Die Arbeit nimmt sich Nietzsches Begriff des Übermenschen vor, wie er vor allem in seinem Werk „Also sprach Zarathustra“ beschrieben wurde. Sie gliedert sich in drei Teile. Teil eins beschreibt die Entwicklung dieser Idee im philosophischen Werk Nietzsches und in welche Problematik sie den Philosophen selbst schließlich führte. Der Begriff des Übermenschen war im 19. Jahrhundert äußerst populär und diente deshalb als Katalysator für kulturkritische und politische Erwartungen.
Teil zwei untersucht daher die Rezeption dieser Idee durch zwei exemplarische Denker; auf philosophischer Ebene Martin Heidegger, der in seinem Werk ebenso wie Nietzsche die Abendländische Metaphysik überwinden will und dessen zeitweilige Nähe zum Nationalsozialismus ebenfalls thematisiert wird. Im Bereich der Literatur ist es Hermann Hesse, dessen Werk zeitlebens stark von Nietzsche beeinflusst war und dessen Strategien zur Überwindung des Nihilismus in viele seiner Erzählungen einfließen. Schließlich wird der Frage nachgegangen, inwieweit Nietzsches politische Philosophie und sein antihistorisches, vitalistisches Denken für das nationalsozialistische Geschehen zur Mitte des 20. Jahrhunderts verantwortlich zu machen ist und auf welche Weise seine philosophischen Begriffe in die nationalsozialistische Ideologie Eingang gefunden haben. Die editorische Tätigkeit seiner Schwester Elisabeth spielte in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Die nationalsozialistischen Programme wie Eugenik und Menschenzüchtung finden nach dem Krieg ihre unterschwellige Fortsetzung in den genetischen Forschungen der Amerikaner ab den 50er Jahren, angetrieben durch die Sorge um die Qualität des Genpools.
Dies wird im dritten Teil der Arbeit behandelt ebenso wie die Rezeption der Philosophie Nietzsches in der Nachkriegszeit; das Hauptaugenmerk liegt hierbei am französischen Nietzscheanismus der Autoren Georges Bataille, Gilles Deleuze und Michel Foucault. Abschließend wird auf die aktuelle Gentechnikdebatte Bezug genommen und auf welche Weise Nietzsches postsubjektivistisches Denken eine gentechnische Menschheitsoptimierung
legitimieren könnte.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
Teil 1: Der Übermensch bei Nietzsche
Die Zeit
Dionysos
Zarathustra
Gott ist tot
Der Übermensch
Der Unmensch
Das Halkyonische
Das Schwergewicht
Der Gekreuzigte
Teil 2: Die Rezeption des Übermensch – Gedankens
Heidegger und Nietzsche
Heideggers Übermensch
Das Einfache
Das Volk
Hesse und Nietzsche
Zarathustras Wiederkehr
Werde der, der du bist
Vom Demian zum Steppenwolf
Das Glasperlenspiel
Hitler und Nietzsche
Zarathustras Schwester
Nietzsche im Dritten Reich
Zucht und Züchtung
Übermensch und T
Nietzsche als Protofaschist
Teil 3: Neue Übermenschen – auf der Suche nach dem Subjekt
Georges Bataille: Das souveräne Subjekt
Michel Foucault: Das Subjekt zwischen Verschwinden und Autoformation
Gilles Deleuze: Das Viele und das Werden
Gianni Vattimo: Jenseits vom Subjekt
Der Menschenpark
Eugenik und Humangenetik
Zukunftsmenschen
Das Gewachsene und das Gemachte
Der operable Mensch
Das Gen
Das paradoxe Subjekt
Nachwort
Literaturverzeichnis
Vorwort
Inspiriert von Friedrich Nietzsches fast beschwörendem Ausruf „Einst muss er kommen“ soll hier versucht werden, die Entwicklung der Idee des Übermenschen im Denken Nietzsches aufzuzeigen und der Spur des Übermenschlichen durch den Lauf der Geschichte des
20. Jahrhunderts zu folgen. An zwei exemplarischen Persönlichkeiten aus den Bereichen Literatur und Philosophie, Hermann Hesse und Martin Heidegger, die auf jeweils besondere Weise in einem Naheverhältnis zum Denken Nietzsches stehen, soll der Einfluss seiner Idee beschrieben werden.
Da mit dem Geschehen im Dritten Reich die Übermensch-Idee politisch wirkungsmächtig wird, ist zu untersuchen, auf welche Weise Nietzsches Denken in die NS-Ideologie Eingang gefunden hat und inwiefern Nietzsche als Ideengeber verantwortlich zu machen ist. Mit den Eugenik-Programmen und Menschenzüchtungsphantasien der NS-Zeit erschließt sich eine weitere Betrachtungsebene, welche sich von der Sorge um den Genpool in den USA der 50-er Jahre über die Menschenzüchtungsideen anlässlich des CIBA-Symposions in London 1962 bis in die heutige Gentechnik-Debatte erstreckt.
Auf philosophischer Ebene ist der französische Nietzscheanismus der Nachkriegszeit und der darauf folgenden Jahrzehnte zu untersuchen; auf welche Weise die Philosophie Nietzsches und sein Konzept des Übermenschlichen herangezogen wurden, um alternative Lebenskonzepte zu entwickeln, sowohl was die gesellschaftliche Ebene wie auch den individuellen Bereich betrifft. Dabei stellt sich die Frage nach dem menschlichen Subjekt, welches als metaphysisch legitimiertes von Nietzsche abgelehnt, sich im heutigen Diskurs letztlich in einer Paradoxie wiederfindet.
Nietzsche ist ein gefährlicher Denker, sich auf ihn und seine Texte einzulassen kann zum Wagnis werden, wenn man damit ernst macht, sich dem Paradoxon der Inadäquatheit von Wollen und Sein zu stellen. Denn in Nietzsches Leben ist vorweggenommen, womit die moderne Gesellschaft des zwanzigsten Jahrhunderts konfrontiert war: ein Leben zu führen ohne göttliche Beglaubigung, ohne metaphysische Sinngebung und deren Tröstungen. Momentan scheint sich die zivilisierte Welt in der postmodernen Beliebigkeit recht gut eingerichtet zu haben, inwiefern sich jedoch die gegenwärtige – hauptsächlich ökonomistische – Sinngebung des Weltganzen als tragfähig erweisen wird, bleibt abzuwarten.
Einleitung
Nietzsche steht am Torweg und blickt zurück und nach vorne. Im Rückblick sieht er zweitausend vergangene Jahre ohne einen neuen Gott, blickt er voraus, so sehnt er sich nach einem Wesen, das „der Erde ihr Ziel und dem Menschen seine Hoffnung zurückgibt“ einem übermenschlichen Wesen. Dieser Übermensch ist Nietzsches Reaktion auf den Tod Gottes, auf den Umstand, dass seit der kopernikanischen Wende das geo- und anthropozentrische Weltbild zwar seine Gültigkeit verloren hat, der menschliche Intellekt von dieser Vorstellung aber nicht lassen kann. Das ist der Zustand, den Nietzsche nicht erträgt, der Zwiespalt, den eine Tat erzeugt hat, die zu groß war für den Menschen. Die Vernunft muss sich über den Verlust der göttlichen Beglaubigung selbst belügen; Nietzsche muss diese Fälschungen der Vernunft Kunst nennen und das Dasein einzig als ästhetisches Phänomen gerechtfertigt darstellen, um nicht an der Geschichte den Verstand zu verlieren.
Nietzsche weigert sich, mit weniger als dem Ganzen zufrieden zu sein. Er ist anders, ungleich und verzichtet auf gesellschaftliche Filter wie Moral, soziale Konventionen und einen Glauben, gleichzeitig wird ihm seine Einsamkeit zum Verhängnis. Die Figur eines persischen Weisen wird für ihn zur Maske, um das zur Sprache zu bringen, was er als Wissenschaftler nicht sagen kann, die Unerreichbarkeit und der Mythos jener Figur wird sein Schutz, weil er auf Konvention und Gemeinschaft verzichtet.
Im „Zarathustra“ beschreibt Nietzsche erstmals jenen Typus Mensch, der ein Dasein verkörpert, welches die Nacht der Gottesfinsternis zur Sonne machen soll. Der Übermensch ist für Nietzsche der Gegensatz zu einem Menschenbild, das er den „letzten Menschen“ nennt, der als Endprodukt des abendländischen Rationalisierungsprozesses den Status eines kunstfertigen Tieres erreicht, in dessen Massenexistenz jeder Gedanke an Selbstüberwindung und Höherentwicklung verschwindet. Der Übermensch ist derjenige, der in der Lage ist, nach dem Tod Gottes die Erde zu segnen und das Dasein zu heiligen, und stellt damit die Verkörperung des reinsten Willens zur Macht dar. Dieses Faktum und die dionysische Unbekümmertheit des Übermenschen gerät nun denjenigen Normal- und Letztmenschen, welche keine Hingabe an den Übermensch-Gedanken entwickeln können zum Problem, da sie aus der Perspektive des Übermenschlichen ihre Existenzberechtigung verlieren bzw. allenfalls als Unterbau für eine elitäre Schicht dienen, aus deren Reihen der Übermensch schließlich hervorgehen soll.
Andererseits ist aber auch ein individuell gewendetes Verständnis der Übermensch-Idee denk- und beschreibbar, als subjektive Aufforderung autonom über sein Leben zu verfügen und als dynamischer Prozess der Selbstüberwindung, des sich Überschreitens und wieder auf sich selbst Zurückkommens. Nietzsches Formel dafür ist das „Halkyonische“, des „rechtwinklig-seins“ an Leib und Seele, des leichtfüßigen Gleichgewichts des Tanzes und der Anmut. Damit einhergehend ist eine Lebensbejahung, eine Liebe zum Schicksal, ein amor fati, welche bedeutet, sein Schicksal nicht nur hinzunehmen, sondern durch ein unbedingtes „Ja“ zu segnen auch in seinen tragischen Aspekten und unter der Belastung des größten „Schwergewichts“ das für Nietzsche denkbar ist, der „ewigen Wiederkehr“, der ultimativen Prüfung für den Übermenschen. Nietzsche selbst kann am Ende seiner Schaffenszeit seine dionysische Weltkonstruktion nicht mehr aufrechterhalten und schwankt vor seinem geistigen Zusammenbruch in seinem Denken zwischen Dionysos und dem Gekreuzigten.
Die augenscheinliche Tatsache, dass ein Denker und Philosoph an der Welt und seiner Zeit verzweifelte und wahnsinnig wurde, übte zur Zeit des Fin de Siecle und der Umbruchstimmung vor dem ersten Weltkrieg eine starke Faszination auf die Vertreter der europäischen Avantgarde aus. Auf dem Gebiet der Literatur ist es im besonderen Hermann Hesse, der – in seiner Jugend bekennender Nietzsche-Verehrer – den nihilistischen Strömungen seiner Zeit nachspürt und seinen Romanhelden Nietzsche-Strategien zur Überwindung persönlicher Krisen verordnet. Durchgängiges Motiv in Hesses Werken ist eine „Selbstfindung“, ein Erkennen des ureigensten Schicksals; Hesse ist dabei auf der Suche nach dem Menschen im „Hohen Sinne“.
