Seit vier Jahrzehnten werden verschiedene Neurofeedbackmethoden bei der Behandlung unterschiedlicher Störungen, unter anderem bei AD/HS-Kindern, eingesetzt. Die Grundlage der Anwendung von Neurofeedback bei dieser Störung besteht darin, dass die Kinder Auffälligkeiten in ihrem EEG zeigen. Dort treten im Vergleich zu unauffälligen Kindern vermehrt Theta-Gehirnwellen und weniger Beta-Gehirnwellen auf. Mittels Neurofeedback wird versucht, die Gehirnfunktionen zu korrigieren. Zahlreiche Einzelfallstudien bestätigen die Wirksamkeit dieser Therapiemethode bei der AD/HS-Behandlung. Bisher wurde jedoch keine Studie veröffentlicht, in der die Wirksamkeit von Neurofeedback mit einer Placebogruppe verglichen wurde. Ziel der vorliegenden Studie war es, die Wirksamkeit eines Theta/Beta-Neurofeedbacks (NF) bei der Behandlung von AD/HS-Kindern zu überprüfen und mit einem EMG-Biofeedback (BF) als Placebobedingung zu vergleichen.
Es wurden 35 ADHS-Kinder (6 -14 Jahre; 26 Jungen und 9 Mädchen) untersucht. Nach Standarddiagnostik und Vergabe der AD/HS-Diagnose durch einen unabhängigen Psychotherapeuten wurden die Kinder per Zufall zwei Gruppen (NF: n = 18 bzw. BF: n = 17) zugeteilt. Alle Kinder beider Gruppen erhielten ein 30 Sitzungen umfassendes Training mittels Theta/Beta-Neurofeedback bzw. EMG-Biofeedback. Unmittelbar vor und nach dem Training wurden Intelligenz- bzw. Aufmerksamkeitsleistungen untersucht und Einschätzungen des Verhaltens von Eltern und Lehrern erhoben. Im Anschluss an das Training erfolgte eine erneute diagnostische Einschätzung durch einen unabhängigen Psychotherapeuten.
Die EEG-Daten in der NF-Gruppe zeigen eine Reduktion der Theta/Beta-Quotienten im Laufe der NF-Sitzungen. Die EMG-Daten zeigen für die EMG-Biofeedback-Bedingung gleichfalls eine Reduktion der EMG-Amplitude. Die Ergebnisse der zweifaktoriellen Varianzanalysen mit Messwiederholung auf einem Faktor zeigen für die angewendeten diagnostischen Verfahren die erwarteten signifikanten Interaktionen zwischen Messzeitpunkt und Gruppe. Die Ergebnisse des t-Tests zeigen signifikante Verbesserungen in der Aufmerksamkeitsleistung, dem Intelligenzniveau und im Verhalten der Kinder aus der NF-Gruppe im Vergleich zu den Resultaten des Prä-Tests. Die EMG-Biofeedbackgruppe zeigt mit Ausnahme einer Erhöhung des Arbeitstempos in den Paper-Pencil-Aufmerksamkeitstests (die im CPT nicht repliziert werden konnte) keine signifikanten Verbesserungen relativ zum Prä-Test.[...]
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Zusammenfassung
Abstract
I Einleitung
II Theorie
1. Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
1.1. Definition
1.2. ADHS-Diagnose
1.2.1. Alters-, Geschlechts-, und Komorbiditätsunterschiede bei der ADHS-Diagnose
1.2.2. Psychophysiologische vs. psychometrische Auswertungen bei der ADHS-Diagnose
1.2.3. Differentialdiagnose
1.3. Prävalenz
1.3.1. ADHS: Geschlechtsunterschiede
1.3.2. ADHS-Prävalenz und Lehrer-Einschätzungen
1.4. Komorbidität
1.5. Ätiologie
1.5.1. „Schlechtes-Kind“-Theorie
1.5.2. Disharmonische Familie
1.5.3. Elterliche Schwäche
1.5.4. Umwelt- und allergische Faktoren
1.5.5. Genetische Faktoren
1.5.6. Hirnschädigung
1.5.7. Hirnkreislauf und Hirnmetabolismus
1.5.8. Elektroenzephalogramm (EEG)
1.6. Aufmerksamkeit und Arousalniveau
2. ADHS-Behandlung
2.1. Medikamentöse Behandlung
2.1.1. Psychostimulanzien
2.1.2. Nebenwirkungen
2.1.3. Anwendung anderer Medikamente bei der ADHS-Behandlung
2.1.4. Kritik an der medikamentösen Behandlung bei ADHS-Patienten
2.2. Verhaltenstherapie
2.2.1. Medikamentöse Behandlungen in Kombination mit verhaltenstherapeutischen Methoden
2.3. Alternative Therapiemethoden
2.3.1. Kognitive Verhaltenstherapie
2.3.2. Diät
2.3.3. Yoga
2.4. Therapieerfolg bei Standard- und alternativen Behandlungen
3. Biofeedback
3.1. Geschichte des Biofeedbacks
3.2. Biofeedbackarten
3.3. EEG-Biofeedback/ Neurofeedback/ Neurotherapie
3.3.1. Neurofeedback in der ADHS-Behandlung
3.3.2. Neurofeedbackwirkungen auf psychologische, physiologische, und neurologische Parameter
3.3.3. Neurofeedback in Kombination mit anderen Methoden bei der ADHS-Behandlung
3.3.3.1. Neurofeedback in Kombination mit Musik
3.3.3.2. Neurofeedback in Kombination mit virtueller Realität
3.3.3.3. Neurofeedback in Kombination mit Schulaufgaben
3.3.3.4. Neurofeedback in Kombination mit metakognitiven Strategien
3.3.3.5. Neurofeedback in Kombination mit EMG-Biofeedback
3.3.3.6. Neurofeedback in Kombination mit medikamentösen Behandlungen
3.3.4. Anwendung von Neurofeedback in einer Schulsituation
3.3.5. Probleme bisheriger Forschungsarbeiten zum Neurofeedback an ADHS-Patienten
III Methode
1. Fragestellungen und Hypothesen
2. Die Anwendung einer Placebogruppe
3. Design und Zeitplan
4. Statistische Verfahren
5. Messinstrumente
5.1. Tests
5.1.1. Intelligenztests
5.1.1.1. Standardform der progressiven Matrizen (SPM), Raven
5.1.1.2. CPM-Farbige Matrizen, Raven
5.1.2. Aufmerksamkeitstests
5.1.2.1. bp-Test
5.1.2.2. Test d2 (Aufmerksamkeits-Belastungstest)
5.1.2.3. Continuous Performance Task (CPT)
5.2. Fragebogen
5.2.1. Fremdbeurteilungsbogen für hyperkinetische Störungen (FBB- HKS)
5.2.2. Mannheimer Elternfragebogen (MEF)
6. Institutioneller Rahmen und Patienten
7. Elterngespräch
8. Therapieprogramm
8.1. Biofeedback und dessen Software
8.1.1. NeXus-
8.1.2. BioTrace+
8.1.3. Theta/Beta-Neurofeedbackprotokoll
8.2. Die Elektroden
8.2.1. Die Elektroden in der Neurofeedbackgruppe
8.2.1.1. Aktive Elektroden
8.2.1.2. Referenzelektrode
8.2.2. Elektroden in der EMG-Biofeedbackgruppe
8.2.2.1. Aktive Elektroden
8.2.2.2. Referenzelektrode
8.3. Elektrodenplatzierung
8.3.1. Elektrodenplatzierung in der Neurofeedbackgruppe
