Die vorliegende Arbeit analysiert die Übersetzung ins Italienische zweier Romane von Thomas Brussig, die zur sogenannten “Literatur der Wende” gehören: "Helden wie wir", 1995 herausgegeben, und "Am kürzeren Ende der Sonnenalle" von 1999, der Brussigs Erfolg des ersten Romans fortsetzte und ihm den Ruf eines “Fachmanns für die ostdeutschen Passagen der Geschichte” (Kraft: 41) verlieh.
Beide Werke, deren Geschichten manchmal wirklich amüsante Episoden aufweisen, sind voller Ironie und Humor, was folgendes beweist: “Anspruchsvollere Literatur muss nicht unbedingt ‘trocken’ und ‘langweilig’, sondern kann durchaus unterhaltend und zugleich informativ sein” (Lammers: 2). Beide Bücher sind durch starke Ironie gekennzeichnet, was seit jeher ein Problem für Übersetzer darstellt, vor allem wenn sie durch Wortspiele oder kulturelle Elemente, die nur schwer in eine andere Sprache übertragbar sind, ausgedrückt wird. Sehen wir uns nun an, wie die beiden Übersetzerinnen mit dieser Problematik fertig wurden.
Thomas Brussig und seine italienische Übersetzerinnen: Treue oder Untreue?
1 Einleitung
Die vorliegende Arbeit analysiert die Übersetzung ins Italienische zweier Romane von Thomas Brussig, die zur sogenannten “Literatur der Wende” gehören: Helden wie wir, 1995 herausgegeben, und Am kürzeren Ende der Sonnenalle von 1999, der Brussigs Erfolg des ersten Romans fortsetzte und ihm den Ruf eines “Fachmanns für die ostdeutschen Passagen der Geschichte” (Kraft: 41) verlieh. Das erste Buch wurde von Marina Bistolfi übersetzt, das zweite, das in Italien vom selben Verlag herausgegeben wurde, von Palma Severi.
In beiden Romanen behandelt Brussig das Thema der “Wende” aus einer privilegierten Perspektive:
Er gehört zu einer Generation, die zwar in der DDR geboren ist und ihre Jugend dort verbrachte, mit den Utopien und dem Aufbaupathos der Gründergeneration jedoch nichts mehr anfangen konnte. Diese Generationszugehörigkeit bietet ihm eine bevorzugte Perspektive auf die ‘Wende’ und ermöglicht ihm, sich in seinen Romanen ironisch mit dem Thema auseinanderzusetzen
(Bonmassar: 3).
Beide Werke, deren Geschichten manchmal wirklich amüsante Episoden aufweisen, sind voller Ironie und Humor, was folgendes beweist: “Anspruchsvollere Literatur muss nicht unbedingt ‘trocken’ und ‘langweilig’, sondern kann durchaus unterhaltend und zugleich informativ sein” (Lammers: 2). Der grundlegende Unterschied zwischen den beiden Romanen liegt meines Erachtens in der Absicht des Autors, was von den Übersetzerinnen bei der Verfassung ihrer Versionen eindeutig beachtet wurde. In Am kürzeren Ende der Sonnenalle kritisiert Brussig das sozialistische Regime nicht, sondern will einfach das Leben in der DDR beschreiben, um zu zeigen, dass es auch in Ostberlin und allgemein in ganz Ostdeutschland möglich war, ein normales Leben zu führen; vielleicht etwas anders als in Westberlin, aber dennoch angenehm. Die Protagonisten des Buches sind Jugendliche, deren Träume kaum etwas mit den sozialistischen Idealen zu tun haben. Sie lieben Popmusik (besonders die verbotene aus dem Westen), sie fühlen sich zum Existenzialismus und zum Hippie–Leben hingezogen, aber insbesondere zum schönsten Mädchen der Schule, Miriam. Die Mauer, das Regime und die Stasi bleiben im Hintergrund, alles dreht sich um die Freuden, Leiden und Träume von Micha und seinen Freunden:
“vermittelt wird in dem Roman zwar nicht das System des real existierenden Sozialismus, sondern Micha Kuppischs subjektives Erlebnis” (Moraldo: 129). In der Geschichte von Klaus Uhltzscht in Helden wie wir hingegen wirft der Autor einen kritischen Blick auf die Geschichte der DDR, insbesondere auf die “Honecker-Ära”. Klaus ist eine außergewöhnlich komische Figur, die zwischen Held und Versager hin- und herpendelt: einerseits ist er von seiner Rolle als “zukünftiger Nobelpreisträger” und “Beendiger der Geschichte” überzeugt, andererseits erdrücken ihn unerträgliche, von den Eltern eingeprägte Minderwertigkeitskomplexe, weshalb er sich selbst beschreibt als “Flachschwimmer”, “Totensonntagsfick”, “Toilettenverstopfer” und “Onanist mit legendär kleinem Pimmel und 4 Bibliothekausweisen”. Diese Dualität zwischen Held und Antiheld führt zu extrem komischen Momenten, bei denen Brussig die Gelegenheit nicht versäumt, das DDR-System und seine Apparate – insbesondere die Stasi, aber auch die Passivität der Bürger (Bonmassar: 16) - zu kritisieren. Derselbe Klaus, der es trotz allem schafft, sich in die Gesellschaft zu integrieren, ist eine Karikatur des Bürgers, der sich an das Regime angepasst hat: “Er ist ein Konformist und Opportunist, zugleich auch ahnungslos; er hat für die Staatssicherheit gearbeitet, fast ohne es zu merken, und sich privat eine eigene ‘Nische’ (seine Perversionen) geschaffen” (Bonmassar: 12). Was Klaus jedoch von den anderen Figuren unterscheidet ist seine gelegentliche Fähigkeit, die erhaltene Erziehung und dadurch das System in Frage zu stellen.
Wie bereits erwähnt sind beide Bücher durch starke Ironie gekennzeichnet, was seit jeher ein Problem für Übersetzer darstellt, vor allem wenn sie durch Wortspiele oder kulturelle Elemente, die nur schwer in eine andere Sprache übertragbar sind, ausgedrückt wird. Sehen wir uns nun an, wie die beiden Übersetzerinnen mit dieser Problematik fertig wurden. Wir beginnen mit Am kürzeren Ende der Sonnenalle (auch wenn es sich um das später veröffentlichte Buch handelt) und setzen mit dem Roman Helden wie wir, der nach meinem Ermessen mehr Schwierigkeiten für den Übersetzer aufwirft, fort.
2 Bucheinband und Titel
Wir beginnen unsere Untersuchung beim Bucheinband und dem Titel, die meines Erachtens einer eigenen Analyse bedürfen. Auch die Wahl des Bucheinbandes für die übersetzte Version eines Buches ist im weiteren Sinne eine Form der Übersetzung: eine Übertragung von einem kulturellen System in ein anderes bzw. eine Anpassung/Lokalisierung. Der Titel und der Bucheinband eines Werks erfüllen ähnliche Aufgaben, deshalb können die allgemeinen, den Titel betreffenden Überlegungen, auch auf den Bucheinband erweitert werden. Die deutsche Gelehrte Christiane Nord unterscheidet in ihrem Artikel Text Functions in Translation: Titles and Headings as a Case in Point sechs Titelfunktionen:
- Unterscheidende Funktion: jeder Titel sollte einzigartig sein und den Text, auf den er sich bezieht, eindeutig identifizieren. Grundsätzlich wird dieses Prinzip sowohl für die Titel als auch für die Wahl der Bucheinbände beachtet;
- Phatische Funktion: ermöglicht einen ersten Kontakt mit dem Leser;
- Metatextuelle Funktion: diese Funktion informiert über die Existenz eines Textes, der einen bestimmten Titel, der für die Kultur des Lesers akzeptabel ist, trägt.
- Referenzielle oder informative Funktion: Der Titel (und der Bucheinband) informieren über intertextuelle und extratextuelle Aspekte des Textes, z.B. den Gegenstand (thematic reference), die sprachlichen Eigenschaften des Textes (methalinguistic reference), Autor oder Benutzer (metacommunicative reference);
- Expressive Funktion: der Titel (oder der Bucheinband) soll den potenziellen Leser über einige Aspekte des Buches informieren, z.B. durch den Gebrauch der Ich-Form oder besonderer Adjektive oder Adverbien;
- Anwendungs- oder Appellativ-Funktion: das Ziel des Titels sowie des Bucheinbandes ist es, den potenziellen Leser anzuregen, das Buch zu kaufen (advertising function) oder den Titel auf eine bestimmte Art zu interpretieren.
