[...] Diese Arbeit hat zum Thema, inwieweit sich die Prozesse der touristischen Anpassung
auf kultureller Ebene in Cusco finden lassen. Durch seine Geschichte
als ehemalige Hauptstadt des Inka-Reiches und Ausgangsort für den Besuch
der weltweit bekannten Inka-Anlage Machu Picchu ist die Stadt das Zentrum
des peruanischen Fremdenverkehrs geworden. Mehr als die Hälfte aller Peru-
Reisenden besuchen Cusco und die Präsenz internationaler Gäste nimmt immer
mehr Einfluss auf die Stadt und ihre Bewohner. Dabei fällt auf, dass sich
gleichzeitig zur zunehmenden Orientierung auf die Touristen und ihre Interessen
die Lokalbevölkerung erneut mit dem inkaischen Erbe und der gegenwärtigen
indianischen Kultur befassen. Diese Rückbesinnung auf andine Traditionen
ist in Cusco zwar kein unbekanntes Phänomen und zeigt sich bis heute im
Indigenismo bzw. Incanismo, jedoch kann der Prozess der Re-Indianisierung,
also der Versuch, die indianische Kultur in ihrer vergangenen oder gegenwärtigen
Ausdrucksform mit einem bestimmten Ziel wieder aufzugreifen, in einer
Wechselbeziehung zum Tourismus gesehen werden. Dabei stellt sich die
Frage, wie und unter welchen Gesichtspunkten die andinen Traditionen im Tourismusgeschäft
aufgenommen werden bzw. welche Bezüge sich eventuell zu
einer allgemeinen, unabhängig vom Tourismus stattfindenden Auseinandersetzung
mit der andinen Kultur in Cusco ziehen lassen. Die Ethnologie beschäftigt sich seit nunmehr drei Jahrzehnten mit dem Tourismus
bzw. mit den Auswirkungen desselben auf die Kulturen der Reiseländer.
Aber erst in den letzten Jahren wurde von einer Verteufelung des Tourismus als
Auslöser von Kulturwandel vor allem bei indigenen Völkern, wie De Kadt 1979
oder May 1985 in ihren Arbeiten vertreten, Abstand genommen. Neuere Studien
ergeben, dass der Reiseverkehr nicht als einziger Grund für die Modernisierung
bzw. Globalisierung indigener Kulturen zu betrachten ist, sondern dass
er in manchen Fällen sogar eine gegenläufige Entwicklung hervorruft. Denn
unter Umständen löst das touristische Interesse sogar eine Revitalisierungsbewegung
bestimmter Kulturmerkmale aus; sozusagen als Gegenreaktion auf die
Touristen und ihre mitgebrachte Kultur (vgl. unter anderem MacKean 1989,
Friedman 1992). [...]
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Tourismus als ethnologisches Forschungsfeld
2.1 Definitionen von Tourismus
2.1.1 Die verschiedenen Reiseformen
2.2 Anforderungen an eine ethnologische Tourismusforschung
3 Tourismus und seine kulturellen Auswirkungen
3.1 Kontaktebenen des Tourismus
3.2 Reaktionen der Gastgeber auf die Touristen
3.2.1.1 Demonstrationseffekt
3.2.1.2 Imitationseffekt
3.2.1.3 Akkulturation
3.2.2 Veranderungen in der Sozialstruktur
3.3 Kommerzialisierung von Kultur
3.3.1 Tourist Art
3.4 Die Rolle von Stereotypen im Tourismusgeschaft
3.5 Das Problem der Authentizitat im Tourismus
3.5.1 Das Konzept der „staged authenticity“
4 Tourismus in Peru und Cusco
4.1 Das touristische Angebot Perus
4.1.1 Exkurs: Tourismus in Sudamerika
4.2 Cusco als Touristenziel
4.2.1 Die Geschichte des Tourismus in Cusco
4.2.2 Die verschiedenen Angebote
4.2.3 Das touristische Publikum Cuscos
4.3 Tourismusinduzierte Probleme im sozial-okonomischen Bereich
5 Incanismo und Re-Indianisierung in Cusco
5.1 Der Incanismo
5.2 Die Re-Indianisierung
5.3 Lo inca versus lo indio
5.4 Die Inszenierung von Indianitat
5.4.1 Die indigene Bevolkerung in der Rolle der tourees
5.4.2 Die Mestizen als Vermittler zwischen tourees und Touristen
5.4.3 Die Vertreter des Staates als Protagonisten der Re-Indianisierung
5.4.4 Das Stadtbild Cuscos als Kulisse fur den Tourismus
6 Veranderungen andiner Traditionen und Konzepte fur den Tourismus
6.1 Das historische Bild der Inka im Spiegel des Tourismus
6.2 Neuerfundene raymis als Beispiele fur eine „emergent authenticity"?
6.2.1 Das Inti Raymi in Cusco
6.2.2 Das K’intu Raymi in Wasao
6.3 Der turismo mistico
6.3.1 Traditionelle paqos im Tourismusgeschaft
6.3.1.1 Aufgaben eines paqo
6.3.1.2 Ein despacho-Ritual mit einer Touristengruppe
6.3.2 Neoschamanen
6.3.2.1 Eine „shamanistic session" in Cusco
6.4 Die Frage nach der Authentizitat
7 Schlussbetrachtung
8 Anhang
8.1 Karten
8.2 Statistik
8.3 Abbildungen
8.4 Verzeichnis der Karten, Statistik und Abbildungen
9 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Tourismus, die sogenannte ..Industrie ohne Schornsteine", beschaftigt weltweit direkt oder indirekt mehrere Millionen Menschen. Viele Staaten sind wirtschaft- lich fast ganzlich von den Einkunften aus der Tourismusindustrie abhangig. Vor allem die sogenannten Entwicklungslander[1] sind in besonderem MaGe auf die auslandischen Devisen der Touristen [2] angewiesen. Doch der Fremdenverkehr[3] hat nicht nur Einfluss auf die wirtschaftliche Situation, sondern teils auch starke Auswirkungen auf die Kultur der Reiselander, die neben landschaftlichen oder historischen Besonderheiten als touristische Attraktion vermarktet wird.
Bei der Betrachtung von Reisebeschreibungen und -prospekten wird deutlich, dass das Land Peru in erster Linie mit Bildern von archaologischen Orten wie Machu Picchu und der heutigen indianischen Andenbevolkerung reprasentiert wird. Die groGe kulturelle und landschaftliche Diversitat findet in der Touris- muswerbung kaum Beachtung, sondern das Reiseland Peru wird auf wenige Merkmale reduziert, die sich schlieGlich als stereotype Vorstellungen uber Land und Leute festsetzen. Folglich erwarten Peru-Reisende, dass sie diese typi- schen Bilder vor Ort wiederfinden, und spatestens hier setzt in den Reisege- bieten eine Manipulation des touristischen Umfeldes ein. Denn von den Tou- rismusplanern werden verschiedene Strategien angewendet, um die Erwartun- gen der Reisegaste zu befriedigen und damit die Attraktivitat des Landes zu untermauern. Zahlreiche Studien belegen, wie in den Reisezielen die Anpas- sung an die touristischen Bedurfnisse vonstatten geht. In erster Linie kommt es im infrastrukturellen Sektor beispielsweise durch den Hotel- und StraGenbau zu Umgestaltungen, aber der Fremdenverkehr zieht vor allem eine mehr oder we- niger starke Veranderung des Kulturguts im Gastland nach sich. Bestimmte kulturelle Eigenheiten der Zielregion wie Tanzauffuhrungen oder Kunsthand- werk werden im Rahmen einer touristischen ErschlieGung bewusst zur Touris- tenattraktion umgestaltet und vermarktet.
