„Die Frequenz einer Universität ist das getreue Spiegelbild ihrer historischen Entwicklung. (...) Demzufolge bildet die Frequenz eine der Hauptgrundlagen, auf der jede Untersuchung aufbauen muß, die sich die Erforschung irgendeiner Universitätsgeschichte zum Ziele gesetzt hat.“
Mit diesen Worten leitet Horst Rudolf Abe, Erfurter Universitätshistoriker, seine Frequenzuntersuchung des Universitätsbesuchs der mittelalterlichen Hochschule Erfurt ein. Sein Zahlenmaterial werde ich nur am Rande verwenden, da er nicht alle Hochschulen des Reiches miteinbezieht. Die neueren und umfassenderen Ergebnisse und Daten von Rainer Christoph Schwinges bilden die Grundlage dieser Arbeit. Auf das Zahlenmaterial von Eulenburg, der zum Ende des 19. Jh. die erste umfassende Frequenzuntersuchung vornahm, wird verzichtet, weil Schwinges aufgrund elektronischer Datenverarbeitung die genaueren Daten vorweist.
Die wichtigsten und vollständigsten Quellen, um den Universitätsbesuch zu ermitteln, sind die Rektoratsmatrikeln. Die Immatrikulation oder auch Intitulation der Studenten in Einschreibelisten war ein formaler und konstitutioneller Akt, der vom Rektor vorgenommen wurde: nach einem Eid, der sich dem sozialen Status des Besuchers anpaßte, erfolgte die Gebührenzahlung (intitulatura) und die namentliche Eintragung in das Matrikelbuch (matricula, album oder registrum).
Für Köln und Erfurt sind glücklicherweise diese Allgemeinen Matrikeln überliefert und ediert. Doch ist ein kritischer Umgang mit diesen Quellen nötig, da Schreiber die Namen ungenau, mal verschieden oder gar nicht notierten; auch sind Diener, Würdenträger oder Familienangehörige eingetragen worden, so daß es schwierig ist, die exakte Zahl der Studenten, ihre soziale oder räumliche Herkunft zu erfassen.
Ein Ziel dieser Arbeit ist, das vorhandene Zahlenmaterial zu den mittelalterlichen Universitäten Köln, gegründet 1388, und Erfurt, gegründet 1392, zu sammeln und die Frequenzen vergleichend gegenüberzustellen. Das alleine ist aber sicherlich nicht ausreichend, denn die frequentielle Intensität von Hochschulen ist ein Gradmesser ihrer jeweiligen Bedeutung, demzufolge muß „auch der geistige Aktionsradius dieser Universitäten entsprechend unterschiedlich genannt werden“ (Abe). Das andere Ziel lautet daher, die Immatrikulationszahlen auf wirtschaftliche, soziale, politische und geographische Aspekte im Umfeld der Universitäten zu beziehen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Die Universitätsstädte Erfurt und Köln
3. Die Universitätsbesucher in Köln und Erfurt
3.1. Die Immatrikulationsfrequenzen
3.2. Interpretation der Frequenzen und konjunkturelle Prozesse
3.3. Köln und Erfurt im Kontext der Reichsfrequenz
4. Räumliche Herkunft der Erfurter und Kölner Studenten
5. Schluß
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Die Frequenz einer Universität ist das getreue Spiegelbild ihrer historischen Entwicklung. (...) Demzufolge bildet die Frequenz eine der Hauptgrundlagen, auf der jede Untersuchung aufbauen muß, die sich die Erforschung irgendeiner Universitätsgeschichte zum Ziele gesetzt hat.“[1] Mit diesen Worten leitet Horst Rudolf Abe, Erfurter Universitätshistoriker, seine Frequenzuntersuchung des Universitätsbesuchs der mittelalterlichen Hochschule Erfurt ein.[2] Sein Zahlenmaterial werde ich nur am Rande verwenden, da er nicht alle Hochschulen des Reiches miteinbezieht.[3] Die neueren und umfassenderen Ergebnisse und Daten von Rainer Christoph Schwinges bilden die Grundlage dieser Arbeit.[4] Auf das Zahlenmaterial von Eulenburg, der zum Ende des 19. Jh. die erste umfassende Frequenzuntersuchung vornahm, wird verzichtet, weil Schwinges aufgrund elektronischer Datenverarbeitung die genaueren Daten vorweist.[5]
