewöhnlicher Schwere der Symptomatik auch eine kürzere Dauer für die Diagnosestellung erfüllt werden
Weitere häufige Symptome der depressiven Episode sind:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese genannten Symptome können mit zusätzlichen somatischen Symptomen begleitet auftreten, die mit mindestens vier der aufgeführten Symptomatiken einhergehen [Hautzinger, 1998]:
Interessenverlust oder Freudlosigkeit mangelnde Fähigkeit, situationsadäquat emotional zu reagieren frühmorgendliches Erwachen (zwei bis drei Stunden vor der gewohnten Zeit) objektive psychomotorische Hemmungen oder Agitiertheit deutlicher Appetitverlust (mit ca. 5% Gewichtsverlust) deutlicher Libidoverlust[3]
4.2.3 Körperliche Symptome
Betroffene leiden neben den affektiven, kognitiven und motorischen Symptomen auch unter zahlreichen körperlichen Symptomen. Besonders häufig werden die folgenden Beschwerden berichtet [R. Lemke, 2004]:
Kopfschmerzen Druck in der Brust Herzbeschwerden Rückenschmerzen Magen-/ Darmbeschwerden Unterleibsbeschwerden So beschreibt eine depressive Patientin ihre körperlichen Schmerzen:
„Ich bin körperlich sehr gesund und habe eigentlich nie Schmerzen. In der Depression tauchen sie auf, heftig und an verschiedenen Stellen. Ich spüre einen starken Druck im Kopf und in den Ohren. Auf der Brust habe ich ein Engegefühl, als wäre ein eiserner Reifen darum gezogen. In der Magengegend tut es richtig weh, als hätte ich einen Boxerschlag hineinbekommen." [vgl. Hegerl, U. & Niescken, S., 2008, S. 15]
4.2.4 Schweregrad der depressiven Episoden
Depressionen können sich je nach dem Schweregrad der vorhandenen Symptome unterschiedlich kennzeichnen, diese Episoden werden im ICD 10 im Folgenden kodiert:
Leichte depressive Episode (F32.0)
Für die Diagnose der leichten depressiven Episode müssen zwei der Hauptsymptome und zwei der weiteren häufigen Symptome erfüllt sein (s.o.). Bei der leichten Form der Depression können Betroffene, trotz der vorhandenen Symptome, ihren Alltag ohne große Schwierigkeiten bewältigen. Diese Symptome werden für den Betroffenen selber nicht als stark ausgeprägt und quellend empfunden, so dass keine starke Aktivitätsminderung im Alltag stattfindet [Schaub et al., 2004].
Mittelgradige depressive Episode (F32.1)
Für die mittelgradige depressive Episode müssen mindestens zwei der Hauptsymptome und drei der weiteren Symptome wie z.B. Schuldgefühle, Suizidgedanken etc. vorhanden sein. Beim Betroffenen sind diese Symptome stark ausgeprägt und führen im Alltag zu erheblichen Schwierigkeiten, insbesondere im sozialen und beruflichen Kontext [Schaub et al., 2004].
Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (F32.2)
Bei der schweren depressiven Episode führen alle drei Kernsymptome und mindestens vier der weiteren Symptome beim Betroffenen zu einen erheblichen Leidensdruck und Beeinträchtigungen im Alltag. Diese Symptome erschweren das Bewältigen des Alltags, insbesondere soziale und berufliche Aktivitäten sind kaum noch auszuführen, wobei einige der Symptome, wie z.B. Gefühle der Wertlosigkeit oder Suizidgedanken besonders stark ausgeprägt sind. Der Betroffene ist in seinem Alltag besonders stark eingeschränkt und empfindet seine Situation sinnlos und hoffnungslos [Schaub, et al., 2004].
Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen (F32.3)
Diese Symptomatik erfüllt alle Kriterien der F32.2 und tritt mit zusätzlichen psychotischen Symptomen auf [aaO]. Die Betroffenen sind besonders gekennzeichnet durch Wahnideen, Halluzinationen und depressiver Stupor[4]: „[...] häufig Ideen der Versündigung, der Verarmung oder einer bevorstehenden Katastrophe, für die sich der Betroffene verantwortlich fühlt [...]" [vgl. Stark, M. et. al., 1994, S. 17]
5. Definitionskriterien - Klassifikation bipolar affektiver Störungen nach ICD-10/ DSM IV
Die Klassifizierung der bipolaren Störungen werden nach dem ICD 10 in unterschiedlichen Formen im Verlauf der Krankheit durch abwechselnde manische, hypomanische, gemischte und depressive Phasen codiert und: „Bei diesen wird jeweils zusätzlich anhand der Schwere und des Vorliegens psychotischer Symptome differenziert." [vgl. Meyer, T. & Hautzinger, M., 2004, S. 7]
Somit wird durch die aufgeführten Symptomatiken im letzten Kapitel, anhand von unterschiedlicher Episodenverläufe im ICD 10 von F31.0 bis F31.9 klassifiziert und diagnostisiert (s.d. Anhang I).
