Einleitung
Wenn Luhmann von Öffentlichkeit oder öffentlicher Meinung in modernen Gesellschaften spricht, dann meint er damit vor allem eine massenmedial vermittelte Publikumsöffentlichkeit. Beide Termini sind in engen Zusammenhang mit dem Funktionssystem der Massenmedien gerückt und ohne diesen kaum im Luhmannschen Verständnis skizzierbar. In kritischer Abgrenzung zu einem „aufklärerischen“, meist normativen Verständnis von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung, sucht Luhmann das Verständnis beider Termini „systemfunktional“ zu rekonstruieren, und so Öffentlichkeit und öffentliche Meinung innerhalb seiner allgemeinen Gesellschaftstheorie nutzbar zu machen. Mit Blick auf eine zunehmende Medienkritik sollen in dieser Arbeit die nach Luhmann unvermeidbaren Implikationen der strukturelle Kopplung von Parteiendemokratie, Massenmedien und Wählern skizziert werden und ihre Gefahren wie Vorzüge angedeutet werden.
Fragestellung
Um das Luhmannsche Verständnis von öffentlicher Meinung und Öffentlichkeit zu verdeutlichen, bieten sich folgende Untersuchungsfragen an:
1. Wo sind „Öffentlichkeit“ und „öffentliche Meinung“ in der Luhmannschen Systemtheorie zu verorten?
2. Wie beschreibt Luhmann die Operationsweise der Massenmedien in ihrer Funktion als primärer Formgeber der öffentlichen Meinung?
3. In welcher Beziehung steht die öffentliche Meinung zu psychischen Systemen, zum Gesellschaftssystem und insbesondere zur Politik? Welche Funktionen übernimmt die öffentliche Meinung für diese Systeme?
4. Welche Möglichkeiten und Begrenzungen ergeben sich aus dieser Beziehung für mediale- und für politische Kommunikationen?
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Fragestellung
Vorgehensweise
1 Öffentlichkeit
2 Die Operationsweise der Massenmedien
2.1 Die erste Realität der Massenmedien: Wie Medien operieren
2.2 Zweite Realität: Zur Realitätskonstruktion durch Medien
2.2.1 Die Formung der öffentlichen Meinung durch Schemata
2.2.2 Die Autonomie der Systeme
2.2.3 Soziale Funktionen der öffentlichen Meinung
3 Öffentliche Meinung und Parteiendemokratie
3.1 Die Übertragung der öffentlichen Meinung ins politische System
3.2 Formung der öffentlichen Meinung durch politische Akteure?
4 Kritische Würdigung
5 Literaturverzeichnis
Hervorhebungen in Kursivschrift.
Einleitung
Wenn Luhmann von Öffentlichkeit oder öffentlicher Meinung in modernen Gesellschaften spricht, dann meint er damit vor allem eine massenmedial vermittelte Publikums öffentlichkeit. Beide Termini sind in engen Zusammenhang mit dem Funktionssystem der Massenmedien gerückt und ohne diesen kaum im Luhmannschen Verständnis skizzierbar. In kritischer Abgrenzung zu einem „aufklärerischen“, meist normativen Verständnis von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung, sucht Luhmann das Verständnis beider Termini „systemfunktional“ zu rekonstruieren, und so Öffentlichkeit und öffentliche Meinung innerhalb seiner allgemeinen Gesellschaftstheorie nutzbar zu machen. Mit Blick auf eine zunehmende Medienkritik sollen in dieser Arbeit die nach Luhmann unvermeidbaren Implikationen der strukturelle Kopplung von Parteiendemokratie, Massenmedien und Wählern skizziert werden und ihre Gefahren wie Vorzüge angedeutet werden.
Fragestellung
Um das Luhmannsche Verständnis von öffentlicher Meinung und Öffentlichkeit zu verdeutlichen, bieten sich folgende Untersuchungsfragen an:
1. Wo sind „Öffentlichkeit“ und „öffentliche Meinung“ in der Luhmannschen Systemtheorie zu verorten?
2. Wie beschreibt Luhmann die Operationsweise der Massenmedien in ihrer Funktion als primärer Formgeber der öffentlichen Meinung?
3. In welcher Beziehung steht die öffentliche Meinung zu psychischen Systemen, zum Gesellschaftssystem und insbesondere zur Politik? Welche Funktionen übernimmt die öffentliche Meinung für diese Systeme?
