Angst – die „Farbe unseres Lebens“ (Richter, 2000, S. 15) - ist ein normalpsychologisches Phänomen und buntes bzw. vielfältiges Gefühl, das alle Menschen kennen und im Laufe ihres Lebens schon empfunden haben. In ihrer farbenfrohen Erscheinung motiviert sie uns einerseits zum Handeln, aktiviert Körper und Geist und warnt uns vor Gefahren, während uns ihre dunkle Seite zittern, erstarren oder anscheinend ersticken lässt und uns nicht selten unserer Handlungsfreiheit beraubt. Als primärer Affekt setzt Angst wichtige Signale, denn sie versetzt uns in die Lage, Gefahren und bedrohliche Situationen zu erkennen, zu bewerten und zu unterscheiden. Durch diese elementare Warnfunktion trug die Angst erheblich zum Überleben der menschlichen Spezies bei. Erfolgen jedoch die falschen Reaktionen auf Umweltreize, werden also beispielsweise Gefahren zu hoch oder zu niedrig eingeschätzt, dann kann sich dies auf das Leben und die Weiterentwicklung des jeweiligen Menschen ungünstig auswirken. Eine angemessene und ausgewogene Angstbalance hat also eine schützende Wirkung, denn grundsätzlich ist das menschliche Handeln darauf ausgerichtet, gefährliche Situationen zu vermeiden und durch Erfahrungen planvoll zu handeln. Zu-viel oder zuwenig Angst beeinträchtigt unser Leben und erstreckt sich dabei auf alle Bereiche des Alltags, demzufolge auch auf die Schule – den jahrelangen Lebens- und Erfahrungsraum unserer Kindes- und Jugendjahre (vgl. von Hen-tig, 2003, S. 189).
Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen geben deutlich zu verstehen, dass Schul- und Leistungsversagen sowie Unterrichtsstörungen auf das besondere Phänomen der Angst von Schülern zurückzuführen sind (vgl. Klupsch-Sahlmann & Kottmann, 1992, S. 7).
Auch wenn das Gefühl der Angst als unvermeidbarer Bestandteil des menschlichen Lebens anzusehen ist, erscheint eine einfache Akzeptanz der schulbezogenen Ängste bei Kindern und Jugendlichen als nicht legitim. Den Großteil ihres jugendlichen Lebens verbringen sie tagtäglich in der Schule und entwickeln an diesem Ort ihre Persönlichkeit – sie reifen zu stabilen, handlungsfähigen Menschen. Die dafür notwendigen, elementaren Entwicklungsschritte zur Anlagenentfaltung gelingen jedoch nur schwierig in einem ungeschützten Umfeld, beeinträchtigt durch Angst vor tyrannisierenden Mitschülern, vor autoritären Lehrern und vor Zeugnissen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Grundlagen zum Verständnis von Angst
2.1 Angstdefinition und Angstkonzepte
2.1.1 Definition von Angst
2.1.2 Angst und Furcht
2.1.3 Angst als Zustand und als Wesenszug
2.2 Theorien zur Angstentstehung,
2.2.1 Psychoanalytischer Ansatz
2.2.2 Behavioristischer Ansatz
2.2.3 Kognitionstheoretischer Ansatz
2.3 Funktionen der Angst
2.3.1 Schutzfunktion
2.3.2 Antriebsregulation
2.3.3 Entwicklungsrelevanz
2.4 Schulangst als spezielle Form der Angst
3 Schulangst der Schüler
3.1 Auslöser und Ursachen
3.1.1 Soziokulturelle Bedingungen
3.1.2 Familiäre Sozialisation
3.1.3 Institution Schule
3.2 Erscheinungsformen
3.3 Symptomatik und Folgen
3.3.1 Physiologische Ebene
3.3.2 Subjektive Ebene
3.3.3 Verhaltensebene
4 Schulangst der Lehrer
4.1 Soziale Erwünschtheit und Tabuisierung
4.2 Auslöser und Ursachen
4.3 Erscheinungsformen
4.4 Auswirkungen und Konsequenzen
4.4.1 Temporäre bzw. vorübergehende Folgen
4.4.2 Zeitlich stabile bzw. nachhaltige Folgen
4.4.3 Korrelation zwischen Lehrerangst und Schülerangst
5 Schulangst im Kontext Sportunterricht
5.1 Curriculare Relevanz der Angst im Sportunterricht
5.2 Schülerangst im Sportunterricht
5.2.1 Fachbezogene Ursachen als angstauslösende Situationen
5.2.2 Folgeängste als spezielle Formen von Schülerangst im Sportunterricht
5.2.3 Auswirkungen der Schülerangst im Sportunterricht
5.2.4 Möglichkeiten zum angstabbauenden Sportunterricht
5.3 Lehrerangst im Sportunterricht
5.3.1 Fachbezogene Belastungen als angstauslösende Situationen
5.3.2 Sportlehrerspezifische Ängste
5.3.3 Möglichkeiten zur Bewältigung, Reduktion oder Prävention der Sportlehrerangst
6 Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Angst - die „Farbe unseres Lebens“ (Richter, 2000, S. 15) - ist ein normalpsychologisches Phänomen und buntes bzw. vielfältiges Gefühl, das alle Menschen kennen und im Laufe ihres Lebens schon empfunden haben. In ihrer farbenfrohen Erscheinung motiviert sie uns einerseits zum Handeln, aktiviert Körper und Geist und warnt uns vor Gefahren, während uns ihre dunkle Seite zittern, erstarren oder anscheinend ersticken lässt und uns nicht selten unserer Handlungsfreiheit beraubt.
Als primärer Affekt setzt Angst wichtige Signale, denn sie versetzt uns in die Lage, Gefahren und bedrohliche Situationen zu erkennen, zu bewerten und zu unterscheiden. Durch diese elementare Warnfunktion trug die Angst erheblich zum Überleben der menschlichen Spezies bei. Erfolgen jedoch die falschen Reaktionen auf Umweltreize, werden also beispielsweise Gefahren zu hoch oder zu niedrig eingeschätzt, dann kann sich dies auf das Leben und die Weiterentwicklung des jeweiligen Menschen ungünstig auswirken. Eine angemessene und ausgewogene Angstbalance hat also eine schützende Wirkung, denn grundsätzlich ist das menschliche Handeln darauf ausgerichtet, gefährliche Situationen zu vermeiden und durch Erfahrungen planvoll zu handeln. Zuviel oder zuwenig Angst beeinträchtigt unser Leben und erstreckt sich dabei auf alle Bereiche des Alltags, demzufolge auch auf die Schule - den jahrelangen Lebens- und Erfahrungsraum unserer Kindes- und Jugendjahre (vgl. von Hen- tig, 2003, S. 189).
Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen geben deutlich zu verstehen, dass Schul- und Leistungsversagen sowie Unterrichtsstörungen auf das besondere Phänomen der Angst von Schülern1 zurückzuführen sind (vgl. Klupsch-Sahlmann & Kottmann, 1992, S. 7).
Auch wenn das Gefühl der Angst als unvermeidbarer Bestandteil des menschlichen Lebens anzusehen ist, erscheint eine einfache Akzeptanz der schulbezogenen Ängste bei Kindern und Jugendlichen als nicht legitim. Den Großteil ihres jugendlichen Lebens verbringen sie tagtäglich in der Schule und entwickeln an diesem Ort ihre Persönlichkeit - sie reifen zu stabilen, handlungsfähigen Menschen. Die dafür notwendigen, elementaren Entwicklungsschritte zur Anlagenentfaltung gelingen jedoch nur schwierig in einem ungeschützten Umfeld, beeinträchtigt durch Angst vor tyrannisierenden Mitschülern, vor autoritären Lehrern und vor Zeugnissen. Wie alle Ängste sind auch schulbezogene Ängste bei Schülern niemals gänzlich zu vermeiden, doch ihre Ursachen können zumindest reduziert werden. Schülerängste können folgenschwere Konsequenzen haben. Schließlich fungiert die Schule als zentraler Verteilungsmechanismus von Lebenschancen und bedient sich der jeweiligen Schülerleistung als
Bewertungskriterium (vgl. Novotny, 1994, S. 15). Unter den Vorzeichen formeller Gleichheit und demokratischer Gerechtigkeit hat die Schule die Aufgabe, „über die Erteilung unterschiedlicher Berechtigungen, den ungleichen Zugang zu Berufs- und Lebenskarrieren zu steuern und zu rechtfertigen“ (ebd.). Aus diesem Grund ist es von großer Bedeutung, die Schulängste der Kinder wahrzunehmen, zu verstehen und adäquat mit ihnen umzugehen.
