[...] Drei
Jahre nach dem Erscheinen des Bandes Statischen Gedichte, beschäftigt sich der Essayist,
Verfasser von Kurzprosa und selbst Lyriker in seiner späten Schaffensperiode mit dem
Gedanken, was moderne Lyrik sei beziehungsweise zeigt er, „wie sieht ein modernes
Gedicht nicht aus“.3 Hierbei unternimmt er den Versuch einer Definition zeitgenössischer
Lyrik, des modernen Lyrikers und zugleich gibt er konkrete Anweisungen zum
dichterischen Verfahren.
Ich werde in meiner Arbeit zuerst einen kurzen Abriss zu Gottfried Benns lyrischem Werk
entwickeln. Dabei gehe ich auf die vier Phasen des Lyrikschaffens nach Dieter
Liewerscheidt ein, die in der Benn Forschung allgemein anerkannt werden: Die frühe
Phase von 1912 bis 1920, danach der Zeitraum von 1922 bis 1936 sowie die dritte Phase
von 1937 bis 1947 und sein Spätwerk ab 1949 bis 19554.
Danach werde ich mich mit dem Lyrikbegriff und -verständnis im Vortrag Probleme der
Lyrik auseinander setzen. Hierbei gehe ich nah am Text im Wesentlichen auf drei zentrale
Punkte ein: Zuerst beschäftige ich mich mit der Bennschen Definition des modernen
Gedichts nach der Form und den Inhalten. Danach gehe ich auf den Umgang mit dem
Material Wort in der Lyrik ein. Anschließend folgen die Betrachtungen zum modernen
Lyriker und den Herstellungsvorgang des Gedichts. Hierbei soll immer vergleichend auf
einige Lyriktheorien5 eingegangen werden, hinsichtlich darauf, wovon sich Gottfried Benn
abgrenzt und was er für sich und seine Lyrikvorstellung annimmt.
Am Schluss soll eine Zusammenfassung meiner Betrachtungen stehen, in der ich neben
einigen Kritikpunkten auch einzelne Aspekte aus der Lyriktheoriegeschichte ansprechen
werde, auf die Benn in seiner Konzeption zur modernen Lyrik nicht eingeht.
1 In einem Brief an Ernst Robert Curtius vom 1. August 1951 schreibt Benn zum Publikum: „Das
akademische –Milieu ist mir etwas fremd, und nachdem ich auf der Einladung sah, daß ein Bundesminister,
zwei hessische Minister, vier Universitätsrektoren und die dazugehörigen hohen Kommissare das
Ehrenpräsidium bilden, fühle ich mich nicht ganz am Platze“ (in: Lohner: Dichter über ihre Dichtungen, S.
184).
2 Ebd. S.182f
3 in: Benn: Probleme der Lyrik: S. 512
4 Vgl. Liewerscheidt: S. 12
5 Ich gehe in Auswahl auf die im Seminar behandelten Texte von Batteux/Schlegel, Eschenburg, Hebbel,
Heine, Herder, Hofmannsthal, Poe und Schiller ein.
Inhalt
1. Einleitung
2. Die Phasen der Lyrik Benns
3. Lyriktheorie Benns in Probleme der Lyrik
3.1 Form und Inhalte des modernen Gedichts
3.2 Das Material des Gedichtes: das Wort
3.3 Der moderne Lyriker
3.4 Der Herstellungsvorgang des Gedichts
4. Schluss
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Am 21.08.1951 hielt Benn vor Studenten und literarisch interessiertem Publikum2 den Vortrag Probleme der Lyrik an der Universität Marburg auf Einladung des Rektors1. Drei Jahre nach dem Erscheinen des Bandes Statischen Gedichte, beschäftigt sich der Essayist, Verfasser von Kurzprosa und selbst Lyriker in seiner späten Schaffensperiode mit dem Gedanken, was moderne Lyrik sei beziehungsweise zeigt er, „wie sieht ein modernes Gedicht nicht aus“.3 Hierbei unternimmt er den Versuch einer Definition zeitgenössischer Lyrik, des modernen Lyrikers und zugleich gibt er konkrete Anweisungen zum dichterischen Verfahren.
