Verständliche, qualitätsgeprüfte und unabhängige Gesundheitsinformationen stellen eine Voraussetzung für die Entscheidungsfähigkeit und Partizipation von Bürgern und Patienten im Gesundheitssystem dar. Zu den Qualitätskriterien von evidenzbasierten Patienteninformationen (EBPI) gehört neben Berücksichtigung von aktueller interner und externer Evidenz die Einbeziehung der Patienten, ihrer Erfahrungen und Bedürfnisse in den Erstellungsprozess. Relevant sind in diesem Kontext die Wirkungen und Reaktionsmuster, die durch Gesundheitsinformationen bei den Nutzern hervorgerufen werden. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, wie die Nutzer mit Unsicherheit z.B. bei nicht ausreichender Evidenzlage umgehen.
Grundlage der Arbeit sind die Ergebnisse einer externen Evaluation von 107 Informationsprodukten (bzw. Entwürfen) des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) durch 124 Patienten und Bürger. Die Nutzertestung wurde von der Patientenuniversität der Medizinischen Hochschule Hannover im Auftrag des IQWiG durchgeführt. Erfasst wurden Einzelbewertungen sowie das Meinungsbild eines moderierten Diskussionsprozesses. Die schriftlichen Diskussionsprotokolle zu 25 Informationsprodukten wurden mit Elementen theoretischer Kodierverfahren und inhaltsanalytischer Techniken ausgewertet. Es wurde ein Kategorienraster zu Reaktionsmustern der Nutzer entwickelt. Es konnten acht Hauptkategorien sowie weitere Subkategorien erster Ordnung und zweiter Ordnung unterschieden werden. Die Reaktionsmuster lassen sich differenzieren nach: (i) Interesse, (ii) Zufriedenheit, (iii) Beruhigung und Vertrauen, (iv) Aktivierung sowie (v) Desinteresse, (vi) Unzufriedenheit und Enttäuschung, (vii) Beunruhigung und Sorge und (viii) Zweifel.
Das Kategorienraster ist perspektivisch hilfreich, um Nutzeranforderungen an Gestaltung und Vermittlung von Gesundheitsinformationen in ihrem qualitativen Spektrum zu definieren. Wirkungen und Reaktionsmuster, die bei Nutzern durch Gesundheitsinformationen hervorgerufen werden, können als ergänzende Kriterien für die Aufbereitung und Erstellung von evidenzbasierten Informationen dienen. Auch für die Analyse ethischer Aspekte von Gesundheitsinformationen ist das umfassende Wissen über Reaktionsmuster relevant. Dabei wäre neben den individuellen Konsequenzen zu untersuchen, inwieweit u.a. Ungleichheiten in Bildung und sozio-ökonomischem Status die Reaktion und damit die Verarbeitung von evidenzbasierten Informationen beeinflussen.
Inhalt
1 Einleitung
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Gesundheits- und Patienteninformation
2.1.1 Begriffsbestimmung und Entwicklung
2.1.2 Ziele und Aufgaben
2.1.3 Angebote für Nutzer in Deutschland
2.1.4 Evidenzbasierte Informationen
2.1.5 Qualitätssicherung
2.2 Gesundheitsinformationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
2.2.1 IQWiG und sein Ressort Gesundheitsinformation
2.2.2 Erstellungsprozess, Monitoring und Evaluation
2.2.3 Informationsprodukte
2.3 Health Literacy
3 Nutzertestung der Patientenuniversität
3.1 Projektrahmen
3.1.1 Testleser und Testprocedere
3.1.2 Getestete Produkte
3.2 Methodik der Nutzertestung
3.2.1 Bewertungsinstrumente
3.2.2 Gruppendiskussionen
3.2.3 Dokumentation und Auswertung
4 Methodik
4.1 Weitere Eingrenzung und Auswahl des Materials
4.2 Entwicklung des Kategorienrasters
4.3 Dokumentation und Zuordnung zu den Kategorien
5 Ergebnisse
5.1 Getestete Informationstexte
5.2 Testleserprofil
5.3 Einsatz und Bewertung der Testleser
5.4 Kategorienraster zur Beschreibung von Reaktionsmustern auf Gesundheitsinformationen
5.5 Quantitative Analyse der Reaktionsmuster zum ersten Eindruck
5.6 Reaktionsmuster der Testleser
5.6.1 Interesse
5.6.2 Zufriedenheit
5.6.3 Beruhigung und Vertrauen
5.6.4 Aktivierung
5.6.5 Desinteresse
5.6.6 Unzufriedenheit und Enttäuschung
5.6.7 Beunruhigung und Sorge
5.6.8 Zweifel
5.7 Schwerpunkt Forschung und Evidenz
6 Diskussion
6.1 Bewertung von evidenzbasierten Gesundheitsinformationen aus Nutzersicht – Reaktionen und Wirkungen
6.1.1 Reaktionsmuster als Bewertungsrahmen
6.1.2 Schwerpunkt Forschung und Evidenz
6.2 Limitationen und Verbesserungsmöglichkeiten
6.3 Weiterführende Überlegungen zu Gesundheitsinformationen
6.4 Schlussfolgerungen
7 Zusammenfassung
Abkürzungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Literatur
Anhang
1 Einleitung
In den letzten Jahren werden Nutzerorientierung und Bürgerbeteiligung im Gesundheitssystem zunehmend betont und gefordert (SVR 2000/2001; 2003; Badura et al. 1999). Dabei spiegelt sich der Wandel im traditionellen Patientenbild auch im Begriff des „Nutzers“ des Gesundheitssystems wider, der ihn zusammenfassend als Patienten[1], Bürger, Versicherten, Kunden und Konsumenten beschreibt und dabei auf seinen Zugang zum Gesundheitssystem und den Versorgungsleistungen sowie die Interaktion mit anderen Teilnehmern bzw. Institutionen abzielt (SVR 2000/2001; Dierks et al. 2001). Um diesen unterschiedlichen Rollen gerecht zu werden und seine Interessen auf den einzelnen Ebenen in der Arzt-Patient-Beziehung und im Gesundheitssystem vertreten zu können, benötigt der Nutzer ausreichende, verständliche und verlässliche Informationen. Sie bilden die Voraussetzung für ein partizipatives und selbstbestimmtes Handeln im Kontext von Gesundheit und Krankheit (Dierks et al. 2001).
Der Zugang der Nutzer zu allen wesentlichen Informationen wurde bereits 1986 in der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlichten Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung hervorgehoben, die in der Tradition des „Empowerment“ steht und die Entwicklung persönlicher Kompetenzen zum selbstbestimmten Umgang mit der eigenen Gesundheit und den Lebensumständen als ein zentrales Handlungsfeld nennt. Dabei richtet sich das Bestreben von gesundheitsförderlichem Handeln darauf, „bestehende soziale Unterschiede des Gesundheitszustandes zu verringern sowie gleiche Möglichkeiten und Voraussetzungen zu schaffen, damit alle Menschen befähigt werden, ihr größtmöglichstes Gesundheitspotential zu verwirklichen“ (WHO 1986). In engem Zusammenhang ist die Förderung von „Health Literacy“ oder „Gesundheitskompetenz“ der Bürger zu sehen, u.a. durch Information, Beratung und Aufklärung (u.a. Kickbusch 2001, 2003). Den Stellenwert von Information betonte auch der Sachverständigenrat zur konzertierten Aktion im Gesundheitswesen (SVR)[2]: „Inhaltlich korrekte und verständliche Informationen sind […] notwendige […] Bestandteile einer zeitgemäßen Prävention und Krankenversorgung sowie Voraussetzung für die Umsetzung von Konzepten, die auf „Selbstverantwortung“, auf den „Patienten als Koproduzenten von Gesundheit“ sowie auf empowerment abzielen“ (SVR 2003, Ziffer 275; s.a. SVR 2000/2001).
