Dem Mensch begegnen in der modernen Gesellschaft eine Fülle von Risiken und Abhängigkeiten, die ihn in seiner Lebensführung beeinflussen. In dieser Arbeit wird die Abhängigkeit und die moderne Gesellschaft auf ihre Grundmuster hin beleuchtet und im Anschluss in Verbindung zueinander gestellt. Da die Abhängigkeit und die Gesellschaft immer durch Veränderungen entstehen, diesen ausgesetzt sind und selbst auch erzeugen, werden prozesshafte Zusammenhänge vor dem Hintergrund des sozialen Wandels genauer untersucht. Die Abhängigkeit wird neben den im Alltag damit assozierten Begriff der Sucht auch in ihrer Bedeutung gesellschaftlichen und individuellen Handelns untersucht. Um ein differenziertes Verständnis von der Kausalität der Abhängigkeit im Rahmen der Gesellschaft zu erhalten, wird auf eine Darstellung der aktuellen modernen Gesellschaft und ihre Entstehung ab der Industriealisierung 19. Jahrhundert nicht verzichtet. Im Mittelpunkt steht dabei der Mensch, dessen Bedürfniserfüllung, seien sie materiell, sozial, emotional oder politisch immer eine Unterstützung und Angewiesenheit anderer Menschen beinhaltet. Zentral dabei ist der Erfolg oder das Scheitern von der Erfüllung der dadurch entstehenden individuellen und gesellschaftlichen Anforderungen und Erwartungen mit dem Ziel des individuellen und gesellschaftlichen Fortschritts. Konkret wird hierbei der Gesellschafts- und Abhängigkeitseinfluss auf die Umsetzung des erwünschten Lebensstandards innerhalb und außerhalb unterschiedlicher Milieus eingegangen. Jedes Individuum wird in eine Welt komplexer Abhängigkeiten geboren die ihr einerseits als vorgegeben und andererseits als gestaltbar begegnet. In wie weit es sich aus diesem Abhängigkeitskomplex lösen kann und gelöst wird vor dem Hintergrund der Individualisierung wird konkret thematisiert. Umgekehrt ist es auch nötig im Bezug auf die Gesellschaft die Eingliederung von ungewollten oder gewollt herausgelösten Individuen darzustellen. Die Bedeutung dieses Zusammenspiels unterschiedlicher Bedingungen innerhalb einer Gesellschaft und die dazu reziprok verhaltenden Abhängigkeit werden im Abschluss in Bezug zur sozialen Arbeit gestellt. Daraus ergibt sich ein umfassendes soziologisches und politisches Verständnis für die aktuelle und möglicherweise zukünftige Wahrnehmungs- und Handlungsweisen der Sozialen Arbeit und ihrer Adressaten.
Inhaltsangabe
1.0 Abstrakt - Die Entstehung eines Bewusstseins hinsichtlich eines ganzheitlichen Menschenbildes innerhalb prozesshafter Entwicklungen
2.0 Abhängigkeit - Angewiesenheit - Unterstützung
2.1 Abhängigkeit - Eine begriffliche Klärung
2.2 Abhängigkeit und Sucht
2.2.1 Abhängigkeit im Sinne der Sucht
2.2.2 Sucht als Prozess
2.3 Abhängigkeit und Gesellschaft
2.3.1 biologische Abhängigkeit
2.3.2 soziale Abhängigkeit
2.3.3 politische Abhängigkeit
3.0 Moderne Gesellschaft - Soziale Differenz - Gesellschaftliches Zusammenleben
3.1 Moderne Gesellschaft - Eine begriffliche Klärung
3.1.1 Differenzierung als Grundprinzip der Moderne
3.1.2 Beschleunigung und Rationalisierung
3.1.3 Prozess der Individualisierung
3.1.4 Pluralisierung der Lebensstile und neue Unübersichtlichkeiten
3.1.5 Domestizierung und Schließung
3.1.6 Integration und Globalisierung
3.2 Soziale Differenz und Abhängigkeit
3.2.1 Soziale Ungleichheit
3.2.2 Gesundheitliche Ungleichheit
3.3 Gesellschaftliches Zusammenleben in der Moderne
4.0 Sozialer Wandel
4.1 Das individuelle Scheitern in der Risikogesellschaft
4.2 Subkulturen und deviante Milieus
4.3 Soziale Kälte und strukturelle Wärme
4.3.1 Entropie - der Verfall einer Ordnung
4.3.2 Syntropie - der Aufbau einer Anpassungsleistung
4.3.3 Die Reziprozität von Entropie und Syntropie
5.0 Soziale Arbeit und die Reziprozität von Abhängigkeit und Gesellschaft
5.1 Die Abhängigkeit Sozialer Arbeit in der modernen Gesellschaft
5.2 Die Unterstützung und die solidaritätsstiftende Wirkung der sozialen Arbeit
5.3 Eine ausgewogene Balance- eine Zukunftsvision
6.0 Literaturverzeichnis
6.1 Literaturangaben
6.2 Artikelangaben
6.3 Quellenangaben
1.0 Abstract - Die Entstehung eines Bewusstseins hinsichtlich eines ganzheitlichen Menschenbildes innerhalb prozesshafter Entwicklungen
In dieser Arbeit wird die Abhängigkeit und die moderne Gesellschaft auf ihre Grundmuster hin untersucht, welche im Verlauf der Forschung in Verbindung zueinander gestellt werden. Da der Abhängigkeitsprozess, wie auch die Gesellschaftsstruktur stetiger Veränderungen unterliegen, werden die in Verbindung stehenden prozesshaften Zusammenhänge vor dem Hintergrund des sozialen Wandels genau untersucht. Dies findet zunächst anhand ausführlicher Begriffsdefinitionen statt, sodass die allgegenwärtigen Begriffe der „Abhängigkeit“ und der „Gesellschaft“ von allen Blickwinkeln heraus beleuchtet werden.
Um jene vielschichtigen Begriffe in eine aussagekräftige Konstellation zu stellen, um ein differenziertes Verständnis von der Kausalität der Abhängigkeit im Rahmen der Gesellschaft zu erhalten, wird eine genaue Darstellung der aktuellen modernen Gesellschaft und ihre Entstehung ab dem Prozess der Individualisierung im 19. Jahrhundert präsentiert.
Der Mittelpunkt dieser entwicklungsorientierten Darstellung stellt dabei das menschliche Individuum vor dem Hintergrund seiner individuellen Bedürfnislage und - erfüllung dar. Jene Bedürfnisse werden anhand der unterschiedlichen Abhängigkeitsmuster und Gesellschaftsbedingungen eruiert und veranschaulicht. Jene Bedürfnislage stellt den Ausgangspunkt für die sozialarbeiterische Intervention dar und gewinnt aus diesem Grund innerhalb dieser Arbeit besondere Bedeutung. Diese Bedürfnislage und die aus ihr resultierenden individuellen Verhaltensweisen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen bestimmt das individuelle Erfolgserlebnis hinsichtlich der Bedürfnisbefriedigung oder aber das individuelle Scheitern, welches als ein Kernpunkt der Sozialen Arbeit genauer beleuchtet wird. Da das individuelle Erfolgs- oder Scheitererleben von der individuellen Lebenswelt, wie auch von der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung vor dem Hintergrund ökonomischer, ökologischer und politischer Prozesse, abhängig ist, werden die zu Beginn definierten Begriffe in ihrer Vielschichtigkeit mit dem Erleben des Individuums in Zusammenhang gebracht.
Anschließend werden mögliche Entwicklungen, welche aus dem individuellen Scheitern resultieren, genau untersucht und mit den Ansatzpunkten, Handlungsmethoden und -kompetenzen der Sozialen Arbeit in Verbindung gebracht.
Aufgrund genauer Forschung hinsichtlich der Abhängigkeits- und Gesellschaftsentwicklung und der Herausarbeitung ihrer reziproken Beziehung, gelingt es, eine Prognose für den weiteren Verlauf der beschriebenen Entwicklungen darzustellen, sodass Ausführende der Sozialen Arbeit mögliche Ansatzpunkte für die künftige Soziale Arbeit aufgezeigt werden.
