Diese Arbeit beschäftigt sich mit Schulabsentismus und der zentralen Fragestellung, inwieweit der (Sonder-)Pädagoge im Rahmen seines begrenzten Wirkungsraumes auf das schul- und unterrichtsmeidende Verhalten einzelner Schüler positiv Einfluss nehmen kann. Dabei wird der Schüler in einem dynamischen Bedingungskomplex (hier: Lebens-raum), bestehend aus den Lebensbereichen Schule, Familie und Peers gesehen.
Kern dieser Arbeit ist demnach die Erörterung individuell-familiärer und institutionell-schulischer Aspekte, die unmittelbar oder mittelbar negative wie positive Auswirkungen auf ein Schulbesuchs-verhalten haben können. Unter Einbezug der daraus gewonnenen Einsichten stellt sich anschließend die Frage, in welcher Form, in welchem Umfang und in welcher Art der Zusammenarbeit die Pädagogen durch präventive und interventive Aktivitäten einer unerwünschten Tendenz entgegenwirken können. Dabei ist das Wohle des Heran-wachsenden stets von zentraler Bedeutung.
WICHTIG:
Die dargelegten Ergebnisse der Arbeit stehen in ihrer Gesamtheit repräsentativ für alle Schulformen und beziehen sich nicht ausschließlich auf das Sonder- bzw. Förderschulwesen. Aufgrund der Komplexität und Mehrdimensionalität des Themas, durch die mir ein alleiniger Fokus auf Schüler mit Förderbedarf als nicht möglich erschien, war es keine Option, die Fragestellung nur hinsichtlich eines sonderpädagogischen Handels zu erörtern.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Terminologie und relevante Merkmale
2.1 Definition
2.2 Terminologische HeterogenitÅt
2.3 Formen und Kategorien des Schulabsentismus
2.4 Merkmale relevanter Formen des Schulabsentismus
2.4.1 SchulschwÅnzen
2.4.2 Schulverweigerung
2.4.2.1Schulangst
2.4.2.2 Schulphobie
2.4.3 ZurÇckhalten der SchÇler durch Erziehungsberechtigte
2.4.4 Ablehnung des Unterrichts trotz physischer Anwesenheit
2.5 Bilanz
3. Theoretische ErklÅrungsansÅtze
3.1 Merkmale wichtigster AnsÅtze
3.1.1 Kontrolltheorie
3.1.2 Anomietheorie
3.1.3 Subkulturtheorie
3.1.4 Zwischenbilanz und EinschÅtzung
3.2 Hauptmerkmale des Feldtheoretischen Ansatzes
3.2.1 Der Lebensraum
3.2.1.1 Der familiÅre Wirkungsraum
3.2.1.2 Der Wirkungsraum der Peers
3.2.1.3 Der alternative Wirkungsraum
3.2.1.4 Der schulische Wirkungsraum
3.2.2 Bilanz
4. Darstellung individuell-familiÅrer Aspekte
4.1 Eine individuell-familiÅre Perspektive
4.1.1 Alter und Geschlecht der SchÇler mit Meidungsverhalten
4.1.2 Leistungsangst und Schulversagen
4.1.3 Selbstkonzept und SelbsteinschÅtzung
4.1.4 PrimÅrmilieu
4.1.4.1 Intelligenz
4.1.4.2 Einstellungen der Erziehungsberechtigten
4.1.5 Die Peers
4.1.5.1 Mitschüler
4.1.5.2 Täter vs. Opfer
4.1.6 Kausalattribution und Bilanz
5. Darstellung schulisch-institutioneller Aspekte
5.1 Eine schulisch-institutionelle Perspektive
5.1.1 Organisations- und Strukturmerkmale
5.1.1.1 Klassenwiederholungen als Strukturmerkmal
5.1.2 Allgemeines Schul- und Klassenklima
5.1.3 Beziehung Pädagoge - Schüler
5.1.3.1 Der hohe Altersdurchschnitt der Pädagogen
5.1.4 Pädagogen mit Meidungsverhalten und Schuldistanz
5.1.5 Umgang mit Fehlzeiten
5.1.5.1 Entschuldigt oder unentschuldigt
5.1.5.2 Das generelle Bewertungsproblem
5.1.6 Schülersuspendierung als sozialer Ausschluss
5.1.7 Pädagogen-Eltern-Interaktion
5.1.8 Bilanz
6. Präventions- und Interventionsaspekte
6.1 Handlungsbereiche
6.1.1 Schulleitung und schulische Leitvorstellungen
6.1.2 Ein Soziales Schulklima
6.1.3 Der Pädagoge als Schlüssel der Prävention
6.1.3.1 Gefahrensignale erkennen
6.1.4 Unverzügliche Reaktion bei Versäumnissen
6.1.5 Lebensnaher und sozialer Unterricht
6.1.6 Aktivierung von Kooperationspartnern
6.1.6.1 Zusammenarbeit mit Erziehungsberechtigten
6.1.6.2 Vernetzung von Schule und Jugendhilfe
6.1.7 Bilanz
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis
Vorbemerkung
Die dargelegten Ergebnisse der Arbeit stehen in ihrer Gesamtheit repräsentativ für alle Schulformen und beziehen sich nicht ausschließlich auf das Sonderbzw. Förderschulwesen. Aufgrund der Komplexität und Mehrdimensionalität des Themas, durch die mir ein alleiniger Fokus auf Schüler mit Förderbedarf als nicht möglich erschien, war es keine Option, die Fragestellung nur hinsichtlich eines sonderpädagogischen Handels zu erörtern.
1. Einleitung
Diese Arbeit beschÄftigt sich mit Schulabsentismus und der zentralen Fragestellung, inwieweit der (Sonder-)PÄdagoge im Rahmen seines begrenzten Wirkungsraumes auf das schul- und unterrichtsmeidende Verhalten einzelner SchÅler positiv Einfluss nehmen kann. Dabei wird der SchÅler in einem dynamischen Bedingungskomplex (hier: Lebensraum), bestehend aus den Lebensbereichen Schule, Familie und Peers1 gesehen.
Kern dieser Arbeit ist demnach die ErÇrterung individuell-familiÄrer und institutionell-schulischer Aspekte, die unmittelbar oder mittelbar negative wie positive Auswirkungen auf ein Schulbesuchsverhalten haben kÇnnen. Unter Einbezug der daraus gewonnenen Einsichten stellt sich anschlieÉend die Frage, in welcher Form, in welchem Umfang und in welcher Art der Zusammenarbeit die PÄdagogen durch prÄventive und interventive AktivitÄten einer unerwÅnschten Tendenz entgegenwirken kÇnnen. Dabei ist das Wohle des Heranwachsenden stets von zentraler Bedeutung.
