Argula von Grumbach (1492-ca. 1568), geborene von Stauff, war die erste
Frau, die sich mit Flugschriften für die Reformation an die Öffentlichkeit wandte.
Was sie als Flugschriftenautorin von anderen Autoren der Reformation abhebt,
ist ihre Herkunft: Sie war eine Frau des Laienstandes von adeliger Abstammung.
Sie setzte sich für die causa Lutheri ein und vertrat wie Luther das ‚Sola
Scriptura’-Prinzip. Damit stand für sie ausser Frage, dass auch Laien (und
Frauen) berechtigt waren, sich öffentlich für die Reformation einzusetzen. Argula
von Grumbach war bereit, ihr persönliches Glück zurückzustellen und liess
sich auch durch hartnäckigen Widerstand nicht von ihrem Eintreten für das Bekenntnis
abbringen. Ihre acht Flugschriften erreichten grosse Auflagen, und sie
mag ihren Teil dazu beigetragen haben, dass zahlreiche Laien, besonders
Frauen, den Weg zur reformatorischen Erkenntnis gefunden haben.
Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Literatur immer wieder mit ihr auseinandergesetzt.
Entweder wurde von ihr ein der Abschreckung dienendes negatives
Bild gezeichnet, oder man stellte sie als grosses Vorbild dar.1 Engelhardt
schreibt 1860 über sie: „Sie gehört zu den edlen Seelen, welche hienieden unter
Thränen, aber mit starkem Muthe und getrostem Aufblicke zum Herrn Samen
der Ewigkeit gesäet haben. Ihnen gilt die Verheissung, dass sie dort mit
Freuden ernten werden.“2 Schon reformatorische Zeitgenossen waren von ihrem
Engagement angetan. So schreibt z.B. Johann Eberlin von Günzburg 1523
in einem Brief, es sei „eine wunderbarliche schickung Gottes, [...] das viel
weybsbild sich so fast bemuehen mit lesen heyliger schrifft, und [...] sich begeben
in grosse gfar, ehe sie wolten Gottes wort leugnen oder schwygen“ Zu
„eym ehrlichenn werckzeug“ habe Gott „die Edle frawen Argula von Grumbach“
erwählt.3
In der vorliegenden Seminararbeit widme ich mich vor allem den Flugschriften
Argula von Grumbachs und ihrem Reformationsverständnis, werde aber auch
kurz auf ihr Leben und die Bedeutung der Reformation für die Frauen der damaligen
Zeit, sowie publizierende Frauen in der Reformation im allgemeinen
eingehen.
1 vgl. HALBACH, SILKE, Argula von Grumbach als Verfasserin reformatischer Flugschriften, Frankfurt
1992, S. 13
2 ENGELHARDT, EDUARD, Argula von Grumbach, die Bayerische Tabea, Nürnberg 1860, S. 134
3 vgl. HALBACH, Argula, S. 9
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Forschungsstand – Argula von Grumbach im Spiegel der Literatur
3 Laienflugschriften der frühen Reformation
4 Frauen in der Reformation
4.1 Die Bedeutung der Reformation für Frauen
4.2 Publizierende Frauen der Reformationszeit
4.2.1 Katharina Zell
4.2.2 Ursula Weida
5 Argula von Grumbach
5.1 Biographie
5.2 Die Flugschriften
5.2.1 „Wie eyn Christliche / fraw des adels...“
5.2.2 „Ein Christennliche schrifft / einer erbarn frawen vom Adel...“
5.2.3 „An ein Ersamen / Weysen Radt der stat / Ingolstat / ain sandt / brieff...“
5.2.4 „Ermanung an den / Durchleuchtigen hochge / bornen fürsten und hern / herren Johannsen...“
5.2.5 „Dem Durchleuchtigisten / Hochgebornen Fursten und her= / ren / Herrn Friederichen...“
5.2.6 „An den Edlen / vnd gestrengen her / ren / Adam von Thering...“
5.2.7 „Ein Sendbrieff ... / An die / von Regenßburg“
5.2.8 „Eyn Antwort in / Gedichtßweiß“