Ich werde in meiner Arbeit zuerst einen kurzen Abriss zu Gottfried Benns lyrischem Werk entwickeln. Dabei gehe ich auf die vier Phasen des Lyrikschaffens nach Dieter Liewerscheidt ein, die in der Benn Forschung allgemein anerkannt werden: Die frühe Phase von 1912 bis 1920, danach der Zeitraum von 1922 bis 1936 sowie die dritte Phase von 1937 bis 1947 und sein Spätwerk ab 1949 bis 19554.
Danach werde ich mich mit dem Lyrikbegriff und -verständnis im Vortrag Probleme der Lyrik auseinander setzen. Hierbei gehe ich nah am Text im Wesentlichen auf drei zentrale Punkte ein: Zuerst beschäftige ich mich mit der Bennschen Definition des modernen Gedichts nach der Form und den Inhalten. Danach gehe ich auf den Umgang mit dem Material Wort in der Lyrik ein. Anschließend folgen die Betrachtungen zum modernen Lyriker und den Herstellungsvorgang des Gedichts. Hierbei soll immer vergleichend auf einige Lyriktheorien5 eingegangen werden, hinsichtlich darauf, wovon sich Gottfried Benn abgrenzt und was er für sich und seine Lyrikvorstellung annimmt.
Am Schluss soll eine Zusammenfassung meiner Betrachtungen stehen, in der ich neben einigen Kritikpunkten auch einzelne Aspekte aus der Lyriktheoriegeschichte ansprechen werde, auf die Benn in seiner Konzeption zur modernen Lyrik nicht eingeht.
2. Die Lyrik Benns
„Gottfried Benn? Noch bis zum März 1912 wußte niemand von ihm“1, schrieb A. R. Meyer, der im genannten Jahr den Gedichtzyklus Morgue und andere Gedichte als Flugblatt herausbrachte. Mit diesem trat der Lyriker Gottfried Benn in die Öffentlichkeit2. Die frühen Gedichte sind meist reimlos und in freien Rhythmen verfasst und zeigen inhaltlich „das Hässliche in solcher Intensität und Drastik Gegenstand der Dichtung, [..] die radikale Negation christlich-idealistischer Verklärungsversuche und Trostrituale“3 wie nie zuvor in der Lyrik. Diese erste Phase des lyrischen Schaffens bezeichnet Liewerscheidt als Sektionslyrik, die im Medizinerjargon verfasst ist und vor allem provozieren will4.
Benns frühes Schaffen kann man als expressionistisch bezeichnen. Er selbst äußert sich in der autobiografischen Schrift Summa summarum von 1926 dazu: „In Deutschland gelte ich in den Literaturgeschichten als einer der prominenten Lyriker des Expressionismus“5. Er wehrt sich nicht gegen diese Zuordnung, im Gegenteil, im Essay Expressionismus von 1934 schreibt er: „In der Tat, ich werde [...] als Begründer des literarischen deutschen Expressionismus bezeichnet und ich gebe zu, mich psychologisch in seinem Reich zu bewegen und seiner Methode [...] als mir eingeboren zu empfinden“6. Ihm fremd bleiben jedoch das Menschheitserlösungspathos, der Glaube, dass die Kunst die Gesellschaft nachhaltig verändern kann und der politische Aspekt der schreibenden Linke7.
Einzelne Gedichte und Gedichtzyklen erschienen in expressionistischen Zeitschriften, wie Die Aktion, Der Sturm oder Das Neue Pathos. Ebenso gehört der Gedichtband Fleisch, der von Franz Pfemfert 1917 als dritter Band der Aktions-Lyrik herausgegeben wird, in die Zeit des Expressionismus. Zwei Jahre später, 1919, erscheinen auch Gedichte in der Anthologie Menschheitsdämmerung von Kurt Pinthus.