Diese Arbeit hat zum Thema, inwieweit sich die Prozesse der touristischen An- passung auf kultureller Ebene in Cusco finden lassen. Durch seine Geschichte als ehemalige Hauptstadt des Inka-Reiches und Ausgangsort fur den Besuch der weltweit bekannten Inka-Anlage Machu Picchu ist die Stadt das Zentrum des peruanischen Fremdenverkehrs geworden. Mehr als die Halfte aller Peru- Reisenden besuchen Cusco und die Prasenz internationaler Gaste nimmt im- mer mehr Einfluss auf die Stadt und ihre Bewohner. Dabei fallt auf, dass sich gleichzeitig zur zunehmenden Orientierung auf die Touristen und ihre Interes- sen die Lokalbevolkerung erneut mit dem inkaischen Erbe und der gegenwarti- gen indianischen Kultur befassen. Diese Ruckbesinnung auf andine Traditionen ist in Cusco zwar kein unbekanntes Phanomen und zeigt sich bis heute im Indigenismo bzw. Incanismo, jedoch kann der Prozess der Re-Indianisierung, also der Versuch, die indianische Kultur in ihrer vergangenen oder gegenwarti- gen Ausdrucksform mit einem bestimmten Ziel wieder aufzugreifen, in einer Wechselbeziehung zum Tourismus gesehen werden. Dabei stellt sich die Frage, wie und unter welchen Gesichtspunkten die andinen Traditionen im Tou- rismusgeschaft aufgenommen werden bzw. welche Bezuge sich eventuell zu einer allgemeinen, unabhangig vom Tourismus stattfindenden Auseinanderset- zung mit der andinen Kultur in Cusco ziehen lassen.
Die Ethnologie beschaftigt sich seit nunmehr drei Jahrzehnten mit dem Tourismus bzw. mit den Auswirkungen desselben auf die Kulturen der Reiselander. Aber erst in den letzten Jahren wurde von einer Verteufelung des Tourismus als Ausloser von Kulturwandel vor allem bei indigenen Volkern, wie De Kadt 1979 oder May 1985 in ihren Arbeiten vertreten, Abstand genommen. Neuere Stu- dien ergeben, dass der Reiseverkehr nicht als einziger Grund fur die Moderni- sierung bzw. Globalisierung indigener Kulturen zu betrachten ist, sondern dass er in manchen Fallen sogar eine gegenlaufige Entwicklung hervorruft. Denn unter Umstanden lost das touristische Interesse sogar eine Revitalisierungsbe- wegung bestimmter Kulturmerkmale aus; sozusagen als Gegenreaktion auf die Touristen und ihre mitgebrachte Kultur (vgl. unter anderem MacKean 1989, Friedman 1992).
Uber den Tourismus in Lateinamerika gibt es bisher wenig ethnologische Arbeiten, obwohl der internationale Reiseverkehr in dieser Region stetig zunimmt.
Vielmehr wurden allgemein gefasste Untersuchungen uber den Einfluss des Tourismus auf indigene Gruppen in aller Welt verfasst (Dworschak 1994, Butler/ Hinch 1996). Auch in jungerer Zeit wurde zu dieser Fragestellung speziell am Beispiel sudamerikanischer Lander kaum publiziert, auGer einem Sammelband von Santana (2000), der aber uberwiegend okonomische und geografische Themen innerhalb des Sudamerika-Tourismus behandelt. Deshalb greife ich zusatzlich auf Studien zuruck, die den touristischen Prozess in anderen Reise- gebieten erortern, z. B. in Kenia (Bruner 2001) oder in Landern der Karibik und Sudsee (Dworschak 1994, Kahrmann 1995), um aus den verschiedenen Re- sultaten Ruckschlusse zu meinem Thema zu ziehen.
Entsprechend wenig ist uber die Situation des Tourismus in Peru im Zusam- menhang mit seinen kulturellen Auswirkungen zu finden. Neben einigen geo- graphischen Untersuchungen aus den 1980er Jahren (Jurczek 1985, Gormsen 1987) wurden hauptsachlich wirtschaftswissenschaftliche Studien von peruani- schen Wissenschaftlern erstellt, wie der Tourismussektor in Peru weiter gefor- dert werden konnte (Aguilar Vidangos / Hinojosa Valencia 1992). Einige perua- nische Autoren prangerten die soziokulturellen Negativfolgen des Tourismus in Peru an (Lovon Zavala 1982), doch erst mit dem aufkommenden Ethnotouris- mus, der mit dem Besuch von indigenen Gruppen in abgelegenen Gebieten, vor allem im Tiefland, seinen Anfang nahm, wurde die Problematik des Kulturkon- taktes und seine Folgen fur die indigene Bevolkerung aufgegriffen (Seiler-Bal- dinger 1988). Allerdings fand diese Thematik auf die andinen Gebiete ubertra- gen nur selten Interesse innerhalb der Ethnologie, und die wenigen Untersuchungen beschranken sich hauptsachlich auf die typischen Reiseziele Perus wie Cusco, Puno bzw. auf den Titicaca-See (Flores Ochoa 1996, 1999, Dransart 2000). Van den Berghe war der Erste, der sich 1980 mit dem (Ethno-) Tourismus in Cusco auseinander setzte und die verschiedenen, miteinander agierenden ethnischen Gruppen aufschlusselte und analysierte. 1994 erstellte er eine ahnliche, aber umfassendere Studie uber die Rolle der Chamula-India- ner im Tourismus von San Cristobal de las Casas in Mexiko, und er stellte dar, wie durch den Ethnotourismus der indianischen Kultur eine geanderte Auffas- sung und Wertung seitens der lokalen, nicht-indianischen Bevolkerung entge- gengebracht wird.
Flores Ochoa brachte 1996 mit seinem Artikel uber den Esoteriktourismus in Cusco die jungsten Entwicklungen des Tourismus und daraus resultierende Einflusse auf die andine Kultur erstmals international zur Sprache. Daraufhin folgten weitere Studien von Flores Ochoa und van den Berghe (1999, 2000), die sich nun speziell mit den Zusammenhangen zwischen dem Tourismus und einer Ruckbesinnung auf die inkaische Kultur in Cusco beschaftigen.
In Anlehnung an diese Ergebnisse habe ich mir das Ziel gesetzt, darzustellen und zu analysieren, auf welche Art sich Wechselwirkungen zwischen dem Tourismus und den Prozessen einer Wiederbelebung andiner Traditionen in Cusco zeigen. Dabei mochte ich vor allem berucksichtigen, ob durch die touristische Interaktion Veranderungen in der gegenwartigen indianischen Tradition hervor- gerufen werden und wie sich diese auspragen.
Aufgrund mangelnder Sekundarliteratur unternahm ich von Februar bis April 2001 eine Feldstudie in Cusco, um dort Material fur die Ausarbeitung meiner Fragestellung zu sammeln. In erster Linie fuhrte ich vor Ort Interviews mit Per- sonen, die im Tourismusgeschaft tatig sind[4] und naturlich mit Touristen selbst. Die Interviews, die ich als freie Konversation gestaltete, wurden, sofern ich von den Interviewpartnern dazu die Erlaubnis hatte, auf Kassette aufgenommen und meist sofort danach transkribiert oder, falls keine Aufnahme moglich war, wah- rend bzw. direkt nach dem Gesprach schriftlich notiert. Die Auswahl meiner Ge- sprachspartner war meist zufalliger Natur. So habe ich im Fall der Touristen Personen angesprochen, die ich durch ihre auGere Erscheinung bzw. ihr Ver- halten als Touristen identifizieren konnte; mit Reiseleitern und anderen Personen, die im Tourismussektor arbeiten, vereinbarte ich Termine. In einigen Fallen traf ich manche Interviewpartner mehrmals, um neu aufgeworfene Fragen zu klaren und meine Ergebnisse zu verifizieren. Von besonderer Bedeutung war bei meiner Untersuchung vor allem die teilnehmende Beobachtung. Nicht nur im auf die Touristen ausgerichteten Stadtbild, sondern auch wahrend gefuhrter Stadtrundfahren und Ausflugen ins Umland, an denen ich teilnahm, wurde deut- lich, welches Bild von Cusco fur die Touristen interessant ist bzw. ihnen im Tou- rismusgeschaft verkauft wird.
