[...] Die vorliegende Arbeit unterscheidet sich von einem Großteil der Forschungsliteratur zu Fleißers Werk
darin, daß die Basis der Interpretation kein ausschließlich autobiographischer Ansatz ist. Es wird nicht
in Frage gestellt, daß gerade die Prosa Fleißers autobiographisch gedeutet werden kann, daß viele der
fiktiven Figuren ihr Pendant in Fleißers eigener Erfahrungs- und Lebenswelt haben. Eine rein
autobiographische Interpretation tendiert jedoch dazu, die Texte als Erklärungsmuster für das Leben
der Autorin oder des Autors zu nutzen. Dieser einseitige und dadurch einschränkende
Interpretationsansatz soll in dieser Arbeit nur marginal einfließen. Die Erzählungen sollen textimmanent
mit Berücksichtigung des geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergrundes analysiert werden.22
Die Erzählungen Fleißers werden in der vorliegenden Arbeit unter einem bestimmten Aspekt betrachtet.
Dieser Aspekt darf jedoch nicht zu eng gefaßt sein, da die Kurzprosa Fleißers nicht nur historisch weit
gefächert ist, sondern auch thematisch. Wie in der Einleitung gezeigt wurde, schätzte Fleißer selbst den
Einfluß der Erfahrung der Metropole und der Provinz auf ihre Prosa hoch ein. Es kann die These
aufgestellt werden, daß diese Erfahrung in Fleißers Prosa sehr vielfältig und in verschiedenen Nuancen
bearbeitet wurde. In der Forschungsliteratur wurde sie jedoch bisher nicht detailliert untersucht. Provinz
und Metropole liefern nicht nur das ‘Setting’ der Erzählungen, die Einflüsse dieser beiden
Lebensformen lassen sich ebenso in der Charakterzeichnung und in dem Personengeflecht
wiederfinden. Doch nicht nur inhaltlich-thematisch sind die Erzählungen Fleißers von diesem Aspekt
geprägt. Provinz- und Metropolenerfahrungen beeinflussen auch die formal-stilistischen Merkmale der Erzählungen. Es erscheint demnach sinnvoll und ergiebig, die Kurzprosa Fleißers als Ausdruck der
Erfahrung Provinz bzw. Metropole zu untersuchen.
An dieser Stelle soll der ungenauen Verwendung der vier Begriffe Stadt, Großstadt, Weltstadt und
Metropole entgegengewirkt werden, indem die Begriffe zunächst definiert werden: [...] Es kann konstatiert werden, daß unterschiedliche Stadtformen einerseits über die Zahl ihrer
Einwohnerinnen und Einwohner erfaßt werden können, während jedoch andererseits weitergehende
Definitionsvorhaben in den qualitativen Bereich hineinreichen müssen. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Hinführung zum Thema: Marieluise Fleißers Kurzprosa im Kontext von Metropole und Provinz
1.2. Fragestellung und Intention
1.3. Methodische Anmerkungen
1.4. Untersuchter Textkorpus
1.5. Forschungsbericht
2. Analyse I
2.1. Ein Pfund Orangen (1926)
2.1.1. Charakterisierung der Protagonistin
Exkurs: Natur
2.1.2. Charakterisierung der Anderen
2.1.3. Der Konflikt der Erzählung
Exkurs: Gemeinschaft versus Gesellschaft und Entfrem- dung
2.1.4. Die Lösungswege der Protagonistin
2.1.5. Großstadt- und Provinzelemente in der Erzählung Ein Pfund Orangen
2.2. Avantgarde (1962)
2.2.1. Die große Stadt und der Dichter
Exkurs: Mythos Metropole
2.2.2. Die kleine Stadt und Nickl
Exkurs: Heimat
2.2.3. Cilly und ihr Pendeln zwischen den Existenzformen
2.2.4. Bilder der Städte
2.3. Zusammenfassende Analyse der beiden Erzählungen
3. Analyse II
3.1. Form und Struktur der Erzählungen
3.2. Inhaltliche Analyse
3.2.1. Entfremdung und Einsamkeit: „Am meisten beschäf- tigte sich jeder mit sich allein.“
3.2.2. Liebe: „[Da] war keine Liebe dabei, da hat auch keine Liebe dabei sein sollen.“
3.2.3. Kommunikation und Interaktion: „Da, wo man in Wahrheit reden sollte, redet man doch zu spät.“
3.2.4. Natur und Kultur: „Die Natur war in ihm wohl zu stark, man hat sie verbogen in lauter Pein, jetzt macht sie in ihm was Verkehrtes.“
3.2.5. Metropole: „Sie war in diesem Durcheinanderwim- meln von Lebewesen nur eine Wärme und keine Person, sie hatte nur recht, solange sie wohl tat.“
Exkurs: Ein Porträt Buster Keatons (1927) und Sport- geist und Zeitkunst (1928)
3.2.6. Heimat und Provinz: „Und doch bückt man sich unter Zwang, das kommt von den falschen Plätzen.“
Exkurs: Briefe Fleißers
4. Zusammenfassende Analyse: Kontinuitäten und Brüche
5. Schlußbemerkung
6. Bibliographie
6.1. Primärliteratur
6.2. Sekundärliteratur
7. Anhang
7.1. Kurzbiographie: Marieluise Fleißer
7.2. Ein Pfund Orangen. In: Das Tagebuch, 1.5.1926
1. Einleitung
1.1. Hinführung zum Thema: Marieluise Fleißers Kurzprosa im Kontext von Metropole und Provinz
Marieluise Fleißer wohnt in Ingolstadt. Eine katholische Kleinstadt ist der Nährboden ihrer Phantasie. Es wird zur Realität nichts hinzugetan. Aber die Wirklichkeit selbst geht mit ihren kleinen Zügen in eine neue Welt ein. Ohne Absicht der Gespensterei, ohne Willen zur Phantastik, schreibt Marieluise Fleißer scheinbar sachliche, trockene Berichte, aber von dieser Berichterstattung geht eine seltene Suggestion aus. Das Wort selbst ist wieder Bild geworden. Nicht der Vergleich hebt die Darstellung. Die Darstellung ist das Gleichnis. Marieluise Fleißer hat die entscheidende Begabung der dichterischen Erzählerin: die Mitteilung sofort als Ausdruck zu geben. Dieses ursprüngliche Material-, dieses Werkgefühl scheint mir einer der wesentlichen Bestandteile ihrer Begabung zu sein. So erscheinen die Menschen und die Ereignisse gleichzeitig tragisch und humoristisch, nicht durch Kommentare oder durch Ironie, sondern durch die unheimliche Bannkraft des Blicks mit dem sie gesehen, und der Sprache, mit der sie gestaltet sind.[1]
So urteilte Herbert Ihering, Theaterkritiker und Feuilletonredakteur des Berliner Börsen-Courier, 1925 über die 23jährige Autorin Marieluise Fleißer (*1901, †1974). Bekannt waren ihm bis dahin einige kurze Erzählungen und ein Dramenmanuskript der jungen Autorin. Fleißer war bis 1926 als Schriftstellerin nur über den literarischen Kreis um Lion Feuchtwanger und Bertolt Brecht sporadisch an die Öffentlichkeit getreten. Erst am 25.4.1926 wurde ihr erstes Drama an der Jungen Bühne in Berlin uraufgeführt: Fegefeuer in Ingolstadt.[2] Fleißer wurde, nicht zuletzt durch Brechts Unterstützung, für kurze Zeit eine der bekanntesten Dramatikerinnen der Weimarer Republik. Ihr zweites Drama, Pioniere in Ingolstadt, wurde am 25.3.1928 ohne Zwischenfälle in Dresden uraufgeführt. Durch Brechts Einfluß wurden die sexuellen Andeutungen des Stückes für die Berliner Premiere am 30.3.1929 jedoch so stark hervorgehoben, daß es im Theater am Schiffbauerdamm zum Skandal kam. Fleißer bekam die Nachwirkungen dieses Skandals zu spüren: Er führte nicht nur zum Bruch mit Brecht, sondern handelte ihr jahrzehntelang Vorwürfe der Stadt Ingolstadt ein, die sich durch dieses Stück verunglimpft sah.
Doch nicht nur als Dramatikerin fiel Marieluise Fleißer in literarischen Kreisen auf. Ihre erste Prosaarbeit wurde am 3.3.1923 in der Zeitschrift Das Tagebuch veröffentlicht: Meine Zwillingsschwester Olga.[3] Wie Fleißer in dem 1973 verfaßten Rückblick Ich ahnte den Sprengstoff nicht ausführte, hatte sie durch Feuchtwangers Einfluß - „‘Man schreibt heute nicht mehr Expressionismus’, sagte er, ‘Expressionismus ist Krampf.’“[4] - alle vor 1923 geschriebenen Prosaarbeiten verbrannt. Bis zum Beginn der Nazidiktatur sollte Marieluise Fleißer noch die Möglichkeit haben, diverse Erzählungen, den Erzählungsband Ein Pfund Orangen und neun andere Geschichten der Marieluise Fleißer aus Ingolstadt (1929), ihren einzigen Roman Mehlreisende Frieda Geier, Roman vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen (1931)[5] und einen Band mit Reiseliteratur, Andorranische Abenteuer (1932), zu veröffentlichen.
Bereits in Fleißers frühesten Arbeiten trat ihr besonderes Talent an das Tageslicht. Hier soll noch einmal auf Iherings Besprechung im Berliner Börsen-Courier eingegangen werden: Ihering lobte Fleißers Art, die Realität darzustellen, die Mitteilung direkt zum Ausdruck zu geben. Ihre Darstellungen widmeten sich, laut Ihering, ohne Umwege der Realität. Die Realität, oder besser, die von Fleißer erfahrene Realität, werde direkt gespiegelt. Die von Fleißer beschriebene Realität sei die einer katholischen Kleinstadt: Ihre Heimatstadt Ingolstadt sei die Basis ihrer Phantasie. Ihering war nicht der einzige, der den Einfluß Ingolstadts, also der Provinz[6], auf Fleißers Werke erkannte. Auch Walter Benjamin ging 1929 in seiner Rezension zu Ein Pfund Orangen auf diesen Charakterzug der Texte Fleißers ein:
Diese Frau bereichert unsere Literatur um das seltene Schauspiel ganz unverbohrten provinziellen Stolzes. Sie hat einfach die Überzeugung, daß man in der Provinz Erfahrungen macht, die es mit dem großen Leben der Metropolen aufnehmen können, ja sie hält diese Erfahrungen für wichtig genug, um ihre Person und ihre Autorschaft an ihnen zu bilden.[7]
Benjamin unterschied zwischen einer reaktionär-provinziellen, einer Blut- und Boden-Literatur einerseits und einer sich mit der Provinz solidarisch erklärenden, realistischen, provinziellen, auf eigener Erfahrung beruhenden Literatur andererseits, der er die Werke Fleißers zurechnete.[8] Auf diese Unterscheidung wird Wert gelegt, denn Fleißers Texte widmen sich der Provinz kritisch und manchmal auch aggressiv, anstatt provinzielle Erfahrungen zu idealisieren oder zu verherrlichen.[9] Benjamin hebt die enge Bindung Fleißers an die Provinz hervor. Diese enge Bindung war nicht nur eine emotionale, sondern eine sehr reale geographische.