Die Klassifikationskriterien werden, im Hinblick auf die bipolaren Störungen, häufig anhand der differenzielldiagnostischen Begriffsverwendungen aus dem DSM IV verwendet, die sich in Bipolar I und Bipolar II Störung kennzeichnen (s.d. Anhang I) [Zaudig et al., 2000].
5.1. Formen der bipolaren Störungen
Bipolare Erkrankungen verlaufen individuell unterschiedlich und erscheinen meistens in einzelnen Krankheitsepisoden, wobei die Phasendauer unregelmäßig verläuft und bei allen Betroffenen individuell andauert. Jedoch können diese Phasen unbehandelt Wochen, Monate aber auch Jahre andauern [Hegerl et al., 2008]. Im Episodenverlauf können sowohl einzelne manische und depressive Phasen als auch gemischte Formen auftreten [Meyer & Hautzinger, 2004].
Die unten abgebildete Graphik zeigt einen solchen Phasenverlauf in verschiedenen Episodenverläufen, die bei bipolaren Störungen auftreten können:
Abbildung 2: Phasen der bipolaren Störungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
* Quelle: http://www.psychose.de, (Zugriff: 17.07.10)
5.1.1 Bipolar I Störung
Die Bipolar I Störung beinhaltet sowohl manische als auch depressive Phasen, wobei mindestens eine manische Episode ausgeprägt ist und mindestens länger als 14 Tage andauert [Schaub et. al., 2004].
Abbildung 3: Phasen der Bipolar I Störung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
* Quelle: http://www.psychose.de, (Zugriff: 17.07.10)
5.1.2 Bipolar II Störung
Die Bipolar II Störung beinhaltet depressive Episoden mit hypomanischen Episoden, die im Wechsel auftreten, wobei die Hypomanie weniger ausgeprägt auftritt als die depressive Episode [Schaub et al., 2004].
Abbildung 4: Phasen der Bipolar II Störung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
* Quelle: http://www.psychose.de, (Zugriff: 17.07.10)
5.1.3 Rapid Cycling
„Einen besonderen Subtypus bipolarer Störungen hinsichtlich des Verlaufs stellt im DSM-IV die Kategorie Rapid Cycling dar, die im ICD- 10 unter F31.8 "sonstige bipolare affektiver Störungen' mit dem Zusatz "schnelle Phasenwechsel' kodierbar ist" [Vgl. Meyer, T. & Hautzinger, M., 2004, S. 14]
Bei dieser Art der bipolaren Störung erleben Betroffene innerhalb eines Jahres mindestens vier Episoden, die in Form einer Manie, Hypomanie und Depression im schnellen Wechsel auftreten [Schaub et al., 2004].
„Sie macht ca. 20 Prozent der bipolaren Störungen aus. Die diagnostische Feststellung ist hoch relevant für die therapeutische Entscheidung." [vgl. Bock, T. & Koesler, A., 2005, S. 105]
Daher stellt es für die Behandlung solcher Patienten eine große Schwierigkeit dar, denn diese Symptomatik kann auch zum Teil im Stundentakt wechseln, so dass es für die jeweiligen Phasen zu einer großen Gefühlsschwankung kommt, die mit unterschiedlichen Gefühlstimmungen einhergehen und eine stationäre Behandlung von Nöten wird [R. Lemke, 2004].
Abbildung 5: Phasen der Rapid Cycling
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: http://www.psychose.de, (Zugriff: 17.07.10)
5.1.4 Mischzustände
Die Symptome der Manie und der Depression können in einem gemischten Zustand auftreten und zu Mischzuständen führen. Hierbei handelt es sich um eine gleichzeitig auftretende Symptomatik von einer niedergedrückten Stimmungslage, die mit Selbstmordgedanken einhergehen und einer Beschleunigung vom Denken, Sprechen und exzessiven Handeln. Dadurch ist die Selbstmordgefahr bei Betroffenen dieser Art der Störung als besonders hoch angesehen, da die Suizidgedanken mit der gesteigerten Aktivität ein erhöhtes Suizidrisiko darstellen können [Stark et al., 1997].
