Die Geschichte der multiplen Sklerose (MS) beginnt fast wie ein Märchen: Es war einmal eine Zeit, in der es sie nicht gab und der Medizin nicht ein einziger Fall bekannt war. 1830 beschrieben zwei Ärzte in Europa eine „neue“ Krankheit. Jean Cruveilhier,
Professor für pathologische Anatomie der Universität Paris, stellte bei einer Routineuntersuchung „braune Flecken“ im Zentralnervensystem einer Patientin fest.
Ein Kollege in England entdeckte bei der Durchsicht von Farbbildern, die bei Autopsien angefertigt wurden, „Flecken“ im Rückenmark. Überall in der Welt tauchten nun Beschreibungen dieser seltsamen Krankheit auf und 1878 wurde ihr erstmals der Name „Sklerosis“ gegeben (griechisch: skleros bedeutet hart).
Die Debatte, ob multiple Sklerose sozusagen „aus heiterem Himmel“ in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts auftauchte oder ob sie nur von den Ärzten übersehen worden war, wird bis heute weitergeführt. Nach Rosner und Ross (1993) gibt es jedoch überzeugende Beweise, daß sie tatsächlich neu auf der Bildfläche auftauchte.
Rätselhaft ist nicht nur die Geschichte der Krankheit, auch die Ursache der Erkrankung ist nach einhundertjähriger Forschung noch unbekannt. Auch ist es nach wie vor unmöglich, den Krankheitsverlauf vorherzusagen. In manchen Fällen schreitet sie rapide schnell voran, in anderen Fällen geschehen „Wunder“ und langjährig schwer geplagte Patienten gesunden völlig. Einige Untersuchungen belegen, daß
Frauen aus den oberen Schichten und in der Altersgruppe zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig einen auffallend höheren Anteil an MS-Kranken stellen. Warum tritt die Krankheit in gemäßigten und kalten Klimaten verstärkt auf wohingegen sie in tropischen Regionen so gut wie unbekannt ist? Diese und andere Rätsel machen die
MS zu einer der spannendsten und mißverstandensten Krankheiten überhaupt, bei der tatsächlich nur ein geringer Anteil der Erkrankten im Rollstuhl sitzen muß.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung: Rätselhafte Krankheit Multiple Sklerose
2. Multiple Sklerose aus medizinischer Sicht
3. Ursachen der MS Zusammenfassung sozioökonomischer Faktoren
4. Häufigkeit
5. Symptome und Krankheitszeichen
5.1. Erste Krankheitszeichen
5.2. Die häufigsten Rückenmarkssymptome
5.2.1. Sensibilitätssymptome
5.2.2. Motorische Symptome
5.2.3. Neurogene Blasenstörung
5.3. Hirnstammsymptome
5.4. Kleinhirnsymptome
5.5. Augensymptome
5.6. Großhirnsymptome
6. Psychopathologische Symptome
7. Spezielle Problembereiche bei Multiple Sklerose-Kranken
Alltagsprobleme
Beruf
Familie
8. Diagnose und diagnostische Probleme
8.1. Liquor-Untersuchung
8.2. Computertomographie
8.3. Kernspintomographie
8.4. Evozierte Potentiale
9. Verlaufsformen
10. Psychologische Einflußfaktoren
10.1. Das Selbstkonzept
10.2. Erlernte Hilflosigkeit
11. Behandlungsformen
11.1 Entzündungshemmende Medikamente (ACTH und Cortison)
11.2 Immunsuppressiva
12. Bewältigungsstrategien
12.1. Möglichkeiten und Grenzen des Bewältigungsprozesses
12.2. Bewältigungsformen
13. Ausblick
14. Literaturverzeichnis
1. Einführung: Rätselhafte Krankheit Multiple Sklerose
Die Geschichte der multiplen Sklerose (MS) beginnt fast wie ein Märchen: Es war einmal eine Zeit, in der es sie nicht gab und der Medizin nicht ein einziger Fall bekannt war. 1830 beschrieben zwei Ärzte in Europa eine „neue“ Krankheit. Jean Cruveilhier, Professor für pathologische Anatomie der Universität Paris, stellte bei einer Routineuntersuchung „braune Flecken“ im Zentralnervensystem einer Patientin fest. Ein Kollege in England entdeckte bei der Durchsicht von Farbbildern, die bei Autopsien angefertigt wurden, „Flecken“ im Rückenmark. Überall in der Welt tauchten nun Beschreibungen dieser seltsamen Krankheit auf und 1878 wurde ihr erstmals der Name „Sklerosis“ gegeben (griechisch: skleros bedeutet hart).