Ziel dieser Arbeit ist, die für die Soziale Arbeit grundlegend wichtige Darstellung des Individuums vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Prozesse, in welche es, durch komplexe Abhängigkeitsbeziehungen eingebettet ist und welche es durch die eigene Identitätsentwicklung selbst beeinflusst.
Es soll ein Bewusstsein hinsichtlich der Prozesshaftigkeit des menschlichen Daseins erreicht werden, sodass die persönliche Reflektionsfähigkeit Ausführender1 der Sozialen Arbeit erhalten und gefördert wird. Jene Prozesshaftigkeit beruht auf stetigem Wandel intra- und interpersoneller Begebenheiten. Weiterhin werden die gesellschaftlichen Prozesse durch die Entwicklung einzelner Identitäten, wie auch durch umgebende Faktoren beeinflusst. Der Ablauf jenes überbegrifflichen Wandels vor dem Hintergrund einzelner abhängiger Prozesse wird in dieser Arbeit detailliert dargestellt; ein besonderes Augenmerk wird auf die Hintergründe und Motive der Reziprozität, welche im Verlauf der Arbeit untersucht wird, der einzelnen Prozesse gelegt.
Die Soziale Arbeit als Teil des gesellschaftlichen Systems nimmt ebenfalls am gesellschaftlichen Wandel, in welchem sich der Prozess der Spezialisierung heraus kristallisiert, teil, sodass jener Prozess ebenfalls Teil dieser Untersuchung darstellt. Im Bewusstsein über jene erwähnte Prozessorientierung der Gesellschaft vor dem Hintergrund der Spezialisierung, ist es auch für die Ausführenden der Sozialen Arbeit von hoher Bedeutung, über differenzierte und umfassende Handlungskompetenzen zu verfügen, sodass weiterhin der Mensch als holistisches Individuum, welches in seiner individuellen, sich wandelnden, Lebenswelt das Ziel der Selbstverwirklichung anstrebt, zu betrachten
2.0 Abhängigkeit - Angewiesenheit - Unterstützung
Um als Individuum in einer Gesellschaft funktionieren zu können, bedarf es viele notwendige Bindungen und Beziehungen, die es in seinem Leben eingehen muss. Diese Beziehungen wirken sich individuell und direkt auf die Lebensführung, die Umweltbedingungen und letztendlich auf das gesamte Gesellschaftssystem aus. Aufgrund der existenziellen Auswirkungen dieser Vielzahl an Beziehungsgefügen auf jedes Individuum, ist es gerade in der modernen Gesellschaft mit ihren unübersichtlichen individualistischen Gegebenheiten notwendig, einen Überblick der einzelnen Beziehungen in Verbindung mit ihren Abhängigkeiten zu erhalten. Jedes Individuum ist in ein komplexes System von Abhängigkeiten innerhalb einer Gesellschaft eingebettet, welche es beeinflusst und von welchen es selbst beeinflusst wird. Diese Abhängigkeiten bilden den Lebensraum und Lebensstil eines jedes Menschen aus und beeinflussen dadurch individuell seine Lebensführung; wobei es veränderbare, variable und im gegenteilig konstante Abhängigkeiten gibt. Die Thematik der Abhängigkeitsthese wird im Folgenden von verschiedenen Gesichtspunkten aus beleuchtet, sodass die Entwicklung, die Einflussfaktoren, Chancen und Veränderungsmöglichkeiten innerhalb des Abhängigkeitskomplexes, in welchem zweifelsohne jedes Mitglied einer Gesellschaft lebt, fassen zu können.
2.1 Abhängigkeit - Eine begriffliche Klärung
Der Abhängigkeitsbegriff findet in dem heutigen Sprachgebrauch vielfältige Verwendung und ist für die Erklärung von psychosozialen Erscheinungen im Alltag von universeller Bedeutung. Er wird jedoch hauptsächlich mit, meist substanzgebundener, Sucht, assoziiert. Diese Assoziation ist darauf zurückzuführen, das die Weltgesundheitsorganisation2 zur Beschreibung von Sucht mit ihren Eigenschaften 1957 die psychische und physische Abhängigkeit unter dem Begriff der Abhängigkeit zusammengefasst hat.3
Aufgrund dessen, dass die Sucht durch den Begriff der Abhängigkeit ersetzt wurde, erhielt diese einen vorwiegend negativen Charakter. Um diese negative Assoziation zu durchbrechen, ist es nötig, über den allgemein verwendeten Begriff der Abhängigkeit
im Sinne der Sucht hinauszugehen und mit Hilfe von universellen Merkmalen, die die Abhängigkeit voraussetzt, eine Vorstellung ihrer Bedeutung zu geben. Was Abhängigkeit ist und ob sie überhaupt existiert versuchte bereits Kant in der Zeit der Aufklärung anhand der relativen Dependenz zu beweisen und darzustellen. Mit der theoretischen Erkenntnis der Notwendigkeit von bestimmten Gesetzmäßigkeiten, die eine Abhängigkeit voraussetzt, konnte das erste Merkmal, die Kausalität, festgestellt werden. Das Kausalitätsprinzip, das in der Abhängigkeit begründet ist, geht von Gesetzmäßigkeiten aus, die immer eine notwendige Ursache beinhalte, die sich wiederum auf bestimmte Art und Weise auswirkt.4
Jede Abhängigkeit besitzt demnach eine Ursache, sie lässt sich auf einen Ursprung begründen, wobei davon auszugehen ist, dass dieser Ursprung nicht konstant, sondern austauschbar und veränderbar ist. Eine Abhängigkeit weist demnach immer unterschiedliche Ursachen und Wirkungen auf, die Abhängigkeit kann variieren, sie tritt als unterschiedliche Gegebenheit zu unterschiedlichen Zeiten in variabler Art und Weise auf. Aus diesem Grund spricht man in der Psychologie, wie auch in naturwissenschaftlichen Bereichen von unterschiedlichen abhängigen Variablen, ohne die eine Abhängigkeit nicht existieren kann.
Die Basis der Abhängigkeit stellen demnach Variablen dar, auf welchen sie ihre Existenz begründet, gleichzeitig stellt die Abhängigkeit eine Verbindung zwischen jenen erwähnten Variablen dar. Diese Verbindung ist als eine von Reziprozität geprägter Beziehung zu verstehen. Diese Verbindung ist eine Bedingung der erwähnten Variablen, variiert demnach in Abhängigkeit der Variablen.
In diesem Zusammenhang wird das Merkmal der Reziprozität deutlich. Die oben erwähnte Beziehung fundiert auf die wechselseitige Einflussnahme nach dem Prinzip der Ursache und Wirkung, wobei davon auszugehen ist, dass die Eigenschaften der Variablen wechselseitige Aufgaben annehmen und sich nicht bedingungslos linear gegenüberstehen.5
In der Sozialpsychologie ist der Begriff der Abhängigkeit innerhalb zwischenmenschlicher Beziehungen zu finden.6 Eine Beziehung kann nur bestehen, wenn die jeweiligen Beziehungspartner aufeinander angewiesen sind. Hier wird deutlich, dass ohne eine Verbindung zwischen den jeweiligen Variablen, also dem Beziehungspartner, keine Abhängigkeit entstehen kann und somit jede Beziehung immer auf eine gewisse Art bindend, gleichwohl auch jede Abhängigkeit ohne eine Beziehungen nicht autonom auftreten kann, was wiederum die bereits erwähnte notwendige Reziprozität beweist.
