Ziel dieser Arbeit soll es sein, die Funktionsweise der Massenmedien anhand ihrer Selektionskriterien für Information zu verdeutlichen. Damit wäre ein Ausgangspunkt gegeben für die Beobachtung eventueller Auswirkungen dieser Selektionskriterien auf die Wissenschaft. Auswirkungen würden sich dann zeigen, wenn die Wissenschaft zunehmend so beobachtet wie das Mediensystem. Dabei scheint es angebracht zu sein, sich einer Wertung der Medieninhalte zu enthalten, da dies lediglich einem Vergleich der einen Konstruktion von Realität mit einer anderen gleichkäme. Dennoch bzw. gerade deswegen lässt sich die Funktionsweise der Medien aus der Betrachterposition des Beobachters zweiter Ordnung besser handhaben. Jenseits von Moralisierungen lässt sich nach negativen und positiven Folgen für das Wissen der Gesellschaft fragen, die sich durch die Art und Weise, wie Medien Information verbreiten, ergeben.
Die Arbeit folgt der theoretischen Konzeption der Massenmedien, die durch Niklas Luhmann
vorgelegt wurde. Ich werde dabei zunächst die Vorannahmen des operativen Konstruktivismus erläutern, die zu der oben erwähnten Beobachterposition zweiter Ordnung führen. Dabei ist insbesondere der Grundbegriff des Beobachtens von Bedeutung. Auf diesen Vorannahmen aufbauend, stelle ich die Grundkonzeption der Massenmedien dar, die einigen Grundunterscheidungen wie Selbst- und Fremdreferenz folgt, sowie weitere Aufteilungen in Codes und Programmen. Hier finden sich die Begriffe wie Information und Nichtinformation sowie die Aufteilung in Nachrichten, Berichte, Unterhaltung und Werbung wieder. Weiterhin erläutere ich am Beispiel des Programmbereichs „Nachrichten“, wie sich Auswirkungen der Selektionsweise der Medien auf die Gesellschaft verstehen lassen. Die Realitätskonstruktion der Massenmedien ist dabei eine Folge, die sich aus der bestimmten Weise der Erzeugung von Identität und der Einbeziehung von Schemata in das soziale Gedächtnis ergeben.
Abschließend ergibt sich noch die Frage nach strukturellen Kopplungen des Mediensystems mit anderen Systemen der Gesellschaft. Luhmann sieht klare Kopplungen mit dem politischen und dem wirtschaftlichen Funktionssystemen, jedoch nur eine geringe Kopplung mit dem Wissenschaftssystem. Einiges scheint jedoch für eine Kopplung zu sprechen.
Gliederung
A. Einleitung
B. Theoretische Konzeption der Massenmedien bei Luhmann
1. Vorannahmen
1.1. Operativer Konstruktivismus
1.2. Beobachten
1.3. Die Realität der Massenmedien
1.4. Das Verhältnis der Medien zur Welt
2. Die Funktionsweise der Massenmedien
2.1. Die Selbstbestimmung des Systems anhand eines binären Codes
2.2. Die Codierung des Systems in Information/ Nichtinformation
2.3. Codierung Programmierung und Information
2.4. Die Präferenz des Neuen
3. Auswirkungen der Medien auf die Gesellschaft
3.1. Nachrichten und Berichte
3.1.1. Selektoren
3.1.2. Auswirkungen
3.2. Realitätskonstruktion der Massenmedien
3.2.1. Erzeugung von Identitäten
3.2.2. Schemata
3.2.3. Soziales Gedächtnis
4. Strukturelle Kopplungen
4.1. Strukturelle Kopplungen des Mediensystems mit der Gesellschaft
4.2. Die Massenmedien und die Wissenschaft
C. Schluss
D. Literaturverzeichnis
A. Einleitung
