Nicht nur Theologen äusserten sich zur Reformation, immer wieder waren es auch
Laien, welche mit Flugschriften auf sich aufmerksam machten. Darunter Vertreter
verschiedenster Gesellschaftsschichten und Berufe, auch einige Frauen waren unter
den Laienautoren zu finden.
Eine Elementare Gemeinsamkeit der Flugschriftenautorinnen ist die Rechtfertigungslehre,
die Legitimation ihres öffentlichen Auftretens, ihr Selbstverständnis. Meist mit
Bibelzitaten argumentierend, versuchten sie die Zweifel an ihrem Recht, sich in die
theologische Diskussion einzumischen, zu zerstreuen.
Anhand je eines Werkes der drei bekanntesten Verfasserinnen von Flugschriften der
frühen Reformation soll in dieser Arbeit aufgezeigt werden, was sie bewegte an die
Öffentlichkeit zu treten, mit was für Schwierigkeiten sie als Frau und Laie zu kämpfen
hatten, welche Themen sie beschäftigten, und vor allem wie sie ihr Auftreten rechtfertigten. Argula von Grumbach
Nicht nur reformatorische Zeitgenossen wie Günzburg, Hubmaier, Lotzer, Osiander1
und natürlich Luther selbst2 äusserten sich wohlwollend über Argula, auch in historischen
Werken fand sie im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Beachtung. Doch es
waren vorerst fast ausschliesslich Pietisten, welche sich ihrer erinnerten. Im 1572 erschienen
‚Historien der Martyrer’3 wird Argula von Grumbach viel Platz eingeräumt.
Dadurch, dass sie mit ihren Publikationen ihr Leben riskiert habe, gebühre ihr ein
Platz unter Gottes Zeugen und Märtyrern, vor allem auch aufgrund ihres Trostes und
der Ermutigung für das weibliche Geschlecht.4 So auch 1688 bei Seckendorff5, und
1730 bei Salig, welcher sie als grosse Liebhaberin der Wahrheit und der Lehre Luthers
bezeichnet und von ihrem tiefen Glauben beeindruckt ist.6 [...]
1 MATHESON, PETER, Argula von Grumbach : A woman’s voice in the reformation, Edinburgh 1995, S. 47
2 Es gibt allerdings keinen Beweis, dass Luther je eine Flugschrift Argulas gelesen hat.
3 RABUS, LUDOVICUS, Historien der Martyrer. Ander Theil, Strassburg 1572, S. 348-383
4 ebd. S. 375, vgl. auch MATHESON, Argula, S. 47
5 SECKENDORFF, VEIT LUDWIG VON, Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo, Frankfurt/
Leipzig 1688, S. 320
6 SALIG, CHRISTIAN, Historie der Augspurgischen Confession, Halle 1730, S. 263
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Forschungsstand
3 Laienflugschriften der frühen Reformation
4 Frauen in der Reformation
4.1 Die Bedeutung der Reformation für Frauen
4.2 Publizierende Frauen der Reformationszeit
5 Argula von Grumbach
5.1 Biographie
5.2 „Wie eyn Christliche / fraw des adels...“
6 Katharina Zell
6.1 Biographie
6.2 „Entschuldigung Katharina Schützin / für M. Matthes Zellen...“
7 Ursula Weida
7.1 Biographie
7.2 „Wyder das unchristliche schreyben...“
8 Rechtfertigungslehre – das Selbstverständnis der reformatorischen Flugschriftenautorinnen
8.1 „Kain man sehe / der reden will / noch darff“: Der Schritt an die Öffentlichkeit als Notlösung
8.2 „Ich würd ausgiessen von meinem geyst über alles fleisch vnd euwer sün vnd döchter werden wei ßsagen“: Joels Geistverheissung
8.3 „Christum müssen wir ie alle bekennen wider welt vnd teuffel“: Gebot Jesu zum Bekenntnis
8.4 „Alle lere solt alleyn durch das selbig gottes wort geurteilt werden“: Das „ Sola Scriptura“-Prinzip
8.5 „Ja Christus selbs hat sich nit geschempt / sunder gepredigt Marie Magdalene“: Biblische und kirchengeschichtliche Beispiele
8.6 „Jn Christo ist weder man nach weyb“: Argumente gegen Paulus
9 Quellen
10 Bibliographie
1 Einleitung
Nicht nur Theologen äusserten sich zur Reformation, immer wieder waren es auch Laien, welche mit Flugschriften auf sich aufmerksam machten. Darunter Vertreter verschiedenster Gesellschaftsschichten und Berufe, auch einige Frauen waren unter den Laienautoren zu finden.