Die Verbindung zwischen den Beziehungspartnern ist demnach geprägt von Angewiesenheit, welche von beiden Parteien ausgeht. Diese verhält sich nach dem oben beschriebenen Prinzip der Reziprozität; dies bedeutet, dass von einem Beziehungspartner ein höheres Maß der Angewiesenheit ausgeht als von dem Gegenüber. Dieses Ungleichgewicht der Verbindung wird durch ein höheres Maß an Unterstützungsleistung kompensiert, sodass die Verbindung in gleichem Maße von Angewiesenheit und Unterstützungsleistung geprägt ist. Mit der Kompensation des Ungleichgewichts der Verteilung der Angewiesenheit entsteht die Grundlage der Abhängigkeit, mit welcher sich nach dem Prinzip der Reziprozität das Ungleichgewicht zwischen Angewiesenheit und Unterstützungsleistung ändern oder gar ausgleichen lässt.
Dieser reziproke Zustand zwischen Angewisenheit und Unterstützung innerhalb einer Abhängigkeit gewährleistet jedes Gesellschaftsmitglied die Einbindung in das Gesellschaftssystem bzw. die Bindung der Gesellschaftsmitglieder untereinander. Die Abhängigkeit ermöglicht somit jedem Einzelnen in einem Beziehungsgefüge seine eigene soziale Stellung und seine individuelle Rolle innerhalb eines Systems zu entwickeln und zu wahren. Wobei jedes Gesellschaftsmitglied mit unterschiedlichen Erwartungen eine Beziehung und somit eine Abhängigkeit eingeht und gleichzeitig auch wieder innerhalb der Abhängigkeit neue unterschiedliche Erwartungen und somit auch Abhängigkeiten entwickelt werden können.7
Daraus ist zu schließen, dass Abhängigkeit immer auch eine soziale Komponente aufweist und somit eine natürliche Gegebenheit ist. Die Abhängigkeit erklärt also nicht ausschließlich pathologische Erscheinungen wie die Sucht, sondern liefert vielfältige Erklärungen auch im Bezug auf das alltägliche Leben und Wachsen, an dieser Stelle sind Bindungen, die ohne Abhängigkeit nicht existieren und in die jeder Mensch von Natur her eingebettet ist, zu nennen.
In der Soziologie wird diese Abhängigkeit „als eine Reihe von Verhaltensdispositionen“8 differenziert dargestellt, so unterscheidet sie innerhalb sozialer Gefügen zwischen der instrumentellen Abhängigkeit und der emotionalen Abhängigkeit.9
Die instrumentelle Abhängigkeit stellt die „Suche nach (der eben erwähnten) Unterstützung“10, die den Unterstützungserwartenden wiederum von dem Unterstützungsgebenden abhängig macht, dar. Die Gewährleistung der Unterstützung nennt Luhmann im Sinne einer Hilfe als einen „Beitrag zur Befriedigung der Bedürfnisse eines anderen Menschen“.11 Die Erwartungshaltungen des Bedürftigen, sowie die des Helfenden spielen hier eine große Rolle. Eine stabile Bindung zwischen den Menschen innerhalb eines sozialen Systems, wie auch an das soziale System ist wahrscheinlicher, sofern eine starke Abhängigkeit des Beziehungsgefüges vorhanden ist. Durch die unterschiedlichen Erwartungen und inkongruenten Bedürfnisse12 innerhalb einer Gesellschaft ist eine Abhängigkeit erst möglich. Würden keine Erwartungen oder unerfüllte Bedürfnisse bei den einzelnen Gesellschaftsmitgliedern vorherrschen, so würde gleichwohl das Verlangen nach Unterstützung und die damit verbundene Angewiesenheit, sowie die gegenseitige notwendige Unterstützungsleistung wegfallen. Am Beispiel des luhmann'schen Hilfebegriffs konnte somit eine Abhängigkeitssituation im Sinne eines reziproken Wechselspiels der einzelnen Beziehungspartner dargestellt werden. Dem Hilfebedürftigen wird eine instrumentelle Abhängigkeit zugeschrieben, da er vom Hilfeleistenden die Befriedigung seines Bedürfnisses nach Unterstützung erwartet und dadurch vom Erhalt der Unterstützung durch den Hilfeleistenden abhängig gemacht wird.
Es ist davon auszugehen, dass die Angewiesenheit, beziehungsweise die unbefriedigten Bedürfnisse, nicht durch Selbsthilfe ausgeglichen werden können, sodass die Abhängigkeit nicht frei gewählt werden kann. Vielmehr stellt die Akzeptanz der Abhängigkeit das Fundament zur Befriedigung der Bedürfnisse dar. Der Hilfebedürftige nimmt in diesem Falle einen eher als passiv zu wertenden Stellenwert ein; es besteht in diesem Falle nicht die Möglichkeit, die Abhängigkeit abzulehnen. Diese Passivität ist aus soziologischen Gesichtspunkten eine weitere Verhaltensdisposition, die Ergebnis einer Abhängigkeit sein kann.
Demgegenüber ist dem Hilfebedürftigen im Rahmen der emotionalen Abhängigkeit eine höhere Aktivität zuzuordnen; es besteht bezüglich der Annahme der Abhängigkeit ein höheres Kontingent an Autonomie. Die Angewiesenheit des Hilfebedürftigen nimmt in diesem Falle einen weniger hohen Stellenwert in Bezug auf die Entscheidungsfreiheit ein, sodass ihm ein gewisses Grad an Handlungsspielraum ermöglicht wird. Dies bedeutet, dass der Hilfebedürftige sich aktiv für oder gegen eine Beziehung entscheiden kann. Diese Beziehung birgt die Angewiesenheit auf die Reaktionen des Gegenübers, in Abgrenzung zur Angewiesenheit auf dessen Unterstützungsleistung. Der Hilfebedürftige muss hierbei ein hohes Maß an Kontaktfähigkeit besitzen, um einerseits eine Beziehung eingehen zu können und, andererseits, diese auch aufrecht erhalten zu können.13
Als beeinflussende Variable der individuell auftretenden Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Gesellschaftsmitgliedern sind dabei die Gesetze, Werte und Normen zu beachten, die innerhalb einer Gesellschaft herrschen.14 Diese Variable muss nicht bei jeder Abhängigkeit eine Rolle spielen, sie kann sich aber unmittelbar auf die Abhängigkeit zwischen Menschen auswirken. So können bestimmte Organisationsformen und kulturelle Hintergründe eine Person in ihrer Verhaltensweise beeinflussen, prägen und gleichzeitig von diesen abhängig machen.
Eine Abhängigkeit gegenüber Organisationen und Gesetzen begründet weiterhin die Existenz eines Machtgefälles, innerhalb welchem sich Leistungserbringer und Leistungsempfänger gegenüberstehen. Auch die Verbindung jener Gegenüberstehenden ist als reziprok zu werten, da die erwähnten leistungsabhängigen Rollen in Art und Intensität variieren. Die Machtkomponente jedoch ist nicht als variabel einzustufen, sie ist als relative Konstante einer Partei der Abhängigkeit zuzuordnen. Eine solche Abhängigkeit existiert nunmehr beispielsweise zwischen legislativen, exekutiven und judikativen Funktionen und dem Volk innerhalb einer Regierungsform, wobei unter Einfluss von Gesetzen und Sanktionen Verhaltensweisen von Gesellschaftsmitgliedern kontrolliert und beeinflusst werden, was die Entstehung einer Abhängigkeit maßgeblich begründet und zu einem Ungleichgewicht an Bedingungen, zu unmittelbar unterschiedlichen Bedürfnissen führt, was wiederum eine stärkere Einbindung in das soziale System zur Folge hat und gleichermaßen die Existenz der Abhängigkeit stabilisiert.
Anhand dieser Darstellung geht hervor, dass die zu Grunde liegende Existenz, wie auch die Entstehung und Aufrechterhaltung einzelner Abhängigkeiten durch eine Vielfalt an Faktoren und variablen Bedingungen gebunden sind; dass der Begriff der Abhängigkeit weit mehr bedeutet, als die psychische und physische Abhängigkeit im Sinne der Sucht nach stoffgebundenen Konsum- beziehungsweise Suchtmitteln. Dennoch bedarf es, aufgrund der allgemeinen gesellschaftlichen Assoziation des Abhängigkeitsbegriffs eine Klärung der Definition auch im Hinblick auf den Suchtmittelkonsum.