4. Welche Möglichkeiten und Begrenzungen ergeben sich aus dieser Beziehung für mediale- und für politische Kommunikationen?
Vorgehensweise
Diese Arbeit setzt ein grundlegendes Verständnis von Systemtheorie voraus. Zumal sich die Arbeit weitestgehend auf Luhmannsche Primärliteratur stützt, versuche ich, mit den Begrifflichkeiten ihres Autors zu arbeiten.
In Abschnitt 1 werden die Termini „Öffentlichkeit“ und „öffentliche Meinung“ im Luhmannschen Gesellschaftssystem verortet.
In Abschnitt 2 wird die Operationsweise des Systems der Massenmedien in ihre Funktion als primärer Formgeber der öffentlichen Meinung beschrieben. Um die Konsequenzen dieser Formgebung zu verdeutlichen, soll dabei neben ihrer Operationsweise („erste Realität der Massenmedien“) vor allem ihre gesamtgesellschaftliche Realitätskonstruktion („zweite Realität der Massenmedien“) fokussiert werden. In diesem Zusammenhang spielt das Verhältnis von öffentlicher Meinung und individuellen Meinungen eine zentrale Rolle.
In Abschnitt 3 soll das Luhmannsche Verständnis von massenmedial vermittelter öffentlicher Meinung in seinen Konsequenzen für politische Kommunikationen betrachtet werden. Neben der Bedeutung der öffentlichen Meinung für das politische System sollen dabei die Möglichkeiten wechselseitiger kommunikativer „Irritation“ von Medien und Politik durch Themen und Meinungen aufgegriffen werden.
1 Öffentlichkeit
Will man Öffentlichkeit in Luhmanns Gesellschaftssystem verorten, so markiert sie in einer ersten Annäherung die „gesellschaftsinterne Umwelt der gesellschaftlichen Teilsysteme“[1], also den Raum zwischen den Systemen. Immer muss man dabei beachten, dass durch diesen Raum keine „Gegenstände“, keine „Realität“, keine „Wahrheit“ oder „Vernunft“ zwischen den Systemen kommunikativ „vermittelt“ werden kann. Daher versteht Luhmann Öffentlichkeit „als solche“ vergleichsweise „inhaltsleer“, und es erklärt sich, warum Luhmann den Begriff selten zur Beschreibung seiner Gesellschaftstheorie nutzt. Entgegen anderen –auch systemtheoretischen– Ansätzen kann Öffentlichkeit bei Luhmann keinesfalls als eigenständiges, autopoietisches System verstanden werden.
Gesellschaft besteht aus Kommunikationen. Sinnsysteme, das heißt soziale- und psychische Systeme, kommunizieren im Kommunikationssystem Gesellschaft. Sie grenzen sich voneinander und von ihrer Umwelt ab, indem sie gesellschaftsweite Kommunikationen nach spezifischen Codes selektieren und weiterverarbeiten. Ihr Code bestimmt dabei, was kommunikativ zu dem System gehört und was nicht dazugehört. Er bestimmt die Systemgrenzen.[2] Da Systemgrenzen für jedes System „unüberwindbar“ sind, und da Öffentlichkeit als „Raum dazwischen“ über keinen eigenen Code verfügt, wäre Öffentlichkeit in diesem Verständnis in der Umwelt des Systems kommunikativ „unerreichbar“. Nach Krause steht Öffentlichkeit mit dieser Verortung „für die fehlende Adressierbarkeit von Gesellschaft“[3].
