Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturwandel von einer fordistisch geprägten Industriegesellschaft zu einer Wissens- und Kommunikationsgesellschaft (Heidenreich 1999) stellt eine Herausforderung an Aus- und Weiterbildung dar. (...) Höhere und sich entwickelnde Qualifikationsanforderungen erfordern eine Erweiterung des Lernens auf das ganze Leben (Baethge/Baethge-Kinsky 2004; Josczok 1999). Dieses „Lebenslange Lernen“ (LLL) steht für Lernprozesse, die über die gesamte Lebensspanne verteilt, sowohl in Bildungsinstitutionen als auch am Arbeitsplatz oder in der Freizeit, stattfinden.
LLL wurde seit Mitte der siebziger Jahre von verschiedenen internationalen Organisationen (OECD, UNESCO, Europarat) als bildungspolitisches Reformkonzept propagiert und hat sich als außerordentlich wandlungsfähig gezeigt. Unter einer „patina of international discourse“ (Green 2002, 612) lassen sich deutliche Unterschiede in den propagierten Zielen von LLL ausmachen. (...) So gelten in der Kommissionsmitteilung „Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen“ (Europäische Kommission 2001a) active citizenship und employability als gleich wichtige und miteinander verbundene Ziele des LLL (Schemmann 2004). Seit den neunziger Jahren hat sich LLL zu „one of the new en vogue themes of European policy“ (de la Porte/Pochet 2003 entwickelt. (...) Danach griff der Europäische Rat das Thema auf und forderte in seiner Schlussfolgerung des Gipfels von Lissabon im März 2000 eine „Aufwertung des lebenslangen Lernens als Grundbestandteil des europäischen Gesellschaftsmodells“ (Europäischer Rat 2000a) im Rahmen der übergreifenden Strategie, die EU bis 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen - einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“ (ebd.). (...) „Ziele und Strategien der EU werden (...) in jedem Einzelstaat reinterpretiert und entsprechend dem eigenen Regulationsmodus implementiert“ (Baethge/Bartelheimer 2005, 47). Mit dem Leitbild „Einen europäischen Raum des Lebenslangen Lernens schaffen“ wurde auf europäischer Ebene solch ein Ziel formuliert und in Schlüsselbotschaften und Bausteinen konkretisiert. Dieses spezifische Leitbild und seine Reinterpretation und Implementierung in den Mitgliedsstaaten Großbritannien, Dänemark und der Bundesrepublik Deutschland sind die Themen dieser Arbeit.
Inhalt
1. Einleitung
1.1.Thema
1.2.Fragestellung und Eingrenzung
1.3. Theorie
1.4.Aufbau und Methodik
1.5.Literatur und Forschungsstand
2. Lebenslanges Lernen und Weiterbildung – Überschneidung und Abgrenzung der Begriffe
2.1.Lernen – lebenslang und lebensweit
2.2.Berufliche Weiterbildung
2.3.Verhältnis von Lebenslangem Lernen und Weiterbildung
2.4.Die Internationalität von Lebenslangem Lernen
3. Die Entwicklung des Lebenslangen Lernens – Karriere einer Leitidee
3.1.Die optimistische Phase des Lebenslangen Lernens
3.1.1.Der Faure-Report - Erfindung des Lebenslangen Lernens
3.1.2.Permanent Education – Erste europäische Beiträge zum Lebenslangen Lernen
3.1.3.Der OECD-Bericht zu „Recurrent Education“
3.1.4.Die Wissensgesellschaft der siebziger Jahre als Wissenschaftsgesellschaft
3.1.5.Ergebnisse der optimistischen Phase des Lebenslangen Lernens
3.2.Die realistische Phase des Lebenslangen Lernens
3.2.1.Die Weißbücher der Europäischen Kommission – Die Rückkehr des Lebenslangen Lernens
3.2.2.OECD – „lifelong learning“ folgt „recurrent education“
3.2.3.Anstieg der wissensbasierten Dienstleistungen und Paradigmenwechsel zur prozessorientierten Weiterbildung
3.2.4.Ergebnisse der realistischen Phase des Lebenslangen Lernens
4. Lebenslanges Lernen in der europäischen Politik - Operationalisierung eines Leitbildes
4.1. „Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen“
4.2.Das europäische Leitbild des Lebenslangen Lernens
5. Ausprägungen des Lebenslangen Lernens in den Mitgliedsstaaten
5.1.Weiterbildung als Teil des Bildungssystems
5.2.Lebenslanges Lernen in Deutschland
5.2.1.Struktur und Merkmale der beruflichen Weiterbildung
5.2.2.Politische Maßnahmen im Rahmen der Bausteine
5.2.3.Lebenslanges Lernen als Bereich deregulierter Weiterbildung
5.3.Lebenslanges Lernen in Großbritannien
5.3.1.Struktur und Merkmale der beruflichen Weiterbildung
5.3.2.Politische Maßnahmen im Rahmen der Bausteine
5.3.3.Lebenslanges Lernen in einer fragmentierten Bildungslandschaft
5.4.Lebenslanges Lernen in Dänemark
5.4.1.Struktur und Merkmale der beruflichen Weiterbildung
5.4.2.Politische Maßnahmen im Rahmen der Bausteine
5.4.3.Von der Weiterbildung zu einem System des Lebenslangen Lernens
6. Fazit
1. Einleitung
1.1. Thema
Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturwandel von einer fordistisch geprägten Industriegesellschaft zu einer Wissens- und Kommunikationsgesellschaft (Heidenreich 1999) stellt eine Herausforderung an Aus- und Weiterbildung dar. Das traditionelle Bild einer Qualifizierung in Kindheit, Jugend und jungem Erwachsenenalter und einer dadurch ermöglichten dauerhaft ausgeführten Lohnarbeit verliert an Bedeutung. Höhere und sich entwickelnde Qualifikationsanforderungen erfordern eine Erweiterung des Lernens auf das ganze Leben (Baethge/Baethge-Kinsky 2004; Josczok 1999). Dieses „Lebenslange Lernen“ (LLL) steht für Lernprozesse, die über die gesamte Lebensspanne verteilt, sowohl in Bildungsinstitutionen als auch am Arbeitsplatz oder in der Freizeit, stattfinden. Obwohl die Begriffe oft synonym verwendet werden, ist LLL nicht auf „Weiterbildung“ oder „Erwachsenenbildung“ beschränkt (Kruse 2005, 161), sondern stellt die Gesamtheit der Bildungsinstitutionen vor spezifische Herausforderungen.
LLL wurde seit Mitte der siebziger Jahre von verschiedenen internationalen Organisationen (OECD, UNESCO, Europarat) als bildungspolitisches Reformkonzept propagiert (Kraus 2001; Gerlach 2000; Gierse 1996; Stock 1996) und hat sich als außerordentlich wandlungsfähig gezeigt. Unter einer „patina of international discourse“ (Green 2002, 612) lassen sich deutliche Unterschiede in den propagierten Zielen von LLL ausmachen. So wird LLL in manchen Darstellungen als persönlich-emanzipatorisches „Learning to be“ (Faure 1972) oder als ökonomisches „Learning to be productive and employable“ (Biesta 2005, 4; OECD 1997) beschrieben. Dahinter stehen u.a. sich wandelnde Auffassungen von der „Wissensgesellschaft“, die das LLL notwendig machen (Heidenreich 2003; Jakobi 2006). Zunehmend wird LLL in den Zusammenhang mit „sozialem Zusammenhalt“ und Partizipation gestellt (Rubenson 2003). So gelten in der Kommissionsmitteilung „Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen“ (Europäische Kommission 2001a) active citizenship und employability als gleich wichtige und miteinander verbundene Ziele des LLL (Schemmann 2004).
