Eltern Haften für ihre Kinder? Auf vielen Baustellen und anderen gefährlichen Orten entfaltet dieser Hinweis rechtlich kaum eine Wirkung, da Eltern grundsätzlich nur im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht haften und es darüber hinaus einen Bereich gibt, in dem der Minderjährige ohne Aufsicht handelt und möglicherweise gegen Rechtsnormen verstößt, ohne dass dies den Eltern angelastet werden kann. Zwar bedeutet Aufsicht, den Aufsichtsbedürftigen zu beobachten und zu überwachen, zu belehren und aufzuklären, falls erforderlich bezüglich seines Verhaltens zu leiten und zu beeinflussen , die Aufsichtspflicht der Eltern hat sich aber auch nach den konkreten Umständen des Einzelfalles und dem zu richten, was verständigen Eltern in der konkreten Situation zuzumuten ist . Eine Überwachung auf Schritt und Tritt sowie eine ständige Kontrolle des Aufenthaltsortes durch die Eltern in bestimmten Zeitabschnitten wie bei einem Kleinkind verbietet sich dagegen .
Inwiefern man nun das oben genannte Grunddogma elterlicher Aufsichtspflichten auf diesen neuen Gefahrenherd (ein mit dem Internet verbundener Computer steht – haftungsrechtlich – einem „gefährlichen Gegenstand“ gleich ) übertragen kann, d.h. ob und in welchen Umfang Aufsichts- und Überwachungspflichten für den hauseigenen Internetanschluss bestehen, wird in der Rechtsprechung recht unterschiedlich beurteilt.
Es sind allerdings eindeutige Tendenzen festzustellen, welche eine Erweiterung dieser Pflichten und damit auch der Haftung von Internetanschlussinhabern nach sich ziehen. Diese sind - anlässlich der kürzlich getroffenen Entscheidung des OLG Köln, in der die Inhaberin eines Internetanschlusses für unerlaubte Musikdownloads ihres Ehemanns und ihrer Kinder haftbar gemacht wurde - einer genaueren Beobachtung zu unterstellen.
In II) soll dieser Aufsatz einen Überblick darüber geben, wie sich die Rechtsprechung zu diesem Thema, insbesondere bezüglich der besagten Prüfungs- und Überwachungspflichten, bis zur oben genannten Entscheidung entwickelt hat, und wie aufsichts- und haftungsrechtliche Grundfragen auf internetrechtliche Sachverhalte übertragen wurden, um in III) zu einem Fazit zu kommen, wie die Haftungsrisiken für den hauseigenen Internetanschluss in Anbetracht der dargestellten Rechtsprechung zu beurteilen sind.
Jur. Ass. Martin Bernhard Bauer Gefährdungshaftung für den hauseigenen Internetanschluss Tendenzen in der Rechtsprechung
I) Einleitung
Eltern Haften für ihre Kinder? Auf vielen Baustellen und anderen gefährlichen Orten entfaltet dieser Hinweis rechtlich kaum eine Wirkung, da Eltern grundsätzlich nur im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht haften und es darüber hinaus einen Bereich gibt, in dem der Minderjährige ohne Aufsicht handelt und möglicherweise gegen Rechtsnormen verstößt, ohne dass dies den Eltern angelastet werden kann. Zwar bedeutet Aufsicht, den Aufsichtsbedürftigen zu beobachten und zu überwachen, zu belehren und aufzuklären, falls erforderlich bezüglich seines Verhaltens zu leiten und zu beeinflussen1, die Aufsichtspflicht der Eltern hat sich aber auch nach den konkreten Umständen des Einzelfalles und dem zu richten, was verständigen Eltern in der konkreten Situation zuzumuten ist2. Eine Überwachung auf Schritt und Tritt sowie eine ständige Kontrolle des Aufenthaltsortes durch die Eltern in bestimmten Zeitabschnitten wie bei einem Kleinkind verbietet sich dagegen3.