Auf dem Gebiet der Philosophie ist es Martin Heidegger, der wie Nietzsche das metaphysische Denken zu überwinden sucht und dabei seine Zeit als Erfüllung der Nietzscheschen Philosophie begreift. Bei ihm wird Nietzsches Übermensch zur „vollendeten Subjektivität“, zum Repräsentanten des Seins, auserkoren zur Herrschaft über die Erde. Heideggers Nähe zum Nationalsozialismus ist dabei ebenso bekannt wie seine spätere Distanzierung von den Geschehnissen.
Die auffallende Parallelität zwischen dem politischen Denken Nietzsches und der Ideologie des deutschen Nationalsozialismus hat jedoch nicht in der Philosophie Martin Heideggers ihr Bindeglied, vielmehr war der Boden schon bereitet durch die unter den Soldaten des ersten Weltkrieges weit verbreitete Nietzsche-Lektüre des „Zarathustra“ und die Aneignung Nietzschescher Parolen und Schlagwörter durch rechtsradikale Gruppierungen in den 1920-er Jahren. Großen Anteil hatte dabei die Nietzsches Denken verfälschende Ausgabe des Buches „Der Wille zur Macht“, welches hauptsächlich von den NS-Ideologen herangezogen wurde. Verantwortlich dafür war Nietzsches Schwester Elisabeth, die damit bewusst die Nähe zum Nationalsozialismus gesucht hat. Nietzsches Forderungen nach einer „großen Politik“ und eines Herrenmenschentums wurden im Dritten Reich unter dem Zeichen des Rassenwahns auf fatale Weise Realität.
Obwohl sogar der französische Hauptankläger beim Nürnberger Prozess Nietzsche zu den Ahnen zählt, auf den sich die NS-Ideologen zu Recht berufen hatten, ist Nietzsche aber keineswegs als alleiniger Wegbereiter des Nationalsozialismus und seinen rassisch motivierten Menschenzüchtungs- und Vernichtungsprogrammen anzusehen. Vielmehr kennt der Rassenwahn der Nationalsozialisten viele Ahnherren aus dem Umfeld des Biologismus und einem sozialdarwinistischen Denken, das in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts die anerkannte wissenschaftliche Lehrmeinung darstellte. Auch in der Zeit nach dem Krieg blieben die Eugeniker von der Wichtigkeit ihrer Maßnahmen überzeugt. Es war zwar nicht mehr von Rassenreinheit und Herrenmenschentum die Rede, aber die vor allem in den USA entwickelte Atomtechnologie schürte die Sorge um die Qualität des „Genpools“, was in Verbindung mit den rasant fortschreitenden Entwicklungen auf dem Sektor der Gentechnik in den 60-er Jahren anlässlich eines Symposions zu unverblümten Vorschlägen bezüglich Menschenzüchtungen führte – auch seitens einiger Nobelpreisträger.
Was das philosophische Erbe Nietzsches in der Nachkriegszeit betrifft, sind vor allem französische Philosophen wie Georges Bataille, Gilles Deleuze und Michel Foucault zu nennen, die am dionysischen Aspekt in Nietzsches Denken anknüpfend alternative Formen einer gesellschaftlichen und individuellen Existenz suchten und dabei spezielle Interpretationen des übermenschlichen Subjekts entwickelten.
In jüngerer Vergangenheit haben sich zum Thema der gentechnischen Menschenoptimierung zwei konträre Positionen herauskristallisiert. Zum einen die Verfechter einer Trennung von „Gewachsenem“ und „Gemachtem“, welche in der gentechnischen Intervention einen unerlaubten Eingriff in das subjektive Selbstverständnis des betreffenden Individuums sehen; zum anderen die auf den Spuren von Nietzsches Subjektkritik wandelnden Befürworter einer liberalen Eugenik, welche die Einteilung der Welt in Subjektives und Objektives, Geist und Materie als veraltete Beschreibung aus dem metaphysischen Zeitalter betrachten. Als Protagonisten dieser konträren Positionen sind Jürgen Habermas und Peter Sloterdijk zu nennen, welche sich um die Millenniumswende eine heftige mediale Kontroverse lieferten.
Die Reduktion des menschlichen Subjekts auf sein Genom ergibt schließlich für das individuelle Subjekt die paradoxe Situation, einerseits biologisch determiniert zu sein, andererseits sich dennoch als autonom entscheidungsfähig verhalten zu müssen; ein Umstand, der an der Vision eines gentechnisch optimierten Übermenschen ebenfalls zweifeln lässt.
Teil 1: Der Übermensch bei Nietzsche
Die Zeit
No compromise – so müsste das Motto für Nietzsches Philosophie lauten. Überall in seinen Schriften stößt man auf diese Haltung, Kompromisse eingehen ist für Nietzsche Bequemlichkeit, das „Blinzeln“ der „Letzten Menschen“, welche das Glück erfunden haben.
Das nach dem Prinzip der Wohlfahrt organisierte Leben, das demokratische Glück der möglichst Vielen – für Nietzsche bedeutet eine solche Welt den Triumph des menschlichen Herdentiers. Was aber auch in seinen Schriften deutlich wird: Die Bemühung um Abstand zur Masse, den Vielzuvielen. Nietzsche wollte sich unterscheiden, seine Philosophie bezeugt dieses Bemühen, seine lebenslange Anstrengung der Selbstgestaltung.[1]
Nietzsches Philosophie ist nichts anderes als … Derlei Aussagen über Nietzsches Philosophisches Werk gibt es mannigfaltige, sie treffen für sich auch zu, denn sie spiegeln die unterschiedlichen Herangehensweisen der jeweiligen Autoren wieder. Eine mögliche wurde am Anfang erwähnt. Günter Lehmann hingegen meint sinngemäß, Nietzsches Denken und Dichten, Sinnen und Trachten sei – auf einen Punkt gebracht – die Philosophie von ihrem typisch deutschen Kanzel- und Kathederernst zu befreien. Nämlich jenes Ernst- und Wichtignehmen, das mit der verkündeten Lehre „ernst machen“, ihre Denk- und Handlungsanweisungen realisieren will.[2] Nietzsche selbst verzichtet auf Realisierung. So wie er sich ungleich zur Masse verhält, so steht er disparat zu einer Realität, die in ihm das Unbehagen einer flachen, eindimensionalen Kultur erzeugt. Nietzsche sieht sich einer Epoche gegenüber, in der Positivismus, Empirismus, Ökonomismus und Nützlichkeitsdenken den Zeitgeist vorgeben. Diesen für Nietzsche „apollinischen Zwangs- und Würgekategorien“[3], welche dem Menschen den Instinkt verderben, soll die befreiende Kraft des Dionysischen entgegengesetzt werden. Zudem konstatiert Nietzsche eine Erkrankung der Sprache, eine Zerstörung der anschaulichen Weltbilder durch die Wissenschaft. Das Lebensganze des Menschen ist einerseits sprachlich nicht mehr zu erfassen, andererseits erfährt die Sprache durch die zunehmende Komplexität der Gesellschaft einen Machtzuwachs und wird ideologisch. Nietzsche nennt dies „den Wahnsinn der allgemeinen Begriffe“[4]
Er schreckt vor diesem Allgemeinen zurück, es stellt für ihn eine Vergewaltigung des Lebenstriebs dar. Seine Erfahrung mit dem kapitalistischen Gesellschaftssystem, auf dem sich das Allgemeine und die Gesellschaft begründet ist die, dass es gemessen an Nietzsches Ideal nicht funktioniert. Der Mensch in der Gesellschaft dieses Allgemeinen ist korrumpiert, hat sich mit der Lüge arrangiert und ist zu kritisieren. Die Zeit des gläubigen und hoffenden Bürger-Individuums geht zu Ende, nach der Bismarckschen Reichsgründung herrschen zentralisierter Spätkapitalismus und kommerzialisierte Massenkultur. Leere und Langeweile breiten sich aus, wo vormals utopischer Geist das Denken prägte.[5] Das Allgemeine, Gleiche, Wiederholbare sind für Nietzsche Kategorien, die für eine erstarrte und anonym gewordene kapitalistische Gesellschaft stehen, geprägt durch Institutionalisierung, Verwaltung und Massenbetrieb. Seine Rebellion dagegen ist ein ästhetischer und künstlerischer Lebensentwurf, Nietzsches Aufsässigkeit gegenüber den Zuständen nimmt in der Figur des Dionysos Gestalt an.[6]
Dionysos
Den Gedanken des Dionysischen entwickelt Nietzsche erstmals in seiner Schrift „Die Geburt der Tragödie“. Hier wird der Frage nachgegangen, ob nicht vielleicht der Sieg des Optimismus, der Vernünftigkeit und des Utilitarismus ein Symptom der absinkenden Kraft und des nahenden Alters einer Gesellschaft sei. Für Nietzsche hat die Moral als metaphysische Kraft der Sinngebung ausgedient, er stellt die Kunst als eigentliche metaphysische Tätigkeit des Menschen in den Mittelpunkt und postuliert: „dass nur als ästhetisches Phänomen das Dasein der Welt gerechtfertigt ist.“[7] Dieses Buch kennt, wie Nietzsche in der Vorrede „Versuch einer Selbstkritik“ anmerkt, nur einen „Künstler-Sinn“ hinter allem Geschehen,eine „Artisten-Metaphysik“, einen Geist, der sich gegen eine moralische Ausdeutung der Welt zur Wehr setzt. Nietzsche bringt hier eine Gesinnung jenseits von Gut und Böse zum Ausdruck, welche die Moral selbst herabsetzt und einreiht unter die Täuschungen wie Schein, Wahn, Irrtum und Zurechtmachung. Dieses widermoralische Denken richtet er vor allem und in erster Linie gegen „das Christentum als die ausschweifendste Durchfigurirung des moralischen Themas, welche die Menschheit bisher anzuhören bekommen hat.“[8]
Zu seiner in der „Geburt der Tragödie“ entworfenen ästhetischen Weltauslegung und Rechtfertigung gäbe es, so Nietzsche, keinen größeren Gegensatz als das Christentum, welches mit seinen Geboten nur moralisch sein will und jede Kunst verdamme und verurteile. Hinter dieser Kunstfeindlichkeit wittert Nietzsche das Lebensfeindliche, den rachsüchtigen Widerwillen gegen das Leben selbst, einen Hass auf die Welt und eine Furcht vor Schönheit und Sinnlichkeit. Das Christentum hätte, um dieses Diesseits besser verleumden zu können, ein Jenseits erfunden, was eigentlich ein Verlangen ins Ausruhen, ins Nichts, ein Wille zum Untergang, ein Zeichen von Erkrankung, von Müdigkeit und Erschöpfung sei. Vor dieser christlichen und unbedingten Moral muss das Leben unvermeidlich im Unrecht sein, da das Leben prinzipiell unmoralisch ist. Nietzsche erkennt in dieser Moral einen Willen zur Verneinung des Lebens, einen Nihilismus, den er als heimlichen Instinkt der Verkleinerung und Vernichtung und somit als ultimative Gefahr sieht. Mit seinem untrüglichen, dem Leben fürsprechenden Instinkt wendet sich Nietzsche in der „Geburt der Tragödie“ gegen diese christliche Moral und erfindet sich eine antichristliche, rein artistische Lehre – die dionysische.[9]
Nietzsche beschreibt das Hervorbringen und die Weiterentwicklung der Kunst als abhängig von zwei Prinzipien, welche die Namen der beiden griechischen Kunstgottheiten tragen: dem Apollinischen und dem Dionysischen. Apollo als der Gott der bildnerischen Künste wird der Kunstwelt des Traumes, des schönen Scheins, aber auch der maßvollen Begrenzung zugeordnet. Nietzsche sieht in Apollo die Verkörperung jenes Schopenhauerschen principio individuationis, auf welchem vertrauend der Mensch in einer Welt von Qualen, vergleichbar mit einem Schiffer, der vertrauend auf sein schwaches Boot, inmitten eines sturmgepeitschten Meeres sitzt. Wird nun diese ruhige, vertrauende Anschauung erschüttert, so tritt an deren Stelle ein Grauen, welches – gepaart mit der „wonnevollen Verzückung“, die der Mensch beim Zerbrechen des principio individuationis erfährt – einen Blick in das Wesen des Dionysischen gewährt und vergleichbar ist mit einem Zustand des Rausches. Nietzsche nennt verschiedene Mittel dieser Rauscherzeugung, von „narkotischen Getränken“ über das „gewaltige, die ganze Natur lustvoll durchdringende Nahen des Frühlings“[10] bis zum dionysischen Rausch der Sankt-Johann und Sankt-Veittänzer.