Damit aber eine wissenschaftlich fundierte und reflektierte Herangehensweise gewÄhrleistet ist, wird anfangs ein Ñberblick Åber Erscheinung- und AusprÄ- gungsformen von Absentismus gegeben. Um das Konstrukt Schulabsentismus greifbarer zu machen, werden also Begriffsbestimmungen und Eingrenzungen vorgenommen, deren Nutzen fÅr den Umgang mit gefÄhrdeten SchÅlern von hoher Bedeutung ist. Wie es dazu kommt, dass mehrere Begriffe nebeneinan- der existieren und sich scheinbar in ihrer Bedeutung kaum unterscheiden, wird in diesem Kapitel ebenfalls dargestellt.
Im folgenden Kapitel wird das Wissen um Kategorien und StÇrungsformen durch theoretische ErklÄrungsansÄtze fÅr Schulabsentismus unterfÅttert. An dieser Stelle werden also Theorien vorgestellt, die durch unterschiedliche Zu- gÄnge die Fragen nach den Ursachen fÅr Absentismus beantworten zu versu- chen. Ob die Schuld einer Abwendung von der Schule der Familie, den Peers, dem SchÅler oder sogar der schulischen Institution selbst zuzuschreiben ist, soll in diesem Kapitel auf einer theoretischen Ebene dargestellt und geklÄrt werden. Die Auswahl eines theoretischen Konzepts entscheidet abschlieÉend Åber die weitere Betrachtungsweise des Gegenstands „Schulabsentismus“. Da zu diesem Zeitpunkt ein theoretischer Grundstock Åber Erscheinungsfor- men und ZugÄnge vorhanden sein sollte, wird im nun folgenden Kapitel eine ErÇrterung der individuell-familiÄren Aspekte vorgenommen. Ausgehend von der Annahme, dass der PÄdagoge auf viele Bedingungsfaktoren fÅr Schulab- sentismus nur einen schwachen bis gar keinen Einfluss hat, liegt der Fokus hier auf der Darstellung des PrimÄrmilieus, der Peers und der scheinbar individuell verursachten psychischen Konstrukte (Leistungsangst, Selbstkonzept usw.) der Heranwachsenden. GeklÄrt werden soll in diesem Kapitel, inwieweit eine von PÄdagogen vorgenommene Zuschreibung der GrÅnde fÅr Absentismus auf au- Éerschulische Faktoren gerechtfertigt ist.
Es wird nun folgerecht eine schulische Perspektive eingenommen, die eine GegenÅberstellung der beiden Bereiche (individuell vs. institutionell) vervoll- stÄndigt. In diesem Kapitel geht es also um die Analyse und Darstellung von innerschulischen Faktoren, die Schulabsentismus wesentlich - positiv wie ne- gativ - beeinflussen (kÇnnen). Wie es dazu kommt, dass Schulen oftmals kaum Anziehungskraft entwickeln, fÅr Erziehungsberechtigte wie SchÅler unattraktiv erscheinen und beispielsweise auch PÄdagogen den Ort Schule meiden, soll in diesem Kapitel aufgeschlÅsselt werden.
Auf Grundlage der bis hier erworbenen Erkenntnisse lassen sich in einem ab- schlieÉenden Kapitel die fÅr das Schulpersonal relevantesten PrÄventions- und InterventionsmaÉnahmen zusammenfassen. Hier wird also von der Annahme ausgegangen, dass der Ort Schule, inklusive Schulleitung und PÄdagogen, un- mittelbar und nachhaltig (unter Mithilfe von Partnern) ein regelmÄÉiges Schul- besuchsverhalten der SchÅler fÇrdern kann. Aspekte alternativer Beschulungs- einrichtungen finden hier allerdings keine ErwÄhnung, da es ja mittels PrÄven- tion und Intervention hauptsÄchlich um eine Vermeidung der Aussonderung geht. In welchen Bereichen man hier aktiv werden sollte, welche Dinge einer VerÄnderung bzw. Umgestaltung bedÅrfen und was generell zu tun ist, um SchÅler mit Meidungstendenzen sowie ihre Erziehungsberechtigten an den Wirkungsraum Schule zu binden, soll in diesem Kapitel dargestellt werden.
Zwecks einer besseren Lesbarkeit wird im Folgenden weiterhin die maskuline Form verwendet, die feminine Form ist stets mitzudenken.
2. Terminologie und relevante Merkmale
Anhand einer einfÅhrenden prÄzisierenden Auseinandersetzung mit dem Beg- riffsfeld des Schulabsentismus werden die relevanten Formen dieses PhÄno- mens dargestellt, differenziert und voneinander abgegrenzt. Ebenso sollen in diesem thematischen Einstieg die Charakteristika der verschiedenen Kategori- sierungen und Formen hinsichtlich ihrer Bedeutung fÅr die pÄdagogische Ar- beit eingeschÄtzt werden.
2.1 Definition
Der Terminus des Schulabsentismus umfasst generell alle Formen des uner- laubten Fernbleibens der Schule, welches im Volksmund gelÄufig generalisie- rend als SchulschwÄnzen bezeichnet wird (vgl. Stamm et al. 2009, S. 13ff; Ri- cking 2006, S. 23ff). Es gibt aber ebenfalls Autoren, die dem Begriff des Schu- labsentismus nicht nur die unerlaubten, sondern auch die erlaubten Formen des Fernbleibens unterordnen und so eine noch allgemeinere Auffassung und einen noch breiteren Kontext vertreten (vgl. z.B. Wagner 2007a, S.7). Laut Ricking beispielsweise existiert der Begriff des SchulschwÄnzens schon so lange wie die Schulpflicht selbst, wÄhrend der Begriff des Schulabsentismus eine termi- nologische Neufassung ist (vgl. Ricking 2006, S. 23). Verwendet man den in der wissenschaftlichen Diskussion gelÄufigen Begriff des Schulabsentismus, so ist zu beachten, dass sich hierunter verschiedene Formen des Fernbleibens ver- sammeln: Beispielsweise Schulverweigerung, der Nichtbesuch einzelner Un- terrichtsstunden, das ZurÅckhalten des Kindes durch das Elternhaus, das Feh- len bestimmter Tage und sogar das Aufhalten auf dem SchulgelÄnde wÄhrend der eigentlichen Unterrichtszeit (vgl. Stamm et al. 2009, S. 13ff). Auch zu be- achten ist, dass die Kategorie des Schulabsentismus als charakteristische „[…] physische Abwesenheit aus dem Wirkbereich Schule […]“ (Wittrock et al. 2009, S. 14) beschrieben wird, wÄhrend etwa Schulverweigerung nicht „[…] zwingend die kÇrperliche Abwesenheit der SchÅler/innen bedeutet“ (Stamm et al. 2009, S. 26). Zu letzterem kÇnnte man das weiter oben schon erwÄhnte Auf- halten auf dem SchulgelÄnde wÄhrend der Unterrichtszeit zÄhlen.
