Ratgeberliteratur und Trainingsangebote zu Fragen der Sprache und Kommunikation gewinnen auf dem Weg zu einer Dienstleistungsgesellschaft mehr und mehr an Bedeutung für das sprachlich-kommunikative Handeln jedes Einzelnen. Befinden wir uns tatsächlich bereits in einer „Informationsgesellschaft“, so kann die Bedeutung „kommunikativer Kompetenzen“ für privates und vor allem berufliches Fortkommen nur weiter zunehmen. Es herrscht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass aufgrund dieses strukturellen Wandels die Zahl der kommunikationsintensiven Berufe insgesamt gewachsen ist und dass die kommunikativen Anforderungen an den Einzelnen zunehmend höher werden.
Sprachratgeber und Kommunikationstrainings stellen in diesem Zusammenhang die wichtigste außerschulische Hilfestellung zur Bewältigung kommunikativer Probleme im Alltag dar. Um die Tragweite dieses Phänomens vor Augen zu führen, genügt es, auf das beinahe unüberschaubare Angebot solcher teils unterhaltender, teils beratender, teils informierender Literatur zu Sprachfragen in jeder beliebigen Buchhandlung hinzuweisen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Literatur, die sich explizit an wissenschaftliche Laien wendet und oft genug auch von solchen verfasst wurde. Neben der Ratgeberliteratur stellen noch die (hauptsächlich in der beruflichen Fortbildung eingesetzten) Kommunikationstrainings eine weitere wichtige Form dieser laienorientierten Sprachberatung dar.
Von linguistischer Seite wird mittlerweile diese Form der praxisorientierten Kommunikationsbetrachtung als ernstzunehmende Thematisierung von Sprachproblemen im Alltag anerkannt und es wurde in den letzten Jahren verstärkt nach Kriterien und Methoden gesucht, diese Literaturform für die Wissenschaft zu erschließen. Die Beschäftigung mit diesen Werken aus linguistischer Sicht ist v.a. deshalb von Bedeutung, weil dadurch die sprachlichen und kommunikativen Praxisprobleme der „breiten Öffentlichkeit“ und die Anliegen und Vorstellungen zum Thema Kommunikation aus der Sicht von Laien deutlich werden.
Die Arbeit versucht unter Anderem Antworten auf folgende Fragen zu geben: Was interessiert die nicht-wissenschaftliche Öffentlichkeit an Sprache und Kommunikation? Welche Aspekte von Kommunikation werden von Laien als besonders problematisch empfunden und welche Lösungen werden hierfür präsentiert? Sind diese wissenschaftlich abgesichert oder werden Alltagserfahrungen als ausreichend betrachtet?
Inhaltsverzeichnis
0 EINLEITUNG
1 ALLGEMEINE GRUNDLAGEN
1.1 FORMEN POPULÄRER SPRACHBERATUNG
1.2 DEFINITIONEN
1.3 TYPOLOGISIERUNG(EN)
1.4 GESELLSCHAFTLICHE FUNKTIONEN DER SPRACHBERATUNG
2 RATGEBER ZWISCHEN WISSENSCHAFT UND ALLTAGSERFAHRUNG
2.1 EINLEITENDE BEMERKUNGEN
2.2 ABGRENZUNGEN: LAIENTHEORIEN VS. WISSENSCHAFTLICHE THEORIEN
2.3 EXKURS: PRINZIPIEN WISSENSCHAFTLICHEN ARBEITENS
3 „GOLDENE MITTE“ POPULÄRWISSENSCHAFT?
3.1 ZUR ROLLE DER LINGUISTIK
3.2 SPRACHBERATUNG - EINE FORM VON POPULÄRWISSENSCHAFT?
3.3 CHARAKTERISTIKEN POPULÄRWISSENSCHAFTLICHEN DARSTELLENS
4 TYPISCHE GRUNDANNAHMEN IN RATGEBERN
4.1 „KOMMUNIKATION IST LERNBAR“
4.2 „KOMMUNIKATION FUNKTIONIERT NACH FESTEN REGELN“
4.3 „WER RICHTIG KOMMUNIZIERT, HAT MEHR ERFOLG“
5 ANFORDERUNGEN AN DIE RATGEBER
5.1 AUTORENKOMPETENZ
5.2 PRAXISRELEVANZ
5.3 EINFACHHEIT/VERSTÄNDLICHKEIT
5.4 HANDHABBARKEIT
5.5 UNTERHALTUNGSFUNKTION
6 DAS „HAMBURGER VERSTÄNDLICHKEITSMODELL“
6.1 DIE VIER „VERSTÄNDLICHMACHER“
6.2 FAZIT
6.3 BEDEUTUNG FÜR DIE POPULÄRE SPRACHBERATUNG
7 EMPIRISCHE ANALYSEN - ALLGEMEINES
7.0 VORBEMERKUNGEN
7.1 FRAGESTELLUNGEN
7.2 VORGEHENSWEISE
7.3 AUSWAHL DER RATGEBER
8 „LES SECRETS DE L’ECRITURE JOURNALISTIQUE“
8.1 AUTOR
8.2 ZIELGRUPPE(N) UND ANWENDUNGSBEREICHE
8.3 INHALTLICHE SCHWERPUNKTE
8.4 FORMALE GESTALTUNG
8.5 VORGEHENSWEISE/METHODEN
8.6 FAZIT/NUTZEN
9 „PRÜFUNGSGESPRÄCHE ERFOLGREICH FÜHREN“
9.1 AUTOREN
9.2 ZIELGRUPPE(N) UND ANWENDUNGSBEREICHE
9.3 INHALTLICHE SCHWERPUNKTE
9.4 FORMALE GESTALTUNG
9.5 VORGEHENSWEISE/METHODEN
9.6 FAZIT/NUTZEN
10 „ERFOLGREICH DURCH KILLERPHRASEN“
10.1 AUTOR
10.2 ZIELGRUPPE(N) UND ANWENDUNGSBEREICHE
10.3 INHALTLICHE SCHWERPUNKTE
10.4 FORMALE GESTALTUNG
10.5 VORGEHENSWEISE/METHODEN
10.6 FAZIT/NUTZEN
11 „REDE, GESPRÄCH, DISKUSSION“
11.1 AUTOR
11.2 ZIELGRUPPE(N) UND ANWENDUNGSBEREICHE
11.3 INHALTLICHE SCHWERPUNKTE
11.4 FORMALE GESTALTUNG
11.5 VORGEHENSWEISE/METHODEN
11.6 FAZIT/NUTZEN
12 EMPIRISCHE ANALYSEN - FAZIT
13 ZUSAMMENFASSUNG
14 RESUME
15 BIBLIOGRAPHIE
I. Allgemeiner Teil
0 Einleitung
Ratgeberliteratur und Trainingsangebote zu Fragen von Sprache und Kommunikation gewinnen auf dem Weg von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft mehr und mehr an Bedeutung für das sprachlich-kommunikative Handeln jedes einzelnen im Alltag. Befinden wir uns tatsächlich bereits auf dem Weg von einer Dienstleistungs- zu einer medial gestützten „Informationsgesellschaft“, so kann die Bedeutung „kommuni- kativer Kompetenzen“ für privates und vor allem berufliches Fortkommen nur weiter zunehmen: Es herrscht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass aufgrund dieses struk- turellen Wandels die Zahl der kommunikationsintensiven Berufe in den letzten Jahren insgesamt gewachsen ist und dass die kommunikativen Anforderungen an den einzelnen zunehmend höher werden.
Sprachratgeber und Kommunikationstrainings stellen in diesem Kontext die wichtigste außerschulische Hilfestellung zur Bewältigung kommunikativer Probleme im Alltag dar. Um die Tragweite bzw. den Umfang dieses Phänomens vor Augen zu führen, ge- nügt es, auf das beinahe unüberschaubare Angebot solcher teils unterhaltender, teils beratender, teils informierender Literatur zu Sprachfragen in jeder beliebigen Buch- handlung hinzuweisen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Literatur, die sich explizit an wissenschaftliche Laien wendet und oft genug auch von solchen verfasst wurde. Neben der Ratgeberliteratur stellen noch die (hauptsächlich in der beruflichen Fortbildung eingesetzten) Kommunikationstrainings eine weitere wichtige Form dieser laienorientierten Sprachberatung dar.
Von linguistischer Seite wird mittlerweile diese Form der praxisorientierten Kommunikationsbetrachtung als ernstzunehmende Thematisierung von Sprachproblemen im Alltag anerkannt, und es wurde in den letzten Jahren verstärkt nach Kriterien und Methoden gesucht, diese Literaturform für die Wissenschaft zu erschließen. Die Beschäftigung mit diesen Werken aus wissenschaftlicher Sicht ist v.a. deshalb von Bedeutung, weil dadurch zahlreiche sprachliche und kommunikative Praxisprobleme der „breiten Öffentlichkeit“ sowie wesentliche Anliegen und Vorstellungen im Zusammenhang mit Kommunikation aus Sicht von Laien sichtbar werden.
Hierdurch sollen Antworten gefunden werden auf Fragen wie: Was interessiert die nicht-wissenschaftliche Öffentlichkeit an Sprache und Kommunikation? Welche Aspek- te von Kommunikation werden von Laien als besonders problematisch empfunden und welche Lösungen werden hierfür präsentiert? Wie begründen die Autoren ihre Ansich- ten über Kommunikation und welche Form von Wissen liegt ihren Empfehlungen zugrunde? Handelt es sich dabei um wissenschaftlich abgesichertes Grundlagenwissen oder werden Erfahrungen und alltägliche Beobachtungen als ausreichend betrachtet? Schließlich muss vor allem aus Sicht der Linguistik gefragt werden, wie die Autoren und Trainer dabei theoretische Zusammenhänge darstellen und wie fundiert ihre Anwei- sungen aus fachlicher Sicht zu bewerten sind. Zwar sollten die unterschiedlichen Vorraussetzungen und Ansprüche einer wissenschaftlichen und einer praxisbezogenen Betrachtung von Sprache und Kommunikation nicht aus den Augen verloren werden, doch ist eine kritische Herangehensweise angesichts der mangelnden fachlichen Basis vieler Ratgeber durchaus angebracht.
In der einschlägigen linguistischen Literatur zum Themengebiet der „praktischen “ bzw. „populären Rhetorik “ (Blumenthal 1985 bzw. Bremerich-Vos 1991) oder der „Laien- Linguistik“ (Antos 1996) überwiegt eine skeptische Betrachtungsweise hinsichtlich der Ratgeberliteratur: Die Existenzberechtigung dieser Literaturform wird zwar nicht grundsätzlich geleugnet, doch wird von Seiten der Linguistik häufig der fehlende oder verfälschte Bezug zu traditioneller Rhetoriktheorie, die mangelnde Einbeziehung von Grundlagenwissen, das unsystematische Vorgehen oder der hochgradig „präskriptive“ Charakter der Ratgeber kritisiert (vgl. Bergmann 2002:228). Aus linguistischer Sicht wurden sie daher zum Teil einer „praxis- oder bedarfsorientierten“ Linguistik zugerech- net. Antos (1996:13), der die wohl umfassendste Studie zum Thema angestellt hat, ordnet sie überhaupt in einen größeren Rahmen ein, den er als „Laien-Linguistik“ bzw. als praxisorientierte Sprach- und Kommunikationslehre zur Lösung muttersprachlicher Probleme definiert. Trotzdem ist eine rein linguistische Herangehensweise oftmals problematisch, da in den Ratgebern oftmals nur am Rande auf linguistisches Wissen Bezug genommen wird und meist psychologische oder betriebswirtschaftliche Bezüge dominieren.
