Der Kampf gegen den Terrorismus wird in den Medien auf wenige Köpfe reduziert. Wie das System dahinter funktioniert, ist dagegen nur selten Thema von Talkshows und „Experteninterviews“. Deshalb werde ich in dieser Arbeit das manchmal Wenige zusammentragen, was man über die Struktur und die Funktionsweisen internationaler terroristischer Organisationen weiß. Die zentrale Frage könnte also lauten: Wie funktioniert eine terroristische Organisation? Sie soll in dieser Arbeit in erster Annäherung beantwortet werden.
Inhalt
1. Einleitung
2. Die Internationalisierung des Terrors
3. Terroristische Organisationen
3.1 Die organisatorische Dynamik terroristischer Gruppen
3.2 Zufluchtsorte terroristischer Organisationen
3.3 Funktionsweisen terroristischer Organisationen
3.4 Wirkungsradius und der „zu interessierende Dritte“
3.5 Exkurs – religiös-fundamentalistischer Terrorismus
4. Terroristen: Ausführende des Terrors
5. Abschließende Betrachtung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
,,Es ist die Pflicht jedes Muslim, Amerikaner und ihre Alliierten, sowohl Militärs als auch Zivilisten, wo immer auch möglich, zu töten. Dies gilt so lange, bis die Aksa-Moschee (in Jerusalem) und die Haram-Moschee (in Mekka) aus ihrem Würgegriff befreit sind und bis die amerikanischen Armeen geschlagen von allen Ländern des Islam abziehen, unfähig, einen Muslim zu bedrohen.“[1]
23. Februar 1998, die Welt-Islam-Front für den Djihad gegen die Juden und die Kreuzzügler
Wenn die Amerikaner gewusst hätten, dass der Sohn des wohlhabenden, südjemenitischen Bauunternehmers einmal solche Sätze sprechen würde, hätten sie ihn und die Taliban wohl nicht in Afghanistan unterstützt. Aber er sprach sie. Und ca. 3 Jahre später sollte er für den furchtbarsten Terroranschlag, den die Welt je gesehen hat, verantwortlich gemacht werden. Mittlerweile ist er nicht nur der meistgesuchteste Mann dieser Erde. Er ist eine Ikone, den Teenager in der arabischen Welt auf dem T-Shirt tragen, den sie sich als ihr Vorbild ausgesucht haben. Manch einer behauptet, dass manichäische Weltbild und der ausgeprägte Messianismus (das Sendungsbewusstsein) seien Maximen, die sich nicht nur Osama bin Laden auf die Fahnen geschrieben hat.
Der Kampf gegen den Terrorismus wird in den Medien auf wenige Köpfe reduziert. Wie das System dahinter funktioniert, ist dagegen nur selten Thema von Talkshows und „Experteninterviews“. Deshalb werde ich in dieser Arbeit das manchmal Wenige zusammentragen, was man über die Struktur und die Funktionsweisen internationaler terroristischer Organisationen weiß. Die zentrale Frage könnte also lauten: Wie funktioniert eine terroristische Organisation?
Um diese Frage zu beantworten, werde ich wie folgt vorgehen:
Zunächst soll geklärt werden, warum der Terrorismus außer Landes gegangen ist. Da es sich um ein internationales Phänomen handelt, ist es wichtig zu wissen, wie er zu einem solchen wurde.
Dann werde ich auf den Schwerpunkt dieser Arbeit zu sprechen kommen: den terroristischen Organisationen. Zuerst werden der Entstehungsprozess und die Lebensdauer einer solchen Organisation behandelt. Dann muss man auf die Staaten zu sprechen kommen, die diese Organisationen fördern. Diese beiden Punkte hängen eng zusammen, denn wenn die Organisation Ressourcen wie ein „Rückzugsland“ besitzt, kann sie auch in größerem Stil agieren. Die wichtige Frage, wie die organisatorischen Strukturen funktionieren, werde ich dann im Abschnitt 3.3 erläutern. Schließlich folgt noch, wem gegenüber die Organisationen verpflichtet sind und wo und warum ihre Aktionen am meisten ausrichten. Wegen der
hohen Aktualität werde ich außerdem auf den religiös motivierten Terrorismus in einem kleinen Exkurs zu sprechen kommen.