In poetischen Worten beschreibt Nietzsche diesen Zustand: „Unter dem Zauber des Dionysischen schließt sich nicht nur der Bund zwischen Mensch und Mensch wieder zusammen: auch die entfremdete, feindliche oder unterjochte Natur feiert wieder ihr Versöhnungsfest mit ihrem verlorenen Sohne, dem Menschen. Freiwillig beut die Erde ihre Gaben, und friedfertig nahen die Raubthiere der Felsen und der Wüste. Mit Blumen und Kränzen ist der Wagen des Dionysus überschüttet: unter seinem Joche schreiten Panther und Tiger.“[11] Jeder ist mit seinem Nächsten versöhnt und verschmolzen, der Schleier der Maja zerrissen, die Individuen vereint in einer höheren Gemeinsamkeit. Der Mensch selbst wird zum Kunstwerk, in den Schauern des Rausches offenbart sich das Ur-Eine.[12]
Die Verrückung der Apollinischen Illusion und Verschönung einer eigentlich grausigen Leidenswelt wird von Nietzsche als gesteigerte Lust und Verzückung aufgefasst. Analog dazu bedeutet für Nietzsche die Musik Richard Wagners einen künstlerischen Ausdruck dieses dionysischen Rausches. Der apollinische Traumschleier der Maja wird zerrissen, die dionysisch beseelte Wirklichkeit kommt zum Vorschein. Hier findet Nietzsche wertschaffende Mächte am Werk, welche bisher verdrängt, verdeckt und entstellt, aber nunmehr als eigenständige Werte zu erkennen und zur Entfaltung zu bringen sind. Das Wollen des Dionysos durchbricht die apollinische Anschauung, damit wird das Dionysische zum neuen Bezugssystem eines ästhetischen Urteils, zur wahren ästhetischen Beschaffenheit der Welt.[13]
Doch diese dionysische Wirklichkeit muss der Mensch erst aushalten können. Auszuhalten sind dabei eine nie gekannte Lust, gleichwie einen Ekel. Mit der dionysischen unio mystica der Individuen verschwinden die Schranken des individuellen Bewusstseins, nach dem lustvollen Rausch wird das Alltagsbewusstsein als Ekel empfunden: “In der Bewußtheit der einmal geschauten Wahrheit sieht jetzt der Mensch nur das Entsetzliche oder Absurde des Seins, … es ekelt ihn.“[14] Was ist nun das Entsetzliche, die Wahrheit des Dionysischen oder die Niederungen des Alltags, nachdem man die dionysischen Wonnen gekostet hat? Nietzsche beschreibt hier ein zweifaches Entsetzen: vom Alltagsbewusstsein gesehen ist das Dionysische entsetzlich, vom dionysischen Bewusstsein her betrachtet zeigt sich das Alltägliche, das Gewöhnliche als unerträglich: „Das bewusste Leben bewegt sich zwischen beiden Möglichkeiten. Es ist dies aber eine Bewegung, die eher einem Zerrissenwerden gleicht. Hingerissen vom Dionysischen, mit dem das Leben Fühlung behalten muss, um nicht zu veröden; und zugleich angewiesen auf die zivilisatorischen Schutzvorrichtungen, um nicht der auflösenden Gewalt des Dionysischen preisgegeben zu sein.“[15]
Die apollinische Ordnung, welche den Schleier über die dionysische Verzückung breitet, dient als Rückversicherung um nicht vom Chaos fortgerissen zu werden. Nietzsche selbst sollte dieses Schicksal letztlich ereilen. Denn mit der Radikalisierung seiner Kritik an den apollinischen Ordnungs- und Zwangskategorien wird das Dionysische in Nietzsches Denken übermächtig. Je gründlicher er sich vom apollinischen Blendwerk und Wertesystem befreit und zum Freidenker wird, umso übermächtiger wird die Last der dionysischen Entgrenzung und des Chaos. Solange er die apollinische Ordnungswelt als Rückhalt behält, ist es ihm möglich, in einer Doppelsicht „die Wissenschaft unter der Optik des Künstlers zu sehen, die Kunst aber unter der des Lebens….“[16] Apollinisches und Dionysisches vereinen sich in der Kunst. Indem Nietzsche den apollinischen Rückhalt aufgibt, wird aus dem „Eingeweihten und Jünger Dionysos“[17] dessen Opfer. Damit hört für ihn der Bezug zur Realität auf, seine Philosophie wechselt in den Mythos über. In dieser Situation entsteht Nietzsches Hauptwerk: „Also sprach Zarathustra“.[18]
Zarathustra
Nietzsches dionysische Hoffnungen werden enttäuscht. Sowohl vom „deutschen Wesen“ als auch von der „deutschen Musik“. In seinem der Geburt der Tragödie vorangestellten „Versuch einer Selbstkritik“ bedauert er die Vermischung des grandiosen griechischen Problems mit den modernen Zuständen: „Dass ich Hoffnungen anknüpfte, wo Nichts zu hoffen war, wo Alles allzudeutlich auf ein Ende hinwies!“[19] und die „fehlerhafte Nutzanwendung“ seiner philosophischen Erkenntnisse. Nietzsche sucht in der Wagnerschen Musik den „metaphysischen Trost“[20] den für ihn nur die Kunst gewährt, der aber rein ästhetisch ist und zeitlich befristet bleibt: „Wie im Traume ist die Schätzung der Dinge, solange wir uns im Banne der Kunst festgehalten fühlen, verändert“.[21] Wagner ist für Nietzsche die Erlöserfigur vom apollinischen Alltag, denn „wir brauchen gerade den All-Dramatiker, damit er uns aus der furchtbaren Spannung wenigstens auf Stunden erlöse“.[22] Dieser metaphysische Trost ist kein religiöser, sondern ein ästhetischer und steht im krassen Gegensatz zur christlichen Moral, welche auf Weltverbesserung und Schlichtung der Probleme hofft. Dieser Moral – so Nietzsche – fehlt es aber an „dionysischer Weisheit“,[23] sie blickt nicht in die Abgründe des Lebens, was nämlich nur die dionysische Kunst tut.[24]
Aber die Freundschaft Nietzsches mit Richard Wagner zerbricht, weil Wagner – im Gegensatz zu Nietzsche – nicht willens ist, die dionysische Totalität auf sich zu nehmen. Wagner als Musiker muss seinem Publikum gefällig sein, ein Rückzug aus der (apollinischen) Gesellschaft hätte seinen Ruin bedeutet.
Nietzsches Besuch in Bayreuth besiegelt den Bruch; enttäuscht vom ganzen Rummel, der Hofhaltung Wagners auf dem grünen Hügel, der schlechten Inszenierung, entsetzt von der „wohlgelaunten, saturierten und durchaus nicht erlösungsbedürftigen“[25] Society reist Nietzsche nach wenigen Tagen ab. Wagner hat in seinen Augen die dionysische Musik verraten und verkauft. Der dionysische Geist der Musik wird zukünftig den Sänger und Tänzer Zarathustra beseelen.
Der Bruch Nietzsches mit Richard Wagner geschah in dem Moment als er erkannte, dass der Meister und vor allem seine Anhängerschaft die Kunst sakralisierten, d.h. das Artifizielle verehrten als käme es vom Himmel. Nietzsche macht Wagner nicht nur zum Vorwurf, dass er mit dem christlichen Erlösungsmythos im Parsifal „vor dem Christlichen Kreuze nieder(sank)“,[26] sondern dass er vergaß, selbst der Produzent dieses christlichen Erlösungsmythos zu sein. Nietzsche schätzt ein Artistentum, welches den Mythos als eigene Kreation begreift, aber nicht dasjenige, das ihm zum Opfer fällt, indem es an ihn glaubt. Nietzsche als Dionysiker möchte Souverän des eigenen Mythos bleiben. Der Wille zum Schein, den man sich nicht eingesteht, wird zum Selbstbetrug. Bleibt man Herr über diesen Schein und nimmt ihn in eigene Regie, wird er zum Element der Lebenssteigerung.[27] Dies ist der selbstproduzierte diesseitige Trost: „Ihr solltet vorerst die Kunst des diesseitigen Trostes lernen, – ihr solltet lachen lernen, meine jungen Freunde, wenn anders ihr durchaus Pessimisten bleiben wollt; vielleicht dass ihr darauf hin, als Lachende, irgendwann einmal alle metaphysische Trösterei zum Teufel schickt – und die Metaphysik voran!“[28] Die Jünger Zarathustras sollen – im Gegensatz zu den Wagnerianern – den metaphysischen Trost nicht mehr nötig haben.
Nietzsches Figur des Zarathustra ist die Verkörperung des philosophischen Gedankens, die Sinngebung und Gestaltung des eigenen Lebens bewusst in die Hand zu nehmen. „Also sprach Zarathustra“ ist ein Hymnus auf die göttliche Unschuld des Lebens, auf eine Heiligung des Diesseits. Alle jenseitigen und transzendenten Werte und Mächte, welche der Mensch vor sich hingestellt hat und nun anbetet, sollen als eigene Kreationen erkannt und in sich selbst zurückgenommen, zurückgefordert werden: „All die Schönheit und Erhabenheit, die wir den wirklichen und eingebildeten Dingen geliehen haben, will ich zurückfordern als Eigenthum und Erzeugniß des Menschen … Der Mensch als Dichter, als Denker, als Gott, als Liebe, als Macht … daß er es war, der das geschaffen hat, was er bewunderte.“[29]
Der „Zarathustra“ war für Nietzsche ein Glücksfall. In diesem Werk konnte er zweierlei zur Sprache bringen: Die Sprachlosigkeit – weil Inkommensurabilität – des Dionysischen und seine eigene existenzielle Sprachlosigkeit, resultierend aus seiner gesellschaftlichen Abschottung und geistigen Disparität. Im Zarathustra befreit sich Nietzsche von der Last seiner dionysischen Vereinsamung, in der Gestalt dieses persischen Propheten und in seinen Reden kann das Dionysische kommuniziert werden und entzieht sich aber gleichzeitig der Realisierung durch Verlagerung in den Mythos, worauf noch zurückzukommen sein wird.