Der inhaltliche Aufbau der Arbeit begründet sich in erster Linie mit dem Ziel, das Phänomen Sprach- und Kommunikationsberatung im Kontext von Wissenschaft und Populärwissenschaft darzustellen. Dies begründet sich damit, dass die Ratgeber nicht direkt als „Teil der Linguistik“ gesehen werden können, sondern als alltagsweltliche Sprachthematisierung, die sowohl Züge von „Populärwissenschaft“ als auch von „Laientheorie“ trägt. Im besten Fall kann „Sprachberatung“ als vermittelnde Instanz zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit fungieren, doch ist die Realität meist weit hiervon entfernt. Die Arbeit gliedert sich wie folgt:
Im ersten Kapitel werden zunächst die Grundlagen betrachtet, d.h. es werden alltägliche Erscheinungsformen alltagsweltlicher Sprach- und Kommunikationsberatung beschrie- ben und anschließend auf unterschiedliche Definitions- und Typologisierungsmöglichkeiten für „Sprachratgeber“ eingegangen. Weiters soll kurz dargelegt werden, aus welchen Gründen den „kommunikativen Fertigkeiten“ im modernen Kontext eine besondere Bedeutung zukommt und welche gesellschaftliche Rolle die praktische Sprach- und Kommunikationsberatung dabei einnimmt. Um deutlich auf die formalen und methodischen Vorgehensweisen bei Ratgebern und einschlägigen (wissenschaftlichen) Grundlagendarstellungen hinzuweisen, werden im zweiten Kapitel die unterschiedlichen Methoden und Gestaltungsprinzipien wissenschaftlicher und „laiengerechter“ Darstellungen demonstriert, wobei auch auf wissenschaftstheoretische Unterschiede zwischen „subjektiven“ Laientheorien und „objektiven“ wissenschaftlichen Theorien eingegangen wird.
Wie sich herausstellen wird, nimmt die populäre Sprach- und Kommunikationsberatung dabei eine der Populärwissenschaft nicht unähnliche Mittelstellung zwischen diesen beiden Domänen ein, weshalb im dritten Kapitel die Frage aufgeworfen wird, ob sich die laienhafte Sprachbetrachtung nicht grundsätzlich als „Popularisierung“ von wissen- schaftlichem Wissen beschreiben lässt. Neben einigen offensichtlichen Gemeinsamkeiten wie Darstellungshaltung, Leserorientierung, Alltagsrelevanz und Verständlichkeit werden dabei allerdings auch signifikante Widersprüche zwischen den Zielen der Populärwissenschaft und den Methoden der populär orientierten Sprachbera- tung sichtbar, was vor allem mit der mangelnden Berücksichtigung fachlich fundierten Wissens durch die Ratgeberautoren und mit einem „Öffentlichkeitsproblem“ der Lingu- istik zu tun hat.
Im vierten Kapitel werden schließlich einige „typische“ Grundannahmen der Ratgeber besprochen und kritisch hinterfragt. So überrascht es nicht, dass in den Büchern und Trainings grundsätzlich von einer generellen Lernbarkeit von Kommunikation ausge- gangen wird, doch es werden noch weitere (problematischere) Prämissen vertreten, die oftmals auf eine stark reduktionistische oder eindimensionale Sichtweise auf Kommu- nikation hinauslaufen. Im Anschluss folgt eine detaillierte Beschreibung der wesentlichen Merkmale und Aufgaben der Ratgeber aus Lesersicht. Hier werden vor allem Anforderungen an Ratgeberwerke thematisiert, also z.B. kompetente Autoren, praxisrelevante Themen, eine verständliche und einfache Sprache, gute Handhabbarkeit sowie unterhaltende Darstellungsformen. Aus dieser allgemeinen (und mit Beispielen illustrierten) Merkmalsbeschreibung ergibt sich ein globales Bild der für den Großteil der Ratgeber charakteristischen Ziele und Methoden.
Im Anschluss an diese generelle Charakterisierung wird im fünften Kapitel anhand der Darstellung eines einflussreichen kommunikationspsychologischen Modells versucht, in beispielhafter Form aufzuzeigen, woher viele Ratgeberautoren ihre theoretischen Anlei- hen nehmen: Das „Hamburger Verständlichkeitsmodell“ mit seinen „vier Kriterien der Verständlichkeit“Einfachheit“, „Gliederung“, „Kürze“ und „anregende Zusätze“ eignet sich bemerkenswert genau für eine Beschreibung der äußeren Gestaltung der Ratgeber, was die Vermutung nahe legt, dass viele Autoren sich von diesem psychologisch moti- vierten Ansatz beeinflussen lassen und versuchen, ihn selbst exemplarisch in ihren Werken umzusetzen.
Die darauf folgenden Kapitel (mit den Nummern 7 bis 12) stellen den empirischen Teil der Arbeit dar und widmen sich der Besprechung vier ausgewählter Ratgeberwerke, die in Form von Inhaltsanalysen vorgestellt werden. Die Werke wurden so ausgewählt, dass ein möglichst „breites“ Spektrum aktueller Ratgeberliteratur abgedeckt wird; soweit dies bei einem aus Platz- und Übersichtsgründen auf vier Exemplare beschränkten Kor- pus überhaupt möglich ist.
Es wurde dabei einer Präsentation unterschiedlicher Ratgeber typen der Vorzug vor ei- nem Vergleich mehrerer, dem Verwendungszweck nach ä hnlicher Ratgeber gegeben, weil hiermit ein besserer Überblick über die verschiedenen Formen und Aspekte dieser Literaturform erreicht werden kann, wenn auch hierdurch die Ergebnisse weniger ver- allgemeinerbar sind.
Bei den Analysen wird im Wesentlichen nach den Kompetenzen der Autoren, den Ziel- gruppen und Anwendungsbereichen sowie den inhaltlichen Schwerpunkten der Werke gefragt. Besonderes Augenmerk wird außerdem auf den Aufbau der Bücher und die Form der Darstellung gelegt, womit vor allem Probleme der inneren Systematik bzw. der „ adressatenorientierten “ Textgestaltung berührt werden. Schließlich wird anhand von ausgewählten Beispielen versucht aufzuzeigen, wie die Autoren in ihren Empfeh- lungen methodisch vorgehen und wie dies aus wissenschaftlicher Sicht zu bewerten ist, womit vor allem auf die „Fundiertheit“ der Anweisungen abgezielt wird. Unter Abwä- gung der gewählten Inhalte und Darstellungsformen sowie der „Qualität“ der vorgeschlagenen Problemlösungsempfehlungen, wird schließlich eine zusammenfassen- de Einschätzung abgegeben wie „zweckdienlich“ bzw. „umsetzbar“ die gebotenen Hilfestellungen für die kommunikative Praxis der Leser sein können, wobei die Mess- latte hier in erster Linie durch die von den Autoren selbst formulierten „Erfolgsversprechen“ gelegt wird.
Das Thema dieser Arbeit wurde von mir vor allem deshalb gewählt, weil es einen nur wenig thematisierten „Graubereich“ der Linguistik betrifft, der trotz einer (nach wie vor überschaubaren) Bearbeitung im deutschsprachigen Raum bislang nur sehr wenig Beachtung innerhalb der Sprachwissenschaft gefunden hat. Dabei handelt es sich um ein durchaus aktuelles und außerordentlich praxisrelevantes Problem, das seine Wurzeln darin hat, dass die Bedeutung von „kommunikativer Kompetenz“ „sprachlicher Ge wandtheit“ oder „Gesprächsfähigkeit“ zwar aller Orten betont wird, dass dem aber innerhalb der schulischen oder universitären Ausbildung praktisch kaum Rechnung getragen wird. „Kommunikationstraining“ gilt nach wie vor meist als Zusatzqualifikation und nicht als Voraussetzung beruflichen Fortkommens.
In der alltäglichen Praxis hat sich dessen ungeachtet längst eine beinahe „wissenschafts- autonome“ Branche entwickelt, die in erster Linie diesen von der Linguistik lange „ignorierten“ Bedarf an praktischer Hilfestellung zu Sprach- und Kommunikationsfra- gen abdeckt, und sich in Ausübung ihrer „Beratungen“ meist wenig um Einwände aus der Wissenschaft kümmert. Da die akademische Linguistik (im Unterschied zu vielen anderen Disziplinen) praktisch kein populärwissenschaftliches Standbein hat, sind inte- ressierte Laien faktisch auch gezwungen, entweder auf „schwer verständliche“ linguistische Grundlagendarstellungen oder eben auf die fachlich oft wenig fundierten, dafür aber eben „auf sie zugeschnittenen“ Ratgeber zurückzugreifen. Die Linguistik hat also ein „Vermittlungsproblem“, anders ist das offenkundige Überangebot an Ratgeberliteratur bzw. die praktisch zu vernachlässigende Rolle, die die „akademische“ Linguistik in diesem Bereich einnimmt nicht zu erklären.
Die anhaltende Kritik von Seiten der Linguistik an der mangelnden fachlichen Basis der Ratgeber und die berechtigten Zweifel an der Effektivität solcher Angebote sind eigent- lich bezeichnend für die Notwendigkeit einer adressatengerechten, praktisch orientierten und vor allem fachlich fundierten Hilfestellung für sprachhandelnde Laien durch die Linguistik. Aus diesem Grund wird in diesem Beitrag neben dem inhaltlichen und methodischen Aspekt vor allem auch dem Darstellungsaspekt (insbesondere dem Verständlichkeitsaspekt) der Ratgeber besondere Aufmerksamkeit zuteil. In dieser Hin- sicht versteht sich die vorliegende Arbeit als kleiner Beitrag zur Förderung des Bewusstseins, dass beide Seiten gut daran täten, wenn die Linguistik sicht verstärkt in die populäre Sprachberatung einbringen würde.
Terminologisches:
Die Begriffe „Ratgeber“ und „Sprachratgeber“ werden in dieser Arbeit weitgehend synonym verwendet und bezeichnen ausschließlich die Ratgeber bücher zu Themen (schriftlicher oder gesprochener) Sprache bzw. Kommunikation. Dazu gehören auch die „Rhetorikratgeber“, allerdings steht bei diesen verstärkt der Aspekt der (mündlichen) Rede im Vordergrund. Ist hingegen von „Kommunikationstrainings“ die Rede, sind die vorwiegend in Seminargruppen stattfindenden Trainingsmaßnahmen zur Verbesserung der Gesprächs- oder Kommunikationsfertigkeiten gemeint.
Eine Bezeichnung wie „Sprach- oder Kommunikationsberatung“ bezieht sich auf das Phänomen der alltagsweltlichen Thematisierung von Sprache und Kommunikation als Ganzes und kann daher als Überbegriff gesehen werden.