8.3.2. Elektrodenplatzierung in der EMG-Biofeedbackgruppe
8.4. Therapiesitzungen und deren Ziele
8.5. Eine exemplarische Therapiesitzung
8.5.1. Neurofeedbacksitzungen
8.5.2. EMG-Biofeedbacksitzungen
IV Ergebnisse
1. Drop-out
2. Daten aus den Therapiesitzungen
2.1. EEG-Daten
2.2. EMG-Daten
3. Fragebogen-Daten
3.1. Mannheimer Eltern Fragebogen (MEF)
3.2. Fremdbeurteilungsbogen- hyperkinetische Störung (FBB-HKS)
3.2.1. Elterneinschätzungen im Fremdbeurteilungsbogen- hyperkinetische Störung (FBB-HKS)
3.2.2. Lehrereinschätzungen im Fremdbeurteilungsbogen- hyperkinetische Störung (FBB-HKS)
4. Daten der Leistungstests
4.1. Intelligenztest
4.2. Aufmerksamkeitstests
4.2.1. Paper-Pencil-Aufmerksamkeitstests (bp/ d2)
4.2.2. Continuous Performance Task (CPT)
5. Diagnose
V Diskussion
1. Zielsetzung
2. EEG-Daten und Neurofeedbacksitzungen
3. EMG-Daten und EMG-Biofeedbacksitzungen
4. Beurteilungen
4.1. Elternbeurteilungen
4.1.1. Mannheimer Elternfragebogen (MEF)
4.1.2. Elternurteil im Fremdbeurteilungsbogen-hyperkinetische Störung (FBB-HKS)
4.2. Lehrerbeurteilung
5. Testdaten
5.1. Intelligenz
5.2. Aufmerksamkeit
6. Klinische Verbesserungen
7. Spezifische Wirkfaktoren
8. Überlegen zur Anwendung des EMG-Biofeedbacks als Placebobedingung
9. Anregungen für weitere Neurofeedbackuntersuchungen
VI Literatur
Abbildungsverzeichnis
II Theorie
Abb. 2.1 Konsensentscheidung Behandlung der ADHS (nach Kutcher et al., 2004, S.20)
Abb. 3.1 Die erste EEG-Registrierung von Hans Berger im Jahre
III Methode
Abb. 3.1 Untersuchungsdesign mit Zeitplanung
Abb. 8.1 Das Neurofeedback- bzw. EMG- Biofeedbackgerät (NeXus- 10)
Abb. 8.2 BioTrace+ ermöglicht einen Zweimonitormodus
Abb. 8.3 Die NX- EEG2-2B- Elektroden
Abb. 8.4 Die NX- REF- SNP- Elektroden
Abb. 8.5 Die NX- EXG2A- Elektroden
Abb. 8.6 Die NX- EXG2A- Elektroden
Abb. 8.7 Eine exemplarische Elektrodenplatzierung beim Neurofeedback
Abb. 8.8 Elektrodenpositionen auf der Schädeloberfläche nach dem internationalen 10 / 20-System (Jasper, 1958)
Abb. 8.9 Elektrodenplatzierung auf der Frontalismuskulatur für die EMG-Biofeedbackgruppe (nach Lippold, 1976; aus Zeier, 1997, pp. 90)
Abb. 8.10 Die Computerbildschirme für den Therapeuten und die Patienten in der Neurofeedbackgruppe
Abb. 8.11 Die Computerbildschirme für den Therapeuten und die Patienten in der EMG-Biofeedbackgruppe
Abb. 8.12 Die Belohnungsspiele
Abb. 8.13 Der Smiley-Schein
IV Ergebnisse
Abb. 2.1 Die Theta/Beta-Veränderungen im Laufe der Neurofeedback-Sitzungen (N= 18)
Abb. 2.2 Veränderungen in den EMG-Amplituden der EMG- Biofeedbackgruppe (N = 17)
Abb. 3.1 Überblick zu den Veränderungen der MEF-Symptome in Prä- und Post-Test bei Neurofeedback- (n =18) und EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17)
Abb. 3.2 MEF: Die Veränderungen der hyperkinetischen Symptomsumme in der Neurofeedback- (n = 18) und der EMG-Biofeedbackgruppe (n =17) vom Prä- zum Post-Test
Abb. 3.3 MEF: Die Veränderungen der Gesamtsymptomsumme in der Neurofeedback- (n = 18) und der EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17) vom Prä- zum Post-Test
Abb. 3.4 Elternurteil FBB-HKS: Veränderungen zwischen Prä- und Post-Test in der Neurofeedback- (n = 18) und der EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17)
Abb. 3.5 Elternurteil zum Schweregrad des Aufmerksamkeitsdefizites im FBB-HKS: Interaktion zwischen Messzeitpunkt und Gruppe (N = 35)
Abb. 3.6 Elternurteil zur Problemstärke des Aufmerksamkeitsdefizites im FBB-HKS: Interaktion zwischen Messzeitpunkt und Gruppe (N = 35)
Abb. 3.7 Lehrerurteil FBB-HKS: Veränderungen vom Prä- zum Post-Test in Neurofeedback- (n = 18) und EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17)
Abb. 3.8 Lehrerurteil zum Schweregrad der Impulsivität im FBB-HKS: Interaktion zwischen Messzeitpunkt und Gruppe (N = 35)
Abb. 4.1 Ergebnisse von CPM/SPM: Gruppenmittelwerte der Neurofeedback- (n =18), und EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17) in Prä- und Post-Test
Abb. 4.2 Paper-Pencil-Aufmerksamkeitstests: Gruppenmittelwerte in Prä- und Post-Test für die Neurofeedback- (n = 18) und die EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17)
Abb. 4.3 Arbeitstempo in den Paper-Pencil-Aufmerksamkeitstests: Interaktion zwischen Messzeitpunkt und Gruppe (N = 35)
Abb. 4.4 Fehler in den Paper-Pencil-Aufmerksamkeitstests : Interaktion zwischen Messzeitpunkt und Gruppe (N = 35)
Abb. 4.5 Gesamtkonzentrationsleistung in den Paper-Pencil-Aufmerksamkeitstests: Interaktion zwischen Messzeitpunkt und Gruppe (N = 35)
Abb. 4.6 CPT: Veränderungen von Prä- zu Post-Test für Neurofeedback- (n = 18) und EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17)
Abb. 4.7 Reaktionszeit-Gesamt im CPT: Interaktion zwischen Messzeitpunkt und Gruppe (N = 35)
Abb. 4.8 Reaktionszeit-Teil 2 im CPT: Interaktion zwischen Messzeitpunkt und Gruppe (N = 35)
Tabellenverzeichnis
II Theorie
Tab. 1.1 Kriterien der hyperkinetischen Störung nach ICD-10 und der Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung nach DSM-IV-TR
Tab. 3.1 Studien zum Neurofeedback bei ADHS-Kindern
III Methode
Tab. 6.1 Soziodemographische Beschreibung der Patienten und Angaben zur Diagnose und Medikation
Tab. 6.2 Beschreibung der Neurofeedback- und EMG-Biofeedbackgruppe
IV Ergebnisse
Tab. 2.1 Gruppenmittelwerte, Standardabweichungen und Ergebnisse der ANOVA mit Messwiederholung für die Theta/Beta-Quotienten der Baseline und die drei Trainingsbedingungen (Smiley, Affe und Kugel) in der Neurofeedbackgruppe (N= 18)
Tab. 2.2 Ergebnisse der paarweisen Vergleiche mit Bonferroni-Korrektur für die Neurofeedbackgruppe in der Baseline und den drei Trainingsbedingungen (Smiley, Affe und Kugel) (N= 18)