Die Zeitungen, das Radio, das Fernsehen, die Zeitschriften und Journale, die Medien der modernen Massenkommunikation, die sich mit den aktuellen Ereignissen der Gesellschaft auseinandersetzen, erscheinen dem Konsumenten von Zeit zu Zeit als verzerrend oder gar unglaubwürdig. Trotz und oft gerade wegen der großen Vielfalt des Angebots scheint Objektivität und Genauigkeit ein rares Gut zu sein, insbesondere, wenn sich Nachrichten widersprechen oder korrigiert werden müssen. Auch ist ein persönliches Erleben von Ereignissen ganz anders, als wenn ein Beobachter es zum Beispiel im Fernsehen sieht. Jeder, der ein Ereignis selbst miterlebt hat und dieses dann später im Fernsehen noch einmal sieht oder darüber in der Zeitung liest, wird das bestätigen können. Man erlebt Ereignisse selbst ganz anders als in den Medien. Ein Aspekt wird zu kurz gekommen sein und etwas anderes wird zu stark betont worden sein. Zudem wird man das Gefühl nicht los, die Medien würden ständig versuchen, zu manipulieren, sei es durch die Themenauswahl in Berichten, oder direkt und unverhohlen durch Werbung aller Art. Je mehr dieser Umstand der Verzerrung der Realität in der Wissenschaft oder sogar in den Medien selbst betont wird, umso wichtiger ist es, darauf zu achten, dass die Beschreibung der Medien nicht an Ernsthaftigkeit verliert. Denn so wirklichkeitsfremd die ausgestrahlten und publizierten Mitteilungen der Medien zum Teil auch sein mögen, so real sind doch immer noch ihre Folgen[1]. Besonders gut zeigt sich das im Verhältnis der Politik zu den Medien. Hier ist die Kopplung zwischen beiden Systemen sehr deutlich zu beobachten. Die Politik profitiert stark davon, in den Medien erwähnt zu werden und andererseits wirken die Medien eben durch das Senden politischer Aussagen auf die Politik ein. Eine ähnliche Beziehung zu den Medien ist auch im Bereich der Wirtschaft zu erkennen. Gerade auch die Wissenschaft, die gegenüber den Medien noch als relativ abgeschlossener Bereich galt, scheint sich zunehmend den täglichen Nachrichtenmedien zu bedienen (Weingart 2001, S.280). Andererseits führt die Thematisierung bestimmter wissenschaftlicher Diskurse in den Massenmedien wiederum zu einem politischen Handlungsdruck, der sich auf die Wissenschaft auswirken kann. Und mehr noch: Einige der Selektionskriterien der Medien für Information werden in der Wissenschaft zunehmend übernommen. Information hat die Eigenschaft nach ihrer Sendung zu Nichtinformation zu werden, wodurch ein Bedarf an neuer Information entsteht (Luhmann 1996, S.41f). Die Medien interessieren sich daher immer nur für neues Wissen, da neues Wissen ein vormals neues Wissen zu altem Wissen werden lässt, das somit nicht mehr interessiert. Lange ausführliche Erklärungen und differenzierte Analysen, wie sie in der Wissenschaft angestellt werden, sind schon aufgrund der knapp bemessenen Sendezeiten kaum mitteilungsfähig. Die These ist nun, dass sich auch in der Wissenschaft zunehmend das Interesse nur für Neues, im Gegensatz zu dem bisherigen sukzessiven Aufbau von Wissen, allmählich durchsetzen könnte. Altes Wissen würde dann eine Entwertung erfahren oder zumindest als lästiges Anhängsel mitgezogen werden müssen. In der Folge würde es gerade die Grundlagenforschung zunehmend schwer haben genügend Aufmerksamkeit zu erzeugen in einer Zeit, in der es täglich neue Nachrichten, neue Zahlen, neue Entdeckungen und neue Informationen gibt.
Ziel dieser Arbeit soll es sein, die Funktionsweise der Massenmedien anhand ihrer Selektionskriterien für Information zu verdeutlichen. Damit wäre ein Ausgangspunkt gegeben für die Beobachtung eventueller Auswirkungen dieser Selektionskriterien auf die Wissenschaft. Auswirkungen würden sich dann zeigen, wenn die Wissenschaft zunehmend so beobachtet wie das Mediensystem.