Das Recht von Patienten und Bürgern auf umfassende Information und deren verständliche Vermittlung ist international und national verankert, so auch im Leitfaden „Patientenrechte in Deutschland“ (BMJ, BMG 2007; s.a. WHO 1994; CoE 2000; Hart, Francke 2002). Zur Wahrnehmung ihrer individuellen Patientenrechte, zur Bürgerbeteiligung sowie für verantwortungsvolle Entscheidungen in Gesundheitsfragen benötigen die Bürger und Patienten „unverzerrte und verlässliche Informationen, die auf dem aktuellen medizinischen Wissensstand beruhen“ (Klemperer et al. 2010: I). Die Bedeutung solcher „evidenzbasierten Informationen“ zeigt sich auch angesichts des unüberschaubaren Angebots von Gesundheits- und Patienteninformationen und dessen sehr heterogener Qualität. Die Orientierung in diesem Angebot, die Suche und Bewertung von Informationen stellen den Nutzer vor eine schwierige Aufgabe, teilweise sind Fehlinformationen und Verunsicherung die Folge, was z.T. durch eine problematische und irritierende Informationspolitik verstärkt wird. Doch auch bei evidenzbasierten Informationen sind Ungewissheiten nicht gänzlich zu vermeiden, wenn z.B. der Evidenzgrad keine klare Aussage zur Bewertung einer medizinischen Maßnahme zulässt bzw. keine ausreichend verlässlichen Ergebnisse vorliegen. Entscheidend jedoch für eine realistische Einschätzung von möglichem Nutzen und Schaden ist, dass auf diese Unsicherheiten hingewiesen wird (u.a. Klemperer et al. 2010; Steckelberg et al. 2005, IQWiG 2008). Der schwierige Umgang mit Unsicherheiten sowohl auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene zeigt sich aktuell bei der Bewertung der Situation um die „Neue Grippe“ bzw. die Infektion mit dem H1N1-Virus (u.a. Antes 2009a, b; Kochen et al. 2009). Dies weist auf die Bedeutung einer angemessenen Risikokommunikation und objektiven Darstellung von Gesundheitsinformationen oder evidenzbasierten Patienteninformationen (EBPI) hin. Diese sollen das Gesundheitswissen der Bürger und Patienten verbessern und dazu beitragen, dass sie auf der Basis des aktuellen Wissensstandes allein oder gemeinsam Entscheidungen treffen können, die ihrer Lebenssituation und ihren persönlichen Präferenzen entsprechen. Bei der Erstellung und Bewertung von Gesundheitsinformationen ist die Einbeziehung der Zielgruppe von besonderer Bedeutung. In Deutschland hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) den gesetzlichen Auftrag, evidenzbasierte Gesundheitsinformationen für Bürger und Patienten bereitzustellen.
Die vorliegende Arbeit erfolgte im Rahmen einer von der Patientenuniversität an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) durchgeführten Nutzertestung von Informationsprodukten des IQWiG. Die Ergebnisse dieser externen Evaluation sollen Hinweise für die Überarbeitung der einzelnen Informationsprodukte sowie die Neuerstellung von weiteren Gesundheitsinformationen geben. Interessant für die Bewertung und spätere Auswirkung von Gesundheitsinformationen sind u.a. die Reaktionen der Nutzer. Diese scheinen vor dem Hintergrund der Evidenzbasierung der Informationen und beim Umgang mit nicht ausreichender Evidenzlage besonders relevant. Ziel der vorliegenden Arbeit war zu untersuchen, welche Reaktionen und Wirkungen diese gesundheitsbezogenen Informationen bei den Nutzern hervorrufen, und ob sich daraus Hinweise für die Erstellung ableiten lassen können. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, das Spektrum von Nutzererwartungen an gesundheitsbezogene Informationen zu definieren und die Aufbereitung und Vermittlung daran auszurichten, damit verständliche und qualitativ wertvolle EBPI für die Nutzer bereitstehen, die sie in ihrer Partizipationsmöglichkeit unterstützen. Ferner können sie zur Diskussion ethischer Aspekte von Gesundheitsinformation beitragen, z.B. dazu, inwieweit sich durch Vermittlung und unterschiedliche Inanspruchnahme von Gesundheitsinformationen individuelle Probleme ergeben oder gesundheitliche Ungleichheiten verstärken und wie darauf zu reagieren ist.
2 Theoretischer Hintergrund
Die Bedeutung von patientenfokussierten Maßnahmen wie Verbesserung und Förderung von Health Literacy, Entscheidungsfindung, Selbstmanagement und Patientensicherheit werden zunehmend betont (Coulter, Ellins 2007). Von großer Relevanz sind in diesem Zusammenhang verlässliche und unverzerrte Informationen, die auf dem aktuellen Kenntnisstand medizinischen Wissens beruhen, sogenannte evidenzbasierte Informationen. Nach einer Begriffs- und Zielbestimmung von Gesundheits- und Patienteninformationen werden die Angebote für Nutzer in Deutschland skizziert, anschließend Kriterien von evidenzbasierten Informationen und Möglichkeiten der Qualitätssicherung beschrieben (s. 2.1) Es folgt ein Überblick zu den Gesundheitsinformationen des IQWiG und ihrem Erstellungsprozess (s. 2.2) sowie zu Gesundheitskompetenz bzw. Health Literacy (s. 2.3).
2.1 Gesundheits- und Patienteninformation
2.1.1 Begriffsbestimmung und Entwicklung
Gesundheits- und Patienteninformationen lassen sich als Maßnahme der Gesundheitskommunikation verstehen. In dieses Anwendungsgebiet fließen Aspekte der Gesundheitswissenschaften, Medizin, Medien- und Kommunikationswissenschaften und zunehmend der Informatik ein. Es geht dabei um den direkten, durch Sprache und Interaktion vermittelten sowie den indirekten, durch technische Medien vermittelten Austausch von gesundheitsrelevantes Wissen, Meinungen, Gefühlen und Kompetenzen (Hurrelmann, Leppin 2001). Auch wenn unterschiedliche Interventionsstrategien zugrunde liegen (Schaeffer, Dewe 2006), überschneiden sich Information, Aufklärung und Beratung. Durch die modernen Informationstechnologien wie dem Internet entwickeln sich zudem Mischformen und neue Formate (z.B. online-Beratung, Austausch in virtuellen Netzwerken, Datenbanken zu Krankheitserfahrungen von Patienten), wobei sich besonders das Internet auch auf Vielfalt und Art der „reinen“ Informationsangebote auswirkt (u.a. Schmidt-Kaehler 2005, Herxheimer et al. 2000; Lerch, Dierks 2001). Der Fokus in dieser Arbeit liegt auf schriftlichen Gesundheits- und Patienteninformationen, wobei diese Begriffe oft synonym verwendet werden. Sie richten sich an den „Nutzer“ des Gesundheitssystems; das Themenspektrum reicht also von präventiven und gesundheitsförderlichen Aspekten über Krankheitsbilder, diagnostische und therapeutische Maßnahmen, organisations- und strukturbezogene Auskünfte bis hin zu Qualität der Versorgung, gesundheitspolitischen Hintergründen und sozialrechtlichen Fragen. Im Rahmen der Versorgungskette werden je nach Fragestellung verschiedene Arten von Informationen benötigt (s. Abb. 1) (Sänger 2005, Sänger et al. 2006).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Arten von Informationen in der Versorgungskette (Sänger et al. 2006)
So wie sich die Rolle des Patienten und das Arzt-Patient-Verhältnis gewandelt haben und Modelle wie „shared-decision-making“ (partnerschaftliche Entscheidungsfindung) und die evidenzbasierte Entscheidungsfindung entwickelt worden sind (Krones, Richter 2008; Edwards, Elwyn 2001; Elwyn et al. 2003; Scheibler, Pfaff 2003; Härter et al. 2006), ist auch im Diskurs über Patienteninformation eine Entwicklung zu beobachten. So lassen sich nach Dixon-Woods bei der Vielzahl von Veröffentlichungen zu schriftlichen Patienteninformationen zwei Richtungen ausmachen: ein älterer, traditioneller Diskurs der „patient education“, der ein reduktionistisches biomedizinisches Modell vertritt, paternalistisch orientiert und den Patienten als eher passiv und steuerbar wahrnimmt, sowie ein jüngerer, wachsender Diskurs des „patient empowerment“, der eine aktive Rolle des Patienten in der Behandlung und eine informierte Entscheidung betont (vgl. Dixon-Woods 2001). Empowerment, als zentrales Prinzip der Gesundheitsförderung, soll der Befähigung von Individuen und sozialen Gruppen zum selbstbestimmten Handeln sowie dem Kontrollerhalt über Gesundheit betreffende Handlungen und Entscheidungen dienen (Nutbeam 1998). Im Gesundheitsversorgungssystem lassen sich Ansätze von Empowerment auf individueller, organisatorischer und gesellschaftlicher Ebene beschreiben, wobei Prozesse, z.B. die Unterstützung der Entscheidungsfertigkeiten und Vermittlung von Gesundheitswissen, sowie Ergebnisse, z.B. kritisches Bewusstsein und Bewertungskompetenzen, unterschieden werden. Die Bereitstellung und Vermittlung von Informationen stellen dafür eine zentrale Voraussetzung dar (Dierks 2001; Kurtz, Dierks 2007).