Tab. 2.3 Gruppenmittelwerte, Standardabweichungen und Ergebnisse der ANOVA mit Messwiederholung für die EMG-Amplituden der Baseline und die drei Trainingsbedingungen (Smiley, Affe und Kugel) in der EMG-Biofeedbackgruppe (N= 17)
Tab. 2.4 Ergebnisse der paarweisen Vergleiche mit Bonferroni-Korrektur für die EMG-Biofeedbackgruppe in der Baseline und den drei Trainingsbedingungen (Smiley, Affe und Kugel) (N= 17)
Tab. 3.1 Anzahl und prozentuale Häufigkeiten der aufgetretenen MEF-Symptome und die Ergebnisse der Chi-Quadrat-Tests in Neurofeedback- (n = 18) und EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17) in Prä- und Post- Test
Tab. 3.2 Hyperkinetische und Gesamtsymptomsumme im MEF: Gruppenmittelwerte, Standardabweichungen und Ergebnisse der Varianzanalysen mit Messwiederholung für die Neurofeedback- (n = 18) und EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17) in Prä- und Post-Test
Tab. 3.3 Hyperkinetische und Gesamtsymptomsumme im MEF: Die Ergebnisse des U-Tests nach Mann und Whitney für die Neurofeedback- (n = 18) und EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17)
Tab. 3.4 Hyperkinetische und Gesamtsymptomsumme im MEF: Die Ergebnisse des Wilcoxon-Tests zum Vergleich von Prä- und Post-Test für die Neurofeedback- (n = 18) und die EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17)
Tab. 3.5 Elterneinschätzung FBB-HKS: Ergebnisse der zweifaktoriellen Varianzanalyse mit Messwiederholung auf einem Faktor zum Vergleich von Neurofeedback- (n = 18) und EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17) im Hinblick auf die Veränderung der hyperkinetischen Symptomatik
Tab. 3.6 Elternurteil FBB-HKS: Gruppenmittelwerte, Standardabweichungen und Ergebnisse der t-Tests für abhängige Stichproben zum Vergleich von Prä- und Post-Test in Neurofeedback- (n = 18), und EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17)
Tab. 3.7 Lehrerurteil FBB-HKS: Ergebnisse der zweifaktoriellen Varianzanalyse mit Messwiederholung auf einem Faktor zum Vergleich von Neurofeedback- (n = 18) und EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17) im Hinblick auf die Veränderung der hyperkinetischen Symptomatik
Tab. 3.8 Lehrerurteile FBB-HKS: Ergebnisse der t-Tests für abhängige Stichproben zum Vergleich von Prä- und Post-Test in der Neurofeedback- (n = 18) sowie der EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17)
Tab. 4.1 CPM/SPM: Ergebnisse der zweifaktoriellen Varianzanalyse mit Messwiederholung auf einem Faktor zum Vergleich von Neurofeedback- (n = 18) und EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17)
Tab. 4.2 CPM/SPM: Ergebnisse der t-Tests für abhängige Stichproben zum Vergleich von Prä- und Post-Test in der Neurofeedback- (N = 18) sowie der EMG-Biofeedbackgruppe (N = 17)
Tab. 4.3 Paper-Pencil-Aufmerksamkeitstests (T-Werte): Ergebnisse der zweifaktoriellen Varianzanalysen mit Messwiederholung auf einem Faktor zum Vergleich von Neurofeedback- (n = 18) und EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17)
Tab. 4.4 Paper-Pencil-Aufmerksamkeitstests (T-Werte): Ergebnisse der t-Tests für abhängige Stichproben zum Vergleich von Prä- und Post-Test in der Neurofeedback- (n = 18) sowie der EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17)
Tab. 4.5 CPT: Ergebnisse der zweifaktoriellen Varianzanalysen mit Messwiederholung auf einem Faktor zum Vergleich von Neurofeedback- (n = 18) und EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17)
Tab. 4.6 CPT: Ergebnisse der t-Tests für abhängige Stichproben zum Vergleich von Prä- und Post-Test in der Neurofeedback- (n = 18) sowie der EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17)
Tab. 5.1 Häufigkeiten der ADHS/ADS-Diagnosen in der Neurofeedback- (n = 18) und der EMG-Biofeedbackgruppe (n = 17) vor und nach dem Training sowie Ergebnisse des Chi-Quadrat-Tests
V Diskussion
Tab. 1.1 Kritik an bisherigen Neurofeedbackstudien und entsprechende Maßnahmen in der vorliegenden Studie
Tab. 8.1 EMG-Biofeedbackstudien und deren Ergebnisse bei der ADHS-Behandlung (Auszug aus Lee, 1991)
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zusammenfassung
Seit vier Jahrzehnten werden verschiedene Neurofeedbackmethoden bei der Behandlung unterschiedlicher Störungen, unter anderem bei AD/HS-Kindern, eingesetzt. Die Grundlage der Anwendung von Neurofeedback bei dieser Störung besteht darin, dass die Kinder Auffälligkeiten in ihrem EEG zeigen. Dort treten im Vergleich zu unauffälligen Kindern vermehrt Theta-Gehirnwellen und weniger Beta-Gehirnwellen auf. Mittels Neurofeedback wird versucht, die Gehirnfunktionen zu korrigieren. Zahlreiche Einzelfallstudien bestätigen die Wirksamkeit dieser Therapiemethode bei der AD/HS-Behandlung. Bisher wurde jedoch keine Studie veröffentlicht, in der die Wirksamkeit von Neurofeedback mit einer Placebogruppe verglichen wurde. Ziel der vorliegenden Studie war es, die Wirksamkeit eines Theta/Beta-Neurofeedbacks (NF) bei der Behandlung von AD/HS-Kindern zu überprüfen und mit einem EMG-Biofeedback (BF) als Placebobedingung zu vergleichen.
Es wurden 35 ADHS-Kinder (6 -14 Jahre; 26 Jungen und 9 Mädchen) untersucht. Nach Standarddiagnostik und Vergabe der AD/HS-Diagnose durch einen unabhängigen Psychotherapeuten wurden die Kinder per Zufall zwei Gruppen (NF: n = 18 bzw. BF: n = 17) zugeteilt. Alle Kinder beider Gruppen erhielten ein 30 Sitzungen umfassendes Training mittels Theta/Beta-Neurofeedback bzw. EMG-Biofeedback. Unmittelbar vor und nach dem Training wurden Intelligenz- bzw. Aufmerksamkeitsleistungen untersucht und Einschätzungen des Verhaltens von Eltern und Lehrern erhoben. Im Anschluss an das Training erfolgte eine erneute diagnostische Einschätzung durch einen unabhängigen Psychotherapeuten.