„Also sprach Zarathustra“ ist sicher als Nietzsches Hauptwerk anzusehen, es ist vom Aufbau und Inhalt her am ehesten paradigmatisch für Nietzsches Denken und Leben. Die vorangehenden Schriften können dagegen als Vorbereitung betrachtet werden, vor allem was den unterschwelligen thematischen Zusammenhang mit der „Geburt der Tragödie“ und die inhaltliche Übereinstimmung mit jenseits von „Gut und Böse“ betrifft.[30] Die bereits erwähnte disparate Stellung Nietzsches zu seinem zeitgenössischen und gesellschaftlichen Umfeld spiegelt sich auch in seinem philosophischen Denken wieder.[31] Nietzsche ist ein exemplarischer Fall individuell gelebter Identität von Denken und Sein, er lebt jedoch ohne die Schutzmechanismen gesellschaftlicher Normen und Konventionen. Diese unvergleichbare Situation, seine „azurne Einsamkeit“[32] findet im „Zarathustra“ ihren Ausdruck und ihre Anschauung, kann jedoch nicht auf der Ebene von Logik und Vernunft mitgeteilt werden. Der „Zarathustra“ stellt somit die Grenze der in einem Werk realisierten Darstellung von Nietzsches Leben und Denken dar.[33] Wie Nietzsches Existenz bleibt auch sein „Zarathustra“ letztlich inkommensurabel. Von der Struktur her ein Monolog, ist er einer Kommunikation sich zugleich anbietend und verweigernd. Nietzsches philosophisches Ideenmaterial – seine Hauptgedanken – fügen sich hier zu einem Ganzen, stützen sich gegenseitig, wie wir später sehen werden, stellen aber dennoch keine „Lehre“ dar. Dieser Widerspruch irritiert, trotz scheinbarer Ordnung im Aufbau und im Gestus des wandernden, in seinen Liedern und Reden suchenden Zarathustra, den ein bestimmtes Ziel umtreibt, wird der Leser dennoch zurückgewiesen. Zarathustra verbirgt sich, ist der Unverstandene und muss unverständlich bleiben, um Zarathustra sein zu können: „ich schliesse Kreise um mich und heilige Grenzen; immer Wenigere steigen mit mir auf immer höhere Berge, – ich baue ein Gebirge aus immer heiligeren Bergen.“[34] Das Werk ist auf Abbruch der Kommunikation angelegt, das Missverständnis ist gewollt, Zarathustras Reden sind mythisch verschlüsselt. Zarathustra agiert in einer ästhetisch – mythischen Wirklichkeit, als Gestalt ist er nicht erklärt oder konstruiert, sondern steigt „eines Morgens“ vom Berge herab zu den Menschen und entschwindet wieder, um den „großen Mittag“ zu erwarten – dies ist ein mythisches Sein, welches nicht nach Ursachen und Gründen befragt werden kann. Der Logos ist abwesend, das Geschehen wechselt in den Mythos.[35]
Nietzsches Rebellion gegen die Zustände seiner Zeit erfahren in seinem philosophischen Werk eine mythische Verschlüsselung. Von seinen Frühwerken bis zum Zarathustra findet ein Übergang von begrifflicher Darstellung zur Metaphorik und dann zum Mythos statt. Das Ästhetische begibt sich in eine Liaison mit dem Mythischen, die dionysische Naturhaftigkeit wird im „Zarathustra“ mythisch aufgehoben und verwandelt.
Der Konflikt des Dionysischen und Apollinischen, also der Widerstreit von Natur und Gesellschaft wird durch die Sprache des Zarathustra in den Mythos verlagert und so das dionysische Potential mythisch verschlüsselt. Der Konflikt wird nicht auf realer Ebene ausgetragen sondern erfährt eine mythische Zeitlosigkeit, welche für die spätere Rezeptionsgeschichte des Zarathustra und seiner Lehren noch von Bedeutung sein wird.[36]
Gott ist tot
Wie bereits angedeutet, lassen sich im philosophischen Werk Nietzsches bestimmte, auch biographisch bedingte Schaffensperioden unterscheiden. Lou Andreas-Salomé, Nietzsches damalige Bekannte und Freundin, weist in ihrem Buch „Friedrich Nietzsche in seinen Werken“ darauf hin. Sie unterscheidet im Prinzip drei Entwicklungsphasen: eine von Schopenhauers Metaphysik und Wagners Ästhetik inspirierte, eine des „positivistischen Freigeistertums“ und seine letzte, die der neuen Zukunftsphilosophie.[37] Lou von Salomé beschreibt in dieser Schrift die Art und Weise, wie Nietzsches philosophischer Erkenntnisprozess abläuft. Als wichtigsten Faktor hierfür nennt sie Nietzsches körperliches Leiden, das in wiederkehrenden Schüben fortwährend eine Lebens- und Geistesperiode von der vorhergehenden unterscheidet. In Nietzsches Schaffen findet man nicht den allmählichen Wandel eines natürlichen geistigen Wachstums, sondern ein „Auf und Nieder von Geisteszuständen, die letzten Grundes nichts anderem zu entspringen scheinen, als einem Erkranken an Gedanken und einem Genesen an Gedanken.“[38]
Nietzsche, so Salomé, reizt sich auf zu inneren Qualen und Erschütterungen, deren sein Geist bedarf, um den Erkenntnisprozess zu vollziehen. Dieses „Schmerzheischende“ scheint als durchgängiges Phänomen seine gesamte geistige Entwicklung zu bestimmen und stellt für Salomé die eigentliche Geistesquelle in ihr dar.[39] Mit den sich selbst immer wieder zugefügten geistigen Erschütterungen erzeugt Nietzsche einen eigentlich religiösen Affekt; sein religiöses Genie, so Salomé, ist jene Geistesanlage, die sich am tiefsten und „unerbittlichsten“ mit seinem geistigen Vermögen vereint. In Nietzsche richtet sich der religiöse Impetus auf das Erkennen und er kann daher das religiöse Bedürfnis nicht in der Anbetung einer höheren Entität aufgehen lassen, sondern nur einen Rückbezug auf sich selbst herstellen. Sein Wesen kann nicht in einer höheren Einheit aufgehen, sondern erfährt eine innere Zweiteilung und Spaltung: „Daher liegen in dem gewaltigen religiösen Affekt, aus dem ganz allein bei Nietzsche alle Erkenntnis hervorgeht, unlöslich in einen Knoten verschlungen: eigene Aufopferung und eigene Apotheose, Grausamkeit der eigenen Vernichtung und Wollust der eigenen Vergötterung, leidvolles Siechen und siegende Genesung, glühender Rausch und kühle Bewusstheit.“[40] Nietzsches Denken und Werk, so Salomé, wird am besten durch einen religionspsychologischen Zugang erfasst, da seine gesamte geistige Entwicklung vom Verlust des Glaubens an Gott, von der Emotion über den Tod Gottes ausging: „Die Möglichkeit, einen Ersatz für den verlorenen Gott in den verschiedensten Formen der Selbstvergottung zu finden, das ist die Geschichte seines Geistes, seiner Werke, seiner Erkrankung. Es ist die Geschichte des „religiösen Nachtriebes im Denker“, der noch mächtig bleibt, auch wenn der Gott zerbrach, auf den er sich bezog“.[41] Nietzsches Aphorismus vom tollen Menschen spiegelt in verdichteter Form diese Problematik wieder:
„ – Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: „Ich suche Gott! Ich suche Gott!“ – Da dort gerade Viele von denen zusammen standen, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein grosses Gelächter. Ist er denn verloren gegangen? sagte der Eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der Andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? – so schrieen und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. „wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet,– ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden? Hören wir noch nichts vom Lärm der Todtengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch Nichts von der göttlichen Verwesung? – auch Götter verwesen! Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besass, es ist unter unseren Messern verblutet, wer wischt diess Blut von uns ab? Welche Sühnfeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Grösse dieser That zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine grössere That, - und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser That willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!“ – Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden, dass sie in Stücke sprang und erlosch. „ich komme zu früh, sagte er dann, ich bin noch nicht an der Zeit. Diess ungeheure Ereigniss ist noch unterwegs und wandert, – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Thaten brauchen Zeit, auch nachdem sie gethan sind, um gesehen und gehört zu werden. Diese That ist ihnen immer noch ferner, als die fernsten Gestirne, – und doch haben sie dieselbe gethan! “ – Man erzählt noch, dass der tolle Mensch des selbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur dies entgegnet: „Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?“ – “[42]
Der Aphorismus vom tollen Menschen steht hier als Ansatzpunkt für einen weiteren Deutungsversuch der Gedankenwelt Friedrich Nietzsches. Wie soll man sich einem philosophischen Werk nähern, welches bis auf einige Schriften aus der Frühzeit und der Streitschrift „Zur Genealogie der Moral“ hauptsächlich aus zahllosen Aphorismen besteht, welche zwar insgesamt auf eine bestimmte Intention schließen lassen, aber dennoch kein Ganzes ergeben? Vielleicht erweist sich jener Aphorismus vom tollen Menschen als Teilchen, welches sich wie der Mikrokosmos zum Makrokosmos verhält und in welchem sich Nietzsches philosophisches Problem gleichsam repräsentativ zu erkennen gibt.