Betrachten wir nach diesen Überlegungen die Bucheinbände von Am kürzeren Ende der Sonnenallee:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die deutsche Auflage des Fischer Taschenbuch Verlags von 2001 weist einen bunten Bucheinband auf mit Objekten, die an die 70er Jahre erinnern (Plattenspieler, Langspielplatte, Ledersandalen, Cola- Flasche) und die auf eines der Hauptthemen des Romans – die Musik – verweisen. Der italienische Bucheinband zeigt ein bekanntes Bild aus der East Side Gallery, in dem ein Trabant die Berliner Mauer durchbricht, womit ganz andere Assoziationen geweckt werden: die Teilung einer Stadt und einer Nation, der Kalte Krieg, ein sozialistisches Regime, das vorschrieb, dass alle das selbe Auto fahren mussten. Meines Erachtens ist der italienische Bucheinband der Idee des Autors und des Buches nicht treu, da er zu “politisiert” ist. Ich gehe allerdings davon aus, dass dem Wunsch, dem italienischen Leser die Möglichkeit zu geben, die Geschichte sofort historisch und geographisch richtig einordnen zu können, um darauf hin mehr Details auf der Rückseite des Buches zu erfahren, Vorrang gegeben wurde. Auf Nords Terminologie zurückkommend könnte man sagen, dass in beiden Fällen die informative Funktion preponderant ist. Allerdings dominieren beim ersten Bucheinband die intertextualen Aspekte (er bezieht sich auf die Protagonisten und ihre Leidenschaften) und beim zweiten die extratextuellen Aspekte (der historische Hintergrund der Protagonisten des Romans).
Sehen wir uns nun die Bucheinbände von Helden wie wir an:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der deutsche Bucheinband verweist auf ein zentrales Thema des Romans: die sexuelle Obession von Klaus, die ausgedrückt wird durch die Hass-Liebe für seinen “kleinen Pimmel”, auf Grund dessen er einen Minderwertigkeitskomplex entwickelt. Später wird er jedoch ein Instrument für soziale Emanzipation (Bonmassar: 21) und Erfolg, sodass er sogar Teil der Geschichte wird (“Die Geschichte des Mauerfalls ist die Geschichte meines Pinsels”). Der italienische Bucheinband hingegen bezieht sich in keiner Weise auf diesen Aspekt, sondern gibt auch in diesem Fall dem geographischen, historischen und politischen Hintergrund Vorrang.
Bei beiden Romanen heben also die Bucheinbände verschiedene Aspekte hervor und zeigen unterschiedliche Blickwinkel auf, wobei sie Elementen, die offensichtlich als bedeutender für die Kultur des Lesers eingestuft wurden, Beachtung schenken. Es sollte erwähnt werden, dass bei der Wahl des Bucheinbandes wahrscheinlich den Überlegungen der Verlage mehr Bedeutung beigemessen wurde als den Vorschlägen des Übersetzers, da das Buch trotz allem ein “Produkt” ist, das verkauft und erstanden werden soll.
Widmen wir uns nun der Übersetzung der Titel der beiden Romane.