Eine Elementare Gemeinsamkeit der Flugschriftenautorinnen ist die Rechtfertigungslehre, die Legitimation ihres öffentlichen Auftretens, ihr Selbstverständnis. Meist mit Bibelzitaten argumentierend, versuchten sie die Zweifel an ihrem Recht, sich in die theologische Diskussion einzumischen, zu zerstreuen.
Anhand je eines Werkes der drei bekanntesten Verfasserinnen von Flugschriften der frühen Reformation soll in dieser Arbeit aufgezeigt werden, was sie bewegte an die Öffentlichkeit zu treten, mit was für Schwierigkeiten sie als Frau und Laie zu kämpfen hatten, welche Themen sie beschäftigten, und vor allem wie sie ihr Auftreten rechtfertigten.
2 Forschungsstand
Argula von Grumbach
Nicht nur reformatorische Zeitgenossen wie Günzburg, Hubmaier, Lotzer, Osiander[1] und natürlich Luther selbst[2] äusserten sich wohlwollend über Argula, auch in historischen Werken fand sie im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Beachtung. Doch es waren vorerst fast ausschliesslich Pietisten, welche sich ihrer erinnerten. Im 1572 erschienen ‚Historien der Martyrer’[3] wird Argula von Grumbach viel Platz eingeräumt. Dadurch, dass sie mit ihren Publikationen ihr Leben riskiert habe, gebühre ihr ein Platz unter Gottes Zeugen und Märtyrern, vor allem auch aufgrund ihres Trostes und der Ermutigung für das weibliche Geschlecht.[4] So auch 1688 bei Seckendorff[5], und 1730 bei Salig, welcher sie als grosse Liebhaberin der Wahrheit und der Lehre Luthers bezeichnet und von ihrem tiefen Glauben beeindruckt ist.[6]
Galt es, ihr Tun zu verurteilen, wurde sie als abschreckendes Beispiel einer untugendhaften, unbescheidenen Frau dargestellt, wie in dem leider verlorengegangenen Lustspiel „Argula von Grumbach“ Anton Nagels, welches gegen 1700 erschienen sein soll.[7]
Die erste Biographie erscheint 1737, geschrieben von dem Württembergischen Prediger Georg Rieger.[8] Er preist sie als ‚Bayerische Deborah’ und sieht ihre Frömmigkeit als Vorbild für die damaligen Frauen. Dieses Werk ist das erste in einer Reihe romantischer, unkritischer Biographien, welche wenig zum historischen Wissen über Argula von Grumbach beitragen.[9] Die bekannteste darunter ist wohl die 1860 erschienene von Engelhardt.[10] Eine unvollständige Edition Argulas Schriften erscheint 1845.[11]
Die Moderne Forschung basiert hauptsächlich auf drei Aufsätzen von Kolde von 1905[12], welche sich sehr stark an Argula von Grumbachs Flugschriften orientieren. Während des Dritten Reiches pries Maria Heinsius Argulas Mut, sich gegen die damaligen Geschlechterverhältnisse zu wehren in ihrem Aufsatz ‚Das Bekenntnis der Frau Argula von Grumbach’[13] und später auch in ihrem Buch über Frauen der Reformationszeit.[14] Wichtig sind auch zwei Aufsätze von Robert Stupperich[15], in welchen er auch auf die (Überbewertung der) Bedeutung der Reformation für die Frau eingeht und – für den englischsprachigen Raum – das Werk über Frauen der Reformation von Roland Bainton[16], welches Matheson allerdings als „a hurried piece of work, full of inaccuracies“ bezeichnet[17].
In den letzten Jahren erschienen gleich mehrere Aufsätze und Monographien, welche sich mit Argula von Grumbach beschäftigen. So zum Beispiel Kurt Erich Schöndorfs ‚Argula von Grumbach, eine Verfasserin von Flugschriften in der Reformationszeit’[18], zwei Aufsätze von Irmgard Bizzel[19], eine bisher nicht publizierte Dissertation von Karin Wolff, mit dem Titel ‚Argula von Grumbach und ihre reformatorischen Flugschriften’[20] und Merry Wiesners‚ ‚Women’s Response to the Reformation’[21]. 1992 erschien eine umfangreiche Monographie von Silke Halbach, welche eine tiefe Auseinandersetzung mit sowohl Argula von Grumbachs Leben und Werk, als auch mit der über sie erschienen Literatur bietet[22]. Leider enthält sie keine vollständige Edition von Argulas Flugschriften. Dies holt Peter Matheson 1995 teilweise nach: Argulas Werk ist in seiner Monographie jedoch nur in englischer Übersetzung verfügbar[23].