2.1.2 Ziele und Aufgaben
Gesundheits- und Patienteninformationen sollen dazu beitragen, die Nutzer zum selbstbestimmten Handeln in Gesundheitsfragen und zur Wahrnehmung ihrer Patientenrechte und Bürgerbeteiligung zu befähigen. Dabei lassen sich individuelle Patientenrechte im Behandlungsprozess und kollektive Beteiligungsrechte als Bürger und Versicherter ausmachen (Hart 2003). Im Rahmen der ärztlichen Behandlung sollen Information und Aufklärung die Patientenselbstbestimmung gewährleisten und eine informierte freiwillige Einwilligung (informed consent) ermöglichen, festgeschrieben in der Musterberufsordnung für Ärzte (BÄK 2006, s.a. BÄK). Die Förderung der Ausübung von Autonomie gehört neben der Verbesserung von Gesundheit und Verhütung von Krankheit sowie der Förderung von Gesundheitskompetenz oder Health Literacy (s. 2.3) und Wissenschaftskenntnissen auch zu den Zielen von Gesundheitsinformationen. Sie sollen keine Beratung ersetzen, aber das „Gesundheitswissen der Bürgerinnen und Bürger verbessern und sie darin befähigen, eigenständig oder gemeinsam mit anderen Entscheidungen zu Gesundheitsfragen zu treffen, die ihren persönlichen Präferenzen, Wertvorstellungen und Lebenssituationen so weit wie möglich entsprechen“ (Klemperer et al. 2010, I). Daneben sollen sie die kritische Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen, deren Bewertung und die Möglichkeiten der Partizipation von Versicherten und Bürgern auf Meso- und Makroebene unterstützen (Bastian et al. 2009b; Dierks, Schwartz 2003). Dies erfordert Transparenz von Gesundheitsprodukten und -dienstleistungen (Preis, Qualität), von medizinischen Behandlungsverfahren und Pflege sowie von Strukturen und Verfahren im Gesundheitswesen. Ausgestattet mit entsprechenden Informationen und Beteiligungsrechten, kommt den Nutzern eine wichtige Bedeutung beim Aufdecken von Qualitätsmängeln und bei der Weiterentwicklung des Gesundheitssystems zu (SVR 2003).
Einen Überblick über die derzeitige Lage der Bürger- und Patientenorientierung im deutschen Gesundheitswesen auf Mikro-, Meso- und Makroebene, die Möglichkeiten der Verfahrensbeteiligung und Informations- und Beratungsangebote gibt ein Themenheft der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (Dierks et al. 2006). Trotz positiver Ansätze in den letzten Jahren wie Anhörungs- und Mitbestimmungsrechten von Patientenvertretern in verschiedenen Gremien, der Etablierung einer Patientenbeauftragten, der Unterstützung von Selbsthilfeverbänden und Förderung von Modellprojekten zur unabhängigen Patienten- und Verbraucherberatung (u.a. Seidel 2007; Schaeffer, Dierks 2006) sowie neuer Informationsangebote besteht noch ein großer Entwicklungsbedarf (Dierks et al. 2006; Forster, Kranich 2007; Plamper, Meinhardt 2008). Entscheidend für eine aktive Teilhabe der Bürger im Gesundheitssystem ist der Zugang zu umfassenden, unabhängigen, qualitativ hochwertigen und evidenzbasierten Informationen zu allen wesentlichen Themen; dazu soll u.a. die Gesundheitsinformationsplattform[3] des IQWiG beitragen (s. 2.2). Die Ziele von Gesundheitsinformationen spiegeln sich auch im Programm „gesundheitsziele.de“, in dem gesundheitspolitische Akteure seit dem Jahr 2000 im Konsens nationale Gesundheitsziele definieren, u.a. das Ziel „Patient(inn)ensouveränität stärken, Gesundheitskompetenz fördern“. Als ein Teilbereich dieses Ziels wird die Erhöhung der Transparenz für Bürger und Patienten durch die Bereitstellung von qualitätsgesicherten, flächendeckend angebotenen und zielgruppenorientierten Informations- und Beratungsangeboten genannt (Hoch et al. 2009; Dierks et al. 2006; Wismar, Schwartz 2003).
2.1.3 Angebote für Nutzer in Deutschland
Es gibt eine Vielzahl an Informations- und Beratungsangeboten, die unterschiedlich oft nachgefragt und genutzt werden (u.a. Dierks 2009, Horch, Wirtz 2005, Marstedt 2003). Je nach Krankheitszustand, Informationsbedarf und persönlichen Präferenzen wenden sich die Nutzer an die unterschiedlichen Instanzen im Versorgungssystem. Neben den Ärzten und traditionellen Medien (Radio, Fernsehen, Informationsbroschüren und Zeitschriften) gewinnt das Internet auch in Gesundheitsfragen zunehmend an Bedeutung (Horch, Wirz 2005; Schmidt-Kaehler 2004; Brechtel 2004). Dabei ist die wahrgenommene und objektive Qualität von Angeboten jedoch sehr heterogen und für die Nutzer schwer zu beurteilen (s. 2.1.5), gerade bei der Vielfalt von Online-Angeboten. Zudem sind manche hochwertige Informationsquellen, wie z.B. medizinische Datenbanken wie Pubmed oder das Deutsche Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), für Laien nicht ohne weiteres zugänglich, weil die Informationen in englischer Sprache oder für Fachleute geschrieben sind.
