Diese Arbeit befasst sich mit dem Musikgenre des Soul, dem US-amerikanischen Civil Rights Movement in den 1960er Jahren und den Verbindungen zwischen diesen beiden.
Anfangs wird die theoretische Möglichkeit von politischer wirksamer Musik (und deren Limitationen) begründet. Anschließend wird die Rede von einer „schwarzen Kultur“ gerechtfertigt. Das kurze, aber zentrale Kapitel über das soziale und lebensweltliche Konzept von „Soul“ schlägt eine Brücke zur Beschreibung des politischen Rahmens und der sozialen Funktionsweisen einiger signifikanter Soul-Beispiele. Zuletzt erfolgt ein persönlicher Ausblick auf die Jahre danach und eine
Bewertung der verschiedenen Bestrebungen um eine sozial bedeutsame Musik.
Diese Arbeit klärt deshalb inwieweit Soul als eine politische Musik angesehen werden kann.
ENGLISH VERION
This work deals with soul music, the US-American Civil Rights Movement of the 1960s and the connections between them.
Initially, the theoretical foundations of politically influential music (and its limitations) are laid out. The next section legitimizes the notion of “black culture”. The short but central chapter on “soul” as a social concept and concept of every-day-life leads over to a description of the political setting and the social implications of several significant examples of Soul. A personal outlook of the subsequent years and an evaluation of the combined efforts to create social relevant music will end the thesis.
Therefore, this work clarifies to which degree Soul can be considered political music.
INHALT
>00> ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
>00> ZEITTAFEL
>00> VORWORT
>01> EINLEITUNG
01.1. STILISTISCHE ANMERKUNGEN
>02> KULTUR UND POLITIK
02.1. WAS IST EIN PROTESTSONG?
>03> SCHWARZE KULTUR
3.1. BLACK NATIONALISM
3.2. SCHWARZE MUSIK
3.3. MASKIERUNGEN UND DOUBLE MEANING
>04> DAS KONZEPT “SOUL”
>05> POLITISCHER RAHMEN
5.1. GRUNDFIGUREN
5.2. FÜHRUNGSPERSÖNLICHKEITEN
>06> SOUL MUSIC
6.1. FALLBEISPIEL MOTOWN
6.2. FALLBEISPIEL STAX
6.3. MUSIK UND SCHWARZES CIVIL RIGHTS MOVEMENT
6.4. SONGS
6.5. ANDERE AKTEURE
>07> RESÜMEE
>00> LITERATUR
>00> Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
>00> Zeittafel
1441 Beginn des europäischen Sklavenhandels in Afrika
1619 erste Ankunft von Sklaven in den USA (Jamestown, Virginia), Verschleppung von insgesamt mindestens 20 Millionen Afrikanerinnen und Afrikanern, katastrophale Folgen für den afrikanischen Herkunftskontinent
1808 Verbot der Beteiligung am transatlantischen Sklavenhandel für alle US-Bürger 1800-1831 diverse Sklavenaufstände ua von Gabriel Prosser (1800), George Boxley (1815), Denmark Vesey (1822) und Nat Turner (1831) (Werner 2002: s6) mit dem Ziel der Befreiung
1850 Fugitive Slave Law, Verschlechterung der rechtlichen Situation von Sklaven (Zips / Kämpfer 2001: s90)
1857 Dred Scott Decision des Obersten Gerichtshofs, Verweigerung des Status von Staatsbürgern an Sklaven, Mitauslöser des Sezessionskrieges (Zips / Kämpfer 2001: 101)
1861-65 Sezessionskrieg, 1862 Schwarze für unterstützenden Militärdienst zugelassen, 1863 ebenfalls für kämpfenden Militärdienst (Zips / Kämpfer 2001: 104) 1863 erste größere Unruhen in Detroit [Detroit Race Riot] (Zips / Kämpfer 2001: 104) 1875 Civil Rights Act - gleicher Zugang zu öffentlichen Einrichtungen wie Gastronomie, Krankenhäusern, öffentlichen Verkehrsmitteln
1883 Civil Rights Act vom Obersten Gerichtshof für verfassungswidrig erklärt 1906 Unruhen in Atlanta [Atlanta Race Riot] mit 25-40 Toten
1913 Gründung der Moorish Science Temple Organization - erste ausgewiesen muslimische Bewegung (Zips / Kämpfer 2001: 158)
1915 Birth of a Nation - einflussreicher Film von David W. Griffith, in dem die Rolle des Ku Klux Klan für die Konstitution der USA glorifiziert wird
1917 Unruhen in Houston, Philadelpia und East St.Louis
1919 blutiger Sommer großer Unruhen quer über die USA ausgelöst durch Sorge um Arbeitsplätze und Inflation, erstmals organisierter Widerstand gegen die Attacken durch Weiße, insgesamt mindestens 43 Schwarze gelyncht
1920s Harlem Renaissance – erste große intellektuelle (vor allem literarische) Bewegung in den USA, Entwicklung schwarzen Selbstbewusstseins (Blauner 1967: 155)
1921 Massaker in Tulsa, Oklahoma [Tulsa Race Riots] – schwerwiegendste Unruhen in den USA, cirka 300 Tote (10 davon Weiße), 10.000 obdachlos, Vertreibung vieler Schwarzer von der “Black Wall Street”
1939 Konzert von Marian Anderson vor cirka 75.000 Menschen am Lincoln Memorial in Washington, ua als Protest gegen Performance-Verbot vor gemischtem Publikum 1943 Unruhen in Detroit [Detroit Race Riot] – ua als Reaktion auf Diskriminierungsverbot Roosevelts in Rüstungsindustrie, 34 Tote, 675 schwer verwundet, 1893 verhaftet, 6000 schwer bewaffnete Truppen zur Beruhigung
1954 Brown v. Board of Education of Topeka – erfolgreiche Sammelklage vor dem Obersten Gerichtshof gegen Segregierung öffentlicher Schulen, Verfassungsmäßiges Verbot der „Rassentrennung“ an öffentlichen Schulen
1955-1956 Montgomery Bus Boykott – kollektiver ziviler Ungehorsam gegen die Segregierung öffentlicher Verkehrsmittel, 1956 durch Obersten Gerichtshof verboten, ausgelöst durch Rosa Parks, erstes großes Auftreten von Martin Luther King
1961 17.11. Gründung des Albany Movement, erste Niederlage für das Civil Rights Movement, anhand dessen Entwicklung späterer Strategien
1962 30.9. John F. Kennedy erzwingt die Teilnahme am Unterricht von James Meredith an der University of Mississippi mit Bundestruppen (78 von ihnen dabei verwundet)
1963 ab April Birmingham Kampagne zur Desegregierung bestimmter Bereiche des öffentlichen Lebens in Birmingham, Alabama, öffentliche Briefe Kings im Gefängnis von Birmingham mit Bekenntnis zu Strategie des zivilen Ungehorsams
23.6. Great March to Freedom in Detroit
28. 8. “March on Washington for Jobs and Freedom” – Abschluss am Lincoln Memorial zum 100. Jahrestag der Sklavenbefreiung mit mindestens 200.000 Teilnehmern
16.9. Brandanschlag auf die Sixtienth Street Baptist Church, vier Mädchen in Kirche getötet
22.11. Ermordung von John F. Kennedy
1964 Billboard Magazine verzichtet kurzzeitig auf eigene R’n’B-Charts, integrierte Taxonomie der Plattenverkäufe, spiegelt hohen Stellenwert schwarzer Musik wider
8.3. offizieller Bruch von Malcolm X mit der Nation Of Islam
„Freedom summer of 1964” – Wählerregistrierungen in Mississippi, vier Tote, 1000 verhaftet, 37 Brandanschläge auf Kirchen, verstärkte Aufmerksamkeit weil erstmals auch Weiße Opfer der Segregation-Anhänger wurden, 21.6.Mord an drei Aktivisten aus Philadelphia in Neshoba County, Mississippi
2.7. Civil Rights Act von Lyndon B. Johnson, Verbot der “Rassentrennung“ in allen öffentlichen Einrichtungen
10.12. Friedensnobelpreis für Martin Luther King