Abbildung 6: Phasen der gemischten Episoden
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: http://www.psychose.de, (Zugriff: 17.07.10)
5.1.5 Zyklothyme Störungen
Diese Art der bipolaren Störung ist eine chronisch verlaufende affektive Störung. Bei der Zyklothymia erleben die Betroffenen mindestens über zwei Jahre mehrere leichte depressive und hypomane Phasen. Es wird als eine abgeschwächte Form der bipolaren Störung bezeichnet, da weder die Kriterien für eine manische noch für eine schwere depressive Episode erfüllt sind [Meyer & Hautzinger, 2004]. Die Betroffenen erleben diese Form als nicht beeinträchtigend und nicht belastend für ihren Alltag und lassen sich deshalb meistens nicht ärztlich behandelt [Stark et al., 2004].
Abbildung 7: Phasen der zyklothymen Störung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
* Quelle: http://www.psychose.de, (Zugriff: 17.07.10)
5.2. Epidemiologie
5.2.1 Bipolar I Störung
Die Bipolar I Störung ist keine geschlechtsspezifische Erkrankung wie die unipolare Depression, sondern tritt bei Frauen und Männern gleich häufig auf. Durch zahlreiche Studien, wie etwa von Kessler et al. (1994) oder Weissman et al. (1988), konnte festgestellt werden, dass das Erkrankungsrisiko mit voll ausgeprägten Episoden der Manien und Depressionen bei ca. 0,4 bis 1,9% liegt. Die bipolare Störung ist zwar nicht so häufig wie die unipolare Depression, aber trotz allem betrifft es im Durchschnitt etwa eine Person von 100, die im Laufe ihres Lebens eine Bipolar I Störung entwickelt [Meyer & Hautzinger, 2004].
5.2.2 Bipolar II Störung
Die Bipolar II Störung wurde bislang nicht ausreichend epidemiologisch untersucht und die bisherigen Werte belegen, dass diese Störung weniger als die Bipolar I Störung, mit 0,5 % Erkrankungsrisiko ausgeprägt ist. Nach den diagnostischen Berichten zufolge gehen Akiskal (1996) und Hautzinger/ Meyer (2001) davon aus, dass die behandlungserforderlichen Diagnosen bei den Patienten mit hypomanen Episoden nicht ausreichend behandelt werden oder gar übersehen werden, wobei die Zahl des Erkrankungsrisikos im Durchschnitt geringer betrachtet wird, als sie wirklich sei [Meyer & Hautzinger, 2004]. Benazzi (1997), Goldberg et al. (2001) und Manning et al. (1997) gehen davon aus: „Wenn im Längsschnitt eine systematische Beobachtung erfolgt, führt dies bei 27-45 % der Patienten mit der Eingangsdiagnose "unipolare Depression' zu einer Änderung in Bipolar II und zum Teil sogar in Bipolar I [...]" [vgl. Meyer & Hautzinger, 2004, S. 17]
5.2.3 Zyklothyme Störung
Die Häufigkeit der zyklothymen Störung ist bislang ebenfalls wenig erforscht worden und dementsprechend fehlen in diesem Bereich wichtige empirische Daten: „Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass in den gängigen Diagnoseinstrumenten im Gegensatz zur Dysthymie die Kriterien für die zyklothyme Störung nie durch explizite Fragen abgedeckt werden." [vgl. Meyer & Hautzinger, 2004, S. 17]
Die Krankeitshäufigkeit liegt schätzungsweise nach den vorliegenden erfassungsinstrumentalen Daten von Faravelli et al. (1990) und Howland/ Thase (1993) bei 0,4 bis 5 %. In den meisten Fällen, wie die Studien von Akiskal et al. (1979) und Lewinsohn et al. (2003) darlegen, wird dann eine Diagnose der Bipolar I- oder II- Störung gestellt, wenn sich die Ausprägungen der manischen und depressiven Episoden im Verlauf der Erkrankung stärker aufweisen [Meyer & Hautzinger, 2004].
5.3. Verlauf der bipolaren Störungen
5.3.1 Beginn der Ersterkrankung
Es gibt viele verschiedene Studien, die bislang den Erkrankungsbeginn der bipolaren Störungen gut erforscht haben und die vorliegenden Daten gaben an, dass das Durchschnittsalter der Ersterkrankung zwischen dem 17. und 21. Lebensjahr beginnt [Meyer & Hautzinger, 2004].
So legt die Studie von Goodwin& Jamison (1990) dar, dass das Durchschnittsalter bei der ersten Diagnosestellung für eine bipolare Störung meistens erst im Alter von 30 Jahren erfolgt, wobei die erste Diagnosestellung nicht immer dem Ersterkrankungsalter der Patienten entsprechen.
