Das Phänomen der Hexenprozesse gehört zweifelsohne zu den Schlüsselmomenten der europäischen frühen Neuzeit. Sie sind ein markanter Punkt der Übergangsphase von mittelalterlicher sozialer Praxis hin zu Praktiken, die uns gemeinhin als „modern“ anmuten. Das betrifft einerseits Praktiken im juridisch-administrativen Komplex andererseits aber auch Praktiken, die die Spannungsfelder von Individuum und sozialem Kollektiv, den Konflikt zwischen zunehmender Privatisierung einzelner Lebensbereiche und öffentlichem Raum sowie die Tradierung und Modernisierung sozialer und geschlechtlicher Rollenbilder bzw. deren politische Aufladung zu Zwecken der sozialen Disziplinierung und Durchsetzung frühstaatlicher Herrschaftspraxis betreffen. Besonders augenfällig ist hierbei, dass das Verbrechen der Hexerei (maleficium) nachweislich ein intellektuelles Konstrukt darstellt, das gerade in ländlichen und strukturell rückständigen Regionen Europas die Funktion eines allgemeinen Erklärungsmusters für Missernten, Epidemien, hohe Kindersterblichkeit und ähnlich existentiell bedrohliche Phänomene darstellte. Die Personifizierung der Existenzangst in Form der Hexe und deren aktive Bekämpfung durch die im Entstehen begriffene staatliche Gewalt scheinen aus moderner Perspektive vieles vorweg zunehmen, was im späten 19. und im ganzen 20. Jahrhundert hindurch durch rassistische und antisemitische Feindbildkonstruktionen soziale Praxis war und ist. Der Brief der der Hexerei angeklagten Katharina Henot aus dem Kölner Gefängnis von 1627 ist Zeugnis der Ohnmacht mit der die Betroffenen der allgemein üblichen Folterpraxis gegenüberstanden. Dieser Brief steht exemplarisch für viele andere erhaltene Dokumente, deren Entstehungskontext vergleichbar ist.
Dementsprechend soll bei der Behandlung des Dokuments weniger die Rekonstruktion des konkreten Einzelfalles im Mittelpunkt stehen, als viel mehr die Frage nach den Bedingungen seiner Entstehung. Das bedeutet einerseits, dass die Fragestellung nach der zunehmenden Verschriftlichung und der damit verbundenen Konstruktion neuer „Refugien der Intimität“ berührt wird, aber auch die schleichende Entwicklung des juridisch-administrativen Komplexes hin zu überwachenden, disziplinierenden und strafenden Institutionen, die die vorher weitestgehend vom sozialen Kollektiv ausgeübten Kontroll- und Disziplinierungsfunktionen zunehmend monopolisiert und institutionalisiert. Aber auch die Frage nach der ideologischen Genealogie des Verbrechens der Hexerei.
Inhalt
1 Anmerkungen zur Vorgehensweise
1.1 Methodische Probleme
1.2 Zum Aufbau des Textes
2 Das Dokument
2.1 Der direkte Entstehungskontext
2.2 Die Form des Dokumentes
2.3 Inhalt und Sprache des Dokumentes
2.4 Synthetische Interpretation des Dokumentes
3 Makrohistorische Kontexte des Dokumentes
3.1 Anknüpfungspunkte zum Dokument
3.2 Das Hexereidelikt
3.3 Weiblichkeitskonstruktion
3.4 Rechtsnormen und frühstaatliche Herrschaftspraxis
4 Schlussbetrachtung
5 Literatur- und Quellenangabe
Anhang
- Citar trabajo
- Magister André Keil (Autor), 2005, Egodokumente und Hexendiskurs in der frühen Neuzeit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/161418
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