Die wichtigsten und vollständigsten Quellen, um den Universitätsbesuch zu ermitteln, sind die Rektoratsmatrikeln. Die Immatrikulation oder auch Intitulation der Studenten in Einschreibelisten war ein formaler und konstitutioneller Akt, der vom Rektor vorgenommen wurde:[6] nach einem Eid, der sich dem sozialen Status des Besuchers anpaßte, erfolgte die Gebührenzahlung (intitulatura) und die namentliche Eintragung in das Matrikelbuch (matricula, album oder registrum). Für Köln und Erfurt sind glücklicherweise diese Allgemeinen Matrikeln überliefert und ediert.[7] Doch ist ein kritischer Umgang mit diesen Quellen nötig, da Schreiber die Namen ungenau, mal verschieden oder gar nicht notierten; auch sind Diener, Würdenträger oder Familienangehörige eingetragen worden, so daß es schwierig ist, die exakte Zahl der Studenten, ihre soziale oder räumliche Herkunft zu erfassen.[8]
Ein Ziel dieser Arbeit ist, das vorhandene Zahlenmaterial zu den mittelalterlichen Universitäten Köln, gegründet 1388, und Erfurt, gegründet 1392, zu sammeln und die Frequenzen vergleichend gegenüberzustellen. Das alleine ist aber sicherlich nicht ausreichend, denn die frequentielle Intensität von Hochschulen ist ein Gradmesser ihrer jeweiligen Bedeutung, demzufolge muß „auch der geistige Aktionsradius dieser Universitäten entsprechend unterschiedlich genannt werden“[9]. Das andere Ziel lautet daher, die Immatrikulationszahlen auf wirtschaftliche, soziale, politische und geographische Aspekte im Umfeld der Universitäten zu beziehen. Das Augenmerk dieser Darstellung wird auf der räumlichen Herkunft der Studentenschaften liegen, da eine Bearbeitung aller Bereiche den Rahmen sprengen würde. In Kapitel vier werden die Ergebnisse aus den Arbeiten von Schwinges zu Köln und Erfurt bezüglich der Herkunft miteinander verglichen.
In einem ersten Schritt führe ich in Kapitel drei die Frequenzen von Köln und Erfurt tabellarisch auf und erläutere sie kurz, dann werden die Zahlen im Zusammenhang mit historischen Einflüssen interpretiert und drittens werden Köln und Erfurt in die Frequenzentwicklungen aller Reichsuniversitäten eingebunden. Kurz gehe ich in den Abschnitten 3.2. und 3.3. auf die von Schwinges durch Zeitreihenanalysen berechneten Zyklusfolgen des Hochschulbesuchs ein.[10] Im folgenden Kapitel führe ich kurz in die beiden Universitätsstandorte ein und erkläre, warum sich die Hochschulen für eine Gegenüberstellung eignen.
2. Die Universitätsstädte Erfurt und Köln
Erfurt gehörte am Ende des 15. Jh. zu einer der sechstgrößten Städte im Deutschen Reich. Das Einzugsgebiet umfaßte ca. 610 km2 und eine Bevölkerungszahl von bis zu 50.000. Als Mitglied der Hanse und als Drehscheibe zweier bedeutender Handelsstraßen war die Stadt zudem auch eine reiche, wirtschaftlich starke Metropole in Mitteldeutschland. Politisch unterstand Erfurt bis 1483 dem Hoheitsgebiet des Mainzer Erzbistums, danach gehörte sie dem sächsischen Schutz- und Klientelsystem an.