Das thematische Spektrum der frühen, formal loseren Lyrik reicht von Zeit- und Gesellschaftskritik über „halluzinatorische Regressionserlebnisse in einem hyperbel- und metaphernreichen Stil“8, sowie rauschhafte und sinnliche Einsamkeitsempfindungen und die evozierte südliche Welt.
In späteren Jahren blickt Benn auf seine frühen Gedichte kritisch zurück. Am 28. Mai 1949 schreibt er in Hinblick auf die publizierte Sammlung Statische Gedichte an Max Niedermayer: „Nicht enthalten sind die Verse, die meinen eigentlichen Namen (den berüchtigten) begründeten, aus den Jahren 1912 – 1922, aber die wollen wir lieber unterschlagen, darin wimmelt es so von Leichen und Huren und Syphilisquadrillen, daß es mir jetzt unfaßbar ist, daß so was jemals gedruckt und nicht konfisziert worden ist“9.
Ab 1920 ändert sich der Grundton in den Gedichten: „nach über zehn Jahren Antigesang und Provokation konnte Gottfried Benn das tun, wozu jeder Lyriker im Grunde seines Herzens bereit ist, übergehen zum Gesang“10.
Die lyrische Produktion der Jahre 1922 bis 1934 und der Zeitraum der Entstehung der Statischen Gedichte und ihrer Vorläufer in der Zeit von 1935 – 1945 ist inhaltlich vielfältig. Besonders die Gedichte zwischen den Jahren 1922 und 1931 sind geprägt von „regressiven Tendenzen und rauschhaften Entrückungen“11.
Entscheidender Unterschied zu der frühen Lyrik ist die Abwendung vom gesellschaftskritischen Realismus. Ab und zu trifft man auf das negative Urteil über die Gesellschaft in einzelnen Gedichten, die zum Beispiel in den Band Gesammelte Gedichte von 1927 aufgenommen worden sind. Zahlreicher sind jedoch Gedichte, die „Ausdruck eines Bewusstseins sind, in dem sprunghaft wechselnde, fragmentarische Bilder des chaotischen Weltgeschehens mit der Erkenntnis eigener Orientierungslosigkeit sich mischen“12.
Neben der Tendenz zur Objektivierung entwickelt sich die Bennsche Lyrik formal hin zu einem festeren Äußeren. Er verwendet nun häufig die „achtzeilige Strophe mit strenger Kreuzreimbindung und zwei- bis dreihebigem Versmaß“13.
Die Besonderheit Gottfried Benns Lyrik wurde entweder gelobt oder kritisiert. So bezeichnet Rudolf Kayser ihn 1931 als „den größten Lyriker dieses Zeitalters“14. Aber ein Jahr später wird der Gedichtband Fleisch im Katalog der Deutschen Zentralstelle zur Bekämpfung unzüchtiger Bilder, Schriften und Inserate aufgeführt.
Die zeitweilige Parteinahme für den Nationalsozialismus äußert sich nicht in der Lyrik.
Benn zieht sich bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus der Öffentlichkeit zurück. Ab1936 erscheinen Gedichte nur noch in den Briefen an Oelze.
Die dritte Phase des lyrischen Schaffens von 1933 bis 1947 ist gekennzeichnet durch eine „innere Emigration in ein autonomes Reich der Kunst; der Bemühung um klassische Formvollendung aber in formaler Vielfalt“15. Heftige Kritik erntet der Band Ausgewählte Gedichte im SS-Blatt Schwarzer Korps und im Völkischen Beobachter. Am 18.03.1938 erhält Gottfried Benn Schreibverbot.
In den letzten Jahren vor dem Schreibverbot erscheint der Sammelband Ausgewählte Gedichte 1911 – 1936, der den lyrischen Ertrag der Jahre 1935 und 1936 enthält. Diese neuen Gedichte sind nach Buddecke „Ausdruck radikaler Enttäuschung. Der Gegensatz von Geist und Leben, Kunst und Wirklichkeit, Denken und Handeln, den Benn 1933 aufgehoben meinte, tritt nun mit äußerster Schärfe hervor“16.