Durch die Titel ihrer Dramen an Ingolstadt gebunden, durch den Skandal ihres zweiten Dramas von dieser Stadt abgelehnt, lebte Marieluise Fleißer knapp sechzig Jahre in Ingolstadt. Von 1914-1919 besuchte sie das Mädchenrealgymnasium in Regensburg, von 1919-1924 studierte sie in München Theaterwissenschaften und von 1924-1933 wohnte sie mit größeren Unterbrechungen für ungefähr fünf Jahre in Berlin. Ingolstadt war jedoch für Fleißer die am realsten erfahrene Lebensführung.[10] Die Prägung durch Ingolstadt schätzte Fleißer selbst wie folgt ein:
Sie müssen [be]denken, daß ich seit dreiundzwanzig Jahren immer in Ingolstadt lebe und hier sehr verwurzelt bin in der Landschaft und Sprache und in der süddeutschen Lebenshaltung. Als ich vor sieben Jahren das letzte Mal in Berlin war, bin ich dort todunglücklich gewesen. Ich weiß also nicht, ob ich es dort überhaupt aushalten könnte.[11]
Aber auch:
Zudem würde ich mich dort [in Berlin] todunglücklich fühlen, verwurzelt wie ich hier bin in der Landschaft und Sprache. Ich hätte freilich hin und wieder einmal die Begegnung mit Genialität, die mir hier so sehr fehlt, ich meine die Begegnung mit einem genialen Menschen, nicht nur mit seinen Werken.[12]
Fleißer deutete in diesen beiden Briefen an, daß sie hin- und hergerissen war zwischen zwei Lebensformen: zwischen dem ruhigen, relativ stabilen aber auch monotonen Leben mit ihrem Ehemann Josef (Bepp) Haindl in Ingolstadt und der stimulierenden, aufwühlenden aber auch beängstigenden Erfahrung Großstadt in der avantgardistischen Literaturszene. Provinz und Metropole[13] waren also für Fleißer keine einseitig besetzten Erfahrungen, sondern waren der Autorin in ihrer Ambivalenz deutlich. Von außen betrachtet, hatte Fleißer sich scheinbar dem Leben als Ehefrau eines Tabakhändlers angepaßt. Briefe von ihr zeigen jedoch, wie erdrückend die Enge der Kleinstadt auf sie wirkte.[14] Diesen Komplex griff Fleißer immer wieder in ihrem Werk auf. Sie wird in der Forschungsliteratur aus diesem Grund auch als „Grenzgängerin zwischen kleinbürgerlich-provinzieller Sozialisation und großstädtisch-exotischen Fluchtträumen“[15] bezeichnet.
Zeit ihres Lebens zehrte Fleißer von und kämpfte auch mit der Großstadterfahrung der zwanziger Jahre. Nach einer kurzen Verlobung mit dem national gesinnten Journalisten Hellmut Draws-Tychsen und ihren gemeinsamen Reisen blieb Fleißer ab 1933 bis zu ihrem Tod am 2.2.1974 in Ingolstadt. 1935 heiratete sie dort den Tabakhändler Josef Haindl. Während des Dritten Reiches lebte sie zurückgezogen in der bayerischen Provinzstadt. Ein eingeschränktes Schreibverbot und die tägliche Arbeit im Tabakladen hemmten ihre Textproduktion.[16] Erst in den fünfziger Jahren erweckte sie sich selbst wieder zum Leben und trat in die Öffentlichkeit zurück. 1949 schrieb sie zwei ihrer interessantesten Erzählungen: Das Pferd und die Jungfer und Er hätte besser alles verschlafen. 1950 wurde Der starke Stamm in München uraufgeführt. Doch erst Anfang der sechziger Jahre setzte mit der Veröffentlichung ihres zweiten Erzählungsbandes Avantgarde und dem verstärkten Interesse junger Dramatiker an Fleißers Bühnenwerk die ‘Fleißer-Renaissance’ ein. 1969 erschien der dritte Erzählungsband Abenteuer im Englischen Garten, der einen Überblick über Fleißers Prosawerk gibt. 1972 erreichte die Wiederentdeckung Fleißers mit der durch Franz Xaver Kroetz angeregten Veröffentlichung der Gesammelten Werke ihren Höhepunkt.[17]
Marieluise Fleißer kann immer noch nur bedingt zu den ‘entdeckten Autorinnen’ des zwanzigsten Jahrhunderts gezählt werden. Die Edition ihrer Texte kann zwar als weitestgehend abgeschlossen betrachtet werden, die Rezeption ihrer Texte fällt jedoch häufig einseitig und wenig differenziert aus. Wie Ina Brueckel ausführt, wird Fleißer in literaturgeschichtlichen Anthologien selten und wenn, dann als Dramatikerin der zwanziger Jahre erwähnt.[18] Durch Rainer Werner Fassbinder, Martin Sperr und Franz Xaver Kroetz wurden Fleißers Dramen in den sechziger Jahren im Umfeld des Kritischen Volksstücks umfangreich rezipiert. In den siebziger Jahren wurde Fleißer im Zuge der Frauenbewegung als Autorin wiederentdeckt. Doch diese beiden ‘Entdeckungen’ schränken das Werk Fleißers auf jeweils einen Aspekt ein. Diese Einschränkung läßt sich in der Forschungsliteratur zu Fleißers Werk wiederfinden: Bis Anfang der neunziger Jahre widmeten sich Forscherinnen und Forscher hauptsächlich den Dramen Fleißers oder dem Werk einer unterdrückten Frau. In diesem Zusammenhang wurde besonders das Prosawerk Fleißers zum großen Teil autobiographisch gedeutet.[19]
An dieser Stelle setzt die vorliegende Arbeit ein: Fleißer selbst betonte, daß sie sich eher als eine epische und nicht als eine dramatische Autorin verstand: „Das Erzählen liegt mir wohl mehr.“[20] Und „meine Begabung ist im Grunde episch“[21]. Ausgehend von dieser Selbsteinschätzung der Autorin und von der Tatsache, daß die Forschungsliteratur sich den Erzählungen Fleißers bisher wenig umfassend näherte, sollen in dieser Arbeit die Erzählungen Fleißers bearbeitet werden.
1.2. Fragestellung und Intention
Die vorliegende Arbeit unterscheidet sich von einem Großteil der Forschungsliteratur zu Fleißers Werk darin, daß die Basis der Interpretation kein ausschließlich autobiographischer Ansatz ist. Es wird nicht in Frage gestellt, daß gerade die Prosa Fleißers autobiographisch gedeutet werden kann, daß viele der fiktiven Figuren ihr Pendant in Fleißers eigener Erfahrungs- und Lebenswelt haben. Eine rein autobiographische Interpretation tendiert jedoch dazu, die Texte als Erklärungsmuster für das Leben der Autorin oder des Autors zu nutzen. Dieser einseitige und dadurch einschränkende Interpretationsansatz soll in dieser Arbeit nur marginal einfließen. Die Erzählungen sollen textimmanent mit Berücksichtigung des geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergrundes analysiert werden.[22]
Die Erzählungen Fleißers werden in der vorliegenden Arbeit unter einem bestimmten Aspekt betrachtet. Dieser Aspekt darf jedoch nicht zu eng gefaßt sein, da die Kurzprosa Fleißers nicht nur historisch weit gefächert ist, sondern auch thematisch. Wie in der Einleitung gezeigt wurde, schätzte Fleißer selbst den Einfluß der Erfahrung der Metropole und der Provinz auf ihre Prosa hoch ein. Es kann die These aufgestellt werden, daß diese Erfahrung in Fleißers Prosa sehr vielfältig und in verschiedenen Nuancen bearbeitet wurde. In der Forschungsliteratur wurde sie jedoch bisher nicht detailliert untersucht. Provinz und Metropole liefern nicht nur das ‘Setting’ der Erzählungen, die Einflüsse dieser beiden Lebensformen lassen sich ebenso in der Charakterzeichnung und in dem Personengeflecht wiederfinden. Doch nicht nur inhaltlich-thematisch sind die Erzählungen Fleißers von diesem Aspekt geprägt. Provinz- und Metropolenerfahrungen beeinflussen auch die formal-stilistischen Merkmale der Erzählungen. Es erscheint demnach sinnvoll und ergiebig, die Kurzprosa Fleißers als Ausdruck der Erfahrung Provinz bzw. Metropole zu untersuchen.
An dieser Stelle soll der ungenauen Verwendung der vier Begriffe Stadt, Großstadt, Weltstadt und Metropole entgegengewirkt werden, indem die Begriffe zunächst definiert werden:
Stadt [...], nach der Einwohnerzahl größere Siedlung mit geschlossener Bebauung, hoher Bebauungsdichte, Arbeitsteilung der Einwohner, mit Anziehungskraft auf ihre Umgebung. Im rechtl. Sinne ist S. eine Siedlung, der Stadtrecht verliehen wurde, im statist. Sinne gliedert die Einwohnerzahl die S. in Klein-, Mittel-, Groß- und Weltstadt. Vielfach sind heute geographisch und statistisch die Grenzen einzelner Städte nicht mehr erkennbar.
Großstadt, nach Festlegung des Internat. Instituts für Statistik (1887) eine Stadt mit mehr als 100 000 Ew. [...] Geographisch wird die G. definiert als ausgedehnte, geschlossene Ortsform mit einem raumweiten Einzugsgebiet, das auch Einflußbereiche von Mittel- und Kleinstädten umschließt. Typisch ist die Ausbildung einer City (Geschäfts-, Banken-, Bürohausviertel), der Wohn- und Industrieviertel.
Weltstadt, Stadt mit mehr als 1 Mio. Ew.
Metropole [...], Hauptstadt, Mittelpunkt. Bei den Griechen bedeutete Metropolis die „Mutterstadt“ im Ggs. zu den von ihr ausgehenden Pflanz- (Kolonial-) Städten, seit der römischen Zeit die Hauptstadt eines Landes oder einer Provinz.[23]
Es kann konstatiert werden, daß unterschiedliche Stadtformen einerseits über die Zahl ihrer Einwohnerinnen und Einwohner erfaßt werden können, während jedoch andererseits weitergehende Definitionsvorhaben in den qualitativen Bereich hineinreichen müssen. Städte, besonders größere Städte, werden demnach zusätzlich in ihrer inneren Struktur, wie zum Beispiel die Gliederung in unterschiedliche Wohn- und Arbeitsbereiche, aber auch in ihrer Bedeutung, ihrer Funktion für ihr Umland erfaßt. Sie prägen nach innen und nach außen. Besonders die Metropole wird über diese prägende Funktion beschrieben. Sie kann als Magnet und Orientierungspunkt ihres weiteren Umlandes verstanden werden.
Der Provinzbegriff wird in dieser Arbeit eher als Symbol verstanden und nicht als topographisch bestimmend. Die Bedeutung dieses Symbols läuft in zwei gegenläufige Tendenzen auseinander. Die Provinz wird häufig als Gegenpol zur Metropole und damit als Anti-Moderne verstanden. Die Großstadt und Großstadterfahrung wird zum Inbegriff der Moderne[24], so daß Provinz nur über die nicht vorhandene Großstadterfahrung, also in ihrem Defizit, erfahren wird:
„Provinz“ als geographischer Begriff umfaßt die Region des „offenen Landes“ mit Dörfern, Klein- und Mittelstädten und bildet den Gegenbegriff zur Großstadt oder Metropole. Da nun einmal mit zunehmender Entfernung von der Stadt der Anschluß an die bewegenden Kräfte der Zeit erschwert ist, die kulturellen Angebote der Stadt jedoch geistige Mobilität fördern, entwickelt sich aus dem geographischen Stadt-Land-Gegensatz ein kultureller.[25]
Der Provinzbegriff ist demnach negativ konnotiert, in dem Sinne, daß Provinz durch territoriale Enge, Abseitigkeit und Agrarcharakter gekennzeichnet ist und als reaktionäre Gegentendenz zur erstrebenswerten Moderne verstanden wird. Der Provinzgedanke wird dadurch in den Bereich des reaktionär-traditionalistischen Denkens verwiesen.[26]
Die andere Tendenz erfaßt den Provinzbegriff in seiner utopischen Funktion, die negativen Großstadterfahrungen aufzulösen. Das „Ineinander von menschlicher Lebenswelt, Landschaft und Natur“[27] verbindet sich mit Wünschen nach Heimat und Idylle. Das Bedürfnis nach Heimat deutet Norbert Mecklenburg wie folgt:
Provinz, Heimat wären literarisch zu thematisieren als Stichworte für das grundlegende, in der gegenwärtigen Gesellschaft weit von seiner Einlösung entfernte menschliche Bedürfnis nach einem Identitätsraum, in welchem die eigenen Interessen mit denen der andern versöhnt wären.[28]
Provinz, Heimat und Natur werden im utopischen Sinne als identitätsstiftende Elemente in einer unerfaßbaren Welt gedeutet. Natur wird in ihrem Gegensatz zu der vom Menschen überformten Kultur, zu der verderblichen Zivilisation, erfahren.