In der Beratungs- und Informationslandschaft für Patienten und Nutzer lassen sich nach Strukturen und Interessen grob vier Bereiche unterscheiden: (1) sogenannte abhängige Anbieter von Akteuren oder Institutionen, die zugleich Leistungserbringer und Leistungsträger sind (z.B. die verfasste Ärzteschaft mit Bundes- und Landesärztekammern, Apotheker, Kranken- und Pflegekassen, Träger der Rehabilitation, Anbieter von Versorgungsleistungen), (2) staatliche Einrichtungen und Institutionen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene wie der öffentliche Gesundheitsdienst sowie Ministerien und zugeordnete Behörden (z.B. die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und das Robert-Koch-Institut), (3) die sich etablierenden „unabhängigen“ Anbieter, die in ihren Interessen nicht durch organisatorische oder finanzielle Verzahnung mit den Leistungserbringern geleitet werden (z.B. die unabhängigen Verbraucher- und Patientenberatungsstellen nach § 65 SBG V, ferner Patientenschutz- und Selbsthilfeorganisationen) sowie (4) die privaten und kommerziellen Informations- und Beratungsanbieter (z.B. die pharmazeutische Industrie) (vgl. Dierks et al. 2006; Walter, Schwartz 2003).
Je nach Ausrichtung werden unterschiedliche Schwerpunkte auf Beratung oder Information gelegt, wobei vielfach eine Vernetzung der Angebote erfolgt. So bietet z.B. die unabhängige Patientenberatung Deutschlands (UPD) neben Informationsblättern zu in der Beratung häufig nachgefragten Themen auf ihrer Website unter „Orientierung im Gesundheitswesen“ einen „Informations-Wegweiser“[4] an, in dem auf verlässliche und zu empfehlende online-Angebote verwiesen wird. Genannt werden u.a. die Angebote des IQWiG, der BZgA, die Patientenleitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF), Informationen zur Selbsthilfe sowie das Informationsportal des ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ), einer gemeinsamen Einrichtung von Bundesärztekammer (BÄK) und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV).
Dieser Patienteninformationsdienst des ÄZQ[5] soll als eine Initiative zur Sicherstellung der Qualität von Gesundheitsinformationen exemplarisch geschildert werden: Das ÄZQ hat in Zusammenarbeit mit Patientenvertretern ein Informationsportal eingerichtet, in dem qualitätsgeprüfte Informationen für Patienten und Laien bereitgestellt werden. Dies umfasst u.a. Patientenleitlinien auf Grundlage von evidenzbasierten Leitlinien, Qualitätschecklisten und Ratgeber zur Vermittlung von Systemkompetenz (z.B. ÄZQ 2008; BÄK, KBV 2008), sowie eine kommentierte Linksammlung auf Informationen und Adressen von Ärzten, Krankenhäusern, Angebote der Selbsthilfe und Beratungsstellen (Sänger 2005; Dierks et al. 2006). Die integrierten Informationstexte werden unter Einbeziehung der Nutzer mit Hilfe des DISCERN-Bewertungsinstrumentes auf ihre Qualität geprüft und die Ergebnisse angezeigt. In die Linksammlung werden nur Angebote aufgenommen, die den an die Kriterien des HON-Codes angelehnten Anforderungen entsprechen (s. 2.1.5) (Dierks et al. 2006; Sänger 2005; ÄZQ 2009).
Bei den Internetangeboten lassen sich Besonderheiten, Chancen und Risiken dieser modernen Gesundheitskommunikation ausmachen. Einerseits bietet das Internet eine hohe Erreichbarkeit von Informationen und ständigen Zugang, andererseits ein unüberschaubares Angebot, das eine hohe Medienkompetenz der Nutzer erfordert. Die Trefferquote ist abhängig von geschickter Eingabe der Suchbegriffe; Bewertung und Vergleich der Informationen gestalten sich schwierig. Orientierungshilfen bieten Informationsleitsysteme, intelligente Suchmaschinen, Gütesiegel auf Internetseiten oder Bewertungshilfen (s. 2.1.5), sie lösen jedoch nicht die Probleme für Nutzer, gute von schlechten Informationen zu unterscheiden. Zugleich enthalten die neuen Medien über die Vermittlung von Sender zu Empfänger hinaus weitere Möglichkeiten, z.B. die direkte Rückmeldung der Nutzer an den Anbieter, andererseits auch die Option, selbst als Anbieter zu fungieren und ungeprüft Nachrichten online zu stellen. Bei den Informationsangeboten selbst eröffnet die Verknüpfung von verschiedenen Ausdrucksmitteln wie Film- und Bildmaterial, Tondokumenten und Text sowie die Erstellung von personalisierten Informationen weitere Chancen für die Informationsvermittlung. Unabdingbar und von der Art des Ausdrucksmittels unabhängig ist jedoch die Notwendigkeit von qualitativ hochwertigen und verlässlichen Informationsinhalten (vgl. auch Schmidt-Kaehler 2005; Lerch, Dierks 2001).
Ein nutzerorientiertes Angebot, das die Erwartungen und Bedürfnisse aus Nutzersicht berücksichtigt, setzt sowohl die Analyse von Problemen im Versorgungsalltag von Patienten voraus als auch die Einbeziehung der Nutzer selbst und die Erhebung ihrer Vorstellungen (u.a. Kranich 2004; Coulter, Magee 2003; Jordan et al. 2010; Dierks et al. 2001; Bastian et al. 2009b). Es zeigt sich jedoch in Studien, dass viele Patienten in Deutschland weniger Informationen erhalten, als sie gerne hätten (Sawicki 2005, Dierks et al. 2006).
2.1.4 Evidenzbasierte Informationen
2.1.4.1 Hintergründe
Der Begriff „Evidenzbasierte Medizin“ (EbM) beschreibt eine Betreuung, bei der die Entscheidungen zur Versorgung individueller Patienten auf der besten aktuellen (externen) Evidenz aus wissenschaftlicher Forschung beruhen. Dies „umfasst die systematische Suche nach der relevanten Evidenz in der medizinischen Literatur für ein konkretes klinisches Problem, die kritische Beurteilung der Validität der Evidenz nach klinisch-epidemiologischen Gesichtspunkten; die Bewertung der Größe des beobachteten Effekts sowie die Anwendung dieser Evidenz auf den konkreten Patienten mit Hilfe der klinischen Erfahrung und der Vorstellungen der Patienten“ (DNEbM 2006: Glossar EbM; s.a. Sackett et al. 1996). Ein wichtiges Produkt für die Praxis der EbM sind systematische Übersichtsarbeiten mit Bezug auf qualitativ hochwertige Studien, d.h. möglichst randomisierte kontrollierte Studien, deren Evidenzgrad nach definierten Kriterien analysiert und bewertet wird. Bei der Bewertung der Qualität der wissenschaftlichen Beweislage sollen auch patientenrelevante Endpunkte wie Mortalität, Morbidität und Lebensqualität sowie Schaden und Nutzen für die Patienten berücksichtigt werden (vgl. für Hintergründe u.a. Kunz et al. 2007).