1999 erschien noch ein Aufsatz von Silke Halbach mit dem Titel ‚Publizistisches Engagement von Frauen in der Frühzeit der Reformation’[24], 2000 der Aufsatz ‚Legitimiert durch das Notmandat. Frauen als Verfasserinnen frühreformatorischer Flugschriften’, ebenfalls von Silke Halbach[25] und 2002 der Band „Nonnen, Prophetinnen, Kirchenmütter“ von Martin H. Jung[26], in welchem unter anderem das Selbstverständnis von Flugschriftenautorinnen am Beispiel Argula von Grumbachs erläutert wird.
Es ist bezeichnend, dass es bis heute keine gedruckte Edition sämtlicher Flugschriften von Argula von Grumbach in deutscher Sprache gibt (ausschliesslich ihr zweites Werk[27] ist verfügbar[28]), so muss immer wieder auf die Microfichen von Köhler zurückgegriffen werden[29].
Katharina Zell
Über Katharina Zell und ihre Werke gibt es eine ganze Reihe wissenschaftlicher Schriften, massgebend ist das 1998/99 erschienene zweibändige Werk ‚Katharina Schütz Zell’ von Elsie Anne McKee, welches auch eine vollständige Edition Katharina Zells Schriften enthält.[30] Im weiteren gibt es eine Menge kürzerer oder längerer Arbeiten, insbesondere aus der Strassburger und Elsässer Religionalkirchengeschichtsschreibung, die überwiegend populären und erbaulichen Charakter haben.[31] Zu erwähnen sind ausserdem die Beiträge von Maria Heinsius[32], Roland Stupperich[33], Roland H. Bainton[34], Merry Wiesner[35] und Becker-Cantarino[36]. Aktuell sind vor allem die Beiträge von Silke Halbach[37], Martin H. Jung[38] und ein weiterer Aufsatz von Elsie Anne McKee[39].
Ursula Weida
Über Ursula Weida ist so gut wie nichts bekannt. Grundlegend ist noch immer ein Aufsatz von Otto Clemen, welcher schon vor mehr als hundert Jahren erschien ist[40]. Aktuelle Erwähnungen aber keine neuen Erkenntnisse finden sich bei Robert Stupperich[41], Silke Halbach[42] sowie Martin H. Jung.[43]
[...]
[1] Matheson, Peter, Argula von Grumbach : A woman’s voice in the reformation, Edinburgh 1995, S. 47
[2] Es gibt allerdings keinen Beweis, dass Luther je eine Flugschrift Argulas gelesen hat.
[3] Rabus, Ludovicus, Historien der Martyrer. Ander Theil, Strassburg 1572, S. 348-383
[4] ebd. S. 375, vgl. auch Matheson, Argula, S. 47
[5] Seckendorff, Veit Ludwig von, Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo, Frankfurt/Leipzig 1688, S. 320
[6] Salig, Christian, Historie der Augspurgischen Confession, Halle 1730, S. 263
[7] Halbach, Silke, Argula von Grumbach als Verfasserin reformatischer Flugschriften, Frankfurt 1992, S. 9
[8] Rieger, Georg, Das Leben Argulae von Grumbach, gebohrner von Stauffen, Als Einer Jüngerin Jesu, Zeugin der Wahrheit, und Freundin Lutheri, Stuttgart 1737
[9] Matheson, Argula, S. 49
[10] Engelhardt, Eduard, Argula von Grumbach, die Bayerische Tabea, Nürnberg 1860
[11] Pistorius, Hermann Alexander, Frau Argula von Grumbach geborene von Stauffen und ihr Kampf mit der Universtät zu Ingolstadt, Magdeburg 1845
[12] Kolde, Theodor, Arcasius Seehofer und Argula von Grumbach, in: Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte 11, S. 49-77, 97-124, 149-188
[13] Heinsius, Maria, Das Bekenntnis der Frau Argula von Grumbach, in: Christliche Wehrkraft 34, München 1936
