In der vorliegenden Arbeit „Ein Bildungshaus entsteht. Inwiefern eröffnet das Konzept ‚Bildungshaus‘ neue Bildungsperspektiven in sozial benachteiligten Milieus?“ wird ein konkretes Konzept vorgestellt, welches jedem Kind die gleiche Chance auf Bildung ermöglichen soll. Im Zentrum steht das besonders neuartige Kooperationsmodell Bildungshaus. Bildungshäuser stellen eine konkrete Vernetzung von Bildungseinrichtungen für Kinder im Alter von 3-10 Jahren dar (Strätz et al., 2007, 5). In diesem Konzept arbeiten demnach die pädagogischen Fachkräfte aus Elementar- und Primarbereich zusammen. Die Kinder der Kindertagesstätte und der Grundschule lernen in altersgemischten Gruppen gemeinsam und sollen von dieser Arbeitsform verstärkt profitieren. Dass Bildungshäuser Kindern die besten Chancen bieten und dass das Alter zwischen drei und zehn Jahren eine Schlüsselphase in unserer Entwicklung ist, stellte bereits Annette Schavan bei einer Fachtagung zu aktuellen Fragen der frühkindlichen Bildung fest (BMBF 2007, 1) und befürwortet damit das neuartige Konzept.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Zur Bedeutung der heutigen Kindheit
3 Das Bildungshaus als mögliches Zukunftsmodell
4 Das Bildungshaus Hahle
4.1 Standortanalyse und Ausgangssituation der Schule
4.2 Die Grundschule Hahle als Kooperationspartner
4.3 Ein Bildungshaus entsteht
4.3.1 Einführung in die Forschungsmethodik
4.3.2 Grundlagen qualitativer Forschung
4.3.3 Das qualitative Interview
4.3.4 Das Experteninterview am Beispiel des Leitfadeninterviews
4.3.5 Durchführung
4.4 Die ersten Schritte zum neuen Konzept
4.5 Kosten
4.6 Geplante pädagogische Konzepte im Bildungshaus Hahle
4.6.1 Einführung
4.6.2 Arbeit in Lernwerkstätten
4.6.3 Elternarbeit
5 Geplante pädagogische Konzepte im Bildungshaus Hahle aus fachlicher Sicht
5.1 Die Lernwerkstatt
5.1.1 Was ist eine Lernwerkstatt?
5.1.2 Pädagogische Ursprünge der Lernwerkstatt
5.1.3 Geschichte der Lernwerkstatt
5.1.4 Anforderungen an das Fachpersonal
5.2 Das Lerntagebuch
5.2.1 Was ist ein Lerntagebuch?
5.2.2 Empfehlungen für die Umsetzung
5.3 Das Bildungshaus für Familien
5.3.1 Ein kurzer Blick ins Ausland
5.3.2 Die Arbeit in Familienbildungseinrichtungen
6 Welche Bildungschancen entstehen?
6.1 Einführung
6.2 Auswirkungen der Lernwerkstättenarbeit
6.3 Auswirkungen des Lernens in heterogenen Altersgruppen
6.4 Auswirkungen des Einsatzes von Lerntagebüchern
6.5 Auswirkungen der Öffnung zur Familie hin
7 Fazit
8 Literaturverzeichnis
9 Anhang
1 Einleitung
„Eine Gesellschaft, in der jedes Kind eine faire Chance haben soll, trägt gemeinsam Verantwortung für die Beseitigung von Barrieren, die diesem Ziel im Wege stehen.“ (BMFSFJ 2010) Familienministerin Kristina Schröder spricht mit dieser Aussage ein in der Öffentlichkeit häufig diskutiertes Thema, die gleichwertige Chance auf Bildung für jedes Kind, an. Für Kinder der heutigen Gesellschaft hat die Bildung wie kaum zuvor einen besonders hohen Stellenwert angenommen, da im Zuge der Globalisierung eine vermehrte Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt entstanden ist. Auf der anderen Seite wird kaum ein Thema so stark im Hinblick auf Qualität und Chancengleichheit hin kritisiert. Verstärkt wurde diese Diskussion durch die ersten PISAVeröffentlichungen im Jahr 2000. Dem Wandel der Gesellschaft müssen vor allem im Bereich der Bildung angepasste Lernangebote geschaffen werden. Daher rücken Neuorientierungen, die den Ansprüchen der modernen Gesellschaft vorteilhafter angepasst sein sollen, zunehmend in den Mittelpunkt der bildungspolitischen Reformen. Inzwischen richten sich Kindertageseinrichtungen in ihrer pädagogischen Tätigkeit nach neu entwickelten Richtlinien ihres jeweiligen Bundeslandes. Die Einführung dieser Richtlinien lässt sich ebenfalls auf die neuen Forderungen in der Bildungslandschaft zurückführen. Auf diese Weise soll ein Rahmen geschaffen werden, der eine qualitativ hochwertige Arbeit sicherstellen soll. Ein Aspekt, welchem in jedem Bundesland besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird und immer stärker an Bedeutung zunehmen zu scheint, ist die Zusammenarbeit von Kindertagesstätten und Grundschulen (vgl. Strätz et al., 2007, 16). Auf diese Weise soll ein Bildungserfolg bereits im frühkindlichen Alter gesichert werden und somit eine positive Basis für die Bildungsbiographie hergestellt werden.