Nach diesen vorläufigen Erläuterungen der Begrifflichkeiten kann die Intention der vorliegenden Arbeit wie folgt gefaßt werden: Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine umfassende vergleichende Analyse der Kurzprosa Fleißers unter dem Aspekt Metropole und Provinz. Ausgehend von der Annahme, daß die Provinz- und die Metropolenerfahrungen nicht nur das Leben, sondern auch das Werk Fleißers bestimmen, sollen die Erzählungen Fleißers auf Spuren dieses Komplexes hin untersucht werden.
1.3. Methodische Anmerkungen
In der vorliegenden Arbeit wird eine detaillierte Analyse der Kurzprosa Fleißers vorgenommen. Dazu wird eine Methode angewendet, die grob in drei Schritten arbeitet. In Kapitel 2. werden zwei Erzählungen Fleißers textimmanent interpretiert[29] und analysiert: Ein Pfund Orangen (1926) und Avantgarde (1962). Diese Erzählungen fungierten als titelgebende Erzählungen der ersten beiden Sammelbände Fleißers. Sie wurden für die detaillierte Analyse ausgewählt, da sie als Schlüsseltexte betrachtet werden können. Inhaltlich-thematisch und stilistisch-formal läßt sich an ihnen ein Raster erarbeiten, das in Kapitel 3. auf die übrigen zu analysierenden Erzählungen Fleißers angewendet wird. Auf diese Weise können prägnante Merkmale im Werkzusammenhang aufgezeigt werden, ohne daß es zu Überschneidungen oder Wiederholungen kommt. Der Gesamtkontext genießt Priorität vor einer chronologischen Analyse, die immer nur Teilausschnitte eines Werkes erfassen kann. Die Kontinuitäten und Brüche werden in einem letzten Schritt in Kapitel 4. zusammengefaßt und erklärt. Es wird also zu einer Mischform gegriffen: Eine detaillierte Analyse von zwei Erzählungen erarbeitet die Merkmale für eine übergreifende Analyse der restlichen Erzählungen, der induktiven Methode folgt die deduktive.
Wie schon in Kapitel 1.2. angemerkt wurde, steht die textimmanente Analyse im Vordergrund. Sozialgeschichtliche und biographische Daten werden zur Erklärung der Erzählungen herangezogen, um zum Beispiel die von Fleißer verwendeten Topoi in den Gesamtzusammenhang stellen zu können. Das dieser Arbeit zugrundeliegende Textverständnis ist folgendes: Die Texte werden als eigenständige Produkte betrachtet, die jedoch sehr wohl vom Umfeld der Autorin, beispielsweise von ihren Erfahrungen in Ingolstadt, München und Berlin, beeinflußt sind.
1.4. Untersuchter Textkorpus
Im Fokus der Analyse stehen die Erzählungen der drei Sammelbände Ein Pfund Orangen und neun andere Geschichten der Marieluise Fleißer aus Ingolstadt (1929), Avantgarde (1963) und Abenteuer aus dem Englischen Garten (1969). Hinzugenommen werden die im dritten Band der Gesammelten Werke veröffentlichten Erzählungen. Durch diese Auswahl ist die von Fleißer autorisierte Kurzprosa erfaßt. Während die im Nachlaß veröffentlichten Fragmente und Feuilletons nur in Ausnahmefällen herangezogen werden, bleiben die Reisefeuilletons in Andorranische Abenteuer als eigenes Genre und die Erzählung Gustl ein Schwimmer und Retter als Ausschnitt des Romans Frieda Geier ausgespart.
Die Erzählungen Fleißers liegen in bis zu sechs unterschiedlichen Fassungen vor.[30] Allein fünf Erzählungen wurden von Fleißer eigens für die Gesammelten Werke neu überarbeitet.[31] Teilweise handelt es sich nur um orthographische Korrekturen, manche Erzählungen wurden jedoch auch stark in ihrer Struktur geändert.[32] In dieser Arbeit wird auf die erste Veröffentlichung zurückgegriffen. Wurde diese von Fleißer nachträglich nicht verändert, wird eine leichter zugängliche Fassung, zum Beispiel die in den Gesammelten Werken, als Textgrundlage fungieren.[33]
1.5. Forschungsbericht
Auffällig bei der Betrachtung der Forschungsliteratur zu Fleißers Werk ist die vorherrschende Konzentration auf folgende drei Gesichtspunkte: 1) autobiographische Interpretationsmuster, 2) Dramenanalyse und 3) Einordnung in die Kategorie Frauenliteratur im weitesten Sinne.
Eine starke Konzentration auf die Biographie Fleißers zieht sich konstant durch die Forschungsliteratur zu Fleißers Werk. Es lassen sich jedoch zwei Phasen erkennen: Die erste Phase, die bis ungefähr Anfang der neunziger Jahre andauerte, ist gekennzeichnet von größtenteils rein autobiographischen Forschungstendenzen. An der Sekundärliteratur dieser Phase ist das offenbar geringe Interesse an formal-ästhetischen Kriterien zu verzeichnen. Es wurde von einem direkten Abbildungsmodus ausgegangen, der es erlaubte, aus den Dramen und mehr noch aus den Prosatexten Fleißers Auskunft über das Leben der Autorin zu erlangen. Leben und Werk wurden demnach als eine Einheit betrachtet. Seit Anfang bis Mitte der neunziger Jahre läßt sich ein Wandel der Grundhaltung innerhalb der Forschungsliteratur erkennen. An dieser Schnittstelle ist besonders der Aufsatz von Elke Brüns hervorzuheben.[34] Sie räumte mit der naiven Behauptung auf, daß ein direktes Entsprechungsverhältnis zwischen Leben und Werk Fleißers vorhanden sei. Diese Ansicht werde zwar durch Aussagen Fleißers, sie könne nur über eigene Erfahrungen schreiben,[35] verstärkt, müsse jedoch kritisch gesehen werden. Mit ihrem Plädoyer für eine Interpretationsmethode, die autobiographische Züge im Werk Fleißers nicht negiert, sie aber auch nicht als einzige anerkennt, leitete Brüns die zweite Phase der Forschungsliteratur ein. Ein differenzierter Umgang mit autobiographischer und fiktionaler Schreibweise ist in dieser Phase zu beobachten.
Desweiteren muß konstatiert werden, daß erst seit Anfang der neunziger Jahre die Prosa Fleißers als eigener Komplex verstärkt analysiert wird. Über lange Zeit hinweg lag das Schwergewicht der veröffentlichten Forschungsliteratur auf den Dramen Fleißers[36]: Rühles Materialien-Band widmet sich zum Beispiel hauptsächlich den Dramen.[37] Die Dramen wurden häufig in Verbindung mit den Dramen Brechts, Horváths, Sperrs, Kroetz und Fassbinders diskutiert. Theo Buck sprach gar von einem „weniger überzeugenden ästhetischen Organisationsgrad der Erzählwerke“ und widmete seine Analyse folglich den Dramen.[38]
Quer zu diesen beiden Forschungssträngen liegt ein dritter. Ende der siebziger bis Ende der achtziger Jahre wurde immer wieder Fleißers Verhältnis zu einer weiblichen Ästhetik bzw. zu einer weiblichen Schreibweise analysiert. Fleißers Verhältnis zum Feminismus wurde in diesem Zusammenhang ebenso untersucht. Die Ergebnisse reichen von einer Einverleibung Fleißers für den Feminismus bis zu gönnerhaften Entschuldigungs- und Rechtfertigungsversuchen für Fleißers nur rudimentär erkennbare Zugehörigkeit zum Feminismus.[39]
Zusätzlich zu diesen drei Tendenzen müssen Veröffentlichungen genannt werden, die einen allgemeinen Überblick über das Werk Fleißers und ihr Leben anstreben.[40] Diese Ansätze bedienen sich häufig keiner eindeutigen Methode oder widmen sich wenig detaillierten Untersuchungen. Sie wollen eine Einführung geben und arbeiten dabei oberflächlich. Bei diesen Veröffentlichungen lassen sich jedoch qualitative Unterschiede festmachen. Einige, wie zum Beispiel die Einführung von Moray McGowan, streben Wissenschaftlichkeit an, andere, beispielsweise die von Günther Lutz, lassen sich auf rein subjektive Annäherungen an Leben und Werk ein.
Die Forschungsliteratur zu dem Roman Frieda Geier. Roman vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen und zu den Dramen Fleißers wird in dieser Arbeit aufgrund der Themenstellung vernachlässigt. Sie ist für eine Analyse der Kurzprosa Fleißers wenig aufschlußreich.
Der Roman Frieda Geier wurde häufig in Verbindung mit der Strömung der Neuen Sachlichkeit analysiert. Hier bildeten sich unterschiedliche Perspektiven heraus, daß der Roman Merkmale der Neuen Sachlichkeit, wie zum Beispiel Themenwahl und zeitgenössische Darstellung, aufweist, blieb jedoch unbestritten.[41] Desweiteren wurde der Roman als ein Produkt der zwanziger Jahre rezipiert: Das vermittelte Frauenbild[42] oder das des Kleinbürgers[43] wurde analysiert. Dem Stil des Romans widmeten sich weit weniger Aufsätze.[44] Die Protagonistin des Romans wurde in der Regel als starke Frau rezipiert, ihre Pioniertaten traten in den Vordergrund[45], die anderen Figuren des Romans blieben oft unbeachtet. Der kleinen Schwester Friedas widmete sich bisher nur ein Aufsatz: Dieser untersuchte den Opferstatus Linchens.[46] Der neueste Aufsatz zum Roman bespricht die Heimatlosigkeit der Protagonistin.[47]
Die Forschungsliteratur zu den Dramen Fleißers rezipierte diese im Zusammenhang mit Kroetz, Sperr und Fassbinder häufig als Volksstücke.[48] Desweiteren wurde der Skandal um die Pioniere in Ingolstadt und Brechts Rolle in Fleißers Leben untersucht.[49] Weitere Analysen widmeten sich der Methode der Entfremdung in Fleißers Dramen[50], der weiblichen Subjektivität[51] oder einer linguistischen Dialoganalyse[52]. Auch in den Dramen wurde nach dem feministischen Potential Fleißers gesucht.[53] Dem autobiographischen Gehalt der Dramen ging Moray McGowan nach, während Wend Kässens und Michael Töteberg eine auf die Dramen bezogene Werkbiographie ablieferten.[54]
Als letzter Bereich soll die Sekundärliteratur erwähnt werden, die themenzentriert und gattungsübergreifend das Werk Fleißers diskutiert hat. Zu erwähnen ist hier die Untersuchung von Günther Lutz, in der er Fleißers Werk mit der bayerischen Literatur in Verbindung setzt.[55] Desweiteren wurde das Geschlechterverhältnis im Leben und im Werk Fleißers analysiert[56] oder ihr Verhältnis zum Feminismus untersucht.[57]
In der neueren Forschung zu Marieluise Fleißers Werk sind besonders die drei Monographien von Ina Brueckel, Sabine Göttel und Elke Brüns erwähnenswert. In der Nachfolge des schon erwähnten Aufsatzes von Elke Brüns, Autobiographismus als Rezeptionsstrategie, gehen diese drei Forscherinnen von einem differenzierten Verständnis des Verhältnisses von Leben und Werk Fleißers aus.