Dabei scheint es angebracht zu sein, sich einer Wertung der Medieninhalte zu enthalten, da dies lediglich einem Vergleich der einen Konstruktion von Realität mit einer anderen gleichkäme. Dennoch bzw. gerade deswegen lässt sich die Funktionsweise der Medien aus der Betrachterposition des Beobachters zweiter Ordnung besser handhaben. Jenseits von Moralisierungen lässt sich nach negativen und positiven Folgen für das Wissen der Gesellschaft fragen, die sich durch die Art und Weise, wie Medien Information verbreiten, ergeben.
Die Arbeit folgt der theoretischen Konzeption der Massenmedien, die durch Niklas Luhmann vorgelegt wurde. Ich werde dabei zunächst die Vorannahmen des operativen Konstruktivismus erläutern, die zu der oben erwähnten Beobachterposition zweiter Ordnung führen. Dabei ist insbesondere der Grundbegriff des Beobachtens von Bedeutung. Auf diesen Vorannahmen aufbauend, stelle ich die Grundkonzeption der Massenmedien dar, die einigen Grundunterscheidungen wie Selbst- und Fremdreferenz folgt, sowie weitere Aufteilungen in Codes und Programmen. Hier finden sich die Begriffe wie Information und Nichtinformation sowie die Aufteilung in Nachrichten, Berichte, Unterhaltung und Werbung wieder. Weiterhin erläutere ich am Beispiel des Programmbereichs „Nachrichten“, wie sich Auswirkungen der Selektionsweise der Medien auf die Gesellschaft verstehen lassen. Die Realitätskonstruktion der Massenmedien ist dabei eine Folge, die sich aus der bestimmten Weise der Erzeugung von Identität und der Einbeziehung von Schemata in das soziale Gedächtnis ergeben. Abschließend ergibt sich noch die Frage nach strukturellen Kopplungen des Mediensystems mit anderen Systemen der Gesellschaft. Luhmann sieht klare Kopplungen mit dem politischen und dem wirtschaftlichen Funktionssystemen, jedoch nur eine geringe Kopplung mit dem Wissenschaftssystem. Einiges scheint jedoch für eine Kopplung zu sprechen.
B. Theoretische Konzeption der Massenmedien bei Luhmann
1. Vorannahmen
1.1. Operativer Konstruktivismus
Wie bereits erwähnt wird den Medien oft vorgeworfen, sie würden die Wirklichkeit verzerren oder auch verfälschen. Hinter diesem Vorwurf steht die Annahme, dass es die eine Wirklichkeit gäbe, die es nur richtig darzustellen gelte. Doch wird damit der konstruierte Charakter der Medienwirklichkeit verkannt. Das platonische Organon Modell, wie es zuletzt noch von Bühler 1934 ins Gespräch gebracht wurde, wonach die Sprache als Werkzeug zu verstehen sei mit dem man die Dinge der Realität benennt, gilt in den Kommunikationswissenschaften und in der Linguistik schon lange als überholt.[2]
Es stellt sich gar nicht die Frage ob das, was die Medien beobachten und damit als Realitätskonstruktion erzeugen, unrealistischer oder verzerrter ist als beispielsweise die Beobachtungen eines Soziologen. Auch das Beobachten eines Forschers ist als eine Realitätskonstruktion anzusehen. Der Soziologe hat einen anderen Blickwickel, doch an die Wirklichkeit an sich kann auch seine Beobachtung nicht hinreichen. Die Welt ist nicht unmittelbar, also ohne Erkenntnis erkennbar.
Das bedeutet nicht, dass man die Welt deswegen nicht als gegeben voraussetzen könnte. Es bedeutet nur, dass es eben verschiedene Möglichkeiten gibt, die Welt zu sehen, ohne sie aber jemals in ihrer Ganzheit erkennen zu können. Die Welt ist damit nicht in ihrer Existenz verneint, sondern lediglich als unerreichbar zu verstehen. Sie muss als ein Horizont verstanden werden, der nicht erreicht werden kann, aber dennoch vorhanden ist.