In der vorliegenden Arbeit „Ein Bildungshaus entsteht. Inwiefern eröffnet das Konzept ,Bildungshaus‘ neue Bildungsperspektiven in sozial benachteiligten Milieus?“ wird ein konkretes Konzept vorgestellt, welches jedem Kind die gleiche Chance auf Bildung ermöglichen soll. Im Zentrum steht das besonders neuartige Kooperationsmodell Bildungshaus. Bildungshäuser stellen eine konkrete Vernetzung von Bildungseinrichtungen für Kinder im Alter von 3-10 Jahren dar (Strätz et al., 2007, 5). In diesem Konzept arbeiten demnach die pädagogischen Fachkräfte aus Elementar- und Primarbereich zusammen. Die Kinder der Kindertagesstätte und der Grundschule lernen in altersgemischten Gruppen gemeinsam und sollen von dieser Arbeitsform verstärkt profitieren. Dass Bildungshäuser Kindern die besten Chancen bieten und dass das Alter zwischen drei und zehn Jahren eine Schlüsselphase in unserer Entwicklung ist, stellte bereits Annette Schavan bei einer Fachtagung zu aktuellen Fragen der frühkindlichen Bildung fest (BMBF 2007, 1) und befürwortet damit das neuartige Konzept.
Während eines Praktikums in der DRK Kindertagesstätte hatte ich die Möglichkeit, einen Eindruck der bisherigen pädagogischen Arbeit im Stader Stadtteil Hahle zu bekommen. Durch die enge Zusammenarbeit mit der Grundschule konnte ich ebenfalls einen Eindruck dieser Einrichtung erlangen. Da mir das Konzept des Bildungshauses schon bekannt war und die Ansätze meiner Meinung nach als zukunftsweisend einzuschätzen sind, möchte ich mich im Folgenden mit diesem Projekt beschäftigen.
Der Stadtteil Hahle im niedersächsischen Stade ist hauptsächlich durch den sozialen Wohnungsbau geprägt. Die hier lebenden Familien haben sehr unterschiedliche soziale Hintergründe. Einige Eltern bringen sich aktiv in das Bildungsleben ihrer Kinder ein und unterstützen sie, die meisten jedoch zeigen wenig Interesse und führen ein relativ bildungsfernes Leben. Eine langandauernde Arbeitslosigkeit und wenig finanzieller Rückhalt prägen das Leben der Erwachsenen (vgl. GTS Hahle 2009, 4).
Die Grundschule ist mit etwa 150 Schülern eine kleine, zweizügige Grundschule. Ab dem Schuljahr 2010/2011 startet hier die offene Ganztagsschule. Die Planung sieht vor, im darauf folgenden Jahr das Bildungshaus zu eröffnen und mit der altersübergreifenden Arbeit zu beginnen. Eine Verschmelzung soll mit den beiden Kindertagesstätten des Stadtteils und einer Förderklasse stattfinden (vgl. ebd.). Den Planungsprozess der Entstehung habe ich im Zuge meiner Arbeit begleitet. Untersucht wird, inwiefern das Konzept Bildungshaus den Kindern aus Hahle Bildungsperspektiven eröffnen kann. Da die wissenschaftliche Untersuchung des Vorhabens in Bezug auf sich ergebene Bildungschancen sehr vielseitig betrachtet werden kann, behandelt diese Arbeit schwerpunktmäßig die Konzepte des Bildungshauses und lässt hierbei die Kooperation mit der Förderklasse außen vor.