Speziellere Begriffe hingegen sind etwa „Gesprächsratgeber“, „Prüfungsratgeber“ oder „Bewerbungsratgeber“; darunter sind solche Werke zu verstehen, die sich speziell mit einem bestimmten Typ von Kommunikation oder bestimmten Situationen in Kommunikation beschäftigen (mündliche Gespräche bzw. Prüfungsgespräche, bzw. schriftliche Bewerbungsschreiben usw.).
Aus Gründen der sprachlichen Einfachheit, nicht der Gesinnung, wird auf eine ge- schlechtsneutrale Schreibweise wie in „RatgeberautorInnen“ oder „Leser und Leserinnen“ verzichtet. Zitiert wird im laufenden Text mit Autor, Jahreszahl und Sei- tenangabe; die vollständigen Angaben finden sich am Ende in der Bibliographie. Wenn der Name des Autors im Text vorangeht oder offensichtlich ist, wird auf eine erneute Nennung verzichtet (Bsp.: Bergmann (2002:236) erklärt: ’…’). Ältere Zitate wurden aus Gründen der Einheitlichkeit behutsam der neuen deutschen Rechtschreibung ange- glichen (dass, Tipps …).
Mein ganz besonderer Dank gilt vor allem meinen Eltern, Elisabeth und Günter, weil sie mich durch die gesamte Dauer meines Studiums hindurch unterstützt und immer an mich geglaubt haben. Meinem Bruder Andreas danke ich, dass er meinen Blick auf die universellste aller Sprachen gewiesen hat: Musik.
Außerdem möchte ich meinen drei liebenswerten Mitbewohnerinnen Natalie, Irina und Monika danken, ohne die mein Studentenleben in Wien einfach nicht komplett gewesen wäre. Schließlich gilt mein besonderer Dank noch Prof. Dr. Martin Stegu, unter dessen entgegenkommender Obhut diese Arbeit erst entstehen konnte.
Wien, im Februar 2007
1 Allgemeine Grundlagen
Würde man unter „Durchschnittsbürgern“ eine Befragung durchführen, welche „Exper- ten“ bzw. Autoren ihnen zu den Gebieten „Sprache und Kommunikation“ bekannt sind, man würde wohl - im deutschsprachigen Raum - mit ziemlicher Sicherheit solche Na- men wie Ludwig Reiners, Wolf Schneider, Friedemann Schulz von Thun, Vera Birkenbihl oder neuerdings auch Bastian Sick hören. Im Unterschied zu Autoren „genu- in“ wissenschaftlicher Werke zu Sprach- und Kommunikationsfragen erreichen solche am populären Ratgebermarkt vertretenen „Persönlichkeiten“ relativ breite Bevölke- rungsschichten: Die erfolgreicheren Veröffentlichungen gehen manchmal sogar in zweistellige Neuauflagen. Am weitesten verbreitet im deutschsprachigen Raum ist ver- mutlich nach wie vor „Stilpapst“ Ludwig Reiners mit seiner 1951 erschienenen „Stilfibel“, die bereits 19841 bei der 20. Auflage und ca. einer halben Million verkaufter Exemplare allein in Deutschland stand. Bastian Sicks „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ befindet sich aktuell mittlerweile in der dritten Fortsetzung und auf Rang 5 der zurzeit meistverkauften Bücher eines großen Online-Buchhandels2 . Von solchen Publi- kumserfolgen kann in der wissenschaftlichen Literatur zu Sprache und Kommunikation keine Rede sein.
Es ist natürlich wenig zielführend, diese publizistisch zwar weit verbreiteten, in der Wissenschaft dagegen wenig geachteten „öffentlichen Sprachexperten“ mit bekannten Vertretern der Sprachwissenschaft messen zu wollen. Doch wer den florierenden Markt um berufliche wie private sprachlich-kommunikative Weiterbildung und Beratung ge- nauer betrachtet, wird feststellen, dass sich hier in jüngerer Vergangenheit ein wachsender „Wirtschaftsbereich“ eröffnet hat, der sich keiner einzelnen Fachdisziplinen wie Psychologie, Linguistik, Soziologie oder Betriebswirtschaft eindeutig zurechnen lässt.
Gerd Antos beschreibt in seiner grundlegenden Studie zu dieser „Alternativ-Linguistik“ den Umfang dieser mittlerweile fest im populären Buchmarkt etablierten, wie er es nennt pseudolinguistischen Sparte, welche ganz unterschiedliche Bereiche der prakti- schen Verwendung von Sprache in Kommunikation umfasst. Zu den in der „Laien- Linguistik“ behandelten Themen zählt er unter anderem (vgl. Antos 1996:26): Korrespondenz, Textgestaltung, richtiges Telefonieren, wirkungsvolles Argumentieren, Probleme der Gesprächsführung, Bewerbungsschreiben, Fragetechniken, Verkaufsge spräche, Ausbildungsliteratur für Redakteure und Werbetexter, Unterhaltsames zu Fragen von Dialekt-, Standard- und Sondersprachen etc.
Fakt ist: Literatur zu solchen Themen findet man in fast jeder Buchhandlung, was den Schluss nahe legt, dass scheinbar ein großer Bedarf an Hilfestellung zu solchen praxis- orientierten Fragen von Sprache und Kommunikation besteht. Die Vielfalt und die Verbreitung dieser Literaturform belegen in eindrucksvoller Weise den gesellschaftli- chen Einfluss von solchen Beratungs- oder Unterhaltungsangeboten. Als Gegenstand wissenschaftlichen Interesses kamen die Sprachratgeber und Kommunikationstrainings erst in jüngerer Vergangenheit in den Blickpunkt. Wegbereitend waren hier im deutsch- sprachigen Raum vor allem Blumenthal und Kallmeyer, in weiterer Folge v.a. Bremerich-Vos und Antos (s. Bibliographie).
1.1 Formen populärer Sprachberatung
1.1.1 Ratgeber
Worin besteht die Kunst der freien Rede? Wie lassen sich Unterrichtssituationen durch den gezielten Einsatz kommunikativer Verfahren günstig beeinflussen? Was sollten Vorgesetzte beachten, um informierende, kritisierende, motivierende Gespräche etc. mit ihren Untergebenen fruchtbar zu gestalten? Wie lassen sich Verkaufsgespräche erfolgreich abwickeln? Wie führt man Verhandlungen? Wie ein Beichtgespräch? Wodurch zeichnet sich therapeutische Interaktion aus? Worum sollten sich (Ehe-) Paare in ihrem kommunikativen Verhalten bemühen, damit ihre Gespräche zu einer Quelle der Entwicklung ihrer Partnerschaft werden können? Wie ‚ macht man(n) Frauen an ’ ? Wie hält man einen informierenden Vortrag, wie eine feierliche Ansprache, wie eine würdevolle Trauerrede?
(Blumenthal 1985:188)
So skizziert Blumenthal in seiner „Auswahlbibliographie zur praktischen Rhetorik“ die drängenden Sprach- und Kommunikationsprobleme des Alltagslebens. Die Betonung liegt hier auf „Alltag“, denn es muss eingestanden werden, dass solche praktischen und „alltäglichen“ Probleme nicht unbedingt vorrangiger Gegenstand der universitären, aka- demischen Sprachwissenschaft bzw. ihrer Teilbereiche sind; obwohl einige dieser Teildisziplinen (etwa Soziolinguistik, Gesprächsanalyse, Pragmatik oder Psycholinguis- tik) gemäß ihrer Forschungsgegenstände durchaus etwas zur Lösung solcher Kommunikationsprobleme beitragen könnten.
Dass es in breiten Bevölkerungsschichten ein weitgehendes Problembewusstsein gibt , was die Schwierigkeiten im Umgang mit Sprache und Kommunikation im beruflichen und privaten Alltag betrifft, lässt sich nicht nur an der gestiegenen Nachfrage nach Rhe- torikseminaren und Kommunikationstrainings ablesen, sondern auch an der Menge der - aus wissenschaftlicher Sicht - oftmals ‚strittigen’ Ratgeberliteratur in diesem Bereich, welche vorgibt, für solche und ähnliche Probleme Antworten oder besser: Lösungen parat zu haben.
Inwieweit sich aufgrund solcher Beratung tatsächlich nachweisbare Erfolge in realen Gesprächs- oder Kommunikationssituationen erzielen lassen, lässt sich für die in Buch- form vorliegende Ratgeberliteratur nur schwer überprüfen (von linguistischer Seite wird dies in aller Regel mit Hinweis auf die ungenügende fachliche Basis der Ratgeber, bzw. auf ein oft naives Rezeptdenken bezweifelt (vgl. Antos 1996, Hess-Lüttich 1991, Bre- merich-Vos 1991, Bergmann 2002). Doch ist die Effektivität populärer Ratgeber bücher meines Wissens von wissenschaftlicher Seite noch nicht gesondert untersucht worden.
Was die Effektivität von Kommunikations trainings betrifft, so stellen sich die Bedin- gungen für eine wissenschaftliche Bewertung noch viel schwieriger dar, da das Kursangebot im Gegensatz zum vergleichsweise leicht überschaubaren Buchmarkt, we- sentlich schwerer überblickbar ist (vgl. Kallmeyer 1985:23). Teilweise werden, nach Antos (1996:120), v.a. um gegenseitiges „Abkupfern“ zu vermeiden, von den Verant- wortlichen willentlich die Trainingsunterlagen bzw. die Unterrichtsinhalte abgeschirmt. Das bedeutet in der Praxis, dass die Trainingsmappen normalerweise nicht für „Interes- sierte“ über den regulären Handel erhältlich sind, sondern nur für die Auftraggeber oder Teilnehmer einsehbar sind. Eine eingehende Analyse der dort gelehrten Inhalte sowie eine Bewertung der Effektivität der Trainingsmethoden werden durch diesen Umstand zusätzlich erschwert. Eine weitere Schwierigkeit, bei der wissenschaftlichen Analyse von Kommunikationstrainings ist, dass sich vermutlich die wenigsten der Trainer gerne von kritischen Wissenschaftlern bei der Arbeit „über die Schulter“ schauen lassen, gibt es doch hierbei nur wenig zu gewinnen, jedoch durch öffentliche Kritik viel zu verlieren (z.B. Reputation, Aufträge etc.).
Kallmeyer (1985:23) merkt jedoch an, es sei nicht davon auszugehen, dass inhaltlich in den Kursen ganz andere Dinge vermittelt werden, als in den veröffentlichten Werken. Z umal in vielen der Ratgeberwerke ja nichts anderes als die eigenen Trainingserfahrun- gen der Autoren verarbeitet werden. Aus diesen Gründen und v.a. aus Gründen der mangelnden empirischen Überprüfbarkeit wird in dieser Arbeit daher eine detaillierte Besprechung von Kommunikationstrainings unterbleiben; was jedoch nicht ausschließt, dass an verschiedenen Stellen Bezug auf etwaige Besonderheiten genommen wird. Die „Perspektive“ dieser Arbeit bleibt zwar in erster Linie auf die Buchratgeber ausgerich- tet, die wesentlichen der beschriebenen Merkmale (Grundlagen, Ziele, Methoden) treffen jedoch auf Sprach- bzw. Kommunikationsratgebern und Kommunikationstrai- nings gleichermaßen zu.
