In meiner Arbeit beschäftigte ich mich damit, die Verwendung der ästhetischen Mittel: schwarzer Humor, Groteske, Satire, Hypernaturalismus und ästhetik des Bösen in dem Roman "Nacht" vorzustellen.
1. Einleitung
1.1. Die Aufarbeitung des Holocaust- Themas in der Literatur der frühen Nachkriegszeit
(1945- 1968: Die erste Generation)
Nach dem zweiten Weltkrieg bedeutete es ein oft bestrittenes und zentrales Problem, wie mit dem Holocaust-Thema umgegangen werden soll, wie es in der Literatur dargestellt werden darf, und ob es eigentlich auf irgendeiner Weise literarisch aufgearbeitet werden kann.
Theodor W. Adorno war der Erste, in dem die Frage auftauchte, ob die Literatur Legitimität hat, die Schrecken von Auschwitz vorzustellen.[1]Dieser Frage gingen später viele anderen nach, die zum Beispiel mit der Authentizität der Texte zusammenhingen, oder danach fragten, ob die Literatur über entsprechende Mittel dafür verfügt, die Unvorstellbare vorstellen, und die erlebten Situationen adäquat weitergeben zu können. Viele Experten waren der Meinung, dass die Sprache als Darstellungsform zu versagen scheint. Sie hielten es für fraglich, ob das Grauen sprachlich so wiedergegeben werden kann, ohne gemildert zu werden. Mit der Hilfe von Unterhaltungen über die Shoah sollte die Würde der Opfer bewahrt werden, und sie verdienen es natürlich auf jedem Fall, ihre persönlichen Geschichten so zu erzählen, wie es ihnen in der Wirklichkeit geschehen ist...
Trotz dieser Schwierigkeiten, wie mit dem Holocaust - Thema auf einer für alle akzeptablen Weise umgegangen werden kann, wurden sehr viele Texte in den verschiedensten Gattungen mit dem Ziel der Vergangenheitsbewältigung befasst. Aufgrund dieser Werke entstand später der Begriff „Holocaust - Literatur“. Aber was wird genaue darunter verstanden? Holocaust - Literatur subsumiert alle diejenigen Texte,
in denen die Verfolgungs- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten von den ersten Diskriminierungsmaßnahmen bis hin zum Lager- und Vernichtungssystem im engeren Sinn Gegenstand der Auseinandersetzung sind, aber auch solche Texte, in denen der Umgang mit dem Geschehen des Shoah und die Erinnerung daran […] zur Diskursion stehen.“[2]
Solche Texte, in denen es sich um die Konzentrationslager und die Vernichtung der Juden geht, wurden von den Überlebenden schon in den frühen Nachkriegsjahren geschrieben. Sie wollten ihre Erfahrungen mit dem Publikum teilen, weil sie einen inneren Zwang hatten, alles zu erzählen, und sie glaubten, dadurch die Geschehnisse vielleicht leichter aufarbeiten zu können. Außerdem waren sie natürlich der Meinung, dass „ihre erzählten Erfahrungen auf großes Interesse stoßen würden, und es würde ihnen, wenigstens im nachhinein, Gerechtigkeit widerfahren.“[3]
Obwohl sie ihre oben genannten Ziele allein mit Hilfe des Schreibens nicht erreichen konnten, kann es auf keinem Fall bestritten werden, dass sie und ihre Werke, also die
autobiographischen Zeugnisse als die wichtigsten Quellen über das interne Funktionieren und Verhalten der Häftlinge in Konzentrationslagern betrachtet werden können, da sie eine Rekonstruktion der Lebensbedingungen der Opfer wiedergeben. Unvorstellbare kann nur von Menschen erzählt, beschrieben oder dokumentiert werden, die das Unvorstellbare erlebten.[4]
Die deutschen Intellektuellen und Schriftsteller waren natürlich gegen die Literatur der Überlebenden, weil sie nach 1945 einen Neuanfang, eine mit dem Nationalsozialismus nicht mehr zusammenhängende Literatur haben wollten. Die Mitglieder der ersten Generation ließen es aber nicht, „die Möglichkeit jeder Erinnerung an die totale Vernichtung auszulöschen.“[5] Obwohl bis zum Ende der 50er Jahre öffentlich kaum Rede von der in der Nazizeit vollgezogenen Ereignissen sein konnte, weil in vielen Deutschen noch ein nationalsozialistisch geprägtes Bewusstsein, Abwehr von Schuldeinsicht, und eher ein „sich-selbst- als-Opfer-betrachten-Gefühl“ herrschte, erschienen immer mehrere Bücher über die Shoah. Ein wirklicher Wendepunkt in der Vergangenheitsbewältigung erfolgte aber nur in den 60er Jahren. Dann vollzog sich eine plötzliche Erweiterung der literarischen Ausdrucksmöglichkeiten in Beziehung mit der Shoah, deren Ziel es war, mit den Traditionen zu brechen, und mit Hilfe von Provokation Schock in den Lesern zu erwecken.