Ähnlich dem alltäglichen Leben, erscheint die Angst auch im schulischen Kontext facettenreich und tritt als ein enorm widersprüchliches Phänomen auf. Einerseits setzt sie Leistungsreserven frei, andererseits verursacht sie totale Blockaden beim Schüler, der plötzlich ,starr vor Angst’ wird. Bei dem Einen erzeugt sie ein lustvolles Erlebnis, bei dem Anderen führt sie zu Unlust und Passivität. Heute ist sie an konkrete Ereignisse gebunden, morgen erweist sie sich als diffuse, nicht begründbare Stimmung. Oft ist die Angst im Unterricht das Mittel der Erziehung und ebenso oft auch das Merkmal des vermeintlich schlechten Lehrers. In der Tat ist Angst in der Schule nicht nur Schülersache. Auch Lehrer leiden unter Schulangst. Obwohl die Lehrerangstforschung bzw. die Thematik berufsbezogener Lehrerängste seit Ende der 70er-Jahre auf reges Interesse in der pädagogischen Psychologie stößt, zählt sie noch zu den jungen Gebieten der Angstforschung und wird dort im Vergleich zu Schülerängsten relativ selten thematisiert (vgl. Obidzinski, 2008, S. 34). Angstauslösende berufsspezifische Rollenzwänge, die den schulischen Alltag des Lehrers erschweren und seine Arbeitsfähigkeit sowie Freude am Beruf schmälern, werden häufig verleugnet und bleiben unbeachtet (vgl. Brück, 1978, S. 9). Letztlich wird die Angst des Lehrers in der Gesellschaft als ehrenrührig und ungewöhnlich angesehen und passt nicht in das öffentliche Lehrerbild nach dem Motto, „dass nicht sein kann, was nicht sein darf“ (Volkamer, 1980, S. 377).
Die Schulangst ist jedoch, ungeachtet aller eindimensionalen Betrachtungen, Tabuisierungen und Bagatellisierungen, vielschichtig und bestimmt auf verschiedenste Art und Weise den schulischen Alltag aller Beteiligten (vgl. Klupsch-Sahlmann & Kottmann, 1992, S. 7).
Üblicherweise zählen die Schulfächer Mathematik, Deutsch, Englisch und Physik zu den so genannten ,Angstfächern’ (vgl. Sparfeldt, Schilling, Rost, Stelzl & Peipert, 2005, S. 226). Doch spielt die Angst auch im Sportunterricht eine Rolle? Das höchst populäre Fach, das von Bewegung, Spiel, Freude und Partizipation lebt, soll schließlich die Freude der Schüler an vielen Bewegungsformen beim sportlichen Miteinander und Gegeneinander erzeugen, ihr Körpergefühl und -bewusstsein entwickeln, ihnen Entspannung bieten und sie für eine regelmäßige sportliche Tätigkeit interessieren (vgl. Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt, 1999, S. 6ff). Allem Anschein nach bietet der Schulsport keinen Platz für negative Gefühlszustände wie die Angst. Gleichwohl ist der Sportunterricht jedoch ein verpflichtendes, gleichberechtigtes sowie versetzungsrelevantes Fach und auch vor ihm macht das Gefühl der Angst keinen Halt (vgl. ebd.). Vielmehr hinterlässt es auch im Schulsport deutliche Spuren.
Das wiederholte Vergessen der Sportkleidung, angebliche Kopf- und Bauchschmerzen, unerlaubtes Fehlen oder plötzlich auftretende Verletzungen und Zerrungen sind allesamt typische Vermeidungsstrategien der Schüler, um bestimmten bedrohlichen sportmotorischen Handlungen zu entkommen. Nicht weniger selten legen auch Sportlehrer eher ungewöhnliche Verhaltensweisen an den Tag, die als deutliche Angstsymptome anzusehen sind. So agieren sie mitunter passiv und resigniert, wenn ein bestimmter Schüler beispielsweise beim Floorball das Jonglieren des Balles aufgrund seiner außerschulischen Vereinstätigkeit besser beherrscht als er, der eigentliche Sachexperte, selbst. Auch Unsicherheiten in seiner Handlungsfähigkeit oder eine streng autoritäre Haltung gegenüber seinen Schülern sind nur einige wenige Anzeichen der Lehrerangst im Sportunterricht, hier speziell der Kompetenz- und Autoritätsangst des Sportlehrers.
Der direkte Anlass für die Auseinandersetzung mit der Thematik der Schulangst im Sportunterricht sowohl in Bezug auf Schüler als auch auf Lehrer sind einschneidende persönliche Beobachtungen und Erfahrungen mit diesem besonderen Phänomen in meiner bisherigen Unterrichtspraxis. Als Lehrender sah ich mich in den Schulpraktika einerseits wiederholt bestimmten Angstgefühlen ausgesetzt, sei es aufgrund der großen, fast unüberschaubaren Schülerzahl, sei es aufgrund fachlicher Herausforderungen oder aufgrund verhaltensauffälliger Schüler. Andererseits waren es persönliche Erinnerungen an die eigene Schulzeit und zahlreiche wiedererlebte, bekannte Situationen während des Unterrichtens, die meine Aufmerksamkeit auf die Schulangst im Sportunterricht lenkten. So begegnete ich in den Praktika wiederkehrend Schülern, die typische Angstsymptome zeigten. Verunsichert und lustlos agierend erschwerten sie ein ums andere Mal meinen Unterricht und verursachten dadurch angstaus- lösende Situationen seitens meiner Person, da persönliche Unterrichtsziele bedroht und methodische Vorgehensweisen erschwert wurden. Besonders waren es Schwierigkeiten der Schüler in Bezug auf Motivation und Interesse, welche ich auf individuelle emotionale bzw. angstdeterminierte Faktoren zurückführe. Wie in den meisten Fächern, treten auch im Sportunterricht Probleme aufgrund der teilweise erheblichen Heterogenität in den Klassen auf, welche differenziertes Arbeiten unerlässlich machen sowie besondere Motivation und Konzentration der Lehrkraft erfordern. Während der Schwerpunkt anderer Schulfächer auf dem kognitiven Lernbereich liegt, steht im Sportunterricht die Dimension des Körperlichen im Vordergrund. Hier haben die Schüler nicht die Möglichkeit, sich zu verstecken und sich zurückzuziehen, wie es im Klassenraum der Fall ist. Der Sportunterricht erfordert Partizipation und Bewegung, die für alle Akteure - Lehrer und Schüler - sichtbar sind. Diese körperliche Exponiertheit sowie das unmittelbare Erfahren und Wahrnehmen, die körperliche Anstrengung, die erhöhte Verletzungsgefahr, die direkte Interaktion oder soziale Folgen beim Versagen in Wettkampfsituationen charakterisieren den Sportunterricht und bieten unzählige Ansatzpunkte für die Entstehung von Ängsten bei Schülern (vgl. Miethling &
Krieger, 2004, S. 121; Wolters, 2008, S. 7). Seitens der Sportlehrkräfte sind es währenddessen u. a. die Notwendigkeit des Demonstrierens und des Mitma- chens, die oftmals komplexen Stundensettings sowie der enorme Lärm, welche ähnlich belastende und potentiell angstauslösende Merkmale des Sportunterrichts darstellen (vgl. Voltmann-Hummes, 2008, S. 130).
Des Weiteren dient die häufig empfundene Widersprüchlichkeit in der Verknüpfung von Angst und Sportunterricht als Triebfeder vorliegender Arbeit. Mit Sport sollte schließlich alles andere assoziiert werden, aber doch nicht Angst. In Gesprächen mit Bekannten und Freunden über persönliche Erfahrungen im Sportunterricht wurde allerdings schnell deutlich, dass die Angst für jeden Schüler mehr oder weniger ein elementarer Bestandteil schulsportlicher Tätigkeit war bzw. noch immer ist.
Auch die in der Gesellschaft vorherrschende Ansicht des Lehrers als „Halbtagsjobber“ (Schaarschmidt, 2005) ist persönlicher Anreiz genug, um sich mit der Thematik fachspezifischer Belastungen von Sportlehrerkräften tiefer auseinanderzusetzen und deren Rolle in Bezug auf Sportlehrerängste zu verdeutlichen. Lehrer- bzw. Sportlehrerängste erlangen noch immer zu wenig öffentliches Interesse und werden dementiert, ignoriert oder tabuisiert. Aus diesem Grund halte ich es für wesentlich und bearbeitenswert, neben der Angst des Schülers, auch die Angst des Lehrers weiter zu legitimieren und als normale, unvermeidbare Erscheinung in der Institution Schule erscheinen zu lassen. Besonderer Fokus wird dabei auf Sportlehrerängste gelegt, da die Fachspezifik des Sportunterrichts enorme Belastungen mit sich bringt.
Aus genannten Gründen entwickelt sich auch die eigentliche Fragestellung vorliegender Arbeit: Welche Rolle spielt die Schulangst der Schüler und Lehrer im Sportunterricht in Bezug auf Lernen und Lehren, worin liegen die jeweiligen Ursachen und wie kann man diesen Ängsten adäquat begegnen?
In Form einer Literaturrecherche bzw. -zusammenfassung wird der Thematik der Schulangst im Kontext Sportunterricht in dieser Arbeit begegnet. Etliche Werke über Schülerängste wurden in den letzten Jahrzehnten veröffentlicht und obwohl es zu Lehrerängsten deutlich weniger wissenschaftliche Literatur gibt, befassen sich Angstforscher seit etwa 30 Jahren auch intensiv mit dieser Berufsgruppe. Die Basiswerke beider Forschungsbereiche dienen als Grundlage dieser Arbeit, werden durch aktuelle und relevante empirische Untersuchungsergebnisse fundiert und sollen so einen umfassenden zweidimensionalen Blick auf Schulangst in Bezug auf den Sportunterricht geben.