Zu Beginn der Arbeit wird beleuchtet, welche Bedeutung dem „Kind sein“ in der heutigen Gesellschaft zukommt. Die klassische Familienform unterzog sich in den vergangenen Jahrzehnten einem erheblichen Wandel. An dieser Stelle seien Einelternfamilien, Patchworkfamilien oder die Berufstätigkeit beider Elternteile nur als Schlagworte zu dieser Thematik genannt, welche in der vorliegenden Arbeit näher betrachtet werden. Zusätzlich finden die veränderten Lebensräume der Kinder in diesem Kapitel Berücksichtigung. Mit Abschluss des ersten Abschnittes sollen die sich daraus ergebenen Bedürfnisse für Familien und Kinder der modernen Zeit im Hinblick auf die Bedeutung der Bildungsinstitutionen aufgezeigt werden. Als Zentrum dieser Thesis wird im folgenden Teil das pädagogische Konzept des Bildungshauses als mögliches Modell für die sich ergebenen Bedürfnisse vorgestellt. Um dem Leser einen Einblick in die Lebenssituation der Familien in Hahle und der Ausgangssituation der Grundschule, in der das Konzept umgesetzt werden soll, zu ermöglichen, wird die Lage vor Ort betrachtet. Hierbei wird sich unter anderem auf die im Jahr 2009 durchgeführte Schulinspektion bezogen. Bei der näheren Betrachtung, aus welchem Grund und auf welche Weise das Konzept umgesetzt werden soll, wurde zur Informationserlangung ein Experteninterview vor Ort in Stade durchgeführt. Hierfür wird einleitend kurz die qualitative Forschungsmethode vorgestellt. Das ausgewertete Interview wird im weiteren Vorgehen als Basis genutzt, um abzuleiten, welche Konzepte im Rahmen des Bildungshauses umgesetzt werden sollen und wie die Bedingungen vor Ort in Hahle aussehen. Wie aus dem Experteninterview hervorgeht, bilden die Konzepte der Lernwerkstättenarbeit, der Einsatz von Lerntagebüchern und eine verstärkte Öffnung zur Familie hin den Kern der Arbeit im Bildungshaus. Diese drei Konzepte finden in der vorliegenden Arbeit demnach eine besondere
Berücksichtigung. Folglich werden diese Konzepte im Anschluss unter anderem in Bezug auf Bestimmungen und Umsetzungsempfehlungen aus fachlicher Sicht betrachtet. Das letzte Kapitel geht der Ausgangsfrage nach und untersucht, welche Bildungschancen sich für die Lernenden ergeben können. Als Basis der Untersuchung diente an dieser Stelle themenentsprechende Literatur. Als zusätzlicher Aspekt wird hier das Lernen in jahrgangsheterogenen Gruppen beleuchtet, welches im Rahmen des Gesamtkonzeptes durchgeführt wird.
Im Fazit wage ich einen Ausblick: Welche Auswirkungen kann das Konzept Bildungshaus insbesondere im Stadtteil Hahle hervorrufen?
Es werden demnach Bezüge von den fachlich beschriebenen Auswirkungen der Konzeptarbeit zu den individuellen Bedingungen vor Ort hergestellt.
2 Zur Bedeutung der heutigen Kindheit
Eine Umstrukturierung im frühkindlichen Bildungsbereich, mit welcher sich in dieser Arbeit auseinandergesetzt wird, steht im engen Zusammenhang mit den veränderten Lebensstrukturen, in denen Kinder der heutigen Gesellschaft aufwachsen. Es stellt sich also die Frage, in welchen Verhältnissen Kinder heute leben und welche Bedürfnisse sich daraus für sie entwickeln könnten. In diesem Kapitel wird die heutige Kindheit charakterisiert und dargestellt, auf welche Weise Bildungsinstitutionen mit den sich daraus entwickelten veränderten Bedürfnissen in Zukunft umgehen könnten.
Als erste und bedeutendste Instanz für die Sozialisation wäre eindeutig die Familie zu nennen (vgl. Rolff/ Zimmermann 1990, 14). Das Konzept der Familie beschreibt eine: Lebensform [und] umfasst alle Personen, die in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben. Fast immer handelt es sich... um zwei Generationen, also um Kinder sowie die dazugehörigen (biologischen oder aber sozialen) Elternteile.“ (Schneekloth/ Leven 2007, 68f.) Die Familie bietet dem Heranwachsenden nicht nur sozialen Rückhalt, sondern ist ebenso durch emotionale Interaktionen zwischen den Familienmitgliedern geprägt (vgl. ebd., 65). Bereits diese erste Lebensinstanz unterzog sich in den letzten Jahrzehnten einem erheblichen Wandel. So wurde die klassische Familie, bestehend aus verehelichten Eltern mit mehreren Kindern, zunehmend eine Seltenheit. Das konventionelle Familienbild, welches in der Nachkriegszeit als Inbegriff der Familienform galt, gilt inzwischen als überholt und ist heute als vielfältig und individuell zu beschreiben (vgl. ebd., 66f.).