George Tabori, Edgar Hilsenrath, Jurek Becker stehen für eine dezidierte Aufwertung der Fiktion und für die Einführung von Groteske, Satire und Humor in die sich ausbildende Literatur der Shoah. Nicht mehr die Frage nach der Legitimität einer Darstellung des Unvorstellbaren steht im Zentrum der ästhetischen Überlegungen, sondern die Frage nach den Mitteln, die dem paradoxen, aber dennoch notwendigen Unterfangen einer Darstellung angemessen sein könnten.[6]
1.2. Die Erneuerungen von Edgar Hilsenrath
Was in Zusammenhang von Edgar Hilsenrath am meistens hervorgehoben wird, ist sein außerordentlicher Stil, und die neuen ästhetischen Mittel, mit deren Hilfe er das Holocaust- Thema aufgearbeitet hat. Seine ersten zwei Werke 'Nacht' und 'Der Nazi & der Friseur' stießen auf großes Unverständnis und Ablehnung, weil das in den Romanen Schilderte „den im Nachkriegsdeutschland lange Zeit vorgegebenen Erwartungen an Literatur über den Holocaust erheblich“[7]widersprach.
Das Einzige, in dem Hilsenrath seinen Vorgängern folgte, ist der Tonfall seiner Werke. Sie entsprechen der so genannten Trümmerliteratur, und erhalten keine bedeutenden Innovationen. Ein Modus der Oralität wird in ihnen benutzt; vor allem einfache, konventionelle Formen und Inhalte, alltagssprachliche Formulierungen und Nachvollziehbarkeit sind für sie charakteristisch.
In den anderen Bereichen ist aber der Autor als ein Pionier zu betrachten. Er bedeutete zum Beispiel einen Perspektivwandel mit seiner Veränderung der Auffassung von Opfer-Täter-Muster. Obwohl in der Nachkriegszeit unter den westdeutschen Bürgern die philosemetische Störung herrschte, in der die Juden idealisiert und als einiger Opfer der Nazizeit dargestellt wurden, stellte Hilsenrath in dem im Jahre 1964 erschienenen Roman 'Nacht' ein anti-heroisches und unbeschönigtes Bild über die Juden dar. Davor wurden die Juden in allen Werken als edler Opfer geschildert; sie waren die einzigen Guten, die von den Bösen überfallen wurden. Hilsenrath destruierte dieses Bild damit, dass in 'Nacht' die Deutschen als Täter eigentlich nicht vorkommen, dagegen aber die Juden untereinander zu Feinden werden. Er selbst nennt ‚Nacht’ „das erste Buch, das mit der scheinheiligen philosemitischen Tradition bricht.“[8].
Außer seiner außerordentlichen Einstellung zu dem Opfer-Sein der Juden weckte auch sein Hypernaturalismus Widerwille in den alltäglichen Lesern auf. Er stelle das Grauen so detailreich, so präzis dar, dass manchmal einige Handlungsketten als eine Reihe kleiner „Horrorepisoden“ aufgefasst werden können. „Immer geht es um Hunger, Verzweiflung, Krankheit, Angst, Intimitätsverlust, Gewalt, Elend und um die zahllosen Variationen und Details der Entmenschlichung, der Niedertracht und des Überlebenskampfes.“[9]
Der Tod bedeutet bei ihm keine Sensation mehr, schon für die Kinder scheint es, als das Allerselbtsverständlichste von der Welt. Unter den Experten rufte diese Darstellungsweise verschiedene Meinungen hervor. Es gibt Kritiker, die den Roman für eine literarische Katastrophe halten, und derer Meinung nach mit diesem Stil keinen Schock, sondern nur Langeweile aus den Lesern hervorgerufen werden kann. Dagegen hebte aber Peter Stenberg – einer der Kritiker der Zeit- hervor, wie große Leistung es von Hilsenrath war, das Tabu der Nachkriegszeit außer Acht zu lassen, und das Thema auf einer anderen Weise, ohne Verschönerungen, sondern mit detailreichen Beschreibungen und mit komischen Elementen aufzuarbeiten. Hilsenrath beschäftigte sich wirklich nicht damit, was als Tabu (zum Beispiel: sexuelles Thema) behandelt werden sollte, und achtete nicht darauf, ein massenkompatibles Werk auf den Markt zu bringen. Er schrieb einfach nur darüber, was er in dem Ghetto erlebte, und wie er die dort herrschende hierarchische soziale Struktur und das alltägliche Leben sah.
