Jungen sehen anders aus als Mädchen. Sie haben nicht nur andere Geschlechtsorgane, sondern ihnen werden auch andere Verhaltensweisen als Mädchen zugesprochen. Die Masse der Mädchen scheint soziale Fähigkeiten besser zu beherrschen als Jungen, denen oft aggressive Verhaltenstendenzen nachgesagt werden. Woran liegt diese offensichtlich nicht aus der Luft gegriffene Tatsache der Differenz zwischen weiblichem und männlichem Verhalten? Woher kommen die Unterschiede? Sind es biologische Grundlagen, die Jungen am liebsten mit Jungen spielen lassen? Was kann Umwelt dabei beeinflussen? Was ist an diesem Verhalten grundsätzlich vorbestimmt und inwieweit sind Geschlechterrollen flexibel?
Geschlecht bestimmt in besonderem Maße das Leben und damit verbunden auch die Entwicklung des einzelnen Individuums. Diese Arbeit legt die Bedeutung des Geschlechts für die Sozialisation dar und versucht, Erklärungsansätze für oben genannte Fragen zu finden, sowie Bedingungen der Sozialisation in Verbindung zu bringen. „Allerdings ist Sozialisation in der Kindheit besonders prägend wegen der Plastizität des kindlichen Organismus.“ (Prengel in Glücks/Ottemeier-Glücks, S. 63) Der Mensch scheint unberührt, formbar und besonders empfänglich für Umwelteinflüsse. Deshalb beschränkt sich diese Arbeit auf Mädchen und Jungen von der Geburt bis ins Vorschulalter.
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
1. Begriffsbestimmung
1.1. Sozialisation
1.2. Geschlechtstypisch – geschlechtsspezifisch
1.3. Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter
2. Bedeutung des Geschlechts
2.1. allgemeine Aussagen
2.2. Beobachtung der Geschlechtertrennung
2.3. Geschlechtsrollenstereotype
3. Erklärungsmuster und Einflüsse auf die Sozialisation
3.1. Biologische Grundlagen
3.2. Psychologische Grundlagen
3.3. Kognitive Einflüsse
3.4. Gesellschaft/ Politik und Kultur als einflußnehmende Faktoren
3.5. Sozialisationstheoretische Einflüsse
4. Kontext von Biologie, Psychologie, Gesellschaft, Kognition und Sozialisation
5. Praktische Schlußfolgerungen
6. Schlußbemerkung
7. Literatur- und Quellenverzeichnis
8. Anhang
8.1. Auflistung stereotyper Assoziationen zu männlichen und weiblichen Eigenschaften
8.2. Einige statistische Beispiele
0. Einleitung
Jungen sehen anders aus als Mädchen. Sie haben nicht nur andere Geschlechtsorgane, sondern ihnen werden auch andere Verhaltensweisen als Mädchen zugesprochen. Die Masse der Mädchen scheint soziale Fähigkeiten besser zu beherrschen als Jungen, denen oft aggressive Verhaltenstendenzen nachgesagt werden. Woran liegt diese offensichtlich nicht aus der Luft gegriffene Tatsache der Differenz zwischen weiblichem und männlichem Verhalten? Woher kommen die Unterschiede? Sind es biologische Grundlagen, die Jungen am liebsten mit Jungen spielen lassen? Was kann Umwelt dabei beeinflussen? Was ist an diesem Verhalten grundsätzlich vorbestimmt und inwieweit sind Geschlechterrollen flexibel?
Geschlecht bestimmt in besonderem Maße das Leben und damit verbunden auch die Entwicklung des einzelnen Individuums. Diese Arbeit legt die Bedeutung des Geschlechts für die Sozialisation dar und versucht, Erklärungsansätze für oben genannte Fragen zu finden, sowie Bedingungen der Sozialisation in Verbindung zu bringen. „Allerdings ist Sozialisation in der Kindheit besonders prägend wegen der Plastizität des kindlichen Organismus.“ (Prengel in Glücks/Ottemeier-Glücks, S. 63) Der Mensch scheint unberührt, formbar und besonders empfänglich für Umwelteinflüsse. Deshalb beschränkt sich diese Arbeit auf Mädchen und Jungen von der Geburt bis ins Vorschulalter.
1. Begriffsbestimmung
1.1. Sozialisation
Unter Sozialisation wird ein Prozeß verstanden, „...in dem der nur mit rudimentären Instinkten geborene, aber für vielfältige Lernprozesse offene Mensch durch die allgemeinen sozialen, ökonomischen und kulturellen Verhältnisse wie durch spezielle Sozialisationsagenturen der jeweiligen Gesellschaft so geformt wird, daß er ihnen gemäße Einstellungen und Verhaltensweisen entwickelt und schließlich als Erwachsener zum arbeitsteiligen Reproduktionsprozeß seiner Gesellschaft beitragen kann.“ (Becker/Mulot/Wolf 1997, S.877)
Es steht fest, daß vielfältige Faktoren die Sozialisation beeinflussen, jedoch auch von einer biologischen Determiniertheit hinsichtlich der Grenzen und Voraussetzungen für Sozialisation ausgegangen werden kann.