Nach den Angaben von Joyce (1984) und Weissmann et al. (1988) treten in den meisten Fällen die ersten Symptome der bipolaren Störung Anfang dem 20. Lebensjahr, also im frühen Erwachsenenalter, auf [Meyer & Hautzinger, 2004].
Einige Studien, wie die NDMDA (2001) gehen sogar davon aus, dass der Beginn der Erkrankung bereits im Jugendlichenalter auftreten kann, wobei die notwendige professionelle Diagnosestellung etwa nach 6 Jahren darauf erfolgt:
„Je jünger die Patienten beim Auftreten erster Symptome sind, desto häufiger findet man bereits im familiären Umfeld Hinweise auf affektive Störungen. Das Erkrankungsalter hat dabei eine große prognostische Bedeutung. Je früher manisch- depressive Störungen beginnen, desto häufiger muss man mit dem Auftreten von sog. Gemischten Episoden, psychotischen Symptomen, Suizidalität und komorbiden Störungen rechnen [...]" [Bellivier et al., 2001; Hays et al., 1998; L. Johnson et al., 2000; Schurhoff et al., 2000 in: Meyer& Hautzinger (2004), S. 18]
5.3.2 Häufigkeit und Dauer der Störungsphasen
Angst et. al. (1979) gehen davon aus, dass bipolar affektive Störungen im Zeitraum von 25 Jahren etwa mit 12 Phasen auftreten können, wobei die Erkrankung meistens rezidiv verläuft und die Häufigkeit der Episodendauer unterschiedlich auftreten kann. Nach den Angaben von Goodwin& Jamison (1990) kamen ältere Studien auf geringere Werte von Episodenverläufen, da nur die Patienten in den Studien berücksichtigt wurden, die auch in einer klinischen Einrichtung behandelt wurden [Meyer & Hautzinger, 2004].
Die Häufigkeit der Phasen liegt bei Betroffenen mit der Bipolar I Störung im Durchschnitt bei etwa 8 bis 12 depressiven Phasen und bei etwa 4 bis 8 manischen Phasen, die die Patienten im Krankheitsverlauf durchleben. Im Durchschnitt wird die Dauer der akuten Phasen mit 8 bis 10 Wochen gemessen: „[...] wobei vor allem gemischte Episoden dazu tendieren, länger als rein depressive oder rein manische Phasen anzuhalten [...]" [Coryell& Winokur, 1992 in: Meyer & Hautzinger (2004), S. 18]
Bei Bipolar II Störungen erleben Betroffene häufiger unipolare depressive Episoden, die mit einem früheren Erkrankungs- und Selbstmordrisiko einhergehen. Laut Coryell et al. (1989) entwickeln nur wenige Patienten eine ausgeprägte manische Episode und die meisten Betroffenen ein stabiles Krankheitsbild mit stark ausgeprägten depressiven Episoden. Aufgrund dessen, dass erst in den letzten Jahren eine vermehrte Aufmerksamkeit für die Bipolar II Störung entwickelt wurde, gibt es keine ausreichenden Kenntnisse über den Verlauf dieser Störung [Meyer & Hautzinger, 2004].
Aus dem Grund wurden mehrere Patienten über Jahre falsch diagnostisiert und nur aufgrund der unipolaren depressiven Störung behandelt, wodurch sich die hypomanen Phasen im Krankheitsverlauf stärker ausprägen und somit einen chronischen Verlauf entwickeln können [Stark et al., 1997].
5.3.3 Häufigkeit in Deutschland
In Deutschland leiden ca. 2 Millionen Menschen an einer bipolaren Störung. Die Lebenszeitprävalenz[5] liegt bei der Bipolar I Störung mit 0,5 bis 2,4% und die Bipolar II Störung mit 0,2 bis 5,0% in der Allgemeinbevölkerung: „[...] d.h. in Deutschland leiden somit etwa 800.000 bis 1 Mio. Menschen an der klassischen Form der manischdepressiven Störung." [vgl. Meyer & Hautzinger, 2004, S. 17] Insgesamt betrachtet liegt die Lebenszeitprävalenz der bipolaren Störungen in der Gesamtbevölkerung bei etwa 5% [Meyer & Hautzinger, 2004].
Auf eine große Stadt wie Hamburg bezogen liegt die Anzahl der Betroffenen mit einer bipolaren Störung bei etwa 18.000 bis 70.000 Menschen [http://www.psychose.de (Zugriff: 26.07.10)].
5.3.4 Rückfall - Rezidivität
Das Rückfallrisiko für Patienten mit einer bipolaren Störung nach der ersten Krankheitsepisode liegt nach den Angaben von APA (1994) und Prien/ Potter (1990) bei einer 50 prozentigen Wahrscheinlichkeit, eine erneute Episode innerhalb eines Jahres zu bekommen, wenn keine medikamentöse Behandlung vorliegt [Meyer & Hautzinger, 2004].