Akzeptiert man diese Ansicht, stellt sich die Frage, welche Sichtweise der Welt man nun wählt. In diesem Zusammenhang spricht sich Luhmann für einen operativen Konstruktivismus aus, der genau diesen Umstand der verschiedenen Sichtweisen der Welt mit einbezieht. „Konstruktivistische Theorien behaupten, dass kognitive Systeme nicht in der Lage sind, zwischen Bedingungen ihrer Erkenntnis zu unterscheiden, weil sie keinen erkenntnisunabhängigen Zugang zu solchen Realobjekten haben“ (ebd., S.17). Dieser „Defekt“ kann jedoch auf der Ebene einer Beobachtung zweiter Ordnung, zumindest zunächst, behoben werden. Ein Beobachter eines Beobachters sieht, aus welchem Blickwinkel der Beobachtete die Welt betrachtet. Doch unterliegt auch diese Beobachtung denselben Bedingungen, wie die Beobachtung erster Ordnung. Auch das Beobachten von Beobachtern kann sich bei der Beobachtung nicht selbst sehen, die Bedingungen des Beobachtens mitreflektieren. Dies wäre dann nämlich eine andere Beobachtung, eine Beobachtung dritter Ordnung, die auch wiederum das Problem des „blinden Flecks“ hätte, erkennbar durch eine Beobachtung vierter Ordnung usw.
Ein Beispiel: Wenn jemand einen Stuhl beobachtet, kann er nicht gleichzeitig die Bedingungen für dieses Beobachten reflektieren. Als Beobachter dieses Beobachters erkennt man, dass der Beobachter nicht die Bedingung seiner Beobachtung sieht. Die Bedingung nämlich, dass er den Stuhl nicht ohne Erkenntnis beobachten kann. Er konstruiert das Abbild eines Stuhls und denkt dabei, er sieht den Stuhl selbst. Doch die Bedingungen für die Erkenntnis des Stuhls und die physikalischen-chemischen Bedingungen der Existenz des Stuhls sind nicht die gleichen. Das lässt sich als Beobachter zweiter Ordnung erkennen und kann dem Beobachter erster Ordnung „vorgeworfen“ werden. Nur: Der Beobachter zweiter Ordnung hat auch das Problem, dass er die Bedingung seines Beobachtens nicht sehen kann, wenn er den Beobachter erster Ordnung beobachtet.
Dennoch hat die Beobachtung zweiter Ordnung einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Beobachtung erster Ordnung. Sie weiß und hat es an der Beobachtung erster Ordnung gesehen, dass sie nicht sehen kann, was sie nicht sehen kann[3]. Folgt man dieser konstruktivistischen Sichtweise, so bleibt zunächst festzuhalten, dass die Medien nur eine konstruierte Realität darstellen und an die echte Realität nicht hinreichen können. Der entscheidende Punkt dabei ist aber nun, dass das niemand kann. Auch die Soziologen als Wissenschaftler erzeugen nur ein bestimmtes Bild der Realität, das nicht näher an die „echte“ Realität kommt als das der Medien.
Wenn man nun behauptet, die Medien verzerren die Realität, so setzt man voraus, jemand (wahrscheinlich man selbst) könnte die Realität „richtig“ darstellen, so wie sie ist. Tatsächlich wäre es aber nur eine Realitätsdarstellung auf gleicher Ebene mit den Medien, eine weitere Beobachtung erster Ordnung neben der Beobachtung der Medien. Man vergleicht seine Sicht mit einer anderen Sicht. Wenn man also die Medien beobachten will, sollte nicht so sehr interessieren was sie beobachten und ob es stimmt, was sie beobachten, sondern es interessiert vielmehr wie sie beobachten (ebd. S.20). Die Frage lautet also: „Wie konstruieren Massenmedien Realität?“ (ebd., S.20).