Die Debatte, ob multiple Sklerose sozusagen „aus heiterem Himmel“ in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts auftauchte oder ob sie nur von den Ärzten übersehen worden war, wird bis heute weitergeführt. Nach Rosner und Ross (1993) gibt es jedoch überzeugende Beweise, daß sie tatsächlich neu auf der Bildfläche auftauchte.
Rätselhaft ist nicht nur die Geschichte der Krankheit, auch die Ursache der Erkrankung ist nach einhundertjähriger Forschung noch unbekannt. Auch ist es nach wie vor unmöglich, den Krankheitsverlauf vorherzusagen. In manchen Fällen schreitet sie rapide schnell voran, in anderen Fällen geschehen „Wunder“ und langjährig schwer geplagte Patienten gesunden völlig. Einige Untersuchungen belegen, daß Frauen aus den oberen Schichten und in der Altersgruppe zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig einen auffallend höheren Anteil an MS-Kranken stellen. Warum tritt die Krankheit in gemäßigten und kalten Klimaten verstärkt auf wohingegen sie in tropischen Regionen so gut wie unbekannt ist? Diese und andere Rätsel machen die MS zu einer der spannendsten und mißverstandensten Krankheiten überhaupt, bei der tatsächlich nur ein geringer Anteil der Erkrankten im Rollstuhl sitzen muß.
2. Multiple Sklerose aus medizinischer Sicht
Die multiple Sklerose (MS) ist eine ursächlich nicht geklärte, sehr unterschiedlich verlaufende Erkrankung des Zentralnervensystems. Hier treten meist im früheren Erwachsenenalter als Plaques bezeichnete entzündliche Krankheitsherde auf, die vorwiegend Rückenmark, Hirnstamm, Kleinhirn, Hirnnerven und seltener die Großhirnrinde betreffen. Die Erkrankung erfolgt disseminierend wobei das periphere Nervensystem nicht betroffen wird. In der Nähe kleiner Blutgefäße kommt es dabei zur Demyelinisierung der Axone. Ihre Myelinscheiden werden aufgelöst und die myelinbildenden Oligodendrozyten verschwinden. Gleichzeitig finden entzündliche Veränderungen mit dem Einwandern von Lymphozyten, Monozyten und Makrophagen in den Krankheitsherd statt. Die Zellen werden von einer Flüssigkeit begleitet, die zu einem Ödem im Herdbereich führt. Das zerstörte Gewebe wird wie in anderen Organen durch Narbengewebe ersetzt.
Mit zunehmender Krankheitsdauer können Zahl und Größe der Plaques zunehmen, ein Teil kann sich miteinander vereinigen und größere Herde bilden, in denen eine schwelende Entzündung zurückbleiben kann.
Während man noch bis vor einigen Jahren glaubte, geschädigte Nervenfasern können sich nicht regenerieren, weiß man inzwischen, daß dies bei MS doch möglich und wahrscheinlich der Fall ist (Krämer und Besser, 1989).
Die Schnelligkeit, mit der sich manche Beschwerden bei der MS sowohl einstellen als auch zurückbilden können, spricht dafür, daß die Ursache nicht allein in der Zerstörung und Regenerierung der Myelinscheide liegen kann. Andere Erklärungsmöglichkeiten bestehen in dem Druck, den die eingewanderten Blutzellen sowie das Gewebswasser auf die Nervenzellen ausüben sowie in schädlichen Stoffen, die von den weißen Blutkörperchen gebildet werden.
Obwohl die Plaques das typische Merkmal einer MS sind, so macht sich nur ein kleiner Prozentsatz durch Beschwerden bemerkbar. In vielen als „stumm“ bezeichneten Abschnitten des Gehirns rufen MS-Herde weder im frischen noch im chronischen Stadium Störungen hervor. Manchmal werden sie im Rahmen anderer neurologischer Untersuchungen oder Obduktionen zufällig entdeckt.
Die Demyelinisierung kann den Signalfluß innerhalb des Zentralnervensystems verlangsamen oder blockieren. Dadurch können Funktionen wie Sehkraft, Muskelbewegungen oder Koordination beeinträchtigt werden. Mit den spezifischen Symptomen beschäftigen wir uns an anderer Stelle genauer.