11.12. Tod von Sam Cooke
1965 15.2. Tod von Nat King Cole
21.2. Ermordung von Malcolm X in Harlem, New York
7.3. “Bloody Sunday” in Selma, Alabama – Teil der Protestmärsche von Selma nach Montgomery für mehr Wahlrechte, medialer Höhepunkt des Civil Rights Movement
4.8. Voting Rights Act – Gewährung eines fundamentalen Wahlrechts an alle US- Bürger
11.8. Unruhen in Watts, einem der ärmste Stadtteile von Los Angeles, 34 Tote in einem Zeitraum von 10 Tagen
1966 6.6. “March Against Fear” von Tennessee nach Mississippi - James Meredith von Heckenschützen angeschossen, am Ende 15.000 Beteiligte 9.8. kleinerer Aufstand in Detroit, 21 verletzt, erste Kratzer am Bild der Modellstadt1 gescheiterter Kampf für die Desegregation der Wohnungspolitik in Chicago von Martin Luther King, unerwartet feindseliger Empfang und aggressive Atmosphäre im „desgregierten“ Norden der USA
1967 4.4. Martin Luther King spricht sich öffentlich gegen Vietnamkrieg aus 23.7. Unruhen in den Ghettos von Detroit2 - 43 Tote (33 davon schwarz), 700 verletzt, 7000 verhaftet, von der schwarzen Gemeinschaft der Stadt als “Great Rebellion” bezeichnet, in weißen Medien “Detroit riot of 1967”(Smith 1999: 195) “Summer of ‘Retha, Rap and Revolt” (Smith 1999: s210), langsame Radikalisierung der Bewegung3
10.12. Otis Redding bei Flugzeugabsturz getötet
1967 -1971 Schwarze Bürgerrechtsorganisationen (SCLC, NAACP, CORE) sowie militante Organisationen (Nation Of Islam, Black Panthers) werden Ziel des FBI, diverse geheimdienstliche Gegenmaßnahmen (bis zu Tötungen) zur Verhinderung einer geeinten, militanten und nationalistischen Bewegung (Van Deburg 1997: 133) 1968 4.4. Ermordung Luther Kings in Memphis, Tennessee
11.4. Civil Rights Act - Verbot diskriminierender Wohnungsvergabe 5./6. 6. Robert F. Kennedy nach erfolgreichem Vorwahlkampf in Kalifornien erschossen
28.8. gewaltsame Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten während der demokratischen Parteiversammlung in Chicago [police riots], Proteste gegen den Vietnamkrieg von cirka 10.000, tiefe Spaltung der Demokraten
5.11. Nixons zum Präsidenten gewählt – nach einem durch Fernsehen und von “Law and Order” geprägten Wahlkampf, der unabhängige Kandidat George Wallace erhält mit einem Pro-Segregation-Wahlkampf immerhin 46 (von 538) Wahlmännerstimmen 1969 4.12. Fred Hampton und Mark Clark (führende Mitglieder der Black Panther Party von Illinois) gezielt durch FBI und Spezialeinheit der Polizei getötet
1971 21.8. George Jackson (Black Panther und politischer Bestseller-Autor) unter umstrittenen Umständen (bei angeblichem Fluchtversuch) im San Quentin Gefängnis, Kalifornien, erschossen
9.9. Unruhen im Attica Gefängnis – Forderungen nach besseren Haftbedingungen, 39 Tote (10 Wärter und Zivilisten)
1972 20.8. Wattstax – cirka 100.000 bei politischem Benefizfestival des Stax-Labels 2008 16.11. Barack Obama zum ersten schwarzen Präsidenten der USA gewählt
>00> Vorwort
Diese Arbeit behandelt die Wechselwirkungen zwischen Soul und der „schwarzen“ Bürgerrechtsbewegung in den USA – ihre Reibungs- und Berührungspunkte.
Ausgehend von der allgemein akzeptierten Annahme, dass Soul Musik eine stark politisierte Musikform gewesen wäre, entwickelte ich ein besonderes Interesse für die Frage, wie denn die Zusammenhänge zwischen den Protagonisten der beiden Aktionsfelder Politik und Kultur im Detail aussahen. Soul gilt als eine sozial engagierte Musik. Wie sehr ist dieser Ruf begründbar?
So viel darf ich vorausschicken: die Sechziger Jahre waren keine Zeit voll von stark politisierten, „schwarzen“ Entertainern und mitreißenden Aktivistinnen und Aktivisten. Die direkten Kontakte zwischen diesen beiden Betätigungsfelder erwiesen sich als dürftiger als ursprünglich von mir angenommen. Ein unmittelbarer Austausch von Erfahrungen und Hoffnungen, vielleicht sogar eine Koordinierung, fand nur vereinzelt statt. Allein schon die Hauptphase der politischen Proteste des Civil Rights Movements überschneidet sich nur zu einem geringen Teil mit jener der bekanntesten Soul-Protagonisten – während die Blütezeit von Soul generell in den zehn Jahren rund um 1970 angesiedelt wird, war das Civil Rights Movement eher in den frühen Sechziger Jahren am Höhepunkt seiner Tätigkeiten.
Dafür ergaben sich allerdings andere Zusammenhänge zwischen politischem Protest und Musik. Etwa darin, wie Musik ganz allgemein, und die musikalische Tradition der befreiten „Schwarzen“ in den USA im Speziellen, ihr Publikum anspricht, ihm unbekannte Ideen eröffnet oder mit gestärktem Selbstbewusstsein auftritt. Darin, wie Musik Menschen zu Veränderung aufrufen kann. Aber auch wie textliche Inhalte für verschiedene Publikumskreise mitunter doppelt kodiert werden. Oder wie das Wort „Soul“ zu einer Chiffre für einen bestimmten Lebensstil und schließlich zu einem politischen Symbol wurde. Diese Beziehungen werden in dieser Arbeit in besonderer Weise zu klären sein.
Ein Fallbeispiel, das in der Literatur so oft wie sonst kein anderer musikalischer Protagonist genannt wird, ist das Detroiter Label „Motown“. Es verdeutlicht in besonderer Weise das verstrickte Verhältnis, in dem das Bestreben nach Integration und politische Forderungen in der damaligen Zeit standen. Durch seinen beispiellosen Erfolg stand es besonders stark im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung. Es repräsentiert einen eher konzilianten Weg der „schwarzen“ Annäherung an den „weißen“ Mainstream. Dieses und andere, weit radikalere Ansätze und Beispiele sollen im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen.
Besonderer Dank für die (unzeitgemäße) Fertigstellung dieser Arbeit gebührt meinen Eltern, die Verständnis für meine anderen Tätigkeiten aufbrachten. Außerdem möchte ich mich bei meiner Lebensgefährtin Magali Arnoux für ihre Unterstützung bedanken.
>01> Einleitung
In Anlehnung an Peter Wicke könnte man Soul als eine geschaffene Kategorie bezeichnen, die hauptsächlich dazu dient, die Vermarktbarkeit bestimmter unterschiedlicher Musikformen zu erhöhen und eine „Macht der Definition“ zu erlangen4. Der Begriff Soul wäre demnach ein Werkzeug des Marketing und der Diskurskontrolle. Auch diese Arbeit müsste sich in Anbetracht dieser willkürlich musikalische Praktiken ausschließenden Kategorie Soul auch anderen Ausformungen der vielfältigen engagierten Musik jener Zeit widmen. Bereits Werner erwähnt in seiner Einleitung zum Thema, dass er seinen Fokus gerne viel weiter eingestellt hätte – dass sich im Jazz (ebenso wie in Reggae und Gospel) viele Beispiele politisch widerständiger Themen in dieser Zeit finden5. Auch auf dem Sampler „The Soul of The Black Panther Era“ finden sich etwa Stücke, die aus heutiger Sicht nicht unter den Begriff Soul passen.