Was auffällt ist, dass diese Position jede Bewertungsmassstäbe obsolet werden lässt. Luhmann klammert Fragen nach Richtlinien der Medien bewusst aus. Die Frage nach Kriterien für „richtiges“ Verhalten der Medien ist demnach nur dann von Interesse, wenn die Medien selbst „Medienethik“ thematisieren. Würde man zum Beispiel die Medien in einer Krise sehen, da offenbar alle Kriterien des guten Geschmacks oder des adäquaten Berichtens verloren scheinen, so würde man voraussetzen, dass man auf diese Krise mit Veränderungen reagieren könnte. Nach Luhmann scheint sich dahingehend jedoch nichts zu tun (ebd., S21). Die Krise erscheint als Krise, wenn es keine passende Reflexionstheorie in der Selbstbeschreibung der Medien gibt oder diese in Frage gestellt wird. »In der Krise« ist dann die Theorie, die innerhalb des Mediensystems für legitime Kriterien sorgen sollte. Das Problem der Krise liegt also nicht in dem, was die Medien machen, sondern darin, wie sich die Medien selbst beschreiben.
Um solche Sachverhalte erkennen zu können, ist es nötig nicht in die Diskussion mit einzusteigen, sondern sich zu fragen, wer da kommuniziert und vor allem, wie er das macht. Gleichzeitig muss man sich dessen bewusst sein, dass man dieselbe Frage auch an sich selbst richten kann. Es gilt daher den eigenen Ausgangspunkt des Beobachtens sichtbar zu machen. Der eigene blinde Fleck der Beobachtung muss beschrieben werden, um damit der Beobachtung durch andere ausgesetzt werden zu können. Es wird der eigene Bezug zum untersuchten Gebiet verdeutlicht und ein weiterer Beobachter kann dann dieser Unterscheidungsanweisung folgen oder sie auch ablehnen. Man muss sich nach Luhmann nur darüber im klaren sein, dass man selbst auch nicht die Welt im Ganzen beobachten kann und auch Mittel der Beobachtung verwenden muss, um überhaupt beobachten zu können.
Diese Mittel „zu exponieren, hat nicht den Sinn, einen Rückgang auf letztlich unbestreitbare Gründe einzuleiten. Es geht nur darum, zu zeigen, was man mit bestimmten Mitteln konstruieren kann und wie weit Sensibilitäten sich ausfalten (explizieren) lassen, wenn man so (und nicht anders) ansetzt. Der Sinn (...) liegt darin, Kritik zu erleichtern und zu erschweren. Macht es anders, lautet die Aufforderung, aber mindestens ebenso gut.“ (Luhmann 1998, S.1095)
1.2. Beobachten
Die Mittel um die Massenmedien nach dem Vorschlag Luhmanns zu beschreiben stecken in vielerlei Hinsicht in seiner Auffassung des Begriffs des Beobachtens.
Beobachten meint zunächst nicht ein Beobachten, wie es im Alltagsverständnis begriffen wird. Nach der Konzeption Luhmanns ist mit dem Beobachten immer eine Kommunikation von Systemen gemeint. Nicht nur Menschen, sondern viele Arten von „Systemen“ können daher beobachten (Kneer/Nassehi 1997, S.95). So kann beispielsweise auch ein Thermostat beobachten, da er Temperatur unterscheiden kann und diese auch bezeichnen kann. Beim Beobachten treten stets diese zwei Komponenten auf, die Unterscheidung und die Bezeichnung. So kann man sagen, dass ein Beobachten immer ein Bezeichnen im Rahmen einer Unterscheidung ist. Dabei kann immer nur eine Seite der Unterscheidung und niemals beide Seiten gleichzeitig, bezeichnet werden. Nimmt man beispielsweise die Unterscheidungen Mann/Frau, neu/alt und wahr/falsch so wird bei einer Beobachtung immer nur eine Seite bezeichnet, da sonst keine Information entstehen kann. Also zum Beispiel Frau, neu und wahr. Zu einem späteren Zeitpunkt kann dann immer noch die andere Seite gewählt werden, womit es zu einem „Crossing“ der Grenze käme. Doch im Moment der Beobachtung ist ein Bezeichnen beider Seiten unmöglich.