Die Verkündigung des tollen Menschen vom Tod Gottes beschreibt den ptolemäischen Skandal. Stellte im ptolemäischen Kosmos noch die Erde den Mittelpunkt der Welt dar, so scheint seit Kopernikus der Mensch auf eine schiefe Ebene geraten zu sein. Die antike wie auch die biblische Kosmologie waren geozentrisch, weil anthropozentrisch. Die Erde wurde für den Mittelpunkt der Welt gehalten, weil auf ihr jene verstandesbegabten Wesen leben, welche sich alle möglichen Dinge ausdenken können: wirkliche und unwirkliche, nahe und ferne, vergangene und zukünftige. In Begriffen und Urteilen werden diese Dinge verknüpft, indem der Verstand sagt, was sie für ihn bedeuten. Der Verstand versteht sich automatisch als Mittelpunkt der Erscheinungswelt. Dieser Egozentrismus des menschlichen Verstandes sucht sich eine höhere Legitimation und erfindet sich einen Gott, dessen unerforschlicher Ratschluss es war, dass der Mensch der Mittelpunkt der Welt sei. Das geozentrische Weltbild stellt sich so als das dem menschlichen Verstand einzig adäquate dar, sein egoistischer Anspruch ist versehen mit göttlicher Beglaubigung. Und nun erkennt ausgerechnet dieser Verstand, dass die Erde mitnichten Mittelpunkt der Welt ist, sondern einer von unzähligen Himmelskörpern irgendwo in einem unendlichen Weltall. Indem der Verstand als Angelpunkt alles Gedachten nun diese Einsicht fasst, hebt er sich selbst aus den Angeln. Sein Angelpunkt hängt in der Luft und lässt ihn fortwährend rückwärts, vorwärts, nach allen Seiten stürzen. Denn ein gleichgültiges, mittelpunktloses, ins Unendliche ausgedehntes All erklärt einen Gott, der den Menschen zum Mittelpunkt und zur Krone der Schöpfung macht, für obsolet. Durch die kopernikanische Wende hört die Welt auf, den Menschen Halt und Sinn zu geben. Sie irren durch ein unendliches Nichts, die Nacht kommt über sie und Laternen müssen am Vormittag angezündet werden. Dieser Umstand wurde aber noch nicht zur Kenntnis genommen, das Ereignis wandert noch.[43]
Die menschliche Vernunft muss sich also selber darüber täuschen, dass sie nicht mehr mit göttlicher Wahrheit beglaubigt wird – wie kann sie dann aber noch Kriterium und Organ der Wahrheit sein? Dieser Verdacht gegen die Vernunft – letztlich die eigene – ist es, der Nietzsche umtreibt und einer Vernunftpassion verfallen lässt. Wenn die Vernunft kompromisslos vernünftig ist, erkennt sie ihre eigene Unwahrheit, aber gegen Unwahrheit gibt es wieder kein anderes Mittel als kompromisslose Vernunft. Nietzsches Vernunftpassion offenbart sich in einem zunehmenden Bedürfnis, den Vernunftmenschen in seinen Formen und Selbsttäuschungen bloßzustellen. Seine Idiosynkrasie richtet sich gegen jene Menschentypen, deren Vernunft über jeden Verdacht erhaben zu sein scheint und sich als Wahrheit, der Sinn oder das Gute selbst präsentiert. Bei Nietzsche werden die verschiedenen Typen wie Priester, Philosoph, Heiliger, Wissenschaftler zu einem Typus Vernunftmensch in seinen Variationen, der sich etwas vormacht und dies nicht einmal weiß. Sie sind repräsentiert durch die atheistischen Marktplatzsteher, welche meinen, die Weisheit für sich gepachtet zu haben und dennoch nichts von den Konsequenzen ahnen, die der Tod Gottes mit sich bringt. In Nietzsches Werk lässt sich eine zunehmende Radikalität seiner Vernunftkritik beobachten, vom gemäßigten Gelehrtentraktat bis zum pointierten aggressiven Aphorismus steigert sich die Dosis seiner Vernunftpassion, bis sie letztlich für ihn selbst zur Überdosis wird.[44]
Seine Kritik wendet sich vor allem gegen jene zwei Bereiche des menschlichen Lebens, welche die normativen Werte der Gesellschaft im Wesentlichen mitbestimmen: Wissenschaft und Religion. Das wissenschaftliche Denken beginnt für Nietzsche mit Sokrates als dem Typus des theoretischen Menschen schlechthin, Sokrates sei „das Urbild des theoretischen Optimisten, der in dem bezeichneten Glauben an die Ergründlichkeit der Natur der Dinge dem Wissen und der Erkenntnis die Kraft einer Universalmedizin beilegt und im Irrthum das Uebel an sich begreift. In jene Gründe einzudringen und die wahre Erkenntniss vom Schein und vom Irrtum zu sondern, dünkte dem sokratischen Menschender edelste, selbst der einzige wahrhaft menschliche Beruf zu sein.“[45] Für den Dionysiker Nietzsche eine irrige Vorstellung, denn der Glaube an das Heil der Wissenschaft sei eher „eine tiefsinnige Wahnvorstellung, welche zuerst in der Person des Sokrates zur Welt kam, jener unerschüttliche Glaube, dass das Denken, an dem Leitfaden der Causalität, bis in die tiefsten Abgründe des Seins reiche“.[46]
Für Nietzsche ist schließlich die Gefasstheit des sterbenden Sokrates und der philosophische Disput mit den Freunden im Angesicht des Todes ein Ereignis, welches „einen Wendepunkt und Wirbel der sogenannten Weltgeschichte“[47] darstellt. Durch seine theoretische, wissenschaftliche Haltung angesichts des Todes hätte Sokrates der Wissenschaft höhere Weihen verliehen, denn nur durch Wissen und Gründe könne das Dasein Sinn und der Mensch Tugend erlangen. Wissenschaft offenbart hier ihren wahren Zweck: als eine Möglichkeit das Dasein interpretieren zu können, es mit Sinn zu versehen, mit Wahrheit zu überhöhen um es erträglich zu machen. So wird schließlich die Wissenschaft zum Glauben daran, dass die Kraft der Begriffe, Urteile und logischen Schlussfolgerungen sogar die Furcht vor dem Tode nehmen können. Sokrates ist für Nietzsche Schlüsselfigur, welche beweist, dass Wissenschaft nicht nur akademisch beglaubigte Tätigkeit zum Wohle der Gesellschaft, sondern dazu da sei, das Leben mit Sinn zu erfüllen, „das Dasein als begreiflich und damit als gerechtfertigt erscheinen zu machen“.[48] Hier zeigen sich ein metaphysischer Glaube und ein durch nichts gerechtfertigter Optimismus darüber, dass die Wissenschaft in der Lage sei, das Dasein zu erklären und das Zentrum des Weltganzen zu bilden. In dieser Vorstellung kehrt das Geozentrische System wieder, der Größenwahn des Intellekts, der sich als Angelpunkt der Welt versteht.[49]
Jener metaphysische Glaube ist es, der die Wissenschaft für Nietzsche disqualifiziert. Die aufklärerische Wissenschaft, welche meint keinen Gott mehr nötig zu haben, betrügt sich darin selbst und und muss diese Tatsache vor sich selbst verbergen: „Oh was verbirgt heute nicht Alles Wissenschaft! wie viel soll sie mindestens verbergen! Die Tüchtigkeit unsrer besten Gelehrten, ihr besinnungsloser Fleiss, … wie oft hat das Alles seinen eigentlichen Sinn darin, sich selbst irgend Etwas nicht mehr sichtbar werden zu lassen!“[50] „diese harten, strengen, enthaltsamen, heroischen Geister … sind noch lange keine freien Geister: denn sie glauben noch an die Wahrheit “.[51] In diesem Glauben an die Wahrheit als metaphysischen Wert offenbart sich ein ungebrochenes Vertrauen „zu Gott, will sagen zu irgend einer angeblichen Zweck- und Sittlichkeits-Spinne hinter dem grossen Fangnetz-Gewebe der Ursächlichkeit“[52]
Deshalb kommt die Wissenschaft auch nicht als Gegenpol für jenen anderen Bereich in Frage, gegen den Nietzsches Kritik sich wendet: Die Religion. Denn beiden gemeinsam ist eine bestimmte Haltung – das Martyrium – ein sich Aufopfern für die Sache. Der religiöse Mensch beglaubigt damit das Göttliche, der Wissenschaftler opfert sich auf für die Wahrheit; beide haben das asketische Ideal vor Augen. Wie kommt es nun dazu, dass Menschen bereit sind, für das was sie Ideal oder Wahrheit nennen, Entbehrungen und Leiden auf sich zu nehmen? Wir sahen bereits: die Kraft der Begriffe, das logische Erkennen gibt Halt im Leben, verleiht dem Dasein Sinn; Voraussetzung dafür ist aber eine die Begriffe bewahrende Instanz: Gedächtnis. „Wie macht man dem Menschen-Thiere ein Gedächtniss? … Man brennt etwas ein, damit es im Gedächtniss bleibt: nur was nicht aufhört, weh zu tun, bleibt im Gedächtniss … Es gieng niemals ohne Blut, Martern, Opfer ab, wenn der Mensch es nöthig hielt, sich ein Gedächtniss zu machen“[53] Für Nietzsche ist der Schmerz das mächtigste Hilfsmittel der Mnemotechnik, welcher eine Grundkategorie der gesamten Askese darstellt.
In „Zur Genealogie der Moral“ beschreibt Nietzsche, welch lange Tradition die Grausamkeit in der Menschheitsgeschichte aufweist. Jede Festlichkeit wurde garniert mit Folterungen und Hinrichtungen. Eine Bestrafung hatte weniger die Besserung des Übeltäters im Auge, vielmehr diente sie hauptsächlich zur Befriedigung des Geschädigten, dem eine Art von Wohlgefühl durch die Bestrafung des Übeltäters zugestanden wurde. Dieses „Anrecht auf Grausamkeit“[54] ergibt sich aus einem Vertragsverhältnis zwischen Geschädigtem und Schuldigem. Für Nietzsche besteht in diesem Vergleichen von Werten, Abmessen von Schuld, Ausdenken und Messen von Äquivalenten das Denken selbst. Dem säumigen Schuldner wird durch den Gläubiger mittels Strafe ein Gedächtnis gemacht: „ – und wirklich! mit Hülfe dieser Art von Gedächtniss kam man endlich zur Vernunft!“[55] Wo mit äußerer Gewalt veranlasst wird, dass die natürlichen Instinkte des frei herumschweifenden Menschen sich nicht mehr nach außen entladen können, sondern sich nach innen wenden müssen, da entsteht das, was Nietzsche dieVerinnerlichung des Menschen nennt. Wenn sich die Feindschaft zu anderen Individuen oder Gruppen, die Lust am Überfall, an der Zerstörung, an der Grausamkeit sich gegen den Inhaber dieser Instinkte selbst wendet, entsteht im Menschen das schlechte Gewissen: „dies an den Gitterstangen seine Käfigs sich wund stossende Thier, das man zähmen will, dieser Entbehrende und vom Heimweh der Wüste Verzehrte, der aus sich selbst ein Abenteuer, eine Folterstätte, eine unsichere und gefährliche Wildniss schaffen musste – dieser Narr, dieser Sehnsüchtige und verzweifelte Gefangene wurde der Erfinder des schlechten Gewissens.“[56]
Für Nietzsche beruht fast alles, was wir heute Kultur und Zivilisiertheit – heute sagt man common sense oder political correctness – nennen, auf einer Vertiefung und Vergeistigung von Grausamkeit. Letztlich ist für ihn im Denken selbst, auch in den höchsten Abstraktionen noch Grausamkeit zu finden, denn ohne Disziplinierung und Triebverzicht ist es nicht möglich zu einem Begriff, einer Idee oder einer Abstraktion zu gelangen. Hier tritt der von Nietzsche geprägte Begriff des asketischen Ideals zu Tage, und mit ihm jene Figur, in der das asketische Ideal seine höchste Ausformung erfährt: der asketische Priester. Der Gedanke, um den Nietzsche hier kämpft, ist die Wertung des Lebens insgesamt – also Natur, Welt, die Sphäre des Werdens und Vergehens – diese wird von den asketischen Priestern in Beziehung gesetzt zu einem gänzlich andersartigen Dasein, zu welchem sich das wirkliche Leben völlig gegensätzlich und ausschließend verhält. Nur wenn das Leben sich verneint, also im Falle eines asketischen Lebens, kann es eine Brücke sein zu jenem andersartigen, jenseitigen Dasein. Das diesseitige Leben wird vom Asketen wie ein Irrweg behandelt, „den man endlich rückwärts gehen müsse, bis dorthin, wo er anfängt; oder wie einen Irrthum, den man durch die That widerlege – widerlegen solle. Denn er fordert, dass man mit ihm gehe, er erzwingt, wo er kann seine Werthung des Daseins.“[57] Für Nietzsche bedeutet diese ungeheuerliche Wertung des Daseins keine Ausnahme und Kuriosität, sondern eine der längsten und ältesten Tatsachen der Weltgeschichte. Die Figur des asketischen Priesters macht aus „ Selbstlosigkeit, Selbstverleugnung,Selbstopferung ein Ideal“,[58] eine Tugend und das Gute schlechthin. Der Selbstwert des Menschen wird denunziert, ein sich selbstbewusst entfaltendes Leben abgewertet: „als ob Gesundheit, Wohlgerathenheit, Stärke, Stolz, Machtgefühl an sich schon lasterhafte Dinge seien, für die man einst büssen, bitter büssen müsse“.[59] Mit dem gegen sich gekehrten Egoismus entsteht das schlechte Gewissen, der Mensch fühlt sich schuldig und böse. Speziell bezüglich des Christentums prangert Nietzsche – wie bereits erwähnt – diesen Mechanismus auf das Heftigste an, hier sieht er ein Bedürfnis nach einem Anders- und Anderswo-Sein; und der asketische Priester ist in einem höchsten Grade der fleischgewordene Wunsch danach. Aber die Macht seines Wünschens, so Nietzsche, hält ihn im Diesseits fest, er wird zum Werkzeug für die ganze Herde der Missratenen, Schlechtweggekommenen und Verunglückten, denen er als Hirt vorangeht.[60]
Letztlich stellen sich die beiden exemplarischen Figuren des sokratischen und des priesterlichen Menschen als Ausprägungen des einen Typus Vernunftmenschen dar, auf den Nietzsche in seiner Vernunftpassion reagiert. Der logische wissenschaftliche Optimismus erweist sich als Zweckoptimismus der Vernunft, die an sich selbst glaubt und deren Geheimnis es ist, dem Leben Halt und Sinn zu verleihen. Doch die Herstellung dieser Vernunft ist nichts anderes als Selbstdisziplinierung, als nach innen gewendete Grausamkeit von Qual und Lust. Erkennbar sind hier verschiedene Zugänge zu einem Geschehen: der Konstitution menschlicher Vernunft. Am sokratischen Menschen erkennt Nietzsche die psychologischen Geheimnisse von Wissenschaft und Philosophie, am Priestertypus diejenigen von Religion und Herrschaft. Beiden Vernunfttypen gemeinsam ist, so Nietzsche, ein Machtwille, der im Rahmen der Religion, der Politik und der Moral über das Weltgeschehen bestimmt.