Für den Patienten bzw. Nutzer im Gesundheitssystem ist die bestmögliche Evidenz die Voraussetzung für eine individuelle Nutzen-Schaden-Abwägung, damit er unter Einbeziehung seiner Präferenzen und Wertvorstellungen eine Entscheidung treffen kann. Dafür sind umfassende Informationen nötig. Der Prozess einer Entscheidungsfindung ist in Abb. 2. dargestellt. Vor dem Hintergrund einer solchen evidenzbasierten Entscheidungsfindung und der Situation der oft mangelhaften Qualität von verfügbaren Informationen kommt evidenzbasierten Informationen eine entscheidende Bedeutung zu (Klemperer 2009; Elwyn, Edwards 2001; Coulter et al. 1999).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Anatomie einer Entscheidungsfindung (nach Eddy 1990 in Gruhl, Klemperer 2008)
2.1.4.2 Kriterien für Inhalte, Darstellung und Erstellungsprozess
Für evidenzbasierte Gesundheits- und Patienteninformationen liegen mittlerweile verschiedene Definitionen, Stellungnahmen und Empfehlungen vor (Klemperer et al. 2010; Koch, Mühlhauser 2008; Sänger et al. 2006; Steckelberg et al. 2005; IQWiG 2008). Allen gemeinsam ist die Forderung, dass über Nutzen und Schaden sowie eventuelle Unsicherheiten der jeweiligen medizinischen Maßnahmen informiert werden muss. Die objektive Vermittlung von gesundheitsbezogenen Informationen und die Erläuterung des zugrunde liegenden Evidenzgrads führen zu hohen Anforderungen an die Erstellung der EBPI sowie an das Verständnis auf Seiten der Nutzer (Trevana et al. 2006; Schünemann et al. 2003). Besondere Herausforderungen ergeben sich außer bei der Schilderung der Evidenzgrundlage auch bei der Vermittlung der Bedeutung, die Studienergebnisse einer Gruppe für das Individuum haben, ferner bei einer ausgewogenen Risikokommunikation und bei der neutralen, nicht manipulierenden, nicht-direktiven und ergebnisoffenen Darstellung (u.a. Klemperer 2009; Bastian et al. 2009b; Wegwarth, Gigerenzer 2009).
Bezüglich möglicher Interessenkonflikte der Ersteller wird in der Stellungnahme „Gute Praxis Gesundheitsinformation“ betont, dass kommerzielle Interessen nur schwer mit den darin genannten Grundsätzen vereinbar seien und in jedem Fall Verfasser und Finanzierung angegeben werden müssten (Klemperer et al. 2010). Vor diesem Hintergrund wurden auch die Pläne der EU-Kommission abgelehnt, der pharmazeutischen Industrie die Informierung der Bevölkerung über die Medien zu erleichtern, da diese als Quelle für unabhängige, ergebnisoffene und objektive Information ungeeignet sei (DNEbM, DGSMP 2008).
Bei den Kriterien für EBPI können inhaltliche und formale Aspekte sowie solche zum Erstellungsprozess unterschieden werden (s. Tab. 1).
Tab. 1: Kriterien für EBPI (nach Steckelberg et al. 2005)
Berücksichtigung bei Inhalten (modifiziert nach den ethischen Leitlinien in GMC 1998)
- Information vor therapeutischen und diagnostischen Maßnahmen inkl. Screening über: Ziel der Maßnahme, Prognose bei Nichtintervention, Behandlungsoptionen (inkl. Nichtbehandlung) mit objektiven Daten bzgl. patientenorientierten Ergebnissen, Wahrscheinlichkeiten für Erfolg, Misserfolg und Nebenwirkungen der Maßnahme, Wahrscheinlichkeiten für falsch negative bzw. falsch positive Ergebnisse, medizinische, psychosoziale oder finanzielle Folgen, Planung des weiteren Vorgehens, Beratungs- und Unterstützungsangebote
- verständliche Darstellung
- Offenlegung von Interessenkonflikten (z.B. finanzieller Art)
- Hinweis auf ausreichende Zeit für die Entscheidungsfindung
- mögliche Ablehnung der Maßnahme darf kein Grund sein, die Information vorzuenthalten
Berücksichtigung von Metainformationen
- Verfasser, Sponsoren, finanzielle Abhängigkeiten
- Ziele der Publikation
- Informationsquellen und Aktualität der Information
- weiterführende Hinweise auf weitere Informationsquellen und Unterstützungsangebote/Selbsthilfegruppen
Kommunikation der Qualität zur wissenschaftlichen Beweislage orientiert sich an patientenrelevanten Endpunkten. Gleichwertige Kommunikation über erwünschte und unerwünschte Wirkungen.
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In ihrer aktuellen Überarbeitung dieses Kriterienkataloges schlägt die Arbeitsgruppe eine Erweiterung vor und bezieht dabei u.a. die Verwendung von sogenannten Narrativen ein, wobei sie jedoch darauf hinweist, dass die Beweislage für die Kriterien von EBPI heterogen sei und weitere Forschung nötig sei (Bunge et al. 2010). Persönliche Erfahrungsberichte oder „Stories“ werden auch bei der Checkliste der International Patient Decision Aid Standards (IPDAS) zur Bewertung von Entscheidungshilfen (Patient Decision Aids) als Zusatzkriterium genannt (IPDAS 2005). Auf die Bedeutung von Erfahrungen anderer Patienten wird auch an anderer Stelle hingewiesen (s. u.a. Sänger et al. 2006; IQWiG 2008; Bastian et al. 2009b; Glenton et al. 2006). Für den Erstellungsprozess liegt ein Cochrane-Review vor, nach dem die Einbeziehung von Patienten, Nutzern und Patientenorganisationen die Verständlichkeit, Relevanz und Anwenderfreundlichkeit der Information erhöhen kann (Nilsen et al. 2006). Dabei dient die Einbeziehung der Nutzer auch der Qualitätssicherung und Evaluation der Informationen (s. 2.1.5).
2.1.5 Qualitätssicherung
Bei der Qualitätssicherung von Leistungsangeboten im Gesundheitssystem bzw. hier von Gesundheitsinformationen kommt dem Nutzer als Bewerter und Kontrolleur eine wichtige Rolle zu (Klemperer 2009, Dierks, Schwartz 2001, SVR 2003). „Der Patient übernimmt als ‚beteiligter Experte’ durch seine Mitwirkung am Prozess der medizinischen Dienstleistung selbst aktiv Leistungen, und trägt durch seine Mitarbeit wesentlich zur Prozess- und Ergebnisqualität des Leistungsgeschehens bei“ (Dierks et al. 2001, S. 9). Zur Beurteilung der Qualität von medizinischen Versorgungsleistungen lassen sich nach Donabedian drei Dimensionen differenzieren: Struktur-, Prozess-, Ergebnisqualität (Donabedian 1966). Dabei können unter Strukturqualität die äußeren Rahmenbedingungen, wie z.B. personelle Voraussetzungen, technische Ausstattung und organisatorische wie finanzielle Gegebenheiten eines Angebots gefasst werden. Die Prozessqualität beschreibt die durchgeführten Maßnahmen und Aktivitäten, z.B. Anamnese und Aufklärung im Rahmen der ärztlichen Behandlung. Die Ergebnisqualität umfasst die Endpunkte von gesundheitlichen Leistungen, also die durch eine Intervention erreichte Veränderung des Gesundheitszustands bzw. hier z.B. des Gesundheitswissens und der Entscheidungskompetenz. Leistungen und Anbieter können hinsichtlich ihrer Qualitätsaspekte verglichen werden, wobei die Messung die Entwicklung und Festlegung von Standards und Qualitätsindikatoren voraussetzt. Bei Qualitätsmanagementverfahren wird die Nutzerperspektive als zentrale Dimension einbezogen. Methoden der Nutzereinbeziehung und der Erhebung von Aspekten wie Patientenzufriedenheit, Interessen oder Bedürfnisse sind u.a. standardisierte Befragungen mittels Fragebögen oder Umfragen oder z.B. qualitative Patientenbefragungen durch Fokusgruppen bzw. Gruppendiskussionen (vgl. Bitzer, Dierks 2001; Nilsen et al. 2006).