Für eine eingehendere Befassung mit solchen Trainings, kann für einen globalen Überblick über Kommunikationstrainings aus linguistischer Perspektive vor allem auf die jeweiligen Abschnitte zu Kommunikationstrainings in den Arbeiten von Fricke (2006:78-107) und Antos (1996:118-136) zurückgegriffen werden. Für mehr Informationen über kritikwürdige Punkte aus Sicht der Linguistik und insbesondere die Frage der Effektivität solcher Trainingsmaßnahmen, kann generell auf die Arbeiten von Ruth Brons-Albert (1995) zur Effektivität von Verkaufsgesprächtrainings oder auf Fiehler (2002) verwiesen werden. Fiehler beschäftigt sich insbesondere mit der Frage ob Kommunikation überhaupt lern- und damit lehrbar ist.
1.1.2 Gebrauchsgrammatiken und Wörterbücher
Daneben gibt es noch weitere „beratende“ Literatur, wie Gebrauchsgrammatiken und vor allem Wörterbücher, welche in mehrerer Hinsicht eine Sonderrolle einnehmen. Zwar richten sich diese ebenso wie oben besprochene Werke an sprachwissenschaftli- che Laien, sind vermutlich noch weiter verbreitet und können, im weitesten Sinne auch als beratend eingestuft werden. Doch unterscheiden sich diese Werke in zwei wesentli- chen Punkten von den zuvor genannten Ratgeberwerken: Zum einen werden Gebrauchsgrammatiken nicht von sprachwissenschaftlichen „Laien“ verfasst (was bei den meisten Sprachratgebern der Fall ist) und zum anderen werden diese Werke anders als die Ratgeber verwendet: Wörterbücher bieten sich zum gelegentlichen Verifizieren im sprachlichen Zweifelsfall an und werden nicht „gelesen“ wie ein Ratgeber. Gebrauchsgrammatiken hingegen bieten vor allem eine relativ vollständige, systemati- sche Darstellung und Erklärung des Regelwerks einer Sprache. Was beide gemeinsam haben, ist, dass sie in den meisten Fällen als Nachschlagewerke fungieren, die über den „richtigen“ (d.h. orthographisch/grammatikalisch/semantisch einwandfreien) Gebrauch von Sprache informieren. Sie fungieren jedoch nicht im selben Ausmaß als Beratungs- instanz wie die Ratgeber: Die Ratgeber enthalten nämlich Ratschläge, Empfehlungen oder Anleitungen, wie in konkreten Situationen, mit bestimmten sprachlichen Mitteln, bestimmte Dinge erreicht werden können. Meist werden dazu erklärende Beispiele oder Begründungen gegeben. Die Ratgeber bieten sich also im Fall grundsätzlicher Kommu- nikationsprobleme im Alltag an, wo nicht primär die sprachliche Korrektheit im Sinne der Einwandfreiheit, sondern die intendierte Wirkung von Kommunikation im Vorder- grund steht. Den Wörterbüchern und Gebrauchsgrammatiken fehlen dazu die direkten Ratschläge (im Sinne einer konkreten Anleitung zum kommunikativen Handeln), wes- halb sie in dieser Darstellung ausgeschlossen bleiben.
1.1.3 Kommunikationstrainings
Eine Sonderrolle am Beratungsmarkt nehmen die Kommunikationstrainings oder Semi- nare ein. In einem ersten Vergleich der verschiedenen Angebote an Ratgeberliteratur und Rhetorikseminaren könnte man aufgrund der Präsentationsform und der anvisierten Zielgruppen versucht sein, eine (allzu) einfache Unterscheidung zu treffen: Rhetorikrat- geber in Buchform richten sich vor allem an Privatanwender, während Seminare hauptsächlich für Firmen angeboten werden. In weiten Teilen der Praxis scheint dies auch zu stimmen, was vor allem damit zu tun hat, dass private Nutzer vermutlich auch wegen der signifikant höheren Kosten eines Trainings verstärkt auf Ratgeber in Buch- form zurückgreifen. Dennoch lässt sich diese Einteilung angesichts der vorwiegend auf das Berufsleben hin orientierten Ratgeber (vgl. Bergmann 2002:227) und der in der Therapiepraxis durchaus üblichen Individualtrainings (vor allem bei Formen der Ge- sprächstherapie) nicht aufrechterhalten. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Kommunikationstrainings und Ratgebern in Buchform ist jedoch die weitaus dynami- schere Lernsituation in Trainings, die sich durch eine direkte Möglichkeit zur Übung und Anwendung des Gelernten unter Beobachtung und Rückmeldung durch eine Trai- nerperson auszeichnet. Der größte Vorteil von Trainings gegenüber Ratgebern ist jedoch eindeutig die Möglichkeit zum Gruppentraining, das sich insbesondere anbietet, wenn die gemeinschaftliche Kommunikation oder das Vermeiden von Konflikten im Vordergrund stehen.
1.2 Definitionen
1.2.1 Ratgeber als Anleitungen zum Gebrauch der Muttersprache
Nach Albrecht Greule (2002:590) ist ein Sprachratgeber ein Text, in dem Ratschläge zum Gebrauch der Muttersprache gegeben werden oder indem zum Gebrauch der Mut- tersprache angeleitet wird. Da hier ein Schwerpunkt auf „Muttersprache“ gelegt wird, werden Lehrbücher und Grammatiken für Fremdsprachenlerner dezidiert ausgeschlos- sen. Kennzeichnend für den Sprachratgeber nach Greule ist, dass er nicht nur Anweisungen für den elementaren (d.h. korrekten) Sprachgebrauch gibt, sondern dass er diesen bereits voraussetzt und darauf aufbauend auf den richtigen, angemessenen, effektiven Sprachgebrauch abzielt.
Während Fremdsprachenanleitungen also in erster Linie auf sprachliche Korrektheit im Ausdruck und nur in zweiter Linie auf effektive Kommunikation abzielen, stellen die Sprachratgeber gewissermaßen die „nächste Stufe“ dar: Ein Beherrschen der elementaren Grundlagen wird hier bereits vorausgesetzt und der Fokus liegt stärker auf dem richtigen „Einsatz“ von Sprache in unterschiedlichen Situationen der Kommunikation. Hier geht es weniger um Korrektheit, sondern eher um ein (pragmatisches) Bemühen um Effektivität (bspw. durch „wirksames Sprechen“).
1.2.2 Ratgeber als Anleitungen der „praktischen Rhetorik“
Nach Andreas Blumenthal, dem Verfasser einer frühen „Auswahlbibliographie“ von populären (Rhetorik)Ratgebern, können darunter bestimmte Werke der „praktischen Rhetorik“ verstanden werden. Seiner Definition folgend, fanden Publikationen nur dann Eingang in seine Bibliographie von Sprachratgebern, wenn folgende zwei Bedingungen erfüllt waren (vgl. Blumenthal 1985:189):
1. Die Hauptzielsetzung der Werke ist eine Vermittlung konkreter Fertigkeiten zur
planvollen und wirkungsorientierten mündlich-kommunikativen Bewältigung be stimmter Typen sozialer Interaktionen.
2. Die in den Werken vermittelten Techniken nehmen zumindest auch Bezug auf die sprachliche Konstitutionskomponente sozialer Interaktion (und nicht etwa nur auf die soziale bzw. psychologische Komponente dieser Interaktion).
Maßgeblich für die Bewertung der Publikationen als Rede- und Gesprächsratgeber ist für Blumenthal also ihre Absicht, eine konkrete Verbesserung produktiver (mündlicher) oder rezeptiver (hörerseitiger) Fähigkeiten herbeizuführen. Es fällt auf, dass Blumenthal nur solche Werke mit einbezieht, die sich mit der mündlichen Domäne (d.h. den beiden Aspekten der Sprache Produktion bzw. Rezeption also Sprechen bzw. (Zu-)Hören) be- schäftigen. Briefsteller, Bewerbungsratgeber oder Anleitungen zur Verbesserung des schriftlichen Stils bleiben bei ihm aus Gründen der Eingrenzung ausgeschlossen.
Um den Gegenstandsbereich der von ihm so titulierten „praktischen Rhetorik“ noch weiter einzuschränken, unterscheidet Blumenthal darüber hinaus zwischen 1. der prakti- schen Rhetorik im weiteren Sinne, welche sich mit den methodischen, didaktischen und theoretisch reflexiven Fragestellungen (also den Rahmenbedingungen) befasst, und 2. der praktischen Rhetorik im engeren Sinne, welche sich auf eben jene konkreten Ratsch- läge, Anregungen, Hinweise etc. zur Gestaltung von Rede und Gespräch in den unterschiedlichsten sozialen Zusammenhängen beschränkt (vgl. Blumenthal 1985:189).
Die in dieser Arbeit besprochen Ratgeber müssten nach Blumenthal also als Teil der praktischen Rhetorik im engeren Sinne beschrieben werden. Dass die Ratgeber sich da- bei nicht ausschließlich mit Aspekten der gesprochenen Sprache beschäftigen müssen, sondern in die Definition theoretisch auch Darstellungen zum wirkungsorientierten Schreiben mit einbezogen werden können, wird noch gezeigt werden. Das wesentliche Kennzeichen des zugrunde liegenden Verständnisses von Ratgebern ist, dass diese Teil einer an den Erfordernissen der Praxis ausgerichteten „ Rhetorik “ sind.3
Ganz gleich jedoch, welche disziplinären Teilbereiche man schließlich für die modernen Formen der Sprachberatung auch „zuständig“ erklärt, ausschlaggebend für das Gebiet selbst sind weniger wissenschaftliche Definitionen oder Gegenstandsbeschreibungen, sondern vielmehr die eigenen „Leitideen“, welche sich primär an den Erfordernissen und Gegebenheiten privater wie beruflicher gesellschaftlicher Praxis orientieren (vgl. Blumenthal 1985:189). Hier zeigen sich auch die deutlichsten Unterschiede zum wis- senschaftlichen Vorgehen - die praktische Rhetorik befindet sich nach Blumenthal eher in einer „dienenden“ Position und reagiert, im Unterschied zu ihrem akademischen Ge- genpart stärker auf unterschiedliche gesellschaftliche Anforderungen. Vermutlich aus diesem Grund schlussfolgert Blumenthal (1985:189), dass sie sich erst in zweiter Linie auf dem Umwegüber ihre wissenschaftliche Behandlung definieren lässt. Eine analy- tisch-deskriptive Herangehensweise an das Phänomen der Ratgeber sei infolgedessen empfehlenswert, denn dem Gebiet der praktischen Sprach- und Kommunikationsbera- tung kommt erstens eine erhebliche gesellschaftliche Bedeutung zu (wie an der Vielfalt und Auflagenstärke der Titel am Markt eindrucksvoll ablesbar ist) und zweitens weil die gesellschaftlichen Bedingungen und Vorstellungen von „Kommunikationskompe- tenz“ selbst einem ständigen Wandel unterliegen und sich die Ratgeber mit diesen Anforderungen mit entwickeln.