Die EEG-Daten in der NF-Gruppe zeigen eine Reduktion der Theta/Beta-Quotienten im Laufe der NF-Sitzungen. Die EMG-Daten zeigen für die EMG-Biofeedback-Bedingung gleichfalls eine Reduktion der EMG-Amplitude. Die Ergebnisse der zweifaktoriellen Varianzanalysen mit Messwiederholung auf einem Faktor zeigen für die angewendeten diagnostischen Verfahren die erwarteten signifikanten Interaktionen zwischen Messzeitpunkt und Gruppe. Die Ergebnisse des t-Tests zeigen signifikante Verbesserungen in der Aufmerksamkeitsleistung, dem Intelligenzniveau und im Verhalten der Kinder aus der NF-Gruppe im Vergleich zu den Resultaten des Prä-Tests. Die EMG-Biofeedbackgruppe zeigt mit Ausnahme einer Erhöhung des Arbeitstempos in den Paper-Pencil-Aufmerksamkeitstests (die im CPT nicht repliziert werden konnte) keine signifikanten Verbesserungen relativ zum Prä-Test.
Nach dem Training erhielten 55,6 % (n = 10) der AD/HS-Kinder aus der Neurofeedbackgruppe und 23,5 % (n = 4) der Kinder aus der EMG-Biofeedbackgruppe keine AD/HS-Diagnose nach den Kriterien der ICD-10. Der Chi-Quadrat-Test zeigt jedoch lediglich einen tendenziell bedeutsamen Unterschied (p = .086). Insgesamt bestätigen die Ergebnisse die Wirksamkeit des Neurofeedbacks bei der Behandlung von ADHS-Kindern im Vergleich mit einer Placebogruppe. Weitere Studien in diesem Bereich sind notwendig, um die Wirksamkeit des Neurofeedbacktrainings im Vergleich zu einer Placebomethode bei der ADHS-Behandlung zu untersuchen.
Abstract
Neurofeedback (NF) has been introduced four decades ago as an alternative treatment for different disorders, one of these being Attention Deficit/Hyperactivity Disorder (AD/HD). As compared to a control group (non ADHD children), children diagnosed with ADHD show an increased frequency of Theta waves and a decreased frequency of Beta waves in their EEGs. A treatment consisting of NF-training attempts to correct these anomalies. There are numerous single case studies in this area but only a few controlled studies. Furthermore, there are no studies comparing the effect of NF in the treatment of ADHD with a placebo group. This study sets out to evaluate the effects of 30 (Theta/Beta) NF training sessions on ADHD symptoms and compare those with the effects of the placebo EMG-biofeedback (BF) training group. The subjects, consisting of 35 children both male (n = 26) and female (n = 9) between the ages of 6 and 14 diagnosed with ADHD by independent psychotherapists, were randomly assigned to either the treatment group (NF; n = 18) or the placebo group (BF; n = 17). In addition to the Theta/Beta quotient (in NF group) and EMG-Amplitude (in BF group) as seen during the sessions, pre and post measures of the subjects´ intelligence (Raven Test), paper-pencil attention test scores (bp/d2), Continuous Performance Task (CPT) as well as symptom ratings (MEF and FBB-HKS) from both teachers and parents were obtained. Finally, subjects were re-evaluated after treatment by independent psychotherapists. The results showed a significant decrease in the Theta/Beta quotient after the NF training and a significant decrease in the EMG-Amplitude after the BF-training. The results of an ANOVA with repeated measures showed significant differences between the treatment group (NF training) and the placebo (BF training) group in attention tests and symptom rating scores after treatment. Compared to the pre-test scores, subjects in the NF group showed significant improvements in attention scores, intelligence scores, and behaviour after the NF training sessions. The BF placebo group showed no significant improvements in any of the outcome variables except on the speed scale of the paper-pencil attention tests (this was incompatible with the results of CPT). Finally, 55.6% (n = 10) of the children in the NF training group were not diagnosed with ADHD (using ICD-10 criteria) at the time of the second evaluation. In the BF group, 23.5% (n = 4) were not diagnosed with ADHD by independent psychotherapists at the end of the BF training. The results indicate that NF training in comparing with a placebo method is an effective treatment method in the treatment of ADHD children. Further studies are necessary in comparing the effectiveness of NF training with more neutral placebo interventions in the treatment of children with ADHD.
I Einleitung
Die Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung zählt zu den häufigsten psychischen Auffälligkeiten im Kindesalter. In den meisten Fällen bleiben die ADHS-Symptome trotz medikamentöser Behandlung bis ins Jugend- und Erwachsenenalter bestehen. Kinder mit ADHS sind durch folgende Kernsymptome gekennzeichnet: Aufmerksamkeitsdefizite und/oder Hyperaktivität/Impulsivität. Diese Symptomatik führt häufig zu Beeinträchtigungen in vielen Lebensbereichen, wie z. B. den Schulleistungen und den sozialen Beziehungen zu Erwachsenen sowie zu Gleichaltrigen. Darüber hinaus weisen Kinder mit ADHS ein erhöhtes Risiko für antisoziale Verhaltensweisen sowie Alkohol- und Drogenmissbrauch im Jugend- und Erwachsenenalter auf.
Medikamentöse Behandlungen (insbesondere mit Stimulanzien) und verhaltenstherapeutische Methoden (Selbstinstruktionstraining, Kontingenzmanagement und Elterntraining) sind die bei ADHS am häufigsten angewendeten Behandlungsmethoden. Es gibt viele Probleme bei der medikamentösen Behandlung. Dazu zählen: 1. die Tatsache, dass ein Teil der Kinder keine Verhaltensänderung in Folge der Medikamente zeigt (Non-Responder), 2. der Fakt, dass einige Kinder die Medikamente schlecht vertragen und 3. Bedenken der Eltern und Kinder in Bezug auf eine Dauermedikation und Ablehnung dessen. Ferner treten viele unerwünschte Nebenwirkungen bei der Medikamenteneinnahme auf, positive Wirkungen zeigen sich nur, solange die Medikamente wirken (einige Stunden), danach kehren die ADHS-Symptome zurück. Außerdem wird häufig argumentiert, dass die Einnahme von Medikamenten nicht zu einem Lernprozess bei den Kindern führt. Darüber hinaus müssen die Medikamente für eine lange Zeit (manchmal lebenslang) eingenommen werden, was wiederum problematisch werden könnte, wenn weitere Medikamente benötigt werden. Verhaltenstherapeutische Methoden haben ebenfalls ihre Grenzen und sind nur bei etwa der Hälfte der Betroffenen erfolgreich. Die Wirksamkeit alternativer Behandlungsmöglichkeiten wie kognitiver Verhaltenstherapie, Diät, Yoga und Entspannungsmethoden bei der ADHS-Behandlung ist bisher nicht erwiesen.
Als weitere alternative Methode zur Behandlung hyperkinetischer Kinder kommt nach bisherigen Forschungsergebnissen auch das Neurofeedback in Frage. Allerdings wurden bisher insbesondere erfolgreiche Einzelfallstudien publiziert, während ausreichend placebokontrollierte Untersuchungen fehlen. Zudem weisen die bisher durchgeführten Studien in diesem Bereich zahlreiche methodische Probleme auf. Dazu gehören: 1. keine randomisierte Zuweisung der Probanden auf die Behandlungsgruppen, 2. geringe Probandenzahl, 3. die gleichzeitige Verwendung von Neurofeedback und weiteren Behandlungsmethoden, wodurch spezifische Auswirkungen des Neurofeedbacks nicht herausgearbeitet werden können, 4. das häufige Fehlen einer ausreichenden Diagnostik, insbesondere eines unabhängigen Beurteilers, 5. die Anwendung subjektiver Auswertungsinstrumente, 6. das Fehlen von Follow-Up-Untersuchungen sowie 7. der Mangel an Placebogruppen. Letzteres ist besonders bedeutsam, um allgemeine/unspezifische Wirkungen einer Behandlung von tatsächlichen Therapiewirkungen zu trennen.
Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es in erster Linie, die Wirksamkeit von Neurofeedbacktraining bei der Behandlung ADHS-Kindern mit den Auswirkungen eines EMG-Biofeedbacktrainings (als Placebobedingung) zu vergleichen, um die allgemeinen von den spezifischen Wirkungen einer Neurofeedbackbehandlung zu trennen. Darüber hinaus sollen die oben genannten methodischen Probleme im Rahmen dieser Untersuchung möglichst vermieden werden.
II Theorie
1. Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
1.1. Definition
Die Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist ein Syndrom, das motorische Überaktivität, Impulsivität, Ablenkbarkeit sowie beschränkte Aufmerksamkeitsleistungen umfasst (Barkley, 1978). Die Kernsymptomatik der ADHS beginnt bereits vor dem siebten Lebensjahr und tritt in mindestens drei verschiedenen Situationen, wie z. B. im Kindergarten, in der Schule, in der Familie und/oder der Untersuchungssituation auf (Döpfner, 2002).
Über die Kernsymptomatik hinaus zeigen Kinder mit ADHS häufig Schwierigkeiten in den zwischenmenschlichen Beziehungen sowie im schulischen und sozialen Bereich. (Bresnahan, Anderson & Barry, 1999). Sie haben Probleme im Hinblick auf ihr Durchhaltevermögen, bei der Energieregulation, beim Organisieren von Informationen und in der sozialen Interaktion mit Gleichaltrigen und Familienmitgliedern Außerdem zeigen die Kinder häufig zusätzliche oppositionelle Verhaltensweisen. Sie haben Schwierigkeiten, aus eigenen Erfahrungen zu lernen und für die Zukunft zu planen. Diese Verhaltensauffälligkeiten treten zusammen mit Störungen im Frontalkortex des Gehirns auf, besonders solchen der präfrontalen Regionen, Basalganglien und des limbischen Arousalsystems (Blood & Hurwitz, 2000).
Im weiteren Entwicklungsverlauf bis zum Jugend- und Erwachsenenalter reduziert sich in aller Regel das hypermotorische Verhalten der Kinder mit ADHS (Thompson & Thompson, 1998). Hyperaktivität tritt insbesondere bei jüngeren Kindern auf, sie verringert sich in der Regel bis zum Jugendalter, um am Ende der Jugendzeit ganz zu verschwinden. Bei 30 % bis 70 % der Kinder, die in der Kindheit eine ADHS-Diagnose bekamen, bleibt ein Teil ihrer Symptomatik auch in der Adoleszenz und im Erwachsenenalter bestehen (Bellak & Black, 1992). Klinische Beobachtungen an Erwachsenen mit ADHS zeigen ebenfalls, dass sich Hyperaktivität mit dem Alter reduziert, während dies für impulsives Verhalten nicht zutrifft (Bresnahan, Anderson & Barry, 1999).
Neben der Impulsivität bleiben auch die Schwierigkeiten bei der Aufmerksamkeitssteuerung im Verlauf meist stabil, z. T. verstärken sich die Aufmerksamkeitsprobleme im Jugendalter noch. Deshalb können sich die Schulleistungen bei einem ADHS-Jugendlichen relativ zu denen aus den ersten Schuljahren noch verschlechtern, obwohl er im Vergleich zu den Grundschuljahren deutlich weniger Hyperaktivität zeigt (Lubar, 2003). Aus Follow-Up-Studien wird berichtet, dass etwa zwei Prozent der Erwachsenen von einer ADHS-Symptomatik betroffen sind. Sollte dies zutreffen, müsste man für das Erwachsenenalter konstatieren, dass ADHS eine ziemlich weit verbreitete Störung ist, die in den psychologisch/psychiatrischen Kliniken unteridentifiziert wird (Biederman & Spencer, 2000b).
ADHS-Kinder zeigen neben schulischen Beeinträchtigungen und sozialen Dysfunktionen ein schwaches Selbstwertgefühl. Die Kinder haben ein höheres Risiko für das Tabak-Rauchen und für Drogenmissbrauch (z. B. Comings, 1994; Steinhausen, 1995). Johann und Mitarbeiter (2004) berichten, dass zwischen 30 % und 70 % der Patienten, bei denen eine Störung mit Substanzmissbrauch diagnostiziert wurde, zusätzlich die ADHS-Kriterien erfüllen. ADHS-Jugendliche und Erwachsene sind darüber hinaus gefährdet für schwache akademische Leistungen, berufliche Misserfolge, Probleme in den zwischenmenschlichen Beziehungen, kriminelles Verhalten und andere psychische Störungen, wie antisoziales Verhalten, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Depression und Angstsymptome (Biederman & Spencer, 2000b; Pelham & Gnagy,1999). Aus diesem Grund ist eine effektive Behandlung dieser Störung für das Kind und die Gesellschaft allgemein sehr bedeutsam.
1.2. ADHS-Diagnose
Die Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung des DSM-IV (Diagnostisches and Statistisches Manual psychischer Störungen, vierte Revision; American Psychiatric Association (APA), 1994) wurde im DSM-II (APA, 1968) als „Hyperaktivitätsreaktion“ bezeichnet, im DSM-III (APA, 1980) als „Aufmerksamkeitsdefizitstörung“. Nach den aktuellen diagnostischen Kriterien des DSM-IV-TR (APA, 2000) wird die Diagnose an Personen vergeben, die Aufmerksamkeitsstörungen und/oder deutliche Hyperaktivität und Impulsivität zeigen. Abhängig von der Intensität der Symptome werden in der DSM-Klassifikation verschiedene Subtypen unterschieden: der vorherrschend gemischte Subtypus (314.01; mit Aufmerksamkeitsdefiziten, Hyperaktivität und Impulsivität), der vorherrschend hyperaktiv-impulsive Subtypus (314.00) und der vorherrschend unaufmerksame Subtypus (314.01). Außerdem gibt es, wie bei den meisten anderen Störungsbildern eine nicht näher spezifizierte ADHS-Diagnose (314.9)
In der zehnten Revision der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10; WHO, 1993) werden die dort als „hyperkinetische Störungen“ bezeichneten Auffälligkeiten umfassender als im DSM-IV-TR definiert. Danach können folgende Diagnosen vergeben werden: „Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung“ (F90.0), „Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität“ (F98.8) oder (in Ausnahmefällen) die „Nicht näher bezeichnete hyperkinetische Störung“ (F90.9).