Folgt man allerdings den Ausführungen von Rainwater, fasst der Begriff „Soul“ eine Reihe unscharf abgegrenzter Eigenschaften zusammen, die zuerst eine Lebenseinstellung und erst in zweiter Linie konkrete Dinge wie Musik, Essen und anderes meint6. Auf seine Überlegungen werde ich im Laufe der Arbeit noch genauer zurückkommen. So stellt sich der Begriff „Soul“ zumindest als problematisch dar, indem ihm ungenau definierte Interessen (ökonomische, politische, ästhetische etc) zu Grunde liegen und er zudem nicht die Vielfalt des damaligen musikalischen Protests abbilden kann.
All dies wäre Grund genug sich in dieser Arbeit nicht auf Soul zu beschränken. Angesichts der Breite des Themas bleibt mir allerdings keine andere Wahl, als diese Ausfransungen lediglich zu streifen und mich vorwiegend auf jene Musikerinnen, Musiker und Labels zu konzentrieren, die heute unter Soul subsumiert werden. Auch deshalb, weil über dieses (Begriffs- und Verkaufs-)Vehikel viele der von ihm transportierten Inhalte in den Großteil amerikanischer Haushalte drang. Häufig wird die Geburtsstunde von Soul Musik mit dem Jahr 1954 und Ray Charles’ „I Got A Woman“ angesetzt, ab cirka 1972 differenziert sich Soul in Funk, Balladen-lastigen Rhythm And Blues und andere Subgenres auseinander. Wie zu sehen sein wird, ergeben sich auch auf diesem enger gesteckten Feld interessante, vielgestaltige Beziehungen zu den politischen Themen jener Zeit. Dieses enger gesteckte Feld wird sich trotz diverser Ausfransungen auf den Raum zwischen 1960 und 1970 konzentrieren, weil sich in diesem Zeitraum die größten Überschneidungen zwischen Soul und Civil Rights Movement ergeben.
Schließlich sei noch erwähnt, dass der Ausgangspunkt meiner Überlegungen bei den Soul Musikerinnen und Musikern und ihrer Politisierung lag. Also bei diesem – wie wir gesehen haben – unscharfen Genre Soul und seiner Fähigkeit Menschen anzusprechen. Es hat sich beim Verfassen dieser Arbeit jedoch ergeben, dass das allgemeine politische Klima jener Zeit und die Bestrebungen dieser politischen Bewegung ein ästhetisch-kulturelles Programm zu geben, fast gleich stark ins Zentrum meines Interesses gerieten. Der Schwerpunkt dieser Arbeit wird deshalb auf Soul Musik und auf den Aktivistinnen, Aktivsten und Meinungsführern des Civil Rights Movement gleichermaßen liegen.
Als ein Nebeneffekt werden deshalb auch fast alle Protagonisten dieser Arbeit „schwarz“ sein. Hautfarbe und Migrationshintergrund sind zu stark problematisierten Themenfeldern geworden. Ressentiments und Unterschiede werden heute in die Sphäre des Kulturellen (statt in die Sphäre der überaus belasteten Biologie) geschoben, ohne dadurch ihren rassistischen Anstrich zu verlieren. Vor diesem Hintergrund sind Argumente oft stark emotional aufgeladen und historisch vorbelastet. Auch die Rede von einer „schwarzen Rasse“ oder einer „schwarzen Kultur“ ist nicht weniger problematisch. Dies geschieht in dieser Arbeit jedoch in Hinblick auf die damaligen Diskurse, die stark von den Grenzziehungen der „weißen“
separatistischen Politik geprägt waren. Nach Zips und Kämpfer sorgten gerade die ominösen „Rassengesetze“, aber auch „der gesetzlich institutionalisierte Segregationismus, die strikte Rassentrennung, für eine Aufrechterhaltung des Rassenbewusstseins.“ (Zips / Kämpfer 2001: s60)
Aber auch die Ansicht, dass die Bemühungen, eine Unterschiedslosigkeit zwischen verschiedenen Hautfarben theoretisch zu fundieren, versteckte Versuche seien zu verhindern, dass Schwarze ein kollektives Bewusstsein (und damit politische Forderungen) entwickeln, wird stellenweise vertreten. So formuliert Blauner noch 1970 seine Ansicht, dass die Black Culture Bewegung für viele Sozialwissenschaftler und liberale Intellektuelle ein Ärgernis sei, weil sie den offiziellen „aufgeklärten“ Ansichten der US-amerikanischen Nation entgegenstünden. Deren erster Grundsatz wäre demnach, dass Schwarze – im Unterschied zu anderen „Minderheiten“ – keine ethnische Kultur hätten, weil die Auslöschung ihres afrikanischen Erbes zu einer vollkommenen Akkulturation führte.
Damit zusammenhängend würden diese postulieren, dass die Ghettokultur nicht auf ethnische Traditionen zurückzuführen sei, sondern sie lediglich eine Variante einer Kultur der Unterschichten sei (Blauner 1967: 131). Doch damit greife ich bereits dem nächsten Kapitel vor. Jedenfalls werden auch Theoreme in dieser Arbeit wichtig werden, die unter dem Begriff „Black Nationalism“ eingeordnet werden und aktiv den Unterschied zwischen weißer und schwarzer Kultur behaupten.
01.1. Stilistische Anmerkungen
An der Paraphrasierung im vorigen Absatz wurden bereits einige stilistische Schwierigkeiten dieser Arbeit deutlich. Große Teile der verwendeten Literatur wurden auf englisch verfasst und/ oder vor etlichen Jahren unter ganz anderen politischen Gegebenheiten geschrieben. Als Folge davon werden Begriffe verwendet werden, die sich nur sehr schlecht direkt ins Deutsche übersetzen lassen. Begriffe wie Race, Negro, Nationalism, Nation und Lower Class sind im Deutschen anders konnotiert oder haben über die Jahre ihre Relevanz für die vorherrschenden Diskurse verloren. Sie würden Zitate und Paraphrasierungen teils in einem unpassenden Kontext aufleuchten lassen.
Ich werde deshalb den Begriff „Negro“ wo möglich durch „Schwarze/ Schwarzer“ ersetzen und den Originalausdruck in eckige Klammern dahinter setzen. Ich verzichte dabei auf die von Zips und Kämpfer verwendete Großschreibung des Wortes „schwarz“, mit der sie versuchen dieses Wort „als ‚signifier’ für eine historische und kulturelle Erfahrung, die nicht in essentialistischer Wendung auf die unterschiedliche Hautfarbe reduzierbar ist“, zu visualisieren (Zips 1996: s47f ). Ich möchte dabei festhalten, dass auch das Wort „schwarz“ nicht unumstritten und nicht einfach eine „objektive Beschreibung“ von Menschen mit dunkler Hautfarbe ist.
Deshalb werde ich „schwarz“ sowohl als den kleinsten gemeinsamen Nenner der Verwendung in verschiedenen historischen und zeitgenössischen Diskursen, wie auch Verdeutlichung einer (negativ oder positiv gefassten) begrifflichen Grenzziehung verwenden. Ebenso werde ich Folk vorwiegend mit „alltäglich“ oder „ländlich“ übersetzen und ebenfalls eine Klammer mit dem Originalausdruck anfügen. Mit dem Begriff „Race“ werde ich ebenso verfahren, um auch dessen nicht unumstrittene Verwendung im Englischen festzuhalten.7, 8
Andere Begriffe sind nur ungenügend mit ihrem deutschen Äquivalent zu übersetzen. Civil Rights Movement, Black Power, Black Nationalism, Black Panther Party, Black Exodus, Race Riot, Freedom Race, Double Meaning, Double Consciousness, Double Voicing, Trickster, Hustler, Ghetto Talk, Hipster Talk, Soul Talk, Signifyin Monkey, Call And Response, Hollering, Jubilee Singing, Southern Soul, Underground Railroad, Uncle Tom, Minstrels, Harlem Renaissance und andere werde ich unter einfache Anführungsstriche setzen, aber deshalb nicht übersetzen. Ebenso Namen von Organisationen und Labels.