1.2.3 Ratgeber als Teil der „Laien-Linguistik“
Bei Antos gibt es keine Definition für den „klassischen“ Sprachratgeber in Buchform, für ihn ist dieser lediglich ein Phänomen, innerhalb seines übergeordneten Begriffs der „Laien-Linguistik“. Dieses Konzept der Laien-Linguistik definiert er folgendermaßen (Antos 1996:13):
’ Laien-Linguistik ’ ist eine an die breite Ö ffentlichkeit gerichtete praxisorientierte Sprach- und Kommunikationslehre zur Lösung muttersprachlicher Probleme. Sie ist eine für und bisweilen von (gebildeten) Laien betriebene handlungsorientierte Thematisierung des Gebrauchs von Sprache in Kommunikation in Form von bestimmten Publikationen und Lehrangeboten ( ‚ Seminare ’ , ‚ Trainings ’ ).
Es handelt sich bei dieser „popularisierten“ Linguistik also um eine Beschäftigung mit Kommunikation, die für und meistens auch von (linguistischen) Laien betrieben wird. Kennzeichnend für diese Alternativ-Linguistik (wie Antos sie bisweilen bezeichnet) ist der strikte Fokus auf die „Zweckdienlichkeit“ und Praxisrelevanz, ihrer Angebote, d. h. die Thematisierung von Sprache muss in irgendeiner Weise auf einen konkreten Nutzen hin ausgerichtet sein: Antos erklärt diesen Nutzenaspekt dahingehend, dass die mehr oder weniger wissenschaftlich begründbare[n] Lösungen für Sprach- und Kommunika- tionsprobleme stets den praktischen Bedürfnissen der Alltagswelt entsprechen müssen, um in der „Laien-Linguistik“ überhaupt relevant werden zu können (vgl. Antos 1996:25).
Die Rolle der Ratgeber innerhalb dieses Konzepts zeigt sich erst bei den drei öffentli chen Erscheinungsformen der Laien-Linguistik (vgl. Antos 1996:27):
1. Eine bestimmte Literatur (Ratgeber, Trainingsunterlagen)
2. bestimmte Seminare (Kommunikationstrainings, und berufliche Weiterbil- dung)
3. bestimmte Institutionen (z.B. Volkshochschulen, Beratungs- und Trainings- agenturen etc.)
Antos merkt an, dass sich dieses Konzept in weiten Teilen mit dem deckt, was in der Sprachwissenschaft als „präskriptive“ bzw. „normative“ Linguistik bezeichnet wird; Dennoch ist die Laien-Linguistik nicht mit diesen identisch, denn es gibt auch zahlrei- che deskriptive, enzyklopädische oder unterhaltende Darstellungen, die sich mit den praktischen Aspekten von Sprache und Kommunikation befassen (vgl. Antos 1996:25). Er unterscheidet innerhalb dieser Literatur der „Laien-Linguistik“ mehrere Typen von Ratgebern, wobei diese nach ihren unterschiedlichen „Zwecken“, bzw. Anwendungsbe- reichen unterschieden werden. Antos zählt hierzu unter anderem Werke wie: normative Stilistiken, (moderne) Rhetoriken und Briefsteller, moderne Korrespondenzhilfen, Be- werbungsratgeber, Schreiblehrbücher (i. S. d. engl. composition oder d. frz. synthèse), Rede- und Gesprächsratgeber, sowie in eingeschränkter Form auch Wörterbücher, Le- xika und Gebrauchsgrammatiken.
1.2.4 Ratgeber als Manifestation von Alltagstheorien
Albert Bremerich-Vos (Bremerich-Vos 1991:11ff.) betrachtet die von ihm so bezeich- neten populären rhetorischen Ratgeber“ indirekt als Manifestationen von Alltagstheorien. Damit hebt er auf zwei Merkmale der „Populär-Linguistik“ ab: Zum Einen drückt sich durch die Bestimmung dieser Theorien als lebensweltlich-alltäglich eine bestimmte (pejorative) Distanz zum Ideal wissenschaftlicher Theorien aus; zum Anderen wird dessen ungeachtet unterstellt, dass es sich dabei um „Theorien“ im ei- gentlichen Sinne handelt, was zur Folge hat, dass nach den in der Wissenschaftüblichen Kriterien wie einheitliche Terminologie, Begründungs- und Rechtfertigungspflicht, Konsistenz, Widerspruchsfreiheit und Überprüfbarkeit gefragt werden muss (Vgl. Bre- merich-Vos 1991:13).
Da relativ deutlich ist, dass solches Messen an wissenschaftlichen Standards bei einem Großteil der Ratgeber nicht zielführend sein wird (weil deren Autoren in aller Regel nicht nach solchen Methoden vorgehen), ergänzt Bremerich-Vos seine Strategie um eine Sichtweise welche die praktischen Rhetoriken (auch) als Geschmacksäußerungen fokussiert (Bremerich-Vos 1991:14). Kennzeichnend für das „Geschmacksurteil“ ist, dass es nicht durch reine Vernunftschlüsse zustande kommt, sondern, wie durch ein Zi- tat Friedels belegt wird, durch das innere Gefühl der Seele, wodurch sie ohne Vernunftschlüsse, bloss durch das sinnlich Wohlgefallen, das Schöne findet, wo es seyn mag.4 Mit Hinweis auf Bourdieu, der sich intensiv mit Geschmack und seiner sozialen Bedeutung beschäftigt hat, deutet Bremerich-Vos eine weitere Parallele zwischen Ge- schmacksäußerungen und den „Geschmacksurteilen“ in Ratgebern an: Bourdieu erklärte zum Geschmack bekanntlich, dass seine soziale Behauptung meist negativ erfolgt (Bourdieu 1982:105):
Die Geschmacksäußerungen und Neigungen (d.h. die zum Ausdruck gebrachten Vorlieben) sind die praktische Bestätigung einer unabwendbaren Differenz.
Und weiter:
Nicht zufällig behaupten sie sich dann, wenn sie sich rechtfertigen sollen, rein negativ, durch die Ablehnung und durch die Abhebung von anderen Geschmacksäußerungen.
Bremerich-Vos sieht für die Sprachratgeber also ein wesentliches Kennzeichen darin liegen, dass in ihnen „sprachliche Geschmacksurteile“ abgegeben werden. Für diese Parallele spricht, dass sich dieselbe negative Behauptung des Geschmacks auch in vielen Sprachratgebern (ganz besonders in Stilistiken mit normativen Tendenzen) in Form von oftmals stark überzeichneten Negativbeispielen mit anschließender (präskriptiver) Anleitung zum „richtigen Gebrauch“ wieder findet. So gut wie immer werden dabei die Empfehlungen der Autoren als „rettender Ausweg“ dargestellt und damit zugleich deren eigener Kompetenzanspruch unterstrichen.
Umgelegt auf die Beschreibung populärer Sprachratgeber bedeutet dies, dass die dort getroffenen Urteile von Bremerich-Vos (1991:15) als „Geschmacksäußerungen“ in Form assertorische[r] Sätze mit wertenden Prädikaten [ … ], für welche die Rechtferti- gungen nicht gegeben werden, betrachtet werden. Ein typischer Satz wie „Die Rede ist langatmig, die Gliederung verwirrend.“ gibt nicht nur keine Begründung, sondern er kommt auch ohne sichtbar wertendes Subjekt aus. Tatsächlich kann solch ein Satz jedoch genauso als „ Ich finde die Rede langatmig und verwirrend…“ gelesen werden, weshalb er diese Form der Darstellung als verkappt expressiv bezeichnet (vgl. Bremerich-Vos 1991:15). Die soziale Funktion solcher Urteile liegt, ganz wie bei Bourdieu in der Aufwertung des empfohlenen und der Abwertung des inkriminierten Verhaltens standards. In den Ratgebern wird durch diese Abwertung jedoch auch zu einer indirekten Selbst-Aufwertung der Autoren beigetragen, weshalb diese Urteile auch als Kompetenzdemonstrationen gelesen werden können (vgl. 5).
1.3 Typologisierung(en)
1.3.1 Typologisierung nach Produktions- bzw. Rezeptionsmedium
Versucht man eine Typologisierung innerhalb der Ratgeberliteratur vorzunehmen, bietet sich zunächst ein durchaus nahe liegendes Unterscheidungskriterium an. Nach Greule ist ein Ratgeber ein Werk, in dem Anweisungen zum Gebrauch der Muttersprache ge- geben werden (Greule 2002:590). Wie aus 1.3.1 hervorgegangen, kann innerhalb der „Textsorte“ Sprachratgeber grundsätzlich in vier verschiedene Typen unterschieden werden: Zunächst gibt es solche, die zur Sprach- Produktion anleiten und solche die von Aspekten der Sprach- Rezeption handeln. Weiters kann innerhalb dieser beiden Bereiche nochmals differenziert werden in mündlich und . schriftlich. Es wird also innerhalb der beiden Domänen Produktion und Rezeption weiter unterteilt in mündliche und ge- schriebene Formen des Sprachgebrauchs, was schließlich vier Typen von Ratgebern passend zu den bekannten vier „Enden“ der Sprache Sprechen/Schreiben bzw. Zuhö- ren/Lesen führt.
Somit können auf der „produktiven Ebene“ beispielsweise Ratgeber zum wirkungsvol- len Halten von Reden von solchen zum Verfassen verständlicher Texte unterschieden werden. Auf der „rezeptiven Ebene“ hingegen könnten beispielsweise solche zum „ak- tiven“ Zuhören von Lese- oder Lernratgebern unterschieden werden. Die Grenzen dieser Konzeption sind jedoch bereits beim Versuch der Klassifizierung von weniger „idealtypischen“ Ratgeberwerken erreicht. Dieses von Greule vorgebrachte Unterscheidungskriterium ist zwar logisch sehr präzise, wird jedoch den in der Praxis oft sehr vielgestaltigen und unsystematisch vorgehenden Ratgebern nicht gerecht. Diese Form der Typologisierung bietet höchstens ein vorläufiges Ordnungskriterium für die thematischen Schwerpunkte der Ratgeber (die, nach Bergmann (2202:231) hauptsächlich um Aspekte der Rede -Gestaltung kreisen). Für eine tatsächliche Unterscheidung der Ratgeber nach Typen ist es hingegen weniger zielführend, da es offensichtlich am oftmals unsystematischen Aufbau vieler Ratgeber vorbei geht.
Viele Ratgeberautoren beschäftigen sich aus mehr oder weniger wechselnden Ansichten mit Problemen aus Sprechersicht und aus Hörersicht, wobei die Perspektiven nicht im- mer einheitlich durchgehalten werden (Titel wie „ Erfolgreiche Gespräche durch aktives Zuhören “, oder „ Kommunikation für Könner schnell trainiert “ legen dies jedenfalls nahe). Die Auftrennung in Produktion und Rezeption ist m. E. generell problematisch, da in den meisten Ratgebern Empfehlungen zur sprachlichen Formulierung (also zur Produktion) ja im Hinblick auf bestimmte, beim Hörer (also dem Rezipienten) häufig eintretende Wirkungen begründet werden. Es muss also kritisch gegenüber dieser Typo- logie nach Greule angemerkt werden, dass sie wesentliche Merkmale moderner Ratgeber übersieht, vor allem weil „Hören“ bekanntlich „Sprechen“ und „Lesen“ „Ge- schriebenes“ voraussetzt.
