Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des Grundkurses „Das politische System der Bundesrepublik Deutschland“ im Wintersemester 2002/03. Sie befasst sich mit den Argumenten des Parlamentarischen Rats von 1948/49 zur Gestaltung des Grundgesetzes als nahezu rein repräsentativer Verfassung.
Zunächst scheint eine Definition des Begriffs „plebiszitäre Elemente“ angebracht, um die Arbeit auch ohne großes Vorwissen verstehen zu können und um Missverständnissen vorzubeugen. Dann wird ein kurzer Überblick über die Entwicklung plebiszitärer Elemente in der deutschen Verfassungsgeschichte, vor allem in der Weimarer Republik, gegeben. Im dritten Kapitel wird die Arbeit des Parlamentarischen Rats vorgestellt, der sich in seiner Argumentation, wie oft behauptet wird, direkt auf die Erfahrungen aus der Weimarer Republik bezog. Zunächst folgen in diesem Kapitel grundlegende Informationen über Rolle und Zusammensetzung des Parlamentarischen Rats sowie zur Entstehung des Grundgesetzes. Die weiteren Unterkapitel beschäftigen sich dann mit den einzelnen plebiszitären Elementen, unter dem Aspekt der Pro- und Contra-Argumente im Parlamentarischen Rat. Im weiteren wird dann auf die Diskussion zum Gesetzentwurf der rot- grünen Koalition von 2002 eingegangen, der das Grundgesetz um plebiszitäre Element erweitern sollte, um die Standpunkte der „modernen“ Politik mit denen von 1948/49 zu vergleichen. Zum Abschluss erfolgt die Erörterung der zentralen Frage: Sind die Argumente des Parlamentarischen Rates gegen plebiszitäre Elemente in der deutschen Verfassung heute noch überzeugend?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Allgemeines
1.2. Definition: Plebiszitäre Elemente
2. Plebiszitäre Elemente in der deutschen Verfassungsgeschichte
2.1. Die Weimarer Reichsverfassung
2.2. Deutschland unter dem Nationalsozialismus
2.3. Die Bundesrepublik Deutschland
3. Der Parlamentarische Rat
3.1. Allgemeines
3.2. Das Gründungsplebiszit – Volksentscheid über das neue Grundgesetz?
3.3. Das Verfassungsreferendum – Darf das Volk die Verfassung ändern?
3.4. Die Volksgesetzgebung – Gesetze von Bürgern für Bürger?
3.5. Spezielle Volksabstimmungen – „Elternrecht“ und Territoralplebiszite
3.6. Artikel 20, Absatz 2 Grundgesetz – Basisnorm für direkte Demokratie?
3.7. Resümee – das deutsche Volk unter demokratischer Quarantäne
4. Die aktuelle politische Diskussion
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Allgemeines
Welche Regierung die beste sei? Diejenige, die uns lehrt, uns selbst zu regieren.
(Johann Wolfgang von Goethe: Maximen und Reflexionen)
Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des Grundkurses „Das politische System der Bundesrepublik Deutschland“ im Wintersemester 2002/03. Sie befasst sich mit den Argumenten des Parlamentarischen Rats von 1948/49 zur Gestaltung des Grundgesetzes als nahezu rein repräsentativer Verfassung.
Zunächst scheint eine Definition des Begriffs „plebiszitäre Elemente“ angebracht, um die Arbeit auch ohne großes Vorwissen verstehen zu können und um Missverständnissen vorzubeugen. Dann wird ein kurzer Überblick über die Entwicklung plebiszitärer Elemente in der deutschen Verfassungsgeschichte, vor allem in der Weimarer Republik, gegeben. Im dritten Kapitel wird die Arbeit des Parlamentarischen Rats vorgestellt, der sich in seiner Argumentation, wie oft behauptet wird, direkt auf die Erfahrungen aus der Weimarer Republik bezog. Zunächst folgen in diesem Kapitel grundlegende Informationen über Rolle und Zusammensetzung des Parlamentarischen Rats sowie zur Entstehung des Grundgesetzes. Die weiteren Unterkapitel beschäftigen sich dann mit den einzelnen plebiszitären Elementen, unter dem Aspekt der Pro- und Contra-Argumente im Parlamentarischen Rat. Im weiteren wird dann auf die Diskussion zum Gesetzentwurf der rot-grünen Koalition von 2002 eingegangen, der das Grundgesetz um plebiszitäre Element erweitern sollte, um die Standpunkte der „modernen“ Politik mit denen von 1948/49 zu vergleichen.