Nicht dass Nietzsche einen sich verwirklichenden Willen zur Macht verurteilen würde, aber hier handelt es sich um seine pervertierte, ressentimentgeladene, korrumpierte, vergeistigte Form. Einen echten autonomen Machtwillen, eine sich selbst bejahende, vornehme Moral gibt es nicht mehr: „Die Herren sind abgethan, die Moral des gemeinen Mannes hat gesiegt.“[61] Die Sklavenmoral, welche Nietzsche hier anspricht, erkennt er auch in den Arbeits- und Lohnverhältnissen seiner Zeit, sie manifestiert sich in Verordnungen, Sachzwängen, Rationalisierungen einer industriellen Gesellschaft, welche sowohl Unternehmer wie auch Arbeiter zu Sklaven des Systems macht: “In der neueren Zeit bestimmt … der Sklave die allgemeinen Vorstellungen: als welcher seiner Natur nach alle seine Verhältnisse mit trügerischen Namen bezeichnen muß, um leben zu können. Solche Phantome wie die Würde des Menschen, die Würde der Arbeit, sind die dürftigen Erzeugnisse des sich vor sich selbst versteckenden Sklaventums.“[62] Wenn die Sklaverei schon ein unausrottbares historisches Faktum darstellt, so würde Nietzsche eine Sklaverei großen Stils bevorzugen; welche noch Herren kennt und die den Zweck hat, als Unterbau und Basis zu dienen, um einen neuen Menschentypus der Stärke und des Bejahens, den Glücksfall der Menschheit hervorzubringen: „gönnt mir einen Blick nur auf etwas Vollkommenes, zu-Ende-Gerathenes, Glückliches, Mächtiges, Triumphirendes, an dem es noch Etwas zu fürchten giebt! Auf einen Menschen, der den Menschen rechtfertigt, auf einen complementären und erlösenden Glücksfall des Menschen, um desswillen man den Glauben anden Menschen festhalten darf!“[63] Nietzsches Zynismus bezüglich der Sklaverei beruht darauf, dass er die Sinnlosigkeit der Sklaverei nicht erträgt.[64] Nur wenn der Wille zur Macht jene bejahende und verherrlichende Gestalt annimmt, ist für Nietzsche das Dasein gerechtfertigt.
Der Übermensch
Nachdem Nietzsche seine Vernunftkritik bis ins Extrem betrieben hat, leuchtet bei ihm so etwas wie ein neuer Gedanke auf, eine positive Wendung zum Antikritischen. Es ist dies seine Lehre vom Willen zur Macht, das Weltganze vom Anorganischen bis ins Geistige hinein soll aus einem Prinzip erklärt werden: „Die Welt von innen gesehen, die Welt auf ihren intelligiblen Charakter hin bestimmt und bezeichnet – sie wäre eben Wille zur Macht und nichts ausserdem.“[65] Mit seinem Gedanken vom Willen zur Macht zieht Nietzsche die Konsequenz aus der Tatsache, dass mit dem Tod Gottes der menschliche Verstand so handeln muss, als ob die Angeln der Welt sich in ihm drehen würden. Er ist nicht mehr Organ der göttlich beglaubigten Wahrheit, sondern Ort einer Selbstüberhebung, eines „mehr-sein-Wollens“ als man ist; ein anderes Wort nur für den Begriff „Wille zur Macht“. Es ist dies für Nietzsche ein Weg, vom minderwertigen Aspekt der Selbstüberhebung loszukommen und ihn umzuwandeln in eine offene und selbst bestimmte Bejahung des eigenen Wollens, um dem eigenen Dasein Glanz zu verleihen und die von Gott verlassene Welt wenigstens ästhetisch zu rechtfertigen, wie Nietzsche bereits in der „Geburt der Tragödie“ postulierte. Wenn Gott tot ist, wenn es keine Instanz gibt, welche die Erde und mit ihr das menschliche Dasein zum Weltmittelpunkt macht, so muss es so gestaltet werden als wäre dies der Fall. Nur der Wille zur Macht, so Nietzsche, ist dazu in der Lage. Wer ist nun Träger dieses reinen Willens zur Macht, der die Erde segnet und das Diesseits heiligt, ohne einen Gott und ein Jenseits zu brauchen? Im gewöhnlichen Menschen ist der Wille zur Macht gebrochen, ressentimentgeladen. Der tolle Mensch ermächtigt sich hingegen soweit, um zu erkennen, dass Gott tot ist und stellt zugleich die Frage: „Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selbst zu Göttern werden?“ und hat diese Doppelfrage bereits mit einem Ja beantwortet – darum ist er toll. Nur eine Figur, ein Typus ist es, in dem der Wille zur Macht ungebrochen und sich selbst offenbar ist, der die Doppelfrage des tollen Menschen verneint: Die Größe dieser Tat ist nicht zu groß für ihn und er muss nicht selbst zu einem Gott werden – denn er ist der Übermensch.[66]
Zarathustra, der die Menschen liebt, ist seiner Weisheit, die er auf seinem Berge gesammelt hat überdrüssig und möchte sie austeilen und verschenken. Am Marktplatz der nächsten Stadt spricht er zum Volk: „Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr gethan, ihn zu überwinden? … Der Übermensch ist der Sinn der Erde.“[67]
Zarathustra beschwört die Menge, der Erde treu zu bleiben und nicht auf die religiösen Giftmischer zu hören, welchen die Verachtung des Leibes als das Höchste gilt und welche die Seele „mager, grässlich und verhungert“ wollen. Doch „was kündet euer Leib von eurer Seele?“, fragt Zarathustra, „ist eure Seele nicht Armuth und Schmutz und ein erbärmliches Behagen? Wahrlich, ein schmutziger Strom ist der Mensch. Man muss schon ein Meer sein, um einen schmutzigen Strom aufnehmen zu können, ohne unrein zu werden. Seht, ich lehre euch den Übermenschen: der ist dies Meer, in ihm kann eure grosse Verachtung untergehn.“[68] Denn der Mensch, will er sich verwandeln, muss verachten lernen: sein Glück, seine Vernunft und seine Tugend. Für Zarathustra sind die Menschen kleinmütig und genügsam geworden. All ihr Gutes und Böses, ihre Gerechtigkeit und ihr Mitleiden ist Armut und Schmutz und erbärmliches Behagen: „Nicht eure Sünde – eure Gerechtigkeit schreit gen Himmel, euer Geiz selbst in eurer Sünde schreit gen Himmel!“[69] Doch das dummdreiste Volk versteht Zarathustra nicht und lacht über ihn. Erneut versucht Zarathustra seine Belehrung, beschreibt den Menschen als Brücke, als Übergang und Untergang, als einen der untergehen muss, damit der Übermensch lebe. Es sei für den Menschen an der Zeit, sich ein Ziel zu stecken, noch sei das Potential dafür vorhanden, doch es wird eine Zeit kommen, so spricht Zarathustra, „wo der Mensch keinen Stern mehr gebären“[70] wird können, die Zeit des „letzten Menschen“, des verächtlichsten, der alles klein macht, der das Glück erfunden hat und blinzelt. Doch das Volk versteht nicht, missversteht absichtlich die Rede Zarathustras und verlangt von ihm: „Gieb uns diesen letzten Menschen, oh Zarathustra, … mache uns zu diesen letzten Menschen! So schenken wir dir den Übermenschen!“[71] Zarathustra muss einsehen, dass die „Lehre“ vom Übermenschen, wie sie von Nietzsche in der „Vorrede“ von „Also sprach Zarathustra“ dargelegt wird, für das gemeine Volk, die Masse unverständlich ist. Von nun an spricht Zarathustra nicht mehr zum Volk, er will sich Gefährten und Jünger suchen, die ihm folgen; ihnen will er die „Treppen des Übermenschen“[72] zeigen und ihnen sein Lied singen.
