In seinem Essay "An Ars oblivionalis? Forget it!" beschrieb Umberto Eco, warum es keine Vergessenstechnik geben könne.
Dieses Essay beschreibt seine Position und ergänzt sie um weitere Möglichkeiten.
Inhalt
1. Umberto Eco: Eine ars oblivionalis ist nicht möglich
2. Kritik und Ergänzung
3. Literatur
1. Umberto Eco: Eine ars oblivionalis ist nicht möglich.
Umberto Eco meinte, Vergessen aus Versehen ist möglich, als angewandte Technik zum schnellen und absichtlichen Vergessen jedoch nicht. Seine Begründung für diese Behauptung ist, dass eine Vergessenstechnik das Gegenteil einer Gedächtnistechnik sein müsste. Bei dieser Mnemotechnik verknüpft man gedanklich an ein Bild einen Inhalt, an den man sich erinnern will. Bei der ars oblivionalis könnte man sich also z.B. ein Bild vorstellen, in dem ein Mann etwas wegwirft. Doch dann würde man sich ja daran erinnern, dass man etwas vergessen will. Wie könnte es schon möglich sein, dass der Gedanke an etwas, etwas anderes auslöscht?[1]
Mnemotechnik beschreibt Eco als konnotative Semiotik. x ist Symbol für y, ein mentales Ikon und damit ein Zeichen. Und Semiotik ist ja die Zeichenlehre. Ein Bild der Vorstellung ruft eine Erinnerung hervor.[2] Nach obigen Beispiel kann die ars oblivionalis keine Gedächtniskunst sein, da sie dann auch Semiotik wäre, aber sie soll ja etwas wegnehmen. Man kann nichts durch ein Zeichen vergessen, wenn ein Zeichen doch etwas hervorruft.[3] Mit der Mnemotechnik bzw. Semiotik kann man höchstens den Geist verwirren, ihn letztlich dadurch sogar vergessen lassen, das gibt selbst Eco zu. Der Grund hierzu ist aber nicht Subtraktion, also eine Erinnerung wegnehmen, sondern Addition. Vergessen ist nicht möglich durch einen Defekt sondern durch einen Exzess. Wenn man sich an zuviel erinnert, das ähnlich ist (z.B. ähnlich klingende Namen), kann es irgendwann zuviel sein, so dass der Geist durcheinander kommt, die Verknüpfungen sich verwirren und man am Ende nicht mehr weiß, was korrekt ist. Man erinnert sich auf diese Weise immer schlechter, bis man nicht mehr unterscheiden kann. Vergessen ist also kein Fehler, sondern eine Vervielfachung, keine Auslöschung sondern Übertreibung. Schon Agrippa (1600) warnte deshalb auch, dass die Mnemotechnik die Menschen nur wahnsinnig werden lassen würde.[4]
Ecos Schluss ist, dass die ars oblivionalis nicht realisierbar ist. Die ars oblivionalis ist ein Oxymoronica, weil eine 'semiotica oblivionalis', ein semiotisches Vergessen, nicht möglich ist.[5]
2. Kritik und Ergänzung
Eco scheint den Begriff ars oblivionalis sehr eng gefasst zu haben. Vermutlich zu eng. Er hat gezeigt, dass sie keine Semiotik sein kann, doch muss man sich so daran festmachen, die ars oblivionalis als Gegenspielerin der Mnemotechnik zu sehen, welche die gleichen Techniken benutzt? Ich glaube nicht. Es gibt viele Möglichkeiten zu vergessen, und wenn man den Begriff weiter fasst, findet sich auch eine Möglichkeit, ihn zu realisieren. Eine Vergessenskunst scheint auch durchaus anstrebsam zu sein, macht man sich einmal bewusst, wieviele Menschen etwas vergessen wollen. Fast immer bezieht sich dies auf negative persönliche Erlebnisse. Natürlich kann man hier dagegen halten, dass diese Erlebnisse den Menschen erst formen, doch wieviele dieser Erlebnisse waren traumatisch und damit für den Menschen in seinem zukünftigen Leben negativ? Hiermit wird eine aktuelle Frage der Ethik angeschnitten. Doch bei jedem, der freiwillig vergessen möchte, dürfte sich die Frage nach der Ethik eigentlich kaum stellen, ist es doch seine Entscheidung. Aber nun zu möglichen Methoden.
[...]
[1] vgl. Eco, Umberto: An Ars oblivionalis? Forget it!. In: PMLA, Vol. 103, No.3, May 1988, S. 254.
[2] vgl. ebd., S. 255f.
[3] vgl. ebd., S. 258f.
[4] vgl. ebd., S. 259f.
[5] vgl. ebd., S. 260.
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- Andre Schuchardt (Autor), 2009, Kann es, Umberto Eco zum Trotz, eine Vergessenstechnik geben?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/155919