Die Qualität von Gesundheitsinformationen ist sehr heterogen, nur ein kleiner Teil ist evidenzbasiert und erfüllt die Anforderungen der in 2.1.4.2 vorgestellten Kriterien von EBPI (u.a. Dierks et al. 2001, 2002; Sänger 2005; Mühlhauser, Oser 2008). Für die Nutzer stellt sich die Frage, wie gute von schlechten Gesundheitsinformationen unterschieden werden können. Hinsichtlich der Sicherung der Qualität lassen sich nach Dierks et al. drei Bereiche abgrenzen: Qualitätssicherung durch (1) die Anbieterseite, (2) externe Kontrollen und (3) den Nutzer selbst (Dierks et al. 2002). Auf Anbieterseite sind einerseits die Beachtung von bzw. Selbstverpflichtung zu Qualitätsstandards, wie z.B. zur Einhaltung der Kriterien des HON-Codes der Stiftung „Health On the Net“[6], einem ethischen Verhaltenskodex für die Veröffentlichung von medizinischen Informationen im Internet (HON 1997), andererseits die Durchführung bzw. Initiierung von Maßnahmen der internen und externen Evaluation zu nennen. Als externe Kontrollinstanzen kommen unabhängige oder staatliche Institutionen in Frage, die die Qualität von vorhandenen Gesundheitsinformationen anhand definierter Kriterien überprüfen, was dem Nutzer als Zusatzinformation, z.B. als Gütesiegel wie das afgis-Logo des „Aktionsforums Gesundheitsinformationssystem“ (afgis) e.V.[7], angezeigt werden kann, oder unabhängige Institute, die sich vornehmlich mit der Erstellung und Sicherung von qualitativ hochwertigen Gesundheitsinformationen beschäftigen, wie das Ressort Gesundheitsinformation des IQWiG (s. 2.2).
Daneben ist die Mitwirkung der Nutzer auf den verschiedenen Ebenen ein wichtiger Bestandteil der Qualitätssicherung von Gesundheitsinformationen: im Erstellungsprozess (z.B. durch Themenvorschläge, Bewertung der Entwürfe), bei der Bewertung des Produkts (z.B. Online-Befragungen, Gruppendiskussionen) und bei der individuellen Informationssuche und -rezeption (vgl. Bastian et al. 2009b, Seidel et al. 2008, 2009, Schmidt-Kaehler 2005). Problematisch erweist sich v.a. die Beurteilung der inhaltlichen Aspekte, da diese sowohl über den HON-Code und das afgis-Logo als auch über die herkömmlichen Bewertungsinstrumente wie DISCERN und Check-In nur begrenzt abgebildet werden (Kasper et al. 2005). Dennoch bietet z.B. der Fragenkatalog der DISCERN-Kriterien (s. Tab. 2), mit etwas Übung eine gute Orientierungshilfe für Nutzer und andere Experten, um die Qualität und Vertrauenswürdigkeit der Informationen einzuschätzen (Dierks et al. 2001, 2002).
Tab. 2: Fragen der DISCERN-Kriterien zur Qualität einer guten Publikation über Behandlungsverfahren (nach Lerch, Dierks 2009 und Sänger et al. 2006)
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Auf Gütesiegel wie Bewertungsinstrumente wird auch in Informationsleitsystemen (z.B. in der Linkliste des Patienteninformationsportals des ÄZQ) zurückgegriffen (Sänger 2005, ÄZQ 2009). Ein weiterer Ansatz, der zukünftig die systematische Suche nach qualitativ hochwertigen Informationen erleichtern soll, ist die Entwicklung von speziellen Metasuchmaschinen (Honekamp, Ostermann 2009). Weitere Maßnahmen sind Schulungen für Fachleuten und Journalisten in der Erstellung von Informationen sowie für Nutzer in Medienkompetenz, Informationssuche und -bewertung.
2.2 Gesundheitsinformationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
2.2.1 IQWiG und sein Ressort Gesundheitsinformation
Das IQWiG ist eine fachlich unabhängige, wissenschaftliche Einrichtung der privaten und gemeinnützigen Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Es wurde im Zuge der Umsetzung des GKV-Modernisierungsgesetzes 2003 gegründet, um Vor- und Nachteile medizinischer Leistungen zu überprüfen und zu veröffentlichen.[8] Dabei arbeitet das Institut nach den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin (IQWiG 2008). Eine der zentralen Aufgaben des IQWiG ist laut SGB V die „Bereitstellung von für alle Bürgerinnen und Bürger verständlichen allgemeinen Informationen zur Qualität und Effizienz in der Gesundheitsversorgung sowie zu Diagnostik und Therapie von Krankheiten mit erheblicher epidemiologischer Bedeutung“ (§ 139a Abs. 3 Nr. 6 SGB V). Das Institut erhält seine Aufträge vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) oder dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und führt außerdem wissenschaftliche Projekte v.a. zu Gesundheitsinformationen in Eigenregie durch (IQWiG 2008, Bastian et al. 2009b). Das Institut ist in Ressorts gegliedert, wobei eines sich der Erstellung und Veröffentlichung der Gesundheitsinformationen widmet. Die Mitarbeiter des Ressorts verfügen über Kenntnisse der Kommunikations-, Sozial- und Pflegewissenschaften sowie solche im Bereich der evidenzbasierten Gesundheitsinformationen und Medizin. Sie werden unterstützt durch die ärztlichen, statistischen und wissenschaftlichen Fachkenntnisse der Kollegen der anderen Ressorts. Bei der Erstellung und Überprüfung der Gesundheitsinformationen werden externe Fachleute, Verbrauchergruppen, Patientenvertreter und Patienten einbezogen (s. 2.2.1). Die Verbreitung der Informationsprodukte erfolgt über das zweisprachige Internetportal „Gesundheitsinformation.de“[9] (s. 2.2.3). Das IQWiG verfolgt das Ziel, mit seinen evidenzbasierten Informationen über Förderung der allgemeinen Gesundheitskompetenz (s. 2.3) und Wissenschaftskenntnisse die Gesundheit und Patientenautonomie zu verbessern (vgl. IQWiG 2009, Bastian et al. 2009b).
„Die Gesundheitsinformationen sollen daher
- eine aktive und informierte Entscheidungsfindung bei gesundheitlichen Fragen unterstützen,
- die kritische Nutzung gesundheitsbezogener Dienstleistungen fördern,
- das Wissen um die körperliche, psychische und emotionale Gesundheit verbessern,
- das Verständnis medizinischer und wissenschaftlicher Informationen verbessern, darunter auch das des Konzepts der evidenzbasierten Medizin, und
- die Unterstützung der Patientinnen und Patienten durch ihre Familie und Freunde ermöglichen (Bastian et al. 2009b, S. 185).“
Das IQWiG bietet als unabhängiger Herausgeber der Informationen aber keine individuelle Beratung für Patienten. Nach dem gesetzlichen Auftrag richtet sich das IQWiG an gesunde wie kranke Bürger bzw. Patienten und soll dabei für eine zielgruppenorientierte Gestaltung Alter, Geschlecht und Lebenslagen als besondere Aspekte berücksichtigen (vgl. Bastian et al. 2009b).
2.2.2 Erstellungsprozess, Monitoring und Evaluation
Bei der Erstellung richtet sich das IQWiG nach seiner Definition für evidenzbasierte Gesundheitsinformationen (Bastian et al. 2009b, S. 186) und erarbeitet die Informationen nach systematischen Methoden auf der Basis von aktuellen „systematischen Übersichten“, wie in Abb. 3 dargestellt. Die Veröffentlichungen werden spätestens nach drei Jahren auf ihren Aktualisierungsbedarf geprüft. Wie aus dem Zyklus zur Erstellung und Qualitätssicherung der Gesundheitsinformationen hervorgeht, werden die Nutzer zu verschiedenen Zeitpunkten in den Prozess einbezogen, z.B. durch Themenvorschläge, Interviews mit Betroffenen und Nutzertestungen. Um ein Verständnis für die Interessen der Zielgruppen zu entwickeln, werden weitere Informationsquellen wie die Erfahrungen von anderen Anbietern, Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen und Literatur zum Informationsbedarf der Bevölkerung einbezogen.