Um die Fragestellung vorliegender Arbeit zu beantworten und sie im Kontext Schule übersichtlich und verständlich einordnen zu können, wird eine deduktive Schrittfolge bzw. Herangehensweise vorgenommen. Dadurch soll ein Schluss von der allgemeinen Angst auf die besondere Form der Schulangst und letztlich auf die spezifische Schulangst im Sportunterricht ermöglicht werden. So verfolgt das 2. Kapitel das Ziel, grundlegende Begrifflichkeiten einzuführen und detaillierter zu beleuchten. Zu Beginn wird die Bedeutung der Angst analysiert und geklärt, wie sie sich von angrenzenden Phänomenen wie der Furcht oder der Ängstlichkeit unterscheidet. Gefolgt von einer Darstellung der drei klassischen Angsttheorien (psychoanalytischer, behavioristischer und kognitionstheoretischer Ansatz) werden die elementaren Funktionen der Angst verdeutlicht, bevor eine Spezialisierung auf die Schulangst erfolgt. Darauf aufbauend wendet sich das 3. Kapitel zunächst der Schulangst der Schüler zu. Es soll geklärt werden, welche Faktoren für die Entstehung von Schülerängsten verantwortlich sind. Im Anschluss daran folgt eine Darstellung verschiedener Erscheinungsformen von Schülerängsten. Anschließend wird aufgezeigt, wie sich die Angst bei Schülern äußert und welche Folgen sie für den Betroffenen in Bezug auf Verhalten, Physiologie und seelisches Empfinden hat. Der Fokus in Kapitel 4 liegt auf der Schulangst der Lehrer. Einleitend wird die Brisanz des noch immer tabuisierten Themas vorgestellt. Um einen Vergleich zu Schülerängsten anzustellen, werden ebenso zunächst Auslöser und Ursachen der Lehrerängste dargestellt, bevor die durch die Angst entstehenden Konsequenzen für die Lehrkräfte verdeutlicht werden. Als abschließender Aspekt der allgemeinen Schüler- und Lehrerängste wird am Ende des 4. Kapitels ein Zusammenhang zwischen beiden Angstformen beschrieben. Im vorletzten 5. Kapitel soll die Frage diskutiert werden, wie sich die zuvor aufgeführten Aspekte der Schulangst der Schüler und Lehrer speziell im Sportunterricht widerspiegeln. Zu Beginn wird hier nach der curricularen Berücksichtigung des Angstphänomens im Sportunterricht gefragt und ein Bundesländervergleich vorgenommen. Im Anschluss daran erfolgt eine ausführliche Betrachtung der Schülerängste im Sportunterricht. Dabei werden eingangs fachbezogene Ursachen dargestellt, welche den Sportunterricht so einzigartig und prädestiniert für die Angstentstehung seitens der Schüler machen. Daraus resultierende Folgeängste werden danach als spezielle Formen der Schülerangst im Sportunterricht beschrieben. Welche Auswirkungen die Schülerangst im Sportunterricht für die Schüler in Bezug auf das Bewegungsverhalten, die Wahrnehmung, das Lernen und die motorische Leistung hat, wird anschließend geklärt. Um die Thematik der Schülerängste im Sportunterricht abzuschließen, werden am Ende intra- und interindividuelle Interventions- und Präventionsmaßnahmen vorgestellt, um Schülerängste abzubauen und diesen angemessen zu begegnen. Im darauf Folgenden liegt das Hauptaugenmerk auf den Lehrerängsten im Sportunterricht. Fachbezogene Belastungen sollen hier zunächst die Fachspezifik des Sportunterrichts verdeutlichen. Daraus resultierende sportlehrerspezfische Ängste wie etwa die Angst des Sportlehrers vor dem Theorieunterricht oder vor Verletzungen der Schüler werden nachfolgend erläutert. Auch die Thematik der Sportlehrerängste wird mit Bewältigungs-, Reduktions- bzw. Präventionsmöglichkeiten abgeschlossen. Hier werden in Anlehnung an die drei grundlegenden Angsttheorien verschiedene Ansätze vorgestellt, die das Handlungsrepertoire des Sportlehrers erweitern und ihn im Umgang mit Ängsten unterstützen sollen.
2 Grundlagen zum Verständnis von Angst
Zum Thema Angst bzw. Schulangst existiert eine enorme und umfangreiche Palette an Literatur und Darstellungen. In Anbetracht der Komplexität von Motiven, Erscheinungs- und Äußerungsformen, welche gemeinsam Angst individuell einzigartig erscheinen lassen, werden zunächst allgemeine Grundlagen der Angstpsychologie dargestellt.
So erfolgen eingangs Definitionen zentraler Begriffe der vorliegenden Arbeit sowie Abgrenzungen von anderen Termini.
Die Begriffserklärungen der Angst im Allgemeinen, der Furcht sowie der Angst als Zustand und als Wesenszug werden in Kapitel 2.1 behandelt. Daran anschließend werden in Kapitel 2.2 verschiedene Theorien zur Angstentstehung vorgestellt bevor ausgewählte Funktionen der Angst in Kapitel 2.3 dargestellt werden und in Kapitel 2.4 eine Beschreibung der Schulangst als spezielle Angstform dieses Kapitel abschließen.
2.1 Angstdefinition und Angstkonzepte
2.1.1 Definition von Angst
Aus etymologischer und sprachwissenschaftlicher Betrachtungsweise hat der Begriff Angst seine Wurzeln im althochdeutschen Wort „angust“, welches wiederum aus dem lateinischen Hauptwort „angustiae“ (Enge), bzw. aus dem Zeitwort „angere“ stammt, was in etwa „zuschnüren“ oder „beklemmen“ bedeutet (vgl. Wandruszka, 1981, S. 8). Demnach bezeichnet Angst anscheinend einen Zustand, in dem es einem die Kehle zuschnürt und der ein beklemmendes Gefühl in der Brust hervorruft, sodass einem die Luft wegbleibt. Der einzig positive Sinnbezug, nämlich die Sorgfalt, welche zunächst im Mittelhochdeutschen „sorgenvoll“ und „bekümmert“ bedeutete und erst im sprachlichen Wandel der Jahrhunderte einen gutheißenden Charakter erhielt, ist indes verloren gegangen, und Angst wird gewöhnlich ausschließlich mit negativen Konnotationen verbunden. Obwohl der Begriff Angst aufgrund seiner unmittelbaren Präsenz im alltäglichen Leben intuitiv leicht verständlich zu sein scheint, existieren in der Psychologie zahlreiche und durchaus unterschiedliche Begriffsbestimmungen. Trotz einer immensen Fülle an Literatur und Veröffentlichungen zu diesem Thema, erweist sich eine einheitliche und endgültige Klärung des Begriffs als aussichtsloses Unterfangen. Die zahllosen Definitionsversuche von Theoretikern, Psychologen und Forschern anderer Wissenschaftsbereiche führten am Ende zu einem abstrusen Wirrwarr, wobei sich viele Autoren auf eine Beschreibung der Symptome, durch die sich Angst bemerkbar macht, beschränken. So auch die folgenden Wissenschaftler, deren Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Angstforschung als Basiswerke zählen. Im Folgenden wird nun eine Sammlung verschiedener, ausgewählter Definitionen dargestellt.
Nach Auffassung von Krohne (1975, S. 11), einem Pionier in der deutschsprachigen Angstforschung, ist Angst ein emotionaler Zustand des Organismus, „[...] bestimmt durch einen als betont unangenehm erlebten Erregungsanstieg angesichts der Wahrnehmung einer komplexen und mehrdeutigen Gefahrensituation, in der eine adäquate Reaktion des Individuums nicht möglich erscheint“.
Auch Sarason (1971) unterstreicht den ablehnenden Charakter der Angst und beschreibt diese als eine bewusste Erfahrung, die vom Ängstlichen als unlustbetont oder schmerzhafte Reaktion mit körperlichen Begleiterscheinungen wahrgenommen wird (vgl. Sarason, 1971, S.108).
Winkel indes definiert Angst als ein Gefahrensignal aufgrund innerer und äußerer Bedrohungen, welches sich als akut auftretender Erregungszustand oder ein chronisch gewordenes Persönlichkeitsmerkmal zeigt (vgl. Winkel, 1980, S. 26). In seinem Definitionsversuch wird deutlich, dass er bei Angst explizit zwischen Zustandsangst und Eigenschaftsangst unterscheidet. Diese Differenzierung hat ihren Ursprung bei Spielberger und wird nächstens in Kapitel 2.1.3 näher beleuchtet.
Offensichtlich haben die vorangegangen Definitionen gemeinsam, dass Angst als ein unangenehmes Gefühl oder unlustbetonter affektiver Zustand beschrieben wird.
Die Definitionsversuche von Krohne und Winkel haben zudem den Begriff der Erregung explizit gemein. Bereits anhand dieser begrenzten Auswahl an Begriffserklärungen wird das Dilemma des Angstbegriffs deutlich. Trotz jahrzehntelanger und umfassender Forschungsarbeit, werden die beteiligten Komponenten der Angst noch immer kontrovers diskutiert. Boisen, die der Flut von Definitionsansätzen ähnlich unbefriedigt gegenübersteht, fasst die verschiedenen Erklärungsversuche gewissermaßen zusammen und kennzeichnet Angst in ihrem Definitionsversuch als eine emotionale Reaktion auf eine Gefahrensituation oder auf die Antizipation derselben. Sie wird als unangenehm wahrgenommen, ist von physiologischen Veränderungen wie Blutdruckanstieg, Schweißausbruch, Zittern, Erblassen oder Weinen begleitet und ruft Verhaltensänderungen hervor (vgl. Boisen, 1975, 8f).