Bereits mit einer medikamentösen Behandlung ist eine Remission[6] schwierig zu erlangen und im Verlauf der Erkrankung bleibt trotz allem oft ein Rückfallrisiko bestehen. Diese Rückfallwahrscheinlichkeit, auch bei Patienten mit einer guten medikamentösen Behandlung, wiesen Coryell et al. (1995) und Gitlin et al. (1995) nach. Eine vollständige Remission der bipolaren Störungen wird nach den Angaben von Goodwin/ Jamison (1990) und Winokur et al. (1993) immer mehr in Frage gestellt, da es sich im Verlauf einer bipolaren Störung, die Häufungen von schwer ausgeprägten Phasen der Manie und Depression immer mehr ausprägen, wobei die symptomfreien Abschnitte (Intervalle) immer kürzer verlaufen [Meyer & Hautzinger, 2004].
Für etwa die Hälfte der Betroffenen gibt es nachweisliche Folgen mit psychosozialen Beeinträchtigungen, da nach den Angaben von Goldberg/ Harrow (1999) und Keck et al. (1998) etwa 10 bis 15 % der Patienten nach dem Krankheitsbeginn einen ungünstigen Verlauf der Störung aufweisen, wobei nur wenige Verbesserungen erfolgen [aaO].
„Es ist dabei wichtig, zwischen syndromaler[7] und funktionaler Remission im Hinblick auf die Beurteilung des Zustands eines Patienten zu differenzieren, denn Patienten, die aktuell nicht die Kriterien für eine affektive Episode erfüllen, können dennoch Symptome aufweisen und beeinträchtigt sein. Etwa 40 % der Patienten zeigen auch zwei Jahre nach einem Krankheitsaufenthalt noch deutliche Beeinträchtigungen bei ihrer Arbeit [...]" [Hammen et al., 2000 in: Meyer & Hautzinger (2004), S. 19]
5.4. Komorbidität
„Wenn ein Betroffener nicht nur an einer bipolaren Erkrankung leidet, sondern zusätzliche Symptome zeigt, spricht man von einer komorbiden Erkrankung." [vgl. Schneider, M., 2009, S. 434] Die Wahrscheinlichkeit, an einer komorbiden Störung zu erkranken, liegt bei bipolaren Störungen insgesamt bei etwa 50 bis 65 % [Meyer & Hautzinger, 2004] und erfordert dementsprechende intensive Behandlungsmaßnahmen [Dilling, 2007]. Im folgenden Kapitel werden die häufigsten komorbiden Erkrankungen der bipolaren Störungen aufgezeigt.
5.4.1 Substanzmissbrauch und -abhängigkeit
Eine komorbide Erkrankung im Zusammenhang mit Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit liegt bei Patienten mit einer unipolaren Depression bei etwa 15%, mit einer Dysthymia bei etwa 30% und mit einer bipolaren Störung bei etwa 60 bis 70% [Dilling, 2007]. Besonders hoch eingeschätzt werden die Bipolar I Patienten mit 60% Auftrittswahrscheinlichkeit und etwa 50% der Bipolar II Patienten. Laut Winokur et al. (1998) weisen Betroffene mit einer bipolaren Störung viel häufiger Probleme mit Alkohol- und Substanzabhängigkeit auf, als Patienten mir einer unipolaren Depression [Meyer & Hautzinger, 2004].
Die Problematik bei erhöhtem Alkohol- und Substanzkonsum liegt besonders darin, dass bipolar erkrankte Patienten einen früheren Verlauf der Symptomatik entwickeln können und demnach öfter in stationären Kliniken untergebracht werden müssen, wodurch die Erkrankung einen ungünstigen Verlauf annimmt. In manischen Phasen neigen die meisten Patienten besonders zu Selbstmedikation, wie z.B. Cannabis-, Kokain- und Analeptikamissbrauch, die somit die Ausprägung der Manien relativ verschlimmern [aaO].
5.4.2 Persönlichkeitsstörungen
Nach Vieta et al. (2000) entwickeln besonders Patienten, die unter Manien leiden, mit etwa 33%, häufig eine Persönlichkeitsstörung [R. Lemke, 2004].
Diese Komorbidität belegen auch Meyer& Hautzinger (2000 a), denn den Angaben zufolge wurden bei 22 bis 50% der bipolar erkrankten Patienten eine Persönlichkeitsstörung nachgewiesen. Durch eine solche Zusatzdiagnose müssen diese ausgeprägten Persönlichkeitsmerkmale des Betroffenen, wie dramatisch - emotional oder ängstlich - selbstunsicher, in der Therapieplanung mit berücksichtigt werden [Meyer & Hautzinger, 2004].