Für Kinder der heutigen Zeit ist es keine Selbstverständlichkeit mehr, bei den leiblichen Eltern aufzuwachsen. Zu dem klassischen Familienbild sind die Einelternfamilien und die Patchworkfamilien, die durch Wiederverheiratung geschiedener Elternteile entstehen, getreten (vgl. Konrad 2010, 87). Diese zusätzlich entstandenen Familienbilder lassen sich durch den Wandel der Ehe erklären. Deutschlandweit gehen die Eheschließungen kontinuierlich zurück. Im Vergleich zu den Anfang 1960er Jahren hat sich die jährliche Zahl der Eheschließungen beinahe halbiert (von rund 700 000 auf 374 000 im Jahr 2006) (vgl. Krieger/ Weinmann 2008, 32). Zusätzlich wird derzeitig mehr als jede dritte Ehe im Laufe der Zeit wieder geschieden...“. (ebd., 33) Außerdem entscheiden sich Familien zunehmend für deutlich kleinere Familienformen im Vergleich zu früher. Die häufigste, in welcher Kinder heute aufwachsen, ist die Zwei-Kind-Familienform. Die World Vision Kinderstudie, auf die sich im Folgenden bezogen wird, legte bei der repräsentativen Befragung der Kinder ein Hauptaugenmerk auf die Acht- bis Elfjährigen. In der bereits genannten Zwei-Kind-Familie wachsen 38% aller Kinder im Alter von 8 bis 11 Jahren auf. Weitere 13% der Befragten wachsen ohne Geschwister in einer Ein-Kind- Familie auf (vgl. Schneekloth/ Leven 2007, 67). Es wird angenommen, dass sich Ehepaare häufig nur für ein Kind entscheiden, um nicht auf ihre individuelle Lebensplanung verzichten zu müssen. Mit nur einem Kind lässt sich, so wird vermutet, ein traditionelles Denken mit der modernen Lebensform für die Eltern vereinbaren (vgl. Rolff/ Zimmermann 1990, 19). Natürlich spielen bei diesem Entschluss noch weitere Faktoren eine Rolle. So ist als zusätzlicher Indikator zu beobachten, dass sich immer mehr Frauen mit zunehmendem Alter für eine Heirat und Kinder entscheiden (vgl. Großmann 1998, 16). Diese Beobachtung lässt sich durch die veränderte Rollenverteilung in der Familie selbst erklären. In der modernen Gesellschaft gewinnt die Erwerbstätigkeit der Mutter eine zentrale Bedeutung, vor allem für die Frau selbst. Häufig möchte sie unabhängig von ihrem Ehepartner sein und sich im Beruf selbst verwirklichen (vgl. Rolff/ Zimmermann 1990, 19). Aber auch finanzielle Gründe seinen an dieser Stelle zu nennen, die auf die Erwerbstätigkeit der Frau zurückzuführen sind. Laut Statistischem Bundesamt waren 2006 54% der Mütter aktiv berufstätig (hierzu zählen: „Mütter. im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 64 Jahren.“) (Krieger/ Weinmann 2008, 38).
Aus diesen Entwicklungen heraus lässt sich eine bedeutende Umstrukturierung im Bereich der Kinderbetreuung verzeichnen. Das Tagesbetreuungsausbaugesetz (kurz: TAG) ist am 01. Januar 2005 in Kraft getreten. Im Mittelpunkt steht hierbei: der qualitätsorientierte, bedarfsgerechte und flexible Ausbau der Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen.“ (BMFSFJ 2004) Die Bundesregierung möchte auf diese Weise unter anderem junge Frauen in ihrem Kinderwunsch unterstützen, um so dem in der Öffentlichkeit stark diskutierten demographischen Wandel entgegenzuwirken und Frauen ermutigen, trotz Kind beruflich aktiv sein zu können (vgl. ebd.).