Seit den neunziger Jahren hat sich LLL zu „one of the new en vogue themes of European policy“ (de la Porte/Pochet 2003, 25, Hervorhebung im Original) entwickelt, maßgeblich vorangetrieben durch zwei Weißbücher der Europäischen Kommission (1994, 1996) und das 1996 ausgerufene „Europäische Jahr des lebensbegleitenden Lernens“. Danach griff der Europäische Rat das Thema auf und forderte in seiner Schlussfolgerung des Gipfels von Lissabon im März 2000 eine „Aufwertung des lebenslangen Lernens als Grundbestandteil des europäischen Gesellschaftsmodells“ (Europäischer Rat 2000a) im Rahmen der übergreifenden Strategie, die EU bis 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen - einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“ (ebd.).
Die ehrgeizigen Ziele der Lissabon-Agenda erfordern, dass neben der seit Ende der neunziger Jahre im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie (EBS) durchgeführten Koordination der Arbeitsmarktpolitik auch Bereiche der Sozial- und Bildungspolitik auf europäischer Ebene behandelt werden: „Member governments have acknowledged that improved competitiveness whilst preserving the European model(s) of welfare capitalism may require common responses in areas where legal competences rest with the member states“ (Borrás/Jacobsson 2004, 186). Dies geschieht durch die ebenfalls auf dem Lissabonner Gipfel eingerichtete „Offene Methode der Koordinierung“ (OMK), deren grundlegende Merkmale eine institutionalisierte Koordination, Freiwilligkeit und gegenseitige Information und Lernen sind (Heidenreich/Bischoff 2006). Die Ressourcenverantwortung bleibt vollständig bei den Mitgliedsstaaten und die Vielfalt nationalstaatlicher Institutionensysteme unangetastet (Bauer/Knöll 2003). Die OMK zielt im Kern auf ein Verfahren des politischen Benchmarking „embedded in the master discourse of competitiveness“ (Radaelli 2003, 7): Der Vergleich von Kennzahlen verschiedener Volkswirtschaften und Institutionensysteme soll Anhaltspunkte für Verbesserungspotenziale beim Versuch liefern, gemeinsam formulierte und quantifizierte Entwicklungsziele zu erreichen (Baethge/Bartelsheimer 2005, 35). Ob die OMK die an sie gestellten Erwartungen erfüllen kann, die europäischen Wohlfahrtssysteme koordiniert zu modernisieren, ist jedoch empirisch schwer nachzuweisen (Pollack 2005, 389). „Ziele und Strategien der EU werden (...) in jedem Einzelstaat reinterpretiert und entsprechend dem eigenen Regulationsmodus implementiert“ (Baethge/Bartelheimer 2005, 47). Mit dem Leitbild „Einen europäischen Raum des Lebenslangen Lernens schaffen“ wurde auf europäischer Ebene solch ein Ziel formuliert und in Schlüsselbotschaften und Bausteinen konkretisiert. Dieses spezifische Leitbild und seine Reinterpretation und Implementierung in den Mitgliedsstaaten Großbritannien, Dänemark und der Bundesrepublik Deutschland sind die Themen dieser Arbeit.
1.2. Fragestellung und Eingrenzung
Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit richtet sich auf das Verhältnis der europäisch formulierten Vorgaben zum LLL und der Entwicklungen in den Mitgliedsstaaten Großbritannien, Dänemark und Deutschland. Die Fragestellung lautet somit: Führt das Leitbild eines „europäischen Raums des lebenslangen Lernens“ zu konvergenten Entwicklungen in nationalstaatlichen Beschäftigungs- und Bildungssystemen?
Zur Beantwortung dieser Frage gilt es, zwei Zusammenhänge zu analysieren. Erstens werden die Merkmale eines europäischen Leitbildes von LLL in Abgrenzung zu den Konzepten anderer internationaler Organisationen geklärt. Dabei werden das zugeschriebene Ziel von LLL und die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Implementierung im Mittelpunkt stehen. Zweitens wird untersucht werden, welche Regulationsmodi für LLL in den drei Staaten gegeben sind, welche Strategien zur Förderung des LLL gewählt wurden und ob sich eine Entwicklung entsprechend der europäischen Vorgaben abzeichnet. Für diese Arbeit werden die politischen Rahmenbedingungen der Weiterbildung untersucht, eingegrenzt auf die berufliche Weiterbildung, da dieser Bereich des Bildungssystems für LLL von besonderer Bedeutung ist. Berufliche Weiterbildung wird hier verstanden als Erwachsenenbildung, die dazu dient, erwerbsbezogene Kenntnisse und Fertigkeiten von Beschäftigten bzw. Arbeitslosen zu erhalten, zu erweitern oder dem aktuellen Kenntnisstand in einem Berufszweig anzupassen.
1.3. Theorie
Den Annahmen des Historischen Institutionalismus folgend, wird die Politik der Europäischen Kommission zum LLL, besonders durch die Weißbücher und die Ausrichtung des „Europäischen Jahres des lebensbegleitenden Lernens“, als informelles Agenda-Setting verstanden.[1] Mark Pollack (1997) definiert informelles Agenda-Setting als „the ability of a 'policy entrepreneur' to set the substantive agenda of an organization, not through its formal powers but through its ability to define issues and present proposals that can rally consensus among the final decision makers“ (121, Hervorhebung im Original).[2]
Im Prinzip kann jeder Akteur des europäischen Entscheidungssystems informelles Agenda-Setting betreiben. Die Kommission ist jedoch im Vorteil, da sie erstens über anerkanntes Expertenwissen (Pierson 1996, 139), zweitens über ein ausgeprägtes politisches Netzwerk und drittens über Verhandlungserfahrung verfügt (Pollack 1997, 125). Viertens kann die Kommission auf eine günstige Gelegenheit, ein „window of opportunity“, warten: „It [=die Kommission, d.V.] has learned to respond to opportunities for action as they present themselves and even to facilitate the emergence of these opportunities“ (Cram 1997, 156). Nationale Exekutiven haben dagegen aufgrund ihres primären Interesses an der eigenen Wiederwahl nur einen begrenzten Zeithorizont für Entscheidungen. Die Komplexität und Regelungsdichte der EU, zeitliche Zwänge und Informationsknappheit führen zu einer Delegierung von Kompetenzen an die Kommission (Pierson 1996, 139).