5.3 Die Theologie Argula von Grumbachs
5.3.1 Bibelzitate
5.3.2 Sola Scriptura
5.3.3 Katholische Kirche
5.3.4 Martin Luther
5.3.5 Laienautoren
5.3.6 Propheten
5.3.7 Endzeiterwartung
5.3.8 Leidensbereitschaft
5.3.9 Gegenüber Gott – Mensch
5.3.10 Zusammenfassung
6 Quellen
7 Bibliographie
1 Einleitung
Argula von Grumbach (1492-ca. 1568), geborene von Stauff, war die erste Frau, die sich mit Flugschriften für die Reformation an die Öffentlichkeit wandte. Was sie als Flugschriftenautorin von anderen Autoren der Reformation abhebt, ist ihre Herkunft: Sie war eine Frau des Laienstandes von adeliger Abstammung. Sie setzte sich für die causa Lutheri ein und vertrat wie Luther das ‚Sola Scriptura’-Prinzip. Damit stand für sie ausser Frage, dass auch Laien (und Frauen) berechtigt waren, sich öffentlich für die Reformation einzusetzen. Argula von Grumbach war bereit, ihr persönliches Glück zurückzustellen und liess sich auch durch hartnäckigen Widerstand nicht von ihrem Eintreten für das Bekenntnis abbringen. Ihre acht Flugschriften erreichten grosse Auflagen, und sie mag ihren Teil dazu beigetragen haben, dass zahlreiche Laien, besonders Frauen, den Weg zur reformatorischen Erkenntnis gefunden haben.
Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Literatur immer wieder mit ihr auseinandergesetzt. Entweder wurde von ihr ein der Abschreckung dienendes negatives Bild gezeichnet, oder man stellte sie als grosses Vorbild dar.[1] Engelhardt schreibt 1860 über sie: „Sie gehört zu den edlen Seelen, welche hienieden unter Thränen, aber mit starkem Muthe und getrostem Aufblicke zum Herrn Samen der Ewigkeit gesäet haben. Ihnen gilt die Verheissung, dass sie dort mit Freuden ernten werden.“[2] Schon reformatorische Zeitgenossen waren von ihrem Engagement angetan. So schreibt z.B. Johann Eberlin von Günzburg 1523 in einem Brief, es sei „eine wunderbarliche schickung Gottes, [...] das viel weybsbild sich so fast bemuehen mit lesen heyliger schrifft, und [...] sich begeben in grosse gfar, ehe sie wolten Gottes wort leugnen oder schwygen“ Zu „eym ehrlichenn werckzeug“ habe Gott „die Edle frawen Argula von Grumbach“ erwählt.[3]
In der vorliegenden Seminararbeit widme ich mich vor allem den Flugschriften Argula von Grumbachs und ihrem Reformationsverständnis, werde aber auch kurz auf ihr Leben und die Bedeutung der Reformation für die Frauen der damaligen Zeit, sowie publizierende Frauen in der Reformation im allgemeinen eingehen.
2 Forschungsstand – Argula von Grumbach im Spiegel der Literatur
Nicht nur reformatorische Zeitgenossen wie Günzburg, Hubmaier, Lotzer, Osiander[4] und natürlich Luther selbst[5] äusserten sich wohlwollend über Argula, auch in historischen Werken fand sie im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Beachtung. Doch es waren vorerst fast ausschliesslich Pietisten, welche sich ihrer erinnerten. Im 1572 erschienenen ‚Historien der Martyrer’[6] wird Argula von Grumbach viel Platz eingeräumt. Dadurch, dass sie mit ihren Publikationen ihr Leben riskiert habe, gebühre ihr ein Platz unter Gottes Zeugen und Märtyrern, vor allem auch aufgrund ihres Trostes und der Ermutigung für das weibliche Geschlecht.[7] So auch 1688 bei Seckendorff[8] und 1730 bei Salig, welcher sie als grosse Liebhaberin der Wahrheit und der Lehre Luthers bezeichnet und von ihrem tiefen Glauben beeindruckt ist.[9]