Erst 1948 wagt der Lyriker Benn mit der Veröffentlichung der Statischen Gedichte im Verlag der Arche in Zürich einen publizistischen Neuanfang. Ein Jahr darauf erscheint die erweiterte deutsche Ausgabe mit den Gedichten seit 1937. In diesem Band ist die gesamte Lyrik der Jahre 1935/36, sowie einzelne Gedichte aus der Schaffensperiode von 1927 bis 1934 aufgenommen.
Hierbei wird das zentrale Thema der Statischen Gedichte, der Gegensatz von Kunst und Wirklichkeit, in vielfältiger Weise aufgegriffen17.
Benn charakterisiert diese Gedichte und den Grundton seiner Alterslyrik in einem Brief an den Schweizer Verleger Schifferli: „Statisch ist ein Begriff, der nicht nur meiner inneren ästhetischen und moralischen Lage, sondern auch der formalen Methode der Gedichte entspricht und in die Richtung der durch Konstruktion beherrschten, in sich ruhenden Materials […] verweisen soll. […] Statik aber heißt Rückzug auf Maß und Form […] und es heißt auch Resignation“18.
Kurz darauf folgt der Band Trunkene Flut und 1951 Fragmente. In den letzen Lebensjahren erscheinen einige Neuauflagen bereits veröffentlichter Werke, wie der Band Frühe Lyrik und Dramen 1952 und 1956 die Gesammelten Gedichte.
Die Alterslyrik Gottfried Benns entspricht der Situation des Autors. Es spielt keine Rolle mehr, Subjektives zu objektivieren, wie das noch in den Statischen Gedichten der Fall war, viel öfter spricht Benn über sich selbst, von seiner Müdigkeit und inneren Leere und von dem Gefühl, sich bereits produktiv erschöpft zu haben. Das alles zeichnet eine depressive Grundstimmung, die nur von einzelnen Gedichten durchbrochen wird19. Allgemein besteht in der letzten lyrischen Periode von 1949 bis 1956 die „Tendenz zur offenen, reimlosen Parlando-Form mit kulturkritischem Inhalt“20.
[...]
1 In einem Brief an Ernst Robert Curtius vom 1. August 1951 schreibt Benn zum Publikum: „Das akademische –Milieu ist mir etwas fremd, und nachdem ich auf der Einladung sah, daß ein Bundesminister, zwei hessische Minister, vier Universitätsrektoren und die dazugehörigen hohen Kommissare das Ehrenpräsidium bilden, fühle ich mich nicht ganz am Platze“ (in: Lohner: Dichter über ihre Dichtungen, S. 184).
2 Ebd. S.182f
3 in: Benn: Probleme der Lyrik: S. 512
4 Vgl. Liewerscheidt: S. 12
5 Ich gehe in Auswahl auf die im Seminar behandelten Texte von Batteux/Schlegel, Eschenburg, Hebbel, Heine, Herder, Hofmannsthal, Poe und Schiller ein.
1 zit. nach Hillebrand: S. 617
2 Bruno Hillebrand weist darauf hin, dass Benn bereits vor dem Gedichtzyklus Morgue „weiche, impressive Lyrik“ geschrieben hat ( Hillebrand: Zur Lyrik Gottfried Benns, S. 639).
3 in: BuddeBuddecke
4 Vgl. Liewerscheidt: S. 14
5 in: Benn: Prosa und Autobiographie in der Fassung der Erstdru>6 in: Benn: Expressionismus: S.241
7 Vgl. BuddeBuddecke
8 Ebd.
9 zit. nach Hillebrand: S. 635f
10 in: Hillebrand: S. 648
11 in: Liewerscheidt: S. 14
12 in: BuddeBuddecke13 Ebd.
13 Ebd
14 in: Hillebrand: S. 622
15 in: Liewerscheidt: S. 15
16 in: Buddecke: S. 283f
17 Vgl. BuddeBuddecke :S. 92f
18 in: Lohner: S. 92f
19 Ebd.
20 in: Liewerscheidt: S. 15
- Citation du texte
- Doreen Czekalla (Auteur), 2002, Lyriktheorie Gottfried Benns anhand 'Probleme der Lyrik', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15884
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