Zum Abschluss erfolgt die Erörterung der zentralen Frage: Sind die Argumente des Parlamentarischen Rates gegen plebiszitäre Elemente in der deutschen Verfassung heute noch überzeugend?
1.2. Definition: Plebiszitäre Elemente
Für die Untersuchung ist näher zu bestimmen, was unter „plebiszitären Elemente“ zu verstehen ist. Im Parlamentarischen Rat wurde nicht über „plebiszitäre Elemente“ im Allgemeinen verhandelt, sondern über einzelne direktdemokratische Partizipationsformen.
Im Einzelnen unterscheidet Möckli bei Sachabstimmungen – und nur um diese soll es hier gehen – zwischen Plebisziten, Referenden und Initiativen (vgl. Möckli 1991: S. 32). Das Plebiszit wird durch ein Staatsorgan ausgelöst, ein Beispiel wäre die Volksbefragung. Das Referendum ist eine dauerhafte, verfassungsmäßige Institution, die nach genau festgelegten Regeln entweder von den Bürgern oder einem Staatsorgan eingeleitet wird, z.B. eine Volksabstimmung über Verfassungsänderungen. Die Initiative wird durch Stimmbürger ausgelöst, z.B. als Volksbegehren oder -initiative. Zudem wird unterschieden, ob die Staatsorgane durch das Ergebnis der Abstimmung rechtlich festgelegt werden (bindende bzw. dezisive oder nicht bindende, konsultative Abstimmung).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Personen- und Sachabstimmungen nach Möckli 1991: S. 31.
Im Parlamentarischen Rat wurden diese verschiedenen Formen anhand konkreter Beispiele – oft geradezu situativ – diskutiert, so in der Beratung über die die Frage nach dem Gründungsplebiszit, das (obligatorische) Verfassungsreferendum, die Volksgesetzgebung, Sonderabstimmungen („Elternrecht“), Territorialplebiszite etc. (vgl. Jung 1994: S. 18).
2. Plebiszitäre Elemente in der deutschen Verfassungsgeschichte
2.1. Die Weimarer Reichsverfassung
In der Weimarer Reichsverfassung (WRV) vom 11. August 1919 wurden erstmals plebiszitäre Elemente in das System einer repräsentativen Demokratie in Deutschland integriert. Vorbildfunktion hatten hier vor allem Verfassungen der Einzelstaaten in den USA (v.a. Kalifornien) und die Schweizer Bundesverfassung von 1874, die ihren Bürgern direktdemokratische Partizipationsmöglichkeiten einräumen (vgl. Würtenberger 1996: S. 102).
Um der (vermeintlichen) Gefahr eines Parlamentsabsolutismus, also der Herrschaft der Parlamentsmehrheit gegen den Willen der Bevölkerung, zu begegnen, enthielt die Verfassung der Weimarer Republik weitreichende plebiszitäre Elemente. Die Möglichkeiten zur Durchsetzung des „wahren“ Volkswillen gegen den Reichstag reichten bis zur Auflösung des Parlaments (vgl. Würtenberger 1996: S. 103).
Im Einzelnen sah die Weimarer Verfassung bei der Neugliederung des Reichsgebiets, bei der Wahl des Reichspräsidenten und in Teilen der Gesetzgebung Plebiszite vor.