Bei der Schreibweise von Signifyin beziehe ich mich auf die übliche Auslassung des im schriftlich korrekten G am Ende des Wortes, um damit eine spezielle Kulturtechnik zu bezeichnen, die ich im betreffenden Kapitel erläutern werde.
Außerdem habe ich mich im Sinne der Lesbarkeit dazu entschieden im Lauftext fast keine englischen Zitate zu verwenden, sondern diese hauptsächlich in Fußnoten zu verarbeiten. Ich werde deshalb für das Textverständnis relevante englische Textpassagen im Deutschen paraphrasieren und die Quelle in der Kurzzitierweise angeben. In den Fußnoten werden jene Zitate stehen, die für das Verständnis des Textes nicht zwingend erforderlich sind, aber die Aussagen und Paraphrasierungen im Lauftext vertiefen und erläutern sollen.
Im Übrigen lehne ich mich in der unsauberen Verwendung von Amerika, amerikanisch usw als Bezeichnung für die Vereinigten Staaten von Amerika in den Originaltexten an.
>02> Kultur und Politik
Dieses Kapitel soll einige der vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Kultur und Politik behandeln. Es stellt das theoretische Grundgerüst dieser Arbeit bereit und zeigt in Folge anhand einzelner Beispiele, wie sich Musik und Politik historisch an diversen Stellen gegenseitig beeinflussten.
Man kann jedoch bei der Durchsicht der Literatur allgemein feststellen, dass viele Texte ihrem Gegenstand über positiv voreingenommen sind. Häufig wirkt es so, als wäre speziell Soul Musik wie selbstverständlich an den politischen Umbrüchen ihrer Zeit beteiligt gewesen, als hätte sie einen Aufruf zu gesellschaftlichen Veränderungen bedeutet. Im Bemühen den schwarzen Kulturleistungen endlich ihren verdienten Platz am historischen Parkett zu geben, wird mitunter darauf vergessen diesen auch ihre Grenzen aufzuzeigen. Es gilt folglich das Verhältnis von Politik und engagierter Musik näher zu betrachten.
02.0.1. Bedenken
Pratt hält der Rede von politischer Musik in seinem Text „The Blues: A Discourse Of Resistance“ entgegen, dass häufig der alleinige Ausdruck von Widerstand noch längst nicht zu politischen Aktionen führt9. Anhand des etwas anders als Soul gelagerten Blues spricht er angesichts der häufigen, darin offen proklamierten sexuellen Inhalte von einer weiter gefassten Konzeption menschlicher Befreiung, wie man sie etwa in Herbert Marcuses „Eros and Civilisation“ finden könnte (Pratt 2003: 145). Es gäbe in all der Literatur über den Blues jedoch keine schlüssige Darlegung, wie all die rebellischen und subversiven Inhalte notwendigerweise zur Unterstützung einer dauerhaften, organisierten politischen Bewegung führen würden (Pratt 2003: 146).
Aber auch Gebesmair lässt sich zu einer „kleinen Polemik gegen den grassierenden Kulturalismus“ (Gebesmair 2008: s27) hinreißen. Er wendet sich insbesondere gegen die nebulosen akademischen Anwendungen der Begriffe Identitätsbildung und Ermächtigung im Gefolge der Cultural Studies.10 In den letzten Jahren hätte sich der unterstellte Wert von Identitätsbildungen in wissenschaftlichen Untersuchungen verselbständigt. So sei es nur selten klar, wann und unter welchen Umständen diese gelingen und wann nicht. Selbstbehauptung und Ermächtigung könnten sich jedoch auch grundsätzlich in ihr Gegenteil – Selbstausschluss und Erniedrigung – verkehren. Deshalb ist für ihn folglich „der Identitätsbegriff für die Analyse von Herrschaftsverhältnissen und Ermächtigungsprozessen unbrauchbar.“ Denn es gäbe „geradezu einen gesellschaftlichen Zwang zur Behauptung von Eigensinn.“ Diese fiktionalen Fluchtpunkte in der populären Kultur sind aber noch lange kein Mittel für politische Veränderungen: „Was die Untergebenen ermächtigt, ist nicht die Integration popkultureller Elemente in ihre Alltagspraxis, sondern der Zugang zu Instrumenten des politischen Handelns.“ (Gebesmair 2008: s30f)
Gebesmair artikuliert diese Einwände vor dem Hintergrund popkultureller Massenphänomene. Soap Operas, global vermarktete Popmusik, Kinofiktion uä können Identitätsbildungen und -behauptungen in jede beliebige ideologische Richtung führen. Für sich allein genommen bleiben sie folgenlos. Gebesmair bezweifelt damit auch, dass eine breiten Palette von popkulturellen Aneignungen Menschen überhaupt politisch ansprechen und mobilisieren kann. Die Rede von Selbstermächtigung darf kein einfacher Platzhalter für eine diffuse politische Wirkung sein – insbesondere bei kulturellen Massenphänomenen. Stattdessen muss deren Funktionsweise präzisiert werden, andere Mechanismen als die der bloßen Identitätsbildung gefunden, ihre Wirkungsweisen und mögliche negative Folgen abgeklärt werden.