Um mich dem Thema zu nahern, habe ich mich mit allgemeinen Theorien der Tourismusforschung in der Ethnologie auseinandergesetzt und die fur meine Arbeit relevanten Ergebnisse im ersten Kapitel aufgefuhrt. Dabei habe ich mich eingangs mit den verschiedenen Definitionen von Tourismus beschaftigt, die in den Anfangen der ethnologischen Tourismusforschung zur Diskussion standen. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, wie die Reiseform Einfluss auf die Kontaktsituation zwischen der einheimischen Bevolkerung und den Touristen nimmt, da sich bei einer touristischen Interaktion verschiedene Begeg- nungsformen zwischen Touristen und Einheimischen entwickeln konnen. Auch die Reaktionsprozesse der gastgebenden Bevolkerung auf die Touristenkultur fallen aufgrund verschiedener Faktoren sehr unterschiedlich aus. Einerseits kann sich eine Abwehrhaltung gegenuber dem Tourismus, andererseits auch eine BegruGung der tourismusinduzierten Modifikationen einstellen. Von be- sonderem Interesse sind fur ethnologische Untersuchungen die Einflusse des Tourismus auf die Gesellschaft der Zielregion und die daraus resultierenden Veranderungen im kulturellen Sektor, womit sich das dritte Kapitel der vorlie- genden Arbeit beschaftigt. Durch den meist von Stereotypen und sozialen Un- gleichheiten gepragten Kontakt zwischen Besuchern und Einheimischen kann es zu verschiedenen Anpassungsprozessen seitens der Gastgeber kommen. In vielen Fallen wird ein kultureller Wandel angeregt und die Orientierung an touristischen Interessen fuhrt oft zu einer Kommerzialisierung der einheimischen Kultur. Dabei stellt sich die Frage nach der Authentizitat im Tourismusgeschaft, die im letzten Kapitel nochmals aufgegriffen wird.
Anhand statistischer Daten der nationalen Tourismusbehorde PromPeru werde ich im vierten Kapitel die Bedeutung des internationalen Reiseverkehrs fur Peru illustrieren. Dabei gehe ich auf die verschiedenen Tourismusangebote des Landes bzw. der Stadt Cusco ein und werde u. a. erortern, welche Probleme sich aus dem Fremdenverkehr fur die einheimische Bevolkerung ergeben. Im funften Kapitel mochte ich das Phanomen der Re-Indianisierung erklaren und vom Incanismo, eine auf die Inka beschrankte Form des Indigenismo, der in Cusco eine wichtige Rolle spielt, abgrenzen. Dafur werde ich beide Begriffe definieren und schlieGlich die Re-Indianisierung und seine Akteure in Cusco an konkreten Beispielen darstellen. In diesem Kontext ist die zentrale Frage, wie die andine Kultur durch den Tourismus manipuliert wird. Dies werde ich im letzten Kapitel anhand einiger Fallbeispiele einer tourismusinduzierten Veranderung der andi- nen Kultur exemplarisch verdeutlichen, die zum Teil auch Bezuge zu einer all- gemein stattfindenden Ruckbesinnung auf die lokale Kultur in Cusco aufweisen. Dabei wird sich zeigen, inwieweit die von den Einheimischen und vom Touris- musmarketing an die fremden Besucher vermittelten Inhalte selektiert und auch konstruiert werden, um ein moglichst interessantes und dadurch marktfahiges Image der Stadt Cusco zu gestalten.
Die vorliegende Arbeit verfolgt in diesem Kontext zwei Ziele: Zunachst gilt es, die kulturellen Konsequenzen des Tourismus allgemein darzustellen, wie sie in der ethnologischen Tourismusforschung Betrachtung finden. Darauf aufbauend werden am Beispiel von Cusco die aus dem Tourismus resultierenden Verande- rungen und Anpassungen der lokalen Kultur nachgezeichnet, die teilweise in einem wechselseitigen Verhaltnis zu einer erneuten Befassung mit der andinen Kultur stehen.
2 Tourismus als ethnologisches Forschungsfeld
An dieser Stelle wird ein kurzer Uberblick uber die Entwicklung und den For- schungsstand in der ethnologischen Tourismusforschung gegeben. Dabei mochte ich die verschiedenen Definitionen und Arten von Tourismus bespre- chen und nachzeichnen, wie sich die Haltung der Ethnologen gegenuber dem Fremdenverkehr gewandelt hat.
Obwohl der Tourismus mit den „schonsten Wochen des Jahres" in Verbindung gebracht wird, haftet dem Begriff auch ein negatives Image an. Neben ersten Assoziationen wie Urlaub und Erholung drangen sich Gedanken an Umweltzer- storung, uberfullte Strande oder Touristenmassen auf. Deshalb bezeichnen sich auch viele Reisende selbst nicht gerne als Touristen, wie Fischer bei seiner Studie auf Samoa feststellen musste. Auf seine Frage: „Sind Sie Tourist?" er- hielt er von den dortigen Touristen sehr unterschiedliche und teilweise auswei- chende Antworten. Die wenigsten wollten mit einem klaren „Ja" antworten, son- dern erklarten beispielsweise:
„Nein, ich bezeichne mich nicht als so was. Wenn man mich hier fragt, dann wurde ich zwar ja sagen, weil es so schwierig ist zu erklaren. Es gibt noch ein anderes Wort, ,Reisende’ oder travellers’. Das wurde ich schon eher sagen." (Fischer 1984: 45).
Beschimpfungen von Touristen und eine Ablehnungshaltung gegenuber dem Fremdenverkehr finden sich zahlreich in den Medien. Auch in wissenschaftli- chen Abhandlungen, die sich mit den kulturellen, okonomischen oder sozialen Auswirkungen des Tourismus auseinandersetzen, uberwiegen Kritik und Ableh- nung. Besonders in den Anfangen der ethnologischen Tourismusforschung wurde der Reiseverkehr als unheilbringendes Massenphanomen betrachtet, das authentische Kulturen und uberlieferte Traditionen vernichtet (vgl. De Kadt 1979, Wahrlich 1984, May 1985). Ethnologen stellten sich auf die Seite der „Be- reisten" und versuchten, deren ursprungliche Kultur vor der „Verderbung" durch den Tourismus zu schutzen. Nash (1989) bezeichnete den Tourismus sogar als „a form of imperialism", der die gastgebende Gesellschaft tiefgreifend verandert und ausnutzt:
„The tourist, like the trader, the employer, the conqueror, the governor, the educator, or the missionary, is seen as the agent of contact between cultures and, directly or indirectly, the cause of change particularly in the less developed regions of the world.” (Nash 1989: 37).
Die darin implizierte Opferrolle der Bewohner in den Reisezielen ist aber keineswegs ohne weiteres haltbar, da die Betroffenen selbst ganz anders mit den Einflussen aus anderen Kulturen umgehen[5] und auGerdem den Tourismus als wichtigen Entwicklungsfaktor und als Ubermittler modernisierender Ideen betrachten.
Eine grundlegend negative Einstellung gegenuber dem Tourismus war auch die Ursache fur die relativ spat aufkommende wissenschaftliche Auseinanderset- zung mit dem Thema. Die Wirtschaftswissenschaften zeigten zwar schon fruh Interesse am Fremdenverkehr, der bis heute einer der weltweit groGten Wirt- schaftsfaktoren darstellt[6], aber sozialwissenschaftliche Disziplinen wie die Soziologie, Psychologie und auch die Ethnologie befassten sich erst seit den spaten 1970er Jahren mit der Untersuchung des Tourismus. Sicherlich spielt dabei auch eine Rolle, dass die klassische ethnologische Forschungsaufgabe, namlich die Ethnographie einer „traditionellen Gesellschaft", im Tourismus nicht als gegeben gesehen, sondern der Tourismus eher als Storfaktor in der Erstel- lung dessen empfunden wurde (Kahrmann 1995: 8ff).
Im Bereich der Ethnologie stieg die Zahl der Feldforschungen in den Entwick- lungslandern parallel mit der Zunahme des Reiseverkehrs in diesen Gebieten, und heute ist die ethnologische Literatur uber Tourismus kaum mehr zu uberbli- cken. Dabei ist festzustellen, dass insbesondere neuere Studien den Tourismus als ein System von interkulturellen Beziehungen auffassen, dessen Verflech- tungen auf globaler Ebene berucksichtigt werden mussen. Diese sich andernde Wahrnehmung des Fremdenverkehrs in der Ethnologie lasst sich auch anhand der verschiedenen Definitionen von Tourismus erkennen, die im Folgenden dargestellt werden.