Bei Gebietsänderungen innerhalb des Reiches war auf den Bevölkerungswillen Rücksicht zu nehmen (Artikel 18 WRV). Die beiden einzigen Volksabstimmungen nach Artikel 18 WRV, vom 3. September 1922 und vom 18. Mai 1924, die die Zerschlagung Preußens zum Ziel hatten, scheiterten allerdings, und zahlreiche andere Gebietsänderungen erfolgten per Reichsgesetz ohne Volksabstimmung.
Der Reichspräsident der Weimarer Republik wurde direkt vom Volk auf sieben Jahre gewählt und war mit weitreichenden Machtbefugnissen ausgestattet. Er war die völkerrechtliche Vertretung des Reiches, hatte den Oberbefehl über die Wehrmacht, ernannte den Reichskanzler und die Reichsminister. Zudem konnte er per Notverordnung Maßnahmen zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit treffen (Artikel 48 WRV) und ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz vor seiner Veröffentlichung zum Volksentscheid bringen. Zudem hatte der Reichspräsident nach Artikel 25 WRV unter bestimmen Voraussetzungen die Befugnis, den Reichstag aufzulösen. Die direkte plebiszitäre Legitimation positionierte den Reichspräsidenten, der als überparteiliches Korrektiv einer zu entscheidungsschwachen oder zu sehr interessengeleiteten Partei- oder Parlamentspolitik entgegenwirken sollte, als ein gleichwertiges politisches Gegengewicht zum Reichstag (vgl. Würtenberger 1996: 104).
Die Volksgesetzgebung war in der Weimarer Republik der parlamentarischen Gesetzgebung verfassungsmäßig gleichrangig. Allerdings war keines der sieben Volksbegehren, die in der Weimarer Republik eingeleitet wurden, erfolgreich. Aber sie waren – teilweise – für die politische Auseinandersetzung sehr wichtig, z.B. jene über die Panzerkreuzer-Rüstung und den Young-Plan, weil sie den Extremisten die Gelegenheit zur Polarisierung und Profilierung boten (vgl. Würtenberger 1996: S. 105).
In der Verfassungspraxis der Weimarer Republik spielten die plebiszitären Elemente eine große Rolle. Je mehr das Parlament in der Festlegung der politischen Richtung versagte, desto wichtiger wurden die Entscheidungen des Reichspräsidenten. Dieser löste insgesamt siebenmal den Reichstag auf, was allerdings nicht zum politischen Konsens beitrug (vgl. ebd.).
2.2. Deutschland unter dem Nationalsozialismus
Formal hatte im nationalsozialistischen Deutschland die Weimarer Verfassung weiter Bestand. Faktisch war sie mit dem „Ermächtigungsgesetz“ vom 23. März 1933 aufgehoben. Ein am 14. Juli 1933 erlassenes Gesetzt ermöglichte es der Reichsregierung, das Volk zu befragen, ob es einer von der Regierung beabsichtigten Maßnahme zustimmte.
Dieses Gesetz kam insgesamt dreimal zur Anwendung. Am 12. November 1933 ließ das Regime über den Austritt aus dem Völkerbund abstimmen (95% Ja-Stimmen), am 19. August 1934 über die Vereinigung der Ämter des Reichskanzlers und -präsidenten in der Person Adolf Hitlers (90%) und am 10. April 1938 über den „Anschluss“ Österreichs (99%). Allerdings hatten die Abstimmungen rein akklamatorische Funktion, da die politischen Entscheidungen schon gefallen waren und ohnehin extrem hohe Zustimmungsquoten – nicht zuletzt mangels Alternativen, manipulativer Abstimmungsverfahren und massiven Meinungsdrucks – zu erwarten waren.