Üblicherweise werden in diesen Büchern auch unterschiedlichste Elemente wie (Re- de)Techniken, Verhaltensempfehlungen, gesellschaftliche Erwartungen u.v.m. miteinander kombiniert, meist ohne klar erkennbare Systematik, weshalb sich der Grossteil der Ratgeber nicht eindeutig einer Gruppe wie „Rede“ oder „Zuhören“ zuwei- sen lässt. Zum anderen stellt auch die (hier nur angedeutete) „interaktive“ Struktur der Kommunikation die Sinnhaftigkeit einer solchen Zerteilung wesentlich zusammenhän- gender Prozesse in Frage (dies gilt meines Erachtens besonders für die Dichotomie Reden und Zuhören, die im Unterschied zum Schreiben und Lesen auch zeit- lich/räumlich aufeinander folgen und unmittelbarer aufeinander einwirken).
1.3.2 Typologisierung nach Anwendungsbereichen
Einen anderen Ansatz kann man bei Antos bzw. Bergmann finden: Sie klassifizieren Ratgeber nicht nach betroffenen Sprachdomänen, sondern nach ihren Anwendungsbe- reichen. Der Vorteil einer solchen Herangehensweise ist, dass sie auf die jeweils vorhandenen Ratgebertypen „zugeschnitten“ werden kann. Ein Nachteil ist, dass die Anwendungsbereiche ihrerseits wieder nach bestimmten Kriterien geordnet werden müssen. Bergmann klassifiziert die von ihr untersuchten Gesprächs -Ratgeber5 hinsichtlich Ver- wendungszweck bzw. -bereichen: Diese Bereiche werden bei ihr zwar nicht definiert, leiten sich aber in erster Linie von den inhaltlichen Schwerpunkten, bzw. den Anwen- dungsgebieten der Werke ab. Die inhaltliche Vielfalt der Ratgeber richtet sich nach Bergmann hauptsächlich nach den Kommunikationserfordernissen des Alltags, wobei jedoch andere Autoren wie Antos oder Blumenthal darauf hinweisen, dass berufliche bzw. betriebliche Kommunikationssituationen andere Themenbereiche relativ deutlich überwiegen. Bergmann (2002:227) führt folgende Kernbereiche der Ratgeberliteratur an:
- Berufsorientierte Ratgeber (v.a. als Training oder als Buch)
- Ratgeber für den privaten Bereich (z.B. Krisenbewältigung, Konfliktklärung)
- Ratgeber für den politischen Bereich (Mitsprachemöglichkeiten des „mündigen Bürgers“, Interessensdurchsetzung, Gewerkschafts-, Parlaments- oder Vereinsar- beit)
- Ratgeber für bestimmte soziale Gruppen (v.a. Frauenratgeber)
- Ratgeber für bestimmte Gesprächsformen (Diskussionen, Prüfungen, Verkaufsge- spräche)
- Ratgeber für bestimmte Gelegenheiten (bestimmte Anlässe, Fest- oder Trauerreden)
- allgemeine Ratgeber (für Rede und Gespräche privater und beruflicher Art)
- Nachschlagewerke (etwa Spruch- und Zitatensammlungen)
- Ratgeber innerhalb von Medien (als Zeitschriftenartikel, oder Fernsehbeitrag)
1.4 Gesellschaftliche Funktionen der Sprachberatung
1.4.1 Rhetorik-Kompetenzen und (Berufs)Ausbildung
Angesichts des offensichtlich hohen Bedarfs an sprachlich-kommunikativer Hilfestel- lung verwundert es, dass die allgemein höher bildende und berufliche Ausbildung eine scheinbar gegenläufige Tendenz offenbart. Während früher Rhetorik oftmals als eigen- ständiges Fach unterrichtet wurde und rhetorisches Grundlagenwissen vor allem Teil jeder höheren Bildung war, scheint es heute eher so, dass die Förderung solcher Min- destkompetenzen im Schul- und Bildungssystem keinen besonders großen Stellenwert einnimmt. Hess-Lüttich bringt den paradoxen Umgang mit der Rhetorik treffend auf den Punkt (Hess-Lüttich 1991:35):
Es ist erstaunlich, wieüberzeugend die bescheidene Entwicklung einer Kulturöffentlichen Redens in unserer Gesellschaft beklagt wird, und wie verhalten gleichzeitig die Reaktion ist, wenn es daraus die Konsequenz zu ziehen gilt, der Diagnose die geeignete Therapie folgen zu lassen.
Zu den Ursachen für diese Unterbewertung kann hier nur spekuliert werden. Ein Zusammenhang mit dem heutzutage schlechten „Image“ der Rhetorik als „Instrument von Propaganda und Manipulation“ könnte m. E. jedoch vermutet werden. Kennzeichnend für die heutige Situation ist nach Bremerich-Vos oder auch Hess-Lüttich, dass dieses rhetorische Grundlagenwissen zwar häufig gefordert wird, es jedoch selten aktiv gefördert wird - weder im schulischen noch im akademischen Bereich.
Bergmann (2002:229) vermutet, dass oftmals undeklariert davon ausgegangen wird, dass das Rhetorikwissen quasi auf natürliche Weise mit dem allgemeinen Sprachwissen erworben werde und deshalb die Meinung vorherrscht, dieses brauche nicht mehr gesondert unterrichtet zu werden, weil es ohnehin Bestandteil einer „regulären“ familiären Sozialisation ist.6 Sie stellt außerdem fest, dass die allgemeine schulische Bildung nach wie vor keinen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung mündlicher Kommunikationsfähigkeiten leistet, und die entsprechenden Bildungsangebote in der Regel auch nicht Bestandteil einer üblichen Berufsausbildung sind.
Vielmehr obliege die Erwerbung dieser (Zusatz)-Qualifikation dem individuellen Bildungsinteresse des einzelnen (vgl. Bergmann 2002:229). Dies ist insofern eine merkwürdige Tendenz, als in unserer westlichen Gesellschaft die Bedeutung von „Rede- und Kommunikationskompetenz“ für das berufliche und private Fortkommen allerorten unterstrichen wird, und auf beiden Sektoren ein reges Interesse an solchen Kompetenzen besteht, wie anhand der Angebote leicht zu erkennen ist.
1.4.2 Bedarf an „Kommunikationskompetenz“
Trotz der kritischen Herangehensweise an populäre Ratgeberliteratur seitens der Linguistik, besteht nach Bergmann auch auf wissenschaftlicher Seite mittlerweile kein Zweifel mehr, dass Kommunikationsberatung und -Training an sich ihre Existenzberechtigung haben (vgl. Bergmann 2002:229), wenn es auch an der Qualität und Effektivität vieler Ratgeber und Trainings von wissenschaftlicher Seite vieles zu kritisieren gibt, wie im Laufe dieser Arbeit herausgestellt werden wird.
Häufig findet sich in der (Ratgeber-)Literatur der Hinweis, dass effektives und erfolgrei- ches Kommunizieren in einer auf Zeit- und Kostenersparnis orientierten Gesellschaft wie der unseren, neben dem offensichtlichen sozialen Nutzen, ebenfalls ein nicht uner- heblicher Wirtschaftsfaktor sei, wobei von den Autoren/Trainern meistens zugleich unterstellt wird, dass Ratgeber und Trainings geeignete Mittel sind, diese Ziele zu errei- chen. Die Betriebspsychologen Krähe und Koeppe (1995:125) führen für die Notwendigkeit von Kommunikationstrainings beispielsweise an, dass heute „allgemein davon ausgegangen wird“, dass ein Großteil der betrieblichen Fehlzeiten letztlich auf mangelhafte Kommunikation zwischen Führungskräften und Mitarbeitern in Unterneh- men zurückzuführen sei.
Antos (1996:119) hingegen sieht nicht nur einen gesellschaftlich bedingten „erhöhten Bedarf“ an kommunikativen Techniken und Fertigkeiten, sondern auch eine geänderte öffentliche Wahrnehmung von Seminaren und Trainings: Ihm zufolge wird heute be- rufsnahe Sprach und Kommunikationsberatung nicht mehr überwiegend als negativ konnotierte „Nachhilfe“ gesehen, sondern zunehmend als positiver Beitrag zur karriere- fördernden Weiterbildung. Hinter diesem Phänomen steht ihm zufolge der Wandel von einer Industrie - zu einer mediengestützten Informationsgesellschaft7, welcher mit sich bringt, dass die Zahl der kommunikationsintensiven Berufe wächst und die sprachlich- kommunikativen Anforderungen an den Einzelnen damit insgesamt höher werden. Aus diesem Grund ist auch die von ihm so bezeichnete „Laien-Linguistik“ auf dem Vor- marsch, denn ihre gesellschaftliche Funktion als für unsere Informationsgesellschaft zentrale Qualifizierungsagentur wächst, und damit auch das Prestige der laien- linguistischen Trainings als außerschulische Alternative (vgl. Antos 1996:120). Dies sind lediglich zwei sehr allgemeine Tendenzen für das verstärkte Aufkommen ei- ner primär für Laien konzipierten und praxisorientierten Sprach- und Kommunikationsschulung. Es kann davon ausgegangen werden, dass die wachsende Bedeutung der von Antos beschriebenen „Laien-Linguistik“ (Sie ist alles andere als ein untergehendes Genre, Antos 1996:120) auf ein Zusammenspiel dieser tendenziellen Unterbewertung im Bildungssystem und den gleichzeitig gestiegenen kommunikativen Anforderungen im Berufsleben zurückzuführen ist.
2 Ratgeber zwischen Wissenschaft und Alltagserfahrung
2.1 Einleitende Bemerkungen
Wie aus den bisherigen Darstellungen ersichtlich werden sollte, handelt es sich bei po- pulärer Rategeberliteratur um eine Form der praxisorientierten Thematisierung von Alltagsproblemen ganz unterschiedlicher Art. Zwar stehen bei dieser Darstellung die Sprachratgeber im Zentrum des Interesses, es sollte jedoch zumindest erwähnt werden, dass sich die „Textsorte“ Ratgeber neben dem hier behandelten Gebiet „Sprache und Kommunikation“ auf viele weitere Themenbereiche wie Gesundheit und Medizin (Er- nährung, Sport), Technik / Handwerk (Praxishandbücher), Weltanschauung, Esoterik, Psychologie (Partnerschaft, Familie, Lebenshilfe), Beruf (Karrieretipps, Erfolge etc.) u.v.m. erstreckt.