Die Chancen der Kommission zur Implementierung der informellen Agenda steigen dabei, wenn externe Faktoren dies begünstigen. Nach Pollack (1997, 126-128) gibt es mehrere Erfolgsfaktoren, die die „agenda-setting-power“ (126) erhöhen: Dies ist der Fall wenn erstens die Präferenzen der Mitgliedsstaaten nur lose definiert sind, zweitens unter den Mitgliedsstaaten Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen besteht und die Kommission über mehr Informationen verfügt, drittens wenn ein Vorschlag der Kommission wenige oder keine distributiven oder redistributiven Elemente enthält und viertens die Transaktionskosten für die Verhandlung alternativer Vorschläge hoch sind und somit fünftens Unsicherheit über alternative Vorschläge besteht. Zum ersten Punkt lässt sich sagen, dass es in keinem der drei zu untersuchenden Länder vor dem „Europäischen Jahr des lebensbegleitenden Lernenes“ Präferenzen zum LLL in Form einer ausformulierten nationalen Strategie oder Definition von LLL gab (Field 2002b, Haak 2003).[3] Zweitens konnte die Kommission aufgrund ihrer Auseinandersetzung mit LLL seit Beginn der neunziger Jahre Expertenwissen aggregieren, das sie in Form einer Definition von LLL und konkreten sachpolitischen Vorschlägen im Memorandum und der darauf folgenden Mitteilung „Einen europäischen Raum des lebensbegleitenden Lernens schaffen“ für ihr Agenda-Setting einsetzen konnte. Drittens entstehen für die Mitgliedsstaaten zunächst keine Kosten, da die Art der Ausgestaltung der Vorschläge in ihrer Verantwortung bleibt und sie sich auf regulative Maßnahmen beschränken können. Viertens wird LLL nicht nur von der Kommission unterstützt, sondern hat sich in den neunziger Jahren zu einer Art „globaler Norm“ entwickelt, der sich Regierungen kaum entziehen können (Jakobi 2006) und für das fünftens kein schlagkräftiges und ähnlich populäres Alternativkonzept greifbar ist. Gert Biesta (2005, 1) fragt in diesem Zusammenhang sehr treffend: „Who would want to argue that lifelong learning is not a good thing?“
Trotz unterschiedlicher Regulationsmodi in der Struktur der nationalen Bildungs- und Beschäftigungssysteme scheint es in den Mitgliedsstaaten der EU einen Konsens über die Notwendigkeit für LLL und gemeinsame Kernprobleme zu geben, die einem reibungslosen Übergang in die wissensbasierte Gesellschaft im Weg stehen (Green 2000, 35-37). Dieser Konsens drückt sich in der Schlussfolgerung des Gipfels von Lissabon aus, LLL als Grundbestandteil des europäischen Gesellschaftsmodells aufzuwerten, was sich als großer Erfolg für das informelle Agenda-Setting der Kommission deuten lässt: „The Member States will find it increasingly problematic to justify a lack of progress towards standards that they have agreed to fulfill“ (Ertl 2006, 20). Die Kernprobleme spiegeln sich in den Schlüsselbotschaften und Bausteinen wieder, die in der Kommissionsmitteilung (Europäische Kommission 2001a) und den folgenden Ratsentschließungen (u.a. Rat der EU 2002b) festgehalten wurden und zu denen die Mitgliedsstaaten Position beziehen müssen. Dabei werden die Gestaltungsinstrumente der OMK angewandt: Festlegung von Leitlinien, quantitative und qualitative Indikatoren und Benchmarks als Mittel für den Vergleich, regelmäßige Überwachung, Bewertung und gegenseitige Prüfung der erzielten Fortschritte (Europäischer Rat 2000a). Die Mitgliedsstaaten wurden vom Europäischen Rat aufgefordert, Strategien und praktische Maßnahmen entlang der auf europäischer Ebene vorgeschlagenen Bausteine zu entwickeln und über ihre Fortschritte zu berichten (Europäischer Rat 2000b). Die wichtigsten Indikatoren sind dabei Bildungsinvestitionen und Teilnahmequoten am LLL.[4]
Nach Jacobsson/Vifell (2005, 6) führen diese Prozesse zu einer Europäisierung von Ideen und Sichtweisen einerseits durch administrative Praxis, andererseits durch gemeinsames Setzen von Rahmenbedingungen, Ansätzen, Indikatoren und Statistiken. Die Bedeutung von gegenseitigen Lernprozessen in Abwesenheit von Sanktionsmechanismen wird ebenfalls unterstrichen. Die zentralen Akteure des Agenda-Setting für LLL im Rahmen der OMK sind jetzt Kommission und Mitgliedsstaaten gleichermaßen.[5] Hinsichtlich ihres Einflusses in den Mitgliedsstaaten wird die OMK daher als Agent einer zunehmenden indirekten Europäisierung gesehen, die die teilnehmenden Mitgliedstaaten anregt, entscheidende Probleme durch eine „europäische Brille“ zu betrachten (de la Porte/Pochet 2002, 299). Eine derartige Vorbereitung und Herstellung einer gemeinsamen Wahrnehmung nennen Knill/Lehmkuhl „framing integration“ in Abgrenzung zu negativer Integration und positiver Integration (Knill/Lehmkuhl 99).
Neben dem generellen Konsens über die Notwendigkeit von LLL und die Kernprobleme bei der Umsetzung scheint es jedoch beträchtliche Unterschiede in der Sichtweise auf LLL zu geben. Dies zeigen schon die sehr unterschiedlichen Ausrichtungen der Stellungnahmen zum Memorandum: „Germany seems to favour an approach of implementing lifelong learning (...) that balances the aims of employability and active citizenship as equally important“. Großbritannien dagegen „appears to place a stronger accent on employability issues“ (Cedefop 2001, 5). Diese unterschiedlichen Sichtweisen lassen sich mit dem Historischen Institutionalismus durch unterschiedliche institutionelle Strukturen in den Staaten erklären, die die Gestaltung von LLL beeinflussen. Institutionen werden in diesem Fall gesehen als „organizations and the rules or conventions promulgated by formal organization“ (Hall/Taylor 1996, 7). Als Beispiele lassen sich hier die Organisation der Erstausbildung, der Ausbau von finanziellen Anreizsystemen für Weiterbildung, Regelungen der Sozialpartner oder der rechtliche Rahmen für die Anerkennung von Qualifikation als politsche und soziale Institutionen sehen, die Einfluss auf die Entwicklung der Weiterbildung haben. In einer vergleichenden Untersuchung der drei Länder soll festgestellt werden, „how they [=die Institutionen, d.V.] structure a nation's response to new challenges“ (Hall/Taylor 1996, 9).
1.4. Aufbau und Methodik
Die Arbeit gliedert sich in zwei Hauptteile. Im ersten Teil wird der Begriff „Lebenslanges Lernen“ untersucht und in einen historischen und internationalen Rahmen gesetzt. Zur grundlegenden Bestimmung des europäischen Leitbilds in Abgrenzung zu den Leitbildern anderer internationaler Organisationen werden die Ziele von LLL in den Mittelpunkt gestellt. Zur Kategorisierung bieten sich drei von Aspin/Chapmann (2001, 39f.) herausgearbeitete Ziele an: „for economic progress and development, (...) for personal development and fulfilment, (...) for social inclusiveness and democratic understanding and activity“. Diese drei Aspekte werden als ökonomische, persönlich-emanzipatorische und demokratische Dimension des LLL bezeichnet. Mit den Dimensionen einher gehen spezifische Vorstellungen der Implementierung von LLL, die sich hinsichtlich der zugeschriebenen Rolle von Staat, Wirtschaft oder Individuen (Rubenson 2002) und dem Grad der Regulierung (Auer 1994, 125) unterscheiden: „Some stress the role of the market and the responsibility of the individual; some advocate multiple stake-holding and social partnership; others, although increasingly rarely, advocate the central role of the state in orchestrating and managing the learning society“ (Green 2005, 3). Mit der Methode der Dokumentenanalyse wird die Entwicklung des Begriffs LLL nachgezeichnet um schließlich das europäische Leitbild anhand der in der Kommissionsmitteilung „Einen europäischen Raum des lebensbegleitenden Lernens schaffen“ gewählten Definition und der formulierten Schlüsselbotschaften und Aktionsschwerpunkte zu identifizieren.