2.1 Definitionen von Tourismus
Eine erste Begriffsbestimmung von Tourismus und Touristen stammt von Smith, die 1977 mit ihrem Sammelband „Hosts and guests: The anthropology of tourism" eines der ersten und meist zitiertesten Werke uber die ethnologische Tou- rismusforschung herausgegeben hat. Sie definiert einen Touristen als:
„[...] a temporary leisured person who voluntarily visits a place away from home for the purpose of experiencing a change." (Smith 19892: 1).
Graburn ubernimmt groGtenteils die Definition von Smith und vergleicht die Be- weggrunde fur das Verreisen in fremde Lander mit religiosen Strukturen: „Tou- rism: A sacred journey" (Graburn 1989: 21). Seiner Ansicht nach ist Tourismus eine notwendige Flucht aus dem Alltag und fallt somit in die gleiche Kategorie wie Spiel oder Ritual, die ebenfalls die alltagliche Normalitat innerhalb einer ge- sellschaftlich festgelegten Struktur unterbrechen. Wie bei rituellen Handlungen ist auch die Dauer einer Reise begrenzt und stellt im Gegensatz zum alltagli- chen Leben eine auGergewohnliche Situation dar (Ibid.: 11).
In ahnlicher Weise argumentiert der Soziologe MacCannell, der das Reisen und hier besonders das „sightseeing" als „modern ritual" bezeichnet. Vergleichbar mit einer Pilgerreise werden hier nicht Andachtsorte fur eine religiose Vereh- rung aufgesucht, sondern die Sehenswurdigkeiten in einen fast religiosen Status erhoben („sight sacralization") (MacCannell 1989: 43).
Nash loste 1981 mit seinem Artikel „Tourism as an anthropological subject" eine breite Diskussion uber die Notwendigkeit einer ethnologischen Tourismusfor- schung aus. Er versuchte, die Auswirkungen des Fremdenverkehrs auf das so- ziokulturelle System der Gastgesellschaft zu analysieren, und reduzierte die Tourismusdefinition auf Folgendes: „Where travel and leisure intersect, tourists and tourism are produced." (1981: 462). Da Tourismus eine Reise voraussetzt, kommt es zum ubergreifenden und interkulturellen Kontakt, und die daraus ent- stehenden sozialen Handlungen zwischen Gastgebern[7] und Gasten sind seiner Meinung nach der Kern des touristischen Interaktionssystems, der mit ethnolo- gischen Arbeitsmethoden analysiert werden muss (Nash 1996: 84).
In neueren Publikationen wird meist auf die Definition der weltweit agierenden und groGten Tourismusorganisation, die World Tourism Organization (WTO), Bezug genommen, die den Tourismus folgendermaGen umschreibt:
„Tourism is defined as the activities of persons travelling to and staying in places outside their usual environment for not more than one consecutive year for leisure, business and other purposes not related to the exercise of an activity remunerated from within the place visited.[8]
Zusammenfassend lassen sich die Hauptmerkmale des Tourismus also wie folgt benennen:
1. die raumliche Entfernung vom eigentlichen Wohnort,
2. eine zeitliche Begrenztheit des Aufenthaltes,
3. dadurch eine Veranderung der sozialen, alltaglichen Situation,
4. keine Ausubung einer (bezahlten) Tatigkeit.
Die Vielzahl der unterschiedlichen Ansatze in der Begriffsdefinition zeigt, dass eine allgemein gultige Definition von Tourismus kaum moglich ist. Sicherlich dient es auch nicht der Sache, eine starre Definition zu propagieren, die be- stimmte Reiseformen aus- bzw. einschlieGt[9], da Reisen an sich in sehr vielen unterschiedlichen Gesellschaften und Kulturen zu finden ist und auch stets der sozialpolitische Kontext miteinbezogen werden muss. In neueren Studien der ethnologischen Tourismusforschung wird vielmehr versucht, anhand konkreter Beispiele die Interaktion zwischen Touristen und Einheimischen aufzuschlus- seln und tourismusinduzierte Wandlungsprozesse aufzuzeigen. Aus diesen
Ergebnissen werden im Idealfall in Zusammenarbeit mit Tourismusplanern fur die ErschlieGung neuer Ferienregionen geanderte Grundsatze bzw. alternative Reiseformen erstellt, um mogliche Negativfolgen des Tourismus gering zu hal- ten. Inzwischen gibt es weltweit Programme unter dem Schlagwort sustainable tourism, die versuchen, den Tourismus auf die Bedurfnisse der Einheimischen anzupassen sowie okologische Schaden gering zu halten.[10] Vor allem wird angestrebt, dass indigene Bevolkerungsgruppen mehr Mitspracherecht und Kontrollmoglichkeiten uber den sie betreffenden Tourismus erhalten (vgl. Butler/ Hinch 1996).
2.1.1 Die verschiedenen Reiseformen
Die Tourismusforschung befasst sich mit einer Vielfalt von Tourismusarten, die entsprechend ihres Wesensgehaltes unterschiedliche Menschen ansprechen. Nicht nur Alter, Geschlecht, soziale und nationale Herkunft sind bei der Wahl der Reiseform ausschlaggebend, sondern auch personliche Praferenzen. Da zudem jeder Tourist je nach Zweck und Ziel seiner Reise sein Verhalten andert, ist eine kategorische Typologisierung der diversen Tourismusformen, wie sie die Reisebranche oder Wissenschaft erstellt hat, kritisch zu betrachten (Burns 2000: 44). Dennoch werden in der folgenden Ubersicht verschiedene Touris- mustypen differenziert, um deutlich zu machen, dass der Begriff Tourismus eine Vielzahl von Reiseformen und Kontaktsituationen zusammenfasst, die ihrerseits unterschiedliche Erwartungshaltungen der Reisenden beinhalten und in jeweils anderer Art und Weise auf die Gastgesellschaft wirken. In Anlehnung an Smith (1989: 4ff) werden in der unten angefuhrten Tabelle funf Hauptrichtungen des Tourismus unterschieden, deren Grenzen aber flieGend sind: Erholungstouris- mus, Oko- und Sporttourismus, Ethnotourismus und Historischer oder Kultur- tourismus. Es kommt dabei nicht auf die Vollstandigkeit der Ubersicht an, wich- tig ist hier vielmehr das Aufzeichnen der unterschiedlichen Reiseformen und - Motivationen sowie die daraus resultierende Auspragung eines Kontaktes zwi- schen Einheimischen und Reisenden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2 Anforderungen an eine ethnologische Tourismusforschung
Tourismus ist ein komplexes System, das nicht vom politischen, okologischen, okonomischen oder sozialen Hintergrund getrennt werden kann. Deshalb ist eine multidisziplinare Herangehensweise vonnoten, um Einflusse zu beruck- sichtigen, die den Kontakt zwischen Touristen und Einheimischen bestimmen (Burns 2000: 34).
Der Fremdenverkehr sollte auch im Rahmen des gegenwartig zunehmenden Globalisierungsprozesses betrachtet werden. Denn nicht nur nationale und naturlich lokale politische und okonomische Prozesse nehmen Einfluss auf die Situation des Tourismus eines Ziellandes, sondern auch Entscheidungen auf Makroebene haben Konsequenzen in den Reisezielen, wie bereits Nash 1981 folgerte:
„[...] this touristic process may evolve into a touristic system which itself can be embedded in some broader social context. Those who focus on one aspect of this system will be wise to keep in mind the larger contexts of which it is a part.” (Nash 1981: 462, Hervorhebung im Original).
