Raymond Fisman und Edward Miguel haben untersucht, ob kulturelle Unterschiede eine Auswirkung auf Korruption besitzen. Hierzu haben sie die Verteilungshäufigkeit von Parkverstößen ausgewertet, die von internationalen Diplomaten unter der Bedingung der diplomatischen
Immunität begangen wurden. Sie fanden heraus, dass Diplomaten, die aus Ländern mit hohen Korruptionsraten stammten, eine signifikant höhere Delinquenz aufwiesen als Repräsentanten als weniger korrupt wahrgenommener Länder. Als Regionen halten Afrika und der Nahe Osten den Negativrekord.
Es stellt sich die Frage, wie diese Unterschiede zu erklären sind. Die Autoren selbst sehen in ihrer Studie bestätigt, dass kulturelle Differenzen eine entscheidende Rolle spielen. Solche Differenzen
werden häufig modernisierungstheoretisch erklärt. Die ursprüngliche Idee des Verfassers war, in der Struktur traditionaler und primordialer Gesellschaften eine Erklärung für diese Differenzen zu
suchen. Bald war jedoch festzustellen, dass dieses Unterfangen zu Tautologien führte. Der Diskurs der Korruption ist in ein „klassisches“ Modernisierungsparadigma eingebunden, das schon
voraussetzt, was es eigentlich erklären möchte.
In dieser Arbeit soll nun gezeigt werden, dass Erklärungsansätze problematisch sind, die Korruption als Symptom eines Modernisierungsdefizites verstehen. Die Verknüpfung von „klassischer“ Modernisierung und Korruption offenbart eine entscheidende Schwäche des Korruptionsbegriffs, die mit zeitgemäßen Theorien der Moderne schwer vereinbar ist. Dieses Defizit soll im folgenden historisch aufgezeigt werden.
I. Einleitung
Raymond Fisman und Edward Miguel haben untersucht, ob kulturelle Unterschiede eine Auswirkung auf Korruption besitzen. Hierzu haben sie die Verteilungshaufigkeit von Parkverstofien ausgewertet, die von internationalen Diplomaten unter der Bedingung der diplomatischen Immunitat begangen wurden. Sie fanden heraus, dass Diplomaten, die aus Landern mit hohen Korruptionsraten stammten, eine signifikant hohere Delinquenz aufwiesen als Reprasentanten als weniger korrupt wahrgenommener Lander. Als Regionen halten Afrika und der Nahe Osten den Negativrekord.1
Es stellt sich die Frage, wie diese Unterschiede zu erklaren sind. Die Autoren selbst sehen in ihrer Studie bestatigt, dass kulturelle Differenzen eine entscheidende Rolle spielen. Solche Differenzen werden haufig modernisierungstheoretisch erklart. Die ursprungliche Idee des Verfassers war, in der Struktur traditionaler und primordialer Gesellschaften eine Erklarung fur diese Differenzen zu suchen. Bald war jedoch festzustellen, dass dieses Unterfangen zu Tautologien fuhrte. Der Diskurs der Korruption ist in ein „klassisches“ Modernisierungsparadigma eingebunden, das schon voraussetzt, was es eigentlich erklaren mochte.
In dieser Arbeit soll nun gezeigt werden, dass Erklarungsansatze problematisch sind, die Korruption als Symptom eines Modernisierungsdefizites verstehen. Die Verknupfung von „klassischer“ Modernisierung und Korruption offenbart eine entscheidende Schwache des Korruptionsbegriffs, die mit zeitgemafien Theorien der Moderne schwer vereinbar ist. Dieses Defizit soll im folgenden historisch aufgezeigt werden.
II. Korruption und Modernisierung
Korruption scheint ein Begriff von universaler Reichweite zu sein. Betrachtet man den ,,Corruption Perception Index“, findet man ein beeindruckendes Sample von 180 Staaten, die hinsichtlich ihrer wahrgenommenen Korruptionsraten miteinander verglichen werden. Es fallt hierbei auf, dass erhebliche regionale Unterschiede bestehen. Wie sind diese zu erklaren?