Im zweiten Hauptteil wird der Implementierung des europäischen Leitbilds in Großbritannien, Dänemark und Deutschland nachgegangen. Wie bereits begründet, wird der auf europäischer Ebene erzielte Konsens über die Notwendigkeit und wichtigsten Maßnahmen für LLL als Bestätigung dafür verstanden, dass die europäischen Sozialstaaten ähnlichen internen und externen Herausforderungen gegenüberstehen.[6] Außerdem wird die Verschiedenheit der unterschiedlichen Sozialstaaten betont, die durch diese Herausforderungen unter Druck gesetzt werden: „As a consequence of institutional diversity, national welfare states respond differently to challenges of structural change“ (Ferrera et al. 2000, xvi), was eine einheitliche europäische Antwort auf diese Herausforderungen unmöglich macht (Héritier 2001; Leibfried/Pierson 2000). Viele Untersuchungen weisen auf die bestehenden und sich sogar verstärkenden Unterschiede zwischen den Sozialsystemen besonders im Zusammenhang mit Qualifikationsbildungsprozessen hin (Estevez-Abe et al. 2001, 176; Hall/Soskice 2001).
Für die Untersuchung der Reinterpretation und Implementierung von LLL ist also zunächst zu klären, welche institutionellen Strukturen die Weiterbildung in den drei Ländern prägen. Dazu wird auf bestehende Sozialstaatstypologien zurückgegriffen. Andy Green (2005; 2002; 2000) identifiziert „distinctive models of lifelong learning within the western European states“ (2005, 1). Er beschreibt ein nordisches, ein angelsächsisches und ein kontinentaleuropäisches LLL-Regime. Bezogen auf Gøsta Esping-Andersen (1990) stellt er fest: „Economic, welfare and lifelong learning models thus converge on the same regional groupings“ (Green 2005, 33). Diese regionalen Muster begründen zugleich die Fallauswahl für diese Arbeit. Die entscheidende Frage ist, wie sich die festgestellte regionale Konvergenz mit dem europäischen Leitbild verträgt: „and in what way are national policies (in their formula as much as their content) influenced by the policies of the European Union?“ (Mény et al. 1996, 1). Dabei wird davon ausgegangen, dass die Rahmenbedingungen für LLL durch öffentliche Regelungen organisiert werden. Heidemann (2002, 7) weist darauf hin, dass dies sowohl für Länder mit einem „deregulativen“ Verständnis von Bildung (Großbritannien) wie auch für solche mit einer langen sozialstaatlichen Bildungstradition zutrifft.
Die dazu benötigten Daten werden aus den von Großbritannien, Dänemark und Deutschland für die EU verfassten Berichten gewonnen. Diese Berichte wurden erstens im Rahmen des Konsultationsprozesses zum „Memorandum über Lebenslanges Lernen“, zweitens als Antwort auf die Aufforderung des Rats zur Entwicklung kohärenter nationaler Strategien zur Implementierung von LLL und drittens als Fortschrittsberichte im Rahmen des Programms „Allgemeine und berufliche Bildung 2010“ verfasst. Die Mitgliedsstaaten beschreiben darin, durch welche Maßnahmen sie gedenken LLL entlang der europäischen Vorgaben zu fördern. Im Mittelpunkt stehen dabei Ansätze, Maßnahmen und Instrumente, die auf die Schaffung einer Infrastruktur für das LLL gerichtet sind.
Aus der Forschung zur OMK weiß man, dass in solchen Berichten „already-existing or planned measures are interpreted and reported in the EU scheme but few real novelties are introduced“ (Jacobsson/Schmid 2003, 116; Jacobsson/Schmid 2002). Die Mitgliedsstaaten können so fehlende Veränderungen der nationalen Praktiken verschleiern (de la Porte/Pochet 2002, 15f.). Deshalb ist es nötig, neben den Fortschrittsberichten aktuelle Forschungsergebnisse zur Entwicklung der Weiterbildung in die Untersuchung einfließen zu lassen. Die Untersuchung in den Ländern setzt mit dem „Europäischen Jahr des lebensbegleitenden Lernens“ 1996 ein und endet 2005, da aktuellere Entwicklungen noch keinen Eingang in die wissenschaftliche Literatur gefunden haben.
1.5. Literatur und Forschungsstand
Lebenslanges Lernen ist bislang kein Thema politikwissenschaftlicher Forschung. Die meisten Veröffentlichungen stammen aus der Erziehungswissenschaft, besonders der Berufs- und Wirtschaftspädagogik und Erwachsenenbildung, sowie aus Bildungsgeschichte oder Bildungsforschung. Dabei steht die Entwicklung von LLL in internationalen Organisationen (Gerlach 2000; Kraus 2001; Gierse 1996; Aspin/Chapman 2000), als Modernisierungskonzept in der Weiterbildung (Arnold 1999; Lipsmeier/Clement 1999) und als Ausdruck des sozioökonomischen Wandels (Baethge/Baethge-Kinsky 2004; Baethge/Baethge-Kinsky 2002) im Mittelpunkt der Forschung. Weiterbildungsbeteiligung, Investitionen in Weiterbildung und Weiterbildung als Teil von aktiver Arbeitsmarktpolitik sind zudem zentrale Themen der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Bellmann 2003; Auer 1994). In der Erforschung der OMK, insbesondere hinsichtlich ihrer Auswirkung auf die Mitgliedsstaaten stehen bislang die Europäische Beschäftigungsstrategie und OMK-Inklusion im Mittelpunkt (einen Überblick über die aktuelle Forschung bieten Zeitlin et al. 2005; Radaelli 2003; de la Porte/Pochet 2003). Im Bereich Bildung wurde die OMK bislang wenig untersucht, allenfalls im Rahmen bildungshistorischer Untersuchungen, die ihre Einführung als „turning point“ sehen, dem sogar eine „unionization“ der Bildung folgen könne (Ertl 2006, Nóvoa/deJong-Lambert 2003).
Anja Jakobi (2006) hat die Verbreitung von LLL als „Diffusion einer globalen Norm“ untersucht. Alexandra Dehmel (2005) hat die Stellungnahmen der Mitgliedsstaaten zum Memorandum analysiert. Ein vergleichender Blick auf die Umsetzung von LLL in europäischen Ländern findet sich im Sammelband von Phillips/Ertl (2003).
Trotz umfangreicher Recherchen konnte der Verfasser dieser Zeilen keine wissenschaftliche Auswertung der nationalen Berichte zur Implementierung von LLL in den Mitgliedsstaten ausfindig machen. Die Relevanz dieser Arbeit begründet sich aus dieser Tatsache und dem Fehlen politikwissenschaftlicher Analysen von LL als bildungspolitisches Konzept im Kontext der Lissabon-Agenda. In der öffentlichen Diskussion wird LLL nach wie vor von allen Seiten gefordert, was einem präzisen Umgang mit dem Begriff eher abträglich ist eine systematische Auseinanderstzung mit LLL erschwert. Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag dabei leisten, diese Lücke zu schließen.
