…eine ‚Performance’, die eng gefasste Aufführungsbegriffe in vieler Hinsicht strapazieren könnte, war es doch eigentlich mehr ‚ein meditativer Diaabend’ – wie schon im Programm zu lesen war, weiters wurde angekündigt: ‚Es wird gesungen, getanzt und selbstverständlich getrunken. Und alles ist überlagert von einer bedingungslosen Liebe zum Rabtal.’ Ist das schon bzw. noch Theater? Nach Erika Fischer-Lichtes Überlegungen zum Aufführungsbegriff : ja, natürlich. Ihre vier Thesen (Medialität, Materialität, Semiotizität, Ästhetizität) wurden mit Hinblick auf neue Formen der Aufführung und Theaterkunst entwickelt und bieten sich somit für das Freischwimmerfestival, das heuer unter dem Motto ‚Schock’ stand, geradezu an. Es werden Jahr für Jahr innovative Zugänge zu einer alten Kunst gesucht und bei den Rabtaldirndln wurden sie auf jeden Fall auch gefunden.
Rabtaldirndln – AUFPLATZEN[1] …
…eine ‚Performance’, die eng gefasste Aufführungsbegriffe in vieler Hinsicht strapazieren könnte, war es doch eigentlich mehr ‚ein meditativer Diaabend’ – wie schon im Programm zu lesen war, weiters wurde angekündigt: ‚Es wird gesungen, getanzt und selbstverständlich getrunken. Und alles ist überlagert von einer bedingungslosen Liebe zum Rabtal.’ Ist das schon bzw. noch Theater? Nach Erika Fischer-Lichtes Überlegungen zum Aufführungsbegriff[2]: ja, natürlich. Ihre vier Thesen (Medialität, Materialität, Semiotizität, Ästhetizität) wurden mit Hinblick auf neue Formen der Aufführung und Theaterkunst entwickelt und bieten sich somit für das Freischwimmerfestival, das heuer unter dem Motto ‚Schock’ stand, geradezu an. Es werden Jahr für Jahr innovative Zugänge zu einer alten Kunst gesucht und bei den Rabtaldirndln wurden sie auf jeden Fall auch gefunden. Um zu analysieren, wie sie ihr Publikum denn ‚schockten’, wären Anhaltspunkte:
Medialität. Mag sich beim klassischen Theater die Interaktion zwischen Akteuren und Publikum in Grenzen halten, hier tat sie es nicht. Schon der Raum, die ‚Black-Box’, sorgte für eine intimere Atmosphäre und die fünf Dirndln taten den Rest, um die potentielle Barriere der 4. Wand abzuschaffen. Die Zuschauer sollten nicht ‚nur’ reagieren, sondern agieren und dazu wurden sie nicht zu knapp aufgefordert: ‚Hau ma om Oasch!’, ‚Mocht’s Platz do!’, ‚Zuhean, das stöat!’…auch nonverbal mittels Rasierzeug und Schnapsstamperl
Materialität. Eine Aufführung ist, während sie erfahren wird, totale Präsenz. Alle sind mitten im Geschehen und zwar ganzheitlich. Die phänomenalen Leiber der Darsteller wie der Zuschauer sind es, die in erster Linie eine Aufführung ausmachen und untersucht werden sollen. Mittels zwar ländlich aussehender, aber eher unauffälliger Kleidung (keine Dirndln!) und einem bis auf wenige Ausnahmen eingefroren-grimmigen Gesichtsausdruck verschafften sich die Körper Aufmerksamkeit, um nicht ganz von ihrer erwartungsgemäßen Semiotik erdrückt zu werden und so ein gleichberechtigtes Miteinander zu sichern
Semiotizität. Die Wahrnehmung bringt erst Bedeutungen hervor. Assoziationen drängen sich uns, während des Stückes auf, ganz unkoordiniert, jedem/r die seinen/ihren. Worauf sich konzentrieren hängt ab vom woran denken. Das ist laut Fischer-Lichte die Ordnung der Präsenz
Konzentriert man sich bewusst auf die fiktive Figur, die der Schauspieler (auch) verkörpert, wäre das die Ordnung der Repräsentation. Wir nehmen in Bezug auf den semiotischen Leib, die fiktive Welt und eine bestimmte Symbolische Ordnung wahr. Die Bedeutungen, die so hervorgebracht werden sind relativ vorhersehbar. Anspielung im Stück: ‚Das Foto ist natürlich gestellt, aber das ist egal, es geht um das Symbol.’
Kommt es zum Umspringen zwischen beiden Ordnungen, erfolgt ein Bruch, eine Art Schwellenzustand. Einerseits kann festgestellt werden, wie willkürlich die eigenen Gedanken abschweifen, andererseits wird bewusst eingelenkt. Der Wahrnehmungsprozess steht plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, nicht die Wahrnehmung selbst
Ästhetizität. Was tun mit der Auffälligkeit, in deren Licht uns alles, was in der Aufführung geschieht, erscheint? Völlig gewöhnliche Vorgänge, wie das Einschenken von Schnaps, das Schneiden von Würsten etc., werden mit größter Aufmerksamkeit betrachtet, in ständiger Attraktionserwartung, könnte doch jederzeit wieder etwas à la Kürbisaufplatzaktion stattfinden. Dieser permanent gespannte Zustand strengt an. Ständig zwingt uns etwas ins Dazwischen von Realität und Bühne, Gezeigtem und Gesagtem, Ich und Du…Die Ästhetische Erfahrung kann folglich nicht schlicht mit einer netten, gefälligen identifiziert werden. Sie ist und will mehr sein, uns mehr geben oder auch nehmen
Die Thesen Erika Fischer-Lichtes sind ein Versuch der Annäherung an einen zeitgemäßen Aufführungsbegriff. Sie betont allenfalls die Notwendigkeit einer neuen Methode der Aufführungsanalyse, bietet allerdings keine konkret umgesetzten Beispiele an. Doch werden ihre Thesen als eine Art ‚Schauanleitung’ in den persönlichen Reflexionsprozess miteinbezogen, kann ganz von selbst eine Hinwendung zu dem, was sie die Ästhetik des Performativen nennt, eintreten und der Blick mit dem wir das Gesehene aufgenommen haben führt über die Reflexion zur Sprache mit der wir es analysieren. So kann Sprache der Aufführung in ihrer Analyse zu einer Präsenz verhelfen. Die Aufführung kehrt im Lesen bzw. Schreiben wieder, was allerdings nur eine reflektierte Wiederkehr und darum nur eine negative Präsenz sein kann
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[1] Rabtaldirndln – AUFPLATZEN. Österreichische Erstaufführung. Eine brutproduktion, Freischwimmer Festival 09/10. Konzeption und Schauspiel: Die Rabtaldirndln (Barbara Carli, Rosi Degen, Bea Dermond, Gudrun Maier, Gerda Strobl), Fotografie: Franz Sattler, Dramaturgie: Monika Klengel, Choreografische Assistenz: Nadine Puschnigg
Die Aussagen über diese Inszenierung basieren auf einem Aufführungsbesuch am 4. Dezember 2009 im brut im Konzerhaus, Wien
[2] Fischer-Lichte, Erika: Einleitende Thesen zum Aufführungsbegriff. In: Kunst der Aufführung – Aufführung der Kunst. Hrsg. von Erika Fischer-Lichte, Clemens Risi und Jens Roselt. Berlin: Theater der Zeit 2004 (Recherchen 18). S. 11-26
- Arbeit zitieren
- Sandra Folie (Autor:in), 2009, Rabtaldirndln - Aufplatzen: eine Aufführungsanalyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/161824