Die Rolle der Ethnologie ist hier, die (moglichen) kulturellen Veranderungen durch den Tourismus und vor allem die unterschiedlichen Reaktions- und Inter- aktionsprozesse der gastgebenden Kulturen und Gesellschaften aufzuzeigen.[11] Denn schon bei der Planung von Tourismusprojekten mussen diese Aspekte und die Bedurfnisse der einheimischen Bevolkerung berucksichtigt werden, um die Einflusse des Tourismus auf die lokale Gesellschaft abzuschatzen bzw. moglichst gering zu halten.[12] Dies kann z. B. dadurch geschehen, dass bereits im Voraus kulturelle Zusammenhange in den Zielgebeiten erortert werden und die Bevolkerung im Zielgebiet - wie auch spater die Reisenden - informiert werden, wie ein respektvoller Umgang zwischen den „fremden" Kulturen aussehen kann.
3 Tourismus und seine kulturellen Auswirkungen
Zunehmende grenzuberschreitende Mobilitat durch Migration, Handelsbezie- hungen und Tourismus schafft groGen Raum fur interkulturelle Kontakte. An dieser Stelle werden die Auswirkungen des Tourismus auf die Kulturen der Ziellander erlautert, die in den meisten Fallen eine Anpassung der gastgeben- den Gesellschaft an die touristischen Bedurfnisse nach sich ziehen. Die Mehr- zahl der hier berucksichtigten ethnologischen Studien beziehen sich auf den Tourismus in Entwicklungslandern. Zwar sind die Zielgebiete der meisten Ur- laubsreisen noch immer Europa und Nordamerika, die gleichzeitig auch die Hauptquellgebiete der Auslandsreisenden sind, doch nehmen die Reisen in Entwicklungslander bestandig zu (Hennig 1997: 149). Demgemass sind die so- zialen wie kulturellen Unterschiede zwischen Reisenden und „Bereisten" auffal- liger, und, abgesehen von meist positiven okonomischen Auswirkungen fur die Empfanger-Lander, findet durch den Tourismus ein ungleicher Begegnungspro- zess auf kultureller Ebene statt. Die Prasenz westlicher Touristen ubt in den Entwicklungslandern aufgrund ihrer okonomischen und politischen Uberlegen- heit gegenuber dem GroGteil der Gastgeber einen nicht zu unterschatzenden Einfluss auf deren Lebensweise und Selbstkonzeption aus. Der Tourismus kann als einer der groGten Kanale fur die Modernisierung und Globalisierung der we- niger industrialisierten Lander bezeichnet werden, da durch den direkten, per- sonlichen Kontakt zwischen den Tragern verschiedener Lebensweisen die Begegnung mit dem kulturell Fremden eine weitaus starkere personliche Wir- kung hat als beispielsweise die durch Medien ubermittelten Bilder und Werte (Burns 2000: 94).
3.1 Kontaktebenen des Tourismus
Bei der Beschaftigung mit der touristischen Interaktion verschiedener Kultur- trager ist zu beachten, dass sowohl die Reisenden als auch die Bevolkerung des Reiselandes innerhalb des Tourismus nur einen Teilaspekt ihrer Kultur wi- derspiegeln und ihr Verhalten keineswegs mit dem im Alltagsleben gleichzu- setzen ist. Wahrend der Urlaubszeit treten sich Touristen und Einheimische, also Gast und Gastgeber, in einer bestimmten Rolle gegenuber, die fur beide einen Ausnahmezustand darstellt und deshalb nicht unbedingt als reprasentativ fur die jeweilige Kultur gelten kann (Luem 1985: 59). Deshalb werden nicht nur die Kulturen der Quell- und Ziellander unterschieden; auch die sogenannte Tou- ristenkultur findet hier eine differenzierte Betrachtung. An den Beruhrungs- punkten dieser drei Ebenen kommt schlieGlich der touristische Kontakt zu- stande.
Unter der Kultur der Quelllander wird die Kultur der Touristen in ihrem Heimat- land verstanden. Sie unterscheidet sich national, regional, aber auch lokal und bildet den soziokulturellen Hintergrund des einzelnen Touristen. Ebenso wie bei der Kultur der Quellregion fasst Thiem bei der Kultur der Ziellander die unter- schiedlichen Kulturen vor Ort unter einem Begriff zusammen. Die Touristen- kultur dagegen existiert nur auf den Reisen selbst. Hier verandert sich wahrend einer Reise das personliche Verhalten, um sich in der Rolle des Touristen an die Gegebenheiten der Reise und der dortigen Kulturen und Gesellschaften anzupassen (Thiem 1994: 35). Die Reisenden bilden in diesem Moment gewis- sermaGen eine neue Gemeinschaft, die sich im Regelfall aus diversen Nationa- litaten zusammensetzt und somit in sich wiederum ein System interkultureller Beziehungen bildet.
3.2 Reaktionen der Gastgeber auf die Touristen
Das uberwiegend negativ gezeichnete Bild der Touristen in den hiesigen Me- dien und besonders auffallend in Untersuchungen uber die Bedeutung des Tou- rismus als Ausloser fur Kulturwandel oder Umweltzerstorung, stimmt nur einge- schrankt mit dem Touristenbild der Gastgeber uberein. Wie die Einheimischen die Touristen wahrnehmen und auf sie reagieren, kann von vielen Faktoren abhangen. Unter anderem sind Anzahl und Herkunftsland der Touristen sowie ihr Reisetypus (z. B. Individual- oder Gruppenreisen) ausschlaggebend dafur, ob die Einheimischen mit Ablehnung oder BegruGung auf die fremden Besucher und auf die damit einhergehenden Veranderungen reagieren. SchlieGlich spielt auch die sozial-politische Funktion, die der Tourismus im Zielland einnimmt, eine Rolle in der Haltung gegenuber den Feriengasten. Es ist schwierig, die Be- ziehung von Touristen und Gastgebern in ein universales System zu fassen, da sich an jedem Reiseziel sehr unterschiedliche Positionen herausbilden konnen.
So werden die Verbesserung der Infrastruktur im Zuge der touristischen Er- schlieGung und besonders okonomische Gewinne sowie die Moglichkeit der Annaherung zu fremden Kulturen als Fortschritt und positive Effekte fur die ei- gene Gesellschaft begruGt (Hennig 1999: 129ff).
Unter den Einheimischen kann sich aber ebenso leicht eine Ablehnungshaltung gegenuber den Touristen und deren zur Schau gestellten Lebensart entwickeln. Vor allem zeigt sich an Orten, die sehr stark von Touristen frequentiert werden und z. T. fest in den Handen der Besucher sind, ein Unbehagen uber die Feriengaste, da sich die Einheimischen durch die zeitweise Uberflutung ihrer Heimat von Touristen in ihrer Eigenstandigkeit und kulturellen Einheit bedroht sehen.[13] Die Folge ist, dass sich bei den Einheimischen ein Gefuhl der kulturellen Entfremdung durch den Reiseverkehr entwickeln kann und sich daraus eine Abwehrhaltung gegen Touristen aufbaut (Harmsen 1999: 88). Dabei werden nicht selten Negativklischees gebildet, die sich schlieGlich verfestigen und nur selten revidiert bzw. abgelegt werden. So berichtet Brewer von einer mexikani- schen Stadt, in der die Bewohner anhand der Verhaltensmuster der Besucher ein nach Nationen geordnetes Umgangsschema mit Touristen entwickelten:
„The use of ‘specific’ stereotypes is an adaption to the native’s need to deal with large numbers of culturally different tourists who remain only a short time.” (1984: 500).
Andererseits kann auch eine gegenlaufige Bewegung entstehen, indem die Einheimischen versuchen, die durch die kulturelle Entfremdung bedrohten oder verdrangten Kulturelemente wiederzubeleben, um die lokale Identitat zu star- ken. Ein Beispiel fur diesen Prozess erlautert Friedman anhand der Situation auf Hawaii. Mit dem einsetzenden Massentourismus entstand eine „anti-touristi- sche" Revitalisierungsbewegung, um sich von der westlichen, „amerikanisier- ten" Welt abzugrenzen (1992: 845f).