2. Lebenslanges Lernen und Weiterbildung – Überschneidung und Abgrenzung der Begriffe
2.1. Lernen – lebenslang und lebensweit
Unter dem Begriff des LLL lassen sich mindestens drei verschiedene Zusammenhänge erfassen: Eine biografische Erfahrung, ein pädagogisches Konzept und ein politisches Konzept. Als politisches Konzept wird LLL aber nicht ausschließlich im Rahmen der Bildungspolitik, sondern auch in wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Zusammenhängen diskutiert. In dieser weiten Verbreitung tritt LLL als buzzword in vielfältiger Bedeutung auf. Diese reichen, wie Christine Gerlach (2000, 10) festgestellt hat, von einer pragmatischen Bildungsexpansion bis zu einem idealistischen „Bewältigungsinstrument für die Gesellschaft der Zukunft“. Die Notwendigkeit von LLL scheint vor dem Hintergrund raschen gesellschaftlichen und technischen Wandels allgemein anerkannt. Gleichzeitig bleiben Fragen nach konkreten Definitionen, Inhalten, Konzepten und Strategien zur Verwirklichung von LLL häufig auf der Strecke (Biesta 2005, 4).
Eine einheitliche Definition lässt sich kaum finden, aber eine grundlegende Annahme aller Konzepte von LLL ist die „Unmöglichkeit bzw. Unangemessenheit eines Endpunktes der Lernbemühungen jedes einzelnen Menschen“ (Kraus 2001, 10).[7] Damit wird erstens die Lernfähigkeit von Individuen bis ins hohe Alter herausgestellt und so der landläufigen Annahme widersprochen, Lernen sei mühsamer, je älter man werde (Faulstich 2003, 626). Des Weiteren ergeben sich aus dieser „Flexibilisierung von Lernzeiten über den Lebenslauf“ (Faulstich 2003, 626) aber auch Anforderungen an die institutionelle Verfasstheit des Bildungssystems inklusive des rechtlichen und organisatorischen Rahmens der Weiterbildung (Heidemann 2003). Dabei geht es nicht in erster Linie darum, der bestehenden Bildungslandschaft einen weiteren Bereich hinzuzufügen, sondern darum, dass Zugang zu Lernmöglichkeiten in allen Phasen des Lebens gegeben ist (Kraus 2002, 35).
Diese Lernmöglichkeiten sind nicht auf bestehende Institutionen beschränkt, sondern können in ganz verschiedenen lebensweltlichen Zusammenhängen realisiert werden. Dieser
Aspekt von LLL wird häufig durch die Ergänzung „lebensweit/life-wide“ deutlich gemacht (Rubenson 2002, 242).
In der erziehungswissenschaftlichen Debatte (u.a. Alheit/Dausien 2002) wird oft eine gewisse Selbstverständlichkeit von LLL betont, da es dem Menschen unmöglich sei, nicht zu lernen (z.B. wie das neue Handy funktioniert oder wie man eine Speise zubereitet). Für die Diskussion von LLL als politisches Konzept ist die Unmöglichkeit des Nicht-Lernens insofern einzuschränken, dass eine beliebige Aneignung von Informationen im täglichen Leben nicht als befriedigendes Ergebnis von LLL verstanden werden kann: „ (...) the use of the word learning (...) should refer only to significant changes in capability or understanding, and exclude the acquisition of further information when it does not contribute to such changes“ (Erault 1997, 10, Hervorhebung im Original). Welche Veränderungen durch LLL erreicht werden sollen, wird in Kapitel 3 entlang der „Karriere einer Leitidee“ (Kraus 2001) untersucht.
Es sei noch darauf hingewiesen, dass die englischen Begriffe Lifelong Learning/Lifelong Education in manchen Zusammenhängen mit „Lebenslangem Lernen“ übersetzt werden, in anderen Dokumenten dagegen werden „Lebenslanges Lernen“ und „Lebenslange Bildung“ unterschieden. Der Begriff learning bezeichnet aber präziser den eigentlichen Prozess des Lernens, d.h. der Veränderung durch Erfahrung und betont die individuelle Dimension. Education beschreibt dagegen einen von außen gesteuerten Lernprozess, was mit dem Begriff „Bildung“ nur ungenau übersetzt wird.[8] „Whereas 'education' is a relational concept that, in most cases, refers to the interaction between an educator and a student, 'learning' denotes something that one can do alone and by oneself“ (Biesta 2005, 8). Bei der Untersuchung von Veröffentlichungen zum LLL gilt es zu beachten, dass in manchen Dokumenten diese Unterscheidung explizit aufgegriffen und die Verantwortung für LLL implizit eher dem Individuum oder dem Bildungssystem zugeschrieben wird, während andere auf diese Differenzierung verzichten (Gerlach 2000, 162).
2.2. Berufliche Weiterbildung
Im Allgemeinen werden unter Weiterbildung alle diejenigen „intentionalen Bildungsaktivitäten zusammengefasst, die nach Abschluss einer ersten, unterschiedlich ausgedehnten Bildungsphase mit anschließender Erwerbstätigkeit oder auch Familientätigkeit aufgenommen werden“ (Faulstich 2003, 625). Weiterbildung wird in nicht-berufliche und berufliche Weiterbildung unterteilt. Früher waren die Begriffe „Erwachsenenbildung“ bzw. „Berufliche Fortbildung und Umschulung“ gebräuchlicher (Ehmann 2001, 96; Münch 1993). Für diese Arbeit wird unter beruflicher Weiterbildung jede intentionale Tätigkeit verstanden, die dazu dient, arbeitsmarktbezogene Kenntnisse und Fertigkeiten von Arbeitnehmern bzw. Arbeitslosen zu erhalten, zu erweitern oder aktuellen Entwicklungen anzupassen.[9] Es gilt bei der Untersuchung von beruflicher Weiterbildung zu beachten, dass die sehr unterschiedliche Gestaltung beruflicher Erstausbildung in den zu untersuchenden Ländern Einfluss darauf haben, was unter Weiterbildung verstanden wird. Außerdem ist die Unterscheidung zwischen beruflicher und nicht-beruflicher Weiterbildung häufig weniger von den Inhalten der Weiterbilung als vom institutionellen Rahmen abhängig. Generell wird diese Unterteilung immer wieder als überholt bezeichnet (Gonon/Stolz 2004, Ehmann 2001): „Zwischen betrieblich notwendiger Anpassungsqualifizierung und persönlichem Weiterlernen, zwischen Anweisung des Arbeitgebers und persönlicher Weiterbildungsinitiative liegt heute (...) eine Bandbreite an Variationen und Überlagerungen (...)“ (Expertenkommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“ 2004, 55).
Im Gegensatz zum übrigen Bildungssystem ist die Weiterbildung von Anbieterpluralismus und Finanzierungsdiversifikation (Faulstich 2003, 630) geprägt. In allen drei untersuchten Ländern übersteigen private Investitionen in Weiterbildung die öffentlichen Finanzierungsmaßnahmen (Auer 1994, 123; Expertenkommission „Finanzierung des Lebenslangen Lernens“ 2004), auch unter Beachtung von öffentlich finanzierten Maßnahmen für Arbeitslose.[10] Die wichtigsten Träger beruflicher Weiterbildung sind die Arbeitgeber bzw. die Betriebe (Münch 2002, 131). Deshalb unterliegt Weiterbildung betriebswirtschaftlichen Rationalitäten oder ist zumindest in diese eingebunden und ist daher eng mit Organisationsentwicklungsprozessen des Unternehmens verknüpft (Kohl/Holzberger 2005, 351). Trotzdem wird angenommen, dass der Staat durch die Regulierung des rechtlichen Rahmens und das Setzen von finanziellen Anreizen maßgeblichen Einfluss auf die Weiterbildungaktivität ausübt, sowohl hinsichtlich der Teilnehmerzahlen als auch des Investitionsumfangs (Auer 1992; Mytzek-Zühlke 2005).