Galt es, ihr Tun zu verurteilen, wurde sie als abschreckendes Beispiel einer untugendhaften, unbescheidenen Frau dargestellt, wie in dem leider verlorengegangenen Lustspiel „Argula von Grumbach“ Anton Nagels, welches gegen 1700 erschienen sein soll.[10]
Die erste Biographie erscheint 1737, geschrieben von dem Württembergischen Prediger Georg Rieger.[11] Er preist sie als ‚Bayerische Deborah’ und sieht ihre Frömmigkeit als Vorbild für die damaligen Frauen. Dieses Werk ist das erste in einer Reihe romantischer, unkritischer Biographien, welche wenig zum historischen Wissen über Argula von Grumbach beitragen.[12] Die bekannteste darunter ist wohl die 1860 erschienene von Engelhardt.[13] Eine unvollständige Edition Argulas Schriften erscheint 1845.[14]
Die moderne Forschung basiert hauptsächlich auf drei Aufsätzen von Kolde von 1905[15], welche sich sehr stark an Argula von Grumbachs Flugschriften orientieren. Während des Dritten Reiches pries Maria Heinsius Argulas Mut, sich gegen die damaligen Geschlechterverhältnisse zu wehren in ihrem Aufsatz ‚Das Bekenntnis der Frau Argula von Grumbach’[16] und später auch in ihrem Buch über Frauen der Reformationszeit.[17] Wichtig sind auch zwei Aufsätze von Robert Stupperich[18], in welchen er auch auf die (Überbewertung der) Bedeutung der Reformation für die Frau eingeht und – für den englischsprachigen Raum – das Werk über Frauen der Reformation von Roland Bainton,[19] welches Matheson allerdings als „a hurried piece of work, full of inaccuracies“ bezeichnet.[20]
In den letzten Jahren erschienen gleich mehrere Aufsätze und Monographien, welche sich mit Argula von Grumbach beschäftigen. So zum Beispiel Kurt Erich Schöndorfs ‚Argula von Grumbach, eine Verfasserin von Flugschriften in der Reformationszeit’[21], zwei Aufsätze von Irmgard Bizzel[22], eine bisher nicht publizierte Dissertation von Karin Wolff mit dem Titel ‚Argula von Grumbach und ihre reformatorischen Flugschriften’[23] und Merry Wiesners‚ ‚Women’s Response to the Reformation’[24]. 1992 erschien eine umfangreiche Monographie von Silke Halbach, welche eine tiefe Auseinandersetzung mit sowohl Argula von Grumbachs Leben und Werk, als auch mit der über sie erschienen Literatur bietet[25]. Leider enthält sie keine vollständige Edition von Argulas Flugschriften. Dies holt Peter Matheson 1995 teilweise nach: Argulas Werk ist in seiner Monographie jedoch nur in englischer Übersetzung verfügbar[26].
1999 erschien noch ein Aufsatz von Silke Halbach mit dem Titel ‚Publizistisches Engagement von Frauen in der Frühzeit der Reformation’[27], 2000 der Aufsatz ‚Legitimiert durch das Notmandat. Frauen als Verfasserinnen frühreformatorischer Flugschriften’, ebenfalls von Silke Halbach[28] und 2002 der Band „Nonnen, Prophetinnen, Kirchenmütter“ von Martin H. Jung[29], in welchem unter anderem das Selbstverständnis von Flugschriftenautorinnen am Beispiel Argula von Grumbachs erläutert wird.
Es ist bezeichnend, dass es bis heute keine gedruckte Edition sämtlicher Flugschriften von Argula von Grumbach in deutscher Sprache gibt (ausschliesslich ihr zweites Werk[30] ist verfügbar[31]), so muss immer wieder auf die Microfichen von Köhler zurückgegriffen werden[32].