Öffentlichkeit lässt sich jedoch noch an anderen Stellen verorten: in den Systemen! Luhmann löst das Problem fehlender Verortung und inhaltlicher Bestimmbarkeit mit Hilfe des Konzepts der „strukturellen Kopplung“ zwischen Systemen. Dieser bezeichnet weniger den “Austausch“ zwischen Systemen, als vielmehr die damit verbundenen system internen Strukturen: Systeme beobachten die Kommunikationen in ihrer Umwelt, sie können bestimmte Kommunikationen als Dauerirritationen erfassen und mit interner Strukturbildung auf diese regieren. Innerhalb eines Systems sind diese Strukturen dann adressierbares Abbild der gesellschaftlichen Umwelt. Sie sind Abbild der anderen gesellschaftlichen Systeme als Erzeuger von Dauerirritationen. Sie sind deren systeminterne Reflexion, ihre Projektion in das beobachtende System. Nach diesem Verständnis bezeichnet Öffentlichkeit nun nicht mehr nur den Raum zwischen den Systemen. In der differenzierten Gesellschaft wird Öffentlichkeit in jedes System „hineinkopiert“ ![4] Damit ergeben sich mehrere Öffentlichkeit en (Plural!) – Und jedes System hat seine eigene Öffentlichkeit. Zum Verständnis von Öffentlichkeit aus Sicht des politischen Systems resümiert Krause:
„Aus Sicht einzelner sozialer Systeme und insbesondere gesellschaftlicher Funktionssysteme ergeben sich dann verschiedene sozial- oder funktionssystemintern unterschiedene Öffentlichkeiten, z.B. für das politische System die politisch relevante öffentliche Meinung […]“.[5]
Die Öffentlichkeit des politischen Systems ist also die öffentliche Meinung. Luhmann beschreibt einen modernen Begriff von Öffentlichkeit in einer modernen, funktional-differenzierten Gesellschaft deshalb wie folgt:
„[…]Seitdem hat die Gesamtlage der Gesellschaft sich abermals gewandelt. Ihre Funktionale Differenzierung ist so weit fortgeschritten, dass eine Integration der Gesamtgesellschaft durch öffentliche, keinem Teilsystem besonders verbundene Meinungen höchst unwahrscheinlich geworden ist. Das zwing dazu, den Begriff Öffentlichkeit von seiner Funktion her neu zu interpretieren und ihn so in die Teilsysteme, hier in das politische System der Gesellschaft, zu übertragen. Öffentlichkeit hieße dann, dass das politische System Situationen herstellt, in denen die Neutralisierungsfunktion öffentlicher Situationen erfüllt werden kann – in denen also Kommunikationen nicht durch nichtpolitische Teilsystemen der Gesellschaft […] und auch nicht durch Besonderheiten engerer Teilsysteme des politischen Systems (z. B. einzelne Interessenverbände, […]) strukturiert sind, sondern eben durch Themen der öffentlichen Meinung“.[6]
Öffentlichkeit befindet sich also innerhalb eines jeden Funktionssystems und wird dort vom System selbst „strukturell erzeugt“. Die Öffentlichkeit des politischen Systems ist allein die Themenstruktur der öffentlichen Meinung. Nur diese sei für diese Arbeit relevant.[7] Öffentlichkeit zwischen den Systemen kann nur noch beschrieben werden als „Reflexionsmedium“[8]. Eine nähere Erkenntnis über Funktion und Wirkungsweise der öffentlichen Meinung ergibt sich nur, indem man Öffentlichkeit als „Reflexion jeder gesellschaftsinternen Systemgrenze“[9] innerhalb des politischen und des massenmedialen Systems betrachtet. Mit ihrer besonderen Bedeutung für die Formung der Öffentlichen Meinung sei im Folgenden die Operationsweise der Massenmedien fokussiert.
2 Die Operationsweise der Massenmedien
Luhmann beschreibt Massenmedien als „eines der Funktionssysteme der modernen Gesellschaft“[10]. In einer ersten Annäherung definiert Luhmann Massenmedien als alle Einrichtungen, „die sich zur Verbreitung von Kommunikationen technischer Mittel der Vervielfältigung bedienen“[11]. Sofern Gesellschaft allein aus Kommunikationen besteht, geht es Luhmann jedoch eher um die Formen und Formung dieser Kommunikationen, als um dahinterstehende Technologien und Organisationen.[12] Mit welchen Kommunikationen Medien operieren, und in welcher Weise sie dies tun, soll im Folgenden angedeutet werden.