Ina Brueckel analysiert Fleißers Schreibprozeß aus einem psychoanalytischen Verständnis heraus. Sie sucht nach dem unbewußten Phantasiedenken in Fleißers Prosatexten und konstatiert gestörte Balancen in Fleißers Werk, also widersprüchliche Ebenen, wie zum Beispiel Autonomiewünsche auf der einen Seite und Selbstverleugnung auf der anderen. Diesen Widersprüchen geht sie nach, indem sie „vornehmlich den Schreibprozeß der Autorin, die fortgeschriebenen Identitäts- und Beziehungsphantasien ihrer Prosa und die Schreibstrategien der Maskierung im Blick“ hat.[58] Brueckels Untersuchung zeichnet sich durch eine detaillierte Analyse der Prosa Fleißers aus. Letztendlich strebt Brueckel jedoch eine Analyse des Phantasiedenkens der Autorin an und nicht eine der Texte Fleißers. Brueckels Textanalysen erwiesen sich jedoch für diese Arbeit als sehr konstruktiv.
Sabine Göttel strebt „eine kritische Revision des Verhältnisses von Biographie und literarischer Produktion bei Marieluise Fleißer“ an, um einem „differenzierteren Begriff autobiographischen Schreibens bei Fleißer“ zu extrahieren.[59] Sie entwickelt ein Phasenmodell, das Fleißers Leben in drei Phasen einteilt: bis 1932, 1932-1945 und 1945-1974. Die Texte dieser Phasen werden unterschiedlichen Methoden unterworfen: sozialgeschichtlich-feministisch-psychoanalytisch in der ersten Phase, literaturanthropologisch in der zweiten und psychoanalytisch-autobiographisch in der dritten. Göttels Ansatz verwehrt sich gegen die Annahme eines geschlossenen Werkes. Sie trifft Aussagen über die Risse und Brüche in den unterschiedlichen Phasen des Lebenszyklus der Autorin.
Elke Brüns widmet sich den drei Autorinnen Marlen Haushofer, Marieluise Fleißer und Ingeborg Bachmann unter der Fragestellung, ob moderne Autorschaft und weibliches Geschlecht sich ausschließen.[60] Sie geht dem psychosexuellen Status des schreibenden weiblichen Ichs nach und untersucht, inwiefern der Problemkomplex Autorschaft und Geschlecht von den drei Autorinnen gelöst wird. Brüns zieht das Fazit, daß sich Fleißers fiktionale Autorposition, speziell die in Avantgarde ausgedrückte, von der biographisch-faktischen unterscheidet. Desweiteren konstatiert sie: „Fleißer konnte schreibend in der Tat, wie sie sagte, ‘immer nur etwas zwischen Männern und Frauen machen’, und ihre Autorposition liegt genau da: Ein etwas dazwischen.“[61]
Neben diesen drei Monographien müssen fünf weitere Aufsätze genannt werden, die sich mit der Kurzprosa Fleißers auseinandersetzen. Susan Cocalis analysiert Fleißers Frühwerk bis 1935, um Aussagen über „Fleißers Sicht von der Rolle der Frau in der patriarchalischen Gesellschaft“[62] treffen zu können. Im Vordergrund würden die Texte Fleißers zwar die Normvorstellungen der patriarchalischen Gesellschaft festhalten, im Hintergrund diese jedoch in Frage stellen. Cocalis zieht nach einer recht oberflächlichen Analyse des Romans, zweier Dramen und einiger Erzählungen das Fazit, daß Fleißer die Erkenntnis, daß Beziehungen zwischen Männern und Frauen problematisch seien, nicht auf ihr eigenes Leben habe übertragen können.[63] Auch in diesem Forschungsvorhaben findet also eine wenig ertragreiche Verknüpfung der Diskursebenen Leben und Werk statt.
Patricia Preuss übernimmt in ihrer Untersuchung die Ergebnisse von Cocalis und diskutiert Fleißers Werk in bezug auf weibliches Schreiben. Preuss bilanziert, daß Fleißer eher eine Chronistin als eine Kritikerin der bestehenden Verhältnisse gewesen sei. Die Themen einer feministisch orientierten Frauenliteratur seien zwar in Fleißers Texten wiederzufinden, die Emanzipation der dargestellten Frauen sei jedoch weit weniger ausgeprägt „als das der heutige Feminismus fordert“.[64] Fleißer befände sich jedoch emanzipatorisch gesehen auf dem richtigen Weg.[65] Mit diesem Fazit entblößt Preuss ihre Analyse am Ende als wenig wissenschaftlich und überheblich, da sie den zeitlichen Kontext außer acht läßt.
Donna Hoffmeister widmet sich einer ähnlichen Fragestellung wie Cocalis, indem sie die Darstellung junger Frauen in sieben Erzählungen Fleißers untersucht. Die Darstellung von weiblicher Hilflosigkeit, Hoffnung, Schmerz und Desillusionierung dominiere die Texte.[66] Fleißer biete in ihren Texten keine Alternative zu der dargestellten Situation und fordere die Leserinnen und Leser damit auf, die unmenschlichen Normen der Gesellschaft in Frage zu stellen.[67]
Während die letzten drei Forscherinnen sich dem Frühwerk Fleißers widmeten, wurde in den folgenden beiden Forschungsansätzen jeweils eine Erzählung analysiert: Livia Z. Wittmann untersucht anhand von Fleißers Erzählung Die Ziege und von sieben Romanen anderer Autorinnen die Darstellung der „Neuen Frau“[68] im ersten Drittel dieses Jahrhunderts.[69] Johannes Süßmann hingegen unterzieht die Erzählung Meine Zwillingsschwester Olga einer Strukturanalyse, um zu untersuchen, inwieweit bei dieser Erzählung von einer naiven Schreibweise gesprochen werden kann.[70]
Der Komplex Provinz und damit verbunden das Empfinden von Einengung und Abschnürung findet sich in fast allen Ansätzen zu den Dramen Fleißers. In diesem Zusammenhang wird der Einfluß der Metropole und der Avantgarde, also Brechts Einfluß, auf die Autorin Fleißer peripher angesprochen. Eine Analyse dieses Einflusses auf die Erzählungen Fleißers blieb bisher weitestgehend aus. Ein erster Ansatz zu dieser Fragestellung stammt von Gisela von Wysocki. Sie verfaßte einen subjektiven, fast emotionalen, Aufsatz zur Klärung der Bedeutung der Metropole für Fleißer.[71] Im Gegensatz zu Ingolstadt habe die Großstadt für Fleißer Freiheit, vor allem künstlerische Freiheit, bedeutet. Diese Vorstellung habe sich jedoch für Fleißer nicht erfüllt. Anhand von Avantgarde zieht von Wysocki diesen Erkenntnisprozeß nach. Fleißer habe die „Fröste der Freiheit“[72] in der Metropole erfahren. Dieser Aufsatz von Wysocki muß als wenig analytisch bewertet werden, wirft jedoch einige interessante Fragestellungen bezüglich der Metropolenthematik auf.
Ulrike Strauch widmet einen Teil ihrer Ausführungen zu einer weiblichen Ästhetik Fleißers Erzählung Avantgarde. Sie deutet die Erzählung weniger als eine Beschreibung von Erlebnissen in der Metropole, sondern als eine Aufarbeitung des Traumas Brecht.[73] Strauch entdeckt in der Erzählung eine weibliche Ästhetik in bezug auf die Herausbildung einer Körpersprache: „Körpererfahrung wird hier materialisiert in der Metaphorik, schreibt sich in den Text ein, da der Schmerz nicht sublimiert, sondern weitererlebt wird.“[74]
Sowohl Inge Stephan als auch Barbara Naumann verknüpfen folgende Komplexe miteinander:
Im Gegensatzpaar Provinz - Metropole scheint aber noch ein anderer Konflikt auf, der ebenfalls quer zum traditionellen Links-Rechts-Schema steht, von ihm aber in ganz spezifischer Weise überlagert und konzipiert wird. [...] Er berührt das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, für welches das Gegensatzpaar Provinz und Metropole als Metapher eintreten kann.[75]
Während Inge Stephan die Erzählung Avantgarde jedoch als eine Kritik an der Ideologie einer männlichen Avantgarde versteht, deutet Barbara Naumann die Erzählung als den Ausdruck einer paralysierten Autorin, wie er in den anderen autobiographischen Texten Fleißers nicht zu finden sei.[76] Naumann hebt also den Aspekt der gescheiterten Autorin hervor, während Stephan die kritische Autorin anhand derselben Erzählung beleuchtet.[77]
Dieser Forschungsüberblick zeigt, daß sich verhältnismäßig wenig Forscherinnen und Forscher mit der Kurzprosa Fleißers analytisch auseinandergesetzt haben. In der Forschungsliteratur zur Kurzprosa läßt sich eine Konzentration auf das Frühwerk, ‘das eigentliche Werk’ Fleißers[78], feststellen. Die Analyse der Kurzprosa unter dem Themenkomplex Metropole und Provinz wurde bis dato auf einige ‘Schlüsseltexte’ Fleißers eingeschränkt vorgenommen, eine umfassende Analyse liegt jedoch nicht vor.
2. Analyse I
In diesem Kapitel werden die beiden Erzählungen Ein Pfund Orangen (1926) und Avantgarde (1962) analysiert. Diese Erzählungen wurden gewählt, da sie exemplarisch für Fleißers Erzählungen der zwanziger bzw. der sechziger Jahre stehen. Es wird sich zeigen, daß die Analysen der beiden Erzählungen bezüglich des Themenschwerpunktes Metropole und Provinz sehr unterschiedlich ausfallen. In einem abschließenden Schritt werden deswegen die Ergebnisse der Analysen in Kapitel 2.3. zusammengeführt. Die Analysen sind an dem gesetzten Schwerpunkt der Metropolen- und Provinzerfahrung der Autorin ausgerichtet. Diese lassen sich jedoch nicht direkt aus den Erzählungen extrahieren, so daß über Umwege, zum Beispiel durch eine Charakterisierung der Figuren, die Einflüsse der Erfahrung der Autorin auf die Erzählungen herausgearbeitet wird.
2.1. Ein Pfund Orangen (1926)
Die Erzählung Ein Pfund Orangen fungierte 1929 als titelgebende Erzählung für den Erzählungsband Ein Pfund Orangen und neun andere Geschichten der Marieluise Fleißer aus Ingolstadt.[79] In der Erzählung wird das Leben einer Außenseiterin auf der Suche nach Geborgenheit und Sicherheit geschildert. Diese Suche zieht sich als Leitthema[80] durch den gesamten Erzählungsband. Die Protagonistin in Ein Pfund Orangen, ein Mädchen, das namenlos bleibt, will sich ihren[81] Freundinnen, ‘den Glänzenden’[82], anpassen. Sie glaubt, daß sich ihr Problem durch einen Mann an ihrer Seite lösen wird, erkennt jedoch, daß sich ihr Wunsch nicht erfüllen wird. Sie muß ihren Platz im Leben aus sich selbst heraus finden.