Wie die Erfurter war die Kölner Universität eine städtische Gründung. Die rheinische Hochschule eröffnete vier Jahr früher als erste städtische Hohe Schule auf deutschem Boden. Die stadtkölnische Bevölkerungszahl lag bei 30-40.000 Einwohnern, das Einflußgebiet des Erzbistums und der Hansestadt erstreckte sich über weite Teile des niederländisch-deutschen Nordwestens des Reiches. Das Privileg von Papst Urban VI. am 21. Mai 1388 für die Gründung der Hochschule wurde gerade einmal ein Jahr früher als das für Erfurt ausgestellt.[11]
Schon lange vor der Eröffnung der Hochschule im Jahre 1392 besaß Erfurt herausragende Bildungsstätten mit weitgehenden Zugangsmöglichkeiten. Abe heißt Erfurt „eine der bedeutendsten europäischen Kulturzentren des Mittelalters“[12]. In den päpstlichen Stiftungsurkunden von 1379 und 1389 wurden die gute Versorgung mit Lebensmitteln und die große Anzahl von Unterkünften hervorgehoben.[13] Die fünfte Gründung im Heiligen Römischen Reich war wie Köln eine mit allen Privilegien, Immunitäten und Freiheiten ausgestattete Volluniversität. Mit der Stadt Erfurt lebte sie in „schicksalhafter Verbundenheit“, denn nach einer gemeinsamen Blütezeit begann mit dem Niedergang der Stadt um 1500 auch der der Universität.[14]
Beide Hochschulen gehörten im 15. Jh. zu den „fünf großen Universitäten im Reich, die miteinander in Wachstumskonkurrenz standen und ihre Einzugsgebiete gegeneinander einzurichten hatten“[15]. Erfurt ist aber nicht nur der Größe nach mit Köln vergleichbar, beide sind auch jeweils städtische Gründungen, die etwa zur selben Zeit erfolgten, obgleich Köln eine wirklich „freie“ Stadt war und Erfurt einem Kurfürsten unterstand.[16] Die Städte lagen in der nördlichen Reichshälfte und besaßen anfangs einen ähnlich großen Einflußbereich als starke Wirtschaftsmetropolen hier im Rheinland und den Niederlanden und dort in Mitteldeutschland und Franken: Sie zogen Studenten aus allen Teilen des Reiches an und waren lange Zeit Anlaufstätten für Nord- und Osteuropäer, die weite Reisen nach Oberitalien (Bologna) oder Frankreich (Paris) scheuten. Erfurt ist durch Leipzig, wie Köln durch Löwen, spätere Konkurrenz um das gleiche Einzugsgebiet entstanden. Leipzig und Löwen überholten frequentiell ihre Mutteruniversitäten relativ rasch und verdrängten sie auf hintere Plätze im Besucherzuspruch.
Im Folgenden sollen nun die Frequenzen dieser Studentenzentren von ihrer Gründung bis 1505 untersucht werden.
3. Die Universitätsbesucher in Köln und Erfurt
3.1. Die Immatrikulationsfrequenzen
Die einzig verläßliche Quelle, um den Universitätsbesuch zu messen, sind die Kölner und Erfurter Studentenmatrikeln.[17] Für die Berechnungen gelten im allgemeinen der 1. Mai als Sommersemester- und der 18. Oktober als Wintersemesterbeginn. Probleme bereiten oft die Einschreibungsdaten: Vor- und Zuname, Herkunftsort und Höhe der Gebühren sind zwar angegeben, in Erfurt erfolgen aber selten Angaben zum sozialen Status, und wenn, dann nur beim Adel oder bei Geistlichen.[18] Ein Vermerk unterschiedlich hoher Gebühren kann in solchen Fällen Anhaltspunkte über die soziale Stellung geben. „Die Erfurter Universitätsmatrikel zeigt leider nicht die Präzision und Ausführlichkeit, wie wir sie uns heute wünschten. Die Kölner Matrikel ist besser.“[19] Dort ist die Diözese und sogar die Fakultät aufgeführt, wie das Beispiel zeigt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
* Konrad Celtis, Köln 1478
Im folgenden werden in einer Tabelle die Frequenzen beider Universitäten dargestellt und kurz erläutert. Danach, in Abschnitt 3.2. wird eine Interpretation und eine Einordnung in historische Zusammenhänge gegeben und das Datenmaterial näher untersucht, um Trends, Wachstumsphasen und konjunkturelle Prozesse zu belegen. Am Ende dieses Kapitels werden Köln und Erfurt in die universitären Frequenzentwicklungen des Reiches eingebunden. Auch hier werden die Frequenzschwankungen auf Konjunkturzyklen hin überprüft.
Tabelle 1 auf der nächsten Seite zeigt in 10-Jahres-Schritten die Immatrikulationsfrequenzen und das Frequenzwachstum der Universitäten Erfurt und Köln im Untersuchungszeitraum 1388 bzw. 1392 bis 1505:[20]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1
[...]