Dem Aspekt der eben genannten kÇrperlichen Anwesenheit wird auch von Mau Beachtung geschenkt, indem sie auf eine weitere Kategorisierung zurÅckgreift,die vier Formen unterscheidet: Form 1 steht fÅr das unauffÄllige oder auffÄllige Abwenden vom Unterricht (z.B. trÄumen, stÇren), Form 2 fÅr das gelegentliche unerlaubte Fernbleiben (z.B. einzelne Stunden fehlen, zu spÄt kommen), Form 3 beschreibt das regelmÄÉige unerlaubte Fernbleiben, wÄhrend bei Form 4 das vollstÄndige Fernbleiben (Totalausstieg, Dropout) charakteristisch ist (vgl. Mau 2008, S. 51).
Der Begriff des Schulabsentismus kann also als eine Art Oberbegriff fÅr das Fernbleiben von der Schule aus einem nicht gesetzlich genehmigten/ vorgeschriebenen Grund verstanden werden (vgl. Stamm et al. 2009, S. 17) und soll im Folgenden besser verstÄndlich gemacht und ergÄnzt werden.
2.2 Terminologische Heterogenität
Wie in der Einleitung schon angedeutet, ist Schulabsentismus kein monokausales, sondern ein multikausales PhÄnomen. Welcher AuslÇser letztendlich den Stuhl im Klassenzimmer unbesetzt bleiben lÄsst, ist meistens nicht auf eine einzige Ursache zurÅckzufÅhren und lÄsst sich auch nicht alleine dem individuellen Versagen des SchÅlers zuschreiben.
Da sich mehrere Disziplinen (PÄdagogik, SonderpÄdagogik, Psychologie, Psychiatrie, Soziologie, Kriminologie usw.) mit dem Bedingungskomplex des Schulabsentismus auseinandersetzen (vgl. Wagner 2007a, S. 9; Stamm et al. 2009, S. 35), ist es nur allzu gut nachzuvollziehen, dass eine gewisse terminologische HeterogenitÄt herrscht, bei der man leicht den Ñberblick verlieren kann. Genau diese HeterogenitÄt ist ebenfalls charakteristisch fÅr das PhÄnomen des Schulabsentismus als eine Kumulation von Bedingungen, die in ihrer KomplexitÄt nur schwer zu durchdringen ist.
Oehme & Franzke z.B. sprechen diesbezÅglich direkter von einer „Begriffs- konfusion“ (Oehme & Franzke 2002, S. 67), da vorwiegend die Psychologie frÅh versuchte, die Schulabwesenheit in Krankheitstypen einzuteilen und so einige Begriffe den anderen Disziplinen bereitstellte. Mittlerweile finden Be- griffe wie Schulabsentismus, Schulverweigerung, Schulschwänzen, Schulpho- bie, Schulversäumnis, Schulaversion, Schulvermeidung, Schulstreik, Schulmü- digkeit, Schulpflichtverletzung, Schulausstieg, Schulunlust, Unterrichtsabsenti- sums und Schulentzug hÄufig Verwendung (vgl. Ricking 2006, S. 25ff; Mau 2008, S. 15; GallschÅtz 2008, S. 153; Stamm et al. 2009, S. 25f), werden aber auch oftmals verwirrend synonym verwendet und tragen daher nicht unbedingt zu einem leichteren VerstÄndnis der komplexen UrsachenzusammenhÄnge bei. Ein weitgehender Konsens Åber Kategorien und Formen herrscht trotz alledem. Dunkake beispielsweise schlÄgt vor, zu allererst terminologische Klarheit zu schaffen, indem man die psychisch verursachten Krankheitsbilder (Schulangst und Schulphobie als Trennungsangst) als eigene Form des Schulabsentismus anerkennt (vgl. Dunkake 2007a, S. 22ff) und diese dem (oftmals aus soziologi- scher Perspektive beschriebenem) SchulschwÄnzen und dem ZurÅckhal- ten/Schulentzug durch die Erziehungsberechtigten gegenÅberstellt.
2.3 Formen und Kategorien des Schulabsentismus
Der Schulabsentismus lÄsst sich also demnach in zwei entscheidende Hauptka- tegorien einteilen: Das SchulschwÄnzen und die Schulverweigerung. Beim SchulschwÄnzen geht es um eine bewusste Auflehnung gegen die AutoritÄten, welche oftmals mit einer „Null-Bock-Einstellung“ und einer StÇrung des Sozi- alverhaltens einhergehen kann (vgl. ebenda; Schreiber-Kittl & SchrÇpfer 2002, S. 36ff). Dieses SchulschwÄnzen wird hÄufig (als Risikofaktor) mit delinquen- tem Verhalten, sprich mit kriminellen AktivitÄten, in Verbindung gebracht (vgl. z.B. Stamm et al. 2009, S. 20ff; Frings 2007, S. 201ff). Wenn von einer (erstmal undifferenzierten) Schulverweigerung die Rede ist, so handelt es sich um Kinder mit einer Verhaltensproblematik, die aufgrund einer (teils schweren) emotionalen StÇrung entstanden ist. Folgen kÇnnen psycho- somatische Beschwerden, AngststÇrungen und kognitive Ñberforderung sein (vgl. Stamm et al. 2009, S. 17ff).
Wittrock et al. beschreiben dies differenzierter und sprechen von drei Subtypen des Schulabsentismus (vgl. Wittrock et al. 2009, S. 14ff). Das SchulschwÄnzen bleibt nach wie vor als eigener Subtyp stehen und ist auch bei diesen AusfÅh- rungen durch eine Unlust gekennzeichnet. Jedoch wird die Schulverweigerung in zwei Subtypen geteilt, indem von einer angstinduzierten Schulverweigerung und dem ZurÅckhalten von Kindern durch Erwachsene (meist den Eltern) die Rede ist (vgl. ebenda). Diese Subtypen lassen sich jedoch nicht scharf vonein- ander abgrenzen. Es kann immer wieder Absenzen geben, die durch Mischfor-men von Subtypen gekennzeichnet sind. Ricking beispielsweise beschreibt, dass es SchÅler geben kann, die Anzeichen von beiden Subtypen vereinigen (vgl. Ricking 2006, S. 27ff). Dieser Sachverhalt macht es dann erst recht problematisch, interventiv sinnvoll und effektiv einzugreifen.