Hervorzuheben sind noch die von Peter Stenberg auch benannten komischen Elemente,- das Groteske, die Satire und der schwarze Humor-, die in den Werken des Autors auch sehr wichtige Rolle spielen. Wie es auch von Dopheide Dietrich in ihrer Analyse verfasst wurde: „Die eigentliche Provokation des Romans liegt […] in der Darstellung des wölfisch-brutalen Existenzkampfes der Ghettojuden mit den Mitteln des Schwarzen Humors und des Grotesken.“[10]Mit Hilfe dieser Mittel erreichte Hilsenrath sein Ziel: dem Roman 'Nacht' gelang es, die Leser emotional zu erschüttern, obwohl der Autor keine direkten Spannungselemente benutzte, nur mit einer distanziert-sachlicher Erzählungsweise die verschiedenen Geschehnisse nacheinander schilderte, als ob er einen Dokumentarfilm drehen würde.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Hilsenrath in Zusammenhang mit dem Thema Holocaust wirklich viele Innovationen einführte, und er verwendete spezielle, in diesem Bereich noch nie benutzte Mittel, um an das Thema von einer neuen, besonderen Seite herangehen zu können. Diese Erneuerungen fanden aber in seiner Zeit kein Publikum. Der Roman 'Nacht' gehört eindeutig zu den Werken, die zu spät oder zu früh erschienen. In einem Brief, der von Alfred Joachim Fischer an Hilsenrath geschrieben wurde, steht: „Der deutsche Durchschnittshörer […] ist für diesen Stoff längst nicht reif genug. Statt Mitgefühl muss er gerade wegen der realistischen Darstellung Antisemitismus hervorrufen oder vertiefen.“[11]Und er hatte recht. Das Buch wurde ein Skandalon, und auch heute gibt es noch Menschen, die sich nach mehr als 50 Jahren nach dem Ende der Nazizeit mit dieser Schreibweise nicht anfreunden können. Aufgrund dieser Tatsachen kann es nicht für überraschend gehalten werden, dass Hilsenrath von einigen als Verfasser indiskutabler Literatur denunziert wurde.
2 Die allgemeine Darstellung der von Edgar Hilsenrath verwendeten, in der
Shoah- Literatur als neu geltenden ästhetischen Mitteln
Wie es schon in dem ersten Kapitel erwähnt wurde, war es nach dem Ende des zweiten Weltkriegs ein zentrales Problem, wie mit dem Geschehen der letzten Jahre in der Literatur umgegangen werden soll. Edgar Hilsenrath bedeutete einen Perspektivwandel mit seinen neuen ästhetischen Mitteln, mit denen er an das Thema heranging. Einerseits wollte er alles als raue Wirklichkeit darstellen, anderseits verwendete er aber solche Innovationen, mit derer Hilfe Lachen aus den Lesern ausbrechen könnte, wenn es in seinen Werken nicht um das Leben in dem Konzentrationslager gehen würde. Eins ist aber in den verwendeten Mitteln auf jedem Fall gleich: sowohl bei der Satire und dem Grotesken als auch bei dem schwarzem Humor und dem Hypernaturalismus geht es um eine Art Verfremdung.
2.1. Satire
Satire war ursprünglich eine Spottdichtung, ein spöttisch - humorvolles Gedicht, dessen Ziel es ist, die Leser zum Nachdenken zu inspirieren. Sie „will Missstände und Unsitten innerhalb der Gesellschaft, aber auch bestimmte Ereignisse und Personen anprangern, kommentieren und entlarven. Satire ist also Zeitkritik mit erzieherischer Tendenz.“[12]Die Autoren beschäftigen sich in dem Rahmen der Satire oft mit einer gesellschaftlichen Gruppe (wie zum Beispiel bei Hilsenrath mit den Juden), und wird von ihnen hervorgehoben, was sie bei ihnen für falsch, für ein Fehlverhalten halten. In diesen Situationen kommt es oft vor, dass die Grenzen dessen, was von den alltäglichen Leuten als „guter Geschmack“ genannt wird, von dem Autor außer Acht gelassen werden.