Auch für Fischlin stellt sich die Frage bis zu welchem Grad widerständige Musikformen tatsächlich einen Einfluss auf Rechtsentwicklungen gehabt haben (Fischlin 2003: 11). Er lässt dabei verschiedene Methoden zu: Solidaritätsbekundungen zu Rechtsinitiativen, die Verbreitung von Information, die Aktivierung von emotionalen Kräften, das Schaffen eines kritischen Bewusstseins oder das Auftreiben von Geldmitteln für derlei Agenden. Im Klang, im Sound der Musik läge jedoch für sich nichts intrinsisch Politisches. Pratt hält außerdem fest, dass es einen Unterschied zwischen einer (musikalischen) Kultur der Revolte und einer organisierten Bewegung gibt (Pratt 2003: 146). Für jede engagierte Popmusikform besteht weiters das Risiko zu einem Konsumartikel der Kulturindustrie zu werden. So zählt Fischlin eine Reihe populärer Musikgenres auf, die – ursprünglich mit Rebellion assoziiert – kommerzialisiert und dadurch großteils politisch entschärft wurden – zu einem geringen Teil jedoch erst dadurch überhaupt eine breite Öffentlichkeit erhielten.11
Für Levine steht ebenfalls fest, dass ein Gruppenbewusstsein und ein sicheres Gefühl seiner selbst noch nicht gleich bedeutend mit einem politischen Bewusstsein und politischer Organisation ist. Einfacher Widerstand sei oft voreilig mit einer revolutionären Tradition gleich gesetzt worden (Levine 1977: s239). Er bedauert jedoch im selben Atemzug die Tendenz Widerstand ganz exklusiv in politischen und institutionellen Begriffen zu verstehen. In der Zeit vor dem Civil Rights Movement, einem Zustand massiver, rechtlicher Benachteilungen, dienten Songs – mit den drohenden Sanktionen der weißen Mehrheit konfrontiert – zumindest als ein Mittel eigene Wünsche und ein Gefühl seiner selbst ungewöhnlich offen auszudrücken und anderen mitteilen zu können. Darin lassen sie mehr Eigensinnigkeit und Selbstbewusstsein vermuten, als Schwarzen üblicherweise zugestanden worden ist. 12
02.0.2. Befürwortungen
Für Fischlin ist es trotz aller methodischen und inhaltlichen Bedenken nicht nachvollziehbar, warum die soziale Relevanz komplexer kultureller Phänomene vorschnell mit politischem Widerstand gleichgesetzt werde – auf Kosten anderer (durch Musik hervorgebrachter) Formen expressiver Leistungen (Fischlin 2003: 14). Es wäre nur schwer möglich die Wichtigkeit von in Musik geäußerten Subversionsfantasien für das Entwerfen alternativer Handlungsspielräume zu unterschätzen. Musik findet außerdem notwendigerweise in konkreten sozialen und politischen Kontexten statt, sie kann nicht davon getrennt werden. Als solche kann sie Extension, Reflexion und Kritik bestimmter politischer Kulturen sein. Soziale Gefüge werden jederzeit durch Musik mitgeformt und definiert – durch die Musik, die sie schaffen und die sie andrerseits auch ablehnen.13
Cruse argumentiert ebenso, dass jede soziale Bewegung nur erfolgreich sein kann, wenn sie gleichzeitig eine politische, ökonomische und kulturelle Bewegung ist (Cruse nach Smith 1999: 19). George kritisiert andrerseits die vorsichtige bis ablehnende Haltung schwarzer Führungspersönlichkeiten im frühen 20. Jahrhundert der Musik gegenüber. Sie hätten ihre Funktion und ihren Nutzen nicht verstanden und für nachhaltige Missverständnisse zwischen der musikalischen und der politischen Ebene im Kampf um mehr Bürgerrechte gesorgt (George 1990: s20).14
Anhand eines Umkehrschlusses wird nun für Fischlin deutlich, dass Musik politische Kraft besitzt. Er führt Beispiele rund um den Globus an, wo Musikerinnen und Musiker zensiert, erpresst, verhaftet, gefoltert oder sogar getötet wurden – beispielsweise die Ermordung von zwei Rai-Musikern in Algerien, das Verbot schwarzer Tanzmusik im Brasilien des frühen 19. Jahrhunderts, die Schließung des serbischen Guerilla-Radios B92, die Unterdrückung des Tangos durch argentinische Militärs usf (Fischlin 2003: s26ff). Boti und Guy ergänzen diese Auflistung mit zusätzlichen Beispielen (Boti / Guy 2003: s68).15
Ihnen zufolge kennen die Herrschenden die Macht der Musik. Sie wüssten, dass Musik und Politik eine mächtige Mischung abgeben. Musik kann insofern auch ein wichtiger Motor des sozialen und politischen Wandels sein, aber auch soziale und politische Verhältnisse stabilisieren. Jedes Land hat eine eigene nationale Hymne, Parteien haben Wahlkampfsongs, Bewegungen Schlüssellieder – Musik dient also immer wieder dazu, Ideologien zu verschönern und zu verstärken. Alleine im Sinne einer Wertschöpfungskette, die nach Möglichkeit weniger Kaufkraft ins Ausland abfließen lassen soll und als Nebeneffekt womöglich eine repräsentative nationale Kultur hervorbringt, sieht sich die Politik etwa dazu angehalten, die national produzierten Kulturgüter strukturell und auch direkt zu fördern.
In jedem Fall aber wäre es naiv zu glauben, so Fischlin, dass engagierte Musik notwendigerweise so konsumiert wird, wie es von ihren Autoren gewünscht wird. Die gute Absicht (ein Bewusstsein zu bilden, aufzuklären, zur Aktion aufzurufen) kann man zwar honorieren oder unterstützen, aber ihre Wirkungsweise nur sehr selten anhand konkreter Ergebnisse überprüfen (Fischlin 2003: s32).
02.1. Was ist ein Protestsong?
Der deutsche Publizist Günther Jacob widmet sich sehr differenziert und ausführlich dem Spannungsbogen zwischen Musik und Politik. Alle Zitate dieses Unterkapitels stammen aus seinem Text „Was ist ein Protestsong?“. Jacob beobachtet speziell im deutschen Sprachraum eine Art faulen Kompromiss: nämlich die Verschmelzung zweier grundverschiedener Interpretationsmuster von Popmusik – als kommerzialisierte Kulturindustrie und/ oder als dissidente, jugendliche Praxis. Ganz allgemein ist trotz der weit verbreiteten Rede von „Pop & Politik“ nur selten klar, was denn nun das eigentlich Politische am Pop sei.
Als ein Gradmesser und Mittel der Politisierung gelte vielen engagierten Musikerinnen und Musikern eine äußerst starke Textorientierung; Botschaften und Ideen werden mit Hilfe der Texte ausgedrückt. Dies führt allerdings im polit- besoffenen Überschwang häufig dazu, „dass Linke musikalisch selten sonderlich ambitioniert sind.“ Für diese Gruppe von Musikschaffenden stünde fest, „dass einzig von parteilicher bzw. engagierter Kunst eine politisch ‚progressive’ Wirkung zu erwarten ist.“
Auf der nicht-textlichen Seite von Musik gilt innerhalb des bürgerlichen Paradigmas wiederum die Autonomie der Kunst als höchstes Gebot. Die Losgelöstheit von Sach- und Arbeitszwängen wird dort als eine Vorbedingung für Aufklärung und Subversion mittels Kunst verstanden. Jacob nennt dies eine Mystifikation, mit der klassische und Neue Musik belegt wird. Diese Mystifikationen gelte es zu kritisieren, aber nicht zu denunzieren.16
Obwohl auch für Jacob „Töne und Tonfolgen tatsächlich ‚an sich’ weder links noch rechts sind, erklingen sie aber in einem diskursiv hergestellten kulturellen Raum und sind daher nicht vorab neutral.“ Er ortet zwar auch in instrumentalen, popmusikalischen Spielweisen die Möglichkeit rebellische Positionen zu vertreten.17 Aber hauptsächlich ergebe sich das Politische der Musik durch den praktischen Umgang mit ihr, durch das Auftauchen in bestimmten Kontexten, Diskursen und Rezeptionsschlachten, an denen eine Vielzahl von Personen beteiligt ist18 und die anschließend historisch weiter verhandelt werden.
Dadurch, dass die Kontexte von Musik jeweils konstruiert sind, hat sich auch der Glaube festgesetzt, dass Musik durch Umcodierungen und durch demonstratives Aneignen für die eigenen Zwecke fruchtbar gemacht werden kann. Musik könne in diesem Modell für andere Ideen durch die Macht der Gewohnheit neu besetzt werden. Nach Jacob scheinen sogar einige Erfahrungen für diesen Ansatz zu sprechen, er lässt sich jedoch nicht beliebig anwenden – Musik lässt sich nicht wahllos für alle politische Agenden umcodieren.
So wäre etwa die Vereinnahmung von HipHop als Protestmusik gescheitert, aber auch Reggae wäre die längste Zeit zu unrecht pauschal als anti-rassistischer Riddim (instrumentale Grundlage für beliebig viele, verschiedene Reggae-Musikerinnen und Musiker) interpretiert worden. „Die meisten popsubkulturellen Szenen tun jedoch so, als existierten die Zeichen im luftleeren Raum und hätten mit der Reproduktion sozialer Hierarchien nichts zu tun.“
Es gäbe nach Jacob jedoch ein „musikalisches Substrat“ (Musik, Plattencover, Videos, Internetpräsenz, Style, Bühnenshows, Statements in Interviews etc), das am Interpretationsvorgang ebenfalls beteiligt ist, das aber gleichzeitig von anderen Mustern und Sinngebungen überlagert wird. Auf diese Weise wird ein komplexes Image gebildet. „Jedes Image hat eine imaginär-diskursive und materiell-konkrete Geschichte“, die die soziale Bedeutung einer bestimmten Musik im Laufe ihrer Rezeption stützt.