Ellinger und auch Schulze beschreiben eine weitere Kategorisierung, indem sie zwischen Schulabsentismus (1. Kategorie), Unterrichtsabsentismus (2. Katego- rie) und Unterrichtsverweigerung (3. Kategorie) differenzieren. Hier ist mit der ersten Kategorie erstmal der generelle Aufenthalt an einem Ort auÉerhalb der Schule bei bestehender Schulpflicht gemeint (z.B. SchulschwÄnzen, ZurÅck- gehaltenwerden durch die Eltern). Unter die zweite Kategorie (Unterrichtsab- sentismus) fÄllt beispielsweise das Verlassen des Raumes wÄhrend des Unter- richts oder das beabsichtigte extreme VerspÄten, wÄhrend mit der dritten Kate- gorie (Unterrichtsverweigerung) etwa das StÇren im Unterricht oder die be- wusste Abkehr vom Unterrichtsprozess gemeint ist (vgl. Ellinger 2008, S. 118; Schulze 2009, S. 137ff). Diese Kategorisierung ist entscheidend, da sie im Komplex des Schulabsentismus den fÅr den PÄdagogen2 so relevanten Aspekt der unterrichtsmeidenden Verhaltensmuster hervorhebt.
An dieser Stelle ist zu erwÄhnen, dass manche Autoren die medizinischen Termini verwenden, indem sie von den drei Syndromen SchulschwÄnzen, Schulangst und Schulphonie (als emotionale StÇrung mit Trennungsangst) re- den (vgl. z.B. Ricking 2006, S. 29ff; LÅders & Romer 2000, S. 138ff). Das angstinduzierte Schulvermeidungsverhalten wird hier also in Schulangst und Schulphobie unterschieden. Bei dieser Einteilung wird der Aspekt der ZurÅck- haltung durch die Eltern wenig berÅcksichtigt. Dies wird aber nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass bei besagtem Schulentzug durch die Eltern nicht die psychiatrischen Einrichtungen (wie etwa eine Kinder- und Jugendpsychatrie; Tagesklinik) in Form einer Ärztlich-psychiatrischen Intervention, sondern das Jugendamt/die Jugendhilfe und die SchulbehÇrde in der Verantwortung stehen.
2.4 Merkmale relevanter Formen des Schulabsentismus
Im Folgenden sollen nun wesentliche Merkmale der für diese Arbeit relevanten Formen Schulschwänzen, Schulverweigerung, Zurückhaltung durch das El- ternhaus und Ablehnung des Unterrichts trotz physischer Anwesenheit zusam- mengefasst werden. Diesen Formen kann eine gewisse Relevanz nicht abge- sprochen werden, da sie unmittelbar mit den Lebensbereichen Schule, Familie und Peers in Verbindung stehen und so auch für den Pädagogen relevant sind.
2.4.1 Schulschwänzen
Wittrock et al. beispielsweise beschreiben den Begriff des Schulschwänzens als die auf die Initiative des Schülers zurückgehenden unerlaubten Schulversäum- nisse, von denen die Erziehungsberechtigten oftmals keine Kenntnis haben. Diese Zeit verbringen die Schüler meistens mit für sie scheinbar angenehmeren Aktivitäten in einem Bereich, auf den die nichtwissenden Eltern keinen Ein- fluss haben (vgl. Wittrock et al. 2009, S. 14ff). Stadtparks, Einkaufsmeilen und Kaufhäuser sind beliebte Orte bei dieser Gruppierung von schulabsenten Kin- dern und Jugendlichen. Der Aspekt der angenehmeren Beschäftigung im au- ßerhäuslichen Bereich während dieser Form des Absentismus wird auch bei anderen Autoren als wichtiges Merkmal herausgestellt; ebenso wie die Eigen- initiative des Schülers (vgl. z.B. Ricking 2006, S. 37). Die unlustbetonte schu- lische Leistungssituation wird so beispielsweise durch mangelnde Gewissens- bildung vermieden. Jedoch wird die unerlaubte Freizeit nicht immer als ange- nehm und positiv empfunden. Schüler berichten in diesem Zusammenhang, dass sie sich langweilen und eigentlich nur darauf warten, sich wieder in die normale Tagesstruktur eingliedern zu können, was mit dem regulären Schul- schluss möglich ist (vgl. Schreiber-Kittl & Schröpfer 2002, S. 179). Die Zeit wird somit nur überbrückt.
Der Ort Schule verliert in den Augen dieser Schüler jegliche Attraktivität und teilweise empfinden die Schulschwänzer eine tiefe Abneigung gegenüber die- sem Ort. Die negative Lage der Schüler ist oftmals gekennzeichnet durch Prob- leme mit Lehrern und/oder Schülern, Klassenwiederholungen, schlechte Noten, geringe soziale Akzeptanz und Langeweile im Unterricht (vgl. Wittrock et al. 2009, S. 15ff). Etwas allgemeiner formuliert bedeutet dies, dass Schulschwän-zer Leistungskontrollen meiden, wenig Anerkennung in der Schule bekommen und Ziele verfolgen, die sie fÅr sich nur auÉerhalb des Orts Schule verwirkli- chen kÇnnen (vgl. Wagner 2007b, S. 239). Demnach lÄsst sich SchulschwÄnzen als ein subjektiv rational bzw. lohnend empfundenes Handeln beschreiben, welches natÅrlich trotzdem unter die Kategorie des abweichenden Verhaltens fÄllt. Die SchÅler wÄgen Kosten und Nutzen des Schulbesuchs gegenÅber al- ternativen Handlungen wie Treffen mit Freunden oder Nebenjobs ab. Un- tersteigen die Nutzen des Schulbesuchs einen bestimmten wahrgenommen Wert, wird der Schulbesuch logischerweise vermieden (vgl. ebenda, S. 245). WÄhrend also durch das Aufsuchen des Attraktiven eine kurzfristige Erleichte- rung eintritt, wird die Gewissheit um Folgeschwierigkeiten meist billigend in Kauf genommen (vgl. Ricking 2006, S. 42).
Aus medizinisch-psychiatrischer Sicht betrachtet wird SchulschwÄnzen als „dissoziale, externalisierende StÇrung“ (ebenda, S. 37) verstanden, die oftmals in engem Zusammenhang mit der ZugehÇrigkeit in einer (delinquenten) Gleichaltrigengruppe steht (vgl. ebenda.). Dissoziale StÇrungen lassen sich in der Kategorie der VerhaltensstÇrungen, sprich bei den StÇrungen des Sozial- verhaltens, finden3. Wittrock et al. weisen darauf hin, dass der Einfluss der Peers grÇÉer ist als zunÄchst angenommen wurde (vgl. Wittrock et al. 2009, S. 15ff). Diese Peers bieten einen Schutzraum, der dem Einzelnen Halt und Ak- zeptanz vermittelt und in welchem man mit Gleichgesinnten die Zeit verbringt. Die Peers als Wirkungsraum kÇnnen einen sehr stabilen Einfluss auf schul- schwÄnzende SchÅler haben und auch mitunter dafÅr sorgen, dass die Schul- schwÄnzer Åber einen sehr langen Zeitraum eine absolut wiedereingliederungs- resistente Haltung annehmen.