Ein Zusammenhang zwischen dem Entwicklungsstand eines Landes und wahrgenommener Korruption kann laut einer Untersuchung von Dirk Berg-Schlosser empirisch bestatigt werden. Hierbei stechen vier Regionen heraus: Afrika sudlich der Sahara, Asien, Sudamerika mit der Karibik, Nordafrika und der Nahe Osten. Anhand von Datenmaterial, das der ,,Human Development Index“ bereitstellt und „governance“-Daten der Weltbank kann Berg-Schlosser zeigen, dass niedrige Entwicklungs- und hohe Korruptionsraten signifikant miteinander korrelieren.2 Doch warum konnten sich Entwicklung und Korruption bedingen? Berg-Schlosser weist auf Legitimitatsprobleme derjenigen Staaten hin, die besonders von Korruption betroffen sind.3 Eine hinreichende Erklarung ist das allerdings nicht. Ausfuhrlicher hat sich Samuel P. Huntington zum Problem der regionalen Unterschiede geaussert. Einen kausalen Zusammenhang zwischen „Modernization and Corruption44 sah Huntington in dem erstmals 1968 erschienenen gleichnamigen Aufsatz. In den laut Huntington modernen und entwickelten Gesellschaften der atlantischen Welt sei Korruption weniger verbreitet als in Sudamerika, Afrika und Asien. Die Ursache sieht Huntington in grundlegenden Modernisierungsprozessen, die westliche Gesellschaften schon im 18. und 19. Jahrhundert durchgemacht hatten, wahrend die aktuell hohen Korruptionswerte bestimmter Lander damit zusammenhange, das sie sich in einer Phase der akuten Modernisierung befanden. Demgegenuber sei Korruption in Grofibritannien im 18. Jahrhundert und in den Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert, also als diese Gesellschaften basale Modernisierungsprozesse mitmachten, relativ weit verbreitet gewesen. Die These lautet also, dass Gesellschaften, die sich in sozialen und okonomischen Modernisierungsprozessen befinden, hohere Korruptionslevel aufweisen.4
Modernisierungsprozesse fuhrten folgende Faktoren mit sich, die Korruption begunstigten: erstens den Wandel grundlegender gesellschaftlicher Werte einerseits, die Anerkennung der Trennung offentlicher Rollen und privater Interessen andererseits, zweitens die Schaffung neuer Quellen des Wohlstands und der Macht, sowie drittens die Erweiterung der Regierungstatigkeit.5 Verringerung von Korruption bedeutet aus historischer Perspektive eine zweigleisige Entwicklung. Zum einen werden die Normen einer Gesellschaft ein Stuck weit in Richtung der korrupten Realitat verschoben. Auf der anderen Seite wird auch die Realitat stuckweise an diese Normen angepasst.6 In einem neueren Aufsatz geht Huntington auf den Unterschied zwischen Ghana und Sudkorea ein. In den 60er-Jahren wiesen beide Lander einen ahnlich niedrigen Entwicklungsstand auf. In den 90er-Jahren steht Sudkorea als ,,industrieller Gigant“ da mit einem funfzehnmal hoheren Pro-Kopf- Einkommen als Ghana. Huntington erklart diesen Unterschied folgendermafien: „Ich wurde uberzeugt, dass die unterschiedlichen Kulturen der beiden Lander einen grofien Teil der Erklarung dieses Phanomens ausmachten. Sudkoreaner hatten Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit, harte Arbeit, Investitionen, Disziplin und Bildung hoch geschatzt. Die Menschen in Ghana aber hatten andere Werte.“7
Zwar unterstreicht Huntington, dass Modernisierung keine EinbahnstraBe der Verwestlichung ist. Gesellschaften konnten sich modernisieren, ohne westliche Werte anzunehmen oder aber ihre traditionellen Werte wieder entdecken, wie das in manchen asiatischen und islamischen Landern der Fall ist. Aber er macht deutlich, dass besonders die islamische Variante einer Modernisierung ohne Ubernahme westlicher Werte keine wunschenswerte Alternative darstellt.8
Es bleibt bei Huntington wie bei anderen Autoren auch das genaue Verhaltnis von Korruption und Modernisierung unklar. Auch Seymour Martin Lipset und Gabriel Salman Lenz sehen einen Zusammenhang zwischen Korruption und Modernisierung. Sie unterscheiden Modernitat von Traditionalismus. Kennzeichen von Modernitat sind fur sie „Rationalitat“, Kleinfamilien, Leistungsorientierung, soziale Mobilitat und „Universalismus“. Modernisierung heisst hier, dass personale, „feudale“ Netzwerke ihre Bedeutung zugunsten rationalisierter Sozialbeziehungen verlieren. Besonders korrupt sind dann solche Lander, die ein Modernisierungsdefizit aufweisen oder umgekehrt: in denen etwa Familialismus als eine Spolie der Vormoderne fungiert.9 Korruption ist in dieser Sichtweise ein normatives Konzept. Letztlich sind es die Werte der westlichen Modernisierung, die als MaBstab dienen. Dies wirft aber das Problem auf, wie diese genuin westlichen Werte auf nichtwestliche Gesellschaften ubertragen werden konnen. Das geschieht durch eine Historisierung im Sinne der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Aus dieser Perspektive erscheinen die nichtwestlichen und korrupten Gesellschaften eben als ,,noch nicht“ so modern, wie sie sein sollten, wahrend andere als schon „angekommen“ gelten konnen.
Auf den folgenden Seiten soll die historische Entwicklung des Korruptionskonzeptes im euro- atlantischen Raum nachgezeichnet werden. Ziel ist es, zu zeigen, dass die enge Verzahnung von westlicher Modernisierung und Korruptionsdiskursen es problematisch macht, diese Diskurse als ein universales Schema zu operationalisieren.
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1 Fisman, Raymond / Miguel, Edward, Cultures of Corruption: Evidence from Diploomatic Parking Tickets. NBER Working Paper Series. Working Paper 12312. - 9.
2 Berg-Schlosser, Dirk, Korruption und Entwicklungsforschung, in: Alemann, Ulrich von, Dimensionen politischer Korruption. Beitrage zum Stand der internationalen Forschung, Wiesbaden 2005, 311-327. - 315.
3 Berg-Schlosser, Entwicklungsforschung, 325f.
4 Huntington, Samuel P., Modernization and Corruption, in: Heidenheimer, Arnold J. / Johnston, Michael (Hg.), Political Corruption. Concepts and Contexts, New Brunswick 2007 (3), 253-263. 253f.
5 Huntington, Modernization, 254f.
6 Huntington, Modernization, 256.
7 Huntington, Samuel P., auf dem Weg zu einer globalen Kultur?, in: Die politische Meinung 15-20. - 19.
8 Huntingtin, Globale Kultur, 16f.
9 Lipset, Seymour Martin / Lenz, Gabriel Salman, Corruption, Culture, and Markets, in: Harrison, Lawrence E. / Huntington, Samuel P., Culture Matters. How Values Shape Human Progress, New York 2000, 112124. - 123f.
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