Ein weiteres Merkmal der Krankheit besteht in ihrem schubförmigen Auftreten. Ein MS-Schub liegt vereinbarungsgemäß dann vor, wenn neue oder erneut auftretende Krankheitszeichen länger als 24 Stunden bestehen. Bei 80 - 90 % treten am Anfang der Krankheit Schübe auf (Krämer & Besser, 21989). Während dieser Tage oder Wochen bilden sich meist neue Entzündungsherde im ZNS aus, die mit spezifischen Methoden nachgewiesen werden können. Die mit einem Schub einhergehenden Beschwerden halten in der Regel zwischen zwei Wochen und drei Monaten an, bevor sie sich meist zurückbilden. Die Abgrenzung gegenüber Exazerbationen (zum Beispiel nach starken Belastungen) kann manchmal sehr schwierig sein.
3. Ursachen der MS
Die genaue Ursache ist trotz vielfältiger, weltweiter Forschungsbemühungen nach wie vor unbekannt. Vieles spricht für eine Wechselwirkung von Umwelteinflüssen, begünstigenden Erbanlagen und einer Fehlreaktion des körpereigenen Immunsystems.
Auf die Bedeutung von Erbanlagen weist das häufige Auftreten der MS bei Menschen mit bestimmten, von Geburt an vorhandenen und in Blut nachweisbaren Merkmalen hin. Hierbei handelt es sich um bestimmte immunologische Merkmale der weißen Blutkörperchen von MS Patienten (sogenannte HLA- Typisierung mit Häufigkeit der Merkmale A3, B7 und DR2). So findet sich das HLA-Merkmal DR2 bei 70% der MS-Patienten gegenüber nur 16% in der Allgemeinbevölkerung (Krämer & Besser, 21989).
Für eine begünstigende Rolle von Umwelteinflüssen sprechen die starken geographischen Unterschiede des weltweiten Auftretens von MS Erkrankungen. Die MS tritt häufiger in kalten Gebieten auf, in subtropischen und tropischen Gebieten dagegen nur selten. Untersuchungen an Auswanderern aus Gebieten mit einer hohen MS-Wahrscheinlichkeit haben ergeben, daß das Erkrankungsrisiko dann „mitgenommen“ wird, wenn die Auswanderung nach der späten Jugend oder im frühen Erwachsenenalter erfolgt (Krämer & Besser, 21989). Deshalb wird angenommen, daß eine zunächst ohne Krankheitserscheinungen verlaufende Ansteckung mit einem noch unbekannten Virus in der frühen Jugend eine Rolle spielt. Bei dem Erreger scheint es sich um normale, für den Menschen meist harmlose Keime zu handeln, die nur in einer Reihe von Interaktionsprozessen für die Erkrankung mitverantwortlich sein können.
Eine andere Auffassung geht davon aus, daß es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt, bei der das Immunsystem ohne erkennbaren Grund beginnt, Antikörper gegen die weiße Substanz des Zentralnervensystems zu entwickeln. Die Immunpathogenese verläuft nach Strenge (1995) dabei in zwei Schritten:
In der ersten Phase kommt es nun bei Personen mit einer genetisch determinierten Empfänglichkeit (wahrscheinlich unter Beteiligung des HLA-Komplexes und in Interaktion mit mehreren Genen) zu einer unspezifischen Virusinfektion (siehe oben). Diese führt zu einer primären Induktion einer genetisch fixierten anomalen Immunreaktion. Über eine vorübergehende Öffnung der Blut-Hirn-Schranke ist auch eine erste Sensibilisierung durch Antigene des Gehirns möglich. Dieser für die Krankheitsauslösung entscheidende Prozeß findet nach epidemiologischen Befunden (Meyer-Rienecker ,1988, Poser 1992, zit. n. Strenge, 1995) zwischen dem 5. und 15. Lebensjahr statt.