2.1 Die erste Realität der Massenmedien: Wie Medien operieren
Der Code, nach dem das Funktionssystem der Massenmedien aus seiner gesellschaftlichen Umwelt Kommunikationen selektiert, ist „Information/Nichtinformation“. Innerhalb der Massenmedien ermöglicht nur die positive Seite des Codes, also „Information“ weitere Kommunikationen. Mit der Unterscheidung Information/Nichtinformation reduziert das Mediensystem die Komplexität einer Vielzahl möglicher (kontingenter) Kommunikationen in der medialen System umwelt. Da Informationen durch die Medien permanent in „Nichtinformationen“ gewandelt werden, indem diese nach ihrer Veröffentlichung „bekannt“ und „veraltet“ sind,[13] bedürfen Medien permanent „neuer“ Informationen. Diese können aus fremden Systemen kommen, oder sie werden –selbstrefrenziell– im System der Massenmedien erzeugt. Jedenfalls muss in den Medien auf jede Veröffentlichung eine weitere folgen. Um unabhängig von Neuigkeiten aus der Umwelt existieren zu können, erzeugen die Massenmedien vermehrt eigenständig Neuigkeiten, auf die sie sich rekursiv beziehen können.[14] Dieser autopoietische Mechanismus festigt das System zunehmend als selbstreferenziell-geschlossenes System im Gesellschaftssystem. In Folge ihrer autopoietischen Geschlossenheit sind Medien(-Kommunikationen) durch die Kommunikationen aus ihrer Umwelt nur noch „bedingt irritierbar“: Das heißt, sie reagieren auf diese nur, sofern die Kommunikationen der positiven Seite des medialen Codes entsprechen – sofern sie „Informationen“ für die Medien sind.
Im Sinne struktureller Binnendifferenzierung haben die Massenmedien systemintern „Programmbereiche“[15] ausdifferenziert, nach denen sie Informationen (positive Seite des Codes) differenzierter verarbeiten können. Mit der Reproduktion des Programmbereichs „Nachricht/Berichte“ koppeln sich die Massenmedien strukturell an das Funktionssystem Politik.[16] „Nachrichten und Berichte“ dienen der gezielten Verarbeitung verlässlich wiederkehrender Irritationen aus der politischen Umwelt der Mediensystems. Luhmann bemerkt zu diesem Programmbereich:
„Hier gibt es deutliche strukturelle Kopplungen zwischen Mediensystem und politischem System. Die Politik profitiert von ‚Erwähnungen’ in den Medien und findet sich durch sie zugleich irritiert. […] Meldungen in den Medien erfordern zumeist eine Reaktion im politischen System, die im Regelfalle als Kommentierung in den Medien wiedererscheint. Weitgehend haben deshalb dieselben Kommunikationen zugleich eine politische und eine massenmediale Relevanz. Aber das gilt immer nur für die Einzelereignisse und nur ad hoc. Denn die Weiterverarbeitung folgt im politischen System […] ganz anderen Wegen als in den Medien […]“.[17]
[...]
[1] Luhmann, 1996, 184f; Krause, 2001, „Öffentliche Meinung“, 178
[2] Krause, 2001, „Systemgrenze“, 218
[3] Krause, 2001, „Öffentliche Meinung“, 178
[4] Luhmann, 1996, 188
[5] Krause, 2001, „Öffentliche Meinung“, 178
[6] Luhmann, 1970, 18
[7] Um zu verstehen, dass Luhmann den Terminus „Öffentlichkeit“ eher selten nutzt, und dass er mit ihm etwas ganz anderes bezeichnet, als allgemein unter Öffentlichkeit verstanden wird, sei darauf hingewiesen, dass die Öffentlichkeit des Wirtschaftssystems beispielsweise „der Markt“ ist. Statt „Öffentlichkeit“ scheinen daher wahlweise „Markt“ oder „öffentliche Meinung“ die präzisieren Begriffe zu sein. Vgl. Krause, „Öffentliche Meinung, 187
[8] Luhmann, 1996, 187
[9] Luhmann, 1996, 184f
[10] Luhmann, 1996, 22
[11] Luhmann, 1996, 10
[12] En detail ließen sich jedoch auch Organisationen oder der Einsatz von Techniken systemtheoretisch erörtern.
[13] Luhmann, 1996, 41
[14] Sie kommentieren ein Ereignis und lassen den Kommentar selbst zum Ereignis werden, das wiederum kommentiert werden kann.
[15] Luhmann, 1996, 37f
[16] Luhmann, 1996, 122. So dient Werbung der strukturellen Kopplung der Medien an die Wirtschaft und Unterhaltung der Kopplung an die Kunst.
[17] Luhmann, 1996, 124f
- Arbeit zitieren
- Oliver Klug (Autor:in), 2003, Medien und Politik - Zur Formung und Bedeutung der Öffentlichen Meinung in Niklas Luhmanns Sicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15786
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