5.4.3 Angststörungen
Mit 42 % erwiesen sich Angststörungen als eine weitere häufige komorbide Zusatzdiagnose bei bipolar erkrankten Patienten. Freeman et al. (2002) haben verschiede Studien zusammengestellt und die häufigsten Angststörungen im Hinblick der Komorbidität mit der bipolaren Erkrankung zusammengetragen [Meyer & Hautzinger, 2004].
Die Studie stellte bei 10,8 bis 20,8% der Betroffenen eine komorbide Panikstörung fest, die sich mit und ohne eine Agoraphobie aufzeigte. Im Zusammenhang mit einer Angststörung lag die Wahrscheinlichkeit bei 9 bis 35%, eine Zwangstörung zu entwickeln. Darunter wurden auch andere Angststörungen, wie z.B. eine soziale Phobie zu entwickeln, ebenfalls relativ häufig gemessen [aaO].
„Generell lassen sich bei Patienten mit zusätzlichen Angstsymptomen mehr depressive Verstimmungen, eine erhöhte Suizidalität und auch verzögerte Remission akuter Episoden beobachten [...]" [Frank et al., 2002 in: Meyer& Hautzinger (2004) S. 20]
In der Studie von Vieta (2000) wurden unter anderem auch über das Suizidrisiko im Zusammenhang mit und ohne eine Begleiterkrankung erforscht. Die Ergebnisse basieren auf Patienten mit einer Manie und Patienten, die zusätzlich noch mindestens eine weitere psychische Erkrankung aufwiesen. So legte die Studie dar, dass sich das Suizidrisiko in der Gruppe mit mindestens einer zusätzlichen psychischen Erkrankung mit 74% als relativ hoch erwies und in der Gruppe mit einer Manie im Vergleich geringer mit 24%. Gravierende Unterschiede wiesen auch die Suizidversuche in den beiden Gruppen nach, denn in der Gruppe mit einer komorbiden Störung wurden 45% der Suizidversuch gemessen und in der anderen Gruppe 5% [R. Lemke, 2004].
Somit liegen komorbide Erkrankungen, besonders im Hinblick der bipolaren Störungen, eng mit dem Suizidrisiko zusammen.
6. Ätiologie der affektiven Störungen
Wodurch affektive Störungen entstehen und welche Ursachen es dafür gibt, hängen von mehreren Faktoren ab, so bspw.: „Bei der Entstehung affektiver Störungen spielen psychologische und biologische Faktoren eine Rolle." [vgl. Hautzinger & Thies, 2009, S. 67]
Es gibt bereits gut erforschte biologische Erklärungsansätze aus Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien, die das erhöhte Risiko von familiären Häufungen bei affektiven Störungen belegen [vgl. Kapitel 8.1.1].
„Wie bei fast allen psychischen Störungen muss auch bei den affektiven Störungen von einer komplexen genetischen Grundlage ausgegangen werden." [vgl. Hautzinger & Thies, 2009, S. 70] Nach Schumacher et al. (2002) spielen die Gene bei bipolaren Störungen eine größere Komponente, als bei der unipolaren Depression. Angehörige haben 15 bis 20% erhöhtes Risiko eine Depression zu entwickeln, als im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe mit ca. 7 bis 10% Auftrittswahrscheinlichkeit [Meyer & Hautzinger, 2004].
Als eine weitere Ursache ist eine nachweisliche Stoffwechselstörung im Gehirn für die Entwicklung zuständig: „Da Antidepressiva wie Trizyklika, MAO- Hemmer, selektive Serotonin- bzw. Noradrenalin- Wiederaufnahmehemmer auf die Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin wirken [...], ist davon auszugehen, dass bei affektiven Störungen neurochemische Prozesse gestört sind." [vgl. Hautzinger & Thies, 2009, S. 71]
7. Behandlungsmöglichkeiten der affektiven Störungen
Für die Behandlung der bipolaren Störungen werden aufgrund der gegensätzlichen Symptomatiken (Depression und Manie) unterschiedliche Methoden und Medikamente eingesetzt. Die wichtigsten Behandlungsmöglichkeiten werden im Folgenden dargestellt.
