Die um 870 entstandene Evanglienharmonie des Weißenburger Benediktinermönchs Otfrid ist eines der ersten Werke in deutscher Mundart und gilt als bedeutendstes Denkmal der althochdeutschen Dichtung. Als Bibelkommentar des Neuen Testaments versucht Otfrid eine anschauliche Wiedergabe der gelehrte Exegese zur Verdeutlichung der mystischgeistigen Bedeutung der Passagen aus Jesus Christus’ Leben.
Erstmals in der Literatur- und Sprachforschung beschäftigte sich Johannes Trithemius um 1494 mit Otfrid von Weißenburg und seiner Evangelienharmonie und konstatierte die Bedeutung des Autors in Nachfolge der Sprachreform Karls des Großen folgend:
„[…] denn diese nach Regeln gestaltete Sprache unterscheidet sich von unserer jetzigen stärker als das Etruskische vom Latein. Gleichwohl ist bewunderns- und lesenswert, was dieser Mann [Otfrid] schuf, weil er damit in der deutschen Sprache (orthographische und
grammatikalische) Regeln aufstellte und in seiner Verstechnik in gewisser Weise metrische und rhythmische Gesetze befolgte.“
Erst 1831 tauchte die Evangelienharmonie nach Trithemius wieder in der germanistischen Sprachforschung auf. Die Evangelienharmonie bezieht ihren Wert weniger aus ihrer theologisch-exegetischen Funktion als vielmehr aus ihrer maßgebenden Bedeutung für die Systematisierung der deutschen bzw. volksmundartlichen Schriftsprache. Die prägnantesten Merkmale der Evangelienharmonie sind neben ihrer mundartlichen Verfassung die erstmalige Nennung eines deutschen Autors mit vollem Namen („Otfridus Uuizanburgensis
monachus“), die Ablösung der stabenden Langzeile durch den im Lateinisch gebräuchlichen Endreimvers, in der deutschen Literaturgeschichte erstmals übersetzungs- und literaturtheoretische Reflexionen und die Überlieferung einer vollständigen, von Otfrid
selbst noch redigierten Fassung im Wiener Codex (V).
Inhalt:
1 Einführung Seite
2 Intention der Evangelienharmonien
3 Der Autor Otfrid von Weißenburg
4 Historisch-räumliche Einordnung und Überlieferung des Liber Evangeliorum
5 Die Gliederung des Liber Evangeliorum
6 Sprachliche Analyse
7 Literatur
1 Einführung
Die um 870 entstandene Evanglienharmonie des Weißenburger Benediktinermönchs Otfrid ist eines der ersten Werke in deutscher Mundart und gilt als bedeutendstes Denkmal der althochdeutschen Dichtung. Als Bibelkommentar des Neuen Testaments versucht Otfrid eine anschauliche Wiedergabe der gelehrte Exegese zur Verdeutlichung der mystischgeistigen Bedeutung der Passagen aus Jesus Christus’ Leben.[1]
Erstmals in der Literatur- und Sprachforschung beschäftigte sich Johannes Trithemius um 1494 mit Otfrid von Weißenburg und seiner Evangelienharmonie und konstatierte die Bedeutung des Autors in Nachfolge der Sprachreform Karls des Großen folgend:
„[…] denn diese nach Regeln gestaltete Sprache unterscheidet sich von unserer jetzigen stärker als das Etruskische vom Latein. Gleichwohl ist bewunderns- und lesenswert, was dieser Mann [Otfrid] schuf, weil er damit in der deutschen Sprache (orthographische und grammatikalische) Regeln aufstellte und in seiner Verstechnik in gewisser Weise metrische und rhythmische Gesetze befolgte.“[2]
Erst 1831 tauchte die Evangelienharmonie nach Trithemius wieder in der germanistischen Sprachforschung auf. Die Evangelienharmonie bezieht ihren Wert weniger aus ihrer theologisch-exegetischen Funktion als vielmehr aus ihrer maßgebenden Bedeutung für die Systematisierung der deutschen bzw. volksmundartlichen Schriftsprache. Die prägnantesten Merkmale der Evangelienharmonie sind neben ihrer mundartlichen Verfassung die erstmalige Nennung eines deutschen Autors mit vollem Namen („Otfridus Uuizanburgensis monachus“)[3], die Ablösung der stabenden Langzeile durch den im Lateinisch gebräuchlichen Endreimvers, in der deutschen Literaturgeschichte erstmals übersetzungsund literaturtheoretische Reflexionen und die Überlieferung einer vollständigen, von Otfrid selbst noch redigierten Fassung im Wiener Codex (V).