Betrachtet man soziale Systeme, wie zum Beispiel Bewusstseinssysteme oder auch Kommunikationssysteme wie die Massenmedien, dann sind zwei Arten der Beobachtung also des Unterscheidens und des Bezeichnens möglich. Die eine Möglichkeit zu beobachten, ist das Beobachten einer Operation. Hier beobachtet man, dass etwas geschieht, dass also kommuniziert wird. Bei der zweiten Art der Beobachtung handelt es sich um die Beobachtung der Beobachtung, also die Beobachtung zweiter Ordnung. Dabei beobachtet man nicht nur, dass kommuniziert wird, sondern zugleich, dass die Kommunikation auch ein Thema hat (ebd. S.98). Will man nun das System der Massenmedien adäquat beobachten, so muss man sich auf deren Themen konzentrieren, da wie bei anderen Systemen auch, ihr Beobachten eine interne Operation ist.
Nach dem Verständnis Luhmanns ist die grundlegende Operation eines beobachtenden Systems die Kommunikation. Doch diese läuft nur innerhalb des Systems ab, so wie auch die Kommunikationsform des „Denkens“ nur innerhalb des Bewusstseinssystems abläuft, findet Kommunikation in den Massenmedien nur innerhalb des Systems der Massenmedien statt. Nach der Konzeption operativ geschlossener Systeme ist somit ein direktes Kommunizieren nach außen nicht möglich. Eine Beobachtung ist demnach eine interne Kommunikation, die über keinen direkten Kontakt zur Außenwelt verfügt. Die einzige Möglichkeit einen Außenkontakt herzustellen, ist die Beobachtung der Außenwelt, indem über die Außenwelt kommuniziert wird (ebd. S.99). Dies geschieht eben anhand von Themen.
Themen zeichnen sich dabei aus durch die Kombination von Selbstreferenz und Fremdreferenz. Eine Kommunikation beobachtet auch immer sich selbst. Sie überprüft quasi ständig, worüber sie handelt, was sie thematisiert und worüber sie informiert. „Die Kommunikation verweist als Operation selbstreferentiell auf vorhergehende Kommunikationen“ (ebd., S.99). Das passiert sozusagen im Hintergrund. Dabei muss die Kommunikation mit Fremdreferenz angereichert werden. Dass heißt, dass die Kommunikation als Beobachtung auf etwas anderes verweist und somit etwas thematisiert, was außerhalb des Systems liegt. Nur so kann das System sich nach außen hin öffnen. „Kommunikationssysteme sind operativ geschlossene Systeme (Selbstreferenz) und zugleich verweisen sie mittels ihrer Operationen auf anderes (Fremdreferenz)“ (ebd., S.99). Natürlich kann das System auch sich selbst zum Thema machen, was dann eine Selbstbeobachtung wäre. Die Themen der Massenmedien dienen dem Soziologen somit als empirisches Material zur Beobachtung. Sie sind Ausdruck des Beobachtens des Systems und geben daher Hinweise auf die Art und Weise der Beobachtung.
Doch wie bereits erwähnt, soll ja nicht das Was zählen, sondern das Wie. Es interessiert also vielmehr, wie das System es sich selbst ermöglicht zu beobachten und diese Beobachtungen anhand von Themen selbstbezüglich zu verwenden.
Charakteristisch für das Beobachten ist dabei zunächst die Notwendigkeit, etwas anderes nicht zu Beobachten. Nur indem eine Unterscheidung getroffen wird, was beobachtet wird und was damit nicht beobachtet wird, ist Beobachtung überhaupt möglich. Insofern ist die Beobachtung an die Unterscheidung, die gewählt wurde, gebunden. Wie das Licht einer Lampe nur einen bestimmten Bereich der Welt erhellen kann, so kann eine Beobachtung auch nur das sehen, was sie mit Hilfe ihrer Unterscheidung sehen kann. Während sie das sieht, was sie sehen kann, kann sie aber nicht das sehen, was sie nicht sehen kann. Sie sieht ihren eigenen blinden Fleck nicht, sondern nur das, was die Unterscheidung ihr, durch außer Acht lassen von anderem, eröffnet. Kneer und Nassehi verdeutlichen das an einem Beispiel. Ein Banküberfall ist für den Bankräuber lukrativ. Er unterscheidet gewinnbringend/nicht gewinnbringend. Man könnte den Bankraub auch unter dem Aspekt technisch versiert/nicht technisch versiert beobachten. Und nach einer Ergreifung der Bankräuber werden schließlich die Richter nach Recht/Unrecht unterscheiden. Würde man jetzt versuchen zu entscheiden, welche der getroffenen Unterscheidungen die „richtige“ Sichtweise wäre, so wäre das wiederum eine neue Unterscheidung entlang der Grenze angemessen/unangemessen oder auch wahr/unwahr.