Ein zusätzliche Voraussetzung für die neurologische Manifestation der MS ist eine erneute Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke in der späteren Lebensphase (beispielsweise bedingt durch eine unspezifische aber toxisch oder traumatisch wirkende Infektion). In dieser zweiten Phase können in einem weiteren Schritt aktivierte zirkulierende T-Lymphozyten in Interaktion mit den Endothelien der Hirngefäße über eine perivaskuläre Entzündungsreaktion eine ZNS-Läsion einleiten. Ob sich daraus ein MS-Herd entwickelt ist offenbar besonders abhängig von der Expression von MHC-Klasse-2-Antigenen auf die Astrozyten (Allen & Brankin, 193, zit. n. Strenge, 1995)
Drei weitere Forschungsbereiche, stützen die Theorie einer Autoimmunerkrankung. Man hat erstens bei Tierexperimenten Antikörper erzeugen können, die das Myelin angreifen. Zweitens weist die Rückenmarksflüssigkeit von MS-Ptienten erhöhte Werte von Immunglobulinen auf, und drittens sind Behandlungsweisen mit Immunsuppressiva häufig erfolgreich (Rosner & Ross, 1993).
Zusammenfassung sozioökonomischer Faktoren
Wir möchten uns in unserer Zusammenfassung an die Untersuchungsergebnisse von Langenmayr und Prümel (1985) anlehnen.
- Die MS betrifft besonders Personen, die, unabhängig von ihrem gegenwärtigen Wohnort, in einer Großstadt geboren wurden.
- Auf stärkere Geburtskomplikationen scheinen der größere Abstand zu den nächstjüngeren Geschwistern bei MS-Kranken bezüglich einer Kontrollgruppe hinzuweisen. Bei MS-Betroffenen fällt eine erhöhte Morbidität auf (sie berichten über besonders viele Erkrankungen, insbesondere von Kinderkrankheiten). Bei Männern deuten die Daten in Richtung einer starken Mutter-Kind-Bindung (längere Stilldauer und späterer Auszug aus dem Elternhaus).
- Belastende Lebensereignisse können eine Rolle für den Ausbruch der Krankheit spielen.
„ Insgesamt vermittelt unser Material den Eindruck, daß auf dem Hintergrund einer nicht auszuschließenden organischen Schädigung des ZNS bei der Geburt durch zusätzliche Belastungen ¼ die MS zum Zeitpunkt der Loslösung von der eigenen Familie entsteht. So deutet unser Material zuweilen ¼ in die Richtung ¼ depressiver ¼ Persönlichkeitsstrukturen. Möglicherweise stellt die Erkrankung den Rückfall in die Hilflosigkeit der Kindheit und auf das Angewiesen-Sein auf die ursprünglichen familiären Bezugspersonen ¼ dar.“ (Langenmayr & Prümel, 1985, S. 91)
4. Häufigkeit
Die MS ist nach der Epilepsie die häufigste neurologische Krankheit. Die genaue Patientenzahl ist wie bei fast allen Krankheiten nicht bekannt. Man schätzt, daß es in Westeuropa zirka 50- 90 Erkrankte pro 100000 Einwohner gibt. Für die Bundesrepublik Deutschland dürfte demnach die Anzahl der MS-Erkrankungen zwischen 40000 und 72000 liegen (Krämer & Besser, 1989). Weil jedoch viele Patienten (oder Ärzte) geringfügige Störungen nicht besonders ernst nehmen oder weil Schwierigkeiten bei der Einordnung bestehen, kann die tatsächliche Zahl noch weit höher liegen. Die Zahl der Neuerkrankungen wird jährlich auf zwei bis drei je 100000 Einwohner geschätzt.
Aus unbekannten Gründen erkranken Frauen häufiger als Männer, wobei die Zahlenangaben zwischen einem Verhältnis von 1,4:1 bis 3:1 schwanken.
5. Symptome und Krankheitszeichen
5.1. Erste Krankheitszeichen
Die ersten Krankheitszeichen sind von Patient zu Patient sehr unterschiedlich, da die MS praktisch jeden Teil des Zentralnervensystems betreffen kann. Unabhängig von ihrer Art treten die Erstbeschwerden meistens aus völligem Wohlbefinden heraus und relativ rasch auf. Als Initialsymptome treten bei ca. 40% Ermüdungserscheinungen vorwiegend der Beine, bei ca. 32% Gefühlsstörungen in den Extremitäten, bei ca. 28% eine Sehnervenentzündung und bei einem kleineren Prozentsatz Doppelbilder, Unsicherheit und selten Hirnnerven- und Blasenstörungen auf (Krämer & Besser, 1989)
[...]
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- Johannes Weiss (Autor), 1998, Darstellung einer Autoimmunerkrankung am Beispiel der Multiplen Sklerose, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15667
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