Die Erzählung kann in vier Abschnitte eingeteilt werden: Im ersten Abschnitt wird das Mädchen und ihr Problem, ihr Dasein als Außenseiterin, vorgestellt. Im zweiten Abschnitt verändert sich das Leben des Mädchens durch Ludwig, der die Protagonistin gewalttätig beeinflußt. Ludwig ist für das Mädchen Mittel zum Zweck, da sie glaubt, daß er ihr Dasein als Außenseiterin beenden könnte. Sie will sich anpassen und ihm gefallen, um den Anderen ähnlich zu sein. Diese Phase endet mit einer Enttäuschung für das Mädchen, weil Ludwig sich nicht als monogam erweist. Das Mädchen entscheidet sich, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Im dritten Abschnitt beschließt sie, vor ihrem Selbstmord von gerade gefundenem Geld noch Orangen zu kaufen. Die Orangen erinnern das Mädchen kurzweilig daran, wie lebenswert ihr Leben auch oder gerade ohne Ludwig sein kann. Doch dann siegt wieder die Depression. Im vierten und letzten Teil bahnt sich die Erlösung des Mädchens aus der Schwermut an: „[Das] Wunderbare hatte sie heimgesucht, worauf sie immer gewartet hatte, ein Leben lang war sie gestört gewesen, aber nun war sie doch nicht ganz aufgegeben von denen drüben“ (604).[83]
Die auktoriale Erzählinstanz[84] kann die Handlungen der Protagonistin kritisch beleuchten. Distanziert beobachtet sie die Protagonistin und gibt die Geschehnisse im Präteritum wieder. Die Motivation der anderen Charaktere wird hingegen nur begrenzt dargestellt. Es wird fast ausschließlich aus Sicht der Protagonistin erzählt, so daß die Erzählsituation als eine eingeschränkt auktoriale erfaßt werden muß. Die Leserinnen und Leser bleiben trotz einer unabhängigen Erzählinstanz auf der Ebene der Erfahrung der Protagonistin und vollziehen die Erfahrung gemeinsam mit der Protagonistin.
Die Analyse der Erzählung orientiert sich an den vier dargestellten Phasen. Zunächst wird die Protagonistin in Kapitel 2.1.1., danach die Anderen in Kapitel 2.1.2. charakterisiert. In Kapitel 2.1.3. wird der Konflikt der Erzählung dargestellt, bevor dann in Kapitel 2.1.4. die Lösungswege der Protagonistin beleuchtet werden. In Exkursen werden spezifische Elemente der Erzählung in den sozialgeschichtlichen Zusammenhang gestellt, um abschließend die Wechselwirkung zwischen der Metropolen- und Provinzerfahrung der Autorin und der Erzählung Ein Pfund Orangen in Kapitel 2.1.5. herausarbeiten zu können.
2.1.1. Charakterisierung der Protagonistin
Die Protagonistin der Erzählung Ein Pfund Orangen wird wie folgt eingeführt:
Ein Mädchen lebte allzu ernsthaft in sich hinein, und jeden Tag tat sie sich was anderes an, ganz was Schlechtes, und wenn nur was Schweres an sie herantrat, gleich nahm sie sich darum an und hielt das Schwere aufmerksam in der Hand, wie wenn sie gar nicht mehr davon lassen könnte. (597)[85]
Dieser zunächst unverständliche einleitende Satz deutet wichtige Charakterzüge der Protagonistin an, die im Verlauf der Erzählung genauer ausgeführt werden.
Die Protagonistin wird als ‘Mädchen’ gekennzeichnet. Diese Form der Verniedlichung wird gesteigert durch Epitheta[86], wie in „das gute Kind“ (597), „sie war und blieb ein großes Kind“ (597), „unsere Kleine“ (598) und „dieses tatsächliche Kind“ (602). Somit wird sie als ein geschlechtsloses Wesen dargestellt. Gebrochen wird diese Darstellung durch das Personalpronomen ‘sie’: Das Mädchen erscheint somit nicht als vollkommen neutrales, geschlechtsloses Wesen. Es kann davon ausgegangen werden, daß die Protagonistin eine junge Frau ist, die ihre ersten Erfahrungen mit Männern macht und sich auf einer Zwischenstufe zwischen Kindheit und Erwachsensein befindet. Diese Annahme wird durch Andeutungen unterstützt: „Das Mädchen wurde immer ein wenig größer, und wenn sie früh anfing, dann wäre es[87] jetzt Zeit gewesen“ (597), und „sie kannte in sich noch kein vielfältiges Leben der Liebe“ (601). Sie ist auf dem Weg, zu den ‘Großen’ (597) zu gehören, ist jedoch noch durch ihre hilflose, kindliche Naivität gehemmt. Nur selten ergreift sie der Leichtsinn (600).
Neben dieser kindlichen Naivität wird im ersten Satz der Erzählung zusätzlich auf einen tiefer liegenden Charakterzug hingewiesen. Das Mädchen ist durch Ernsthaftigkeit, Introvertiertheit und fast schon masochistisch anmutende Schwermut ausgezeichnet. Sie wird von einer inneren Schuld sowie von Gewissensbissen geplagt:
[Sie] staunte andere Mädchen an, die in ihrem Alter doch auch für sich sorgen mußten, und wenn man ihr das einmal hinsagte, schämte sie sich so lange, bis sie ganz krank war. So hatte sie immer ein wenig ein schlechtes Gewissen. (597)
Auch hier wird der fatalistische Masochismus, das Hinnehmen von körperlichen und seelischen Mißhandlungen, angesprochen: Die Scham ist so stark, daß das Mädchen krank wird.[88]
Diese beiden Charakterzüge, kindliche Naivität und introvertierte Schwermut, ziehen sich wie zwei Stränge durch die gesamte Erzählung und stehen im Zusammenhang mit der materiellen Armut der Protagonistin. Aus der Erzählung geht nicht hervor, wie, womit und ob das Mädchen überhaupt ihren Lebensunterhalt selbst bestreitet. Eine unterstützende Familie wird nicht erwähnt,[89] ebensowenig eine staatliche Unterstützung. Das Mädchen leidet unter bitterer Armut: „Sie rechnete hin und her, aber sie lebte so schon fast von einem Nichts, und da war keine von den wöchentlichen Ausgaben, die sie noch hätte unterlassen können“ (599). Naiv verbindet das Mädchen eine Heirat mit materieller Sicherheit. Statt ihr Leben aus eigenem Antrieb zu verbessern, glaubt sie, daß eine andere Zeit anbrechen wird, wenn sie heiratet.[90] Bei diesem Gedanken wird ihr Gesicht merkwürdig hell (597), daß heißt, daß diese Hoffnung sie tröstet. Bisher muß sie sich jedoch damit begnügen, die Kleider ihrer Freundinnen und die schönen Läden nur anzustaunen. Diese Art des staunenden Betrachtens wird mit Andacht und Unterwürfigkeit verknüpft. Andächtig, fast als wäre es ihre Religion, betrachtet sie schöne Kleider (597), und dankbar staunt sie vermeintlich selbständige Menschen an (598). Der innere Schuldkomplex und die äußerlich stigmatisierende Armut führen dazu, daß das Mädchen sich im Vergleich mit anderen Menschen wertlos fühlt.[91] Beinahe unterwürfig benimmt sie sich im Umgang mit anderen Menschen.
Die Erzählinstanz greift kommentierend ins Geschehen ein und gestaltet das Bild der Protagonistin dadurch indirekt: „Was Hilfloses lag in der Art“ (598), „[sie] meinte recht töricht“ (601) oder „in ihrer Gutgläubigkeit“ (602). Hier zeigt sich die Ambiguität in der Erzählhaltung. Die Erzählinstanz vermittelt das Geschehen einerseits so, daß die Leserinnen und Leser Mitleid mit der Protagonistin empfinden können, andererseits werden Kommentare eingestreut, die die Protagonistin distanziert, aber auch kritisch beleuchten. In diesen Kommentaren wird darauf hingewiesen, daß die Protagonistin nicht mit Ratio assoziiert wird, sondern mit Naivität, Unwissenheit und Glaube[92].
Diese Assoziationskette wird verstärkt und erweitert durch Zuschreibungen, die die Protagonistin in den Bereich der Natur verweisen. Der Naturbegriff muß näher beleuchtet werden, da sich mit ihm ein weiter Bereich von Assoziationen öffnet. Die Erzählung ermöglicht diese Assoziationen, da Handlungen und auch Gedanken des Mädchens auffallend häufig mit den Begriffen ‘natürlich’ bzw. ‘Natur’ beschrieben werden, zum Beispiel:
Sie hatte den Mann doch immer angelacht und nur an das gedacht, was ihn freuen konnte, und nun war eben ganz ohne Aussprache und weil ihr Gefallen an ihm so natürlich war, ihr Freund daraus geworden. (598-599)
Unbesehen riß sie ihre schweren Stimmungen in eine Tiefe hinunter, wo sie nicht gleich wieder herkommen konnten, so wollte sie sich um ihre eigene Natur betrügen. (599)
Ein wenig erschrak sie vor sich selber, wie immer wenn sie sich schminkte, aber es wurde so natürlich, daß sie wieder Mut bekam. (600-601)
Diese Zitate deuten eine der beiden Ebenen an, die mit Natur in Verbindung gebracht werden. Dem Mädchen scheint eine Natur innezuwohnen: Sie versucht, sich um ihre eigene Natur zu betrügen oder erschrickt vor ihrer Natur, „vor ihrem eigenen Reagierenmüssen wie vor einem fremden Tier“ (602). Das Mädchen handelt ihrer Natur gemäß aus einem inneren nicht näher definierten Zwang und nicht rational begründbar.
In diesem Zusammenhang muß auch die Szene des Kleidausbesserns gesehen werden. Das Mädchen verzweifelt fast wegen ihres altmodischen Kleides. „Erst mit der lösenden Stimmung kurz vor dem Einschlafen wurde ihr ein wenig leichter. Im Traum kam sie der Gedanke an, daß sie jetzt, wo die kurze Mode war, das Kleid doch abschneiden könnte“ (599-600). Erst im Traum, also im Zustand des Unbewußten, eröffnet sich dem Mädchen eine Lösung. Im Gegensatz zu bewußt getroffenen, rational erklärbaren Entscheidungen, handelt das Mädchen aus einem diffusen, unbewußten, instinktiven Entscheidungsprozeß heraus.
Die zweite Ebene der Verbindung zwischen Natur und der Protagonistin ist die der Beeinflussung durch die Natur: „[Wenn] das Wetter trüb war, nahm sie sich das sehr zu Herzen, aber wenn die Sonne schien, tröstete sie sich wieder“ (598). Dieses Zitat für sich genommen läßt noch nicht den Schluß zu, daß das Mädchen eine spezielle Verbindung zur Natur hat. Verbunden mit anderen Zuschreibungen drängt sich jedoch der Eindruck auf, daß das Mädchen eine innere, fast zwanghafte Verbindung mit der Natur zu haben scheint. Hierzu soll eine weitere Textstelle herangezogen werden: Es wird geschildert, daß das Mädchen jeden Tag nach draußen geht, um den unbekümmerten Lärm der Vögel zu genießen (599). Auf den ersten Blick wird hier das Bild der unschuldigen, tröstenden Natur beschworen. Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch das Zwanghafte der Handlung auf: „Da gab es immer noch Herrlichkeiten auf der Welt, denen man sich überlassen mußte“ (599).[93] Das Mädchen muß sich offensichtlich der Natur hingeben, etwas scheint sie zu drängen oder zu ziehen.[94] Dieser Zwang durch die Natur wird dem Mädchen beinahe zum Verhängnis. Sie beschließt, sich aus dem Fenster zu stürzen, schwankt jedoch, bis ihr die Entscheidung abgenommen wird:
Der Wind drang um das Fensterkreuz, stieß ins Zimmer vor, dahinein mußte es sich gut begeben sein, wie in eine Kraft. Es gelang ihr nicht zu lächeln, der Wind legte sich in ihre gelösten Züge ein wie in Wasser, das er trieb. Da war kein Einzelwille mehr, der in ihr widerstand. Wie alles, was wächst in der Natur, wuchs sie nur noch in dies Fallen hinein, ein Fallen in Wind, sie ging dem Fenster zu wie gezogen. (603)
Das Mädchen wird als ein von der Natur gelenktes Teil gekennzeichnet. Der Wind scheint sie zum Fensterkreuz zu ziehen, ein Einzelwille, ein eigener Wille, ist nicht mehr vorhanden.[95]
Erweitert wird der Komplex der Verbindung zwischen der Protagonistin und der Natur durch eine Metaphorik des Lichtes. In diesem Zusammenhang ist besonders das Sonnenmotiv zu erwähnen: „[Wenn] die Sonne schien, tröstete sie sich wieder“ (598), „[die] Sonne schien auch wieder wärmer“ (599) und „jetzt schien die Sonne so schön“ (600). Licht bzw. die Sonne wird in diesem Fall mit Trost, Wärme und Glück verbunden. Diese Lichtmetaphorik zieht sich als roter Faden durch die Erzählung, um Hoffnungen, Stimmungen und Ängste einzufangen. An den gegebenen Stellen wird diese Metaphorik im folgenden wieder aufgegriffen.