Gleichzeitig würde Popmusik immer auch Phantasmen erzeugen. Sie gleicht in ihrer Funktionsweise einem „fiktionalen und theatralischen Prozess“. Songs würden nicht einfach nur die Realität abbilden, sondern diese für das Publikum in eindringliche Bilder übersetzen. Und dies gilt auch für Protestsongs. „Die Chance, dass daraus bei Leuten, die nicht schon vorher engagiert waren, eine politische Handlung folgt, ist gering.“ Das Angebot an Musik, die derlei Phantasmen aufruft, deckt außerdem fast alle ideologischen Folien ab: Hedonismus, Technikbegeisterung, Multikulti, Romantik, Posthumanismus, Gewalt, Subversion, Reinheit, Kapitalismus, Queer- Theorien usf.
Bei all der Kritik bleiben jedoch auch bei Jacob Schlupflöcher für engagierte Musik über. Neben der häufig überspannten Dissidenz-Rhetorik, neben der „fortwährenden Überhöhung des politischen Gebrauchswerts von Pop“ und verunglückten Umcodierungen, gibt es eben auch die gelungenen Umcodierungen. Eine strikte Gegenüberstellung von symbolischen Widerstand und einem angeblich authentischen Widerstand ist nicht haltbar, Kultur existiert nicht losgelöst von der politischen Sphäre. Und kein linker Widerstand sei bis heute ohne Symbole ausgekommen.
Die vorgebrachten Abwägungen und Argumente stellen hohe Anforderungen an gelungene politische Musik. Es gilt einerseits im Hinterkopf zu behalten, dass Mechanismen wie Identitätsbildungen und Symbolpolitik noch lange nicht die Kraft entfalten, die Kommentatoren ihnen gerne zuschreiben würden. Andrerseits bleibt der Weg nachzuvollziehen, auf dem Soul vielleicht tatsächlich zu einem historischen Akteur wurde – sei es als Schablone für schwarze Kulturnationalisten, als Vorlage für das schwarze Straßenleben oder als Modell der ökonomischen und ästhetischen Integration. Es stellt sich die Frage, ob Soul andrerseits nur wie beiläufig zu einer Zeit den US-amerikanischen Musikmarkt mitbestimmte, in der viele politischen Umbrüche statt gefunden haben und er insofern das Image einer engagierten Musik nur aus Gewohnheit besitzt, oder ob Soul zurecht, und wenn, warum genau, als sozial engagierte Musik angesehen wird.
>03> Schwarze Kultur
Wie in der Einleitung bereits angedeutet, wurde von verschiedenen Seiten immer wieder die Existenz einer eigenständigen schwarzen Kultur angezweifelt. Um zu klären, wie legitim die Rede von einer schwarzen Kultur ist, müssten zuerst die Umrisse eines dabei zu Grunde gelegten Kulturbegriffs gezeichnet werden. Da dies jedoch den Umfang dieser Arbeit übersteigt, werde ich einen solchen lediglich skizzieren und mich eher auf die Schilderung typischer Erklärungen beschränken, mit denen in der Vergangenheit gegen und für eine schwarze Kultur argumentiert wurde.
03.0.1 Gibt es eine schwarze Kultur?
Blauner führt die Theorien von verschiedenen Sozialwissenschaftlern und liberalen Intellektuellen an, wonach Schwarze [Negroes] – im Gegensatz zu anderen Minderheiten in den USA – keine Charakteristika einer distinkten Nationalität [nationality] hätten; dass sie Amerikaner und sonst nichts seien (Blauner 1967) 131). Er zitiert den schwedischen Ökonomen Gunnar Myrdal, der in einer ausführlichen Studie von 1944 den Großteil der Schuld am unterdurchschnittlichen ökonomischen Status der schwarzen Bevölkerung den Vorurteilen und der Diskriminierung durch die weiße Mehrheit zuwies und damit immerhin die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zur Aufhebung der Segregation an Schulen beeinflusste. Nach Myrdals Einschätzung nun sind Schwarze übertriebene Amerikaner, pathologische Versionen derselben (Blauner 1967: 131). Auch für Glazer und Moynihan waren Schwarze [Negroes] nur Amerikaner und nichts sonst. Sie hätten keine Werte und keine Kultur, die man sichern und beschützen könne (Glazer und Moynihan nach Blauner 1967: 132).
Ein anderes Argument, das gegen eine spezifische schwarze Kultur vorgebracht wurde, war, diese lediglich als eine Variante der ländlichen Alltagskultur [rural folk culture] des Südens zu definieren. Darüber hinaus listet auch Rainwater noch eine Reihe von soziologischen Texten auf, die die Schwarzen in den USA als ein Nebenprodukt der von Weißen bestimmten, rassistischen Institutionen darstellen (Rainwater 1970: s3f).19
Für Baker stellt sich ebenfalls die Frage, inwiefern man überhaupt von einer schwarzen Kultur sprechen kann: meint man damit entweder einen Korpus von intellektuellen und imaginativen Werken (Williams nach Baker 1973: 1) (klassisch europäischer Kulturbegriff) oder eine Gesamtheit einer Lebensart [whole way of life], die in der Vergangenheit begründet liegt und in der man notwendigerweise existiert und lebt. Für ihn entspricht schwarze Kultur vorwiegend Zweiterem.
Er sieht es dabei nicht als entscheidend an, in welchem Ausmaß afrikanisch- kulturelle und afrikanisch-ethnische Eigenheiten die Zeit der Sklaverei überdauert haben.20 Gleichzeitig warnt Baker davor den Begriff Kultur nur als Surrogat für den Begriff Rasse zu gebrauchen. Nur mit einer profunden Abstimmung des Kulturbegriffs könne wirklich verhindert werden, dass auch mit ihm dieselben Vorurteile und dieselben bedeutungslosen Anhängsel aufgerufen werden (Baker 1973: s6). Er selbst stützt sich dabei auf die Arbeit Raymond Williams’, der das Auftauchen des Begriffs Kultur als Reaktion auf die geänderten Lebensumstände im Gefolge der industriellen Revolution sieht – als eine Gesamtheit der Lebensführung.
03.0.2. Charakteristika der schwarzen Kultur
Ein Grund, warum US-amerikanischen Schwarzen wiederholt eine eigenständige Kultur abgesprochen worden ist, ist unter anderem der fehlende gemeinsame (soziale und geografische) Raum. Aber auch andere Merkmale wie eine gemeinsame Sprache, gemeinsame Institutionen, eine gemeinsame Religion oder gemeinsame Traditionen können nicht ohne weiteres von denen der restlichen Bevölkerung differenziert werden. Worin könnte also die deutliche Unterscheidbarkeit von schwarzer Kultur bestehen?
Für Levine steht beispielsweise fest, was zahlreiche seiner verwendeten Quellen und Zitate klar ersichtlich machen – dass die afroamerikanische orale Kultur nicht nur ihrem Inhalt nach, sondern auch in ihrer Struktur und ihrem Sound unverkennbar ist (Levine 1977: sXV). Baker wiederum kritisiert den Kulturbegriff weißer Amerikaner als weder objektiv noch universal. Zwischen schwarzer, afroamerikanischer Kultur und der Kultur des weißen Mainstreams bestünden fundamentale Unterschiede – insbesondere im Bereich der oralen Kultur. So bilden schwarze Folklore und schwarze Tierfabeln eine spezifische Tradition, die es in der Folklore der weißen Einwanderer nicht gab. Diese Tradition reflektiert die südliche, von Landwirtschaft geprägte Umgebung und ist mit der Flora und Fauna der neuen Welt bevölkert – durch die Augen der Sklaverei besehen (Baker 1973: 11).