2.2 Abhängigkeit und Sucht
Eine differenzierte Klärung von Sucht unter dem Abhängigkeitsverständnis wird, vor dem Hintergrund einer prozesshaften Abhängigkeitsentstehung, unter medizinischem, sozialem und individuellem Blickwinkel, dargestellt.
2.2.1 Abhängigkeit im Sinne der Sucht
Der Begriff „Sucht“ beschreibt eine menschliche Verhaltensweise, welche mit Abhängigkeiten gegenüber stoffgebundenen und nicht-stoffgebundenen Konsum- beziehungsweise Suchtmitteln einhergeht. Auch da der Begriff der Sucht im gesellschaftlichen Sinne negativ geprägt ist, wurde der Begriff der „Sucht“ im Jahre 1964 durch die WHO durch den allgemeingültigen Begriff der „Abhängigkeit“ ersetzt. Jene negative Prägung des Begriffs „Sucht“ beinhaltet vor allem die Assoziation von Suchtmittelkonsum vor dem Hintergrund eines charakterbedingten Fehlverhaltens eines Individuums. Dem Wortstamm „siech“, was nichts anderes als „krank“ bedeutet, kommt die gesellschaftliche Assoziation von „Sucht“ nicht gleich, sodass, wie oben beschrieben, der Begriff der „Sucht“ in wissenschaftlicher Literatur unter „Missbrauch“ und „Abhängigkeit“ aufzufinden ist.15
Jene Definition der Abhängigkeit bedeutet, dass eine gewisse Beziehung, die in der klinischen Psychologie als eine dauerhafte Verhaltensweise, in welcher ein Stoff aufgrund eines unwiderstehlichen körperlichen oder psychischen Bedürfnisses konsumiert wird, bezeichnet wird,16 zu einer Sache oder einer Substanz hergestellt wird. Diese vorwiegend im klinischen Bereich bezeichnete Begrenzung auf stoffgebundene Süchte bezieht sich auf die von der WHO definierte sieben Abhängkeitstypen. Von stoffegebundenen Abhängigkeiten kann dann gesprochen werden, wenn eine „Abhängigkeit von Opioiden, Cannabinoiden, Kokain, Halluzinogenen, Lösungsmittel, Khat und Tabak“17 besteht; wobei an dieser Stelle zu erwähnen ist, dass nicht nur jene erwähnten, zum größten Teil illegalen Substanzen über hohes Suchtpotenzial verfügen, vielmehr sind auch legalen Substanzen, wie Alkohol und ärztlich verordneten Medikamenten wie Morphinabkömmlinge zur Schmerzbehandlung oder Benzodiazepinen zur Behandlung von Unruhezuständen ein hohes Suchtpotenzial zuzuschreiben. Gegensätzlich zu den stoffgebundenen Abhängigkeiten verhalten sich stoffungebundene Abhängigkeiten wie Essstörungen und die Spielsucht. Zweifelsohne sind auch hier Merkmale einer Abhängigkeit erkennbar, jedoch handelt es sich hier um erworbene Verhaltensweisen, hinsichtlich einer Tätigkeit oder eines Unterlassens, welche die persönliche, individuelle Freiheit einschränken.18 Sucht - im stoffgebundenen, wie auch im stoffungebundenen Sinne - ist demnach aufgrund ihrer dauerhaften Bindung an eine Substanz oder einen Erlebniszustand strukturell bedingt; wobei die Aufrechterhaltung dieser Bindung, welche sich in einer unwillkürlichen und andauernden Handlungsweise äußert, auch als „Craving“ bezeichnet wird.19
Dieser Begriff des „Cravings“ findet nicht nur in der Suchtforschung Anwendung, vielmehr handelt es sich hierbei auch um einen medizinischen Begriff, welcher den Kernpunkt der Abhängigkeitsdynamik beschreibt.
Der beschriebene Begriff des „Cravings“ findet Anwendung in beiden Bereichen der nach der WHO definierten Abhängigkeit. Im folgenden Teil dieser Arbeit jedoch wird näher auf den Bereich der substanzgebundenen Abhängigkeit eingegangen. Die eben erwähnte Substanzabhängigkeit als solche wird weiterhin untergliedert in die psychisch und physisch forcierende Abhängigkeit. Demnach existiert eine Einteilung der Suchtmittel nach ihrem Ausmaß des jeweiligen Kontingents an physisch oder psychisch wirksamen Cravingfaktoren.
Reagiert der menschliche Organismus auf die von der Subtanz ausgehenden Cravingfaktoren mit der nach ICD-10 definierten Merkmalen der Abhängigkeit, wie sie im folgenden Teil der Arbeit genauer erläutert werden, besteht ein nach ICD-10 definiertes Abhängigkeitssyndrom, welches mehrere Symptome der Abhängigkeit beinhaltet. Dargestellt werden jene Abhängigkeitssyndrome, abhängig von der ausgehenden Substanz im Abschnitt F10.3 - F19.3 des ICD-10.20
Die Symptome der Abhängigkeit variieren abhängig von der Art der pathologisch konsumierten Substanz, da die einzelnen Stoffe unterschiedliche Wirkungsweisen im menschlichen Nervensystem einnehmen. Bei allen konsumierten Substanzen jedoch kommt es zu einer Intervention in den Haushalt der Neurotransmitter im zentralen Nervensystem. Psychotrope Substanzen fungieren im Metabolismus des Transmittersystems als Agonist, als Antagonist oder als Rezeptorinhibitor, sodass ein Ungleichgewicht im Transmittersystem entsteht, welches sich in einer akuten Intoxikation und den typischen Symptomen äußert. Bei fortdauerndem Substanzkonsum stellt sich eine längerfristige Stoffwechselstörung ein, welche der Körper auszugleichen versucht - es werden vermehrt als Antagonist fungierende Neurotransmitter synthetisiert und ausgeschüttet, sodass ein Gleichgewicht im Metabolismus hergestellt werden kann - Trotz fortdauerndem Substanzkonsum herrscht eine konstante, der Physiologie ähnelnde, Konzentration an Neurotransmittern; es treten keine Symptome der Intoxikation auf. An dieser Stelle spricht man auch von der „Toleranzentwicklung“21 gegenüber einer psychotropen Substanz. Letztere wurde in jenem Stadium vom menschlichen Organismus in den Hirnstoffwechsel integriert und trägt zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts bei. Bei manifester Toleranzentwicklung und damit einhergehender Entzugssymptomatik beim Absetzen oder bei der Reduktion der psychotropen Substanz, erweitert sich die Kausalität des Konsums um die Facette der „Beseitigung der Entzugserscheinungen“.22 An dieser Stelle tritt der ursprüngliche Grund des Konsums in den Hintergrund, ebenso das Rauscherlebnis; der Konsum dient mehr oder minder der Aufrechterhaltung der körperlichen Funktionen und mit ihr auch die Aufrechterhaltung des persönlichen Leistungsniveaus.