Die Forschung ist sich heute darüber einig, dass Argula von Grumbach einen grossen Beitrag zur Flugschriftenliteratur der Frühreformation geleistet hat. Ihre Schaffenszeit fällt zwar in den Höhepunkt der Flugschriftenwelle der frühen 1520er Jahre, sie war jedoch einer der ersten Laienautoren und vor allem die erste Frau, welche sich in dieser Form in die theologische Diskussion einmischte. Allein ihre Schrift zum Fall Seehofer erreichte 14 Auflagen und wurde fast 30'000 mal verkauft – wesentlich mehr als andere Laienflugschriften oder sogar Schriften reformatorischer Theologen dieser Zeit.[33] Dies hängt wohl in erster Linie mit dem Populären Fall Seehofer zusammen, kann jedoch nicht allein damit abgetan werden, da auch keine andere Flugschrift, welche sich mit dem gleichen Fall auseinandersetzte, auf solche Resonanz stiess.[34] Vielmehr wird heute davon ausgegangen, dass der Erfolg ihres ersten Briefes vor allem darauf zurückzuführen ist, dass ein Laie aus dem Adelstand, dazu noch eine Frau, sich in religionspolitische Angelegenheiten mischte und es wagte, Gelehrte zu einer Disputation herauszufordern.[35] Ein weiterer Grund für das grosse Interesse mag der Umstand gewesen sein, dass Osiander ihre erste Schrift herausbrachte und auch mit einer Vorrede versah. Diese einleitenden Worte vermittelten den Lesern, dass ihnen mit dieser Schrift etwas ganz besonderes, noch nie dagewesenes begegne. Auch das mit einem Titelholzschnitt versehene Deckblatt dürfte aufgrund der dargestellten Szene Interesse geweckt haben.
Einig ist die Forschung auch, dass Argula von Grumbach sich vor allem durch den Laienautor Georg Schöningen, welcher bereits im Juni 1523 an die Universität Leipzig geschrieben hatte, und durch Luthers Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation: von des christlichen Standes besserung“[36] von 1520 angehalten fühlte, sich in den Streit einzumischen.
Warum diese Pionierin nicht eine Flut weiblicher Flugschriftenautorinnen nach sich zog, sondern nur einige wenige Nachfolgerinnen fand (siehe 4.2 Publizierende Frauen der Reformationszeit), bleibt eine offene Frage, welche auch in dieser Arbeit nicht beantwortet werden kann. Spekulationen, die den Grund im allgemeinen Rückgang der Flugschriftenproduktion oder im 1524 ausbrechenden Streit unter den verschiedenen Reformatoren suchen, liefern keine befriedigenden Erklärungen.
Diskussionspunkte sind heute eher inhaltlicher Natur: Wie gut kannte und verstand Argula die Schrift? Hatte sie schon Luthers ‚Septembertestament’ zur Hand? Welche Schriften Luthers hatte sie gelesen? Gab sie in ihren Publikationen nur Luthers Worte wieder? Was für ein Reformationsverständnis hatte sie? Was waren ihre Hauptanliegen?
Diesen Fragen soll vor allem in Kapitel 5.3 (Die Theologie Argula von Grumbachs) der vorliegenden Seminararbeit, nachgegangen werden.
3 Laienflugschriften der frühen Reformation
Zwischen 1500 und 1530 wurden allein in Deutschland mehr als 10'000 verschiedene Flugschriftenausgaben gedruckt,[37] die Microfiche-Edition von Köhler zählt 5000 Texte.[38] „Die Flugschriftenwelle von 1520 bis 1525 ist einmalig in der Geschichte der Buchproduktion bis ins 18. Jh. Das massenweise Schreiben, Drucken und Vorlesen von Flugschriften war ein Novum. Zwar stimmt es nicht, daß der Buchdruck zum erstenmal als Mittel der öffentlichen Meinungsbildung voll genutzt worden sei, er konnte aber für kurze Zeit, ungefähr sechs Jahre, fast von jedermann eingesetzt werden, um seine gesellschaftlichen und religiösen Lösungsvorschläge publik zu machen."[39] Doch was sind eigentlich Flugschriften? Köhler definiert eine Flugschrift als „eine aus mehr als einem Blatt bestehende, selbständige, nichtperiodische und nicht gebundene Druckschrift, die sich mit dem Ziel der Agitation und/oder der Propaganda an die gesamte Öffentlichkeit wendet."[40]
Die Zeit dieser in der Geschichte einmaligen Erscheinungswelle von Flugschriften fällt zusammen mit der Zeit vor Beginn der innerprotestantischen Kontroversen, der Zeit der „Lutherischen Engführung“. Diese Konformität und Homogenität der Reformatoren war es wohl auch, die die Laien ermutigte, ebenfalls für die gemeinsame Sache, das „Sola Scriptura“-Prinzip und die Rechtfertigung allein aus dem Glauben ein- und publizistisch aufzutreten.[41]
Gemeinsam ist den publizierenden Laien selbstredend, dass sie keine Geistlichen sind, keine universitäre theologische Bildung haben. Unter den Autoren sind verschiedenste Stände und soziale Schichten vertreten: Adelige, Handwerker, Gesellen, Soldaten, Stadtschreiber, Politiker, Künstler, Gärtner und Bürger. Bauern traten, vielleicht mit Ausnahme des Gärtners Clemens Ziegler nicht als Autoren auf.[42] Sowohl Männer wie auch Frauen (wenn auch in deutlicher Unterzahl) sind vertreten. Ausser leicht verschobener Schwerpunkte bei der Legitimation des öffentlichen Auftretens lassen sich aber keine wesentlichen argumentatorischen oder thematischen Differenzen zwischen den weiblichen und den männlichen Autoren ausmachen.