Hier beginnen die Reden Zarathustras: von den drei Verwandlungen, den Hinterweltlern, dem Baum am Berge, dem Weg des Schaffenden, vom freien Tode, von der schenkenden Tugend und vielem Anderen. Ab und zu taucht ein Hinweis auf den Übermenschen wieder auf, und über allem schwebt gleichsam als Mahnung die Idee des Übermenschlichen. Am Ende der „drei Verwandlungen“ spricht Zarathustra von Unschuld und Vergessen eines Kindes, von spielerischem Neubeginn, einer ersten Begegnung, einem aus sich rollenden Rad und einem heiligen Ja-Sagen,[73] welche ebenso Attribute des Übermenschen sind wie der gesunde Leib, der vollkommen und rechtwinklig ist und vom Sinn der Erde redet.[74] Auch wenn Zarathustra von der Freundschaft spricht, ist dies ein Anlass um auf den Übermenschen hinzuweisen, denn dem Freunde gegenüber darf man sich nicht gehen lassen und Schwäche zeigen, sondern muss tadellose Haltung bewahren, dem Freunde reine Luft, Einsamkeit, Brot und Arznei und dadurch „ihm ein Pfeil und eine Sehnsucht nach dem Übermenschen sein“[75] Mutterschaft und Ehe ist für Zarathustra ebenso Gelegenheit vom Übermenschen zu reden. Ein Kind soll ein lebendiges Denkmal sein, Voraussetzung dafür allerdings ist bereits die „Rechtwinkligkeit an Leib und Seele“ der Eltern, denn sie sollen über sich hinausbauen, sich nicht fort –, sondern hinaufpflanzen. Es gilt, einen höheren Leib zu schaffen, eine „erste Bewegung“, ein „aus sich rollendes Rad“, – ein Schaffender soll geschaffen werden, der Wille zur Ehe soll „Pfeil und Sehnsucht zum Übermenschen“ sein.[76] Zarathustra richtet sich in seinen Reden an eine besondere Gruppe von Menschen, die ein Kollektiv bilden sollen, aus welchem schließlich der Übermensch hervorgeht: „Ihr Einsamen von heute, ihr Ausscheidenden, ihr sollt einst ein Volk sein: aus euch, die ihr euch selber auswähltet, soll ein auserwähltes Volk erwachsen: – und aus ihm der Übermensch.“[77] Doch noch ist es nicht soweit, noch ist nicht einmal jener große Mittag angebrochen, an welchem der Mensch in der Mitte seines Weges vom Tier zum Übermenschen steht und an dem der Mensch erkennt: “Todt sind alle Götter: nun wollen wir dass der Übermensch lebe. – diess sei einst am grossen Mittage unser letzter Wille! –“[78]
Die Menschen in Zarathustras Gegenwart können den Übermenschen nicht direkt hervorbringen, aber sie können sich umschaffen zu Vätern und Vorfahren des Übermenschen[79]. Zu fremd ist ihrer Seele noch die Größe des Übermenschen, als „grosser Gewalt-Herr“ könnte er kommen, als „gewitzter Unhold“[80] und sie würden „vor dem Sonnenbrande der Weisheit flüchten, in dem der Übermensch mit Lust seine Nacktheit badet“ wie Zarathustra sagt und er ahnt: „ich rathe, ihr würdet meinen Übermenschen Teufel – heissen!“[81]
Also spricht Zarathustra vom Übermenschen. Vieles wird angedeutet, bleibt mythisch verschlüsselt, konkrete Handlungsanweisungen findet der Leser im „Zarathustra“ vergeblich. In manchen Textstellen wird jedoch deutlich, dass die Figur des Übermenschen nicht nur ein utopischer Gedanke bleiben soll, sondern dass Nietzsche durchaus an die Möglichkeit einer Realisierung gedacht hat. Gleichzeitig wird ersichtlich, dass dieser Prozess nicht unbedingt friedlich und harmonisch im Sinne einer kontinuierlichen Weiterentwicklung und Verbesserung ablaufen muss. Zarathustras Schaffens-Wille treibt ihn hin zum Menschen wie den Hammer zum Stein: „Ach, ihr Menschen, im Steine schläft mir ein Bild, das Bild meiner Bilder! Ach, dass es im härtesten, hässlichsten Steine schlafen muss! Nun wüthet mein Hammer grausam gegen sein Gefängnis. Vom Steine stäuben Stü title="">[82] denn Zarathustras Liebe gilt nicht dem Menschen: „Der Übermensch liegt mir am Herzen, der ist mir mein Erstes und Einziges, – und nicht der Mensch: nicht der Nächste, nicht der Ärmste, nicht der Leidendste, nicht der Beste – oh meine Brüder, was ich lieben kann am Menschen, das ist, dass er ein Übergang ist und ein Untergang.“[83]
Der Unmensch
Wer der Übermensch ist und was man sich unter diesem Begriff vorzustellen hat, bleibt letztlich im „Zarathustra“ unbeantwortet. Nietzsche selbst beschreibt in „Ecce homo“ den Begriff „Übermensch“ als „Bezeichnung eines Typus höchster Wohlgerathenheit … – ein Wort, das im Munde eines Zarathustra … ein sehr nachdenkliches Wort wird“.[84] Jedenfalls steht der Übermensch im Gegensatz zum modernen und „guten“ Menschen und ist keinesfalls idealistischer Held oder halb Heiliger und halb Genie.[85] Am ehesten nahe kommt dem Typus des Übermenschen Zarathustra selbst: „Und wie Zarathustra herabsteigt und zu Jedem das Gütigste sagt! … Hier ist in jedem Augenblick der Mensch überwunden, der Begriff „Übermensch“ ward hier höchste Realität“.[86] Die nachdenklichen Worte des Zarathustra klingen vorerst noch moderat, wenn er von der „schenkenden Tugend“ spricht und im Gegensatz dazu von der „kranken Selbstsucht“ des Pöbels: „Ist es nicht Entartung? – Und auf Entartung rathen wir immer, wo die schenkende Seele fehlt. Aufwärts geht unser Weg, von der Art hinüber zur Über-Art.“[87] Das unbelehrbare Volk, die Masse der Viel-zu-Vielen, welche keine Hingabe für den Gedanken des Übermenschen entwickeln können, haben im Auge Zarathustras ihre Existenzberechtigung verloren: „das Alles von Heute – das fällt, das verfällt: wer wollte es halten! Aber ich – ich will es noch stossen! … Die Menschen von heute: seht sie doch, wie sie in meine Tiefen rollen!“[88] Deutlichere Worte findet Nietzsche im „Antichrist“: „Die Schwachen und Missrathenen sollen zu Grunde gehen: erster Satz unsrer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen.“[89] Diese Worte sind zweifellos unter die problematischsten in Nietzsches philosophischem Werk zu zählen und können, bedenkt man die historischen Ereignisse im 20. Jahrhundert, nicht mehr als reines Gedankenspiel im mythischen Raum stehengelassen werden. Dennoch täte man Nietzsche Unrecht, würde man ihn als Menschenverächter bezeichnen. Was für ihn am Menschen verächtlich erscheint, ist seine kulturgeschichtlich gewordene Form. Dieser historische Menschentyp ist für Nietzsche krank und entartet, dieser Typ muss überwunden werden durch den Glauben an einen neuen, welcher Herr und Sinn der Erde sein soll. Deshalb ist auch auf ein geschichtliches Werden dieses Typus nicht zu hoffen. Er sei zwar schon oft genug da gewesen, so Nietzsche, aber als Glücksfall und Ausnahme, niemals noch als gewollt. Aus Furcht vor diesem Herrschertyp wurde eher der umgekehrte Typus gewollt und gezüchtet und erreicht: „das Hausthier, das Heerdenthier, das kranke Thier Mensch, – der Christ …“[90] Dennoch gab es fortwährend aus verschiedenen Kulturen heraus das Gelingen einzelner Glücksfälle höherer Typen, welche im Vergleich zur „normalen“ Menschheit eine Art Übermensch waren. Dieser Typus Mensch als der höherwertigere und lebenswürdigere soll gewollt und gezüchtet werden.[91] Konkrete Züchtungsvorschriften bekommt man im „Zarathustra“ aber nicht mitgeteilt, bei Nietzsche bleibt es beim Wollen und dem idealistischen Glauben daran, allein durch Denken, Aussprechen und Niederschreiben die Dinge in Existenz treten zu lassen.[92] Allenfalls könnte die Züchtung des Übermenschen ebenso lange dauern, wie es zur Züchtung des kranken christlichen Haustiers gedauert hat.
Das Problem des Übermenschen besteht im Unmenschlichen und in der Maßlosigkeit seiner Gewalt: „Der Mensch ist das Unthier und Überthier, der höhere Mensch ist der Unmensch und Übermensch: so gehört es zusammen. Mit jedem Wachstum des Menschen in die Größe und Höhe wächst er auch in das Tiefe und Furchtbare“[93] Mit dem Grad seiner Herrlichkeit wächst auch das Tiefe, Dunkle und Schreckliche des Übermenschen. Kranke, Schwache und „Degenerierte“ sind ihm nicht mehr als Leitersprossen, auf denen er emporsteigen kann und deren Opfer die „Gesammt-Züchtung“[94] benötigt: „Die Gattung braucht den Untergang der Missrathenen, Degenerirten“[95] Nietzsche graut es selbst vor seinen Erkenntnissen. In einem Brief an seinen Freund Franz Overbeck heißt es: „Mir besteht mein Leben jetzt in dem Wunsche, dass es mit allen Dingen anders stehen möge, als ich sie begreife; und daß mir Jemand meine „Wahrheiten“ unglaubwürdig mache“[96] Nietzsche weiß, dass der Übermensch gemessen an bürgerlichen Normvorstellungen ein Unmensch ist. Was er Zarathustra verkünden lässt ist jenseits der Vernunft, ist „der Wahnsinn mit dem ihr geimpft werden müsstet … Seht ich lehre euch den Übermenschen: der ist dieser Blitz, der ist dieser Wahnsinn!“[97] Aber Nietzsche sperrt sein Werk gegen die Realisierung. Die mythische Verkleidung, die Distanziertheit und Ungleichheit des Zarathustra blockieren die Entladung des kriminellen Potentials. Der Übermensch ist zwar für Nietzsche die Rechtfertigung für seinen Ekel am Jetztmenschen, seine Sphäre aber bleibt der Mythos. Erkennbar ist dies an der mythischen Denkform, am Gestus der Sprache Zarathustras, welche die Kunde vom Übermenschen in Form alttestamentarischer Gebote vorträgt. Diese mythische Denkform setzt den Ausgangsmythos Nietzsches – das Dionysische – auf ästhetische Weise fort, das dionysische Potential kommt aber nicht zum Tragen, da Nietzsche mit Zarathustra „Kreise und heilige Grenzen“ um sich schließt und „auf immer höhere Berge“ steigt. Damit kann der Funke nicht einschlagen, der Übermensch rückt in mythologische Ferne. Das Ideal der Menschheit, der „Sinn der Erde“ welches als utopische Hoffnung kommen soll, bleibt damit im mythischen Jenseits.[98] Diese Abgehobenheit des Übermensch-Gedankens findet ihre Entsprechung in der persönlichen Situation Nietzsches. Sein Denkstil ist geprägt von seiner Disparität zum sozialen Umfeld, zur Gesellschaft und selbst seinen Angehörigen und Freunden.[99] Nietzsches Situation, im „Zarathustra“ verklärt und zur „azurnen Einsamkeit“ hochstilisiert, fordert ihren Tribut: die einsame Höhe des „Zarathustra“ kündet vom Abgrund, der noch auf Nietzsche warten sollte. Die Paradoxie in Nietzsches Leben – einerseits ungleich und abgesondert bleiben zu wollen und andererseits mit seiner Philosophie gehört zu werden – wird ihm letztlich zum Verhängnis.