Wird dem hirnorganischen Metabolismus abrupt die psychotrope Substanz, welche durch physiologische Vorgänge in den Stoffwechsel integriert wurde, entzogen, stellt sich rasch ein Ungleichgewicht in der Neurotransmitterkonzentration ein; es kommt zu psychischen und vegetativen Entzugssymptomatiken, wie erhöhtem Suchtdruck, starker Transpiration, gesteigerte Hirnaktivität mit Reduktion der Krampfschwelle oder den so genannten Entzugsschmerzen.23
In Abgrenzung zum Abhängigkeitssyndrom, jedoch bei fehlenden individuellen Ressourcen und pathologischen sozialen Konstellationen als Vorstufe zur Abhängigkeit zu werten, wird der „Schädliche Gebrauch“24 im Abschnitt F10.2 - F19.2 definiert. Der „Schädliche Gebrauch“, auch „Missbrauch“ genannt, liefert Symptome rezidivierender akuter Intoxikationen, die im Abschnitt F10.1 - F19.1 des ICD-10 klassifiziert sind, hierbei sind bereits latente Symptome der Abhängigkeit, wie auch pathophysiologische Veränderungen des Organismus vorhanden, jedoch fehlen ausschlaggebende Symptome des Abhängigkeitssyndroms, welche im nachfolgenden Teil dieser Arbeit erläutert werden. Weiterhin werden, dem Verlauf einer substanzgebundenen Abhängigkeit chronologisch angepasst, in den Abschnitten F1x.4 - F1x.9 des ICD-10 weitere Syndrome und Folgen der Abhängigkeit, wie beispielsweise das amnestische Syndrom durch Alkoholabhängigkeit oder die cannabisinduzierte Psychose, deklariert, wobei der Bereich F10.9 - F19.9 „nicht näher bezeichnete psychische und Verhaltensstörung“25 für atypische, individuelle substanz- beziehungsweise abhängigkeitsinduzierte Symptome geeignet ist, sodass jede psychische und Verhaltensstörung durch das Klassifikationssystem des ICD-10 klassifiziert werden kann.26
Eine der bereits aufgeführten Diagnosen des ICD-10 ist Grundvoraussetzung für die Übernahme der Behandlungskosten nach im Sozialgesetzbuch geregeltem sozialversicherungsrechtlichem Sinne; für eine Rehabilitationsmaßnahme im Rahmen einer Entwöhungstherapie ist die Diagnose eines nach dem ICD-10 klassifiziertem Abhängigkeitssyndroms meist eine Grundvoraussetzung. In seltenen Fällen oder bei jugendlichen Konsumenten dient auch der schädliche Gebrauch als eine Langzeittherapie rechtfertigende Diagnose.
Ein nach dem ICD-10 klassifiziertes Abhängigkeitssyndrom oder eine hieraus resultierende psychische oder pathophysiologische Folge, besteht, wenn drei der im Folgenden beschriebenen acht Kriterien innerhalb eines Jahres verifiziert werden können.27
Sobald ein Individuum dem Konsum eines Stoffes unwillkürlich ausgeliefert ist, wenn es über eine „Art zwanghafte Verhaltensweise“28, einhergehend mit dem Verlust der Kontrolle hinsichtlich dieser Verhaltensweise in Bezug auf den Substanzkonsum, verfügt, sind zwei jener acht Kriterien verifiziert. Zusätzliche Kriterien, die in der Regel neben dieser beschriebenen zwanghaften Verhaltensweise und dem Kontrollverlust auftreten, sind die Toleranzentwicklung und körperliche und psychische Entzugserscheinungen. Die zwanghafte Verhaltensweise in Verbindung mit dem Kontrollverlust führt zu einer Steigerung der Dosis des Suchtmittels, worauf der menschliche Organismus mit Toleranzentwicklung reagiert, was wiederum auslösender Faktor erhöhten Konsums ist. Etwa gleichzeitig mit der pathologischen Toleranz stellt sich die Entzugssymptomatik ein, welche hauptsächlich von Suchtdruck charakterisiert ist. Anhand dieses Abrisses wird deutlich, dass ein Abhängigkeitssyndrom, welches sich aus oben genannten Kriterien zusammensetzt, enorme psychosoziale Folgen für das betroffene Individuum, welches seine sozialen Interaktionen, im fortgeschrittenen Verlauf, auf die Beschaffung des Suchtmittels reduziert. In Folge des pathologischen Substanzkonsums entsteht eine, für die Abhänigkeitsbeziehung, notwendige Bindung zwischen Konsumenten und Substanz. Jene Bindung ist Folge komplizierter pathophysiologischer und psychosozialer Vorgänge und in keiner Hinsicht als freiwillige Beziehung zu werten, vielmehr ist das konsumierende Individuum unkontrolliert in diese Bindung eingebunden. Neben jener objektiven Darstellung der Abhängigkeit existiert meist eine subjektive Interpretation der Letzteren; der Konsument nimmt die Abhängigkeitsbeziehung wahr, vertritt jedoch vor sich selbst, wie auch vor seinem sozialen Umfeld, den Glauben, den Substanzkonsum kontrollieren zu können. Diese subjektive Interpretation ist in der Regel als ein Ausdruck der Selbstkontrolle zu verstehen, da eine Akzeptanz des wahrscheinlich irreversiblen Verlustes einer sinnvollen Konsumsteuerung29 und damit der psychischen Kontrollminderung und Angewiesenheit gegenüber dem Stoff meist mit Schwäche oder gar einer Art „ausgeliefert sein“ in Verbindung gebracht wird. Eben erwähnter Verlust einer sinnvollen Konsumsteuerung wurde früher im medizinischen und wird oftmals noch heute im gesellschaftlichen Sinne, mit einer Art „Charakterschwäche“ assoziiert, sodass der betroffene Konsument seine entstandene „Sucht“ als Selbstschutz und vor dem Hintergrund des Schutzes seiner Angehörigen zu kaschieren versucht - Oftmals ist dies ebenfalls ein Ansatzpunkt der Co-Abhängigkeit Angehöriger von konsumierenden Individuen. Trotz der versuchten Selbstkontrolle und des intensiven Glaubens an die vermeintliche Kontrollfähigkeit bezüglich des Substanzkonsums, besteht die Verhaltensweise des zwanghaften Herbeiführens des durch die Substanz entstandenen Erlebniszustands als eine psychische Eigenschaft der Substanzabhängigkeit, welche zweifelsohne mit dem wiederholten Scheitern der Kontrolle30 einhergeht. Diese beiden psychischen Eigenschaften der Substanzabhängigkeit und ihre enge Verbindung zueinander, erschweren dem Süchtigen, vor allem vor dem Hintergrund des subjektiv empfundenen Gefühls der Macht gegenüber des Suchtmittels, sich ohne fremde Hilfe von der beschriebenen, unfreiwilligen Bindung zwischen Individuum und Suchtmittel zu lösen und die Abhängigkeit zu überwinden, obwohl meist bereits dramatische Konsequenzen sozialer, psychischer und körperlicher Art bestehen31.
Aufgrund der schädlichen Folgen in der Lebensführung des Individuums und seiner Umwelt, die von den Kriterien beschrieben wurden, und sich in kognitiven, verhaltensbezogenen und oder physischen Merkmalen32 äußern, weist die Sucht einen selbstzerstörerischen Charakter33 auf, der bei der Drogenabhängigkeit oft in Form von Beschaffungskriminalität auftritt. Dem abhängigen Individuum stehen aufgrund mangelnder Ressourcen nicht genug an sozialer Stabilität und materiellen Einnahmequellen zur Deckung seines Konsumbedarfs zu Verfügung. Dadurch unterliegt es dem Zwang zu kriminellen Handlungen.34 Auch durch den Vorzug der Substanz gegenüber anderen Interessenfeldern, leidet der Abhängige unter Einschränkungen seiner Freiheiten, Selbstbestimmung und somit auch seiner Funktionsfähigkeit. Diese Einschränkungen führen bei Abhängigen oftmals zu einem anomischen Zustand, im Sinne einer Regel- und Normlosigkeit, sodass sich die eingeschränkte Handlungsfähigkeit bedingt durch Interessenverarmung, Antriebslosigkeit und affektive Verflachung der Betroffenen oftmals auf das Ausüben des Freitods fokussiert und beschränkt. Diese Tatsache begründet auch die hohe Rate an Komorbidität und Letalität der Abhängigkeitserkrankungen.35
2.2.2 Sucht als Prozess
Die in der Medizin vorhandene Klassifikation der Syndrome, mit wessen Hilfe die Sucht im Sinne der Abhängigkeit diagnostiziert werden kann, ist allerdings immer normativ. Das heißt, würden diese Abhängigkeitskriterien nicht existieren, so wäre gleichwohl die Sucht in der heutigen Medizin nicht als Krankheit anerkannt. „Jede Krankheit ist also … ein Resultat eines kulturellen Benennungs- und Klassifikationsprozesses und Produkt der menschlicher Sprache und Denkens.“36
Sucht als Krankheit wurde also konstruiert, und ist aus diesem Grund relativ und wie jede andere soziale Abhängigkeit als ein soziales Geschehen zu bezeichnen. Diese Erkenntnis dient dem Grundverständnis der Suchtätiologie. Aufgrund der normgebenden Eigenschaft von Sucht als Krankheit, ist die Ursache der Sucht eine soziale Basis, im Zuge eines soziokulturellen und historisch geprägten Prozesses. Dennoch wird aus heutiger gesellschaftlicher Sicht, die Sucht als individuelles Scheitern der Moderne, also als eine „soziale Struktur die sich auf pathologische Weise im handeln der Menschen realisiert“37 verstanden.