Terroristische Organisationen bestehen zwar nicht nur, aber doch zum größten Teil aus Terroristen. Deshalb werde ich im Gliederungspunkt 4 die „Karriere“ eines Terroristen untersuchen. Im Mittelpunkt steht hierbei die Frage, warum jemand diesen Weg wählt.
In der abschließenden Betrachtung werde ich die Ergebnisse dann noch einmal kurz zusammenfassen. Ich beginne also mit der Internationalisierung des Terrorismus:
2. Die Internationalisierung des Terrors
Terrorismus war und ist eine Strategie der Einschüchterung. Die terroristische Gewalt allein führt nicht zur Erreichung der wie auch immer gearteten Ziele der Terroristen. Die Gewalt ist das Symbol, welches später entsprechend in Szene gesetzt werden muss. Zum Ziel, so hoffen offenbar die Terroristen, führen nicht zuletzt die psychischen Effekte (wie Angst und Schrecken), die die Funktionsträger zum einlenken bewegen sollen. Das Kalkül: je mehr sich ein Anschlag der Aufmerksamkeit der (Welt-) Bevölkerung sicher sein kann, desto größer ist auch sein Effekt. Um zu erreichen, dass auch kleinere Aktionen einen unverhältnismäßig großen Nachhall bekommen, „müssen die terroristischen Aktionen freilich so geplant sein, dass sie kommunikationsstrategisch maximale Effekte erzielen.“[2]
Am 22. Juli 1968 kam es zum ersten Auftauchen des „modernen internationalen Terrorismus“.[3] Die „kommunikationsstrategisch maximalen Effekte“ immer im Blick, wurde ein israelisches El-Al-Verkehrsflugzeug auf dem Weg von Rom nach Tel Aviv von palästinensischen Terroristen gekapert. Die Geiseln sollten gegen in Israel inhaftierte Kollegen eingetauscht werden. Das Flugzeug diente nicht ausschließlich – wie bis dahin bei Terroristen üblich – zur Flucht, sondern vor allem als Symbol des israelischen Staates, der nun gezwungen war, mit der „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (die später mit anderen Organisationen in der PLO aufging) direkt zu sprechen. Dies hatte die israelische Regierung bis zu diesem Zeitpunkt strikt abgelehnt. Doch nun waren Unschuldige betroffen und die Regierung unter Zugzwang, wofür sich die Medien natürlich sehr interessierten. Dem Palästinenserproblem wurde auf einmal eine ungeahnte Aufmerksamkeit zuteil, die bei den gebetsmühlenartigen Plädoyers vor den Vereinten Nationen 20 Jahre lang nicht annähernd erreicht wurde. So äußerte sich zumindest Zehdi Labib Terzi, damaliger Leiter der PLO-Delegation mit Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen in einem Interview.[4]
In der Nachkriegszeit gab es zwar auch viele international orientierte, anti-koloniale Terroristen, aber mit der El-Al-Entführung kam es zu einem Paradigmen-Wechsel: begüns-
tigt durch die technische Entwicklung reisten Terroristen nun durch die Weltgeschichte, um Anschläge gegen Menschen durchzuführen, die meist nicht das Geringste mit den Problemen der Angreifer zu tun hatten. Sehr schnell wurde ihnen klar, „dass Operationen, die in anderen als ihren eigenen Ländern durchgeführt wurden und in die Angehörige fremder Staaten direkt verwickelt waren, ein verlässliches Mittel darstellten, Aufmerksamkeit auf sich und auf ihr Anliegen zu ziehen.“[5] Hier liegt also eine wichtige Quelle für die Internationalisierung des Terrorismus, denn die PLO diente vielen anderen Organisationen in ihrem Kampf – nicht zuletzt um Aufmerksamkeit – als Vorbild.