Als weitere Merkmale dieser Form des Absentismus gelten generell aggressive Verhaltensmuster bei den SchulschwÄnzern; und was die familiÄre Erziehung angeht, so tendiert diese oftmals zu Mangel an Aufsicht und UnterstÅtzung. Passend zu letzterem Aspekt ist die Tatsache, dass die Familien der Betroffe- nen hÄufig einen niedrigen sozioÇkonomischen Status haben, ebenso wie die Tatsache, dass manche Erziehungsberechtigte dem Schulbesuch ihrer Kinder keine besondere Bedeutung beimessen, da andere Dinge (wie etwa eine finan- zielle Notlage) eine viel existenziellere Rolle spielen (vgl. Wittrock et al. 2009, S. 15ff). Dies stellt zwar keinesfalls die Regel dar, jedoch haben es dann die betreffenden Heranwachsenden besonders schwer, da sich bei ihnen eine Ent- scheidung zwischen Schule und Arbeit aufdrÄngen kann. Insbesondere die SchÅler aus benachteiligten Familien mit geringen Bildungsambitionen haben oftmals keine Energie fÅr schulisches Lernen Åbrig, wenn sie gleichzeitig einen individuellen finanziellen Wohlstand (und damit eine gewisse UnabhÄngigkeit) anstreben und dementsprechend einem (Neben-)Job PrioritÄt beimessen (vgl. ebenda, S. 25).
Spricht man von dem Zusammenhang zwischen SchulschwÄnzen und Delin- quenz, so wird SchulschwÄnzen allgemein als „Einstiegsproblematik“ und „Vorstufe“ (Ricking 2006, S.47) zur jugendlichen KriminalitÄt gesehen. Das SchulschwÄnzen als Vorstufe aber wird in Deutschland im Sinne einer Ord- nungswidrigkeit als normabweichendes Verhalten definiert und eher als Ver- nachlÄssigung der elterlichen Erziehungspflicht angesehen, wÄhrend die oft- mals daraus resultierenden kriminellen Verhaltenweisen (Diebstahl, Vandalis- mus usw.) wiederum als normale GesetzesÅbertretungen geahndet werden (vgl. Ricking 2006, S. 46f). Vergleichsweise dazu fÄllt in den USA schon das Schul- schwÄnzen an sich als strafrechtlicher Tatbestand unter das Jugendstrafrecht und wird auch dementsprechend sanktioniert (vgl. Stamm et al. 2009, S. 20).
2.4.2 Schulverweigerung
„Schulabsentismus im Rahmen emotionaler StÇrungen bezeichnet ein kinderund jugendpsychiatrisches Syndrom, welches entweder ambulant oder bei Verfestigung der Symptomatik teilstationÄr oder stationÄr behandelt werden kann“ (LÅders & Romer 2000, S. 137).
Dies beschreibt den allgemeinen Aspekt der chronisch-neurotischen Form der Schulverweigerung sehr treffend. Mit „chronisch-neurotisch“ ist hier eine Form der lang andauernden, emotionalen StÇrung gemeint. WeiÉ man, dass sich das Kind/der Jugendliche mit dem Wissen der Erziehungsberechtigten (wÄhrend der eigentlichen Schulzeit) Åberwiegend zuhause aufhÄlt, kann von eben dieser angstinduzierten Schulverweigerung ausgegangen werden. Somit wird diese Form entscheidend von der Form des (dissozialen) SchulschwÄnzens abgegrenzt (vgl. LÅders & Romer 2000, S. 138ff).
WÄhrend beim SchulschwÄnzen Unlust und Auflehnung gegen die AutoritÄten kennzeichnend sind, sind es bei der Schulverweigerung die ângste und depres- siven VerÄnderungen des Befindens, die fÅr die Vermeidung des Orts Schule den Ausschlag geben (vgl. z.B. Schreiber-Kittl & SchrÇpfer 2002, S. 34ff). Laut Wittrock et al. ist „Angst […] eine Reaktion auf eine subjektiv erlebte Bedrohung, die in der Folge oft vermieden wird“ (vgl. Wittrock et al. 2009, S. 16). Somit erscheint es als logisch, dass die Betroffenen gehemmt wirken und RÅckzugsverhalten zeigen. Besonders in der schulischen Situation sind die Betroffenen eher unauffÄllig, sensibel und angepasst (vgl. Ricking 2006, S. 54). LÅders & Romer beschreiben Angst als einen Grundbestandteil eines je- den Lebewesens mit einer entscheidenden Schutzfunktion (vgl. LÅders & Ro- mer 2000, S. 141). Oftmals ist die Angstempfindung aber so stark, dass sie einen Kontrollverlust zur Folge hat und nicht mehr in sinnvolles Handeln in- tegriert werden kann (vgl. ebenda).
Die in den vorangegangenen AbsÄtzen beschriebene Angst lÄsst sich termino- logisch in Schulangst und Schulphobie unterscheiden. Beiden gemein ist, dass die SchÅler aufgrund eines inneren Angsterlebens und eines ernstzunehmenden Angstzustands die Schule und vor allem den Unterricht nicht besuchen kÇnnen, obwohl sie es zuweilen anstreben. Besteht dann, beispielsweise durch die El- tern, der Zwang, den Schulgang anzutreten, kann es zu emotionalen AusbrÅ- chen kommen, bei denen der SchÅler dann jeden Zugang verwehrt und die El- tern hilflos zurÅck lÄsst (vgl. Wittrock et al. 2009, S. 16). Aus dieser zwanghaf- ten UnfÄhigkeit zum Schulbesuch heraus ergeben sich ebenfalls oftmals psy- chosomatische Beschwerden bei den SchÅlern. KÇrperliche Beschwerden wie Ñbelkeit, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen usw. sind somit faktisch vorhan- den, haben aber eben keine organische, sondern eine psychische Ursache. Auch ist obligat, dass die kÇrperlichen Symptome wÄhrend der Schulferien oder am Wochenende vÇllig verschwinden kÇnnen (vgl. Ricking 2006, S. 54).