Die Ätiologie der Sucht besteht aus wechselwirkenden bio-psychosozialen Faktoren innerhalb eines trialen Systems. In diesem System hängt die Entstehung der Sucht immer von der Umwelt auf der Makro- und Mikroebene, der Persönlichkeit des Betroffenen und der Droge mit ihren psychischen Wirkungen zusammen.38 Eine Wirkung kann sowohl anregend, als Stimmungsaufheller wie auch sedierend, als Entspannung sein. Die Entspannung als Wirkungsfaktor eines Stoffes stellt bei den Konsumenten einen hohen Stellenwert dar, durch diese kann der Spannungszustand in welchen sich ein Konsument befindet, ausgeglichen werden. Ein Beispiel hierfür ist der Benzodiazepinabusus, welcher einen großen Prozentsatz der Medikamentenabhängigkeit ausmacht.39 Bedingt durch hohe psychosoziale und leistungsspezifische Anforderungen in Privat- oder Berufsleben, können sich als physiologisch zu wertende Spannungs- und Erregungszustände, wie auch Schlafstörungen einstellen. Oftmals werden diese Anzeichen der Überforderung nicht an ihrer Ursache behandelt, vielmehr wird mit Tranquilizern wie den Benzodiazepinen oder den Z-Drugs symptomatisch therapiert.40 Durch Ausstellung von Privatrezepten wird oftmals die Behandlungsdauer gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherungen vertuscht, sodass die von der WHO empfohlene maximale Behandlungsdauer von vier Wochen leicht überschritten - und eine Abhängigkeit eingeleitet - werden kann.41
Neben dem beschriebenen Entspannungsbedürfnis wirken sich auch Leidenschaftsbedürfnisse oder Gefühle der inneren Leere, Ängste und Schmerzen auf die süchtige Entwicklung aus.42 Auch gegen diese Symptome beziehungsweise für diese Leidenschaftsbedürfnisse werden Benzodiazepine, die als Anxiolytika fungieren, verordnet. Zu beachten ist an dieser Stelle, dass die Wirkung dieser Medikamente in Abhängigkeit zur Persönlichkeit des Konsumenten steht; die Intensität variiert vor dem Hintergrund der persönlichen Befindlichkeit, des quantitativen Bewusstseinsniveaus und der aktuellen affektiven und emotionalen Situation des konsumierenden Individuums. Abhängig von diesen Faktoren kann eine paradoxe Wirkungsweise eintreten, was nicht selten zu einer unkontrollierten Steigerung der Dosis und somit den Einstieg in den Missbrauch bedeutet. Bei labiler Persönlichkeit, beispielsweise im Rahmen des entwicklungspsychologischen Konfliktes im Alter der Adoleszenz, wie auch im Rahmen von Persönlichkeitsstörungen, ist das Risiko der Abhängigkeit erhöht. Neben den Persönlichkeitsstörungen dienen auch weitere psychische Krankheiten als eine Grundlage der Benzodiazepinabhängigkeit: Bei Ich-Störungen im Rahmen einer Erkrankung des schizophrenen Formenkreis dient der Tranquilizer als Heilmittel und muss gegebenenfalls über die empfohlenen vier Wochen hinaus verabreicht werden - sodass der Einstieg in die Komorbidität gegeben ist. Die Abhängigkeit psychischer und Suchterkrankungen bedingen sich jedoch reziprok:43 Ebenfalls kann, nach oben erläutertem pathophysiologischem Prinzip, eine psychische Störung aufgrund einer substanzgebundenen Abhängigkeit folgen.
Der eben umrissene Begriff der „Persönlichkeit“ des Betroffenen entsteht auch durch sein soziales Umfeld. Menschen aus niedrigen sozialen Verhältnissen und Menschen, die in einer schweren familiären Situation leben, weisen ein höheres Risiko auf, abhängig zu werden, als Menschen die sozial stärker stabilisiert werden. In diesem Zusammenhang stellt der Begriff der Armut das grundlegende Fundament der Abhängigkeit dar, wobei die Begriffsdefinition neben der finanziellen und der damit einhergehenden materiellen Armut weitere Aspekte beinhaltet. So spielen auch Defizite in der Bildung, wie auch die „mangelnde Gesundheitsfürsorge“44 und der „Mangel an sozialer Teilhabe“45 eine elementare Rolle. Aus diesen Begebenheiten ergeben sich häufig psychosoziale, wie auch somatische Veränderungen des eigenen seelischen Erlebens; aufgrund Existenzängsten, Perspektivlosigkeit und Monotonie hinsichtlich der Tagesstrukturierung entwickeln sich Schlafstörungen und depressive Verhaltensmuster. Dies sind die Ansatzpunkte der substanzbezogenen Abhängigkeit, in welche von Armut geprägte Individuen um ein vielfaches häufiger verfallen, als Menschen mit Durchschnittseinkommen.46
Auch das Konsumverhalten des sozialen Umfeldes eines Individuums ist maßgebend an der Entstehung der eigenen Abhängigkeit beteiligt. So ist beispielsweise das Risiko eines schädlichen Konsums von legalen und illegalen psychotropen Substanzen im frühen Jugendalter bei Kindern von alkoholabhängigen Eltern enorm erhöht.47 Weiterhin werden Jugendlichen, die Kontakt zu Peer Groups, in denen massvier Konsum von psychotropen Substanzen im Vordergrund steht, ein großes Maß an Präventionsbedürfnis zugeschrieben.48
Der soziale Einfluss hat zudem auch Auswirkung auf das Konsumverhalten und die Art der Abhängigkeit. So treten in unterschiedlichen Milieus unterschiedliche Abhängigkeiten auf, immer Lebensstilabhängig. Wobei die meisten Abhängigen unter Nicht nur die Mikroebene, das enge soziale Umfeld, auch die Makroebene hat Auswirkungen auf die Abhängigkeit. Die Bedeutung der einzelnen Substanzen und der Abhängigkeit ist auch kulturell und historisch abhängig. So gibt es abstinente Kulturen und Kulturen in denen der Konsum von bestimmten Drogen wie Alkohol legitim ist. Auch ist die Abhängigkeitszahl und Bedeutung der jeweiligen Substanzen von der herrschenden gesellschaftlichen Normen unterschiedlich. Der Alkoholkonsum war beispielsweise im 19. Jahrhundert Ausdruck des Elends und der Armut, er entwickelte vor zeitgeschichtlichem Hintergrund aber in den 70/80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen Wohlstandcharakter, wohingegen der Alkoholkonsum seit dem 20. Jahrhundert wieder, wie oben bereits angerissen, vermehrt mit Arbeitslosigkeit und Armut in Verbindung gebracht wird.49 So entscheidet letztendlich die soziale Umwelt, die Persönlichkeit und die Wirkung der Substanz über die individuellen Motivlagen des Konsumenten für oder gegen den Konsum und über die jeweiligen Konsumentwicklung.
Die Umwelt, die Persönlichkeit und die Substanz stehen in reziproken Beziehungen zueinander und entscheiden darüber, ob eine Person eine Abhängigkeit entwickelt. Wobei die Abhängigkeit im Sinne einer Sucht als therapiebedürftigte Krankheit Ursache einer soziokulturellen Entwicklung ist, in der willkürlich die Abhängigkeit, als unerwünschte Verhaltensweisen pathologisch gemacht wurde.