4 Frauen in der Reformation
Frauen waren an der Reformation sowohl stark beteiligt als auch stark von ihr betroffen. Als Schriftstellerinnen, Mütter und Nonnen haben sie eigene Akzente gesetzt; durch die neuen Lehren wurde ihr Leben – auf ambivalente Weise – nachhaltig verändert. In den vergangenen Jahren hat sich nicht nur die Geschichtsforschung, sondern auch die Germanistik und die Theologie mehr und mehr mit der Rolle der Frau in der Reformation auseinandergesetzt.[43]
4.1 Die Bedeutung der Reformation für Frauen
Die Reformation hatte für Frauen vielschichtige Konsequenzen in Familie, Gesellschaft und auch in der Praktizierung weiblicher Spiritualität. Martin Luther sprach sich gegen die Verspottung und Verachtung der Frau aus und lehrte die Gleichwertigkeit von Mann und Frau. Auch erfuhr die Sexualität eine positive Neubewertung als Teil des menschlichen Lebens.[44]
Die Lehre vom ‚allgemeinen Priestertum’, ein Zentralgedanke der Reformation, welcher besagt, das alle Menschen den gleichen und unmittelbaren Zugang zu Gott haben, bedeutete für die Frauen, dass sie „nicht nur keine Mittler, sonder zugespitzt keine Männer als Mittler brauchten.“[45] 1520 macht Luther die Aussage: „Dan alle Christen sein wahrhafftig geystlich stands, uund ist unter yhn kein unterscheyd“[46] Zum ersten mal verwendet Luther hier die deutsche Sprache für theologische Streitfragen, damit wird die Diskussion auch für Laien zugänglich.
Mit der Einführung der Priesterehe wurde die Ehefrau quasi zur Gehilfin des Pfarrers, was den weiblichen Einfluss auf die reformatorische Theologie stark beeinflusste.
Entscheidend für die publizistische Tätigkeit von Frauen war vor allem auch das Schriftprinzip (sola scriptura), welches besagt, dass sich alle christliche Lehre ausschliesslich auf die Bibel stützen müsse. Die kirchliche Tradition, die man sich in mühsamen Studien aneignen musste, wurde damit sekundär, ja überflüssig. Auch Frauen, die keine höhere Bildung genossen hatten, konnten die Heilige Schrift lesen und sich damit an Auseinandersetzungen um theologische Fragen beteiligen.
Die „Freiheit eines Christenmenschen“, welche von Luther propagiert wurde, hatte auch positive Auswirkungen auf die Stellung der Frau. Die freie Gnade Gottes und der damit verbundene Gewissenstrost stärkte ihr Selbstbewusstsein. Viele unfreiwillig in Klöstern lebende Frauen wurden infolge dieser Lehre befreit oder befreiten sich selbst.
Die Berufsethik änderte sich – sie zog auch bis zu einem gewissen Grad eine Aufwertung der Ehe, Hausarbeit und Kindererziehung mit sich[47]. Im Mittelalter noch wurde Hausarbeit verachtet, die Kinder wurden zu Mägden und Ammen gegeben. Sogar Berufe wie Bauer oder Handwerker waren nicht angesehen. Luther propagierte nun den Beruf als von Gott gegebene wichtige Aufgabe und legte damit den Grundstein für die moderne Berufsethik (Stichwort ‚protestantische Ethik’).