2.1.2 Angst und Furcht
Aufgrund ihrer unmittelbaren semantischen Nähe werden die Begriffe Angst und Furcht in der Alltagssprache oftmals synonym verwendet und bezeichnen gemeinsam eine emotionale Erregung im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Gefahr (vgl. Sörensen, 1994, 4). Forscher und Angsttheoretiker jedoch trennen beide Bezeichnungen strikt voneinander. Die Abgrenzung von Angst und Furcht geht auf den dänischen Philosophen Kierkegaard zurück. Das Hauptkriterium für die Differenzierung liegt bei den Rahmenbedingungen liegt, die für den Gefühlsausbruch verantwortlich sind (vgl. ebd.). Während Angst eine unbestimmte, gegenstandlose, anonyme, unmotivierte Emotion darstellt, ist Furcht die bestimmte, auf einen bedrohlichen Gegenstand oder eine gefährliche Situation gerichtete, benennbare und demnach entsprechend motivierte Gefühlslage, sozusagen die Furcht vor etwas (vgl. Boisen, 1975, S. 6). Mit anderen Worten ist Angst demnach ein frei flottierendes Gefühl ohne erkennbaren Auslöser und Furcht, im Gegensatz dazu, konkret objektbezogen. Auch Rach- man teilt die Meinung seiner deutschen Kollegen und unterscheidet beide Begriffe, weist aber deutlich darauf hin, dass die Grenzen der Verwendung beider Begriffe fließend sind. Er betont, dass die Unterscheidung nur selten eindeutig gefällt werden kann (vgl. Rachman, 2000, S. 11).
Für Baumann dagegen sind nicht ausschließlich die gegenstandsbezogenen Rahmenbedingungen das entscheidende Unterscheidungskriterium. Auch Angst ist immer auf etwas Konkretes bezogen, nur kennt die betroffene Person häufig den Gegenstand ihrer Angst nicht oder nicht mehr. Demnach bestehen die Unterschiede zwischen Angst und Furcht im Grad der Kenntnis bzw. der Unkenntnis der angstauslösenden Faktoren. Das Unwissen über die Angstauslöser als Differenzierungsmerkmal zwischen Angst und Furcht zu wählen, sei nach Baumann sinnvoller als die Gegenstandslosigkeit (vgl. Baumann, 2009, S. 254). Die nachfolgende Gegenüberstellung von Angst und Furcht in Tabelle 1 verdeutlicht die Unterschiede beider Gefühlszustände zusammenfassend noch einmal:
Tab. 1. Unterschiede von Angst und Furcht (nach Rachman, 2000, S. 12)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Neben den hier illustrierten Unterschieden haben Angst und Furcht nach Rachman auch einige nachweisliche Gemeinsamkeiten. Beide Gefühlslagen sind charakterisiert durch die Erwartung einer gefährlichen oder unangenehmen Situation und haben einen Erregungsanstieg zur Folge. Außerdem sind Angst und Furcht mit negativen Emotionen, Unruhe und körperlichen Begleiterscheinungen verbunden sowie auf Kommendes gerichtet (vgl. Rachman, 2000, S. 12).
2.1.3 Angst als Zustand und als Wesenszug
Eine weitere konzeptionelle Differenzierung des Angstbegriffs hat sich spätestens seit Spielberger (1966) durchgesetzt. Sein sogenanntes State-Trait-Modell besagt, dass Angst zum einen als momentaner Zustand (State), zum anderen auch als konsolidierte Eigenschaft (Trait) einer Person auftritt. Zuvor hatten bereits Cattell und Scheier (1961) diese beiden Konzepte faktorenanalytisch voneinander abgegrenzt. Auf der Grundlage zahlreicher Fragebogenstudien charakterisierte Spielberger Zustandsangst als die von einer Erregung des autonomen Nervensystems begleitete subjektive Wahrnehmung von Gefühlen der Besorgnis und Spannung. Eigenschaftsangst bzw. dispositionelle Angst, die in der Literatur oft auch als Ängstlichkeit tituliert wird, stellte er dagegen als Prädisposition dar, welche die Person veranlasst, eine Vielzahl von Situationen als bedrohlich zu erleben und dabei mit starker Zustandsangst zu reagieren. Zustands- und Eigenschaftsangst sind somit zwar in bestimmter Art und Weise miteinander verbunden, durch ihre Determinanten sowie Erscheinungs- und Äußerungsformen jedoch klar voneinander abgrenzbar (vgl. Sörensen, 1994, S. 6f). Eine große Anzahl von Untersuchungen (u. a. Schwenkmezger 1985) belegen diese Tatsache (vgl. Hoyer & Margraf, 2003, S. 5). Unter Zustandsangst kann man grundsätzlich ein Angstempfinden in spezifischen Situationen verstehen, welches folglich Veränderungen und Schwankungen unterliegt. Mit anderen Worten ist Zustandsangst ein vorübergehender Moment und selten von langer Dauer. Ein hoher Grad an Zustandsangst besteht besonders dann, wenn eine Person eine bestimmte Situation als bedrohlich für das eigene physische oder emotionale Wohlbefinden ansieht. Auch Menschen mit Eigenschaftsangst empfinden bestimmte Situation als bedrohlich. Diese Gefühlslage ist jedoch zeitlich überdauernd und kann sogar chronisch verlaufen, chronisch im Sinne einer Neigung, Angst zu verspüren (vgl. Krohne, 1996, S. 223). Aus diesem Grund wird in der Literatur oftmals auch von Angstneigung gesprochen. An Eigenschaftsangst leidende Menschen sind generell emotional labil, frustriert und haben eine eher niedrige Frustrationstoleranz. Zudem sehen sie ihren persönlichen Wert durch eine Vielzahl von Situationen bedroht und speziell dann, wenn in den angstbesetzten Umständen ein Versagen möglich ist.
Die Unterscheidung zwischen Zustandsangst und Eigenschaftsangst bezieht sich somit auf ein temporales Kriterium, nämlich der Dauer des Angstgefühls, während sich im Gegensatz dazu die zuvor erläuterte Differenzierung zwischen Angst und Furcht auf den Angstauslöser bezieht und somit ein kausales Kriterium innehat. Becker (1980) befasste sich ebenfalls mit dem Trait-State-Modell, sieht die Eigenschaftsangst jedoch nicht allgemein person-spezifisch, sondern eher mit der jeweiligen Situation kovariiert. Er geht davon aus, dass sich innere Angstneigung und bestimmte äußeren Situationen verbinden und so eine Interaktion eingehen. Aus einzelnen Angstsituationen errechnete er faktorenanalytisch die sechs folgenden Hauptbereiche der Eigenschaftsangst:
„1. Angst vor physischer Verletzung
2. Angst vor Erkrankungen und ärztlichen Behandlungen
3. Angst vor Abwertung und Unterlegenheit
4. Angst vor Normüberschreitung
5. Angst vor Auftritten
6. Angst vor Selbstbehauptung“ (Sörensen, 1994, S. 48).
Von besonderem Interesse für den Kontext dieser Arbeit treten die Bereiche 1, 3, 5 und 6 hervor. Sie sind typische Formen der Schulangst und werden an späterer Stelle in Kapitel 3.2 ausführlicher thematisiert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Zustandsangst ein momentaner emotionaler Zustand ist, welcher durch Anpassung, Besorgtheit, Nervosität, innere Unruhe und Furcht vor zukünftigen Ereignissen gekennzeichnet ist. Zustandsangst geht mit einer erhöhten Aktivität des autonomen Nervensystems einher, welches wiederum für die Funktionen innerer Organe und des Kreislaufs verantwortlich ist und diese an die Umweltbedingungen anpasst. Eigenschaftsangst dagegen ist eine erworbene und zeitstabile Verhaltensdisposition, ein Persönlichkeitsmerkmal, welches bei einem Individuum zu Erlebens- und Verhaltensweisen führt, eine Vielzahl von objektiv wenig gefährlichen Situationen als Bedrohung wahrzunehmen (vgl. Sörensen, 1994, S. 6f).
2.2 Theorien zur Angstentstehung
Ähnlich wie bei der Begriffserklärung von Angst, ist deren Entstehung bis zum heutigen Tage nicht genügend gesichert und bei der Beantwortung der Frage nach der Ätiologie der Angst trifft man in der Psychologie auf unterschiedliche Antworten und Ansichten. Seit Jahrzehnten untersuchen Wissenschaftler die Ursachen und Aspekte der Entstehung der Angst und obwohl zahlreiche Modifizierungen stattfanden, kann man von einer überschaubaren Anzahl von Basistheorien sprechen.
Im Folgenden wird daher ein grober Überblick über die drei bedeutendsten Angsttheorien gegeben, welche man sowohl grundlegend als auch in historischer Abfolge voneinander unterscheidet.