Die ersten Überlegungen, die Palma Severi bestimmt anstellen musste, als sie mit der Übersetzung von Am kürzeren Ende der Sonnenallee beauftragt wurde, waren: sollte sie “Sonnenallee”, also den Namen der Straße, in der der Protagonist lebt, übersetzen oder nicht? Die Übersetzerin hat sich für eine einzigartige Lösung entschieden: sie übersetzt ihn beim Titel, lässt ihn allerdings im Text unverändert, wobei sie beim ersten Vorkommen des Straßennamens eine Fuβnote einfügt:1
Ich halte die Wahl, den Straßennamen unverändert zu lassen und im Text eine Fuβnote einzufügen für richtig, da die Bedeutung in diesem Fall fundamental ist, denn alles, sogar die in der Potsdamer Konferenz entschiedene Teilung Berlins, dreht sich um den “schönen Namen” der Straße, den sogar Stalin rührt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Was mir hingegen nicht gefällt ist die Wahl des italienischen Titels: In fondo al viale del Sole. Die Entscheidung, das Wort “Sonnenallee” zu übersetzen, um ein so undurchsichtiges Element im Titel dem italienischen Leser nicht vorzuenthalten, finde ich gut. Denn, wie bereits erwähnt, erfüllt der Titel auch eine phatische Funktion, weshalb sich die fehlende Übersetzung zu einem störenden Element für den potenziellen Leser entwickelt hätte. Jedoch halte ich die Verknüpfungen, die durch die Wahl, “am kürzeren Ende” mit “in fondo” zu übersetzen, entstehen, für alles andere als gelungen. Diese Interpretation des Textes ist irreführend, denn es erinnert ganz bestimmt nicht an eine fröhliche Gruppe Jugendlicher. Im Gegensatz dazu ist der deutsche Titel intrigant und wirft die Frage auf: was meint er wohl mit “am kürzeren Ende”? Der Titel übernimmt in diesem Fall eine performative Rolle; er enthält eine vom Autor and den Leser adressierte Nachricht. Aber er ist ebenso informativ (er sagt uns an welchem Ort sich die Geschichte abspielt). Allerdings greift der Titel auch vor: “è come se l’autore fornisse al lettore una sorta di casella vuota destinata a riempirsi di senso a mano a mano che la letteratura procede (Viezzi: 49). Die Neugierde des Lesers wird bereits im ersten Kapitel gestillt, da der seltsame Titel sofort erklärt wird. Ich hätte mich für einen dem Original treueren Titel entschieden, und zwar nicht nur auf semantischer sondern auch auf funktioneller Ebene, um eben genau die Neugierde, die der Titel im Original verursacht, zu schaffen: Nel tratto piú breve del Viale des Sole.
Im Falle von Helden wie wir hat sich die Übersetzerin, Marina Bistolfi, für eine wortwörtliche Übersetzung entschieden (Eroi come noi); ganz nach dem loyalty-Prinzip (Nord, 1995; 270), das die Absichten des Autors respektiert. Auch wenn es kaum wahrnehmbar ist, geht bei dieser Übersetzung jedoch ein wichtiges kulturelles Element verloren: Brussig will mit dem Wort “Held” provozieren, denn im sozialistischen Sprachgebrauch hat das Wort eine propagandistische Bedeutung. (z.B. “Held der Arbeit”). Leider halte ich es jedoch für unmöglich, diese Nuance in die Zielsprache zu übertragen.
Im Gegensatz zu den Bucheinbänden spielt der Übersetzer bei der Übersetzung des Titels zweifellos eine wichtigere Rolle, auch wenn die Appellativ-Funktion weiterhin im Vordergrund bleibt; vor allem wenn der Autor in der Kultur der Zielsprache nicht besonders bekannt ist (Viezzi; 85). Es gibt verschiedenste Hilfsmittel, Bücher and den Käufer zu bringen; in Deutschland z.B. erinnert man gerne an exotische Länder, was offensichtlich einen positiven Effekt auf den Verkauf des Buches hat. Nord bringt das Beispiel des kubanisches Schriftstellers Alejo Carpentier, dessen Bücher folgendermaßen übersetzt wurden (1994: 62):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Absicht, sich an das Original zu halten, tritt in den Hintergrund, um Platz zu machen für Strategien, die an die Werbetechnik erinnern, da - wie auch Ineichen betont – eine Titelrethorik existiert, die sich nicht sehr von der bei der Konstruktion von Werbetexten angewandten Technik unterscheidet (185).
3 Am kürzeren Ende der Sonnenallee In fondo al viale del sole
3.1 Namen der Personen
Die Übersetzung der Namen stellt seit jeher ein Problem für Übersetzer dar, und jeder einzelne Fall bedarf besonderer Aufmerksamkeit. Werfen wir nun einen Blick auf die von Palma Severi angewandten Strategien bei der Übersetzung der Namen der Personen im Fall von Am kürzeren Ende der Sonnenallee.
Der Name des Protagonisten, Michael Kuppisch, der von allen Micha genannt wird, bleibt unverändert. Sehen wir uns jetzt an, was mit den Namen der restlichen Personen passiert:
Die Familie
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
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1 Ndt: Sonnenallee significa, alla lettera, “Viale del Sole”.
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