Sowohl DSM-IV-TR als auch ICD-10 verlangen, dass die kritischen Symptome in mindestens zwei Situationen (z. B. in der Schule und in der Familie) auftreten, dass die Symptome bereits vor dem siebten Lebensjahr beobachtet wurden und dass sie die sozialen, schulischen/akademischen und beruflichen Leistungen der Betroffenen stören. Außerdem wird gefordert, dass die Aufmerksamkeitsdefizite und/oder die Hyperaktivität und Impulsivität seit mindestens sechs Monaten bestehen
Die diagnostischen Kriterien in ICD-10 und DSM-IV-TR sind sehr ähnlich. Der wesentliche Unterschied zwischen DSM-IV-TR und ICD-10 besteht darin, dass im DSM-IV-TR der hyperaktiv-impulsive Subtypus definiert wird, welcher in der ICD-10 nicht enthalten ist. Darüber hinaus wird das Item „redet häufig zu viel“ im DSM unter den Kriterien für Hyperaktivität subsumiert, während es in der ICD-10 als Beleg für Impulsivität gewertet wird. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Klassifikationssysteme im Hinblick auf die Diagnose hyperkinetischer Störungen sind in Tab. 1.1 dargestellt.
ADS-Kinder (Kinder mit reinen Aufmerksamkeitsdefiziten) weisen insbesondere Selbstregulationsprobleme, Aufmerksamkeitsdefizite sowie Desorganisation bei alltäglichen Anforderungen auf und haben Probleme, eine Aufgabe zu Ende zu bringen. ADHS-Kinder zeigen neben diesen Problemen motorische Hyperaktivität und impulsives Verhalten (Lahey & Carlson, 1991).
Nach Barabasz und Barabasz, (2000) besteht bei traditioneller ADHS-Diagnostik („durch Symptomkriterien“) die Gefahr, zu viele Kinder als betroffen einzuschätzen, weil die beschriebenen Verhaltenssymptome auch Teil mehrerer anderer Störungen sein können. Dies ist jedoch wenig wahrscheinlich, da solche anderen Störungen im Rahmen einer sorgfältigen Differentialdiagnostik erkennbar sind.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
*= nur DSM-IV-TR; **= nur ICD-10; ***= in der ICD-10 unter „Impulsivität“ subsumiert
1.2.1. Alters-, Geschlechts-, und Komorbiditätsunterschiede bei der ADHS-Diagnose
Bei der ADHS-Diagnose sollten einige Faktoren wie Alter, Geschlecht und Komorbidität berücksichtigt werden.
Willcut und Mitarbeiter (1999) überprüften die externale Validität von ADHS-Dimensionen und Subtypen in DSM-IV. In dieser Studie wurden 105 Zwillinge im Alter zwischen acht und 18 Jahren untersucht. Komorbide Störungen wurden durch strukturierte diagnostische Interviews mit den Eltern und Kindern und eine Verhaltensbeurteilungsskala, die den Lehrern vorgelegt worden ist, festgestellt. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die Aufmerksamkeitsdefizitsymptome zusammen mit niedrigerem Intelligenzniveau und höherem Depressionsniveau auftreten, wogegen Hyperaktivitäts- und Impulsivitätssymptome häufiger zusammen mit Störungen des Sozialverhaltens und oppositionell aufsässigem Verhalten bestehen. Kinder aller ADHS-Subtypen zeigten im Vergleich zu den Kontrollgruppen höhere Raten von Störungen des Sozialverhaltens mit oppositionell aufsässigem Verhalten und Störungen des Sozialverhaltens. Beim gemischten Subtypus der ADHS treten relativ zu den beiden anderen ADHS-Subtypen mehr Symptome von Störungen des Sozialverhaltens auf. Gemischte und unaufmerksame Subtypen zeigten im Vergleich zur Kontrollgruppe und dem hyperaktiv/impulsiven Subtypus häufiger Depressionssymptome. Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen die diskriminante Validität der ADHS-Dimensionen sowie die Unterteilung in Subtypen des DSM-IV und zeigen, dass Kliniker im Rahmen einer ausführlichen ADHS-Diagnostik ein Screening zu möglichen komorbiden Störungen durchführen müssen.
In einer anderen Studie untersuchten Newcorn und Mitarbeiter (2001) die Ergebnisse aus Ratingskalen und Beobachtereinschätzungen zu ADHS-Symptomen. Folgende Fragen sollten dabei beantwortet werden: Zeigen ADHS-Kinder mit und ohne komorbide Störungen die gleichen Schweregrade bei den Hauptsymptomen? Treten bei unterschiedlichen Geschlechtern und Komorbiditäten verschiedene Symptomprofile auf? Um diese Fragen zu beantworten, wurden 499 Kinder im Alter von sieben bis neun Jahren untersucht. Die Probanden wurden aufgrund der Ergebnisse im „Parent Diagnostic Interview Schedule for Children“, „Parents and Teachers Swanson, Nolan und Pelham (SNAP) Ratings“ und im „Continuous Performance Test“ (CPT) in verschiedene Komorbiditätsgruppen unterteilt. Die Effekte von Komorbidität und Geschlecht wurden mittels einer Kovarianzanalyse untersucht. CPT-Aufmerksamkeitsdefizite und Impulsivitätsfehler waren in allen ADHS-Gruppen hoch. ADHS-Kinder mit Störungen des Sozialverhaltens und Störungen des Sozialverhaltens mit oppositionell aufsässigem Verhalten waren impulsiver als ADS-Kinder. ADHS-Kinder mit Angststörungen waren stärker unaufmerksam als impulsiv. Die Intensität der Störung war bei den Jungen in den meisten Auswertungen und einigen CPT-Indices höher als bei Mädchen. Mädchen mit ADHS und Angststörungen zeigten weniger CPT-Impulsivitätsfehler im Vergleich zu den Mädchen, bei denen ausschließlich ADHS vorlag.
Nolan und Kollegen (1999) überprüften bei den ADHS-Subtypen Geschlechts-, Alters- und Komorbiditätsunterschiede durch eine Screening-Checklist nach DSM-IV. Die Fragebogen wurden von Lehrern und Eltern einer klinischen Stichprobe von Kindern und Jugendlichen im Alter von drei bis 18 Jahren ausgefüllt. Die Befunde dieser Studie zeigten, dass nur bei einigen Probanden Hyperaktivität und Impulsivität ohne Aufmerksamkeitsdefizite auftreten. Hyperaktives und impulsives Verhalten trat häufiger bei jüngeren Kindern (drei bis fünf Jahre) auf, Aufmerksamkeitsdefizite traten bei Jugendlichen häufiger auf. Obwohl die Verteilung auf die verschiedenen ADHS-Subtypen bei beiden Geschlechtern gleich war, waren die Jungen bei allen ADHS-Subtypen überrepräsentiert. Störungen des Sozialverhaltens und oppositionelles Verhalten plus Angst traten häufiger bei den Probanden auf, die sowohl Hyperaktivität und Impulsivität als auch Aufmerksamkeitsdefizite zeigten als bei Kindern, die nur Aufmerksamkeitsprobleme hatten.
1.2.2. Psychophysiologische vs. psychometrische Aus- wertungen bei der ADHS-Diagnose
Bei der ADHS-Diagnose ist eine entscheidende Frage, mit welchen Auswertungsinstrumenten genauere Diagnosen erreicht werden können. Es gibt bei ADHS-Kindern einerseits Störungen im Verhalten, die in verschiedenen Situationen auftreten. Diese können durch psychometrische Instrumente analysiert werden. Andererseits gibt es aber auch Störungen in physiologischen Funktionen, wie z. B. den Gehirnfunktionen (dies wird im Abschnitt Ätiologie genauer ausgeführt), die durch psychophysiologische Instrumente erfasst werden können. Die Frage besteht darin, mit welchen Auswertungsinstrumenten sich ADHS am sichersten diagnostizieren lässt.