Diese als pathologisch eingestufte Verhaltensweise stellt einen Teil des menschlichen Weltwissens dar und brachte in unserer Kultur ein umfassenderes Krankheitsverständnis für die Sucht. Die Abhängigkeit ist somit eine Frage der jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnissen und kulturellen Perspektive.50 Sucht als ein soziokultureller Prozess wurde soeben deutlich dargestellt, doch im Folgenden soll aus psychoanalytischen Gesichtspunkt, die nach dem ICD-10 definierte Sucht, ebenfalls ihren strukturellen Charakter verlieren und Sucht an einem prozessualen Charakter gewinnen. An dieser Stelle ist es nötig, noch einmal kurz auf die Suchtdefinition des oberen Teils einzugehen. Dieser Suchtdefinition zur Folge beschreibt eine Substanzzufuhr oder eine hieraus resultierende bestimmte Verhaltensweise, die trotz bereits vorhandener schädlicher Folgen unkontrolliert weitergeführt wird. Die Sucht zeichnet sich durch eine wiederholende Verhaltensweise aus, was vorerst weniger die Eigenschaft eines Prozesses sondern viel eher die einer Struktur ist. Es gibt allerdings eine große Anzahl an wiederholten Verhaltensweisen, die ein Mensch in seinem Leben vollbringt. Im Zusammenhang mit der Entwicklung einer Abhängigkeit im Sinne der Sucht beziehen sich die unkontrollierten wiederholenden Verhaltensweisen immer auf die konsumierte Substanz. Verhaltensweisen, deren Erwartungen und Ziele nicht an die konsumierte Substanz gebunden sind, kann ein Süchtiger dennoch kontrolliert und zielorientiert einsetzen. Die mangelnde Kontrollfähigkeit über eine Substanz und deren Konsum, an welchen der Süchtige gebunden ist, selbst wenn es schwerwiegende Folgen mit sich bringt, grenzt die Sucht von den gesunden, wenn auch zum Teil routinierten, alltagsstrukturierenden Handlungen ab. Jene erwähnten routinierten Verhaltensweisen und entwickelten Automatismen hinsichtlich einer Handlungsweise sind als physiologisch zu werten. Sie geben dem Individuum Sicherheit, in seiner Umwelt adäquat und angepasst zu agieren; Spezielle Areale des menschlichen Gehirns, wie beispielsweise die sekundären sensorischen und motorischen Rindenfelder, erlauben dem Individuum, in bekannten Situationen mit einem ähnlichem Reaktionsschema wie in vorangegangenen ähnlichen Situationen zu reagieren. Zusammenfassend ist Routine ein erlernter Reaktionsprozess, der das Individuum auch vor Reizüberflutung schützt, auf eine vorangegangene Aktion oder bestehende Situation. Routine ist nicht zu verwechseln mit vegetativ gesteuerten reflexartigen, gar instinktiven, Handlungsweisen. Jene Handlungsweisen sind als völlig unwillkürlich einzuschätzen. Die substanzbezogenen, sich wiederholenden Handlungsweisen eines Abhängigen weisen beide der oben aufgeführten Reaktionsschemata auf. Zunächst wird das Ziel des Rauscherlebnis durch kontrollierte und konkrete Handlungsweisen herbei geführt. Durch weiterführenden Konsum aufgrund des vorangegangenen Rauscherlebnis und des damit einhergehenden Glücksgefühls, werden weitere, kontrollierte Handlungen mit dem Ziel des Konsums herbeigeführt. Prozessartig entwickeln sich durch psychische und pathophysiologische Vorgänge Anteile aus Routinehandlungen und instinktiven Verhaltensweisen, welche mehr und mehr unwillkürlichen Charakter entwickeln; das Ziel des Konsums bleibt jedoch immer bestehen.
Dieser Prozess, in welchem „zwanghafte“ Verhaltensweisen am Ende stehen, ist von der Entwicklung eines Zwanges jedoch abzugrenzen; Die Sucht weist mit den substanzorientierten Handlungsweisen des Abhängigen immer ein Mindestmaß an an Beziehung zur Außenwelt auf, wohingegen ein Zwang auch ohne Beteiligung äußerer Einflüsse entstehen kann.51 Diese Eingebundenheit in unterschiedliche Beziehungsmuster zur Umwelt, die eine Sucht aufweist, kann aufgrund dessen nicht von statischer Art sein und ist aufgrund dessen immer prozessgebunden.
2.3 Abhängigkeit und Gesellschaft
Wie bereits erläutert wurde, steht der Mensch in verschiedenen Abhängigkeitssituationen. Diese Abhängigkeiten stehen wiederum mit der Befriedigung bestimmter Bedürfnisse in Verbindung. Wenn ohne diese Befriedigung, gar das Leben unmittelbar bedroht ist, spricht man von sogenannten „elementaren, naturgegebenen Grundbedürfnissen“52, die zu diesem Zeitpunkt nicht befriedigt sind. Die Bedürfnisse sind nach dem Begründer der Bedürfnistheorie Maslow hierachisch angeordnet.53 Sind die Grundbedürfnisse, wie beispielsweise das Hunger- oder Schlafbedürfnis, erfüllt, so treten soziale, kulturelle und intellektuelle Bedürfnisse in Vordergrund, die das Ziel der Selbstverwirklichung des Individuums verfolgen. Die elementaren Bedürfnisse, die als Basis erfüllt werden müssen, um menschliches Leben zu rechtfertigen, gliedern sich in körperliche Grundbedürfnisse, in soziale Grundbedürfnisse, wie beispielsweise der Eingang von sozialen Beziehungen und in das sogenannte Grundbedürfnis der Sicherheit, was zweifellos eine politische Komponente besitzt. Welche Bedürfnisse in den Vordergrund treten, und was für den Menschen aktuell bedeutsam ist, hängt von der Verwirklichungsmöglichkeit ab. Die Bedürfnisse sind also abhängig von wirtschaftlicher und sozialer Lage, dabei steigt der Wert eines Bedürfnisses komplementär zur Intensität der Verwirklichungsmöglicheit.54 Die individuelle Abhängigkeiten von jenen erwähnten Grundbedürfnissen, werden im folgenden Teil dieser Arbeit genauer dargestellt.
2.3.1 biologische Abhängigkeit
Die Befriedigung der Primärbedürfnisse55 beginnt bereits in der embryonalen Entwicklung des Kindes im Mutterleib, bereits hier bestehen elementare Abhängigkeiten von der Nahrung und dem Schlaf. Die Nahrung wird im fetalen Zustand eines Individuums durch die Plazenta aufgenommen; letztere ist als Verbindung zwischen dem heranwachsendem Individuum und seiner leiblichen Mutter zu sehen. Das Kind ist demnach durch das Primärbedürfnis der Nahrung auch von der Mutter abhängig, was wiederum als eine Abhängigkeit zur Umwelt zu werten ist. Plazentagängige Noxen wie beispielsweise Alkohol greifen als schädigende Umwelteinflüsse in die Entwicklung des ungeborenen Individuums ein. Auch nach der Geburt ist das menschliche Kind weiterhin angewiesen auf die Verpflegung durch seine Umwelt. Ohne ausreichende Lieferung ökologischer und biologischer Ressourcen durch die Umwelt, also ein gewisses Grad an Sauerstoff, Wärme, Licht, Wasser und Nahrung, ist ein Leben auf der Erde nicht möglich. Aufgrund dieser bestehenden Abhängigkeit von elementaren ökologischen Begebenheiten, entsteht in der Gesellschaft der Wunsch, diese ökologischen und biologischen Ressourcen zu schonen. Debatten im Rahmen des Klimaschutzes, welche durch forcierten Kohlendioxidausstoß entstehen, stellen einen Ausdruck des Abhängigkeitsbewusstseins der Menschheit von ökologischen Ressourcen dar. Veränderungen des Klimas lassen sich jedoch auf menschliche Verhaltens- und Handlungsweisen zurückführen; sodass eine Reziprozität in der Abhängigkeitsbeziehung zwischen Mensch und Umwelt begründet ist. Jene wechselseitig bedingte Mensch-Umwelt-Beziehung wird weiterhin beeinflusst von soziokulturellen Faktoren; dies zeigt sich anhand der unterschiedlichen Entwicklungsständen der einzelnen Kulturen und des damit einhergehenden Abhängigkeitskontinuum zur jeweiligen Umwelt.