2.4.2.1 Schulangst
Bei der Schulangst handelt es sich um leistungsthematische sowie sozialthema- tische Ängste (vgl. Lüders & Romer 2000, S. 138ff). Für manche Schüler ist die Zeit in der Schule gleichzusetzen mit einer Zeit der andauernden Überfor- derung. Aufgrund dieser Tatsache wird dann eine Vermeidungsstrategie entwi- ckelt, der oftmals die aus der Überforderung resultierenden Versagensängste zugrunde liegen. Diese Überforderung muss nicht zwangsweise eine Intelli- genzminderung als Ursache haben, sondern kann ebenfalls aus einem abnor- men Perfektionsanspruch resultieren, mit dem sich die Betroffenen einem ex- tremen Leistungsdruck aussetzen, obwohl die erbrachten Leistungen den schu- lischen Anforderungen entsprechen (vgl. Ricking 2006, S. 54f).
Es kann sich (neben einer leistungsbezogenen, kognitiven Überforderung) durchaus auch um eine Überforderung im Bereich der sozialen Kompetenz handeln. D.h., dass beispielsweise schon soziale Situationen wie das Fahren mit dem Schulbus oder der Aufenthalt auf dem Pausenhof vermieden werden. Laut Lüders & Romer, die einen diagnostischen Blickwinkel haben, ist aber bei einer vermuteten Schulangst eine Intelligenz- bzw. Teilleistungsdiagnostik unumgänglich, da auch eine lang übersehene Teilleistungsschwäche oder all- gemeine kognitive Defizite die Ursache sein könnten. Diese könnten dann ge- gebenenfalls als Ursache der ganzen Problematik ausgeschlossen werden (vgl. Lüders & Romer 2000, S. 138ff). Auch kann das Ergebnis einer Diagnostik helfen, eine begabungsadäquatere Beschulung anzustreben, falls ein Schulort- wechsel als sinnvoll erscheint.
Aber nicht nur von Leistungskontrollen, Lehrerkonfrontationen, Referaten und alltäglichen (scheinbar banalen) sozialen Situationen gehen für diese Schüler Bedrohungsreize aus. Schulangst kann auch aus Mobbing, Erpressung, Ge- waltandrohung und/oder subjektiv erlebtes Schickanieren (auch durch Lehrper- sonen) resultieren (vgl. z.B. Wittrock et al. 2009, S. 17). Oftmals wird sich der Schule nicht einmal genähert, um so Kränkungen und Demütigungen in jedem Fall ausschließen zu können.
2.4.2.2 Schulphobie
Bei der Schulphobie handelt es sich um eine eigentliche Trennungsangst. Laut ICD-10 (F93.0) ist dies eine „emotionale StÇrung mit Trennungsangst des Kin- desalters“, bei der das Kind vorwiegend eine massive Furcht besitzt, den Hauptbezugspersonen (meistens der Mutter) kÇnnte in Abwesenheit etwas zu- stoÉen. Es besteht also eine faktisch vorhandene, aber unangemessene Furcht, dass Hauptbezugspersonen ein UnglÅck geschieht, dass sie nicht wiederkom- men und/oder gar sterben. Zum Zeitpunkt wÄhrend, unmittelbar vor und nach der Trennung sind die Ausdrucksformen dieser Symptomatik am stÄrksten aus- geprÄgt (vgl. Ricking 2006, S.51ff).
Daraus resultierend ergibt sich logischerweise oft eine andauernde Abneigung gegen den Schulbesuch, jedoch fungiert die Angst vor dem Ort Schule nicht als zentrales Element, da der Trennungsaspekt bei dieser Form der Schulverweige- rung deutlich im Vordergrund steht. Das unbewusste Problem fÅr das Kind liegt also nicht in der Schule, sondern in der bevorstehenden Trennung von zuhause, was auf einen nicht intakten familiÄren Bindungs- und Beziehungs- kontext (des Kindes) schlieÉen lÄsst. Hierbei wird das Elternverhalten als Åber- behÅtend und parentifizierend4 beschrieben (vgl. LÅders & Romer 2000, S. 141f).
Laut LÅders & Romer haben sich folgende Merkmale dieser Form der Verweigerung als persistent herausgestellt:
- „Das Kind bleibt mit dem Wissen der Eltern zuhause (Ähnlich wie bei der Schulangst).
- Es findet sich kein schwerwiegendes antisoziales Verhalten.
- Die Eltern unternehmen glaubwÅrdige Anstrengungen, den Schulbe- such ihres Kindes zu sichern.
- Die Probleme des Kindes fÅhren meist in eine andauernde Schulver- weigerung.
- Das Kind zeigt schwere emotionale StÇrungen, die durch Symptome wie extreme ângstlichkeit, depressive Verstimmungen und Stim- mungsschwankungen sowie kÇrperliche Beschwerden ohne organische Ursache gekennzeichnet sind. Diese Symptome treten hÄufig gerade dann auf, wenn das Kind mit der Forderung konfrontiert wird, die Schule zu besuchen.
- Das Kind zeigt keine bedeutsamen Schulleistungsschwierigkeiten“ (LÅders & Romer 2000, S. 139f).
Trotz der Tatsache, dass sich kein schwerwiegendes antisoziales Verhalten finden lÄsst, zeigen die betreffenden Kinder EntwicklungsrÅckstÄnde in ihren sozialen Kompetenzen, da die NÄhe der Hauptbezugsperson stets der Gemein- schaft mit den Peers bevorzugt wird (vgl. Ricking 2006, S. 55). Einsamkeit trotz bzw. gerade wegen behÅtender FamilienverhÄltnisse ist oftmals die Folge (vgl. ebenda). Unternehmen die Eltern (meist die Mutter) keine Anstrengun- gen, den Schulbesuch des Kindes zu sichern, sondern verstÄrken das Zuhause- bleiben des Kindes regelrecht, da sie selbst mit (Verlust-) ângsten (auch de- pressiven StÇrungen) zu kÄmpfen haben, dramatisiert dies die Problematik er- heblich (vgl. ebenda, S. 58f).
Man unterscheidet bei diesen schulphobischen Kindern zwischen denen, die ein spezielles Trennungstrauma oder ein anderes psychisches Trauma erlitten haben, aber aus insgesamt stabilen Familien hinsichtlich der Angstsymptoma- tik kommen und denen, die in eine angstgeprÄgte Familienstruktur hineingebo- ren wurden. Beiden gemeinsam ist die negative Prognose hinsichtlich des Krankheitsverlaufs. Nicht selten weisen die Kinder auch nach einer Interventi- on und Therapie soziale und neurotische StÇrungen auf (vgl. LÅders & Romer 2000, S. 143).