[1] Abe (1/1962) S. 13. Die bibliographischen Verweise werden mit dem Nachnamen des Autors und dem Erscheinungsjahr der verwendeten Auflage angegeben. Die vollständigen Angaben sind dem Literaturverzeichnis am Schluß zu entnehmen.
[2] Der Begriff Universitätsbesuch(er), wie er in dieser Arbeit verwendet wird, ist bei Schwinges (1980) S. 38 und (1986) S. 8 erläutert.
[3] vgl. Abe (2/1962) S. 34 Anm. 11.
[4] Schwinges (1986) S. 95 zum Vorgehen von Abe: „Leider beschränkte sich Abe aus ‚grundsätzlichen Erwägungen‘, deren Grundsätze freilich zweifelhaft geblieben sind, auf den ‚Bereich der eigentlichen deutschen Kernlande‘, so daß Wien, Löwen und Basel aus den Betrachtungen ausgeschieden wurden.“
[5] siehe Eulenburg (1904). Der Leipziger Nationalökonom hat ebenfalls wie Abe die Immatrikulationen der Universitäten Löwen, Basel und Wien nicht ausgezählt und mit zwei verschiedenen Frequenzbegriffen gearbeitet. Zum einen mit der Immatrikulationsfrequenz und zum anderen mit einer Gesamtfrequenz, die eine (nicht gesicherte) studentische Verweildauer am Hochschulort miteinzuberechnen versucht. Da diese Gesamtfrequenz nur sehr vage zu nennen ist, habe ich in dieser Arbeit auf sie verzichtet und beschränke mich allein auf die Anzahl der Universitätsbesucher, die in den Matrikeln gezählt wurden.
[6] vgl. Schwinges (1993) S. 166.
[7] Matrikeleditionen: Keussen, Hermann: Die Matrikel der Universität Köln. 3 Bände. Bonn 1919, 21928, 1931 (Ndr. 1979). Weissenborn, J.C. Hermann: Acten der Erfurter Universität (1392-1636). 3 Bände. Halle 1881-1899 (Ndr. 1976). Siehe Beispielseite aus der Erfurter Matrikel im Anhang.
[8] vgl. di Simona (1996) S. 236. Abe (1/1962) S. 21: „Überhaupt ist eine erschreckende Oberflächlichkeit bei der Führung der Matrikel nicht zu übersehen.“ Abe (1/1962) S. 44, Anm. 36: „Bereits die Art der Inskription ist völlig uneinheitlich und für heutige Begriffe gänzlich unzulässig.“
[9] vgl. Abe (2/1962) S. 38.
[10] siehe Anm. 29.
[11] vgl. Meuthen (1988) S. 52.
[12] Abe (1/1962) S. 15.
[13] vgl. für hier und zum folgenden die Gründungsurkunden bzw. Stiftungsbullen, ediert bei Weißenborn I (1976) und die Statuten von 1395 bei Weißenborn II (1976) S. 1ff.
[14] vgl. Abe (1/1962) S. 18.
[15] Schwinges (1993) S. 20.
[16] vgl. Meuthen S. 53.
[17] Jeder neue Student hatte die Pflicht, sich innerhalb eines Monats seit Aufnahme des Studiums eintragen zu lassen. Die Intitulation konnte aber während des ganzen Semesters vorgenommen werden. Als Inskribierter galt man als suppositum dieser freien Rechtsgemeinschaft und das ein ganzes Leben lang; somit gab es keine Exmatrikulation. Vgl. dazu Kleineidam (1985) S. 225.
[18] vgl. Abe (1/1962) S. 21. Siehe Beispielmatrikel aus Erfurt im Anhang.
[19] Kleineidam (1985) S. 226. Vgl. zu den Vorzügen und Nachteilen der Matrikeln Schwinges (1986) S. 221ff., speziell zur Kölner Matrikel Keussen (1928) S. 1*-9*.
[20] Zahlen nach Schwinges (1986) S. 88 und S. 98.
- Citar trabajo
- Wolfram Baier (Autor), 2002, Universitätsbesucher in Erfurt und Köln im Mittelalter - ein statistischer Vergleich, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16021
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