Zunächst erscheint es jedoch sinnvoll in einem Exkurs zu erläutern, auf welchen sozialgeschichtlichen Hintergrund die Naturmetaphorik verweist. Der Zusammenhang zwischen Natur und Provinz bekommt hier eine besondere Bedeutung. Ergänzend muß der Antagonismus zwischen der Natur und der Großstadt beleuchtet werden.
Exkurs: Natur
Einleitend zum Problemkomplex ‘Natur’ wird eine Definition aus einem Konversationslexikon angeführt:
Natur, Natura [...] Im eingeschränkten und übertragenen Sinn wird unter N. alles das verstanden, was von menschl. Tätigkeit unverändert da ist (Naturlandschaft, Tier- und Pflanzenwelt), im Unterschied zu dem, was Kultur und Technik bewirken (Kulturlandschaft, Haustiere).[96]
Hier wird auf den elementaren Unterschied zwischen Zivilisation und Kultur auf der einen Seite sowie Unberührtheit und Natur auf der anderen Seite hingewiesen. Natur, oder auch Landschaft, wird traditionell auch im literarischen Sinne als Gegenpol zur vom Menschen überformten Stadt gesehen.
Natur wird oft mit Provinz in Verbindung gebracht.[97] In diesem Zusammenhang wird sowohl der Natur als auch der Provinz häufig eine idyllisierende Funktion zugeschrieben. Doch der Naturbegriff erfuhr auch negative Bewertungen. In der Verknüpfung mit der Provinz wird der Natur ebenso eine rückwärtsgewandte Ausrichtung zugeschrieben wie der Provinz.[98]
Nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Architektur und in avantgardistischen Programmen gab es in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts Tendenzen, den Antagonismus zwischen Natur und Großstadt zugunsten der Stadt entscheiden zu wollen. Im Bereich der Architektur sei hier exemplarisch auf Le Corbusier hingewiesen. Im Zusammenhang mit seiner Theorie über den modernen Städtebau trifft er folgende Aussagen über das Konfliktpotential Natur und Großstadt:
Eine Stadt! Sie ist die Beschlagnahme der Natur durch den Menschen. Sie ist eine Tat des Menschen wider die Natur, ein Organismus des Menschen zum Schutze und zur Arbeit. Sie ist eine Schöpfung. [...]
Der Mensch beherrscht sein Gefühl durch die Vernunft. Er bändigt seine Gefühle und seine Instinkte um des vorgefaßten Zieles willen. Er zwingt mit seinem Verstand das Tier in sich selbst zum Gehorsam. [...]
Der Mensch untergräbt und zerhackt die Natur. Er widersetzt sich ihr, er zwingt sie nieder, er richtet sich in ihr ein. Kindliche und großangelegte Arbeit.[99]
Pathetisch und extrem emotional setzt Le Corbusier sich für die Zähmung der Natur zugunsten des Menschen ein. Den Antagonismus zwischen der Großstadt und der Natur entscheidet er eindeutig zugunsten der Stadt.[100]
Es muß daher konstatiert werden, daß der Naturbegriff positiv und negativ konnotiert sein kann, daß er jedoch auf jeden Fall als Kontrast zur industriellen Großstadt verstanden wird. Der Antagonismus zwischen Natur und Großstadt war während der Weimarer Republik ein vieldiskutiertes Problem, auf das Fleißer in der Charakterisierung der Protagonistin der Erzählung Ein Pfund Orangen rekurriert.
Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild der Protagonistin der Erzählung Ein Pfund Orangen: Das Mädchen steht zwischen Erwachsensein und Kindheit und wird einerseits durch kindliche Naivität und Unselbständigkeit gekennzeichnet, andererseits durch Introvertiertheit, Schwermut, Schuld und Gewissensbisse. Sie befindet sich in materieller Armut und setzt ihre Hoffnungen in eine Heirat. Die Protagonistin wird mit Natur und Unbewußtem in Verbindung gebracht. Sie scheint nicht aus einem rationalen Entschluß heraus zu handeln, sondern wird von außen gelenkt. Durch diese Zuschreibung wird sie in den nicht-großstädtischen, in den natürlichen Bereich verwiesen.
2.1.2. Charakterisierung der Anderen
In der Erzählung Ein Pfund Orangen wird ein Gegensatz zwischen der gerade beschriebenen Protagonistin und den anderen Menschen etabliert. Diese anderen Menschen werden direkt oder indirekt beschrieben, so daß eine Art Charakterisierung dieser Gruppe vorgenommen werden kann. In der Erzählung werden Menschen erwähnt, die das Mädchen auf der Straße trifft, Mädchen, mit denen die Protagonistin zur Schule ging, Ludwig, Ludwigs neue Freundin und ein Kind der Nachbarschaft. Das Kind erfüllt eine besondere Funktion und wird aus diesem Grund erst in Kapitel 2.1.4. näher beleuchtet.
Das Mädchen und mit ihr die Erzählinstanz begreifen und beschreiben die Gruppe der Anderen als eine homogene. Die Anderen, das sind die, „die schon jetzt schön hergerichtet waren“ (597) oder auch die ‘Glänzenden’ (597). An dieser Stelle muß erneut auf die Lichtmetaphorik hingewiesen werden. Die Protagonistin sieht die Anderen in einem Glanz. Verbunden mit der in 2.1.1. genannten Assoziationskette Licht-Trost-Wärme-Glück wird an dieser Stelle der Eindruck verstärkt, daß die Anderen schon ‘auf der Sonnenseite des Lebens’ stehen.
Das Mädchen beschreibt die Anderen als „die Großen“ (597), als die selbständigen Menschen, die für sich selbst sorgen können: „Und wenn sie an einem Menschen gar nichts fand, was ihr gefiel, so fand sie immer noch dies an ihm heraus, daß er sich selber versorgte“ (598). Die anderen Frauen tragen schöne Kleider und gehen in Läden, „wo es die schönen Sachen gab“ (597). Demnach wird diese Gruppe materiell gekennzeichnet: Die Anderen sind „im Glück“ (597), weil sie sich ihre Wünsche erfüllen können. Diese Wahrnehmung der Protagonistin muß jedoch als eine subjektive gedeutet werden. Wenn der Annahme nachgegangen wird, daß die Erzählung in den zwanziger Jahren spielt,[101] und wenn die extreme Armut der Protagonistin selbst in Betracht gezogen wird, dann muß davon ausgegangen werden, daß das Mädchen und mit ihr die Erzählinstanz einer verengten Wahrnehmung folgen. Für ein extremen armes Mädchens wirken die Anderen abgesicherter als sie es vermutlich sind. Durch die Perspektive der Erzählung wird hier ein eingeschränkter Blick vermittelt.
Bisher wurden Textstellen analysiert, in denen die Erzählinstanz die Wahrnehmung der Protagonistin wiedergibt. Es lassen sich jedoch auch Textstellen finden, in denen die Erzählinstanz ein Geschehen in einem Handlungsbericht wiedergibt, sich demnach von der Protagonistin distanziert. Zum Beispiel wird die Szene, in der die Mädchen sich treffen und sich unterhalten von der Erzählinstanz ohne den Wahrnehmungsfilter der Protagonistin wiedergegeben und kommentiert. Die Mädchen geben Bericht ab über Geschehnisse der Gegenwart und Wünsche für die Zukunft, Frisuren werden vorgeführt und Kakao wird getrunken (598). Es drängt sich der Eindruck auf, daß die Mädchen einem oberflächlichen Geplappere frönen. Die Hoffnungen und Wünsche sind auf die Zukunft gerichtet und basieren auf Äußerlichkeiten. Die Erzählinstanz gestaltet hier keine Figuren oder Charaktere, sondern stellt einen Typus dar. Die Darstellung dieses Typus weist darauf hin, daß die anderen Mädchen im Gegensatz zur Protagonistin dem ‘Girl’ ähneln. Das ‘Girl’ ist durch Oberflächlichkeit, Freizügigkeit, aber auch durch ein gewisses Maß an Selbständigkeit gekennzeichnet und wird als neuer, entindividualisierter Frauentyp der zwanziger Jahre definiert.[102]
Nachdem dieser Frauentypus zunächst allgemein und als Gruppe definiert wird, macht die Protagonistin später Bekanntschaft mit einem Individuum dieser Gruppe. Dieses fremde Mädchen, die Geputzte, die Neue, ist auf dem besten Weg, die Nachfolgerin der Protagonistin als Ludwigs Freundin zu werden (601). Sie ist, ebenso wie die ‘Girls’, keine fest umrissene Figur der Erzählung, sondern wird als eine Art Typus von Frau beschrieben. Ihre Beziehung zu Ludwig wird nur angedeutet: „Er war nur eben dem fremden Mädchen nachgekommen aus einer vorläufigen Nachsicht mit ihrer Schwäche und um es ihr besser zu erklären“ (601). Ludwig hat sich ihrer angenommen, um sie in die Geheimnisse der Liebe einzuweihen.[103] Die Beziehung zwischen Ludwig und der Neuen kann als sexuelle Initiation einer Frau durch einen erfahrenen Mann gedeutet werden. Für die weitere Analyse der Erzählung kann dieser Aspekt vernachlässigt werden. Es muß jedoch festgehalten werden, daß die neue Freundin Ludwigs den Anderen zugeordnet wird. Dadurch wird das Bild der Anderen gebrochen: Während sie bisher als eine selbständige Gruppe dargestellt wurden, ist Ludwigs neue Freundin auf seine Einweisung angewiesen.
2.1.3. Der Konflikt der Erzählung
In den letzten beiden Unterkapiteln wurde die Charakterisierung der Protagonistin bzw. der Anderen vorgenommen. In diesem Unterkapitel soll der Zusammenhang zwischen diesen beiden Oppositionen beleuchtet werden, da sich an dieser Stelle der Konflikt der Erzählung eröffnet.
Die Protagonistin fühlt, daß sie der Gruppe der Anderen nicht zugehörig ist: „So spürte sie immer die Grenze, die den andern von selber von ihr abhielt, und alle blieben sie gleich weit weg von ihrem Herzen“ (597). Das Mädchen hat keine innere Verbundenheit mit einem anderen Menschen. Sie macht nicht nur die Erfahrung, daß sie sich von anderen Menschen unterscheidet, sondern auch die, daß diese Hürde unüberwindbar ist. Das Mädchen glaubt, daß sie eine Ausnahme sei, weil sie ärmer ist als andere Mädchen. Ihr sei etwas nicht hinausgegangen, es fehle ihr also etwas (597). Ihr Ausnahmebewußtsein leitet sie von Äußerlichkeiten ab: Die anderen Mädchen können Hüte tragen, während sie selbst kein Geld hat, sich einen Hut zu kaufen (599); die Anderen tragen jetzt schon die Kleider, die das Mädchen sich, wenn überhaupt, erst in Zukunft wird leisten können (597). Die schön hergerichteten Anderen sind für die Protagonistin die Glänzenden. Ihnen will sie ähneln, sie will auch ein Glanz sein.
Das Mädchen hat keine feste Bezugspersonen. Wie schon in Kapitel 2.1.1. ausgeführt wurde, bleibt eine Familie der Protagonistin unerwähnt. Doch das Mädchen hat nicht nur keine familiären Bindungen, sondern offensichtlich auch keine freundschaftlichen. In der gesamten Erzählung wird nicht erwähnt, daß das Mädchen Freundinnen oder Freunde im kameradschaftlichen Sinn hat. Sie hat Bekannte (597, 598), Herrenbekanntschaften (597) und trifft Leute auf der Straße (598). Es mangelt ihr jedoch an Personen, die ihr einen Halt bieten könnten. Wie sich später zeigen wird, hat sie diese Hoffnung an Ludwig gekoppelt, wird jedoch enttäuscht: „[Nun] war eben ganz ohne Aussprache und weil ihr Gefallen an ihm so natürlich war, ihr Freund daraus geworden, nicht das Eigentliche für sie und kein Halt“ (599).