Auch wurden Forderung nach besserer Allgemeinbildung für Mädchen laut, doch dauerte es sehr lange, bis dies realisiert war und noch viel länger, bis auch eine höhere Schulbildung für Frauen möglich wurde.
Aber die Reformation hatte nicht nur positive Folgen für die Frau. Viele der in der reformatorischen Lehre angelegten Änderungen wurden nie verwirklicht, besonders die Lehre vom „allgemeinen Priestertum“. Auch wurden von den Reformatoren alte Vorurteile weiter gepflegt, so zum Beispiel die Behauptung, Frauen seien durch den Teufel leicht verführbar und hätten den Drang und die Kraft, ihrerseits die Männer zur Sünde zu verführen. Auch die gottgewollte geistige und körperliche Schwäche der Frauen war weiterhin eine anerkannte Tatsache.[48]
[...]
[1] vgl. Halbach, Silke, Argula von Grumbach als Verfasserin reformatischer Flugschriften, Frankfurt 1992, S. 13
[2] Engelhardt, Eduard, Argula von Grumbach, die Bayerische Tabea, Nürnberg 1860, S. 134
[3] vgl. Halbach, Argula, S. 9
[4] Matheson, Peter, Argula von Grumbach : A woman’s voice in the reformation, Edinburgh 1995, S. 47
[5] Es gibt allerdings keinen Beweis, dass Luther je eine Flugschrift Argulas gelesen hat.
[6] Rabus, Ludovicus, Historien der Martyrer. Ander Theil, Strassburg 1572, S. 348-383
[7] ebd. S. 375, vgl. auch Matheson, Argula, S. 47
[8] Seckendorff, Veit Ludwig von, Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo, Frankfurt/Leipzig 1688, S. 320
[9] Salig, Christian, Historie der Augspurgischen Confession, Halle 1730, S. 263
[10] Halbach, Silke, Argula von Grumbach als Verfasserin reformatischer Flugschriften, Frankfurt 1992, S. 9
[11] Rieger, Georg, Das Leben Argulae von Grumbach, gebohrner von Stauffen, Als Einer Jüngerin Jesu, Zeugin der Wahrheit, und Freundin Lutheri, Stuttgart 1737
[12] Matheson, Argula, S. 49
[13] Engelhardt, Argula
[14] Pistorius, Hermann Alexander, Frau Argula von Grumbach geborene von Stauffen und ihr Kampf mit der Universtät zu Ingolstadt, Magdeburg 1845
[15] Kolde, Theodor, Arcasius Seehofer und Argula von Grumbach, in: Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte 11, S. 49-77, 97-124, 149-188
[16] Heinsius, Maria, Das Bekenntnis der Frau Argula von Grumbach, in: Christliche Wehrkraft 34, München 1936
[17] „Die Reformationszeit trägt ein ausgesprochen männliches Gepräge. So hart ist das Ringen um die letzten Glaubensfragen, dass nur Frauen von starker geistiger Selbständigkeit und tapferem Mut es wagen durften ein Wort mit in die Wagschale zu werfen, - Frauen von der Art der Argula von Grumbach.“ Heinsius, Maria, Das unüberwindliche Wort. Frauen der Reformationszeit, München 1951, S. 134
[18] Stupperich, Robert, Die Frau in der Publizistik der Reformation, in: Archiv für Kulturgeschichte 37, 1955, S. 204-233 und ders., Eine Frau kämpft für die Reformation. Das Leben der Argula von Grumbach, in: Zeitwende: Die Neue Furche 27, 1956, S. 576-681
[19] Bainton, Roland, Women of the Reformation in Germany and Italy, Minneapolis, 1972, S. 97-109, siehe auch ders., Frauen der Reformation. Von Katharina von Bora bis Anna Zwingli, Gütersloh 1995, S. 103-119
[20] Matheson, Argula, S. 51
[21] In: Osloer Beiträge zur Germanistik 8, 1983, S. 182-202