Mit diesen Abstimmungen ließ sich Hitler, der nicht durch Wahlen an die Macht gelangt war, drei wesentliche politische Schritte scheinlegitimieren: die „Revision“ der Ergebnisse des Ersten Weltkriegs (Völkerbund und Versailler Vertrag), die Installation der nationalsozialistischen Diktatur in Form des auf die Person Hitlers zugeschnittenen „Führerstaats“ und die Schaffung des „Großdeutschen Reiches“, die unter Bruch des Versailler Vertrags vollzogen wurde. Alle drei Entscheidungen waren wesentliche Etappen auf dem Weg in den Zweiten Weltkrieg.
2.3. Die Bundesrepublik Deutschland
Laut Artikel 20, Absatz 2 GG geht die Staatsgewalt vom Volk aus. Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch Legislative, Exekutive und Judikative ausgeübt. Allerdings sieht das Grundgesetz eine strikt repräsentative Demokratie vor (vgl. Würtenberger 1996: S. 107). Nur im Falle einer Neugliederung des Bundesgebietes nach Artikel 29, 118, 118a GG erlaubt das Grundgesetz eine Volksabstimmung.
Die Einführung plebiszitärer Elemente könnte als Verfassungsänderung nur mit Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat stattfinden. Allerdings ist die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Änderung, selbst mit der nötigen Mehrheit, umstritten. Gegner berufen sich auf Artikel 79, Absatz 3 GG, der grundsätzliche Änderungen an der Verfassung verbietet, wenn sie den vom Grundgesetz gestalteten demokratischen Rechtsstaat im Kernbestand betreffen würde (vgl. Klose 2002).
Im Unterschied zur Bundesebene sind auf Länderebene plebiszitären Elemente durchaus verbreitet. In mehreren Verfassungen der alten Bundesländer fanden sie schon vor In-Kraft-Treten des Grundgesetzes Eingang, und im Rahmen der Demokratiesierungsbewegungen der 1970er Jahre wurden weitere aufgenommen; nach der Wiedervereinigung wurden auch die Verfassungen der neuen Bundesländer mit verschiedenen Möglichkeiten der direkten politischen Partizipation des Bürgers ausgestattet (vgl. Würtenberger 1996: 109 ff).
3. Der Parlamentarische Rat
3.1. Allgemeines
Dieses Kapitel orientiert sich in der Gliederung an Jung (1994), ohne jedoch unbedingt dessen Argumentationen und Schlussfolgerungen zu übernehmen.
Der Parlamentarische Rat sollte nach dem Willen der drei westlichen Besatzungsmächte Deutschland nach dem Ende des Nationalsozialismus wieder eine demokratische Verfassung geben, deren Ziele die Alliierten in den „Frankfurter Dokumenten“ bestimmten. Im so genannten Verfassungskonvent von Herrenchiemsee (10. bis 23. August 1948) erarbeitete daraufhin ein Ausschuss von Verfassungsexperten einen Vorschlag für eine Verfassung, der den Beratungen des Parlamentarischen Rats als Grundlage diente.
Die 65 stimmberechtigten Abgeordneten, unter denen sich vier Frauen befanden, wurden von den elf westdeutschen Landtagen gewählt. CDU/CSU und SPD stellten je 27 Abgeordnete, fünf gehörten der FDP an und je zwei stellten die KPD, die DP (Deutsche Partei) und das Zentrum. Die fünf Vertreter der Berliner Stadtverordnetenversammlung waren nicht stimmberechtigt. Am 1. September 1948 nahm der Parlamentarische Rat seine Arbeit in Bonn auf, am 8. Mai 1949 beendete er sie mit der Annahme des Grundgesetzes in dritter Lesung mit 53 gegen 12 Stimmen. Dagegen stimmten die Abgeordneten der KPD, der DP und des Zentrums, sowie sechs CSU-Abgeordnete. Die Militärgouverneure der drei westlichen Besatzungszonen genehmigten das Grundgesetz am 12. Mai 1949. Mit Ausnahme Bayerns, dem die neue Republik zu zentralistisch aufgebaut war, wurde das Grundgesetz schließlich von allen westdeutschen Landtagen ratifiziert und trat am Tag nach seiner Verkündung am 23. Mai 1949 in Kraft.
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