Der in der Erzählung dargestellte Konflikt besteht darin, daß die Protagonistin an Einsamkeit und damit verbunden an Entfremdung[104] leidet. Sie kann den empfundenen Unterschied zwischen sich und den Anderen nicht überwinden und leidet unter dieser Situation. Dieser Konflikt belastet das Mädchen so stark, daß sie kaum mehr zu den Lebenden gezählt werden kann: „Etwas Hilfloses lag in der Art, wie sie nichts mehr sagte, und wenn man sie deswegen aufzog, tat sie rein, wie wenn sie nicht mehr ins Leben und unter die Hoffnungen gehörte“ (598).
Unterstützt wird ihre Einsamkeit dadurch, daß das Mädchen, wie in Kapitel 2.1.1. ausgeführt wurde, eine enge Verbindung zur Natur hat, während ihre Bekannten, die anderen Mädchen, eher mit oberflächlichem Verhalten, mit ‘Girl’-ähnlichem Verhalten konnotiert werden.[105] Dem Mädchen werden ihre Bekannten so fremd, daß sie „[r]ätselhaft wie auf Chinesinnen“ (598) auf sie schaute. In der Erzählung wird eine Entfremdungssituation vorgeführt. Die Protagonistin bleibt von den Anderen getrennt, weil sie nicht dem oberflächlichen ‘Girl’ zugerechnet werden kann, sondern dem natürlichen Bereich zugewiesen wird. Dadurch wird das Mädchen von den Anderen entfremdet und leidet an Einsamkeit. Der Entfremdungsbegriff muß in einem Exkurs kurz erläutert werden. Hierbei soll der Zusammenhang zwischen der Gesellschaft und dem Entfremdungsgedanken hervorgehoben werden.
Exkurs: Gemeinschaft versus Gesellschaft und Entfremdung
Einsamkeit und Entfremdung müssen in Verbindung mit Ferdinand Tönnies Überlegungen zur Gemeinschaft bzw. zur Gesellschaft gesehen werden. Er leitete die Einsamkeit der Menschen aus der Entwicklung von einer gemeinschaftlichen zu einer gesellschaftlichen Struktur ab. Tönnies erläuterte 1887 in Gemeinschaft und Gesellschaft die Begrifflichkeiten wie folgt: Gemeinschaft wird als naturhaft, organisch gewachsener Verband verstanden, während Gesellschaft aus zweckgerichteten, rational begründbaren Zusammenschlüssen besteht. Während in der Gemeinschaft zwischenmenschliche Beziehungen möglich sind, ist die Gesellschaft eher von einer emotionalen Distanz zwischen den Menschen gekennzeichnet.[106]
Dieser Gegensatz zwischen der Gemeinschaft und der Gesellschaft wurde in der Literatur des ausgehenden neunzehnten und des zwanzigsten Jahrhunderts in der Stadtproblematik aufgegriffen und verarbeitet:
Die moderne Gesellschaft der Großstädte und Industriesiedlungen verhindert die für die natürliche Gemeinschaft charakteristischen engen, persönlichen Beziehungen zum Mitmenschen. Zwischenmenschliche Beziehungen in der Stadt sind gekennzeichnet durch Kontaktlosigkeit, Teilnahmslosigkeit, Argwohn und Neid.[107]
Die Gesellschaft wird demnach in ihrer negativen Ausprägung erfahren und beschrieben, während die Gemeinschaft positiv besetzt bleibt. Erich Fromm stellte für die moderne Industriegesellschaft eine elementare Entfremdung fest:
Die Entfremdung, wie wir sie in der modernen Gesellschaft finden, ist beinahe total. Sie durchdringt die Beziehung des Menschen zu seiner Arbeit, zu den Dingen, die er verbraucht, zu seinen Mitmenschen und zu sich selbst. [...]
Die Entfremdung von Mensch zu Mensch hat den Verlust jener allgemeinen sozialen Bindungen zur Folge, die sowohl die mittelalterliche als die meisten andren vorkapitalistischen Gesellschaften kennzeichnen.[108]
[...]
[1] Siehe Herbert Ihering.
[2] Fleißer schrieb das Drama unter dem Titel Fußwaschung. Moriz Seeler, der Leiter der Berliner Jungen Bühne, hatte den Titel eigenmächtig vor der Uraufführung in Fegefeuer in Ingolstadt geändert, da ihm Fleißers Titel nicht zusagte. Vgl.: Meine Biographie. In: Gesammelte Werke IV (im folgenden als GW I-IV abgekürzt), Seite 528. Diese Titeländerung hatte folgenschwere Konsequenzen, da Fleißer fortan schon durch die Titel ihrer Dramen an Ingolstadt gebunden war.
[3] Diese Erzählung wurde 1929 von Fleißer in Die Dreizehnjährigen umbenannt.
[4] Siehe Ich ahnte den Sprengstoff nicht. In: GW IV, Seite 493. Auch in einem Brief an Erich Kuby vom 30.1.1943 erinnert Fleißer diese Szene. Vgl. Erich Kuby, Seite 310-311.
[5] Für die GW 1972 von Fleißer in Eine Zierde für den Verein. Roman vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen umbenannt.
[6] Spezifische Erläuterung des Begriffs in Kapitel 1.2.
[7] Siehe Walter Benjamin: Originalnovellen, Seite 189. Im folgenden werden, wenn von einer Verfasserin oder einem Verfasser mehrere Werke verwendet werden, nur prägnante Kurztitel der Werke angegeben.
[8] Vgl. Walter Benjamin: Originalnovellen, Seite 189-190. Benjamin unterscheidet allgemein zwischen Erfahrung und Erlebnis: „Was die Erfahrung von dem Erlebnis auszeichnet, ist, daß sie von der Vorstellung einer Kontinuität, einer Folge nicht abzulösen ist.“ Siehe Walter Benjamin: Passagen-Werk, Seite 964. Desweiteren konstatiert Benjamin, daß nur die Erfahrung der wahren Erzählung zugrunde liegen kann. Vgl. Walter Benjamin: Der Erzähler, Seite 440.
[9] Vgl. dazu auch Inge Stephan, Seite 114-115: Sie bespricht den Regionalismus von Fleißer und Hannes Küpper und kommt zu einer ähnlichen Einschätzung wie Walter Benjamin. Vgl. zum Regionalismusbegriff Norbert Mecklenburg: Erzählte Provinz, Seite 9 f.
[10] Elke Brüns formuliert in diesem Zusammenhang: „[Ingolstadt] wird zum Wahrzeichen eines Werkes.“ Siehe Elke Brüns: Autorposition, Seite 98.
[11] Siehe Brief von Fleißer an Brecht, 12.12.1955. In: Materialien zum Leben und Schreiben der Marieluise Fleißer (im folgenden als Mat. abgekürzt), Seite 211.
[12] Siehe Brief von Fleißer an Feuchtwanger, 23.1.1956. In: Mat., Seite 212.
[13] Spezifische Erläuterung des Begriffs in Kapitel 1.2.
[14] Barbara Naumann beschreibt Fleißer daher als „Analytikerin der süddeutschen provinziellen Kleinstadt mit ihren Machtstrukturen, Abhängigkeiten, Persönlichkeitsverlusten und Zusammenbrüchen; mit ihrem Leiden und ihrer Bewegungslosigkeit.“ Siehe Barbara Naumann, Seite 159.
[15] Siehe Sabine Göttel, Seite 61.
[16] In diesem Zusammenhang kann kaum von einer inneren Emigration Fleißers gesprochen werden, da ihre Werke dieser Phase als politisch standortlos einzuschätzen sind. Sabine Göttel plädiert für den Begriff der inneren Exilierung, um die Fremdeinwirkung auf Fleißers Werk erfassen zu können. Vgl. Sabine Göttel, Seite 177-182.
[17] Vgl. Kapitel 7.1 zu den genauen Daten ihrer Biographie.
[18] Vgl. Ina Brueckel: Leben und Schreiben, Seite 16-17.
[19] Genaueres zur Forschungsliteratur in Kapitel 1.5.
[20] Interview mit Urs Jenny am 27.6.1963. In: Mat., Seite 343.
[21] Siehe Brief von Fleißer an Brecht, 27.11.1955. In: Mat., Seite 209.
[22] Ausführliche Darstellung der Methode in Kapitel 1.3.
[23] Siehe Brockhaus Lexikon.
[24] Moderne wird hier verstanden als die Ende des 19. Jahrhunderts mit ihrer Verkündigung einsetzende Epoche. Weitere Ausführungen zu diesem Thema sind zu finden bei Rolf Grimminger. Sabina Becker intensiviert die Bedeutung der Verbindung zwischen Moderne und Urbanisierung, indem sie folgende These plausibel belegt: „Die Geschichte der Stile der Moderne verbindet sich mit der Geschichte der Wahrnehmung und des Sehens im urbanen Erfahrungs- und Wahrnehmungsraum.“ Siehe Sabina Becker: Urbanität, Seite 11. Die städtische Wahrnehmung wird somit als spezifische Erfahrung der Moderne angesehen, die ihren Höhepunkt in Deutschland während der Weimarer Republik erreichte.
[25] Siehe Elisabeth Tworek-Müller, Seite 135.
[26] Norbert Mecklenburg weist darauf hin, daß Provinz als Inbegriff der Gegenmoderne gedacht wurde. Vgl. Norbert Mecklenburg: Erzählte Provinz, Seite 16.
[27] Vgl. Norbert Mecklenburg: Provinz im Gegenwartsroman, Seite 121.
[28] Vgl. Norbert Mecklenburg: Provinz im Gegenwartsroman, Seite 128.
[29] Interpretation wird in diesem Zusammenhang nicht als Darstellung der rein subjektiven ästhetischen Wahrnehmung verstanden, sondern als eine objektive, reflektierte Methode. Im Zusammenspiel mit der Textbeschreibung und der Textanalyse werden die Texte Fleißers durch diese Methode ausgelegt. Vgl. hierzu Jürgen Schutte, Seite 12 und 29-30.
[30] Zum Beispiel Das kleine Leben.
[31] Meine Zwillingsschwester Olga/Die Dreizehnjährigen, Der Apfel, Die Ziege, Das hochmütige Herz/Frigid und Die Lawine/Schlagschatten Kleist. Vgl. Anmerkungsapparat. In: GW III, Seite 311-317.
[32] Z. B. Ein Pfund Orangen und Meine Zwillingsschwester Olga/Die Dreizehnjährigen.
[33] Vgl. Kapitel 6.1. zu den genauen bibliographischen Angaben der einzelnen Erzählungen und ihren unterschiedlichen Fassungen.
[34] Vgl. Elke Brüns: Autobiographismus.
[35] Vgl. Fleißer 1963 im Interview mit Urs Jenny. In: Mat., Seite 343.
[36] Vgl. zu dieser Einschränkung auch Klaudia Heidemann-Nebelin, Seite 21-22.
[37] Vgl. Mat.
[38] Siehe Theo Buck, Seite 42.
[39] Vgl. Susan Cocalis (Weib ohne Wirklichkeit), Patricia Preuss.
[40] Beispielsweise Christa Bürger, Anna Maria Eder, Herbert Haffner, Günther Lutz (Verdichtetes Leben), Moray McGowan (Marieluise Fleißer), Günther Rühle (Leben und Schreiben, Ingolstadt), Franz Schonauer, Ruth Secker, Sissi Tax.
[41] Beispielsweise Helmut Lethen, Michael Töteberg (Spiegelung), Sabina Becker (Hier ist nicht Amerika), Livia Z. Wittmann (Neue Sachlichkeit).