2.2.Schwarzer Humor
Bei dem schwarzen Humor geht es darum, makabre, tabuisierte Themen als Alltägliches und Selbstverständliches darzustellen. Dabei werden normalerweise ernste Themen wie Verbrechen, Krankheit und Tod, oder aktuelle gesellschaftliche Geschehnisse (Vorhanden von Konzentrationslagern in der Nazizeit) in satirischer Weise behandelt. Das Lachen aber, das von dieser Art des Humors hervorgerufen wird, kann nicht als ein frohes Lachen betrachtet werden.
2.3. Groteske
Groteske hat enge Beziehung mit der Satire und mit dem schwarzen Humor, und die „Entdeckung der Banalität des Bösen ist die Entdeckung eines kategorial neuen grotesken Tatbestandes.“[13]In diesem Stilmittel werden scheinbar unvereinbare Dinge miteinander verbunden, kann als eine Art Vermischung von Nichtzusammengehörenden, wie zum Beispiel: hässlich und schön, scheußlich und lächerlich, grauenvoll und komisch benannt werden. Es ist also die gleichzeitige Darstellung von Monströs-Grausigen und Komischen, die Beschreibung des Grauenvollen, das zugleich als lächerlich erscheint. Dieses Lachen entspricht aber wieder nicht der alltäglichen Bedeutung des Lachens, weil die Wirkung des Grotesken damit charakterisiert werden kann, dass das ausgelöste Lachen „im Halse stecken bleibt.“[14]
[...]
[1] Hofmann, Michael: Die Shoah in der Literatur der Bundesrepublik. In: Eke, Norbert Otto; Steinecke, Hartmut
(Hg.), Shoah in der deutschsprachigen Literatur. Berlin: Erich Schmidt Verlag GmbH & Co., 2006. S.63.
[2] Eke, Norbert Otto: Shoah in der deutschsprachigen Literatur- Zur Einführung. In: Eke, Norbert Otto; Steinecke,
Hartmut (Hg.), Shoah in der deutschsprachigen Literatur. Berlin: Erich Schmidt Verlag GmbH & Co., 2006.
S.14.
[3] Jaiser, Constanze: Die Zeugnisliteratur von Überlebenden der deutschen Konzentrationslager seit 1945.
In: Eke, Norbert Otto; Steinecke, Hartmut (Hg.), Shoah in der deutschsprachigen Literatur.
Berlin: Erich Schmidt Verlag GmbH & Co., 2006. S.110.
[4] Bendel, Carolin: „Die Shoah und das Problem der Unsagbarkeit“, hier nach:
http://www.shoa.de/holocaust/tendenzen-und-kontroversen-in-der-forschung/607.html
[5] Benz, Wolfgang (Hg.), „Literatur“, In: Lexikon der Holocaust. München: C.H. Beck, 2002., S.140.
[6] Hofmann, Michael: Die Shoah in der Literatur der Bundesrepublik, S.64.
[7] Dopheide, Dietrich: Das Groteske und der Schwarze Humor in den Romanen Edgar Hilsenraths. Berlin: Weißensee, 2000. S.261
[8] Jørgen Hordnes: Die Schuldfrage in den Romanen Edgar Hilsenraths, hier nach: https://bora.uib.no/bitstream/1956/2987/1/45431723.pdf
[9] Birkmeyer, Jens: Die Normalität des Grauens. Edgar Hilsenraths Roman „Nacht“ erinnert den Holocaust in Transnistrien. In: Braun, Helmut; Schultz, Deborah: Der Mahler Arnold Daghani. Springe: Zu Klampen, 2006., S.178.
[10] Dopheide, Dietrich: Das Groteske und der Schwarze Humor in den Romanen Edgar Hilsenraths. S.97.
[11] Birkmeyer, Jens: Die Normalität des Grauens. Edgar Hilsenraths Roman „Nacht“ erinnert den Holocaust in Transnistrien., S.172.
[12] “Satire” , hier nach: http://www.spitze-feder.de/satire.php
[13] Borchmeyer, Dieter; Žmegač, Viktor (Hg.), „Groteske“, In: Moderne Literatur in Grundbegriffen. Tübingen Max Niemeyer Verlag, 1994. S. 188.
[14] Ebd., S.187.
- Arbeit zitieren
- Zsuzsanna Pencz (Autor:in), 2010, Die ästhetischen Normen in Edgar Hilsenraths Roman "Nacht", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/154499
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