Während die psychoanalytische Theorie Angst als Folge eines inneren Konflikts betrachtet, wird aus behavioristischer Perspektive Angst als gelernte Reaktion und als gelernter Triebreiz gesehen. Kognitionstheoretiker wiederum legen den Schwerpunkt bei der Entstehung von Angst auf bestimmte Bewertungsprozesse (vgl. Sörensen, 1994, S. 11).
2.2.1 Psychoanalytischer Ansatz
Sigmund Freud, der Begründer und gleichzeitig bedeutendste Vertreter der Psychoanalyse, der „Wissenschaft von den unbewussten seelischen Vorgängen“ (Asanger & Wenniger, 2000, S. 579), setzte sich intensiv mit der Theoriebildung der Angst auseinander und ging davon aus, dass Angst etwas Empfundenes ist, ein Affektzustand, der mit Unlustgefühlen verbunden und nicht einfach zu erfassen ist. Er beschrieb den Angstzustand als eine Anspannungssteigerung mit resultierenden Abführreaktionen (erhöhter Herzschlag und Puls, Atemrhythmus, Schweißausbrüchen) sowie der Wahrnehmung dieser Vorgänge (vgl. Krohne, 1996, 154f). Bereits im Jahre 1894 beschrieb Freud in seiner ersten Angsttheorie, der ,Theorie der Angstneurose’, Angst als einen „[...] Affektzustand mit physiologischen, verhaltensmäßig-motorischen und subjektiven Komponenten, der dann entsteht, wenn sich ein Individuum unfähig fühlt, bestimmte Aufgaben durch entsprechende Reaktionen zu bewältigen. Sind diese Aufgaben in der Umwelt des Individuums zu lokalisieren, so ist die entstandene Angst gleichsam eine ,norma- le’. Liegen sie jedoch in Form einer Blockierung der Befriedigung (meist sexueller) Bedürfnisse im Individuum, so entsteht ,neurotische’ Angst. Neurotische Angst unterscheidet sich von ihrem ,normalen’ Pendant, dass sie im Individuum zu einem zeitlich erheblich länger erstreckten, erhöhten Niveau des Angsteffekts führt“ (zit. n. Krohne, 1996, 156f).
Durchdringende Triebbedürfnisse oder Sexualerregung führen schließlich zu Verdrängung, welche wiederum Angst erzeugt. Grundsätzlich seien es meist unterdrückte sexuelle Triebe und Bedürfnisse, die Freud als eigenes Unvermögen ansah und welche letztlich Angst erzeugen. Angst entstehe somit aus der Unterdrückung unbewusster, meist sexueller Impulse und sei gleichzeitig eine Möglichkeit, diese unterdrückten Impulse abzuführen. Weiter führe eine starke Triebspannung zu Verdrängung und somit zu Angst. Laut Freuds erster Theorie entsteht Angst also aus einer inneren Spannung und kann mitunter chronisch verlaufen. Die so genannte Angstneurose ähnelt dabei sehr stark der dispositionellen Angst bzw. der Angst als Wesenszug.
In seiner zweiten, ausführlicheren Theorie, der ,Signaltheorie der Angst’ aus dem Jahre 1926 beschrieb Freud die Ursache der Angst nicht mehr ausschließlich in dem unterdrückten (Sexual-)Trieb, sondern Angst sei nun vielmehr als Warnung vor einer antizipierten Gefahr zu sehen, sozusagen als Signal einer bevorstehenden Bedrohung. Außerdem sei die Angst Voraussetzung für bestimmte Abwehrmechanismen wie u. a. Verdrängung, Isolierung oder Projektion. Teilweise revidierte Freud seine erste Angsttheorie und erweiterte zudem die Entstehungsfaktoren der Angst. Nun seien auch bestimmte Bedingungen außerhalb des Individuums verantwortlich für die Entstehung von Angst. Neben der inneren Regung spielen demnach auch externe Faktoren eine tragende Rolle (vgl. Krohne, 1996, 156f; Sörensen, 1994, 12).
Grundlage dieser zweiten Theorie ist die Annahme, dass die menschliche Psyche aus den drei Instanzen Es, Ich und Über-Ich bestehe. Das Es repräsentiert dabei die menschlichen Grundbedürfnisse und Triebe wie z.B. Aggression, Sexualtrieb, Hunger oder Durst und besteht vorwiegend aus Forderungen. Ohne jegliche Rücksicht auf Folgen und Moral verlangen diese sofortige Befriedigung und Verwirklichung. Das Es kann somit auch als Motor oder Triebfeder des Menschen bezeichnet werden. Daneben verfügt das Über-Ich über alle individuell gesammelten Erfahrungen, ist verantwortlich für Ver- und Gebote und kann daher mit dem Gewissen verglichen werden. Schließlich stellt das Ich die Persönlichkeit selbst dar, nimmt Informationen wahr, verarbeitet diese und entwickelt ggf. erforderliche Problemlösungen. Aus diesem Grund kann das Ich als Verstand angesehen werden und vermittelt zwischen dem Es, dem Über-Ich und der Realität. Die äußeren Instanzen Über-Ich (moralische Forderungen) und Es (lustbetonte Forderungen) strömen schließlich auf das Ich ein, welches dann vermitteln und abwägen muss, um eine adäquate Reaktion hervorzurufen. Kommt es währenddessen zu einem Konflikt, entstehen Angstgefühle. Das Ich ist demnach die eigentliche Angststätte der zweiten Theorie (vgl. Krohne, 1996, 156f; Sörensen, 1994, 12).
Als „Prototyp der Angstsituation“ (Sörensen, 1994, S. 14) bezeichnete Freud die Geburt des Menschen:
„Ansatzpunkt für die zweite Fassung der Freud'schen Angsttheorie ist das so genannte Geburtstrauma, das als erste elementare und unausweichlich schmerzhafte Erfahrung des Organismus bezeichnet werden kann. Die zu diesem Zeitpunkt auftretenden physiologischen Begleitprozesse werden gewissermaßen zur Signalfunktion für das „Ich“, stellen also eine in jeder späteren Situation automatisch wiederkehrende Reaktionsform dar, die es dem „Ich“ ermöglicht, rechtzeitig mit Abwehmechanismen zu reagieren“ (Walter, 1978, S. 31).
Die Angstempfindungen dieser Ur- oder Primärangst während der Geburt werden also gespeichert und im Laufe des Lebens immer wieder reaktiviert und abgerufen. Spätere Ängste gehen somit immer auf das traumatische Geburtsereignis zurück. Das würde bedeuten, dass alle Ängste eine unbewusste Erinnerung bzw. Reproduktion des bedrohlichen Geburtsaktes darstellen. Grundlegend unterschied Freud drei Formen der Angst. Die Realangst entsteht durch einen Konflikt zwischen dem Ich und der Realität und ist die Reaktion des Ichs auf eine konkrete Gefahr in der unmittelbaren Umwelt (vgl. Sörensen, 1994, S. 13ff). Somit entspricht die Realangst als Angst vor bestimmten äußeren Gefahren der Furcht. Die neurotische Es-Angst stellt einen Konflikt zwischen dem Ich und dem Es dar. Können menschliche Grundbedürfnisse und Triebe aufgrund gesellschaftlicher Normen bzw. Tabus nicht befriedigt oder realisiert werden, kommt es unweigerlich zur Verdrängung dieser. Wird die Triebspannung zu hoch, entstehen Angstgefühle, die sich in Angstneurosen verhärten können. Die Angstneurose ist dabei mit der Angst als Wesenszug vergleichbar (vgl. ebd.). Die dritte Angstform nach Freud ist die moralische Über-Ich-Angst. Sie entsteht aus einem Konflikt zwischen dem Ich und dem Über-Ich. Die eigentliche Ursache des Konflikts ist die Reaktion des Über-Ichs auf Triebwünsche. Es ist die Angst vor Bestrafung aus dem Über-Ich, die vom Ich als Schuld- oder Schamgefühl erlebt wird und kann so auch als Gewissensangst bezeichnet werden (vgl. ebd.; Boisen, 1975, S. 10).
Prinzipiell sind die psychoanalytischen Theorien Freuds kritisch zu betrachten, da die Instanzen Ich, Es und Über-Ich hypothetische Konstrukte sind, die lediglich aufgrund von Selbst- und Fremdbeobachtungen entstehen und somit auf keiner empirischen Grundlage beruhen (vgl. Sörensen, 1994, S. 13ff).