2.4.3 Zurückhalten der Schüler durch Erziehungsberechtigte
Es gibt eine Gruppe von SchÅlern, bei denen das schulische Fernbleiben nicht auf Eigeninitiative beruht, sondern die (teils gegen ihren Willen) von Erzie- hungsberechtigten5 vom Schulbesuch abgehalten werden. Dieser Problematik wird in der einschlägigen Literatur zwar eine gewisse Bedeutung beigemessen, jedoch wird die Zahl der vom Schulbesuch Zurückgehaltenen vermutlich weit unterschätzt (vgl. Wittrock et al. 2009, S. 18; Schreiber-Kittl & Schröpfer 2002, S. 36). Während des Schulentzugs verletzen die Erziehungsberechtigten also wissentlich die Schulpflicht, und auch die schulische Abwesenheit des Schülers kann nicht mehr unter der Kategorie Schulverweigerung oder Schul- schwänzen geführt werden, da sie ja mit Einverständnis und auf Betreiben der Erziehungsberechtigten geschieht (vgl. Ricking 2006, S. 62ff).
Gründe bzw. Motive für den Schulentzug gibt es für die Erziehungsberechtigten viele, so dass die betreffenden Schüler oftmals nur das resultierende Zurückgehaltenwerden als Konstante gemeinsam haben. Bleiben die Schüler, durch die Initiative der Erziehungsberechtigten, vor und/oder nach den Schulferien der Schule fern, so dass die schulabsente Zeit illegal verlängert wird, kann man ebenfalls von Zurückhalten sprechen.
Schwerwiegender wird es allerdings, wenn Erziehungsberechtigte selbst eine grundsätzlich aversive Haltung gegenüber Schule haben. Diese wird dann durch Gleichgültigkeit und Nichtrespektierung der Schulpflicht zum Ausdruck gebracht (vgl. Dunkake 2007a, S. 24f; Ricking 2006, S. 63ff). Oftmals sind es kulturelle Motive und Differenzen, die den betreffenden Schü- lern grundlegende Bildungschancen rauben. Halten beispielsweise Eltern eines türkischen Mädchens die Schulpflicht für unangemessen lang oder sind der Ansicht, dass ihre Tochter den Fokus nicht auf den Bildungserwerb, sondern auf den familiären Haushalt legen sollte, so stellt sich ein Umgang damit (von schulischer Seite aus) als ausgesprochen schwierig dar (vgl. ebenda). Erschwe- rend kommt dazu, dass die Zurückgehaltenen oftmals das schulische Fernblei- ben als rechtmäßig und legitim erachten, da es ja nicht auf Selbstverschulden, sondern auf Initiative der Erziehungsberechtigten beruht.
Auch die niedrige ökonomische Situation vieler Familien veranlasst betroffene Erziehungsberechtigte dazu, Schulpflichtige beispielsweise mit der Aufsicht jüngerer Geschwister oder mit einem Beitrag zum Familieneinkommen zu be- auftragen, was subjektiv betrachtet sicherlich als sinnvoll erscheint, da Exis- tenz und Lebensraum der Familie gesichert werden will. Schüler müssen so beispielsweise vormittags arbeiten und Familieneinkäufe erledigen (vgl. Witt- rock et a. 2009, S. 18). Auch ein religiöses Motiv, wie etwa die Ansicht, dass
Biologie- und Religionsunterricht nicht vereinbar mit der eigenen Ideologie und den eigenen Wertevorstellungen sind, kann zum Schulentzug und zu einer grundlegend ablehnenden Haltung gegenÅber der Institution Schule fÅhren. Will man dann interventiv mit den Erziehungsberechtigten eine VerhaltensÄn- derung herbeifÅhren, kann es schon an sprachlichen Barrieren scheitern. Aber nicht nur Erziehungsberechtigte mit Migrationshintergrund verweigern ihren Kindern den Schulbesuch. FÄlle, in denen SchÅler vom Ort Schule fern- gehalten werden, weil die Familie einer Sekte zugehÇrig ist oder weil Anzei- chen von Verwahrlosung und physischer Misshandlung verdeckt bleiben sol- len, sind nicht zu vernachlÄssigen (vgl. Dunkake 2007a, S. 25; Ricking 2006, S. 64).
2.4.4 Ablehnung des Unterrichts trotz physischer Anwesenheit
Unter dieser Form versteht man unterrichtsaversive Verhaltensmuster, die in der Literatur als Unterrichtsabsentismus und/oder Unterrichtsverweigerung bezeichnet werden (vgl. Wittrock et al. 2009, S. 18f; Ellinger 2008, S. 118). Was diese Form der Ablehnung so besonders macht, ist die Tatsache, dass sich die betreffenden SchÅler den Raum Schule als sozialen Kontakt- und Kommu- nikationsraum erhalten, jedoch das Interesse an Wissenszuwachs und Lernzie- len verloren haben. Diese SchÅler suchen also die Schule auf, aber nicht oder nur bedingt den Unterricht (vgl. Schulze & Wittrock 2004, S. 34f). Dement- sprechend verweigern sie sich dem Unterrichtsprozess, indem sie stÇrend, kontraproduktiv oder manifest nichtbeteiligend den Unterrichtsstunden bei- wohnen oder sich durch absichtliches ZuspÄtkommen oder Verlassen des Un- terrichts im SchulgebÄude oder auf dem SchulgelÄnde aufhalten (vgl. ebenda; Wittrock et al. 2009, S. 18f; Ellinger 2008, S. 118).
Besonders hier sehen sich die PÄdagogen um ihre LehrmÇglichkeiten gebracht, da sich diese Form eines „Unterrichtsboykotts vor Ort“, im Gegensatz zu der Form des SchulschwÄnzens, unmittelbar auf den Unterrichtsprozess auswirkt. Nicht selten wird da auf PÄdagogenseite der teilweise nachvollziehbare, aber fatale Wunsch nach Absentisten gehegt, die gar nicht erst in ihrer „StÇrenfried- Manier“ die Schule betreten. Schulze & Wittrock stellen fest, dass diese Ablehnung des Unterrichts trotz physischer Anwesenheit ein wenig beachtetes PhÄnomen darstellt und auch in der Literatur vernachlÄssigt wurde, obwohl sie im schulischen Alltag von gro- Éer Bedeutung ist (vgl. Schulze & Wittrock 2004, S. 34ff). Des Weiteren ap- pellieren sie dafÅr, dass dieser Unterrichtsabsentimus als Gefahrensignal fÅr eine weitere, gÄnzlich physische Abwesenheit aus dem Bereich der Schule ver- standen werden muss, was bedeutet, dass die SchÅler dann aufgrund der wach- senden Distanz immer weniger greifbar werden (vgl. ebenda).