„Sozialisation meint zunächst die ,zweite soziokulturelle Geburt des Menschen‘ “ (Claessens in Kreft/Mielenz 1996, S.536)
Im Zuge der Sozialisation wird der Mensch auf Grund seiner individuellen Vorgaben geprägt.
Desweiteren handelt es sich bei sogenannten Sozialisationsprozessen um lebenslang andauernde, nie abgeschlossene Wechselverhältnisse zwischen Individuum und Gesellschaft (nach Glücks/Ottemeier-Glücks 1996, S.62).
Kern der Sozialisation ist das Kennenlernen von Werten und Einstellungen. Kinder gleichen Geschlechts haben gleiche Normen und Werte zu erlernen und Kinder unterschiedlichen Geschlechts eine Vielzahl unterschiedlicher Wertvorstellungen.
Grenzen der Sozialisation werden bei der Betrachtung erkennbar, ob die unterschiedlichen Normen typisch oder spezifisch für ein bestimmtes Geschlecht sind.
1.2. geschlechtstypisch – geschlechtsspezifisch
„Geschlechtsspezifisch ist ein Merkmal nur dann, wenn es ausschließlich bei einem Geschlecht vorkommt.“(Beck 1997, S. 12) Es ist ein angeborenes Merkmal und an das spezielle genetische und morphologische Geschlecht gebunden.
Geschlechtstypische Merkmale unterscheiden sich „...zwischen den Geschlechtern nach Auftretenshäufigkeit oder Intensität“(Beck 1997, S. 11). Männer unterscheiden sich von Frauen in bestimmten Punkten weitaus mehr als innerhalb des männlichen Geschlechts.
1.3. Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter
Besonders im Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter sind geschlechtstypische Verhaltensweisen auf Grund der Nähe zur veranlagten biologischen Grundstruktur noch eng verwachsen mit geschlechtsspezifischen Merkmalen. Hier beginnen verschiedene Faktoren auf die unterschiedlichen Verhaltens- und Strukturmerkmale des Menschen einzuwirken.
Das Säuglingsalter beinhaltet das erste Lebensjahr des Kindes ab der Geburt.
Als Kleinkindalter wird die Zeit vom zweitem bis zum dritten Lebensjahr bezeichnet.
Das Vorschulalter umfaßt die Zeit, die dem Eintritt in die Schule vorausgeht, beginnt nach dem 3. Lebensjahr und endet mit dem Schuleintritt, mit ca. 6,3 bis 7,3 Jahren. (vgl. Laabs 1987, S.201/323/406)
2. Bedeutung des Geschlechts
2.1. allgemeine Aussagen
Innerhalb dieser ersten Lebensabschnitte und natürlich auch im weiteren Lebensverlauf ist die Kategorie „Geschlecht“ für die Sozialisation von signifikanter Bedeutung.
Geschlecht definiert sich über: - Eindeutigkeit (fast jeder Mensch ist entweder männlich oder weiblich)
- Naturhaftigkeit (Geschlechtszugehörigkeit muß biologisch begründet sein)
- Unveränderbarkeit (Geschlecht ist angeboren und kann nicht gewechselt werden, lediglich die Korrektur eines Irrtums ist denkbar)
(vgl. Glücks/Ottemeier-Glücks 1996, S. 33)
Geschlecht ist „...sichtbar, exklusiv, unveränderbar...“ (Bechdolf 1999,S.28), hat jedoch in seiner Gesamtheit eine biologische sowie eine soziale Komponente. Das biologische Wesen des Geschlechts ist festgelegt, das soziale Wesen von der biologischen Geschlechtlichkeit abhängig.
Die Bedeutung des Geschlechts einer Person wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, daß es neben dem Alter das wichtigste Merkmal ist, das zur Beschreibung einer Person herangezogen wird. „Es wird im Paß festgehalten, es bestimmt den Rufnamen, es geht in die soziale Anrede ein und bestimmt das menschliche Zusammenleben noch in vielerlei Hinsicht mehr.“ (Degenhardt/Trautner 1979, S.9) Geschlecht wird ebenfalls über Kleidung und familiäre sowie gesellschaftliche Aufgaben und Erwartungen gemessen.
Personen werden immer nach ihrem Geschlecht behandelt, es werden ihnen auf Grund ihres biologischen Geschlechts Genitalien unterstellt. So ist es „...unmöglich, sich nicht im System zu positionieren, nicht geschlechtlich zu handeln.“ (Bechdolf 1999, S. 31)
2.2. Beobachtung der Geschlechtertrennung in der Kindheit
Die Positionierung innerhalb der Geschlechtlichkeit erfolgt primär in der Kindheit. Speziell innerhalb der ersten Lebensjahre ist erkennbar, wie sich sukzessive Geschlechterrollen entwickeln und mit welchen typischen Verhaltensweisen sie einhergehen.