Doch auch weitere Aspekte der Kindheit haben sich einem Wandel unterzogen. Zu den stark veränderten Familienformen kommt ein Wandel der Lebensräume hinzu. Kindheit findet in der heutigen Zeit verstärkt in geschlossenen Räumen statt. Als Gründe wären an dieser Stelle die verdichtete Bebauung und die starke Zunahme des Verkehrs zu nennen (vgl. Konrad 2010, 87). Es ist zu betonen, dass dies sicher nicht die einzigen Argumente für eine Verhäuslichung der Kindheit sind. Eine bedeutende Rolle spielt sicher auch der erhöhte Medienkonsum. Die Freizeit der Kinder von heute wird vor allem von Computerspielen, Internet und Fernsehen beherrscht (vgl. ebd., 88). Desweiteren sind die Lebenswelten, in denen Kinder heute aufwachsen, ohne räumlichen Zusammenhang. Das bedeutet, dass diese Welten, wie z.B. der Sportverein oder die Musikschule, klar voneinander getrennt sind und meist nur mit größerem Aufwand zu erreichen sind. Dieser Wandel ist als „verinselte Kindheit“ zu beschreiben (vgl. ebd., 87). Ferner werden Heranwachsende heute sehr stark mit anderen Kulturen konfrontiert. Die Globalisierung sorgt für eine vielfältige Welt mit verschiedenen Sprachen, Ethnien und religiösen Wertvorstellungen, die eine Orientierung in der Gesellschaft zunehmend erschweren (vgl. ebd., 88).
Doch welche Bedürfnisse ergeben sich aus diesen Veränderungen für die Kinder?
Durch den beschriebenen Wandel stehen Kindern nicht mehr die Erfahrungswelten zur Verfügung, die früher noch vorhanden waren und eine bedeutende Rolle für die Entwicklung spielten. Zu diesen Erfahrungswelten zählen kindgemäße Lebensbedingungen..., die im sonstigen Lebensumfeld von Kindern weitgehend abhanden gekommen sind.“ (Regel 2008, 47) Es handelt sich vor allem um Spielräume für komplexe Bewegungserfahrungen.
Demnach ist es also zunehmend die Aufgabe der Erwachsenen, bzw. der Institutionen, diese Freiräume zu schaffen, um Kindern der heutigen Zeit die Orientierung zu erleichtern (vgl. Konrad 2010, 90). Vielfältige Lebenslagen der Heranwachsenden sollten in der Pädagogik Ausgangslage für eine qualitativ wertvolle Arbeit sein. Vertrauensvolle soziale Beziehungen haben demnach mehr denn je eine große Bedeutung für die Entwicklung von Kindern der heutigen Gesellschaft (vgl. Strätz et al., 2007, 32). Da die Institutionalisierung, wie beschrieben, einen großen Teil des kindlichen Lebensraums einnimmt, ist es umso bedeutender, dass sich Fachkräfte ihrer zunehmenden Bedeutung bewusst sind, und den Kindern verlässliche Bezugsmöglichkeiten bieten (vgl. ebd.).
Der Wandel der Familienstruktur und die zunehmende Betreuung in Institutionen fordern neue Herangehensweisen und Umstrukturierungen in kindlichen Bildungsbereichen. Seit einigen Jahren arbeiten bundesweit Bildungsinstitutionen im Elementarbereich nach einem im jeweiligen Bundesland geltendem Rahmen. Durch diese Bildungs- oder Orientierungspläne soll eine qualitative Bildungs- und Erziehungsarbeit in Deutschland gesichert werden (vgl. Strätz et al., 2007, 16). Immer stärker gewinnt ebenfalls in diesen Rahmenvorgaben die Kooperation von Kindertagesstätten und Grundschulen an Einfluss auf einen gesicherten Erfolg im frühkindlichen Bildungsbereich(vgl. ebd.). Da beim Konzept Bildungshaus ein Schwerpunkt auf der Zusammenarbeit liegt, soll an dieser Stelle dargestellt werden, auf welchen Gemeinsamkeiten der Institutionen eine Kooperation anknüpfen kann. Obwohl Elementar- und Primarbereich in verschiedenen Systemen verankert sind (Kinder- und Jugendhilfesystem; Schulsystem), könnte die Zusammenarbeit auf folgenden Übereinstimmungen basieren:
Kindergarten und Grundschule begreifen sich als Lebensräume, in denen Kinder nicht nur methodisch lernen, sondern sich aktiv in ein soziales Gefüge einbringen sollen. In beiden Institutionen steht demnach nicht allein die Bildung im Vordergrund, auch die Erziehung spielt eine große Rolle (vgl. Strätz et al., 2007, 31). Außerdem ist der Einfluss auf die kindliche Entwicklung dieser
Einrichtungen nicht zu unterschätzen. Schließlich besuchen nahezu alle Kinder diese Institutionen, und dies über einen langen Zeitraum ihres Lebens. Eine weitere Gemeinsamkeit ist der Charakter der „Eingewöhnungsphase“, bzw. der „Schuleingangsphase“ (vgl. ebd.). Dieser hat in beiden Einrichtungen eine große Gewichtung. Nicht zu unterschätzen ist in beiden Einrichtungen das Interesse der Eltern und die Bereitwilligkeit zur Mitwirkung ihrerseits. In der Regel klingen diese Eigenschaften im Verlauf der Bildungsbiographie ihrer Kinder meist jedoch wieder ab (vgl. ebd.). Es sei noch erwähnt, dass beide Institutionen häufig in bildungspolitischen Diskussionen eine tragende Rolle spielen. In aktuellen Debatten werden immer wieder die Auswirkungen frühkindlicher pädagogischer Arbeit thematisiert und bisherige Vorgehensweisen in Frage gestellt. Die zuletzt zu nennende Gemeinsamkeit wäre also, dass sich Kindergarten und Grundschule neuen Herausforderungen stellen müssen, die sich aus dem Wandel der Gesellschaft und den neuen Ansprüchen der Erziehung und Bildung ergeben haben.