Nietzsche wollte verborgen bleiben, deshalb ließ er Zarathustra in Rätseln sprechen. Sein Werk – ein Buch „für Alle und für Keinen“ – wie es im Untertitel heißt, blieb für die Allgemeinheit unverständlich. Der Blitz des Wahnsinns konnte nicht zünden, die Kunde vom Übermenschen fand allenfalls in Künstlerkreisen Beachtung als kuriose Idee eines Sonderlings. Aber auch diese Ablehnung ließ Nietzsche verzweifeln; hatte er doch die idealistische Illusion, welche dem Denken, dem Bewusstsein eine direkte seinskonstituierende Mächtigkeit zuspricht. Auf diese Weise hätte der Zarathustra-Mythos keiner Propaganda oder Rezension bedurft, um seine Wirkung zu entfalten. Nietzsches kuriose Predigt und Lehre vom Übermenschen verhallte aber zu seinen Lebzeiten ungehört im Vakuum zwischen allen und keinem.[100]
Das Halkyonische
Tatsache ist es auch, dass „Also sprach Zarathustra“ später das populärste und nachhaltigste Buch Nietzsches war, vielleicht eines der meistgelesenen philosophischen Bücher des 20. Jahrhunderts. Paradoxerweise ist aber der “Zarathustra“ das von Nietzsche selbst am wenigsten populär gemeinte Werk, welches – wie Zarathustra selbst nur an wenige auserwählte Schüler – sich nur an eine auserwählte Leserschaft wendet: „Wer die Luft meiner Schriften zu athmen weiss, weiss, dass es eine Luft der Höhe ist, eine starke Luft. Man muss für sie geschaffen sein, sonst ist die Gefahr keine kleine, sich in ihr zu erkälten.“[101] Wie soll man sich nun diesem widersprüchlichen Werk nähern, wer sind „alle“ und „keiner“, für die das Buch geschrieben ist? Nietzsche gibt einen Hinweis: „Man muss vor Allem den Ton, der aus diesem Munde kommt, diesen halkyonischen Ton richtig hören, um dem Sinn seiner Weisheit nicht erbarmungswürdig Unrecht zu thun.“[102] Das Halkyonische – die halkyonischen Tage – ist eine Zeit der Stille und Leichtigkeit, einer seelischen Hochstimmung.[103] Nietzsche schreibt im „Fall Wagner“: „was wir Halkyonier bei Wagnern vermissen – la gaya scienza; die leichten Füsse; Witz, Feuer, Anmuth, die grosse Logik; den Tanz der Sterne; die übermüthige Geistigkeit; die Lichtschauder des Südens; das glatte Meer – Vollkommenheit …“[104] Das Halkyonische ist bei Nietzsche somit ein anderer Name für das Dionysische und hat zu tun mit dem Bejahen des Lebens, mit dem Leichtnehmen, mit einer fröhlichen Logik. Alles Schwere, Starre, formelhafte Wichtignehmen ist abgelegt, der Mensch ist in einem tanzenden Gleichgewicht, Leib und Seele befinden sich im Einklang. Gemäß Nietzsche versteht also nur derjenige den „Zarathustra“ richtig, der den halkyonischen Ton vernimmt; und man erkennt dies daran, dass er selbst auf diesen Ton gestimmt ist, also imstande ist, Körper und Geist ins Gleichgewicht zu bringen.[105] Den „halkyonischen Ton richtig hören“ beinhaltet die Aufforderung, die Lehre Zarathustras subjektiv als Appell dafür zu verstehen, psychisch und physisch ins Gleichgewicht zu kommen, „rechtwinklig an Leib und Seele“ zu werden. Der „Zarathustra“ ist also ein Buch für all jene, die sich bemühen wollen, autonom über ihr Leben zu verfügen um sich in individueller Besonderheit zu verwirklichen; und ein Buch für keinen, der hier ein philosophisches System sucht oder einem Dogma anhängen will.[106]
[...]
[1] Vgl. Safranski, R. Nietzsche. S.51
[2] Vgl. Lehmann, G. Der Übermensch. S.42
[3] Ebd. S.22
[4] Nietzsche, F. KSA 1 (UB IV, Richard Wagner in Bayreuth), S.455 [Zitate aus Nietzsches Werken, im
Folgenden KSA]
[5] „Ein neues Mittelalter … befürchte ich nicht, aber eine immer ödere, eine immer frechere „Jetztzeit“ in
entsetzlicher Steigerung: Zweckmäßigkeit überall und ein völliges Abdorren aller tiefsten Kräfte, aller
künstlerischen, schaffenden Fähigkeit; wer wird noch so abgeschlossen in reinen Gebieten leben dürfen,
wie unsere großen Befreier, Goethe und seine Genossen, es vermochten?“
KSA 15 (Chronik zu Nietzsches Leben) S.26 (Brief Erwin Rohdes an Nietzsche 11.Dez.1870)
[6] Vgl. Lehmann, G. a.a.O. S.28 ff
[7] KSA 1 (GT, Versuch einer Selbstkritik) S.17
[8] Ebd. S.18
[9] KSA 1 (GT, Versuch einer Selbstkritik) S.18-19
[10] KSA 1 (GT) S.29
[11] KSA 1(GT) S.29
[12] Vgl. Ebd. S.25 ff.
[13] Vgl. Lehmann, G. a.a.O. S.21
[14] KSA 1 (GT) S.57
[15] Safranski, R. Romantik. S.294
[16] KSA 1 (GT, Versuch einer Selbstkritik) S.14
[17] KSA 5 (GM) S.238
[18] Vgl. Lehmann, G. a.a.O. S.22
[19] KSA 1 (GT, Versuch einer Selbstkritik) S.20
[20] KSA 1 (GT) S.114
[21] Ebd. S.452
[22] Ebd. S.469
[23] Ebd. S.128
[24] Vgl. Safranski, R. a.a.O. S.289
[25] Ebd. S.291
[26] KSA 6 (Nietzsche contra Wagner) S.431
[27] Vgl. Safranski, R. a.a.O. S.296 ff
[28] KSA 1 (GT, Versuch einer Selbstkritik) S.22
[29] KSA 13 (N 1887-1889) S.41
[30] Vgl. KSA 4 (Z, Nachwort) S.411,413
[31] „… die veränderte Art zu denken und zu empfinden, welche ich seit sechs Jahren auch schriftlich zumAusdruck brachte, hat mich im Dasein erhalten und mich beinahe gesund gemacht. Was geht es michan, wenn meine Freunde behaupten, diese meine jetzige „Freigeisterei“ sei ein exzentrischer, mit denZähnen festgehaltener Entschluß und meiner eigenen Neigung abgerungen und angezwungen? Gut, esmag eine „zweite Natur“ sein: aber ich will schon noch beweisen, daß ich mit dieser zweiten Natur erstin den eigentlichen Besitz meiner ersten Natur getreten bin.“KSA 15 (Chronik zu Nietzsches Leben) S.132 (Brief an Hans von Bülow Dez.1882)
[32] KSA 6 (EH) S.343
[33] Vgl. Lehmann, G. a.a.O. S.14-16
[34] KSA 6 (EH) S.343
[35] Vgl. Lehmann, G. a.a.O. S.18
[36] Vgl. ebd. S.30
[37] Vgl. Andreas-Salome, L. Friedrich Nietzsche in seinen Werken. S.139
[38] Ebd. S.23
[39] Vgl. ebd. S.24
[40] Andreas-Salome, L. a.a.O. S.38
[41] Ebd. S.41
[42] KSA 3 (FW) S.480
[43] Vgl. Türcke, C. Der tolle Mensch. S.27 ff.
[44] Vgl. ebd. S.63 ff.
[45] KSA 1 (GT) S.100
[46] Ebd. S.99
[47] Ebd. S.100
[48] Ebd. S.99
[49] Vgl. Türcke, C. a.a.O. S.66 ff.
[50] KSA 5 (GM), S.397
[51] Ebd. S.398
[52] Ebd. S.357
[53] KSA 5 (GM) S.295
[54] Ebd. S.300
[55] Ebd. S.297
[56] Ebd. S.323
[57] KSA 5 (GM) S.362
[58] Ebd. S.326
[59] Ebd. S.369
[60] Vgl. KSA 5 (GM). S.366
[61] Ebd. S.269
[62] KSA 1 (NS 1870-1873, 5 Vorreden, Der griechische Staat) S.765
[63] KSA 5 (GM) S.278
[64] Vgl.Türcke, C. a.a.O. S. 101,116
[65] KSA 5 (J) S. 55
[66] Vgl. Türcke C. a.a.O. S.126 ff
[67] KSA 4 (Z) S.14
[68] KSA 4 (Z) S.15
[69] Ebd. S.16
[70] Ebd. S.19
[71] Ebd. S.20
[72] Ebd. S.26
[73] Vgl. KSA 4 (Z) S.31
[74] Vgl. ebd. S. 38
[75] Ebd. S.72
[76] Vgl. ebd. S.90
[77] Ebd. S. 100
[78] KSA 4 (Z) S.102
[79] Vgl. ebd. S.109
[80] Ebd. S.254
[81] Ebd. S.185,186
[82] Ebd. S.111
[83] KSA 4 (Z) S.357
[84] KSA 6 (EH) S.300
[85] Ebd. S.300
[86] Ebd. S.344
[87] KSA 4 (Z) S.98
[88] Ebd. S. 262
[89] KSA 6 (AC) S.170
[90] KSA 6 (AC) S.170
[91] Vgl. ebd. S.170
[92] Vgl. Lehmann G. a.a.O. S.65
[93] KSA 12 (N 1885-1887) S.426
[94] KSA 13 (N 1887-1889) S.470
[95] Ebd. S.470
[96] KSA 15 (Chronik) S.151, Brief an Franz Overbeck 2.Juli 1885
[97] KSA 4 (Z) S.16
[98] Vgl. Lehmann, G. a.a.O. S.60 ff.
[99] „Weiß eigentlich irgend Jemand, was mich krank machte? Was mich Jahre lang in der Nähe des Todesund im Verlangen nach dem Tode festhielt? Es scheint mir nicht so. Wenn ich R. Wagner ausnehme, soist mir Niemand bisher mit dem Tausendstel von Leidenschaft und Leiden entgegengekommen, ummich mit ihm „zu verstehn“; ich war dergestalt schon als Kind allein, ich bin es heute noch, in meinem44tenLebensjahre. … Mein Freund Overbeck abgerechnet (und drei Menschen noch dazu) hat sich inden letzten zehn Jahren fast Jedermann, den ich kenne, mit irgend einer Absurdität an mir vergriffen“
KSA 15 (Chronik zu Nietzsches Leben) S.166 (Brief an Franz Overbeck 12.Nov.1887)
[100] Vgl. Lehmann, G. a.a.O. S.70
[101] KSA 6 (EH) S.258
[102] KSA 6 (EH) S.259
[103] Dieser Ausdruck „halkyonische Tage“ hat seinen Ursprung in der griechischen Mythologie. Alkyonewar ein weibliches Meerwesen, dessen Gemahl eines Tages auf See umkam. Alkyone trauert um ihrentoten Gatten und ihr Vater, der Windgott Aiolos, verwandelte schließlich sie und ihren Gemahl inEisvögel (alkuonez), deren klagende Schreie Trauer signalisieren. Während der Brutzeit ließ Aiolosfür etwa zwei Wochen Windstille herrschen und dies sind die halkyonischen Tage, an denen dieNatur, befreit von der Gewalt der Stürme, aufatmen und sich regenerieren kann. Die eine Komponente dieser ursprünglichen Bedeutung des Wortes „halkyonisch“, der gemäß der Eisvogel als Symbol des Klagens und der Trauer fungiert, verlor sich mit der Zeit. Bei Adalbert Stifter, den Symbol des Klagens und der Trauer fungiert, verlor sich mit der Zeit. Bei Adalbert Stifter, den Nietzsche besonders geschätzt hat, taucht die andere Komponente der ursprünglichen Bedeutung auf: Er spricht von der „halkyonischen Stille“ als „Windstille der Seele in weiter Landschaft unter lichtdurchflutetem blauen Himmel.“ Pieper, A. Ein Seil geknüpft zwischen Tier und Übermensch. S.15
[104] KSA 6 (Der Fall Wagner) S.37
[105] Vgl. Pieper, A. Ein Seil geknüpft zwischen Tier und Übermensch. S.15
[106] Vgl. Pieper, A. a.a.O. S.12
- Citar trabajo
- Karl Gietler (Autor), 2010, Das Übermensch-Programm - Nietzsches Idee des Übermenschen und deren Rezeption im 20. Jahrhundert, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/155696
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