Auch die deutsche „Rote Armee Fraktion“ (RAF) hatte einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Internationalisierung des Terrorismus.[6] Durch das Ende des Vietnamkriegs ihres Zieles beraubt, die Zwischenlandungen amerikanischer B-52 Bomber in Deutschland zu verhindern, musste eine neue Aufgabe gefunden werden. Das Palästinaproblem bot sich an, auch weil die PLO schon zuvor Terroristen aus aller Welt in ihren Lagern in Jordanien ausgebildet hatte.[7] Und so begrüßten die Palästinenser 1969 die erste Gruppe von westdeutschen Terroristen. Nach anfänglichen Unstimmigkeiten entwickelten sich die Beziehungen blendend. Man lernte von den Palästinensern und führte gemeinsam Anschläge durch. Auch dies sollte zum Vorbild für viele andere Organisationen werden. Allerdings wurden viele diesem Vorbild auch nicht gerecht: die RAF, die Roten Brigaden und andere verfielen, von der Zeitgeschichte eingeholt, in Lethargie und verschwanden schließlich ganz. Die PLO ist hingegen eine einzigartige historische Erscheinung. Kaum eine andere Gruppe hat so erfolgreich ein international ausgerichtetes terroristisches Netzwerk installiert.
Benjamin Netanjahu, der von 1996 bis 1999 Ministerpräsident von Israel war, skizziert in seinem Buch „Fighting Terrorism“[8] noch eine weitere Erklärung für die Internationalisierung des Terrorismus. Demnach haben Staaten Terroristen unterstützt, deren Ziele sich mit den eigenen Absichten deckten. Insbesondere die ehem. Sowjetunion sowie arabische Staaten wie Syrien, Libyen oder der Irak hätten, die Expansion der eigenen Ideologie im Hinterkopf, die Internationalisierung des Terrorismus durch die massive Förderung von Trainingslagern in der ehem. Tschechoslowakei, dem früheren Jugoslawien und vielen anderen Staaten unterstützt. „Together, these two groups of states sponsored or supported most of the international terrorist activities that took place during this period.”[9] Netanjahu nennt sogar die einzelnen Behörden, die für die Förderung zuständig waren: „Support for the construction of the international terrorist infrastructure was provided by the International Department of the Central Committee of the Communist Party, the Soviet Security Police (KGB), and Soviet Military Intelligence (GRU).”[10]
Nicht zu unterschätzen ist schließlich auch die technologische Entwicklung. Zu den sich immer weiter entwickelnden zivilen Ressourcen, die von terroristischen Organisationen nutzbar gemacht werden, zählen nach Herfried Münkler die Transport- und Übermittlungssysteme (Paketdienste u.ä.), Verkehrssysteme (z.B. die Luftfahrt), Datenautobahnen und vor allem die Nachrichten- und Unterhaltungssysteme.[11] Was unter dem schwammigen Etikett „Globalisierung“ in der heutigen Welt passiert, erweitert also die Möglichkeiten der Terroristen beträchtlich. Dies ist sowohl an der Logistik, als auch an den Effekten auf eine globale Medienwelt zu beobachten.
3. Terroristische Organisationen
Eine Organisation ist ein soziales Gebilde, in dem eine Mehrzahl von Menschen zu einem bestimmten Zweck bewusst zusammenwirkt. Über die Art und Weise, wie dieses Zusammenwirken funktioniert, sagt der Begriff nicht viel aus. Die folgenden Ausführungen sollen diesen Aspekt genauer beleuchten. Doch zunächst zum Ursprung der Organisationen. Der Soziologie Christopher Hewitt kommt erstens zu dem Schluss, dass terroristische Organisationen entstehen, „when the political system was unresponsive or hostile to the concerns of certain groups, and second that each and every wave of terrorism was associated with the existence of a body of sympathizers and supporters.”[12] Diese „Wellen“ des Terrorismus werden im Folgenden genauer behandelt.