7.1. Psychotherapieformen bei Depression
Die Psychodynamische Therapieform versucht durch die Psychoanalyse, die unbewussten Ursachen des Patienten so aufzudecken, dass der Betroffene über die in sich gerichteten Hassgefühle, durch diese Art der Therapie ablegen und abbauen kann. Es wurde wissenschaftlich bewiesen [Leichsenring et al., 2004], dass durch die Psychoanalyse eine Verbesserung der depressiven Symptome bei Patienten erwiesen werden konnte [Hautzinger & Thies, 2009].
7.1.1 Die interpersonale Psychotherapie bei Depression
„Die interpersonale Psychotherapie (IPT) wurde speziell für die Behandlung unipolare Depressionen entwickelt." [vgl. Hautzinger & Thies, 2009, S. 72] Diese Therapieform wird mit einer Pharmakotherapie kombiniert durchgeführt und hat das Ziel, die zwischenmenschlichen Probleme von Patienten, die sich in einer Depression befinden, abzuschaffen und neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln [Hautzinger & Thies, 2009].
Diese Schritte werden in drei Therapiephasen durchgeführt:
Phase 1:
- Information des Patienten über die Störung und Behandlungsmöglichkeiten;
- Vermittlung von Hoffnung;
- Psychoedukation eines psychobiologischen Krankheitsmodells;
- Identifikation relevanter zwischenmenschlicher Problembereiche und Definition der Therapieziele.
Phase 2:
- Bearbeitung der vereinbarten Bereiche anhand verschiedener Methoden (z.B. Klärung,
Ressourcenaktivierung, interpersonelle Strategien);
Phase 3:
- Bearbeitung des Therapieendes als Trauer- und Abschiedsprozess;
- Zusammenfassung der erzielten Fortschritte;
- Rückfallprophylaxe[8] [Hautzinger & Thies, 2009, S. 72]
7.1.2 Kognitive Verhaltenstherapie bei Depression
In der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) nach Beck geht es um die Behandlung der verzerrten Wahrnehmung von depressiven Patienten und den Abbau der dadurch hervorgerufenen negativen Gefühle. Die Patienten sollen durch die KVT neue Sichtweisen, Erklärungen und Interpretationen entwickeln und die depressiven Symptome somit abbauen [Hautzinger & Thies, 2009].
Zur Erkennung und Veränderung von verzerrten Kognitionen werden folgende drei Methoden angewendet:
1. Gedankenprotokolle
- Protokolle zum schriftlichen Festhalten automatischer Gedanken und deren emotionalen Folgen in konkreten Situationen.
2. Sokratischer Dialog
- Technik, bei der der Patient durch Fragen angeleitet
wird, seine Gedanken auf ihre Evidenz zu überprüfen, z.B. in dem Argumente für und gegen einen Gedanken gesammelt werden.
3. Realitätstest
- Erarbeitung und Vorbereitung von Situationen, in denen Gedanken und Überzeugungen durch Ausprobieren auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden [Hautzinger & Thies, 2009, S. 73].
In dieser Therapieform sollen nicht nur automatische Gedanken abgebaut werden, wie z.B. „Ich war mal wieder zu blöd, das richtig zu machen", sondern auch die Überzeugungen vom negativen Schematadenken wie z.B. „Ich bin unfähig, mein Leben zu bewältigen" abgebaut werden [aaO.]
7.1.3 Aktivitätsaufbau und Kompetenztraining
Ein weiteres Element der KVT ist das Training von sozialen Fertigkeiten und Aktivitätsaufbau. Das Ziel der Therapie ist vor allem, dass bei depressiven Patienten das Aktivitätsniveau durch z.B. Rollenspiele aktiviert und gefördert werden sollen und ungünstige Verhaltensweisen wie Grübeln und sozialer Rückzug verringert werden [aaO].
Als Verstärkung dieser Elemente werden von Patienten Tagebücher geführt, in dem sie ihre Einträge in Gruppensitzungen zusammen besprechen können und unter anderem somit persönlich heraus gefunden werden, welche Aktivitäten oder Ereignisse eine schlechte Stimmung verursachen, wodurch Vorbeugungen für zukünftige Krisen getroffen werden können [aaO].
„In der Behandlung der Depression hat sich die kognitive Verhaltenstherapie wiederholt als die wirksamste Psychotherapie erwiesen. Sie ist sowohl einer medikamentösen Therapie als auch anderen Psychotherapien überlegen. Ein besonderer Vorteil liegt auch darin, dass sie die Rückfallrisiko deutlich verringert." [vgl. Hautzinger & Thies, 2009, S. 73]
7.2. Psychotherapie bei bipolaren Störungen
Nach Hautzinger & Meyer (2007) erwies sich die Psychotherapie neben der medikamentösen Therapie für bipolare Störungen im Bereich der psychosozialen Anpassung ebenfalls mit Erfolg. In der Psychotherapie werden verschiedene Methoden angewendet, die aus interpersonalen[9], familienbezogenen und kognitiv- verhaltenstherapeutischen Ansätzen zusammengesetzt wirken [Hautzinger & Thies, 2009].