Eine konsequente Weiterbildungspolitik erscheint auch unabhängig davon wünschenswert, wie intensiv die Debatte um LLL geführt wird: Aus Unternehmensperspektive sind Investitionen in die Fertigkeiten der Mitarbeiter eine notwendige Bedingung für den wirtschaftlichen Erfolg eines Betriebes, aus individueller Perspektive ist eine höhere Qualifikation zunehmend entscheidend für gute Beschäftigungsaussichten, verbesserte Karrierechancen, die Qualität der Arbeit und das Einkommensniveau (Schömann/Becker 1999). Insbesondere Niedrigqualifizierte sind europaweit in einem zunehmenden Ausmaß von Arbeitslosigkeit betroffen (Cedefop 2000, 42; Gerlach/Jirjahn 1998, 312). So werden Weiterbildungsinvestitionen zu zentralen beschäftigungserhaltenden Instrumenten für Erwerbstätige. Aus der Perspektive der Übergangsarbeitsmärkte als Institutionen des Risikomangements führen betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen zu einem Rückgang des Zustroms in Arbeitslosigkeit und sind somit als Instrument einer präventiven Arbeitsmarktpolitik zu betrachten (Schmid 2002, 253-255). Außerdem fördert die Qualifizierung von Arbeitslosen die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt und verkürzt die Arbeitslosigkeit (Schmid 1997, 354).
Dagegen kann nicht von einem direkten Zusammenhang zwischen Investitionen in Weiterbildung und Wirtschaftswachstum ausgegangen werden: „the simple one-way relationship which so entrances our politicians and commentators – education spending in, economic growth out – simply doesn’t exist” (Wolf 2002, xii-xiii). Darüber hinaus fördert auch die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung die persönliche Entwicklung eines Menschen und kann damit der Steigerung der Lebensqualität dienen.
2.3. Verhältnis von Lebenslangem Lernen und Weiterbildung
Vor dem Hintergrund des Leitbilds LLL erhält die Weiterbildung im Verhältnis zur Erstausbildung ein stärkeres Gewicht. Dies ist schon allein der Tatsache geschuldet, dass über die Lebensspanne gesehen die Phase der Erstausbildung viel kürzer ist als die Zeit, in der an Weiterbildung teilgenommen werden kann. Außerdem wird das in formalen Bildungsinstitutionen veranstaltete Lernen in Kindheit und Jugend viel stärker als eine soziale und biografische Selbstverständlichkeit wahrgenommen. Diese beiden Zusammenhänge führen dazu, dass „Weiterbildung“ oft als einziger Bereich der Realisierung von LLL betrachtet wird (Bechtel et al. 2005, 53). Dies trifft besonders für die deutsche Diskussion auf politischer wie auch auf wissenschaftlicher Ebene zu (Kruse 2005, 161; Gerlach 1996, 164).
Die Förderung von LLL schließt aber Anforderungen an alle Bereiche des Bildungssystems und darüber hinaus ein.[11] Eine Verfestigung des Weiterbildungsbereichs als isolierten Sektor stellt kein wünschenswertes Ergebnis im Sinne des LLL dar (Bechtel et al. 2005, 53).[12] Dass auch diese Arbeit sich auf die Weiterbildung beschränkt, sei damit begründet, dass die Bildungsaktivität von Erwachsenen anders als die Schulbildung unmittelbar durch die Auseinandersetzung mit aktuellen politschen, ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen und Erfordernissen bestimmt wird (Nuissl 1997, 244). Die politische Regulierung der Rahmenbedingungen für das Lernen von Erwachsenen genießt durch ihre Verbindung zur Beschäftigungspolitik eine höhere Aufmerksamkeit als z.B. frühkindliche Erziehung. Weiterbildung gilt als tragender Bestandteil eines umfassenden Verständnisses von LLL (Faulstich 2003, 626), der mehr leistet, als nur die schulische Bildung zu „korrigieren“ (Knoll 1997, 36). Außerdem weist Kraus (2001, 13) darauf hin, dass der schulische Bereich aufgrund seiner stärkeren Institutionalisierung, eine wesentlich größere Beharrungstendenz gegenüber politischen Eingriffen aufweist.
2.4. Die Internationalität von Lebenslangem Lernen
LLL wird als ein internationales Konzept (Schuller/Schuetze/Instance 2002, 3) beschrieben, da in erster Linie internationale Organisationen wie die United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) oder die Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) für die Entstehung dieser bildungspolitischen Reformvisionen verantwortlich sind (Knoll 1998). „Characteristically, the debates over lifelong learning tended to be the preserve of educational specialists meeting in the framework of intergovernemental bodies (...)“ (Field, 2002 5). Seit über dreißig Jahren tragen die UNESCO und die OECD maßgegblich zur Diskussion um LLL bei. Mehrere Autoren registrieren eine wellenförmige Entwicklung des LLL, mit Phasen hoher Publikationsdichte und reger Debatten Anfang bis Mitte der siebziger Jahre, einer geringen Aktivität während der achtziger Jahre und einer erneuten Hochphase, die seit Mitte der neunziger Jahre anhält (u.a. Schemmann 2002; Gerlach 2000; Kallen 2002). Wolfgang Jütte (2000, 122) weist zudem darauf hin, dass sich in der Weiterbildung zahlreiche historische Beispiele von „transnationalen Austauschprozessen“ finden und seit Ende der neunziger Jahre eine „Renaissance des internationalen Arguments“ zu beobachten sei.
Seit der zweiten Hochphase lässt sich eine Internationalität nicht nur in Bezug auf die Urheber von LLL-Konzepten, sondern auch hinsichtlich ihrer Verbreitung auf staatlicher Ebene fesstellen. Nicht nur „armies of international think tank experts and consultants analyse, develop, adapt and package policies“ (Green 2002, 611), weltweit inkorporieren Bildungsministerien und Regierungskommissionen den Begriff des LLL in Strategien und Programmen. Anja Jakobi (2006, 110-112) weist die Erwähnung von LLL in 73 von allen 158 nationalen Berichten der UNESCO-Datenbank World Data on Education im Jahr 2003 nach. Die Berichte beschreiben die nationalen Bildungssysteme und aktuelle Reformvorhaben. 73 Länderberichte entsprechen einer Beschäftigung mit LLL in 46% aller Staaten der Welt. Die Verteilung ist weder regional noch nach wirtschaftlichem Entwicklungsstand beschränkt. Das bedeutet, dass das Konzept des LLL keinesfalls nur in entwickelten Industriegesellschaften angekommen ist, die sich auf dem Sprung in die Wissensgesellschaft wähnen. Jakobi (2006, 111-119) ordnet den Stand der nationalen Diskussionen in sechs Kategorien ein: Deutschland gehört dabei zur vierten Kategorie „LLL as Continuing and Adult Education“, die LLL in weiten Teilen mit Weiterbildung gleichsetzt. Dänemark und Großbritannien fallen dagegen in die Kategorie „LLL as a Source of a Competitive Workforce“. In diesem Fall wird LLL in Verbindung zur Wissensgesellschaft gestellt und das Ziel der Wettbewerbsfähigkeit im Vergeich zu andern Ländern angeführt. Dänemark und Großbritannien drücken den Wunsch aus, jeweils eines der besten Bildungssysteme der Welt zu besitzen (Jakobi 2006, 115).