Die Einheimischen passen demnach ihr Verhalten aktiv an, um mit den Touristen umgehen und von Auswirkungen durch den Tourismus profitieren zu kon- nen. In der Tourismusforschung wurden dafur drei theoretische Stufen der An- passung bzw. der Reaktion der Gastgeber auf die Touristen unterschieden: der Demonstrations-, Imitations- und Identifikationseffekt[14]
3.2.1.1 Demonstrationseffekt
Wie oben beschrieben, divergiert die Touristenkultur von der Alltagskultur der Touristen in ihren Heimatlandern. Ein abweichendes Verhaltensmuster, das sich durch groGere finanzielle GroGzugigkeit am Urlaubsort, gelockerte Moral- vorstellungen oder einfach nur MuGiggang kennzeichnet, der ja das Urlaub- Machen ausmacht, hinterlasst bei den Gastgebern falsche Vorstellungen. Ihnen wird von den Touristen - ob gewollt oder nicht - eine Lebensform prasentiert, die sich von der dortigen, traditionellen Kultur oft sehr unterscheidet (Burns 2000: 101). Da aber nur wenige Menschen der Gastlander die Moglichkeit haben, das Leben der Touristen in ihrer Heimat kennen zu lernen, wird die Touristenkultur aufgrund der fehlenden Vergleichsperspektive als normal betrach- tet, und es kommt zu Fehleinschatzungen uber die wirkliche finanzielle und soziale Situation in den Quelllandern. Zusatzlich verstarkt die Tatsache, dass sich die Mehrzahl der Einheimischen solch eine Reise und so viel Freizeit nicht leisten konnen, ihr Gefuhl von finanzieller Ungleichheit und nahrt ihre teils schon vorhandenen Vorurteile von den reichen und faulen Touristen (De Kadt 1979: 66). Zwar kann die Demonstration soziokultureller Unterschiede durch die Touristen allein noch keine Veranderungen in der Gesellschaft der Reiselander verursachen, sie ist aber ein Ausloser zur Selbstreflexion uber die eigene sozio- kulturelle Situation im Vergleich zur Touristenwelt und zieht u. U. Anpassungs- versuche nach sich, die im Folgenden angefuhrt werden.
3.2.1.2 Imitationseffekt
Eine Reaktion auf die offensichtliche Andersartigkeit der Touristen, die je nach Grad der ethnischen und kulturellen Distanz unterschiedlich stark ausfallt, kann der Versuch der Einheimischen sein, sich der von den Touristen vorgelebten Kultur anzunahern. Dies geschieht vornehmlich, indem sie die Touristen in ihrem Verhalten nachahmen, um die durch den Demonstrationseffekt hervorge- rufenen neuen Bedurfnisse[15] zu befriedigen. Besonders Jugendliche, die fur neue Einflusse weitaus empfanglicher sind, versuchen den Lebensstil (Mode, Verhalten, Sprache, Essgewohnheiten, etc.) der um Reichtum und MuGiggang beneideten Touristen zu kopieren.
Die Imitation fremder Kulturelemente kann die Einheimischen unter Umstanden in Konflikt mit ihren traditionellen Normen und Werten bringen, denn oftmals ist das vorgelebte Handeln der Touristen nicht mit der uberlieferten Lebensart ver- einbar oder sogar tabuisiert. Eine daraus resultierende Abwendung von der eigenen Kultur kann zu einem Entwurzelungsgefuhl fuhren, da durch das Stre- ben nach den neuen Vorgaben die uberlieferten und etablierten Muster an Gultigkeit verlieren (Luem 1985: 60ff).
3.2.1.3 Akkulturation
Der stetige Import fremder kultureller Elemente in die bereisten Lander kann einen Veranderungsprozess der lokalen Kultur auslosen. Akkulturation ist im weitesten Sinne eine Art des exogen generierten Kulturwandels. Durch den Kontakt verschiedener Kulturen kann es zu einem gegenseitigen Austausch von Kulturgutern oder Werten kommen, wobei dieser Prozess in den meisten Fallen asymmetrisch verlauft. Die (okonomisch) starkere Kultur, ohne dabei von einer kulturellen Uberlegenheit zu sprechen, dominiert die schwachere und regt in ihr Veranderungen an, die sie „into something of a mirror image" (Burns 2000: 104) wandelt. Nunez (1989) fuhrt als Beispiel dafur die sprachliche Akkulturation in den Reisegebieten als Indikator an, da:
„[...] the usually less literate host population produces numbers of bilingual individuals, while the tourist population generally refrains from learning the host’s language." (1989: 266).
Luem bezeichnet den Tourismus in Entwicklungslandern als „Paradefall der Akkulturation" (1985: 58), da hier ein starkes Machtgefalle zwischen Gast und
Gastgebern herrscht und die Gastgesellschaft in den meisten Fallen versucht, sich nach den Bedurfnissen der Gaste zu richten.
3.2.2 Veranderungen in der Sozialstruktur
Neben Auswirkungen im kulturellen Bereich zieht der Tourismus auch Veranderungen in der Sozial- und Arbeitsstruktur der Ziellander nach sich. Durch die touristische ErschlieGung entstehen zwar neue Arbeitsplatze, die aber in land- wirtschaftlich gepragten Regionen meist auf Kosten traditioneller Erwerbs- formen gehen. Denn wegen des gestiegenen Bedarfs an Arbeitskraften im meist ertragsreicheren Dienstleistungsbereich und anfanglich besonders im Bausektor, verliert die landwirtschaftliche Produktion an Bedeutung. Eine Folge dieser Verlagerung ist unter anderem die Landflucht vieler Arbeitnehmer und eine Abwanderung in die Touristenzentren. Doch nicht uberall fuhrt der Tourismus zu Migrationsbewegungen vom Land in die Stadte. Auch viele landliche Gebiete werden vom Tourismus entdeckt und versprechen dort neue Arbeits- moglichkeiten.[16] GleichermaGen beeinflusst der Tourismus durch die neue Arbeitsstruktur unter Umstanden die traditionelle Arbeitsteilung der Geschlechter. Bei den Kuna-Indianern in Panama haben beispielsweise die Frauen durch die Herstellung der traditionellen molas, die weltweit auf dem Kunstmarkt beachtli- che Preise erzielen, eine neue Erwerbsmoglichkeit gefunden, die ihnen ein un- abhangigeres Leben und aufgrund ihres gestiegenen Sozialprestiges mehr Mit- wirkung im lokalpolitischen Geschehen ermoglicht (Swain 1989: 92ff).
3.3 Kommerzialisierung von Kultur
Die Kommerzialisierung, die in der gegenwartigen Gesellschaft in allen Berei- chen stattfindet, beurteilt Objekte und Dienstleistungen nach ihrem Marktwert. Dabei werden nicht nur konventionelle Waren und Dienste vermarktet, auch kulturelle Inhalte bekommen auf dem globalen Tourismusmarkt einen Handels- wert (Burns 2000: 58), weshalb auch Greenwood Kultur als eine „naturliche Ressource" fur die Tourismusindustrie bezeichnet (1989: 179). Tanze oder an- dere kulturelle Ausdrucksformen werden speziell fur Touristen aufgefuhrt, um die Kultur des Gastlandes bzw. die von den Reisenden gesuchte Exotik zu pra- sentieren. Auch die Produktion von Kunst- oder Gebrauchsgegenstanden als Souvenirkunst passt sich den Wunschen der Touristen an[17]. Diese Art von Ver- marktung und Inszenierung kultureller Eigenheiten im Rahmen des Tourismus ist in allen Reiselandern zu beobachten und wird meist von auGenstehenden Tourismusplanern oder den sogenannte culture brokers [18] angeregt, die den Marktwert kultureller Besonderheiten schneller erkennen und umsetzen konnen. Culture brokers fungieren als Mittlerpersonen zwischen den Touristen und der lokalen Bevolkerung, da sie sich aufgrund bestimmter Fertigkeiten wie Kennt- nissen in anderen Sprachen (uberwiegend in den Sprachen der Nationen mit den groGten Touristenzahlen) oder durch fruhere Kontakte zu anderen Gesell- schaftsgruppen, in der lokalen wie auch in der internationalen Gesellschaft bes- ser zurecht finden. Dadurch konnen sie eventuell eine Art Fuhrerrolle einneh- men und die Kultur vor Ort gemaG der touristischen Bedurfnisse leichter mani- pulieren und vermarkten (Burns 2000: 100).