Die Psychotherapie bei bipolaren Störungen setzt sich aus folgenden Elementen zusammen:
- Aufklärung und Psychoedukation über Entstehung, Symptome, Verlauf und Behandlung der Erkrankung;
- Vermittlung der Notwendigkeit von Medikation;
- Selbst- und Fremdbeobachtung zur Erkennung von Symptomverschlechterungen
- Förderung einer regelmäßigen Tages- und Schlaf- Wach Struktur;
- Vermittlung neuer Bewältigungs- und Problemlösestrategien und sozialer Kompetenzen;
- sowie die Notfallplanung zur Rückfallverhinderung. [Hautzinger & Thies, 2009, S. 74]
7.3. Medikamentöse Therapie affektiver Störungen
Bei den affektiven Störungen spielt die medikamentöse Behandlung eine große Rolle, so werden bei unipolar depressiven Phasen Antidepressiva (Stimmungsaufheller) und bei den manischen Phasen vor allem Lithium (Stimmungsstabilisierer) eingesetzt [Hautzinger & Thies, 2009].
7.3.1 Medikamentöse Behandlung der unipolaren Depression
Bei der medikamentösen Behandlung von unipolaren Depressionen werden häufig Antidepressiva wie Imipramin, Amitriptylin, Fluoxetin etc. verwendet. Die Hauptwirkung bei Antidepressiva treten meist erst nach mehreren Wochen ein, wobei die Nebenwirkungen früher eintreten können [aaO].
7.3.2 Medikamentöse Therapie bei bipolaren Störungen
Bei der Behandlung der bipolaren Störungen wird in fast allen Fällen Lithium verwendet, da die Wirkung von Lithium sowohl in depressiven als auch in manischen Phasen die Stimmung stabilisiert [aaO].
Die Wirkung des Lithiums ist in der ersten Zeit nach Einnahme meist gering und es wird häufig mit Antipsychotika und Antidepressiva zusätzlich behandelt. Alternative medikamentöse Mittel sind unter anderem noch Antikonvulsiva und atypische Antipsychotika, da nicht bei allen Patienten das Lithium die notwendige Wirkung erzielt.
„Stimmungstabilisierende Medikamente sollten bei bipolaren affektiven Störungen regelmäßig und langfristig eingenommen werden, um Rückfällen vorzubeugen." [vgl. Hautzinger & Thies, 2009, S. 75]
[...]
[1] Def.: Manie (griech. mania) bedeutet Begeisterung, Bessenheit, Raserei [http://woerterbuch.babylon.com (Zugriff: 20.07.10)]
[2] Def.: Hyperakusis, Geräuschüberempfindlichkeit oft mit subjektiven, reflexartigen
Schmerzempfindungen im Ohr [Nelting, 2003].
[3] Def.: Libidoverlust bezeichnet den Verlust des Geschlechtstriebes und des sexuellen Verlangens [http://woerterbuch.babylon.com (Zugriff: 23.07.10)]
[4] Def.: Stupor ist ein Starrezustand des ganzen Körpers bei wachem Bewusstsein, Bewegungen werden nicht oder nur sehr langsam ausgeführt. [http://woerterbuch.babylon.com (Zugriff: 11.08.10)]
[5] Def.: Lebenszeitprävalenz, gibt die Häufigkeit einer Krankheit oder eines Symptoms, in einer Bevölkerung auf die gesamte Lebenszeit bezogen an [http://flexikon.doccheck.com (Zugriff: 29.07.10)].
[6] Def.: Remission [lat. remittere (zurückschicken)] ist das dauerhafte oder temporäre Nachlassen von Krankheitssymptomen [http://woerterbuch.babylon.com (Zugriff: 29.07.10)]
[7] Def.: Syndrom, wenn mehrere Symptome, die charakteristischer Weise Symptombündel bilden, werden auch als Syndrom bezeichnet [http://lexikon.stangl.eu (Zugriff: 30.07.10)].
[8] Def.: Rückfallprophylaxe bedeutet die Rückfallvorbeugung (Schutz) [http://woerterbuch.babylon.com (Zugriff: 29.07.10)]
[9] Def.: Interpersonal (zwischenmenschlich) [http://woerterbuch.babylon.com/interpersonal/ (Zugriff: 30.07.10)]
- Arbeit zitieren
- Rabia Yüksel (Autor:in), 2010, Psychotische Eltern - Verletzliche Kinder, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/162688
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