2.2.2 Behavioristischer Ansatz
Im Gegensatz zum psychoanalytischen Ansatz beschäftigt sich die behavioris- tische Theorie mit der empirischen und experimentellen Angstforschung und vertritt die Auffassung, dass Angst durch Lernen entsteht. Somit ist jedes menschliche Verhalten in nachvollziehbare Reiz-Reaktions-Schemata zerlegbar. So folgt einem Reiz (Stimulus) eine Reaktion (Response) und durch diese Verbindung entsteht schließlich eine Gewohnheit (Habit). Diese Verkettungen werden auch als Reflexe bezeichnet. Lerntheoretiker unterschieden diese in angeborene und erlernte Reflexe. Angst zählt aus behavioristischer Sicht zu den erlernten Triebreizen auf Grundlage einer angeborenen Neigung des Menschen, Schmerz zu vermeiden. Außerdem gehen Behavioristen davon aus, dass Menschen aus den Folgen ihrer Handlungen lernen, wobei Lob und Strafe eine entscheidende Rolle einnehmen (vgl. Sörensen, 1994, S. 15ff). Ein bedeutender Vertreter dieser Theorie ist Mowrer, dessen bekannte Lerntheorie nächsthin umrisshaft dargestellt wird. Grundsätzlich basieren behavioristische Angsttheorien auf Modellen des klassischen und operanten Konditionierens, bei dem bereits vorhandenes Verhaltensrepertoire und spontanes Verhalten genutzt werden, um neue Verhaltensmuster zu erzeugen. Von ebenso großer Bedeutung ist die sogenannte Reizgeneralisierung. Sie bedeutet, dass nach dem Erlernen einer Reaktion auf einen ganz bestimmen Reiz, dieselbe Reaktion auf ähnliche Reize, die mit dem konditionierten Reiz in Verbindung gebracht werden, erfolgen kann. Das typische Beispiel der Hundeangst verdeutlicht das Prinzip der Reizgeneralisierung. Eine Person wird von einem Hund gebissen oder erschreckt und durchlebt mehrere Male Angstzustände. Diese Angst kann sich generalisieren und die Person hat ab nun Angst vor allen Hunden. Sogar ein Ausdehnen dieser Angst auf andere Tierarten ist in Extremfällen möglich (vgl. ebd.).
Mowrer, einer der ersten Lerntheoretiker, der sich experimentell mit der Angst beschäftigte, versuchte, in seiner Zwei-Faktoren-Theorie Angst durch klassisches und instrumentelles Konditionieren zu erklären. Die Kombination beider Konditionierungen führt seiner Ansicht nach zur Ausbildung von Angst. Zunächst wird in der ersten Phase durch klassisches Konditionieren ein Angstgefühl aufgebaut. Hier wird die Reaktion eines Reflexes mit einem neutralen Reiz verbunden. Das folgende Beispiel verdeutlicht diese Phase:
„Ein Kind spielt mit einem Hund und versucht dabei, diesem einen Knochen wegzunehmen. Der Hund wird auf diese Aktivität des Kindes vermutlich mit drohendem Knurren und, falls das Kind von seinem Versuch nicht ablässt, mit einem Biß in die Hand reagieren“ (Krohne, 1976, S. 31).
Für das Kind stellt der Hund hier einen gelernten, neutralen Reiz dar. Reagiert der Hund jedoch mit einem aggressiven Verhalten und beißt zu, wird das Kind überrascht sein, denn damit hat es diesen Reiz bisher nicht in Verbindung gebracht. Daraus wird eine Angstreaktion ausgelöst. Die Folge dieses Ereignisses kann nun sein, dass das Kind zukünftig den Hund mit dem durch den Biss her- vorgerufenen Schmerz assoziiert. So tritt die Angstreaktion höchstwahrscheinlich auch auf, wenn nur der konditionierte Reiz, sozusagen der Hund alleine, auftritt.
Die zweite Phase Mowrers Lerntheorie beschreibt die instrumentelle Konditionierung. Ungleich der ersten Phase geht es hier ferner um die Ausbildung einer Angstreaktion, sondern eher um deren Stabilisierung. Mowrer geht davon aus, dass es in Zukunft zu bestimmten Vermeidungsreaktionen kommen wird, ist die Angst erst einmal erlernt worden. Ganz bewusst oder unbewusst versucht die betreffende Person, bestimmte Orte und Situationen zu vermeiden, die sie mit dem Angstreiz verbindet. Dieses Vermeidungsverhalten wird schließlich positiv verstärkt, da das unangenehme Angstgefühl verschwindet und dies somit als Belohnung empfunden wird. Die Person speichert die angenehmen Konsequenzen dieses Verhaltens und kann sie notfalls erneut abrufen. Das sich lohnende Verhalten wird schließlich wiederholt und somit zur Gewohnheit (vgl. Sö- rensen, 1994, S. 18).
2.2.3 Kognitionstheoretischer Ansatz
Während Vertreter behavioristischer Theorien Angst als Reiz-ReaktionsVerbindungen erklären, orientieren sich kognitive Angsttheoretiker wie Lazarus eher an Kognitionen bzw. mentalen Informationsverarbeitungsprozessen und sehen Angst als Folge von Erwartungen und Bewertungen von Situationen. Angst wird demnach als Ergebnis eines subjektiven Bewertungsprozesses gesehen. Eine Person reagiert auf einen bestimmten Reiz demnach erst dann mit Angst, wenn dieser als bedrohlich oder gefahrenvoll interpretiert und bewertet wird. Diese Einschätzung hat schließlich eine Emotion, in dem Falle Angst, als Folge. Lazarus befasste sich als einer der ersten Wissenschaftler mit dieser Haltung und entwickelte die kognitiv-emotionale Stresstheorie, die hieran summarisch beschrieben wird (vgl. Krohne, 1996, S. 252ff).
Grundsätzlich war er der Meinung, dass kognitive Faktoren wie Gedanken- und Bewertungsprozesse die Auslösung verschiedener Reaktionen beeinflussen und steuern. Jede Person bewertet demnach Situationen schon vor Handlungsbeginn in einem äußerst komplexen und mehrstufigen Prozess. Die verschiedenen Stufen der Bewertung sind die Primärbewertung, Sekundärbewertung und Neubewertung. Kommt es zu einem bestimmten Reiz, wird in der Primärbewertung zunächst nach dem Gefahrenpotenzial und dem Grad der Bedrohung gefragt. Wird der Stimulus als bedrohlich bewertet, kommt es in der Sekundärbewertung zur Selbsteinschätzung und es wird nach adäquaten Interventionsmöglichkeiten gefragt. Lazarus formulierte die Frage wie folgt:
„Ist die Gefahr größer, als die eigene Kraft, sind die mir zur Verfügung stehenden Bewältigungsstrategien und Maßnahmen zur Gefahrenbeseitigung ausreichend?“ (Krohne, 1996, S. 251).
Sind die individuellen Ressourcen ungenügend und verfügt die Person über keine oder nur unzureichende Bewältigungsstrategien, kommt es zwangsläufig zur Begleitemotion Angst.
Werden hingegen die vorhandenen Möglichkeiten, eine konkrete Gefahr abzuwenden, als zu gering eingeschätzt, folgt die Flucht und die (objektbezogene) Furcht wird als Begleitemotion genannt (vgl. Obidzinski, 2008, S. 31).
Können jedoch ausreichend individuelle Ressourcen und Kräfte mobilisiert und umgesetzt werden, kommt es zu einer positiven Abwendung der Gefahrensituation. Die Folge dieser Situation wäre der Angriff. Bei der Neubewertung geht es letztlich um die aktuelle Beurteilung der Situation, wie sie nun, nach der Reaktion, besteht. Eine neue Bewertungskette würde ausgelöst werden, wenn die Gefahr noch immer nicht beseitigt schiene. Demgemäß definiert Lazarus die Entstehung von Angst aus einer immer fortlaufenden Kette von kognitiven Bewertungen.
2.3 Funktionen der Angst
2.3.1 Schutzfunktion
So unterschiedlich die Meinungen der Wissenschaftler bezüglich der Begriffsklärung und Entstehung der Angst, so eindeutig und übereinstimmend sind deren Auffassungen in Hinblick auf die Schutzfunktion der Angst. Als fester Bestandteil menschlicher Existenz dient Angst als verlässliches Warnsignal für Gefahren, die von allem Unbekannten und Neuem ausgehen. Sie erhöht die Wachsamkeit des Menschen und löst bei drohenden Gefahrensituationen Fluchtverhalten aus, indem sie den Organismus durch eine Aktivierung des sympathikotonen Nervensystems im Sinne der Cannon’schen Notfallreaktion mobilisiert, um die drohende Gefahr abzuwenden (vgl. Spielberger, 1980, S. 65ff). Aus diesem Grund gehört Angst mit ihrer lebenserhaltenden Schutzfunktion unausweichlich zum täglichen Leben.