Ein mögliches zukunftsweisendes Konzept für die neuen Herausforderungen könnte das Bildungshaus darstellen, welches im folgenden Teil der Arbeit näher betrachtet werden soll.
3 Das Bildungshaus als mögliches Zukunftsmodell
Seit einigen Jahren arbeiten Kindertageseinrichtungen nach neu entwickelten Richtlinien für pädagogische Arbeit ihres jeweiligen Bundeslandes. Auf diese Weise soll ein Rahmen geschaffen werden, der eine verbindliche qualitativ hochwertige Arbeit im Elementarbereich sicherstellen soll. Der Aspekt der Kooperation mit Grundschulen wird in jedem Leitfaden thematisiert (vgl. Strätz et al., 2007, 16). Eine Zusammenarbeit von Elementar- und Primarbereich wird also bundesweit angestrebt. Die Bildungs- und Orientierungspläne bieten in diesem Zusammenhang eine fundierte Grundlage, auf die sich die Institutionen beim Austausch beziehen können. Eine anschauliche gemeinsame Gestaltung von Bildungsprozessen stellt das Konzept des Bildungshauses dar. Doch was ist ein Bildungshaus und nach welchem Konzept arbeitet es?
Da Bildungshäuser in Deutschland bisher nicht existieren (vgl. Strätz et al., 2007, 5), beziehe ich mich im Folgenden auf erste Prozess- und Evaluationsergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojektes „Bildungshaus 3-10“ in Baden-Württemberg. Dieses wird seit dem Jahre 2008 von einer Forschergruppe des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) über einen Zeitraum von vier Jahren evaluiert (vgl. Sambanis 2010, 1).
Ein Bildungshaus stellt eine konkrete Vernetzung von Bildungseinrichtungen für Kinder im Alter von 3-10 Jahren dar. Elementar- und Primarbereich verschmelzen also zu einer eigenständigen Institution (vgl. Strätz et al., 2007, 5).
In altersgemischten Gruppen lernen, spielen und forschen die Kinder miteinander. Durch diese neuartige Arbeitsform sollen sie voneinander profitieren (vgl. Bartsch 2008, 51). Den Grundgedanken des Bildungshauses bilden Spiel- und Lernangebote, die institutionsübergreifend vorbereitet und durchgeführt werden (vgl. Sambanis 2009, 131). Regelmäßig werden von den Fachkräften gemeinsame Bildungshauszeiten angeboten, an denen eine
Zusammenkunft der Institutionen stattfinden soll (vgl. Sambanis 2010, 2). Da Kindergarten und Grundschule nach unterschiedlichen Bildungsaufträgen arbeiten (beim Kindergarten das Kinder- und Jugendhilfesystem, bei der Schule das Schulsystem), liegt es an den Institutionen selbst, in welcher Form sie die Kooperation gestalten (vgl. Strätz et al., 2007, 5ff.). Das Bildungshaus ist also als Konzept zu sehen, welches bei der Umsetzung keine klaren Vorgaben gibt, wie intensiv oder häufig eine Zusammenarbeit stattfinden soll (vgl. ebd.).