Insbesondere die bekannteste der tierischen Heldenfiguren in der schwarzen Folklore, Brer Rabbit, verkörpere die Projektion der tiefsten und stärksten Handlungsimpulse der Sklavenpersönlichkeit. Dieser Brer Rabbit ist ein Meister der Finten und Täuschungen, ein Trickster, der sich als solcher zudem von den trickreichen Heldenfiguren anderer Tiersagentraditionen unterscheidet. Er ist kein bewaffneter Abenteurer, kein muskulöser Held, der die Gesellschaft vor Unheil bewahrt. Brer Rabbit steht außerhalb der weißen, amerikanischen Literaturtradition und ist nur über die qualvollen Erfahrungen der Sklaverei begreifbar. Gemeinsam mit anderen traditionellen Ausdrucksformen (Folklore, Spirituals, säkulare Songs) diente diese Figur als eine Ausgangsbasis für die Werke darauf folgender, schwarzer Künstler (Baker 1973: 14)
Auch Blauner bewertet die Erfahrung der Sklaverei als die erste große Quelle schwarzer Kultur in Amerika.21 Weitere signifikante historische Unterschiede zur Kultur der weißen Mehrheit liegen in den Erfahrungen der Emanzipation, jenen der Unterschicht, der Subkultur des amerikanischen Südens und – vor allem anderen – im erlittenen Rassismus begründet. Rassismus spielt eine Schlüsselrolle für die Herausbildung einer spezifisch schwarzen Kultur in den USA. Er grenzt auf andere Weisen aus als andere Ausschlussmechanismen. Und dieser gemeinsame, historische Hintergrund stellt den harten Kern, den festen und nüchternen Aspekt der schwarzen, amerikanischen Kultur dar (Blauner 1967: 147).
Die schwarze Ghetto-Subkultur wiederum vereint ethnische Charakteristika und typische Charakteristika der Unterschicht. Gleichzeitig ist die Bewegung hin zu einer ausgeprägten Ethnizität und einem distinkten Bewusstsein von einer Entwicklung parallelisiert worden, in der das Handeln und die Identität ‚amerikanischer’ wurden (Blauner 1967: 138). Weil Schwarze aber nie vom Reichtum der Neuen Welt profitieren konnten, erweisen sich diese als besonders resistent gegenüber den großen amerikanischen Mythen. Diese spezifische Kultur ist für Baker weder afrikanisch, noch amerikanisch.
Weitere Eigenheiten der schwarzen Kultur sind nach Baker, dass sich diese erstens über viele Jahre vor allem mündlich und musikalisch entwickelt hat. Zweitens ist sie von einem kollektivistischen Ethos getragen und drittens weist sie die Leitbilder des kulturellen Mainstreams zurück (Baker 1973: 16). Das Gefühl der Gespaltenheit und der inneren Zerrissenheit, das noch Du Bois Ende des 19. Jahrhunderts in seinem Buch „The Souls Of Black Folk“ als Grundverfassung schwarzer Amerikaner sah, so Baker optimistisch, verschwindet mit dem Erstarken des kulturellen Nationalismus’ zunehmend.
Berger befasst sich 1967 ebenso mit dem Thema einer schwarzen Kultur. Er greift auf die Ausführungen von Charles Keil zurück, für den die Eigenständigkeit schwarzer Kultur vor allem in ihren religiösen Institutionen, ihren partnerschaftlichen Institutionen, ihrem Empfinden von Zeit und Geschichte und ihren Modi von Wahrnehmung und Ausdruck liegt.22 Diese Kultur manifestiert sich in den Texten des Blues, dem Status des Bluesman und anderer Hustler, und dem Auftauchen der Soul Ideologie (Berger 1967: 119). Zu dieser im nächsten Kapitel.
Ähnlich bewertet auch Blauner die, wie er es formuliert, Soul Orientierung. Für ihn ist Soul jedoch kein zentraler Pfeiler, sondern ein weiteres Element schwarzer Kultur.
Eine Kultur, die 1967 zwar an Kraft und Klarheit gewinnt, aber nach allen Maßstäben noch immer eine schwache Kultur ist (Blauner 1967: 153).
[...]
1 Smith 1999: 178 „Ten officers and eleven civilians were injured, but no one was killed. Mayor Cavanagh and the Police Departement’s quick response to ending the disorder enhanced the city’s ‘model’ reputation across the country.”
2 Smith 1999: 186 „As one observer would later recall, ‘It was not so clear to my own eyes that white people were out there looting, too. Not to say that racial tensions didn’t exist, but wasn’t black against white. It was the propertied against the non-propertied.’ Massive looting and arson, which dominated the week’s events, supported claims that the disturbance reflected deep-seated anger on the part of participants about economic inequality, which for many was directly connected to issues of racial injustice.”
3 Werner 2002: 116: “As much as any speech or manifesto, ‘Respect’ defined the energy of the freedom movement as its center of gravity shifted from Martin Luther King’s interracial coalition to the unapologetically black organizations headed by, to use James Brown’s term, a ‘new breed’ of photogenic firebrands including H. Rap Brown, Stokely Carmichael, Eldridge Cleaver, and Huey Newton.”
4 Wicke 1998: „Die Macht zur Definition, auch dessen was Musik ist, was populäre Musik, was Kunst, was Unterhaltung, was Authentizität usw. ist eine faktische, die das, was sie vermeintlich bloß abbildet, in Wirklichkeit strukturiert und konstituiert.“ Oder Wicke 1997: „Ablesbar ist das nicht zuletzt an der hier zu beobachtenden Proliferation von Ordnungsbegriffen, die mit herkömmlichen Genre- oder Stilkategorien des Musizierens nichts zu tun haben. [...] Sie fungieren vielmehr als eine Art Platzhalter in einem Relationsgefüge von Positionen, in dem sie so lange behauptet und mit einer für Außenstehende oft völlig unverständlichen Vehemenz verteidigt werden, wie sich in den kulturellen Machtverhältnissen auf den Musikmärkten damit strategische Positionsgewinne erzielen lassen.“
5 Werner 2002: XV „ A Change Is Gonna Come concentrates on the public dimension of the story. Whenever I had to decide what to include and what to leave out, I’ve gone with the better known music. … One of the costs of this approach was that I spent much less time writing about Jazz than I was listening to it.”
6 Rainwater 1970: 10 “[…] they serve to define the concept of soul, describe the context within which expressiveness operates in the contemporary ghetto, and raise important conceptual and policy questions about the future of black people. For all their superficially esoteric emphasis on soul, language, rhetoric, music, food and gaming, they show us a great deal about what it is like to be a black man.
7 Baker 1973: 5: “All arguments to the contrary, race is simply a heuristic term that is often invoked in support of an existing order or in an attempt to unify a body of people for political purposes.”
8 Zips / Kämpfer 2001: 60: “Auf Grund ihrer spezifischen Position innerhalb der gesamten Gesellschaft verschmolzen die beiden Konzepte ‘Rasse’ und ‘Nation’, als Reaktion auf die ominösen ‘Rassengesetze’ der weißen Sklavenhalter, fast zwangsläufig zu einem einzigen. Aber auch nach der Sklaverei sorgte der (gesetzlich) institutionalisierte Segregationismus, die strikte Rassentrennung, für eine Aufrechterhaltung des ‚Rassenbewusstseins’.“
9 Pratt 2003: 143 “In the years of the first generation of supposedly emancipated blacks produced the blues, there have been many political and social expressions of resistance. Some – a minority – have moved toward actual radical political activism (Morris; Evans and Boyte).”