[14] „Die Reformationszeit trägt ein ausgesprochen männliches Gepräge. So hart ist das Ringen um die letzten Glaubensfragen, dass nur Frauen von starker geistiger Selbständigkeit und tapferem Mut es wagen durften ein Wort mit in die Wagschale zu werfen, - Frauen von der Art der Argula von Grumbach.“ Heinsius, Maria, Das unüberwindliche Wort. Frauen der Reformationszeit, München 1951, S. 134
[15] Stupperich, Robert, Die Frau in der Publizistik der Reformation, in: Archiv für Kulturgeschichte 37, 1955, S. 204-233 und ders., Eine Frau kämpft für die Reformation. Das Leben der Argula von Grumbach, in: Zeitwende: Die Neue Furche 27, 1956, S. 576-681
[16] Bainton, Roland, Women of the Reformation in Germany and Italy, Minneapolis, 1972, S. 97-109, siehe auch ders., Frauen der Reformation. Von Katharina von Bora bis Anna Zwingli, Gütersloh 1995, S. 103-119
[17] Matheson, Argula, S. 51
[18] In: Osloer Beiträge zur Germanistik 8, 1983, S. 182-202
[19] Bizzel, Irmgard, Argula von Grumbach und Johannes Landshut. Zu einer Kontroverse des Jahres 1524, und Der Sendbrief Argula von Grumbachs an die Universität Ingolstadt (1523) in zwei redaktionellen Bearbeitungen. In: Gutenberg Jahrbuch 61, 1986, S. 201-207 und 62, 1987, S. 169-173
[20] vgl. Matheson, Argula, S. 51
[21] In: Po-Chia Hsia, Ronnie (Hg.), The German people and the Reformation, London 1988, S. 148-171
[22] Halbach, Argula
[23] Matheson, Argula
[24] In: Conrad, Anne (Hg.), „In Christo ist weder man noch weyb“. Frauen in der Zeit der Reformation und der katholischen Reform, Münster 1999
[25] In: Zeitschrift für Historische Forschung, 27/2000, S. 365-387
[26] Jung, Martin H., Nonnen, Prophetinnen, Kirchenmütter. Kirchen- und frömmigkeitsgeschichtliche Studien zu Frauen der Reformationszeit, Leipzig 2002, S. 168-221
[27] „Ein Christennliche schrifft / einer erbarn frawen vom Adel...“
[28] Laube, Adolf (Hg.), Flugschriften der frühen Reformationsbewegung 1518-1524, Vaduz 1983
[29] Köhler, Hans-Joachim (Hg.), Flugschriften des frühen 16. Jahrhunderts, Microfiche Serie 1979
[30] McKee, Elsie Anne, Katharina Schütz Zell, Leiden/Boston/Köln 1998/99
[31] vgl. Literaturübersicht zu Katharina Zell, in Jung, Nonnen, S. 183f
[32] Heinsius, Wort, S. 12-36
[33] Stupperich, Frau, S. 224-227
[34] Bainton, Women, S. 55-76 und Bainton, Frauen, S. 56-83
[35] Wiesner, Women’s response, S. 164
[36] Becker-Cantarino, Barbara, Der Lange Weg zur Mündigkeit. Frauen und Literatur in Deutschland von 1500-1800, München 1990, S. 96-103
[37] Halbach, Notmandat, S. 376-383 und Halbach, Publizistisches Engagement, S. 58-64
[38] Jung, Nonnen, S. 183-184
[39] McKee, Elsie Anne, The Defense of Schwenckfeld, Zwingli, and the Baptists, by Katharina Schütz Zell. In: Obermann, Heiko A. (Hg.), Reformiertes Erbe. Festschrift für Gottfried W. Locher, Zürich 1992, Bd. 1, S. 24-64
[40] Clemen, Otto, Die Schösserin von Eisenberg. In: Koch, Ernst, Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte, Band I, Leipzig 1897, S. 83-91
[41] Stupperich, Frau, S. 227f
[42] Halbach, Notmandat, S. 383-385 und Halbach, Publizistisches Engagement, S. 64-67
[43] Jung, Nonnen, S. 187-190
- Arbeit zitieren
- Henning Radermacher (Autor:in), 2003, Flugschriftenautorinnen der Reformation und ihre Rechtfertigungslehre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15590
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