[42] Vgl. Heide Soltau (Trennungsspuren, Aufbruch), Heidi Thomann-Tewarson, Gisela Brinker-Gabler.
[43] Vgl. Elisabeth Tworek-Müller.
[44] Vgl. Walter Schmitz. Klaudia Heidemann-Nebelin untersucht die satirischen Elemente des Romans. Hervorzuheben an ihrer Analyse sind neue Ergebnisse bezüglich des autobiographischen Gehalts des Romans. Sie konnte nachweisen, daß es sich bei Frieda Geier um eine montierte Figur handelt. Siehe Klaudia Heidemann-Nebelin, Seite 40-41.
[45] Vgl. Peter Beicken.
[46] Vgl. Claudia Albert.
[47] Vgl. Ina Brueckel: Heimatlosigkeit.
[48] Vgl. Hellmuth Karasek, Theo Buck, Donna Hoffmeister (Theater).
[49] Vgl. Jeong-Jun Lee, Wend Kässens und Michael Töteberg (Auftrag), Sabine Kebir, Michael Töteberg (Abhängigkeit), Angelika Führich.
[50] Vgl. Angelika Döpper-Henrich.
[51] Vgl. Silvia Henke.
[52] Vgl. Ursula Roumois-Hasler.
[53] Vgl. Susan Cocalis (Weib ist Weib), Angelika Führich.
[54] Vgl. Moray McGowan (Dramatik), Wend Kässens und Michael Töteberg (Marieluise Fleißer).
[55] Vgl. Günther Lutz: Bayerische Literatur.
[56] Vgl. Jutta Sauer, Angelika Wittlich, Oswald Heimbucher.
[57] Vgl. Patricia Preuss, Michael Töteberg (Mißverständnis).
[58] Siehe Ina Brueckel: Leben und Schreiben, Seite 23.
[59] Siehe Sabine Göttel, Seite 19.
[60] Vgl. Elke Brüns: Autorposition, Seite 13.
[61] Siehe Elke Brüns: Autorposition, Seite 155.
[62] Siehe Susan Cocalis: Weib ohne Wirklichkeit, Seite 64.
[63] Siehe Susan Cocalis: Weib ohne Wirklichkeit, Seite 77.
[64] Siehe Patricia Preuss, Seite 192.
[65] Vgl. Patricia Preuss, Seite 193.
[66] Vgl. Donna Hoffmeister: Growing Up, Seite 400 und 402.
[67] Vgl. Donna Hoffmeister: Growing Up, Seite 406.
[68] Nach dem Ersten Weltkrieg wurde ein neu auftauchender Frauentypus als ‘die neue Frau’ bezeichnet. Alexandra von Kollontai beschrieb 1918 diesen Typus der ledigen Frau wie folgt: „Selbstdisziplin statt Gefühlsüberschwang, die Fähigkeit, die eigene Freiheit und Unabhängigkeit zu schätzen statt der unpersönlichen Ergebenheit; die Behauptung der eigenen Individualität statt der naiven Bemühung, das fremde Bild des ‘Geliebten’ in sich aufzunehmen und zu reflektieren. Das Zur-Schau-Tragen des Rechtes auf Familienglück statt der heuchlerischen Maske der Unberührtheit, endlich Zuweisung der Liebeserlebnisse an einen untergeordneten Platz im Leben. Vor uns steht nicht mehr das ‘Weibchen’, der Schatten des Mannes, - vor uns steht die Persönlichkeit, das Weib als Mensch.“ Siehe Alexandra von Kollontai, Seite 43.
[69] Vgl. Livia Z. Wittmann: Die fiktionale Frau, Seite 261-262.
[70] Vgl. Johannes Süßmann, Seite 59-60.
[71] Vgl. Gisela von Wysocki.
[72] Dieser Begriff wurde von Fleißer übernommen: Siehe Avantgarde. In: GW III, Seite 120.
[73] Vgl. Ulrike Strauch, Seite 85.
[74] Siehe Ulrike Strauch, Seite 86.
[75] Siehe Inge Stephan, Seite 115.
[76] Vgl. Barbara Naumann, Seite 177.
[77] Diese These wird in Kapitel 2.2.4. näher beleuchtet.
[78] Vgl. zu dieser Kategorisierung Sabine Göttel, Seite 26.
[79] Erstveröffentlichung der Erzählung in Das Tagebuch, 1.5.1926, danach auch in Ein Pfund Orangen und in GW III. Hier wird auf die Erstveröffentlichung zurückgegriffen, da die beiden späteren Fassungen von Fleißer stark überarbeitet wurden. Die Seitenangaben zu den Textverweisen werden im folgenden im laufenden Text in Klammern ausgezeichnet. Die erste Fassung der Erzählung ist in den Anhang der vorliegenden Arbeit aufgenommen worden.
[80] Leitthema meint in diesem Zusammenhang, daß die einzelnen Erzählungen des gesamten Erzählungsbandes als unterschiedliche Verarbeitung des Komplexes ‘Suche’ gedeutet werden können. Das Thema wirkt demnach strukturbildend für die Erzählungen und beeinflußt die Figurenkonzeption und die Verwendung von Motiven. Vgl. Horst S. und Ingrid G. Daemmrich, Seite XXIV.
[81] Im folgenden wird für die Protagonistin das Personalpronomen ‘sie’ gewählt, weil davon ausgegangen wird, daß in der Erzählung eine junge Frau gemeint ist, die aus Gründen der Zuschreibung im Sinne von Verniedlichung ‘das Mädchen’ genannt wird. Vgl. auch Kapitel 2.1.1.
[82] Es muß darauf hingewiesen werden, daß hier ein gängiger Topos der zwanziger Jahre aufgerufen wird, den Siegfried Kracauer in Die Angestellten (1929) wie folgt erfaßte: Das Ziel besonders der weiblichen Angestellten bezeichnet Kracauer als den Glanz. Durch Zerstreuung wollen sie am Glanz teilhaben, ernste Unterhaltungen werden gemieden, um sich ganz dem oberflächlichen, an äußerlichen Werten orientierten Leben hinzugeben. Warenhäuser und Vergnügungslokale spenden den Glanz. „Der gespendete Glanz soll zwar die Angestelltenmassen an die Gesellschaft fesseln, sie jedoch nur gerade so weit erheben, daß sie desto sicherer an dem ihnen zugewiesenen Ort ausharren.“ Siehe Siegfried Kracauer, Seite 93.
[83] Dieser vierte, ‘mythische’, Abschnitt wurde in den beiden späteren Fassungen gestrichen.
[84] Die Beschreibung der Erzählsituation orientiert sich an Franz K. Stanzel: Theorie des Erzählens. Stanzel arbeitet die drei Grundkonstituenten der Erzählsituation, Modus, Person und Perspektive, heraus, um zu erläutern, daß die drei grundsätzlichen Erzählsituationen sich in der Dominanz einer dieser Konstituenten unterscheiden: In der auktorialen Erzählsituation dominiert die Außenperspektive, während in der Ich-Erzählsituation die Identität der erzählenden und der erzählten Person und in der personalen Erzählsituation der Reflektormodus im Vordergrund stehen. Vgl. Stanzel, Seite 75 und 80-81.
[85] Ein Teil dieser Textstelle - „und jeden Tag tat sie sich was anderes an, ganz was Schlechtes“ - wird auf Seite 599 wortwörtlich wiederholt.
[86] Epitheta: einem Substantiv beigefügte Adjektive oder Partizipien zur näheren Erläuterung oder Einschränkung. Vgl. Gero von Wilpert und ergänzend Sabine Göttel, Seite 161.
[87] Zur Verwendung dieses Pronomens und die damit verbundene Unbestimmtheit: vgl. Johannes Süßmann, Seite 62 f. und Sabine Göttel, Seite 99-100. Sowohl Süßmann als auch Göttel beziehen sich zwar auf Die Dreizehnjährigen, ihre Ausführungen sind jedoch auch für Ein Pfund Orangen zutreffend. Mit ‘es’ ist in der vorliegenden Erzählung sexuelle Initiation gemeint.
[88] Diese masochistischen Handlungen werden später wieder aufgegriffen, da sie im Zusammenhang mit religiösen Momenten wieder auftauchen. Vgl. Kapitel 2.1.4.
[89] Cocalis versteht dieses Nichtvorhandensein von familiären Beziehungen als feministische Auflösung von traditionellen Strukturen. Vgl. Susan Cocalis: Weib ohne Wirklichkeit, Seite 69.
[90] Vgl. Kapitel 2.1.4. zu dieser Hoffnung.
[91] Vgl. zu der Unterwürfigkeit auch die weiteren Unterkapitel, besonders Kapitel 2.1.3.
[92] Vgl. dazu auch die Zuschreibung „Warten und Glauben“ (598).
[93] Die Formulierung an dieser Stelle - ‘man’ - legt nahe, daß von einer allgemeinen, zwanghaften Hinziehung zur Natur ausgegangen wird.
[94] „Die Landschaft [die Natur] kann das Verhalten einzelner Figuren motivieren“ und die Natur kann Zuflucht vor dem verderblichen Einfluß der Zivilisation bieten. Vgl. Horst S. und Ingrid G. Daemmrich, Seite 239 und 241.
[95] Diese zwanghaft anmutende Verbindung zur Natur wird in Kapitel 2.1.4. wieder aufgegriffen.
[96] Siehe Brockhaus Lexikon.
[97] Vgl. Norbert Mecklenburg: Provinz im Gegenwartsroman, Seite 121.
[98] Vgl. Ausführungen in Kapitel 1.2. zu der Gleichsetzung von Provinz und Rückwärtsgewandtheit.
[99] Siehe Le Corbusier, Seite VII, 6 und 21.
[100] Siehe zu diesem Antagonismus auch Marinetti, der 1913 im Zusammenhang mit der vom Futurismus angestrebten Wahrnehmungsweise auf unterschiedliche schon erkennbare Phänomene hinwies: „Begeisterung für die Stadt. Überwindung der Entfernungen und der sehnsüchtigen Einsamkeit. Verspottung der himmlischen Ruhe im Grünen und der unantastbaren Landschaft.“ Siehe F. T. Marinetti, Seite 122.
[101] Vgl. dazu die Anmerkungen in den GW III: „Beide Erzählungen [ Der Apfel und Ein Pfund Orangen ] entstanden um 1926 in Ingolstadt, beide spiegeln Eindrücke aus der Studentenzeit der Autorin (1919-1924 in München). Siehe GW III, Seite 313.
[102] Vgl. dazu Sabine Göttel, Seite 163.
[103] In der in den GW enthaltenen Fassung der Erzählung erweitert Ludwig seine Erklärung für den Seitensprung: „‘Ich mußte so tun, sie ist eine reiche Erbin, die ihre Eigenheiten hat,’ hatte er ihr hinterher erklärt, sie hörte jetzt noch sein spöttisches Lachen. ‘Mit der habe ich was vor, weil ich ihr was abknöpfen will. Den einen gebe ich und den anderen knöpfe ich ab. Das ändert nichts zwischen uns.’“ Siehe Ein Pfund Orangen. In: GW III, Seite 73. Der entindividualisierte Frauentyp bekommt an dieser Stelle greifbare Züge.
[104] Erläuterung der Begrifflichkeiten im Exkurs: Gemeinschaft versus Gesellschaft und Entfremdung.
[105] Vgl. Kapitel 2.1.2. zu dem ‘Girl’-ähnlichem Verhalten der Anderen.
[106] Vgl. Ferdinand Tönnies, Seite 8 und 40.
[107] Siehe Horst S. und Ingrid G. Daemmrich, Seite 334.
[108] Siehe Erich Fromm, Seite 113 und 126.
- Quote paper
- Meike Bölts (Author), 1999, Marieluise Fleißer: Eine vergleichende Analyse ihrer Kurzprosa, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15730
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