Cox und Mitarbeiter (1998) überprüften in einer Studie, ob eine neue psychometrische Methode und eine neue elektroenzephalographische Methode ADHS-Kinder deutlich von unauffälligen Kindern unterscheiden können. Die psychometrische Methode basierte auf dem DSM-IV, die EEG- Methode war auf der Hypothese begründet, dass ADHS die kognitive Übertragung von einer Aufgabe zur anderen verhindert und stört. Die Eltern von vier ADHS-Jungen und vier unauffälligen Kindern im Alter von acht bis zwölf Jahren füllten die ADHS-Symptomfragebogen aus. Die Fragebogen umfassten: 1. zehn Items der Subskala Hyperaktivität und vier Items der Impulsivitäts-Hyperaktivitätsskala der „Conners’ Parent Rating Scale“ (Goyette, Conners & Ulrich, 1978); 2. elf Items der „Attention-Problems-Subscale“ von „Achenbach’s Child Behaviour Checklist“ (Achenbach & Edlebrook, 1983); 3. „The ADHD Symptom Inventory (ADHD-SI)“, welches eine aus dem DSM-IV abgeleitete 18-Item-Skala darstellt. Das EEG wurde von den Positionen Cz, Pz, P3 und P4 registriert (Groundelektrode vor Cz und Referenzelektrode auf dem rechten Ohrläppchen). Das EEG der Probanden wurde beim Anschauen eines selbst ausgewählten Disney-Videos (30 Minuten) und beim Lesen eines selbstgewählten Buches (ebenfalls 30 Minuten) registriert. Die ADHS-Kinder wurden drei Monate später erneut mit den gleichen Verfahren untersucht (Retest). Die Ergebnisse zeigten, dass sowohl psychometrische Untersuchungen wie auch EEG-Aufzeichnungen ADHS-Kinder sehr gut von unauffälligen Kindern unterscheiden können und dass deren Ergebnisse signifikant miteinander korrelieren. Die geringe Anzahl der Probanden in dieser Studie beeinträchtigt jedoch die Generalisierbarkeit der Ergebnisse. Deshalb müsste eine solche Untersuchung mit einer größeren Probandenzahl unterschiedlichen Geschlechts und aus verschiedenen Altersgruppen wiederholt werden, wobei auch 19 Elektroden-EEGs zu Einsatz kommen sollten.
1.2.3. Differentialdiagnose
Die ADHS-Differentialdiagnose zur Abgrenzung von anderen Störungen ist häufig schwierig und erfordert viel Erfahrung der klinischen Experten. Zur Planung eines umfassenden Therapieprogramms ist die Identifikation gegebenenfalls vorliegender weiterer Störungen bedeutsam. Diese Aufgabe hat eine besondere Bedeutung, wenn verschiedene Therapiemethoden wie Neurofeedback, medikamentöse Behandlungen, Familien- und/oder individuelle Psychotherapiearten und verhaltenstherapeutische Methoden angewendet werden (Lubar, 2003).
Hinsichtlich ihrer Aussagen zur ADHS-Differentialdiagnose ähneln sich ICD-10 und DSM-IV-TR sehr. Die ADHS-Symptome sollen nicht aufgrund einer „tiefgreifenden Entwicklungsstörung“ (nach beiden Klassifikationssystemen), einer „Schizophrenie“ oder anderen psychotischen Störungen (DSM-IV-TR), einer „manischen Episode“, einer „depressiven Episode“ oder einer „Angststörung“ (ICD-10) auftreten. Außerdem dürfen „Affektive Störungen“, Angststörungen, dissoziative Störungen“ und „Persönlichkeitsstörungen“ keine geeigneteren Beschreibungen der aktuellen Symptomatik des Patienten bieten als die ADHS-Diagnose (nach DSM-IV-TR).
Insgesamt muss ADHS bei der Differentialdiagnose von folgenden Phänomenen und Störungen unterschieden werden: altersgemäßen Verhaltensweisen bei aktiven Kindern, hyperaktiven Symptomen bei Intelligenzminderungen, hyperaktiven Symptomen bei schulischer Überforderung, hyperaktiven Symptomen bei schulischer Unterforderung, hyperkinetischen Symptomen als Folge chaotischer psychosozialer Bedingungen, oppositionellen Verhaltensweisen, psychomotorischem Arousal und Konzentrationsstörungen bei affektiven Störungen und Angststörungen, Autismus, Schizophrenie und Manie (Döpfner, 2002).
1.3. Prävalenz
ADHS zählt zusammen mit aggressiven Verhaltensstörungen zu den häufigsten Verhaltensauffälligkeiten in der Kindheit (Döpfner, 2002; Scahill & Schwab-Stone, 2000).
Lee (1991) berichtete in einem Übersichtsartikel, dass die Inzidenzraten von ADHS im Schulalter über die verschiedenen Untersuchungen hinweg zwischen einem und 18 % variieren (vgl. auch Scahill & Schwab-Stone, 2000). So geben Boyle, Offort und Szatmari (1989) Prävalenzraten für ADHS im Schulalter von einem und 14 % an, andere Autoren gehen von Raten zwischen drei und fünf Prozent aus (APA, 1994; The MTA Cooperative Group, 1999; Pelham & Gnagy, 1999), Bird (2002) und Monastra (2005) berichten sogar über Raten von mehr als 20 %. Die Ursachen für die großen Unterschiede in den Schätzungen zur Prävalenz von ADHS liegen darin begründet, dass die Einschätzung der Kinder über unterschiedliche Datenquellen erfolgte, die Samplingmethoden sehr verschieden sind, die Datenerhebungsmethoden divergieren und verschiedene diagnostische Kriterien verwendet wurden. Die derzeit beste Schätzung der Prävalenz von ADHS liegt zwischen fünf und zehn Prozent (Scahill & Schwab-Stone, 2000).
Die niedrigsten Prävalenzraten wurden mit der Anwendung der diagnostischen Kriterien der ICD-10 für das hyperkinetische Syndrom und die höchsten Prävalenzraten mit der DSM-IV Klassifikation für ADHS erzielt. Die Studien, welche DSM-III und DSM-III-R verwendeten, ergaben Prävalenzraten, die zwischen denen nach ICD-10 und DSM-IV liegen (Bird, 2002). Im DSM-IV wird die Prävalenzrate von ADHS im Schulalter mit drei bis fünf Prozent beziffert. Da die Kriterien der ICD-10 strenger sind als die des DSM-IV, werden hierüber weniger auffällige Kinder gefunden (Döpfner, 2002). Je nach Klassifikationssystem sind in Deutschland derzeit zwischen 2.4 % (hyperkinetische Störung nach ICD-10) und sechs Prozent (ADHS nach DSM-IV der Kinder betroffen, wobei nach DSM-IV 1.8 % dem überwiegend unaufmerksamer Typus, 2.4 % dem überwiegend hyperaktiv- impulsiven Typus und 1.8 % dem Mischtypus zugeordnet werden (Brühl, Döpfner & Lehmkuhl, 2000).
Esser und Mitarbeiter (1990) schätzten die Prävalenzrate in einer deutschen Stichprobe von Kindern im Alter von acht Jahren, auf 8.3 % bei Jungen und fünf Jahre später, im Alter von 13 Jahren, auf drei Prozent (Döpfner, 2002). In einer neuen Studie (Kuschel et al., 2006) wurde die ADHS- Prävalenzrate in einer deutschen Stichprobe von Kindern im Vorschulalter (drei bis fünf Jahre) zwischen 2.7 % und 9.9 % angesiedelt.