Als ein weiterer Faktor, welche die Mensch-Umwelt-Beziehung beeinflusst, ist der ökonomische Standard eines Gesellschaftsgefüges; er beinhaltet neben finanziellen Ressourcen auch die Handelsanschlüsse an benachbarte Handelspartner und ist somit mit verantwortlich für die Verfügbarkeit von Ressourcen, die der Befriedigung der Primärbedürfnisse der menschlichen Individuen dienen. Der ökonomische Faktor bestimmt demnach gemeinsam mit den soziokulturellen Faktoren und Einflüssen Qualität und Quantität der Mensch-Umwelt-Beziehung.
Aus der Zeit- und Entwicklungsgeschichte herauslesend, kann hypothetisch angenommen werden, dass jene erwähnte Faktoren ebenfalls in reziprokem Verhältnis zum menschlichen Individuum, wie auch zu der Gesellschaft stehen. Manipulativ werden soziokulturelle, vor allem aber die ökonomischen Faktoren von Teilen der Gesellschaft bearbeitet und in ihrem Wert und Paradigma verändert, sodass ein fiktives Ziel der weitestgehenden Unabhängigkeit zwischen Mensch und Umwelt erreicht werden kann. Deutlich wird dies im kurzen Vergleich zwischen der westlichen Gesellschaft und den sogenannten Entwicklungsländern. Letztere erreichen auf dem Abhängigkeitskontinuum zwischen Mensch und Umwelt ein wesentlich höheres Grad, was vor allem abhängig ist von wenig ökonomischen Ressourcen; die Gesellschaft in jenen kontinentalen Anteilen ist als weitaus abhängiger von ökologischen, nativen Begebenheiten und Ressourcen, als es die Bevölkerung der westlichen Welt ist; Sie ist an ihre Umwelt weniger gebunden, da sie aufgrund hoher finanzieller und materieller Ressourcen sich an der Umwelt anderer Gesellschaften bedienen kann.
Diese Begebenheit als Grundlage, versucht die menschliche Spezies sich gegen weitere ökologische und natürliche Begebenheiten aufzulehnen, die unweigerlich bestehende Abhängigkeit zu überwinden. Ein banales Beispiel hierfür ist das Anpassen der Umgebungstemperatur mithilfe chemischer und thermischer Veränderung der Letzteren. Neben den unglaublichen medizinischen Möglichkeiten, ein Menschenleben mit einer enormen Varietät an Möglichkeiten zu erhalten, aus ethisch kritisierender Sicht „künstlich zu verlängern“, spielen auch Gen- und Computertechnik eine Rolle. Diese Themen werden nahezu konstant von den Medien thematisiert. Mit der ersten Ausgabe des SPIEGELs diesen Jahres setzt die Zeitschrift ein Thema fest, dass die Gesellschaft in der nächsten Zeit mit fortschreitender Forschung beschäftigen wird; „Die Schöpfung im Labor, Forscher auf der Suche nach der Formel des Lebens.“56 lautet das Titelblatt. Jene gesuchte Formel soll dazu dienen, die Abhängigkeit zwischen biologischen Begebenheiten und dem menschlichen Individuum zu brechen. Dies soll zunächst jedoch eine Zukunftsvision bleiben - noch ist es für den Menschen unmöglich, sich von seiner Umwelt zu lösen, da die bestehende Abhängigkeit als außerordentlich wandelbar zu werten ist; mit jedem Versuch, einer Abhängigkeit zu entkommen, stellen sich neue Abhängigkeitsbeziehungen aus neuen Variablen ein. Weiterhin reagiert die biologische Umwelt auf Manipulationen mit Mutationen, welche als Anpassungsleistungen mit dem Ziel der Aufrechterhaltung der Homöostase der Mensch-Umwelt-Beziehung zu werten ist, und die Abhängigkeitsbeziehung aufrecht erhalten.
[...]
1 Im Folgenden wird in dieser Arbeit aus Gründen der Lesbarkeit durchgängig die männliche Form verwendet.
2 Aus Gründen der Lesbarkeit wird im Folgenden die Abkürzung WHO verwendet.
3 Vgl. Brömer 2007: 1.
4 Vgl. Mainzer 1971: 6f.
5 Vgl. Fröhlich 2002: 34.
6 Vgl. Fröhlich 2002: 34.
7 Vgl. Fröhlich 2002: 34.
8 Klima 1994: 15f.
9 Vgl. Klima 1994: 15f.
10 Klima 1994: 16.
11 Luhmann 1975: 21.
12 Vgl. Luhmann 1975: 23.
13 Vgl. Klima 1994: 16.
14 Vgl. Blahusch/Wienold 1994: 16.
15 Vgl. Soyka 2005: 307.
16 Vgl. Fröhlich 2002: 34.
17 Soyka 2005: 308.
18 Vgl. Soyka 2005: 309f.
19 Vgl. Dollinger/Schneider 2005: 7.
20 Vgl. Quelle 1: DIMDI: Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen; 1999.
21 Delling 1991: 85.
22 Delling 1991: 85.
23 Vgl. Bosshard/Ebert/Lazarus 2007: 274f.
24 Quelle 1: DIMDI 1999: Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen.
25 Quelle 1: DIMDI 1999: Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen.
26 Vgl. Quelle 1: DIMDI 1999: Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen.
27 Vgl. Dilling 1991: 85.
28 Dilling 1991: 85.
29 Vgl. Soyka 2005: 309.
30 Vgl. Dollinger/Schneider 2005: 7.
31 Vgl. Delling 1991: 85.
32 Vgl. Janke 2002: 921.
33 Vgl. Brömer 2007: 952.
34 Vgl. Täschner 2007: 29.
35 Vgl. Quelle 3: Drogen Wissen 2010: Polizeiliche Kriminalstatistik.
36 Dollinger/Schneider 2005: 89.
37 Dollinger/Schneider 2005: 11.
38 Vgl. Bosshard/Ebert/Lazarus 2007: 274f.
39 Vgl. Quelle 4: Stockinger 2009: Das ist Beihilfe zur Sucht.
40 Vgl. Quelle 4: Stockinger 2009: Das ist Beihilfe zur Sucht.
41 Vgl. Quelle 4: Stockinger 2009: Das ist Beihilfe zur Sucht.
42 Vgl. Täschner 2007: 26.
43 Vgl. Quelle 5: Medizin Info: Psychiatrische Aspekte der Suchtentstehung.
44 Quelle 9: Suchthilfe Bayern 2008: Armut und Sucht.
45 Quelle 9: Suchthilfe Bayern 2008: Armut und Sucht.
46 Vgl. Quelle 10: Henkel 2004: Zum Stand der Forschung.
47 Vgl. Quelle 11: Institut Suchtprävention 2004: Suchtgefährdung von Kinder alkoholkranker Eltern.
48 Vgl. Klein 2007: 7ff.
49 Vgl. Bosshard/Ebert/Lazarus 2007: 274f.
50 Vgl. Dollinger/Schneider 2005: 89.
51 Vgl. Dollinger/Schneider 2005: 89.
52 Burmeister 2007: 96.
53 Vgl. Beyme 1992: 287.
54 Vgl. Beyme 1992: 287.
55 Vgl. Burmeister 2007: 96.
56 Der Spiegel (2010): Titelblatt.
- Arbeit zitieren
- Rebecca Kuhn (Autor:in), 2010, Reziprozität von Abhängigkeit und Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/159131
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