Von der neuartigen Kooperationsform sollen alle Beteiligten profitieren. Fachkräfte beider Institutionen stehen im direkten Austausch ihrer Qualifikationen. Sie planen gemeinsam Lernarrangements, führen diese gemeinsam aus und reflektieren ihre Arbeit. Auf diese Weise werden Erfahrungen geteilt, Beobachtungen diskutiert und Aufgaben zusammen erfüllt. Aus diesen gemeinsamen Grundsätzen der professionellen Arbeit können neue Strategien entwickelt werden, um den Entwicklungs- und Lernerfolg der Heranwachsenden sicherzustellen (vgl. Sambanis 2009, 131). Die Jungen und Mädchen profitieren hauptsächlich von der Flexibilität der Lernangebote. So spielt das Lernalter oder die Klassenstufe keine vorrangige Rolle mehr, wie im konventionellen Unterricht, sondern das individuelle Lerntempo, Interesse und die persönliche Herangehensweise (vgl. ebd. 132).
Da die Umsetzung des Konzeptes von mehreren Faktoren abhängig ist, lässt es sich nur schwer einheitlich definieren (vgl. Sambanis 2010, 2). Vielmehr bieten vorgegebene Grundlagen eine Basis für ein Konzept, welches dem Umfeld entsprechend angepasst sein sollte. Als entscheidender Faktor wäre die Entfernung der teilnehmenden Institutionen voneinander zu nennen. Sie beeinflusst stark, in welchem Maße eine Zusammenarbeit stattfinden kann. Im bestmöglichen Fall liegen die Einrichtungen nah beieinander, es ist aber keine Seltenheit, dass für eine Zusammenkunft längere Wege bestritten werden müssen. Je weiter die Institutionen voneinander entfernt liegen, desto mehr Zeit beansprucht der Organisationsaufwand (vgl. ebd. 3). Das Bildungshaus ist also nicht zwangsläufig als ein Gebäude zu betrachten, Simbanis spricht vielmehr von einem ideelle[n] Dach, unter dem Kindergarten und Grundschule zusammenrücken.“ (Simbanis 2010, 3) Die Besonderheit am Bildungshaus ist die Intensität der Kooperation. Im Gegensatz zu gängigen Methode der Umsetzung beschränkt sich das Konzept nicht nur auf die Schnittstelle des Übergangs vom Kindergarten in die Grundschule, sondern bezieht sich auf das gesamte Altersspektrum zwischen drei und zehn Jahren. Die Kooperation setzt also erheblich früher ein und lässt sich als ausgeprägter und zuverlässiger beschreiben (vgl. Sambanis 2010, 1).
4 Das Bildungshaus Hahle
4.1 Standortanalyse und Ausgangssituation der Schule
Die Grundschule Hahle plant, ab dem Schuljahr 2011/2012 ein Bildungshaus zu eröffnen und die pädagogische Arbeit orientiert an diesem Konzept durchzuführen (vgl. GTS Hahle 2009, 26).
Bevor die aktuelle Situation der Schule und des Projektes näher beschrieben wird, findet im folgenden Teil die Standortanalyse des Stadtteils Hahle statt. Hiermit soll dem Leser ein Überblick über die Lebenssituation der Familien Hahles ermöglicht werden.
Die zweizügige Grundschule Hahle liegt im westlichen Randbereich der Hansestadt Stade im Norden Niedersachsens. Hahle entstand in den 1960er und 1970er Jahren in einem ursprünglich rein landwirtschaftlich genutzten Gebiet und besteht überwiegend aus Mehrfamilienhäusern des sozialen Wohnungsbaus. Außerdem befinden sich in Hahle mehrere Wohnheime für Menschen mit Behinderungen, die in den dazugehörigen Werkstätten des Stadtteils arbeiten (vgl. Niedersächsische Schulinspektion 2009, 6). Die Stader Innenstadt befindet sich in 2,5 km Entfernung. Die in Hahle lebenden Familien haben sehr unterschiedliche soziale Hintergründe. Einige Eltern bringen sich aktiv in das Bildungsleben ihrer Kinder ein und unterstützen sie, die meisten jedoch zeigen wenig Interesse und führen ein relativ bildungsfernes Leben. Das geringe Interesse am Schulerfolg ihrer Kinder äußert sich im Fernbleiben von Elternabenden und Sprechtagen, sowie dem Nichtbesorgen von benötigten Schulmaterialien. Eine langandauernde Arbeitslosigkeit und wenig finanzieller Rückhalt prägen das Leben der Erwachsenen, nicht selten leben Familien in Hahle am finanziellen Existenzminimum. Auf Empfehlung des Jugendamtes besuchen einige Kinder nach dem Unterricht den Hort. Durch diese Maßnahme soll den Jungen und Mädchen eine regelmäßige warme Mahlzeit, Hilfestellung bei den Hausaufgaben und eine sinnvolle Freizeitgestaltung ermöglicht werden
(GTS Hahle 2009, 4). Viele in Hahle lebende Familien haben einen Migrationshintergrund. Der Anteil der Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache beträgt 13%. Sowohl der Unterricht als auch die Kommunikation mit den Eltern sind durch sprachliche Defizite sehr eingeschränkt. Die Zahl der Kinder mit Sprachförderbedarf vor der Einschulung liegt vergleichsweise extrem hoch (vgl. Niedersächsische Schulinspektion 2009, 6).