Um das Bankraubbeispiel nochmals aufzugreifen, kann man nun sagen: Die getroffenen Unterscheidungen erster Ordnung, also die Sichtweise des Bankräubers und die der Richter spannen einen bestimmten Bereich auf, eine Kontextur. Luhmann spricht hier in Anlehnung an Gotthard Günther[4] von dem Erscheinungsbild der Welt als monokontextural. Folgt man dagegen der Beobachtung zweiter Ordnung so erscheint die Welt als polykontextural. Damit ist nicht gemeint, dass im Bereich der Beobachtungen erster Ordnung kein Dissens möglich wäre. Eine Debatte über zu viel Sex und Gewalt im Fernsehen kann sehr kontrovers geführt werden. Die beobachtungsleitende Unterscheidung wäre Gut/Nicht Gut. Man kann sich über mehr oder weniger Gewalt streiten aber selbst eine aus dem Rahmen fallende Kritik, wie dass Gewalt und Sex im Fernsehen überhaupt keinen Einfluss auf Kinder und Jugendliche habe würde der Leitunterscheidung gut/nicht gut folgen. Das kann nur ein Beobachter zweiter Ordnung sehen.
Damit entfällt die eine absolut richtige Sichtweise. Es gibt im polykontexturalen Bereich lediglich eine Vielzahl von Unterscheidungen, die auch anders hätten ausfallen können. Der Hinweis, dass nun der Beliebigkeit und dem Relativismus Tür und Tor geöffnet werden entspricht wiederum, ähnlich wie bei dem Problem, welche Sichtweise des Bankraubes nun die richtige wäre, einer Beobachtung erster Ordnung. Man geht davon aus, dass es die eine richtige Sichtweise gibt, die alle Sichtweisen vereint, weshalb die Beobachtung zweiter Ordnung auch als beliebig erscheinen muss. Zudem kann man davon ausgehen, dass Systeme nicht willkürlich beobachten, da sie strukturdeterminiert und damit von ihrer Vergangenheit abhängig sind (Kneer/Nassehi 1997, S.104 Anmerkung 33).
[...]
[1] Dies ist gemeint im Sinne des Thomas Theorems, wonach die durch die Medien erzeugte Medienwirklichkeit zwar konstruiert ist aber in den Folgen immer reale Auswirkungen zeigt.
[2] Hans Georg Gadamer sieht beispielsweise dazu im Gegensatz die Sprache als den Grundstein für die (konstruierte) Realität an sich an. Man ist schon immer von Sprache umgriffen und man kann sie nicht wie ein Werkzeug weglegen, weshalb sich uns durch das lernen von Sprache auch erst die Welt eröffnet. Diese Welt ist eine durch Sprache, sei es sprachliches Denken oder Kommunikation, konstruierte Welt (Gadamer 1986, S.149)
[3] Wie dieses Sehen und die Bedingungen von Erkenntnis als Konstruktion von Realität zu verstehen ist, wird weiter unten am Begriff des „Beobachtens“ noch näher verdeutlicht. Vgl.: B.1.2
[4] Vgl. Luhmann 1996, S.27 Anmerkung 8 und Nassehi 1997, S.102
- Quote paper
- Martin Rafailidis (Author), 2002, Die theoretische Konzeption der Massenmedien bei Niklas Luhmann und ihre Verwendung in Bezug auf strukturelle Kopplungen des Mediensystems mit dem Wissenschaftssystem, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16192
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