Es stellt sich hierbei die Frage, wie sich die inhaltliche Bedeutung der Kultur- elemente verandert, wenn diese im Tourismus vermarktet werden (Cohen 1988: 381). Greenwood zeigt am Beispiel einer baskischen Stadt, wie ein lokales Festival durch den Einfluss des Tourismus aus seinem traditionellen Zusam- menhang gerissen und zu einer kommerziellen Touristenshow abgewandelt wurde. Das ursprunglich nur einmal jahrlich stattfindende Fest wurde gegen den Willen der Lokalbevolkerung am Festtag gleich zweimal abgehalten, um den immer groGer werdenden Touristenstrom zufrieden stellen zu konnen. Die Kon- sequenz war, dass sich in den folgenden Jahren der GroGteil der Bewohner weigerte, sich an den Auffuhrungen zu beteiligen. Daraufhin begann die Stadt- verwaltung, alle Teilnehmer des Festes finanziell zu entschadigen, um den Ausfall desselben zu verhindern. Aber durch diese Entlohnung ging fur die Einheimischen der eigentliche Hintergrund des Brauchtums verloren, da aus einer alten Tradition eine kommerzielle Veranstaltung geworden war (Greenwood 1989:
Nicht selten werden einheimische Traditionen auch mit kulturfremden Aspekten angereichert, um sie fur das touristische Publikum interessanter zu machen. So werden beispielsweise auf der polynesischen Insel Tonga die fur Touristen auf- gefuhrten Tanze mit verschiedenen Tanzelementen aus anderen Regionen und Landern (z. B. aus Neuseeland und Hawaii) ausgeschmuckt (Urbanowicz 1989: 115). Der daraus resultierende Show-Charakter der Auffuhrungen hat im Extremfall zur Folge, dass die Einheimischen sich diesem Mandat der kunstli- chen Authentizitat zu unterwerfen beginnen. Anordnungen der Reiseleiter oder culture brokers mussen befolgt werden, um bestimmte Szenen oder Aktionen effektvoll zu inszenieren. Daruber hinaus verlangt die Ausrichtung der Zeremo- nien und anderer kulturellen Handlungen auf ein externes Publikum eine Ver- einfachung und oft auch eine Verkurzung der Darbietungen, um den Anforde- rungen des Tourismusgeschaftes zu entsprechen (Cohen 1988: 381).[19] Aber nicht immer verlieren Ausdrucksformen wie Handwerkstechniken oder Tanze durch solch eine Inszenierung fur die Einheimischen an Sinngehalt. Sie werden teilweise auch in ihrer ursprunglichen Form bewahrt oder andernfalls an die neuen Bedingungen angepasst (Hennig 1999: 147). Cohen argumentiert, dass die durch Kommerzialisierung modifizierten Kulturelemente auch einen Bedeutungswandel erfahren konnen. Ein ursprunglich fur ein internes Publikum zelebriertes Ritual kann moglicherweise zum Ausdruck des Selbstbildes gegen- uber AuGenstehenden werden und die eigentliche Bedeutung fur externe Teil- nehmer dabei aber verborgen halten (1988: 383).
Interessant ist hierbei zu erfahren, wie die Einheimischen dieses marktorien- tierte Handeln in Bezug auf die Authentizitat beurteilen. Sind fur sie die vor Touristen gezeigten Rituale und Tanze nur noch bedeutungsleere Drehbucher oder verstarken sie den Stolz auf die eigene Kultur? Die Beantwortung dieser Frage kann von Fall zu Fall sehr unterschiedlich ausfallen. In manchen Kulturen manifestiert sich durch die tourismusinduzierte Wiederbelebung alter Traditionen eine generelle Ruckbesinnung und Aufwertung der eigenen Kultur, wie MacKean beispielsweise in Bali festgestellt hat (1989: 119ff). In manchen Fallen
haben einige Traditionen sogar nur dadurch uberlebt, dass sie fur Touristen aufgefuhrt wurden, und jungeren Generationen sind manche Uberlieferungen nur noch aus solchen Darbietungen bekannt (Dworschak 1994: 28ff).
Die Kommerzialisierung ist daher nicht immer dem Verlust kultureller Inhalte oder einer verwerflichen Kapitalisierung derselben gleichzusetzen, sondern kann unter Umstanden eine integrative Funktion entwickeln. Denn die fremde Beachtung der lokalen Kultur und Geschichte unterstutzt bei den Einheimischen ebenfalls das Interesse an der eigenen Kultur und kann manchmal dazu fuhren, dass sie sich in diesem Bewusstsein nicht nur gegenuber den Touristen, sondern auch gegenuber anderen ethnischen oder sozialen Gruppen abzugrenzen versuchen (Hennig 1999: 147).
3.3.1 Tourist Art
Ein zentraler Bestandteil des Tourismus und somit auch des Reisemarktes sind Souvenirs, mit denen sich die Reisenden ein Stuck fremde Welt mit nach Hause nehmen konnen. Sie dienen neben den aufgenommenen Fotografien sozusa- gen als Beweis fur die erlebte Reise und illustrieren die exotischen Erlebnisse. Durch die Nachfrage nach Andenken wird in den Reiselandern die Handwerks- produktion angeregt, was einerseits zu einer Wiederbelebung von Arbeitstech- niken und mancherorts zu einer Bestarkung alter Traditionen fuhren kann. Andererseits entsprechen die meist schon in industrieller Massenproduktion hergestellten Souvenirartikel, auch als „airport art" bezeichnet, nicht mehr der ursprunglichen Qualitat, sondern erfahren eine Anpassung an Geschmack und Bedurfnisse der Reisenden.[20] Manche Gegenstande sind deshalb in Miniaturformat und aus leichteren Materialien erhaltlich, damit sich keine Trans- portprobleme fur die Heimreisenden ergeben (Luem 1985: 81). Auch werden nicht selten neue Objekte erfunden, die moglicherweise keinen Bezug zur lokalen Kultur[21] oder oft nur noch eine rein dekorative Funktion haben. Zudem lasst sich oft ein Funktionswandel bei Gegenstanden feststellen, wenn bei- spielsweise die als Tragetucher konzipierten andinen Textilien in den Wohn- hausern der Touristen zu Wandbehangen umfunktioniert werden.[22] Problema- tisch ist in diesem Zusammenhang auch der Ausverkauf alter, ethnographisch wertvoller Objekte, die fur die ehemaligen Besitzer als Stuck der eigenen kultu- rellen Identitat einen ideellen Wert haben und nur aus finanziellen Noten verau- Gert werden.
Die Souvenirkunst kann daher als Sinnbild des touristischen Kommerzialisie- rungs- und Wandlungsprozesses gesehen werden. Die Produzenten von Kunsthandwerk mussen schnell auf die touristische Nachfrage reagieren und spiegeln in ihren mehr oder weniger modifizierten Gegenstanden direkt Ge- schmack und Anspruche der Reisenden wider. Motive werden meist folklorisiert und auch auGerhalb des traditionellen Verbreitungsgebietes verwendet, was langfristig eine Homogenisierung der Bildmotive und Objekte in der Souvenirkunst mit sich bringt (Dupey 1993: 16). Ursprungliche Bedeutungszusammen- hange werden somit schon bei der Produktion dieser Objekte im Rahmen des Tourismus ausgeklammert und lediglich dem Markt angepasst.
3.4 Die Rolle von Stereotypen im Tourismusgeschaft
Die Kommerzialisierung betrifft nicht nur das Kunsthandwerk oder die fur die Touristen aufgefuhrten Tanze, es werden auGerdem bestimmte Kulturmerkmale in ihrer gegenwartigen oder vergangenen Form als stereotypisiertes Markenzei- chen eines Landes reproduziert.