LLL ist in den neunziger Jahren eine „globale Norm“ (Jakobi 2006, 121), eine globale Formel (Schemmann 2002), ein „Meta-Diskurs“ (Green 2002, 613) oder sogar ein „world-wide movement“ (Hake 1999a, 90) geworden, das eine Konvergenz nationaler Politik in den Bereichen Agenda-Setting und Formulierung verursacht (Dale 1999). „The notion is, of course, hopelessly vague, masking many different policy approaches, but it captures something real and significant in modern policy trends“ (Green 2002, 614). Die Diskussion der siebziger Jahre blieb dagegen auf den Bereich der internationalen Organisationen beschränkt (Field 2002, 3).
Welche grundlegenden Konzepte zum LLL in den beiden „boom phases of lifelong learning“ (Schemmann 2002) entwickelt wurden und warum es erst in den Neunzigern zu einem starken Einfluss auf die nationale Ebene kam, wird im folgenden entlang der historischen Entwicklung des LLL bestimmt.
3. Die Entwicklung des Lebenslangen Lernens –
Karriere einer Leitidee
3.1. Die optimistische Phase des Lebenslangen Lernens
3.1.1. Der Faure-Report -
Erfindung des Lebenslangen Lernens
Obwohl John Field (2002b, 3) schreibt: „lifelong learning has emerged onto the policy scene with the suddenness of a new fashion“, waren die zugrunde liegenden Ideen auch Anfang der siebziger Jahre nichts völlig neues (Hake 1999b, 53; Wurzburg 2005, 156). Verschiedene Bildungstraditionen und reformpädagogische Ansätze hatten schon vorher die Bedeutung von Lernerfahrungen in jedem Lebensalter betont.[13] Bildungspolitik wurde aber völlig selbstverständlich auf die „socialisation of the young“ (Field 2002b, 5) reduziert. 1972 wurde mit „Learning to be“ (Faure et al. 1972) das erste bildungspolitische Konzept veröffentlicht, in dem „jegliche Form von Lernen in einer Gesamtkonzeption aufeinander bezogen wird“ (Gerlach 2000, 15). Unter der Leitung des ehemaligen französischen Premierministers und Bildungsministers Edgar Faure hatte die UNESCO eine Kommission beauftragt, „eine kritische Bilanz der Bildungssituation weltweit zu ziehen und politische Leitlinien und Prioritäten für eine Strukturreform zu finden“ (Nacke/Dohmen 1996, 156).[14] Obwohl formell unabhängig von der UNESCO entsprach der so genannte Faure-Report in zwei Aspekten einer für die UNESCO dieser Zeit typischen Weltsicht. Erstens wurde von der Existenz einer solidarischen internationalen Gemeinschaft (Faure 1972, 21) gesprochen und zweitens von einer „Weltkultur“ ausgegangen, „die die nationalen Besonderheiten übergreifen werde“ (Knoll 1996, 118). Obwohl die grundsätzliche Unterschiedlichkeit von Gesellschaften, Kulturen und Regionen betont wurde, steht „a uniform description of lifelong learning“ (Aspin/Chapman 2000, 4) im Vordergrund. Diese Vorstellung passte zu der zur gleichen Zeit von Dahrendorf in der Europäischen Kommission entwickelten Idee einer Harmonisierung der europäischen Bildungssysteme (Knoll 1996, 118).
Zwei Aspekte des Faure-Reports hatten große Auswirkungen auf die folgenden Diskussionen. Erstens wurde Bildung als Prozess ohne Ende gesehen: „We should no longer assiduously acquire knowledge once and for all, but learn how to build a continually evolving body of knowledge all through life – learn to be“ (Faure 1972, vi). Der Faure-Report richtete sich in dieser Hinsicht an Menschen jeder Altersstufe und betonte die Notwendigkeit einer lebenslangen, nicht abschließbaren Erziehung, deren Aufgabe über die reine Wissensaneignung hinaus einen Schwerpunkt auf die Aneignung von Lernfähigkeit an sich legte (Gerlach 2000, 49). Diese Forderung schloss eine Akzentuierung von humanistischen Werten ein und zielte auf eine Verbesserung der Bildungssituation besonders in Entwicklungsländern ab. Als konkrete Ziele wurden vor allem die Steigerung der Alphabetisierungsraten und Zugang zu Grundbildung (Lesen, Schreiben, Rechnen) für alle Menschen weltweit gefordert.
Zweitens stellte der Faure-Report die Monopole der formalen Bildungsinstitutionen in Frage:
„Education from now on can no longer be defined in relation to a fixed content which has to be assimilated, but must be conceived of as a process in the human being, who thereby learns to express himself, to communicate and to question the world, through his various experiences, and increasingly – all the time – to fulfill himself. (...) If this is so, then education takes place at all ages of life, in all situations and circumstances of existence. It returns to its true nature which is to be total and lifelong, and transcends the limits of institutions, programmes and methods imposed on it down the centuries“ (Faure 1972, 143).
Die Beschränkung der Lernprozesse auf einen zeitlich eingeschränkten Bereich und auf rein qualifikatorische Inhalte wurde ebenso aufgebrochen wie das auf Institutionen des Bildungssystems reduzierte Lernen (Walter/Stauber 1998, 11). Bildungsprozesse wurden nach ihrer institutionellen Rahmung unterschieden, außerschulisches Lernen aber nicht abgewertet. Dies entspricht einer Konzeption von LLL, die nicht allein organisierte institutionalisierte Formen von Lernen beinhaltet, „sondern darüber hinaus auch organisierte, nicht-institutionalisierte und all jene Momente des Lernens durch das Leben - seien sie intendiert, spontan oder gar unbewußt – als gleichwertig dazugehörig betrachtet“ (Günther 1982, 96). Damit begründete der Bericht auch die mittlerweile gebräuchliche Unterscheidung in formales, nicht-formales und informelles Lernen.[15]
[...]
[1] Hall/Taylor (1996) unterschieden unter dem Oberbegriff „Neo-Institutionalismus“ zwischen einem Rational-Choice-Institutionalismus, Soziologischem Institustionalimus und einem Historischen Institutionalismus. Allen drei Ansätzen gemeinsam ist die Annahme, dass Institutionen neben den Interessen der Akteure zur Erklärung politischer Entscheidungsprozesse beachtet werden müssen. Es bestehen jedoch erhebliche Unterschiede zwischen den Ansätzen hinsichtlich ihrer wissenschaftstheoretischen Grundlage, den Forschungsdesigns für empirische Studien und insbesondere der Definition von „Institutionen” (Aspinwall/Schneider (2002,7). Der Historische Institutionalismus definiert Institutionen als „formal or informal procedures, routines, norms and conventions embedded in the organizational structure of the polity or political economy“ (Hall/Taylor 1996, 6).
[2] Formales Agenda-Setting bezeichnet dagegen das Initiativmonopol der Kommission: Rechtsakte können vom Rat und dem Europäischen Parlament in der Regel nur auf Vorschlag der Kommission angenommen werden.
[3] Dies trifft auch zu, wenn man nach Reformvorhaben sucht, die mit dem Ziel gestartet wurden bspw. die Beteiligung an Weiterbildung oder Investitionen in Weiterbildung zu erhöhen und dabei nicht unter dem Begriff LLL gefasst wurden.