2.3.2 Antriebsregulation
Auch aus antriebsregulatorischer Sicht hat Angst eine immense Wirkung, da es dabei um die Erzeugung und Steigerungen der Motivation geht. Schließlich handeln Menschen nur, wenn sie motiviert sind. Motivation fungiert demnach als Energiequelle und Triebkraft, ohne die (sportliche) Leistungen nicht vollbracht werden können. Peseschkian & Boessmann (1998) sind gleicher Auffassung und betonen, dass Angst neben den Grundbedürfnissen eine mächtige, wenn nicht gar die stärkste Antriebskraft für das menschliche Verhalten ist (vgl. Peseschkian & Boessmann, 1998, S. 22f). Bei drohenden Gefahren oder neuen, unbekannten Situationen reagiert der Körper mit der Initiierung einer Reihe physiologischer Reaktionen wie Puls- und Herzfrequenzsteigerungen oder einem erhöhten Adrenalinspiegel, was eine Leistungssteigerung bewirkt. Gleichzeitig kommt es außerdem zu einer Erhöhung der Aufmerksamkeit und Handlungsmotivation. Ausschlaggebend für eine Bewegungs- oder Handlungsaktivierung bzw. -hemmung ist die Stärke des Angstreizes, die Komplexität der zu bewältigenden Aufgabe, bisherige Erfahrungen sowie der allgemeine Ängstlichkeitsgrad der betreffenden Person (vgl. Baumann, 2009, S. 95). Yerkes und Dodson stellten in diesem Zusammenhang fest, dass Angst in bestimmten Situationen durchaus eine motivationale Komponente besitzen kann. Wie bereits erwähnt, wird der menschliche Körper durch Angst in einen Erregungszustand versetzt. Ist dieses Erregungsmaß zu hoch, blockiert es das Handlungsverhalten der Person, ist es zu niedrig, fehlt der Anreiz und somit die nötige Motivation. Die Kurve verläuft also in umgekehrter U-Form und wird auch als Glockenkurve bezeichnet. Man kann daraus schließen, dass Menschen in Situationen mit einem mittleren, also optimalen Angstniveau, ein vergleichsweise hohes Maß an Aufmerksamkeit auf eine vorliegende Aufgabe richten können und sich dies positiv auf die Handlungsbereitschaft und -umsetzung auswirkt (vgl. Sö- rensen, 1994, S. 8f). Angst kann somit als situationsbedingte Antriebskraft bezeichnet werden.
2.3.3 Entwicklungsrelevanz
So unumgänglich Ängste zu unserem Leben gehören, so wiederholt und beständig treten sie in den unterschiedlichen Stadien der Ontogenese des Menschen auf. Für die individuelle Entwicklung sind Ängste von großer Bedeutsamkeit, da sie mit körperlichen, seelischen und sozialen Entwicklungsschritten verbunden sind (vgl. Riemann, 1997, S. 10). Ein solcher Schritt geht stets mit einer Grenzüberschreitung einher und fordert den Menschen, sich von etwas Gewohntem und Vertrautem zu lösen und im Gegenzug etwas Neues, Unvertrautes zu wagen (vgl. ebd.). Somit bedeuten das Annehmen und das Meistern der Angst einen Entwicklungsschritt und es kommt zu einem Reifungsprozess. Angst tritt also am ehesten an besonders wichtigen Stellen der menschlichen Entwicklung ins Bewusstsein. Nämlich dort, wo alte, vertraute Bahnen verlassen werden müssen und wo neue Aufgaben zu bewältigen oder Verhaltensänderungen notwendig sind. Reifung ist demnach eng mit Angstüberwindung verknüpft. Jedes Alter hat seine ihm entsprechenden Reifungsschritte mit den dazugehörigen Ängsten, die gemeistert werden müssen, wenn der Reifungsprozess gelingen soll (vgl. ebd.).
Generell kann Angst im Sinne eines Entwicklungsschrittes zwei Auswirkungen haben. Wird die Angst angenommen und sich konstruktiv mit ihr auseinandergesetzt, so ist damit ein Entwicklungsschritt verbunden, sozusagen eine Reifung der Persönlichkeit. Weicht die betreffende Person der Angst jedoch aus, ergibt sich aus dieser Haltung eine Stagnation oder sogar ein Entwicklungsrückschritt (vgl. Schwenkmezger & Hackfort, 1982a, S. 374).
Abschließend ist hierzu festzuhalten, dass Angst mit ihrer übergeordneten Schutzfunktion durch Warnung vor gefährlichen Situationen bei der Ausprägung und Entwicklung eines Gefahrenbewusstseins besonders im Kindesalter eine entscheidende Rolle einnimmt und so im Kontext Schulangst von großer Bedeutung ist. Es ist somit die Aufgabe der Schule bzw. des Sportunterrichts, die individuelle Persönlichkeitsentwicklung der Schüler durch die Stärkung des Gefahrenbewusstseins zu fördern und nachhaltig zu prägen.
2.4 Schulangst als spezielle Form der Angst
Eine von vielen Erscheinungsformen der Angst ist die Schulangst, die tagtäglich im schulischen Leben auftritt und somit für Schüler und Lehrer eine bedeutende Rolle spielt. Jeder kennt sie und hat sie zu Schulzeiten mehr oder weniger am eigenen Leibe erfahren. Doch was genau ist unter Schulangst zu verstehen, einem Zustand, der individuell so unterschiedlich auftritt bzw. verläuft und den Schulalltag oft unerträglich macht?
Im Gegensatz zur eher verwirrenden Begrifflichkeit von Angst, besteht hinsichtlich der Definition von Schulangst in der deutschsprachigen Angstforschung überwiegend Übereinstimmung und Einigkeit. Danach spricht man von Schulangst, „[...] wenn bei Kindern und Jugendlichen Angst in ihren verschiedenen Formen und Ausdrucksweisen im Rahmen des Bezugsfeldes Schule auftritt. Schulangst kann dabei situationsbezogen (Prüfungen, Leistungsnachweis, Schulbusfahren), personenbezogen (Lehrer, Mitschüler, Hausmeister) oder als dispositionelle Angst (Schulumwelt wird ständig als bedrohlich und gefährlich erlebt) auftreten“ (Leitner, Ortner & Ortner, 2008, S. 136).
Besonders Leistungssituationen stellen prekäre Konstellationen dar, da sich der Schulängstliche oftmals durch sie persönlich bedroht fühlt. Hier kommt das eigentlich zentrale Element für die Entstehung von Angst zum Vorschein. Auf Grundlage Lazarus’ Angsttheorie spielt die subjektive Bewertung die entscheidende Rolle.
„Eine bestimmte objektive Belastung wird demnach nicht zwangsläufig bei allen Schülern die gleiche Reaktion hervorrufen; denn: die gleichen Belastungssituationen werden von verschiedenen Individuen unterschiedlich interpretiert und verarbeitet“ (Strittmatter, 1987, S. 194).
Zu Schulangst kommt es also, wenn ein Schüler eine Leistungssituation als folgenreich einschätzt, aber gleichzeitig erhebliche Zweifel daran hegt, diese Ausnahmesituation bewältigen zu können. Entscheidend für die Beurteilung einer solchen Situation ist demnach, ob der Schüler über ausreichende Ressourcen und über ein adäquates Handlungsrepertoire verfügt. Ist dem nicht so und ist die Sachlage unsicher und unberechenbar, wird die Leistungssituation als bedrohlich interpretiert und es kommt zu Angstgefühlen mit womöglich fatalen Folgen für den Schüler.
Nicht nur Situationen, in denen Leistungen abverlangt werden, können zu Schulangst führen. Vielmehr sind die Ursachen für diese spezielle Erscheinungsform der Angst sehr vielfältig, was wiederum zu einer Reihe von Schulangstformen führt. So werden in der Literatur u. a. die eben angedeutete Leistungsangst, aber auch die Schullaufbahnangst, die Stigmatisierungsangst, die Trennungsangst, die Strafangst, die Personenangst, die Konfliktangst und die Institutionsangst von Schülern genannt (vgl. Leitner, Ortner & Ortner, 2008, S. 138).
An dieser Stelle wird deutlich, dass Schulangst hauptsächlich mit Schülern, also mit Kindern und Jugendlichen, in Verbindung gebracht wird. Allem Anschein nach leiden nur sie unter schulbezogenen Ängsten. Das Thema Schulangst bzw. Schülerängste ist nachweislich in der Literatur stärker repräsentiert als Lehrerängste (siehe u. a. Sarason, 1971; Winkel, 1980; Walter, 1978; Strittmatter, 1987; Katschnig, 1999; Tupaika, 2003; Schertler, 2004). Doch seit jeher ist Schule nicht nur für Schüler angstauslösend, sondern auch für die andere unmittelbar beteiligte Personengruppe - die Lehrer.
Im Vergleich zur Definition der ,Schulangst der Schüler’ erweist es sich in der Literatur als so gut wie aussichtslos, eine einheitliche definitorische Erklärung der ,Schulangst der Lehrer’ bzw. des Lehrerangst-Begriffes zu finden. Vielmehr kann man von einer definitorischen Insuffizienz sprechen, wobei die meisten Autoren der verhältnismäßig überschaubaren Literatur zu diesem Thema Lehrerängste global eher als negative Gefühle umschreiben. Diese sind an bestimmte Situationen gebunden und werden durch Hilflosigkeit, Ungewissheit, Unsicherheit und Bedrohung verursacht (vgl. Brück, 1978, 9-43; Weidenmann, 1978, 15-23). Die Möglichkeit des Scheiterns während dieser (Unterrichts-) Situationen wird vom Lehrer subjektiv als Bedrohung interpretiert, weil sein Handlungsrepertoire womöglich nicht zur gewünschten Situationsbewältigung führen könnte, was schließlich als Hilflosigkeit aufgefasst wird. Die fragwürdige Effektivität der zur Verfügung stehenden Bewältigungsstrategien drückt sich dann in Ungewissheit aus.
Katschnig (2004a, S. 14f) versucht währenddessen in ihrer Definition, die Vielschichtigkeit der Ursachen von Lehrerängsten zu involvieren und wird m. E. einer kohärenten Begriffsklärung gerecht:
„Es ist die Angst, die bei Lehrer/inne/n auftritt, wenn sie sich durch die Schule belastet fühlen, sei es auf Grund des Schulklimas (wofür verschiedene Personengruppen verantwortlich gemacht werden: Schüler/innen, Kolleg/inn/en, Eltern, Vorgesetzte), auf Grund des schlechten Images/Ansehens des Lehrerberufs in der Öffentlichkeit, auf Grund verschiedener Anforderungen oder auf Grund ihrer eigenen persönlichen Lebensumstände (emotionale Stabilität) bzw. fehlender Bewältigungsstrategien“.