Ein - wie man neusten Tendenzen in der Rechtsprechung erkennen kann - mindestens ebenso gefährlicher Ort, hat sich in den letzten Jahren in bundesdeutschen Wohn- und Kinderzimmern entwickelt. Nachdem im ersten Quartal 2007 bereits in 73% aller Haushalte ein internetfähiger Computer oder Laptop vorhanden war4 und 68% der Bevölkerung ab 10 Jahren5 entweder noch über ISDN, wohl eher aber bereits über Breitband DSL Anschlüsse das Internet nutzten - Tendenz steigend -, hat sich der hauseigene Internetanschluss als Quell zivil- und strafrechtlicher Gefahren entpuppt, die von markenrechtlichen und urheberrechtlichen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen6 bis hin zu möglichen digitalen Delikten wie Beleidigungen in Chatrooms7 und Foren8 oder Betrügereien bei Online Kaufverträgen reicht. Denn oft geht den aufsichtspflichtigen Personen im Haushalt die technische Entwicklung und die tatsächliche Entwicklung ihrer Kinder zu schnell, was angesichts von 87 % aller Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 14 und 29 Jahren, die bereits einmal etwas aus dem Internet heruntergeladen oder sogar in einem Internetshop ge- oder verkauft haben, und 94% der Kinder und Jugendlichen zwischen 10 und 17 Jahren, die Sofortnachrichtendienste wie ICQ, Yahoo Instant Messenger, IRC, MSN oder Skype nutzen9, ein nicht unerhebliches Risiko birgt.
Inwiefern man nun das oben genannte Grunddogma elterlicher Aufsichtspflichten auf diesen neuen Gefahrenherd (ein mit dem Internet verbundener Computer steht - haftungsrechtlich - einem „gefährlichen Gegenstand“ gleich10 ) übertragen kann, d.h. ob und in welchen Umfang Aufsichts- und Überwachungspflichten für den hauseigenen Internetanschluss bestehen, wird in der Rechtsprechung recht unterschiedlich beurteilt.
Es sind allerdings eindeutige Tendenzen festzustellen, welche eine Erweiterung dieser Pflichten und damit auch der Haftung von Internetanschlussinhabern nach sich ziehen. Diese sind - anlässlich der kürzlich getroffenen Entscheidung des OLG Köln, in der die Inhaberin eines Internetanschlusses für unerlaubte Musikdownloads ihres Ehemanns und ihrer Kinder haftbar gemacht wurde11 - einer genaueren Beobachtung zu unterstellen.
In II) soll dieser Aufsatz einen Überblick darüber geben, wie sich die Rechtsprechung zu diesem Thema, insbesondere bezüglich der besagten Prüfungs- und Überwachungspflichten, bis zur oben genannten Entscheidung entwickelt hat, und wie aufsichts- und haftungsrechtliche Grundfragen auf internetrechtliche Sachverhalte übertragen wurden, um in III) zu einem Fazit zu kommen, wie die Haftungsrisiken für den hauseigenen Internetanschluss in Anbetracht der dargestellten Rechtsprechung zu beurteilen sind.
Bezüglich einer Darstellung, welche technischen Überwachungsmöglichkeiten des eigenen Internetanschlusses denkbar und tatsächlich möglich und zumutbar wären, um eine Haftung für fremdes Handeln auszuschließen, wird auf die sehr aufschlussreiche Anmerkung von Grosskopf zum, weiter unten ebenfalls besprochenen, Urteil des LG Hamburg verwiesen, der zudem darstellt, welche Möglichkeiten bestehen, dass der eigene Internetanschluss und die eigene IP-Adresse zur Teilnahme an Filesharing-Netzwerken benutzt werden können, ohne dass der Anschlussinhaber eine solche Software selbst am Computer installiert hat12.
II) Übersicht Rechtsprechung
1) Haftung der Eltern für den eigenen Briefkasten
Fall 1: Ein Jugendlicher bietet über Zeitungsannoncen Disketten mit Computerspielen an, die er zuvor an seinem Computer kopiert hatte, um diese gegen andere kopierte Spiele zu tauschen. Um die Inserate zu schalten, benutzt er den Namen seines Vaters und die Adresse der Eltern - die Antwortschreiben entnahm er dann dem Familienbriefkasten. Die Klage aus § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG richtete sich gegen den Vater.
Hierbei handelt es sich um eine Entscheidung, die zwar keinen internetrechtlichen Sachverhalt zu beurteilen hatte, bei der jedoch auch schon die Verbreitung von Raubkopien im Mittelpunkt stand. Beim hier streitgegenständlichen Tausch von unerlaubterweise kopierten Disketten mit Spielen über Zeitungsannoncen, ging das Gericht davon aus, dass Eltern für Urheberrechtsverletzungen ihrer Kinder nicht verantwortlich seien, d.h. eine Mitstörerhaftung der Eltern nach §97 Abs.1 Satz 1 UrhG13 wurde verneint14.