H.M.Trautner beschreibt drei grundlegende Komponenten der Geschlechterrollenentwicklung:
1. Wahrnehmung der eigenen Geschlechtsidentität (Geschlechtsidentität)
Dies bedeutet den Erwerb von Wissen über geschlechtstypische Unterscheidungsmerkmale, der sogenannten Selbstkategorisierung)
2. Annahme der geschlechtstypischen Rollenmerkmale (Geschlechtsrollenannahme)
Hier ist die Anpassung des Verhaltens an die geschlechtstypischen Rollenmerkmale gemeint, die geschieht, um bestimmte Erwartungen zu erfüllen.
3. Bevorzugung bzw. Höherbewertung männlicher oder weiblicher Rollenmerkmale (Geschlechtsrollenpräferenz)
(vgl. Trautner in Degenhardt/Trautner 1979, S. 51f.)
Besonders im Verhalten zu Eltern, Geschwistern und im Spiel mit Gleichaltrigen lassen sich Tendenzen dieser Geschlechtsrollenentwicklung feststellen.
Im Bezug auf die Entwicklung in den bestimmten Altersgruppen kann folgendes beobachtet werden (vgl. Maccoby 2000, S.27ff.):
Bei Säuglingen und Kleinkindern ist kein stärkeres Interesse an einem bestimmten Elternteil beobachtbar.
Allerdings wurden eine bevorzugte Nähe und Kompatibilität mit gleichgeschlechtlichen Geschwistern in Studien erkennbar.
Innerhalb der Gruppe findet in diesem Alter nur ein paralleles Spiel statt, so daß keine besondere Bedeutung des Geschlechts der Spielpartner besteht.
Ab dem dritten Lebensjahr sind neu gewonnene Freundschaften unter Kindern meist mit der Präferenz zum gleichen Geschlecht erkennbar. (à siehe auch Anhang 8.2. Beispiel b) Bei Mädchen ist dieses gleichgeschlechtliche Präferenzverhalten zeitiger als bei Jungen zu beobachten.
Ebenfalls treten bereits im dritten Lebensjahr schon häufiger verbale und körperliche Auseinandersetzungen der Jungen untereinander auf, als unter Mädchen.
Im Alter zwischen 3 und 5 Jahren steigen zunehmend die Möglichkeiten zum Umgang mit anderen Gleichaltrigen. Es bilden sich geschlechtergetrennte Gruppen heraus mit differenzierten Umgangsformen insbesondere im gemeinsamen Spiel. Mit zunehmendem Alter bevorzugen Kinder immer häufiger gleichgeschlechtliche Spielpartner. In einer Langzeitstudie von Jacklin und Maccoby wurde dies untersucht. „Im Alter von 6 ½ Jahren hatte sich das Verhältnis von gleichgeschlechtlichen zu andersgeschlechtlichen Spielpartnern auf 11:1 verschoben.“ (Maccoby 2000, S. 35)
Das Verhalten im Spiel in den Jungen- und Mädchengruppen nimmt also zunehmend getrenntgeschlechtliche Charakterzüge an. (à siehe auch Anhang 8.2. Beispiel c)
Jungen bevorzugen größere Gruppen, beanspruchen größeren Raum und spielen häufiger im Freien als Mädchen. Diese bevorzugen das Kleingruppenspiel meist innerhalb des Hauses.
Jungenspiele sind von starkem Körpereinsatz, ungestümem und wilderem Stil und Dominanz durch Körpereinsatz (Kräftemessen) geprägt. Mädchenspiele erscheinen ruhiger, denn Mädchen setzen Sprache (Überreden) zur Umsetzung von Dominanz ein.
Themen von Jungenrollenspielen sind zum Beispiel Polizist oder Cowboy. Themen der Rollenspiele innerhalb von Mädchengruppen beschäftigen sich oft mit Lehrerin-Kind- oder familiären Situationen, insbesondere Hausarbeit.
Zwischen 3 und 6 Jahren ist eine Zunahme des Gesprächsanteils und das Herausbilden geschlechtstypischer Gesprächsstile erkennbar. Mädchen bevorzugen kooperative Gespräche mit größerer Wechselseitigkeit. Jungen hingegen geben häufig direkte Befehle, setzen Verbote und Ablehnungen im Gespräch ein.
Im Bezug auf das Spielverhalten läßt sich bereits ab frühen Lebensjahren (und bis ins Erwachsenenalter hinein) „...eindeutig ein konstanter Geschlechtsunterschied in Bezug auf direkte (offen geäußerte) Aggression beobachten.“ (Maccoby 2000, S. 52) Diese geschieht bei Jungen häufiger als bei Mädchen, jedoch zielt Jungenaggression auch meist nur auf Jungen ab.
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- Arbeit zitieren
- Anja Hartmann (Autor:in), 2003, Geschlechtstypische Sozialisation im Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15596
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