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Abb. 3: Zyklus von Erstellung und Qualitätssicherung der Gesundheitsinformationen (Bastian et al. 2009b)
Zur Weiterentwicklung und Verbesserung der Informationsangebote werden eigene Forschungsprojekte z.B. zu Lesbarkeitsanalysen oder zu Nutzerbedürfnissen (Büchter et al. 2009a, 2009b) durchgeführt sowie der Forschungsstand zu evidenzbasierten Kommunikationsmethoden verfolgt. Des Weiteren werden neben der internen Evaluation und dem Routine-Monitoring der Website externe Evaluationen durch Sachverständige und Nutzer durchgeführt, so z.B. die Nutzertestungen durch die Patientenuniversität an der MHH (vgl. 3 und Seidel et al. 2008, 2009) und der Universität Bremen (Schmacke et al. 2008) sowie die Erstellung eines Sachverständigengutachtens der WHO zur inhaltlichen und methodischen Qualität der Informationen (vgl. Bastian et al. 2009a, de Joncheere et al. 2010).
2.2.3 Informationsprodukte
Das IQWiG bietet verschiedene Formate an Gesundheitsinformationen an, um den Bedürfnissen und unterschiedlichen Lesefähigkeiten gerecht zu werden. Tabelle 3 gibt eine Übersicht über die Informationsprodukte, die zusammen genommen eine evidenzbasierte „Informationsplattform zur Gesundheit“ bilden. Bis 2012 soll ein ausführliches Angebot zu den wichtigsten Gesundheitsthemen und häufigsten Fragen erstellt werden. Über die epidemiologisch bedeutendsten Krankheiten hinaus sollen besondere Interessen der Bevölkerung sowie neueste wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt werden, wobei Themen, zu denen sich eine evidenzbasierte Antwort finden lässt, Priorität haben.
Tab. 3: Informationsprodukte auf „gesundheitsinformation.de“ (nach IQWiG 2008)
ca. 20seitige Artikel mit detailliertem Quellenmaterial als Grundlage für ein Informationsmodul; vom Format den herkömmlichen Patienteninformationen ähnlich; vom Lesbarkeitsgrad orientiert an stärker interessierten und motivierten Lesern, die sich durch einen einfachen Sprachstil bevormundet fühlen könnten
leicht verständliche Informationen für den raschen Überblick; vom Format den herkömmlichen Patienteninformationen ähnlich; vom Lesbarkeitsgrad orientiert an einem breiteren Publikum
knappe Zusammenfassungen von z.B. systematischen Reviews, HTA-Berichten oder vom IQWiG erstellten Berichten als kurze Antwort auf eine „wissenschaftliche Frage“; vom Format vergleichbar mit Zeitungsartikeln
Ergänzungen zu den Kernprodukten mit z.B. erklärenden Texten zu Organen oder Krankheitszeichen sowie Quizaufgaben, Bildmaterial oder Entscheidungshilfen
Berichte von Betroffenen und Angehörigen zu ihren Erlebnissen mit Krankheit und Pflegebedürftigkeit sowie eigenen Fragen und Sorgen als Ergänzung zu den evidenzbasierten Gesundheitsinformationen
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Je nach Thema der Informationen werden Erläuterungen zu Krankheiten oder Beschwerden, Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung, diagnostische und therapeutische Optionen, Maßnahmen zur Rehabilitation und andere Gesundheitsleistungen sowie psychosoziale Aspekte berücksichtigt, einschließlich Berichten von Patienten und ihren Angehörigen (vgl. Bastian et al. 2009). Neben diesen gesundheitsrelevanten Themen werden auf der Internetseite Hintergründe zu EbM in einem Glossar bzw. Fragen zu „Geprüfter Medizin“ dargestellt. Über neue Informationen und Aktualisierungen informiert das IQWiG zusätzlich über einen regelmäßigen Newsletter, in dem auch darauf hingewiesen wird, wenn Produkte aufgrund neuer Erkenntnisse überarbeitet und kurzzeitig aus dem Angebot genommen werden müssen.
2.3 Health Literacy
„Health Literacy“ bedeutet frei übersetzt: kritische Gesundheitsbildung oder Gesundheitskompetenz (Bastian et al. 2005; Kickbusch 2006). Gesundheitskompetenz umfasst die kognitiven und sozialen Fähigkeiten und die Möglichkeiten eines Menschen, Informationen zu suchen, zu verstehen und anzuwenden, sich im Gesundheitssystem zu bewegen und Leistungen in Anspruch zu nehmen sowie angemessene Entscheidungen in Gesundheits- und Krankheitsfragen treffen zu können. In dem jungen Forschungsbereich Health Literacy gibt es verschiedene Vorstellungen zu der Bedeutung des Begriffs. So wird in einem umfassenden Konzept über einen engen Fokus auf z.B. Lesefähigkeiten hinaus die Interaktion mit Einflüssen aus Gesellschaft, Erziehung, Gesundheit und Kultur einbezogen. „Health Literacy is the degree to which individuals have the capacity to obtain, process, and understand basic health information and services needed to make appropriate health decisions.“ (Healthy People 2010 nach IOM 2004, S. 4).
Diese Definition wurde vom Committee on Health Literacy des Institute of Medicine (IOM) in seinem grundlegenden Bericht akzeptiert, in dem Health Literacy als eine der bedeutendsten Chancen zu Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit anerkannt wird (IOM 2004). Ähnlich wird Health Literacy von der WHO definiert (Nutbeam 1998). Dennoch werden andauernde Debatten geführt, welche Konstrukte Health Literacy oder Gesundheitskompetenz zugrunde liegen. Dabei werden unterschiedliche Perspektiven diskutiert, die die individuellen Fähigkeiten einer Person oder das Funktionieren in einem System und damit Charakteristika von beidem, Individuum und System, betonen oder sich auf Teilkomponenten wie das Gesundheitswissen beziehen. Das fehlende gemeinsame Verständnis für die Kernbedeutung von Health Literacy erweist sich gerade für die Messung von Health Literacy als problematisch, weswegen eine Präzisierung der einzelnen Domänen und Einflussfaktoren von Health Literacy und deren Beziehung untereinander hilfreich sei (Baker 2006). Den groben Zusammenhang zwischen dem „Outcome“ Health Literacy und drei wichtigen Faktoren, bei denen Interventionen ansetzen können, zeigt Abb. 4 aus dem Report des IOM.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Health Literacy und Ansatzpunkte zur Intervention (IOM 2004)
Coulter und Ellins beschreiben für den Bereich „Health System“ und „Culture and Society“ vier Typen von Interventionen: schriftliche Gesundheitsinformationen, alternative Formate (z.B. internetbasierte Angebote mit personalisierten Informationen, soziale Netzwerke), Initiativen zur Verbesserung von niedriger Health Literacy und gezielte Kampagnen in den Massenmedien (Coulter, Ellins 2006, S. 25).