Obwohl die Schulangst der Schüler und die des Lehrers begrifflich erklärt wurden, erscheint mir eine derartige differenzierte Darstellung und Gegenüberstellung als unangebracht. Schulangst kann alle Akteure im schulischen Leben betreffen und eine adäquate Definition sollte somit vielmehr beide Personengruppen (Schüler und Lehrer) berücksichtigen und das Phänomen mehrperspektivisch beleuchten. Vergleicht man beide Definitionen der Schulangst der Schüler sowie der Lehrer und verbindet die Kernaussagen miteinander, so erhält man die folgende, beide Personengruppen einbeziehende Begriffserklärung der Schulangst:
Man spricht von Schulangst, wenn bei Schülern und Lehrern Angst in ihren verschiedenen Formen und Ausdrucksweisen im Rahmen des Bezugsfeldes Schule auftritt. Die Schulangst beider Personengruppen kann dabei situations- und personenbezogen sein oder persönlichkeitspsychologische Ursachen haben. Situationsbezogene Ursachen bei Schülern können u. a. Prüfungen oder die Exponiertheit sein, bei Lehrern sind es meist Unterrichtsstörungen durch schwierige Schüler oder fachbezogene Belastungen. Personenbezogene Faktoren für die Schulangstentstehung bei Schülern sind meist Lehrer oder Mitschüler, während seitens der Lehrer Vorgesetzte, bestimmte Schüler oder Kollegen Angst auslösen können. Persönlichkeitspsychologische Ursachen für die Schulangst können bei allen Beteiligten die dispositionelle Angst, aber auch die emotionale Labilität sein. Im Gegensatz zu den Schülern, können bei Lehrern außerdem systembezogene Ursachen wie etwa die gesellschaftliche Allokationsfunktion des Lehrerberufs sowie das Infragestellen der Autorität verantwortlich für die Entstehung von Schulangst sein.
Die konkreten Unterschiede beider Schulangstformen werden in den folgenden Kapiteln dargestellt und sollen verdeutlichen, wie vielschichtig die beteiligten Faktoren der Angst im Kontext Schule sind. Die Vorgehensweise bei der Betrachtung der jeweiligen Form der Schulangst ist aus diesem Grund bewusst ähnlich gestaltet und beginnt mit möglichen Ursachen, gefolgt von Erscheinungsformen und endet mit für die Personengruppen entstehenden Konsequenzen.
3 Schulangst der Schüler
Zweifellos ist die Schule als jahrelanger Ort gemeinsamen Lernens und Arbei- tens maßgeblich für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes verantwortlich. Die Zeit des Heranwachsens ist wesentlich durch den täglichen Besuch dieses ,Ortes des Lebens’ geprägt. Schließlich bildet die Schule nach der Familie den Mittelpunkt für soziale Aktivitäten und ist die Lokalität, an der Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit verbringen. Genau er, dieser Ort, ist es, der nicht vollkommen angstfrei sein kann und soll. Damals wie heute ist die Schule als Erziehungsstätte angstauslösend und zwar nicht nur für Schüler, sondern auch für alle übrigen Beteiligten.
In diesem Kapitel geht es zunächst ausschließlich um die Schulängste der Schüler. Es werden ausgewählte epidemiologische Aspekte beleuchtet, die einen Überblick über Schülerängste geben. Eingangs werden angstauslösende Faktoren und Entstehungsbedingungen der Schülerangst erläutert. Hierbei fließen neben schulbezogenen Ursachen auch familiäre und soziokulturelle Element ein. Im Anschluss daran werden verschiedene Erscheinungsformen der Schulangst vorgestellt. Den Abschluss dieses Kapitel bilden typische Symptome der Schülerängste sowie daraus resultierende Folgen für betroffene Schüler.
Generell zählen Schüler im System der Schule als die schwächsten Mitwirkenden und für sie steht am Ende zudem am meisten „auf dem Spiel“. Genau diese Drucksituation und das Abhängigkeitsverhältnis sind offenbar ein optimaler Grundstock für Schülerängste. Experten gehen davon aus, dass zwischen 600.000 und 1,2 Millionen der derzeit zwölf Millionen Schüler an Schulangst leiden (vgl. Czermak, 2006). Man spricht sogar von einer „beginnenden Epidemie“ (ebd.), die sich fortwährend immer mehr ausbreitet. Auch eine aktuelle Studie des Instituts für Psychologie und des Zentrums für angewandte Gesundheitswissenschaften (ZAG) der Leuphana Universität Lüneburg bestätigt, dass Schülerängste zunehmen und die Situation akut ist. Nach der Studie leidet jeder dritte Schüler unter schulischem Stress und mehr als die Hälfte aller Schüler fühlen sich verzweifelt und erleben regelmäßig negative Gefühle. Zudem ist jeder zweite Schüler mit häufigen Beschwerden auch von Prüfungsangst geplagt (vgl. Leuphana Universität Lüneburg, 2010).
In der Literatur wie auch in der Öffentlichkeit wird Schulangst oftmals mit Schulphobie gleichgesetzt, obwohl beide Begriffe klar voneinander abzugrenzen sind. Schulangst umfasst einerseits Ängste, die generell auf die Schule gerichtet sind. Darunter fallen u. a. Leistungs- und Prüfungsangst, aber auch soziale Ängste vor Mitschülern oder Lehrern. Die Schulphobie ist dagegen eine spezielle Angststörung, die sich zwar auf bestimmte Art und Weise auf die Schule bezieht, welche aber ihre Ursachen nicht im schulischen, sondern vielmehr im individuellen und familiären Bereich hat. So gibt es bei der Schulphobie keinen direkten Bezug zur Schulsituation. Ferner geht man davon aus, dass eine übermäßig enge Bindung des Kindes an die Hauptbezugsperson, in der Regel die Mutter, zu Trennungsängsten und folglich zu Vermeidungsverhalten führt. Demzufolge ergeben sich in der Literatur je nach definitorischer Abgrenzung beider Phänomene Häufigkeitsdaten von Schulangst zwischen fünf und sechzig Prozent (vgl. Leitner, Ortner & Ortner, 2008, S. 136ff).
3.1 Auslöser und Ursachen
So komplex sich Schulangst in ihren verschieden Formen darstellt, so vielseitig sind ergo die entsprechenden Ursachen und Auslöser. Dabei sind besonders drei Bedingungsbereiche zu nennen, die gemeinhin entscheidende Impulse für das Aufkommen von Schulangst liefern und zu ihrer Entfachung beitragen können (vgl. Schertler, 2004, S. 789). Im Folgenden wird eine Reihe von Ansatzpunkten dieser drei Ursachenbereiche dargestellt.
3.1.1 Soziokulturelle Bedingungen
In unserer Gesellschaft gibt es wenig Spielraum für Menschen, die sich weit entfernt von Perfektion und angemessener Performance befinden. So makaber es auch klingen mag, in dieser von Leistung geprägten Gesellschaft wird der Wert eines Menschen an seiner Leistungsfähigkeit gemessen. Die Institution Schule stellt dabei keine Ausnahme dar. Hier werden Leistungen gefordert und das Nichterbringen derselben führt zwangsläufig zu einer Wertminderung des Schülers (vgl. ebd.). Schließlich hat die Schule neben ihrer Qualifikations- und Integrationsfunktion auch die Aufgabe zu selektieren, resp. Schüler zu weiterführenden Ausbildungsgängen, zu Positionen und Laufbahnen in der Gesellschaft zuzuordnen. Damit sind unvermeidlich auch die Verweigerung von Chancen und die Zurückweisung von Ansprüchen verbunden. Letztlich gliedert Schule die Schüler in die Sozialstruktur, also in das Oben und Unten der Gesellschaft, ein und bestimmt so den Wert eines Menschen. Dabei dienen die individuellen Schülerleistungen als Grundlage für selektive Maßnahmen (vgl. Prohl, 1999, S. 103). Diese Tatsache und Notwendigkeit macht bestimmte Schulsituationen so bedrohlich und führt zu negativ empfunden Emotionen auf Seiten der Schüler.
3.1.2 Familiäre Sozialisation
Als primäre Sozialisationsinstanz und wichtigster Sozialisationsträger stellt die Familie die bedeutendste Ursache für den Ausbruch von Schulangst dar (vgl. Schertler, 2004, S. 789; Zimmermann, 2006, S. 164; Joas, 2007, S. 150). Um die Bedeutsamkeit dieses Ursachenbereichs zu verdeutlich, empfiehlt sich zunächst eine grundlegende Begrifferklärung. So versteht man unter Sozialisation „den Prozess, in dessen Verlauf sich der mit einer biologischen Ausstattung versehene menschliche Organismus zu einer sozial handlungsfähigen Persönlichkeit formt.
[...]
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.
- Arbeit zitieren
- Andreas Nauhardt (Autor:in), 2010, Schulangst im Kontext Sportunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/156540
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