Der Sohn des Beklagten hatte unter Benutzung des Namens und der Anschrift des Beklagten eine Anzeige zum Tausch von Disketten aufgegeben und das Angebotsschreiben versandt. Der beklagte Vater, ein 59 Jahre alter Maschinenschlosser, der bis dahin noch nie mit Computern gearbeitet und sich deshalb auch nicht für Computerspiele interessiert hatte, trug in der mündlichen Verhandlung vor, dass nicht er, sondern ohne sein Wissen, sein Sohn die entsprechende Inserierung durchgeführt habe, mit der dann die Raubkopien zum Tausch angeboten worden seien15.
Diese Konstellation unterscheidet sich vom Down- und Upload urheberrechtlich geschützter Werke über Tauschbörsen nur unmerklich. Auch in diesem Sachverhalt soll ein Dritter, nämlich die Eltern, für die Bereitstellung von Raubkopien haftbar gemacht werden, auch wenn die Verbreitung nicht über das Internet, sondern über Zeitungsannoncen erfolgen sollte und dafür kein Internetanschluss, sondern lediglich der Hausbriefkasten der Familie „missbraucht“ wurde.
Als Voraussetzung für eine solche Haftung der Eltern wurde verlangt, dass sie für die Rechtsgutsverletzung durch den Sohn ursächlich geworden sind. Zwischen der Rechtsgutsverletzung durch den Sohn der Beklagten und dem als Rechtsgutsverletzung in Betracht kommenden Verhalten des Beklagten, müsste ein adäquater Ursachenzusammenhang bestanden haben. Das Verhalten der Beklagten müsste also eine nicht hinwegzudenkende Bedingung des Verletzungserfolgs gewesen sein und der Eintritts des Erfolgs, bei objektiver Betrachtung, auch nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit gelegen haben16.
Dabei ging das Gericht nicht davon aus, dass die Eltern Aufsichts- oder Überprüfungspflichten über ihren Sohn treffen sollten, vielmehr stellte es fest, dass die Eltern ohne Anlass gerade nicht damit rechnen müssten, dass über ihren Namen und ihre Adresse Rechtsgutsverletzungen durch ihren Sohn begangen würden. Etwas anderes sollte dagegen erst gelten, wenn die Eltern die Verletzung des Urheberrechts unterstützen oder ausnützen. Da ein solches „förderndes Verhalten“ der Eltern nicht nachgewiesen werden konnte, wurde die Haftung der Eltern verneint.
[...]
1 Palandt/Sprau, BGB, 69. Aufl. (2010), § 832 Rdnr. 9.
2 BGH NJW 1996, 1404f.
3 OLG Zweibrücken, Urt. v. 28.09.2006 - 4 U 137/05.
4 Statistisches Bundesamt Deutschland, Pressemitteilung Nr. 486 vom 30.11.2007.
5 Statistisches Bundesamt Deutschland, Pressemitteilung Nr. 486 vom 30.11.2007.
6 Dreyer/Kotthoff/Meckel, 2. Auflage, §97 Rdnr. 48.
7 AG Rheinberg, Urt. v. 12.02.1996 - Ds 397/95, LG Coburg, Urt. v. 20.11.2002 - 21 O 595/02 = JurPC Web-Dok. 59/2003.
8 BGH, Urt. v. 27.03.2007 - VI ZR 101/06 (Zur Haftung von Betreibern von Internetforen für Beleidigungen), LArbG Baden-Württemberg, Urt. v. 07.05.2007 - 4 Sa 1/07 (zu einer außerordentlichen Kündigung nach Beleidigung in Internetforum).
9 Repräsentative Studie der ARIS Umfrageforschung im Auftrag von BITKOM, Pressemitteilung BITKOM vom 18.09.2008.
10 LG München I, Urt. v. 19.06.2008 - 7 O 16402/07 = MIR 2008, Dok. 193.
11 OLG Köln, Urt. v. 23.12.2009 - 6 U 101/09.
12 Dr. Lambert Grosskopf, LL.M., CR 2007, 122 bis 124.
13 Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz - UrhG).
14 OLG Hamburg, Urt. V. 18.05.1995 - 3 U 279/94 = CR 1995, 603ff.
15 OLG Hamburg, Urt. V. 18.05.1995 - 3 U 279/94 = CR 1995, 604.
16 Vgl. auch: BGHZ 42, 118 (124).
- Citation du texte
- Martin Bernhard Bauer (Auteur), 2010, Gefährdungshaftung für den hauseigenen Internetanschluss , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/161118
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