2 Intention der Evangelienharmonien
Eine Evangelienharmonie (lat. harmonia evangelica) stellt den Versuch einer einheitlichen Darstellung von Jesus Christus’ Lebens- und Wirkungsgeschichte unter Einbezug aller vier kanonischen Evangelien dar. Die Bekannteste stammt aus der Antike von dem syrischen Apologeten Tatian (Diatessaron, um 170 n. Chr.) und wurde im 9. Jahrhundert (ca. um 830) im Kloster Fulda erstmals ins Althochdeutsche übersetzt („Althochdeutscher Tatian“). Dieser Übertragung ins Althochdeutsche folgten der altsächsische Heliand und das rheinfränkische Liber Evangeliorum von Otfrid als volkssprachige Evangelienharmonien. Grund der Einleitung volkssprachiger Übersetzungen war die Mehrsprachigkeit im Karolingerreich und die gleichzeitige Notwendigkeit einer für alle (christlichen) Landesbewohner verständlichen Sprache. Zu diesem Zweck erließ Karl der Große 789 das Kapitular Admonitio generalis mit Vorschriften zur Vermittlung von Glaubensinhalten und politisch vereinenden Maßregelungen. Auch die Sachsenkriege (772-805) und die Synode von Frankfurt (794) lieferten ihren Beitrag zu einer zunehmenden Sprachvereinheitlichung, die sich ab 800 in der Übersetzung vieler Glaubens- und Gebrauchstexte für das kirchliche Leben zeigten.
Das altsächsische Großepos Heliand mit seinen 5983 stabreimenden Langzeilen entstand wohl ebenfalls um 830 im Kloster zu Fulda wie der „Althochdeutsche Tatian“. Im Heliand kommen der typische Versstil und Lexik der altsächsischen Dichtungstradition zum tragen und führt diese in einem epochalen Werk zusammen, wie als Krönung der höchsten Reife der Kunst.
Der vollständige und von Otfrid selbst geführte Name seines Evangelienbuches lautet „Liber evangeliorum domini gratia Theotisce conscriptus“ [4] (Evangelienbuch zu des Herrn Gefallen im Deutschen/Volkssprachigen verfasst) und soll der Verbreitung des Fränkischen dienen.
Otfrid selbst erklärt am Anfang seiner Evangelienharmonie die Intention seines Werkes (I,I; Z. 31-34):
Nu es filu manno inthíhit, in sína zungun scríbit, Ioh ílit, er gigáhe, thaz sínaz íó gihóhe, Uuánana sculun Fráncon éinon thaz biuuánkon, Ni sie in frénkiskon bigínnen, sie gotes lób singen?
Da nun viele angefangen haben, in ihrer Muttersprache zu schreiben, und sich darum bemühen, sich (durch schriftliche Aufzeichnungen) herauszustellen-, warum Sollen nur die Franken davon absehen, Gottes Lob in Fränkischer Sprach zu singen?
In den nächsten Zeilen erklärt er, dass das Fränkische für eine solche Dichtung noch nicht gebraucht wurde und auch keine metrischen Regeln bis dato kennt, doch sie sei eine schlichte, geradlinige Sprache. Den Anspruch in dieser Zunge Gottes Lob zu verkünden führt er im Folgenden auf Mut, Stärke und Überlegenheit der Franken im Kampf gegen ihre Feinde zurück, „damit die Franken nicht als einzige davon ausgeschlossen sind, wenn in der Muttersprache Christi Lob gesungen wird“. Otfrid sieht sein Werk also in erster Linie als Instrument zur Schaffung einer allgemeinen Verständigungsbasis für das fränkische Volk und als ein Werk, dass jedermann den Zugang zur Heilslehre ermöglicht, da die Verwendung der eigenen ‚Muttersprache’ weniger Verirrung auch in Gedanken zuließe.[5] Die Motivation für ein verständliches Evangelienbuch in Mundart war also auch politischer Natur zur Zusammenführung aller Untertanen unter den Frankenkönigen.
[...]
[1] Vgl. Hartmann, Heiko: Otfrid von Wei ß enburg - Evangelienbuch. Aus dem Althochdeutschen ü bertragen mit einer Einf ü hrung, Anmerkungen und einer Auswahlbibliographie versehen, Band 1, Herne 2005, S. XV.
[2] Kleiber, Wolfgang (Hg.): Otfrid von Wei ß enburg, Darmstadt 1978, S. 15. Zitiert nach Trithemius (1494).
[3] Hartmann (2005), S. XII.
[4] Lachmann, Karl (1836): Otfrid. In: Kleiber (1978), S. 20.
[5] Vgl. Ernst, Ulrich: Der Liber Evangeliorum Otfrids von Wei ß enburg. Literar ä sthetik und Verstechnik im Lichter der Tradition, Köln 1975, S. 135.
- Arbeit zitieren
- Franziska Kleeberg (Autor:in), 2010, Die Evangelienharmonie des Otfrid von Weißenburg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/160549
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