[4] Die Zielvorgaben für 2010 lauten: Erzielung einer durchschnittlichen Teilnahmequote am LLL in der EU von mindestens 12,5% der erwachsenen Erwerbsbevölkerung; beträchtliche Steigerung der jährlichen Pro-Kopf-Investitionen in das Humankapital; Entwicklung eines europäischen Rahmens zur Definition der neuen Grundqualifikationen, die das LLL vermitteln soll; Verringerung der Schulabrecherquote, wobei bis 2010 eine durchschnittliche Quote von 10% oder darunter anzustreben ist, Erhöhung des Anteils der 22-jährigen in der EU mit einem Abschluss in der Sekundarstufe II oder höher auf mindestens 85% bis 2010 (Bainbridge et al. 2005, 32)
[5] Trotz einer klar intergouvernementalen Dominanz bei dem Beschluss zur Einrichtung einer OMK durch den Europäischen Rat ist der Prozess durch intergouvernementale und supranationale Elemente gekennzeichnet. Es findet eine nicht-hierarchische Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten statt, gleichzeitig hat die Kommission aufgrund ihrer im Vorfeld erarbeiteten Ressourcen aus Expertenwissen eine Rolle als Lenker und Leiter des Prozesses inne. Sie gibt unverbindliche Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten und hat großen Anteil an der Ausarbeitung von Indikatoren und Benchmarks: ein „heterarchical“ Prozess (Hodson/Maher 2001). De la Porte/Pochet (2002a) weisen aber auch auf die Möglichkeiten der Mitgliedsstaaten hin, Politikinhalte zu verändern oder quantifizierbare Indikatoren und damit die Vergleichbarkeit zwischen den Staaten zu verhindern.
[6] Nach Rhodes (1997, 65f.) gelten als interne Herausforderungen des Sozialstaat die demografische Entwicklung, steigende Kosten für das Gesundheitssystem, geringes Wachstum und hohe Arbeitslosigkeit bei einem steigenden Anteil nicht-standardisierter Beschäftigungsverhältnisse (Teilzeit und befristete Beschäftigung). Externe Herausforderungen sind die „Europeanisation as 'sub-set' of globalisation“ (66), und die Liberalisierung der Waren- und Kapitalmärkte: „internationalisation of trade, globalisation of finance“ (69).
[7] Für die folgenden Ausführungen werden zunächst alle Ansätze, die sich auf die Ermöglichung fortgesetzter Lernprozesse während der gesamten Lebensdauer beziehen (lifelong learning, lifelong education, recurrent education, éducation permanente, etc.), unter dem Oberbegriff „Lebenslanges Lernen“ zusammengefasst.
[8] Die hier gegebene Unterscheidung von „Lernen“ und „Bildung“ erscheint für den Rahmen dieser Arbeit ausreichend und sie wird während der Analyse verschiedener LLL-Konzepte noch deutlicher gemacht werden. Erziehungswissenschaftliche und psychologische Lerntheorien arbeiten mit einer Vielzahl völlig verschiedener Definitionen von „Lernen“. Das Verständnis von Lernen als eine Veränderung im Individuum, die von Erfahrungen geleitet wird, entspricht am ehesten den kognitiven Lerntheorien.
[9] In englischsprachigen Publikationen wird „Berufliche Weiterbildung“ mit further education and training (FET) oder continuous vocational training (CVT) bezeichnet.
[10] Zur öffentlich finanzierten Weiterbildung zählen neben Bildungsmaßnahmen für Arbeitsloser auch die Weiterbildung, die öffentliche Einrichtungen für ihre eigenen Bediensteten durchführt. Diese Differenzierung wird aber statistisch kaum erfasst (Münch 2002, 132).
[11] Außerhalb des bestehenen Bildungssystems wäre z.B. die Förderung von frühkindlicher Erziehung zu nennen. Eine Anforderung an Schulen ist es, stärker Problemlösekompetenzen als „träges Wissen“ zu vermitteln, damit Schüler „Lernen zu lernen“ (Coffield 1997, 15) Des Weiteren bezieht LLL die Berufsausbildung, allgemeine und berufliche Bildung, Hochschulbildung und Bildung für Senioren ein, aber auch „unstructured on-the-job training and on-the-job learning and learning in the social life and in family life“ (Colardyn 2001, 97).
[12] Obwohl es keine einheitliche Definition von LLL gibt, trifft diese Aussage auf alle im Rahmen dieser Arbeit untersuchten LLL-Konzepte zu.
[13] Zu nennen sind hier die jüdische Bildungstradition, das Modell der acht Schulen in der „Pampaedia“ von J.A. Comenius, „Bericht und Entwurf einer Verordnung über die allgemeine Organisation des öffentlichen Unterrichtswesens“ von Condorcet an die Französische Nationalversammlung 1792, die mittelalterliche Tradition der Handwerksausbildung oder Yeaxleys (1929) Forderung nach „education as a lifelong process“ um nur einen kleinen Ausschnitt von Traditionen aufzugreifen, in denen bereits Elemente von LLL enthalten waren. Ausführlichere Darstellungen finden sich bei Knoll (1996), Gerlach (2000), Kell (1996) und Gonon (2002).
[14] Der UNESCO-Generalsekretär René Maheu berief 1971 im Auftrag der 16. Generalkonferenz die Internationale Erziehungskommission ein. Neben dem Vorsitzenden Edgar Faure gehörten der Kommission Felipe Herrera (Chile), Abdul Razzak-Kaddoura (Syrien), Henri Lopes (Demokratische VR Kongo), Arthur V. Petrovski (UdSSR), Majid Rahnema (Indien) und Frederick C. Ward (USA) an (Gerlach 2000, 26).
[15] Formales Lernen ist Lernen, das in einer Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung der formalen Systeme durchgeführt wird und zu anerkannten Abschlüssen und Qualifikationen führt (z.B. mehrmonatige Maßnahmen des Arbeitsamts, Besuch von Kursen und Seminaren, Teilnahme an Fernunterricht, Nachholen eines Schulabschlusses). Nicht-formales Lernen ist Lernen, das nicht in einer Bildungsinstitution stattfindet und nicht zu einem anerkannten Abschluss führt. Trotzdem ist es systematisch (in Bezug auf Lernziele, Lerndauer und Lernmittel) und aus Sicht der Lernenden zielgerichtet. Nicht-formales Lernen kann am Arbeitsplatz oder im Rahmen von Aktivitäten in Jugendorganisationen, Gewerkschaften, Parteien, Vereinen etc. stattfinden (z.B. Besuch von Fachmessen/Kongressen, kurzfristige Seminare und Workshops, Teilnahme an Qualitätszirkeln, Beteiligungsgruppen, Werkstattzirkeln). Informelles Lernen ist Lernen, das im Alltag, am Arbeitsplatz, in der Familie oder in der Freizeit als eine natürliche Begleiterscheinung des Lebens stattfindet. Von den Lernenden wird es unter Umständen gar nicht als Erweiterung ihrer Fähigkeiten wahrgenommen (z.B. Austausch und Kooperation mit anderen Betriebsabteilungen oder anderen Firmen, Unterweisung am Arbeitsplatz, Lösen von Problemen im Alltag) (Bechtel et al. 2005, 132; Expertenkommission Finanzierung Lebenslangen Lernens 2004, 27; Baethge/Baethge-Kinsky 2004).
- Arbeit zitieren
- Daniel Daimer (Autor:in), 2006, Lebenslanges Lernen und Beschäftigungsfähigkeit in der Europäischen Union, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/160697
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