Während die Wissenschaft als eine nach bestimmten Regeln sicht selbst organisierende Veranstaltung, oder als ein formales Verfahren zur Wissensgewinnung gesehen werden kann (Antos 1996:26), steht bei der populär orientierten Thematisierung von Sprache eine andere Form von Wissen, bzw. ein anderer Umgang mit diesem Wissen im Vor- dergrund: Zum einen dominiert in den stets auf „Praxistauglichkeit“ bedachten Ratgebern und Trainings eine Form von (handlungsleitendem) Wissen, welches sehr stark von persönlichen Erfahrungen und dem individuellen Werdegang der Autoren ge- prägt ist, wie sich in erster Linie an den Biographien der Verfasser und an deren selbst formulierten Kompetenzansprüchen ablesen lässt. Praxiserfahrung und/oder besondere Erfolge beruflicher oder privater Natur sind die häufigsten Referenzen mit denen sich die Verfasser von Ratgebern legitimieren, und nicht - wie dies im wissenschaftlichen Bereich eher üblich ist - akademische Titel, Anstellungen, Projekte, Auszeichnungen oder Veröffentlichungen.
Doch mit „Referenzen“ sind bekanntlich nicht nur Ausbildung, berufliche Laufbahn oder Praxiserfahrung gemeint: Bergmann (2002:240) weist darauf hin, dass damit auch die Frage nach der theoretischen Wissensbasis von (Ratgeber)Autoren verbunden ist. Dies betrifft vor allem die Einbeziehung von theoretischen Grundlagen in die eigenen Darstellungen, bzw. den Verweis auf einschlägige Literatur, sei es in inhaltlicher Form im Text oder in Form von Verweisen, Zitaten oder einer Bibliographie mit weiterführender Literatur. Ein Blick in die Literaturverzeichnisse typischer Ratgeber (sofern es überhaupt solche gibt) offenbart jedoch meist dieselbe Einsicht:
Es finden sich kaum linguistische oder überhaupt wissenschaftliche Werke, stattdessen wird meist wiederum auf populäre Darstellungen oder andere Ratgeber zurückgegriffen. Auch auf Arbeiten aus der Psychologie wird häufig aufgebaut (hier sind an erster Stelle vor allem Schultz von Thuns Modelle der „ Vier Seiten einer Nachricht “ , bzw. das „ Hamburger Verständlichkeitsmodell “ und Watzlawick mit seinen „ Fünf pragmati- schen Axiomen der Kommunikation “ zu nennen). Weitere theoretische Einflussfaktoren stellen nach Bergmann (2002:240) Arbeiten aus Betriebswirtschaft, Pädagogik und (praktischer) Rhetorik dar. Sie sieht hier einen Zusammenhang mit den beruflichen Biographien der Autoren, die, wie den Klappentexten zu entnehmen ist, meist über kei- ne philologische Ausbildung verfügen, sondern meist eben aus solchen Disziplinen wie Betriebswirtschaft, Psychologie oder Pädagogik herkommen und verständlicherweise auf dem dort erworbenen Wissen aufbauen (vgl. Bergmann 2002:240).
2.2 Abgrenzungen: Laientheorien vs. wissenschaftliche Theorien
2.2.1 Merkmale von Laientheorien
Da die Adressaten der Literaturform „Ratgeber“ üblicherweise keine (fachlichen) Spe- zialisten sind, sondern nach Übersicht und praktikablen Ratschlägen suchen, müssen die entsprechenden Inhalte und Zusammenhänge in Ratgebern teilweise stark umstruktu- riert und vereinfacht werden (vgl. Bergmann 2002:226). Diese an das Niveau der Leser angepasste Form der Darstellung widerspricht jedoch oftmals den Prinzipien von Exper- ten und Wissenschaftlern, weshalb Antos Wert auf die Feststellung legt, dass
„Laientheorien“ hinsichtlich mehrerer Faktoren klar von wissenschaftlichen Theorien zu unterscheiden sind. Dazu zählt er folgende Kriterien (Antos 1996:32f.):
1. Explizitheit und Formalisierbarkeit
2. Kohärenz und Konsistenz
3. Falsifikation
4. Vertauschung von Ursache und Wirkung
5. Interne vs. externe Handlungsbedingungen
6. Induktion vs. Deduktion
1. Unter Explizitheit wird von Antos darauf hingewiesen, dass Laientheorien implizit, lückenhaft, wenig elaboriert und selten durchstrukturiert sind (vgl. Antos 1996:34) Weitere Erklärungen hierzu gibt er jedoch nicht. Reinhard Fiehler (2002:28) hat al- lerdings ein sehr ähnliches Problem im Zusammenhang mit Kommunikationstrainings beschrieben: Das von ihm so bezeichnete „Explikations problem“ hat damit zu tun, dass bei von Laien durchgeführten Kommunikationsberatungen häufig ein bestimmtes Kommunikationsverhalten kritisiert wird (und alternative Verhaltensweisen empfohlen werden), jedoch ohne hierbei auf die zugrunde liegenden Normen einzugehen, d.h. diese Normen explizit zu machen (vgl. „Explikationsproblem“ unter 4.1).
2. Mit Kohärenz wird auf die häufig auftretende Mehrdeutigkeit von Laien-Theorien Bezug genommen. Auch inhaltliche Inkonsistenz tritt oftmals auf, beispielsweise wenn jemand mehrere, widersprüchliche Erklärungen für ein und dasselbe Phäno- men hat.
3. Dritter Punkt ist die prinzipielle Unwiderlegbarkeit oder die Tendenz zur „Immuni- sierung“ von laienlinguistischen Aussagen. Diese kommt nach Antos dadurch zustande, dass Laien aus „größeren Zusammenhängen“ vornehmlich jene Phänome- ne selektieren und fokussieren, die geeignet sind, in ihr bestehendes Glaubenssystem passen.8 Die „Falsifikationsresistenz“ hat nach Antos (1996:33) überdies mit der mangelnden empirischen Verankerung vieler dieser Aussagen zu tun, d.h. es werden unklare Begriffe oder undeutliche Zuschreibungen gebraucht, was zu einer prinzipiellen Unwiderlegbarkeit vieler Aussagen führt: So ist beispielsweise ein Satz wie (vgl. Antos 1996:33): „Wenn du Weichmacher wie ‚ würde ’ benutzt, dann erzeugst du einen unsicheren Eindruck. “, kaum überprüf- oder widerlegbar, weil weder klar ist, was unter „Weichmacher“ verstanden wird, noch was genau unter einem „unsicheren Eindruck“ verstanden wird.
4. Weiters vermutet Antos (1996:33) bei Laien eine stärkere Neigung verschiedenar- tigste Phänomene ursächlich aufeinander zu beziehen, Ursache und Wirkung nicht auseinander zuhalten oder sie im Extremfall zu vertauschen. Ein Beispiel wäre etwa wenn in Ratgebern zum „richtigen“ Verfassen von Bewerbungsschreiben ein Zu- sammenhang zwischen der Einhaltung sprachlicher Formalitäten und dem Charakter eines Bewerbers und seiner Eignung für eine bestimmte Aufgabe hergestellt wird. Oft werden, wie in einem solchen Fall (eventuell zufällig korrelierende) Phänomene ursächlich aufeinander bezogen und daraus auf monokausale Zusammenhänge ge- schlossen. Dies ist jedoch kein spezielles Ratgeberproblem sondern eher ein generelles Laienproblem.
5. Das nächste unterscheidende Merkmal ist die Berücksichtigung von externen, situa- tiven Faktoren bei der Erklärung bestimmter kommunikativer Zusammenhänge. Die Vernachlässigung von externen, oft unbeeinflussbaren Faktoren und die häufige Überbewertung von Charaktereigenschaften oder bestimmter (Rede-)Techniken (vgl. 4.2.2), oder auch die für die meisten Ratgeberwerke typische „Rezeptartigkeit“ vieler Anweisungen, unterstreichen die Bedeutung dieses Kriteriums. 6. Im letzten Punkt geht Antos auf die unterschiedlichen Methoden bei der Formulie- rung von Erklärungsangeboten ein: Während er den Alltagstheorien (er nennt diese wörtlich „Mini-Theorien“) tendenziell ein induktiv-verallgemeinerndes Vorgehen zuschreibt, versuchen ihm zufolge die Wissenschaften, übergeordnete Prinzipien und Konzepte zu entwickeln, die eine deduktive Erklärung dieser Phänomene er- möglichen (Antos 1996:34).
2.2.1.1 Induktives vs. deduktives Vorgehen
An diesem letzten Punkt bei Antos gibt es jedoch noch weiters zu bemerken: Seine Dif- ferenzierung laienhafter von wissenschaftlicher Erklärungsmethoden anhand induktiver bzw. deduktiver Vorgehensweisen ist nämlich relativ problematisch. Antos selbst (1996:34) gesteht mit Hinweis auf Carnap und Popper ein, dass die wissenschaftstheo- retische Diskussion über induktive und deduktive Methodik so verwickelt ist, dass daraus kein Kriterium für die Wissenschaftlichkeit eines Erklärungsangebots abzuleiten ist “. Dennoch bezeichnet er die Alltagserklärungen als „Mini-Theorien“, die in erster Linie auf Verallgemeinerungen von Alltagsbeobachtungen beruhen. Demgegenüber versuchen laut Antos die Wissenschaften, übergeordnete Prinzipien und Konzepte zu entwickeln, also deduktiv vorzugehen (vgl. Antos 1996:34). Letztlich bleibt er wie ge- habt bei der Zuschreibung von „deduktiven Verfahren“ zu „Wissenschaft“ und „induktiven Verfahren“ zu „Laientheorie“. Dass diese Ansicht jedoch nicht unproble- matisch ist, zeigt sich an anderer Stelle bei Bremerich-Vos (1991:18) wieder, als dieser den Verdacht äußert, dass der deduktivistische Anspruch [der Wissenschaft, Anm.] le- diglich ein Lippenbekenntnis ist, und dass de facto induktiv verfahren wird, so dass man sich einen ‚ satten Zirkelschluss ’ einhandelt. Was hiermit genau gemeint ist, geht aus dem folgenden Zitat von Merten in aller Deutlichkeit hervor:
Man gewinnt (induktiv) aus bestimmten Daten bestimmte Ergebnisse. Aus den Ergebnissen entwickelt man Verallgemeinerungen (Hypothesen) und als Beweis für die Richtigkeit dieser Verallgemeinerungen führt man eben die Ergebnisse an. Dass diese Ergebnisse [ … ] ohne weitere Überprüfung nichts weiter sind als Zufallsergebnisse, die sich gerade bei dieser Untersuchung eingestellt haben, wird so gar nicht bewusst bzw. bewusst verschwiegen. 9
Insgesamt zeigt der von Antos unternommene Versuch einer deutlichen Trennung wis- senschaftlicher von „alltäglicher“, laienhafter Theoriebildung anhand ihres methodischen Vorgehens, dass es oftmals schwierig sein kann, Alltagstheorien klar von wissenschaftlichen Theorien abzugrenzen. Höchstwahrscheinlich spielen die im All- tagsleben gewonnenen Hypothesen schon bei der Entscheidung, in welche Richtung überhaupt geforscht werden soll, eine nicht unbedeutende Rolle. Daher kann höchst- wahrscheinlich nicht ausgeschlossen werden, dass auch Wissenschaftler denselben Fehlern wie Laien unterliegen. Vermutlich sind die Übergänge wie so oft auch in die- sem Bereich eher als fließend anzusehen und Laientheorien in einigen Bereichen mit den wissenschaftlichen Theorien „verwoben“. Furnham begründet diese Übergangsbe- reiche damit, dass auch Laien explizite, kohärente und falsifizierbare Theorien bilden können (zit. n. Antos 1996:34)
Schachinger: Sprachratgeber und Kommunikationstrainings - Z wischen Wissenschaft und Praxis
Lay theories overlap with scientific theories; they function in similar ways, indeed the one may be seen as an outgrowth of the other. Lay people can, and do, formulate theories that are explicit, coherent and falsifiable, as do ‘ scientists ’ who are frequently far from infallible in their own model-building.