Die Grundschule unterrichtet derzeit 70 Schülerinnen und 85 Schüler. Im Rahmen der verlässlichen Grundschule bietet die Schule ein Betreuungsangebot von 7.20 Uhr bis 15.30 Uhr. Seit August 2008 liegt die Schulleitung in den Händen von Herrn Marc Rohde. Die Schullaufbahnempfehlungen der Grundschule sind als sehr auffällig zu betrachten. Im vergangenen Schuljahr erhielten 55% der Schüler eine Empfehlung für die Hauptschule, 26% für die Realschule und lediglich 19% für das Gymnasium (vgl. Niedersächsische Schulinspektion 2009, 6).
Zum Schuljahr 2010/2011 plant die Hansestadt Stade die Einführung einer Offenen Ganztagsschule. Durch diese Maßnahme soll den Lernenden aus Hahle vor allem mehr Chancengleichheit im Bildungssystem ermöglicht werden (vgl. GTS Hahle 2009, 3ff.). Ein erster bedeutender Schritt zur Veränderung der Schule vollzog sich bereits im Herbst 2009, als das Schulgelände eingezäunt wurde. Seitdem beschäftigt sich eine Projektgruppe mit der Neugestaltung des Schulhofes. Zuvor litt die Außenanlage stark unter Vandalismus Jugendlicher, die sich häufig nachts im Schulbereich aufhielten (vgl. ebd.).
4.2 Die Grundschule Hahle als Kooperationspartner
Die Grundschule Hahle steht in enger Kooperation mit der städtischen Kindertagesstätte Hahler Weg und der privaten DRK-Kindertagesstätte. Die Tagesstätten richten sich in dieser Zusammenarbeit nach dem Niedersächsischen Orientierungsplan für Bildung und Erziehung im Elementarbereich. Dieser beinhaltet klare Formen von Kooperationsmöglichkeiten (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2005, 46f.). Neben Vorschlägen, wie eine erfolgreiche Kooperation verlaufen kann, wird hervorgehoben, dass eine Gemeinschaftsarbeit unverzichtbar ist, um Bildungserfolge für Kinder zu sichern. Hier sei zu erwähnen, dass der Orientierungsplan lediglich Empfehlungen für eine gelungene pädagogische Arbeit bietet, welche keinen verpflichtenden Charakter für die Umsetzung haben (vgl. ebd.).
Im Bericht der Schulinspektion wird im Bereich Schulkultur der Punkt Kooperation mit Kindertageseinrichtungen, anderen Schulen und externen Partnern mit der Beurteilung „stark“ bewertet und erzielt damit die bestmögliche Beurteilung (vgl. Niedersächsische Schulinspektion 2009, 10). In Form eines Kooperationskalenders werden gemeinsame Projekte oder Aktivitäten geplant, und es finden regelmäßig gemeinsame Fachkonferenzen mit umliegenden Grundschulen statt (vgl. ebd., 17f.). Aus veränderten räumlichen Gegebenheiten in der Schule entwickelte sich eine neuartige Möglichkeit der Form von Kooperation. Mit der Auflösung der niedersächsischen Orientierungsstufe im Jahr 2004 wurde ein Gebäudeteil mit insgesamt acht allgemeinen Unterrichtsräumen und einem Fachunterrichtsraum der Grundschule frei. Diese Räume werden seitdem als Außenstelle des VincentLübeck-Gymnasiums für die Klassen 5 und 6 genutzt. Ab dem Schuljahr 2010/2011 werden diese Räume nicht mehr gebraucht und stehen somit erneut frei (vgl. Niedersächsische Schulinspektion 2009, 6). Aus dieser Situation ergeben sich bezüglich der Kooperation neue Perspektiven für die Zukunft der Schule.
Den Institutionen steht zwar frei, inwieweit eine Zusammenarbeit durchgeführt wird; dass sie aber stattfinden muss, ist gesetzlich geregelt, wie die folgenden rechtlichen Vorgaben zur Kooperation in Niedersachsen verdeutlichen:
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