[22] Bizzel, Irmgard, Argula von Grumbach und Johannes Landshut. Zu einer Kontroverse des Jahres 1524, und Der Sendbrief Argula von Grumbachs an die Universität Ingolstadt (1523) in zwei redaktionellen Bearbeitungen. In: Gutenberg Jahrbuch 61, 1986, S. 201-207 und 62, 1987, S. 169-173
[23] vgl. Matheson, Argula, S. 51
[24] In: Po-Chia Hsia, Ronnie (Hg.), The German people and the Reformation, London 1988, S. 148-171
[25] Halbach, Argula
[26] Matheson, Argula
[27] In: Conrad, Anne (Hg.), „In Christo ist weder man noch weyb“. Frauen in der Zeit der Reformation und der katholischen Reform, Münster 1999
[28] In: Zeitschrift für Historische Forschung, 27/2000, S. 365-387
[29] Jung, Martin H., Nonnen, Prophetinnen, Kirchenmütter. Kirchen- und frömmigkeitsgeschichtliche Studien zu Frauen der Reformationszeit, Leipzig 2002, S. 168-221
[30] „Ein Christennliche schrifft / einer erbarn frawen vom Adel...“
[31] Laube, Adolf (Hg.), Flugschriften der frühen Reformationsbewegung 1518-1524, Vaduz 1983
[32] Köhler, Hans-Joachim (Hg.), Flugschriften des frühen 16. Jahrhunderts, Microfiche Serie 1979
[33] So wurden z.B. die Schriften des Schusters Georg Schönichen und der Theologen Eberlin von Günzburg und Balthasar Hubmaier, welche dem Leserpublikum bereits bekannt waren und zu den erfolgreichsten Flugschriftenautoren des Jahres 1523 gehörten, nur drei- bis sechsmal aufgelegt.
[34] Sogar die Lutherschrift „Wider das blind und toll Verdammniss…”, welche 1524 anlässlich des Verfahrens gegen Seehofer erschien, wurde nur viermal verlegt.
[35] vgl. Halbach, Argula, S. 190f
[36] In dieser Schrift hatte Luther den Adel aufgefordert, sich für die Reform der Kirche einzusetzen. Auffällige Ähnlichkeiten zwischen Luthers Adelsschrift und Argulas Erstlingswerk bestehen schon in der Form (Brief an eine Regierende Persönlichkeit), Adressatengruppe (christliche Stände, Obrigkeit) und Titel („Wie eyn Christliche fraw des adels...“).
[37] vgl. Moeller, Bernd, Flugschriften der Reformationszeit. In: TRE 11 (1983), S. 242
[38] Köhler, Flugschriften
[39] Schwitalla, Johannes, Deutsche Flugschriften 1460-1525. Textsortengeschichtliche Studien, Tübingen 1983, S. 7
[40] Köhler, Hans-Joachim (Hg.), Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposium 1980, Stuttgart, 1981, S. 3
[41] Halbach, Notmandat, S. 366
[42] vgl. Schmidt, Heinrich Richard, Die Ethik der Laien in der Reformation. In: MOELLER, Bernd (HG.), Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1996 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte), Gütersloh 1998, S. 343
[43] vgl. Jung, Nonnen, S. 9
[44] vgl. Halbach, Argula, S. 48-82, Matheson, Halbach, 40-47, Wiesner, Response, S. 148-157, Becker-Cantarino, Weg, 37-67 und 149-200, Becker-Cantarino, Frauen S. 149-152
[45] Jung, Nonnen, S. 12
[46] In seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ (Luther, Martin, Werke, Kritische Gesamtausgabe. Weimar 1883ff, Band 6, S. 404-469)
[47] Luther: „Wenn ein Mann Windeln wäscht und ein kleines Kind wickelt und versorgt, wird er von seinen Mitmenschen verlacht, aber Gott freut sich über diesen Mann, wenn er diese Arbeit in Liebe zu seinem Kind und in Liebe zu seiner Frau tut.“ In: Jung, Nonnen, S. 13
[48] Jung, Nonnen, S. 14
- Citation du texte
- Henning Radermacher (Auteur), 2003, Die Flugschriftenautorin Argula von Grumbach, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15593
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