Stereotype sind stark vereinfachte und generalisierte Vorstellungen von einer Person oder Menschengruppe, von einem Reiseland oder einer Nationalitat. Zwar stimmen diese Ideen vom Anderen kaum mit der Realitat uberein, den- noch beeinflussen sie das Verhalten jeder Person und lassen sich nur schwer revidieren, da sie sich oftmals an kulturell tradierten Bildern orientieren (Gast- Gampe 1993: 129). Die Bildung solcher Stereotype basiert hauptsachlich auf Informationen aus den Medien und Berichten von Bekannten uber andere Kul- turen, Menschen oder Orte. Besonders das Fernsehen, aber auch die gangige
Reiseliteratur verstarken diese Bilder und heben bestimmte Merkmale eines Landes hervor, die in der Werbung der Tourismusbranche als sogenannter Wiedererkennungswert fur jedes Reiseland produziert werden. Realitatsverzerrungen sind demzufolge in der Tourismuswerbung die Regel, da die Reisenden ihre Wunsche und Phantasien in einer vermeintlich ursprungli- cheren und unverdorbenen Welt zu realisieren versuchen. Das Fremde wird idealisiert und selektiv dargestellt und besonders nicht-europaischen Kulturen wird das von der Tourismusindustrie vermarktete Klischee des Paradieses oder der Heimat der „edlen Wilden" angehaftet (Hennig 1999: 127f). Doch wie Pi- Sunyer (1989) zeigt, entstehen Stereotype oder Vorurteile nicht nur in den Kopfen der Touristen. Auch die Bereisten schaffen sich ihrerseits ein Bild von den Besuchern, das nicht selten als negatives Vorurteil[23] gegenuber den ver- schiedenen Nationalitaten zum Ausdruck kommt.
Die Einheimischen sind sich zudem uber die Stereotypen der Touristen be- wusst, und es kommt vor, dass sie absichtlich eine Art Scheinkultur aufbauen, die es fur sie einfacher macht, die Erwartungen der Touristen zu erfullen (Luem 1985: 60).[24] Deswegen kann davon ausgegangen werden, dass der Reisever- kehr nicht - wie oft argumentiert wird - Klischeevorstellungen abbaut, sondern bestehende Stereotype bzw. Vorurteile in den meisten Fallen verstarkt.
3.5 Das Problem der Authentizitat im Tourismus
Viele Reiseveranstalter versprechen ihren Kunden die Entdeckung unberuhrter Orte und exotischer Paradiese, in denen die Einheimischen noch immer ihrer traditionellen Lebensweise nachgehen. Tendenziell wird der Eindruck vermittelt, dass manche Regionen der Erde noch nicht von der Modernisierung eingeholt wurden und dort noch wahre, ursprungliche, oder auch ..primitive" und „unzivili- sierte" Kulturen zu erleben sind.
Doch warum ist dieses Streben nach Ursprunglichkeit und Echtheit fur den Tourismus so wichtig? Ist es die Suche nach einer von der Modernisierung unver- falschten Lebenswirklichkeit, die in fernen Landern erwartet wird, und kann man sie deshalb wirklich mit dem Streben nach einem religiösen Erlebnis bei einer Pilgerreise gleichsetzen, wie MacCannell behauptet (1989: 105)?
[...]
[1] Der umstrittene Begriff Entwicklungslander soll hier trotz negativer Konnotationen aufgrund fehlender uberzeugender Alternativen beibehalten werden.
[2] Sofern nicht anders angegeben sind im gesamten Text mit dieser Schreibweise Frauen und Manner gemeint.
[3] Die Begriffe Fremdenverkehr, Reiseverkehr und Tourismus werden hier synonym verwendet.
[4] Darunter fallen Reiseleiter, Reiseverkehrskaufleute in privaten Reiseburos wie auch im stadti- schen Touristenburo, Angestellte im Restaurant- und Hotelbereich, Mitarbeiter der nationalen Tourismusbehorde PromPeru, Universitatsdozenten der Tourismusfakultat und auGerdem Hei- ler und sog. Neoschamanen, die Kontakte zu Touristen pflegen.
[5] Vgl. Kapitel 3.2.
[6] Der grenzuberschreitende Tourismus hat einen Anteil von ca. 30% des Welthandels im Dienstleistungsbereich und beschaftigt weltweit mehr als 100 Millionen Menschen (Hennig 1999: 149).
[7] Die haufig in der Fachliteratur benutzten Bezeichnungen Gastgeber fur Personen, die in den Ziellandern in das Tourismusgeschaft eingebunden sind (z. B. Angestellte im Dienstleistungsbe- reich) oder die sonst in Kontakt zu den Touristen stehen, und Gaste fur die Touristen, werde ich in dieser Form beibehalten, obwohl sie nicht in ihrem ursprunglichen Sinne zu verstehen sind. Denn der im touristischen Rahmen stattfindende Kontakt beruht auf einer kommerziellen Ebene und nicht mehr auf dem allgemeinen Verstandnis von Gastfreundschaft, auch wenn weiterhin in Reiseprospekten mit friendliness of the natives" geworben wird (Burns 2000: 99).
[8] http://www.world-tourism.org/statistics/basic_references/index-en.htm, 25.11.2001.
[9] Es wurden beispielsweise Unterscheidungen gemacht, ob ein Verwandtenbesuch oder eine Geschaftsreise unter dem Begriff Tourismus eingeordnet werden kann oder nicht (Eugster 1984: 19).
[10] Zusammen mit der Welttourismusorganisation haben die Vereinten Nationen 2002 zum „Jahr des Okotourismus“ erklart.
[11] Im nachsten Kapitel wird zusammen gefasst, wie der Einfluss des Tourismus auf die Kultur der Ziel- sowie der Quelllander aussehen kann.
[12] Vor allem in der Diskussion um den nachhaltigen Tourismus ist die Partizipation der Bevolkerung ein zentrales Anliegen. Vgl. Vorlaufer 1996 u. a.
[13] In manchen Fallen werden die Ankunfte von Touristen streng restringiert. Beispielsweise das Konigreich Bhutan, das sich erst 1974 dem Welttourismus offnete, begrenzt die Zahl der Touristen, die jahrlich das Land besuchen durfen durch eine hohe Einreisegebuhr, um okologische Schaden und sozial-okonomische Negativfolgen zu verhindern bzw. einzugrenzen.
[14] Diese relativ schematische Einteilung wird in der heutigen Tourismusforschung zwar nicht mehr in dieser Weise vertreten, soll hier aber der Vollstandigkeit halber kurz dargestellt werden.
[15]
Dabei konnen diese sowohl materieller (z. B. Kleidung) wie auch ideeller (z. B. geanderte Sexualmoral) Natur sein.
[16] Auf den Kykladen steigt die Einwohnerzahl durch den Tourismus seit den 1980er Jahren wieder an, nachdem im Zeitraum von 1951 bis 1971 die Bevolkerung auf den Inseln um 37% abnahm (Hennig 1999: 145).
[17] Zum Thema der Souvenirkunst vgl. Kapitel 3.3.1.
[18] Culture oder cultural brokers werden auch als marginal men bezeichnet, die aufgrund ihrer Randposition in der Gesellschaft Innovationen leichter einfuhren konnen (Nunez 1989: 269).
[19] Vgl. dazu das in Kapitel 6.3.1.2 beschriebene Ritual.
[10] In vielen Fallen werden die Souvenirartikel im (benachbarten) Ausland hergestellt und zum Verkauf als landestypische Waren importiert (Dransart 2000: 151). Eine Folge davon ist auch, dass durch diese industrielle Produktion das regionale Handwerk bedroht wird Fur viele Fami- lien geht dadurch eine wichtige Einkommensquelle verloren und unter Umstanden werden sie als (StraGen-) Handler von den Produzenten bzw. Zwischenhandlern abhangig (Jurczek 1985: 42).
[21] In Cusco werden beispielsweise Digeridoos angeboten, die mit andinen Motiven bemalt sind.
[22] Mehr zu diesem Thema, speziell auf Lateinamerika bezogen, siehe Dransart 2000.
[23] Das Konzept des Vorurteils ist von dem des Stereotyps nur schwer abzugrenzen, zeichnet sich aber durch eine generell negative Bewertungshaltung gegenuber der Gruppe bzw. des Landes aus (Gast-Gampe 1993:130).
[24] Mehr zur Bildung von Scheinkulturen in Kapitel 3.5.1.
- Citation du texte
- Brigitte Binder (Auteur), 2002, Wechselbeziehungen zwischen Tourismus und der Re-Indianisierung in Cusco, Peru, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15740
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