10 Gebesmair 2008: 28 “Obwohl der langjährige Leiter des Centers, Stuart Hall, mit großem intellektuellem Aufwand den Kulturalismus der Religionsstifter Richard Hoggart und Raymond Williams zu überwinden trachtete und nicht müde wurde, auf die Notwendigkeit einer strukturalen Analyse der hegemonialen Produktions- und Rezeptionsverhältnisse zu verweisen, standen und stehen vor allem die konkreten Praktiken der Medienrezepientinnen und –rezepienten im Zentrum der Forschungstätigkeit.“
11 Fischlin 2003: 14 “Think of virtually any popular musical form associated with ‘rebellion’ over the latter half of the twentieth century and think of how its has been commodified: blues, rock, punk, hip- hop, rave. And of course, to say as much is to essentialize complex musics into their commercialized forms, and to ignore the many ways musicians continue to resist this conformity and commercialization. And further, to say as much is to evacuate the potential that even straightjacketed forms of rebel music, duly packaged and sold to large audiences, have for transmitting the sounds and ideas that produce resistance, critique, and a differential relation to hegemony.”
12 Levine 1977: 239 “To state that black song constituted a form of black protest and resistance does not mean that it necessarily led to or even called for any tangible and specific actions, but rather that it served as a mechanism by which Negroes could be relatively candid in a society that rarely accorded them that privilege, could communicate this candor to others whom they would in no other way be able to reach, and, in the face of the sanctions of the white majority, could assert their own individuality, aspirations, and sense of being. Certainly, if nothing else, black song makes it difficult to believe that Negroes internalized their situation so completely, accepted the values of the larger society so totally, or manifested so pervasive an apathy as we have been led to believe.”
13 Fischlin 2003: 11 “We begin by acknowledging that nothing in sound is intrinsically revolutionary, rebellious, or political. But simultaneously, we acknowledge that so say as much is to dream a nightmare world in which sound is pure an essential, divorced from its social and political contexts, meaningful in its abstract and metaphysical potential but irrelevant in what it has to say to the here and now of daily life. We don’t live in that abstract space and neither, we think, do you. Instead, we live in communities permeated by the sounds they give shape to and that correspondingly give shape to them. We definde communities by the sounds they make – and the sounds they refuse. We generate sound and ideas about sound as extensions (reflections) of our political cultures, but also a critique thereof.”
14 George 1990: 20 “Die Gleichgültigkeit des schwarzen Erziehers der Musik gegenüber ist eine Schande, denn Washington [Booker T., Anm.] und seine Zeitgenossen in der schwarzen Elite wären gut beraten gewesen, wenn sie den Anfängen einer Industrie, die eine mächtige Waffe im Kampf um die Seele des schwarzen Amerika hätte sein können, mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätten. In der Tat war diese Unkenntnis der Bedeutung der Musik, nicht als Mittel der Unterhaltung, sondern als Werkzeug im sozialen und ökonomischen Bereich, eine Schwäche, an der noch die Nachfolger von Washington und Du Bois litten, die die Musik und ihr Milieu als vulgär ansahen.“
15 Boti / Guy 2003: 68 “Musicians the world over have been censored, imprisoned and even assassinated because they were seen as representing a threat to the powers-that-be. In Chile, the Pinochet dictatorship tortured and murdered singer / guitarist Victor Jara (discussed in detail by Martha Nandorfy elsewhere in this book); in Nigeria, singer Fela Kuti spent years in jail because of his open criticism of the corrupt ruling system; in Algeria, in the midst of religious tension, the Kabil singer Lounes was killed by unknown assassins; in 1972, Uruguayan cancionista Daniel Viglietti, famous for his pro-indigene Canción para mi América was imprisoned by the military dictatorship – and all around the world, wherever protest occurs, sound and its repression are in constant tension.”
16 Jacob o.J.: “Adorno, der keine billigen Subversionsversprechen verkaufte, wusste: ‚Kunst führt heraus und doch nicht heraus.’ Die damit angesprochenen Mystifikationen sind nicht dadurch zu beseitigen, dass man der Kunst ihre Rolle in der Klassengesellschaft abstrakt zum Vorwurf macht. Auch nicht dadurch, dass man gegen ‚autonome Kunst’ wettert und das altavantgardistische Versprechen von der Überwindung der Kluft zwischen Kunst und Leben (natürlich auf dem Boden der Kunst!) aufwärmt. Linke Kunstkritik kann nur Kritik der genannten Mystifikationen sein (z.B. Kritik am Pop-Mythos von Revolte) und niemals Denunziation des Bedürfnisses nach künstlerischer Autonomie, weil das ein Bedürfnis nach Reflexion, Zweckfreiheit und einem Leben jenseits von Sachzwängen ist, die durch jene Form der gesellschaftlichen Arbeit diktiert werden, die als Kapitalverhältnis (Wert) bekannt ist.“
17 Jacob o.J.: „Im Punk spielte eine naturalistische Vorstellung von ‚Energie’ diese Rolle (die wenigen und bewusst nur parolenhaften Worte drangen selten durch den Lärm richtig durch). Im ‚politischen’ Freejazz gehen die expressiven Qualitäten von der Stimme auf Gitarre, Elektrobass, Trompete etc. über, die ausgesprochen ‚stimmlich’ gespielt werden. In den Elektro-Pop-Stilen und den Techno- Varianten entfällt die persönliche Spielweise, die die Gitarrenmusik prägt, fast vollständig, weil Computerkeyboards für die persönlichen Gefühle von Musikern wenig Raum lassen.“
18 Jacob o.J.: “An diesem Prozess, in dem das Image einer Musik definiert wird, ist eine unüberschaubare Anzahl von Leuten und Institutionen mit den unterschiedlichsten Motiven und Phantasien beteiligt. Die Autoren dieses Diskurses sind Pop-Professionelle und Konsumenten, die sich in bestimmten Themen und Inszenierungen zu erkennen glauben, Plattenfirmen und Musik-TV, PR- Manager und Subkulturideologen, Sportswear-Hersteller und Szene-Clubs, Stadtzeitungen und über ‚Pop & Politik’ berichtende Nachrichtenmagazine. In der Hoffnung, den Diskurs zu ihren Gunsten verschieben zu können, sind auch Linke an der Kanonbildung beteiligt.“
19 Rainwater 1970: 3f „Earlier studies of Negro social life and personality had emphasized the extent to which Negro behaviour could be seen as a direct effect of the caste system maintained by whites. The Negro was presented as a passive product of white-dominated racist institutions. The additions of psychodynamic insights to earlier sociological work by such authors as Kardiner and Ovesey and Rohrer and Edmunson deepened that impression.”
20 Baker 1973: 4 “The polarity is so great that it is perhaps meaningless to debate what was left of an African heritage after a ‘voyage through death / to life upon these shores.’ [Robert Hayden, ‘Runagate Runagate’ in Selected Poems ] Melville J. Herskovits argues that much was left after the middle-passage – African linguistic traits, religious practices, patterns of family organization, and modes of song and dance. However, E. Franklin Frazier tells us that the Negroes were practically stripped of their social heritage and their traditional social organization was destroyed [...]”
21 Blauner 1967: 140 “The first great source of black culture in America is slavery. Here under seriously restricting conditions, American Negroes began developing their own quasi-communities and their own codes of conduct. Here certain prevailing patterns such as ecstatic religion, mother-led families, anti-white attitudes, and the yearning for freedom and autonomy got their start. More negative adaptations and character-types, for example. the submission, timidity, fear and manipulation embedded in the ‘Uncle Tom’ orientation, also owe their origins to slavery.”
22 Berger 1967: 119 “The distinctiveness of black culture extends, according to Keil, from its religious institutions (the ecstatic character of the store front churches), to its kinship institutions (the female- based household and the elusive, uncertain character of the Negro male role in it), to its distinctive sense of time and history (drift, living in the present), to its distinctive modes of perception and expression (auditory and tactile rather than visual and literary).”
- Citar trabajo
- Stefan Niederwieser (Autor), 2009, Pop Politics - Soul und das Civil Rights Movement in den USA der 1960er Jahre, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/155247
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