Nach Nutbeam können drei Niveaus von Gesundheitskompetenz unterschieden werden: Grundkenntnisse bzw. ein funktionales Niveau, ein kommunikatives bzw. interaktives Niveau und ein kritisches Niveau, wobei idealerweise eine Entwicklung vom funktionalen zum kritischen Niveau hin stattfindet (Nutbeam 2000). Bezogen auf Gesundheit sind Menschen auf der funktionalen Ebene in der Lage, einfache Informationen z.B. zu Medikationen zu verstehen und umzusetzen. Das interaktive Niveau erlaubt, bei umfassenderen kognitiven und sozialen Kompetenzen eine aktive Rolle einzunehmen, wobei z.B. der kommunikative Austausch mit dem Umfeld, die Umsetzung von Informationen im Alltag und die Fähigkeit, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden, erfasst werden. Auf der Ebene kritischer Gesundheitskompetenz haben die Menschen darüber hinaus die Fähigkeit, Anweisungen zu hinterfragen und Gesundheitsinformationen kritisch zu bewerten, was das Verstehen von Grundlagenwissen und von wissenschaftlichen Theorien und Prozessen beinhaltet (Kickbusch 2006; Nutbeam 2000). Dies kann auch heißen, zwischen individueller und statistischer Risikoabschätzung unterscheiden zu lernen, Forschungszusammenhänge zu verstehen und die Bedeutung von patientenrelevanten Ergebnissen zu ermessen (Bastian et al. 2005). Health Literacy bzw. Gesundheitskompetenz ist eine bedeutende Grundlage, um selbstbestimmt Entscheidungen in Gesundheitsfragen zu treffen, und hängt eng mit Empowerment und Gesundheitsförderung zusammen. Dabei konzentriert sich Empowerment nicht nur auf die individuellen Fähigkeiten, sondern auch auf das Umfeld, die Arzt-Patient-Beziehung und die Gesundheitsdienstleistungen, wobei das persönliche Empowerment durch gesellschaftliche und öffentliche Interessen bedingt wird (Kickbusch 2001).
Der Grad an Health Literacy scheint in der Bevölkerung ungleich verteilt zu sein, wobei ein niedriges Niveau mit schlechterem Gesundheitszustand bei zugleich höherer Nutzung von Gesundheitsleistungen und höheren Kosten in Verbindung gebracht wird (IOM 2004). Damit kommt Gesundheitskompetenz eine Rolle zur Verbesserung von gesundheitlicher Chancengleichheit zu (Coulter, Ellins 2006). Herausforderungen bestehen in der Entwicklung von Maßnahmen zur Förderung von Gesundheitswissen und weiteren Teilaspekten von Health Literacy und der Quantifizierung der jeweiligen Bedeutung für die gesundheitlichen Outcomes, wobei die Grundlage die Messung der Health Literacy-Levels der Bevölkerung durch nationale Surveys sein sollte (Kickbusch 2001, 2003, 2006). Diesbezüglich heben Jordan et al. die Konzeptualisierung und Messung von Health Literacy aus der Patientenperspektive hervor und schlagen vor, den wahrgenommenen Bedarf an verschiedenen Fertigkeiten aus Nutzersicht stärker einzubeziehen (Jordan et al. 2010).
Eine aktuelle Erhebung zu Gesundheitskompetenz und sozialen Ungleichheiten im Gesundheitsmonitor 2008 mit dem Fokus auf Gesundheitswissen als Teilaspekt von Gesundheitskompetenz weist auf die Differenz zwischen geforderten und tatsächlichen Kompetenzen hin (Kickbusch, Marstedt 2008). Nach den Befunden zeige sich zwar kein direkter Einfluss von Gesundheitswissen auf die Morbidität, aber bei chronisch Erkrankten eine positive Auswirkung auf den Umgang mit der Erkrankung. Dargelegt wird ferner ein Zusammenhang zwischen Gesundheitswissen und höherem Bildungsgrad, wobei auch Teilnehmer mit Abitur durchaus Defizite in Gesundheitsfragen aufweisen. Neben den Schwierigkeiten bei der Informationssuche in den Massenmedien werden beim Informationsangebot für Patienten wie Verbraucher Mängel kritisiert, die vom unzureichenden Angebot bis zur mangelnden Verständlichkeit verfügbarer Quellen reichen. Nach den Autoren würde Gesundheitskompetenz in der gesundheitspolitischen Diskussion unterschätzt; außerdem bedürfe die Wahrnehmung von Eigenverantwortung gesellschaftlicher Vorleistungen (vgl. Kickbusch, Marstedt 2008).
Ansätze zur Förderung der kritischen Gesundheitsbildung sind jedoch zu verzeichnen, wie aus der Darstellung von evidenzbasierten Gesundheits- und Patienteninformationen hervorgeht. Weitere Angebote sind z.B. Beratungseinrichtungen für Patienten und Verbraucher, Schulungsprogramme für Patienten mit speziellen Erkrankungen, aber auch Angebote zur allgemeinen „Gesundheitsbildung für Jedermann“ wie z.B. die Patientenuniversität an der Medizinischen Hochschule Hannover[10], die als unabhängige Bildungseinrichtung Gesundheitskompetenz für Bürger, Patienten und ihre Angehörigen, Mitglieder von Selbsthilfegruppen und Patientenvertreter vermittelt (Dierks, Seidel 2009a und 2009b).
[...]
[1] Aus Gründen der Lesbarkeit und Kürze werden in der vorliegenden Arbeit Bezeichnungen und Funktionen für gemischtgeschlechtliche Gruppen in männlicher Form verwendet, schließen aber selbstverständlich das weibliche Geschlecht mit ein.
[2] Der Rat heißt seit dem 01.01.2004 „Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen“.
[3] http://www.gesundheitsinformation.de/ (20.11.2009)
[4] http://www.unabhaengige-patientenberatung.de/informationen-finden.html (20.11.2009)
[5] http://www.aezq.de/ und http://www.patienten-information.de/ (20.11.2009)
[6] Die Stiftung „Health On the Net“ ist eine international anerkannte Nichtregierungsorganisation mit Sitz in der Schweiz, die zum Ziel hat, die Qualität von medizinischen Informationen im Internet für Nutzer, Ärzte bzw. Fachleute in der Medizin zu verbessern und den Zugang zu diesen Informationen zu erleichtern, vgl. http://www.hon.ch/HONcode/German/ (20.11.2009).
[7] Das „Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem“ (afgis) e.V. ist ein auf Initiative der Bundesregierung gegründeter bundesweiter Zusammenschluss von Verbänden, Unternehmen und Einzelpersonen zur Förderung der Qualität von Gesundheitsinformationen, der als rechtlich selbstständige und unabhängige Organisation fungiert. Anbieter können ihre Gesundheitsinformationen nach den vom afgis erarbeiteten Qualitätsstandards für Transparenz, Vermittlung und Daten- und Persönlichkeitsschutz prüfen und mit dem afgis-Logo zertifizieren lassen, vgl. http://www.afgis.de/ (20.11.2009).
[8] Für weitere Hintergründe zu Aufgaben, Struktur, Finanzierung und Arbeitsweise des IQWiG wird auf § 139a SGB V und die Internetseite des IQWiG verwiesen: http://www.iqwig.de/ (20.11.2009).
[9] „Gesundheitsinformation.de. Unabhängig, objektiv und geprüft“, Freischaltung im Februar 2006 für die deutsche Version, im Mai 2006 für die englische Version, s. http://www.gesundheitsinformation.de und www.informedhealthonline.org/ (20.11.2009).
[10] http://www.patienten-universitaet.de/ (20.11.2009).
- Citar trabajo
- Dr. med., MPH Irene Hirschberg (Autor), Marie-Luise Dierks (Editor de la serie), Gabriele Seidel (Editor de la serie), 2010, Bewertung und Wirkung von evidenzbasierten Gesundheitsinformationen – die Perspektive der Nutzer, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/158865
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