3.1 Die organisatorische Dynamik terroristischer Gruppen: In Amerika steht das Auftreten terroristischer Gruppierungen historisch in einem engen Zusammenhang mit dem sich abschwächenden Interesse an den „social movements“ und der damit einhergehenden Aufsplitterung der Bewegung in einzelne ideologische Gruppen.[13] Diese kleinen Gruppen suchen sich entweder neue Ziele um ihrem Handeln einen Sinn zu geben, oder, und dass ist bei den meisten „Splittern“ zu beobachten, sie verschwinden. Aus den erstgenannten Gruppen können also u.U. extremistische Organisationen erwachsen, die Terroristen beherbergen. Generell wurde festgestellt, dass 91 Prozent der wegen terroristischer Verbrechen inhaftierten Personen einer gewissen terroristischen Struktur zugewiesen werden konnten.[14] Dies zeigt die entscheidende Bedeutung terroristischer Organisationen. Lediglich zwei Prozent waren dagegen Einzeltäter, die restlichen sieben bestanden aus informellen „Gruppen von Freunden“. Trotz dieses großen Anteils kann keine Rede davon sein, dass 90 Prozent der Terroristen in absolut festen, organisierten Strukturen operierten. Nach Hewitt sind selbst die am bestorganisiertesten Gruppen weit von einem monolithischen Status entfernt.[15] Vielleicht ist dies auch einer der Gründe, warum „die »Lebenserwartung« von mindestens 90 Prozent der terroristischen Gruppen weniger als ein Jahr beträgt und dass nahezu die Hälfte von denen, die immerhin ein Jahr überdauern, innerhalb eines Jahrzehnts zu bestehen aufgehört haben werden.“[16] Dies hängt zum Beispiel mit Verhaftungen der Führungsspitze der Organisation oder mit dem Wegfall des aktuellen Bezugs ihres Ziels zusammen. Wenn das Ziel jedoch nicht derart kurzlebig ist und die Führungsspitze aufgrund intelligenter Strukturen nicht gefasst werden kann, dann ist eine sehr viel längere „Lebensdauer“ möglich. Dies trifft vor allem auf ethno-nationalistische und/oder separatistische Bewegungen zu, die nebenbei auch noch am erfolgreichsten sind. Der Grund dafür ist, dass sie keine „aktive Überzeugungsarbeit“ leisten müssen, da sie auf eine bereits vorhandene und u. U. willige Anhängerschaft zurückgreifen können (z.B. die Angehörigen derselben Nationalität). Während andere Gruppen bei der „Überzeugungsarbeit“ Kompromisse eingehen müssen um Rückhalt zu finden, berufen sich die Anhänger der langlebigeren Kreise auf ihre terroristische Tradition, was alleine schon den Nachwuchs von jugendlichen Terroristen sichert und Sympathien bei den nostalgischen Älteren hervorruft. Zudem lassen sich separatistische Visionen wesentlich besser transportieren, als das vielleicht mit verworrenen Ideologien ohne klaren Endzustand möglich ist. Dieses Problem hatten vor allem linksterroristische Bewegungen, da auch sie keine wirkliche Alternative zum „Übel des kapitalistischen Staates“ anbieten konnten. Insgesamt scheint die Reproduktion separatistischer Organisationen so lange gesichert zu sein, bis ihre Problematiken (z.B. in Israel) gelöst sind.
[...]
[1] http://www.verfassungsschutz.niedersachsen.de, 26.03.03, 18:50
[2] vgl. Münkler: Terrorismus als Kommunikationsstrategie, S. 12
[3] vgl. Hoffman: Terrorismus Der unerklärte Krieg, S. 85
[4] Ebd., S.86
[5] vgl. Hoffman: Terrorismus Der unerklärte Krieg, S. 87
[6] Ebd., S. 105 f.
[7] z.B. die italienischen „Roten Brigaden“, die japanische „Red Army“, die PKK, latino-amerikanische Gruppen und andere
[8] vgl. Netanjahu: Fighting Terrorism
[9] Ebd., S. 53, gemeint ist mit „period“ der Zeitraum von den späten 60ern bis ca. 1985
[10] vgl. Netanjahu: Fighting Terrorism, S. 56
[11] vgl. Münkler: Terrorismus als Kommunikationsstrategie, S. 12
[12] vgl. Hewitt: Understanding Terrorism in America, S. 53
[13] Ebd.
[14] Ebd., S. 57
[15] vgl. Hewitt: Understanding Terrorism in America, S. 57 f.
[16] vgl. Hoffman: Terrorismus Der unerklärte Krieg, S. 227 f.
- Arbeit zitieren
- Christof Niemann (Autor:in), 2003, Die Struktur terroristischer Organisationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15846
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