2.2.1.2 Deskriptivität vs. Präskriptivität
Eine ähnliche Problematik wie bereits bei dem Gegensatzpaar Induktion und Deduktion, kehrt wieder bei der Dichotomie von deskriptiver (also beschreibender und nicht be- wertender) und präskriptiver (regulierender und Normen setzender) Sprachwissenschaft. Die auf André Martinet zurückgehende Position, wonach die Linguistik eine bloß deskriptive Haltung gegenüber sprachlichen „Tatsachen“ einnehmen müsse und dabei jegliches normative, empfehlende Vorgehen ausgeschlossen bleiben muss, mündet in einer radikalen (und verbreiteten) Position der Linguistik gegenüber laienorientierter Sprachberatung:
Da praktisch außer Zweifel steht, dass in Sprachratgebern Ratschläge und Anweisungen erteilt sowie sprachliche Normen häufig mit Nachdruck vertreten werden, würde in Anwendung dieser Unterscheidung automatisch folgen, dass es sich um eine „präskrip- tive“ und damit „unwissenschaftliche“ Sprachbetrachtung handelt (vgl. Antos 1996:19). Doch auch hier treten bei genauerem Hinsehen Probleme auf, die ein Festhalten an die- ser Position erschweren: Einerseits finden sich auch in laienlinguistischer Literatur wie Wörterbüchern eindeutig mehr deskriptive als normative Aussagen; So gehört es, ob- wohl oftmals kritisiert10, praktisch zum „Credo“ des Duden, den Sprachwandel bloß abzubilden, ohne dabei normierend einzugreifen. Andererseits liegt die Entscheidung präskriptiv oder deskriptiv vorzugehen nicht allein beim Autor eines linguistischen Werkes, denn vielfach kann der Gebrauch durch einen Leser diese Intentionen missach- ten, z.B. wenn eine sich selbst als deskriptiv verstehende Grammatik von einem Nutzer normativ gelesen und verwendet wird.
2.2.2 Zusammenfassung
Es kann also resümiert werden, dass sich für die laienhafte Sprachbetrachtung und The- oriebildung ein vermehrtes induktives Schlussfolgern beobachten lässt. Es wird dabei oftmals aus der Beobachtung bestimmter korrelierender Phänomene auf einen (einseiti- gen) Zusammenhang geschlossen und daraufhin eine Regel (oder „Mini-Theorie“) formuliert (z.B. „Wenn du kürzere Sätze baust, wirst du besser verstanden“). Doch aus den offenkundigen methodischen Unzulänglichkeiten solcher Laientheorien lässt sich noch nicht schließen, dass solche Laientheorien grundsätzlich nicht ernstzunehmende „Geschmacksäußerungen “ (gleichsam ohne jeden theoretischen Gehalt) sind.
Was sich jedoch mit Sicherheit sagen lässt ist, dass das konkrete Vorgehen beim Herstellen von Zusammenhängen, sowie beim Formulieren der darauf aufbauenden PraxisEmpfehlungen in den meisten Sprachratgebern in keiner Weise thematisiert wird. Die zugrunde gelegten Methoden oder auch nur die einzelnen Schritte der Argumentation werden in den meisten Fällen nicht explizit ausgeführt, sondern sind implizit in den „endgültigen“ Urteilen und Aussagen der Autoren enthalten. So finden sich äußerst selten Passagen, in denen Voraussetzungen oder Konsequenzen einer bestimmten Empfehlung ausreichend besprochen werden (oder beispielsweise unter welchen Umständen Ausnahmen gemacht werden müssen: „Weg mit den Adjektiven“ oder „Hauptfeind: Der Schachtelsatz“; Wolf Schneider 1992).
Was die tendenzielle Präskriptivität oder Normativität der Ratgeberliteratur betrifft, ist auch hier deutlich geworden, dass eine Schwarz-Weiß-Zeichnung nicht zielführend ist. Zwar wird niemand ernsthaft bestreiten, dass ein klassischer, womöglich noch am „Ge- schmack der literarischen Tradition“ angelehnter Stilratgeber wesentlich präskriptiver auftreten wird als eine wissenschaftliche Darstellung zur Stilistik, doch es lässt sich dar- aus nicht schlussfolgern, dass in der Linguistik generell deskriptiv und in der Laien- Linguistik generell präskriptiv verfahren wird. Das unbestreitbar gehäufte Vorkommen präskriptiver bzw. imperativischer Formen („Vergessen Sie…!“, „Verwenden Sie…!“ etc.) welches für Ratgeber durchaus kennzeichnend ist, ist vermutlich eher auf die man- gelnde theoretische Fundierung und den Wunsch nach einfachen, Erfolg versprechenden und praktikablen Lösungen zurückzuführen.
Die „internen und externen Handlungsbedingungen“ (vgl. 2.2.1/5) sind grundsätzlich weniger problematisch als die beiden zuvor besprochenen Gegensatzpaare (Dedukti- on/Induktion; Deskriptivität/Präskriptivität) - sie scheinen sich überdies sehr passend auf die Ratgeber übertragen zu lassen, was sich an den zahlreichen „Anleitungen“ für eine erfolgreiche Kommunikation etc. in diesen Werken zeigen lässt. Die Ratgeber le- gen sich hierbei oft auf prägnante, stark vereinfachte und häufig sehr starre „Faustformeln“ fest, die beschreiben wie möglichst effektvoll bestimmte Wirkungen in Kommunikation erzielt werden können. Dabei werden jedoch häufig alternative Hand- lungsmöglichkeiten oder bestimmte praktische Einschränkungen außer Acht gelassen, und meist nur wenige „idealtypische“ Situationen beschrieben. Durch diese Fokussie- rung auf Standardsituationen und Standardstrategien kann berechtigterweise der Eindruck entstehen, es handle sich bei solchen Anweisungen um realitätsferne Rezept- anleitungen, die Schritt für Schritt angeben, wie in typischen Situationen typische Entscheidungen mit typischen Mitteln, erreicht werden können (vgl. Antos 1996:27).
Aus diesem Grund wird auch die situative Abhängigkeit der durch Kommunikation er- zielbaren Wirkungen meist zuwenig thematisiert. Einflussfaktoren wie Situation, Kontext oder z.B . Unterschiede im sozialen Status der Gesprächspartner werden eben- falls in den wenigsten Sprachratgebern berücksichtigt. Hier zeigt sich also einerseits ein starker Fokus auf die Person des Lesers (Nach dem Motto: „Man hat alle Möglichkei- ten; es liegt nur an einem selbst“) und andererseits eine deutliche Reduktion von kommunikativer Komplexität: Situative Einflüsse werden systematisch unterbewertet und die Bedeutung von „Charakter“ oder „Willensstärke“ für den Erfolg der Kommuni- kationsteilnehmer überhöht (vgl. 4.1). Dadurch kann von den Ratgeberautoren nicht nur überzeugender zu bestimmten Verhaltensweisen angeleitet werden, sondern dem Leser wird außerdem suggeriert, Kommunikation könne wie „Sport“ trainiert werden. Es drängt sich der „Verdacht“ auf, dass diese Sichtweise von den Verfassern durchaus be- wusst vertreten wird um Leserinteressen zu entsprechen und den Nutzen der Anleitungen zu rechtfertigen.
[...]
1 aktueller Stand unbekannt [zit. n. Antos 1996]
2 Quelle: http://www.amazon.de/Dativ-Genitiv-Irrgarten-deutschen-Sprache/
3 Eine weiter gehende, bzw. modifizierte Unterscheidung (in Reaktion auf Blumenthal) findet sich bei Hess-Lüttich (1991:36) wieder, der aufbauend auf Blumenthal in eine theoretische, eine praktische und eine angewandte Rhetorik unterscheidet und jeder der dreien eigene Aufgaben „zuweist“.
4 (Friedrich Riedel: Theorie der schönen Künste und Wissenschaften - ein Auszug aus den Werken verschiedener Schriftsteller, Jena 1767; zit. nach Bremerich-Vos 1991:14)
5 Sie nimmt ausschließlich Bezug auf Ratgeber, die sich mit mündlicher (gesprochener) Kommunikation befassen (vgl. Bergmann 2002:226).
6 Da das System nicht explizit liefert, was es verlangt, verlangt es implizit, dass seine Schüler bereits besitzen, was es nicht liefert: eine Sprache und Kultur, die außerhalb der Schule durch unmerkliche Familiarisierung gleichzeitig mit der entscheidenden Einstellung zu Sprache und Kultur ausschließlich auf diese Weise erworben werden kann. (Bourdieu, Passeron: Die Illusion der Chancengleichheit. Untersuchungen zur Soziologie des Bildungswesens am Beispiel Frankreichs, Stuttgart 1971:126; [zit. n. Bremerich-Vos 1991:5])
7 Wie sich dieser Wandel zur „Informationsgesellschaft“ vollzieht, geht aus folgendem Zitat von Alex Mucchielli hervor (aus: „Les sciences de l ’ information et de la communication“): La ‘ soci été de communication ’ ne consiste pas seulement en une large diffusion et utilisation des technologies de la communication, une omnipr ésence des m é dias, une saturation d ’ informations etd ’ images, une utilisation par tous les acteurs sociaux des diverses formes de la communication publicitaire. C ’ est aussi une transformation des repr ésentations du monde de tous les acteurs, qui int ègrent, de mani ère psychologique et pratique, les formes nouvelles des moyens d ’ information et de communication dont ils disposent. (Mucchielli 1995:47)
8 An dieser Stelle darf allerdings kritisch gefragt werden, ob nicht dasselbe auch für die Wissenschaft gilt: So scheint es meines Erachtens auch in der Wissenschaft durchaus üblich zu sein, vornehmlich nach solchen Phänomenen suchen, die die eigenen Theorien stützen und ihnen nicht zuwiderlaufen. [D.S.]
9 Merten, Klaus: Inhaltsanalyse - Einführung in Theorie, Methode und Praxis, Opladen 1983:315; [zit.n. Bremerich-Vos 1991]
10 So kritisiert beispielsweise Schneiders in „Deutsch für Profis“ die „Deskriptivität“ des Duden in seiner typischen radikalen Art: „ Der Duden hat kapituliert vor deröden Mode der nur noch deskriptiven Linguistik: In seinem sechsbändigen Großen Wörterbuch [ … ] verzichtet er darauf, Normen zu setzen, gut und schlecht zu unterscheiden - er registriert nur noch. “ (Wolf Schneider 1992:11).
- Arbeit zitieren
- David Schachinger (Autor:in), 2007, Populäre Sprachratgeber und Kommunikationstrainings, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/157114
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