2.5 Bilanz
Durch die Darstellung der HeterogenitÄt des Begriffs und der facettenreichen Formen von Schulabsentismus wird deutlich, dass es zunÄchst sinnvoll ist, hier eine Abgrenzung vorzunehmen. Verschiedene Disziplinen waren in der Ver- gangenheit darum bemÅht, das PhÄnomen Schulabsentismus zu kategorisieren, zu klassifizieren und in seinen vielfÄltigen AusprÄgungsformen zu beschreiben. Am hÄufigsten vertreten in der fÅr diese Arbeit relevanten Literatur ist die kin- der- und jugendpsychiatrische Unterteilung in StÇrungsformen, in der man dem klassischen SchulschwÄnzen die Schulverweigerung (Schulangst, Schulphobie/ Trennungsangst) gegenÅberstellt. FÅr den PÄdagogen im schulischen Wir- kungsraum haben die Ärztlich-psychiatrischen Herangehensweisen wenig Nut- zen. Sie verleiten eher dazu, so Ricking, das SchulschwÄnzen und die Schul- verweigerung einer dissozialen bzw. emotionalen StÇrung zu zuschreiben (vgl. Ricking 2000, S. 301f). Die notwendige Erkenntnis, dass auch der schulische Raum wesentlich zu Meidungsverhalten beitragen und dieses beeinflussen kann, rÅckt somit in weite Ferne. FÅr den pÄdagogischen Umgang mit Mei- dungstendenzen und -verhalten ist daher eine ErgÄnzung durch die Form der Ablehnung des Unterrichts trotz physischer Anwesenheit unumgÄnglich, so dass der Blick auf die vielfÄltigen schulischen EinflussmÇglichkeiten bezÅglich Ab- und Anwesenheit gelenkt werden kann. Nicht auÉer Acht zu lassen ist der Schulentzug durch das Elternhaus sowie die Mischformen, welche durch die immer komplexer werdende Lebenswelt der Heranwachsenden hÄufiger auftre- ten.
In dieser Arbeit soll demnach Schulabsentismus als die Summe schul- und un- terrichtsmeidender Verhaltensmuster bzw. kurz: Meidungsverhalten verstanden werden. Allgemeiner gefasst lässt sich dieses Verhalten aufgrund des unkon- ventionellen Charakters zur Form des abweichenden Verhaltens zählen, wel- ches aber wohl bemerkt im Verhaltensrepertoire so vieler Schüler zu finden ist, dass vereinzeltes oder seltenes Auftreten keine negativen Folgen nach sich zieht. Tritt dieses Verhalten jedoch massiv auf, kann es gravierende Gefähr- dungen zur Folge haben und muss daher als problematisch eingestuft werden (vgl. Ricking 2006, S. 35).
3. Theoretische Erklärungsansätze
Anhand einiger für Schulabsentismus grundlegender Zugänge wird dargestellt, mit welchen verschiedenen theoretischen Erklärungsmustern man sich der Ent- stehung und Verfestigung von Meidungsverhalten annähern kann. Die Ansätze sollen hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit für die pädagogische Arbeit und den schulischen Alltag eingeschätzt werden. Einer der Erklärungsansätze soll an- schließend aufgrund einer hohen Eignung und einer für diese Arbeit angemes- senen Zugangsweise die Basis und Richtung für das weitere Vorgehen berei- ten.
3.1 Merkmale wichtigster Ansätze
Da massives Meidungsverhalten gegen soziale Normen und vor allem die Schulpflicht verstößt, kann es allgemein als abweichendes Verhalten, also als Merkmal einer Verhaltensstörung, bezeichnet werden, welche wiederum laut Myschker folgendermaßen definiert werden kann:
„VerhaltensstÅrung ist ein von den zeit- und kulturspezifischen Erwartungs- normen abweichendes […] Verhalten, dass organogen und/oder milieureaktiv bedingt ist, wegen der MehrdimensionalitÉt, der HÉufigkeit und des Schwere- grades die Entwicklungs-, Lern- und ArbeitsfÉhigkeit sowie das Interaktionsge- schehen in der Umwelt beeintrÉchtigt und ohne pÉdagogisch-therapeutische
[...]
1 Die hierfÅr gÄngigen deutschsprachigen Begriffe „Gleichaltrigengruppe“ oder „Gleichaltrige“ kÇnnen als etwas irrefÅhrend bezeichnet werden, da nicht jeder Gleichaltrige automatisch ein Peer ist. Peers sind in etwa gleichaltrige, gleichgestellte Interaktions- und Kommunikations- partner, die sich gegenseitig als solche akzeptieren und dementsprechend bei Planung und DurchfÅhrung von AktivitÄten aufeinander eingehen (vgl. Samjeske 2007, S. 177f).
2 In dieser Arbeit findet an Stelle des „Lehrers“ der Begriff des PÄdagogen Verwendung. Dieser Begriff umfasst hierbei allgemein alle Personen, die sich im schulischen Wirkungsraum mit der Erziehung und Bildung von schulpflichtigen Heranwachsenden auf einer professionellen Ebene auseinandersetzen. Somit sind nicht nur gewÇhnliche Fachlehrer, sondern beispielsweise auch Sozialarbeiter, Schulpsychologen und die Schulleitung inkludiert. Taucht der Begriff des Lehrers dennoch auf, dann nur, um die eigentliche Aussage fremder Gedanken (bei Zitaten und Gedankenentlehnungen) nicht zu verfÄlschen.
3 Laut ICD 10 (F91.2) [Version 2006] spricht man in diesem Fall genauer von einer „StÇrung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen“. Diese StÇrung umfasst andauern- des dissoziales oder aggressives Verhalten und wird mit Begriffen wie Gruppendelinquenz, Gemeinsamem Stehlen, SchulschwÄnzen und/oder Bandenmitgliedschaft in Verbindung ge- bracht.
4 „Parentifiziert“ (aus dem engl.: „Parents“ fÅr „Eltern“) meint, dass das Kind wie ein Erwachsener behandelt wird. D.h., dass die Eltern ihre Funktion nur unzureichend erfÅllen und dem Kind eine niemals kindgerechte, Åberfordernde Rolle zuweisen, die psychodynamisch gesehen lang andauernde Folgen fÅr das betroffene Kind haben kann.
5 In der fÅr diese Arbeit verwendeten Literatur werden die Hauptbezugspersonen, was diese Form des Schulabsentismus angeht, nicht mehr vorwiegend als Eltern, sondern Åberwiegend als Erziehungsberechtigte bezeichnet. Dies sind zwar meistens die Eltern im klassischen Sinne, jedoch lassen sich die Personen, die Inhaber des grundgesetzlich definierten Erziehungsrechts, bzw. der -pflicht sind, mit dem Begriff der Erziehungsberechtigten treffender umschreiben. Daher soll dieser ab hier die „Eltern“ ersetzen.
- Citation du texte
- Florian Stüdemann (Auteur), 2009, Schulabsentismus - Aspekte der individuellen und institutionellen Fehlentwicklung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/158628
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