Es ist nicht ganz klar, aus welchem Grund die Prävalenzrate von ADHS mit der Rasse/Ethnizität, dem Geschlecht, dem Alter und dem sozioökonomischen Status variiert. Ein Grund dafür könnte in Unterschieden zwischen den diagnostischen Verfahren liegen. Eine ADHS-Diagnose ist stark von Berichten der Eltern und Lehrer abhängig, es gibt kein spezielles Testverfahren zur Diagnostik der Störung. Die ADHS-Prävalenz hängt davon ab, wer wonach fragt und wie die vorhandenen Informationen in Zusammenhang gebracht werden. Zusätzlich ist die ADHS-Diagnose aufgrund komorbider Störungen (wie Lernstörungen, Störungen des Sozialverhaltens, und Angststörungen) sehr schwierig und komplex (Rowland, Lesesne & Abramowitz, 2002).
Bird (2002) untersuchte epidemiologische Studien, die in verschiedenen Kulturen mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt worden sind. Er unterschied zwischen zwei verschiedenen Studienarten: Studien, die nach kategorialen nosologischen Kriterien (hauptsächlich DSM und ICD) durchgeführt wurden und Studien, die kontinuierliche Messungen der Symptome (hauptsächlich Verhaltensbeurteilungsskalen nach DSM und ICD) verwendeten. Diese Untersuchungen wurden in unterschiedlichen Kulturen und Ländern wie den Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada, Groß Britannien, einigen westeuropäischen Ländern, China, Indien, Brasilien, Japan, Puerto Rico und Neu Seeland durchgeführt. Die Studien weisen bemerkenswerte Ähnlichkeiten auf und stellten ähnliche Verhaltensmuster für ADHS dar. Kulturabhängig gab es deutliche Abweichungen in der Einschätzung der ADHS-Prävalenzrate (zwischen 1 % und 20 %). Möglicherweise gehen die unterschiedlichen Prävalenzraten in den verschiedenen Kulturkreisen nicht auf echte Unterschiede in den Manifestationen der Störung zurück, sondern insbesondere auf verschiedene diagnostische Systeme für die Klassifikation, die Bestimmungsmethoden und methodologische Artefakte. Darüber hinaus gibt es möglicherweise kulturabhängige Unterschiede in der Toleranz gegenüber hyperkinetischen Symptomen und damit unterschiedliche Schwellenwerte dafür, was als auffällig angesehen wird.
1.3.1. ADHS: Geschlechtsunterschiede
In fast allen Studien, die die Jungen-Mädchen-Relation überprüft haben, wurde eine drei bis neun Mal höhere Prävalenz für die Jungen im Vergleich zu den Mädchen gefunden. Sowohl ADS (reine Aufmerksamkeitsstörung) als auch ADHS (Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität/Impulsivität) wird bei Jungen häufiger als bei Mädchen diagnostiziert. Im Erwachsenenalter scheint dagegen eine annähernd ausgeglichene Geschlechtsverteilung vorzuliegen (APA, 1994; Lubar 2003; Mayer, 2002; Trott et al., 2002).
Die Häufigkeit von Hyperaktivität, Impulsivität und oppositionellem Verhalten ist bei Jungen höher als bei Mädchen. Bei reinen Aufmerksamkeitsproblemen, reduziert sich diese Relation. Ein Mädchen, das ruhig im Klassenzimmer sitzt und unaufmerksam ist, läuft Gefahr, als desinteressiert, unintelligent oder unauffällig bezeichnet zu werden. Ein reines ADS ist weniger auffällig und störend als ein von motorischer Unruhe begleitetes ADHS. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Probleme des Mädchens erkannt werden und das Kind eine Therapie erhält, ist deutlich geringer als die Chance eines hyperaktiven Jungen. In dieser Hinsicht müssen Geschlechtsunterschiede kritisch hinterfragt werden. Müdigkeit, Schläfrigkeit und Gleichgültigkeit des Kindes sollten genauso Beachtung finden, wie Hyperaktivität des Kindes (Hill & Castro, 2002). Außerdem scheint es, dass die Interaktion zwischen Müttern und Mädchen harmonischer ist als die Interaktion zwischen Müttern und Jungen (Dinter-Jorg et al., 1997). Dies kann Auswirkungen auf die Elternurteile haben.
1.3.2. ADHS-Prävalenz und Lehrer-Einschätzungen
Meist sind die Lehrer die erste Informationsquelle für eine ADHS-Diagnose bei Schulkindern.
Lehrer empfehlen am häufigsten eine medikamentöse Therapie als erste Behandlungsmöglichkeit für diese Kinder (Glass & Wegar, 2000). In einer Studie überprüften Havey, Olson und Cates (2005) die Wahrnehmungen von Lehrern zu den Ursachen, der Häufigkeit und angemessenen Behandlungen für ADHS-Kinder. Außerdem untersuchten sie die Inzidenz von ADHS mit der „ADHD Rating Scale IV; School Version“ (Dupaul et al., 1998). Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die Häufigkeit von ADHS nach Einschätzungen der Lehrer deutlich über den im DSM-IV angegebenen Raten liegt. Von 121 Kindern erhielten entsprechend den Beurteilungen durch die Lehrer 23.97 % die Diagnose eines der drei Subtypen der ADHS. Jungen waren im Vergleich zu den Mädchen und weiße relativ zu lateinamerikanischen Kindern häufiger betroffen. Auch die Anzahl der Schüler pro Klasse hatte Einfluss auf die Häufigkeit der Diagnose durch den Lehrer Die Forscher schlussfolgern, dass neben biologischen Faktoren auch Umweltfaktoren (wie die Kultur, in der das Kind aufwächst und die Klassengröße), die Wahrnehmung der Lehrer zu ADHS bei ihren Schülern und damit natürlich die ADHS-Diagnose beeinflussen können.
1.4. Komorbidität
Bei den meisten ADHS-Kindern, die in Kliniken überwiesen wurden, wird mindestens eine komorbide Störung diagnostiziert (Loo, 2003). Sowohl externalisierende als auch internalisierende Störungen können gemeinsam mit ADHS auftreten (August et al., 1996). Die häufigsten komorbiden Störungen bei ADHS sind folgende: Lernstörungen, Störungen des Sozialverhaltens, Drogenmissbrauch, Angststörungen, Depression und Tourette-Syndrom (Biederman et al., 1991; Cantwell, 1996; Loo, 2003; Lubar, 2003).
Bis zu zwei Drittel der ADHS-Kinder zeigen komorbide Störungen (Döpfner, 2002), wobei nicht selten mehrere komorbide Störungen zusammen auftreten (Biederman et al., 1996, Loo, 2003). Etwa 50 % der ADHS-Kinder weisen eine oppositionelle Störung des Sozialverhaltens auf, 30 % bis 50 % zeigen eine Störung des Sozialverhaltens ohne oppositionelle Verhaltensstörung, 20 % bis 25 % haben begleitende Angststörungen, zehn bis 25 % zeigen Lernstörungen (Döpfner, 2002) und 15 % bis 75 % weisen zusätzliche affektive Störungen auf (Monastra, 2005). Weiterhin treten Ticstörungen sowie Sprech- und Sprachstörungen gehäuft bei ADHS-Kindern auf. Viele Studien zeigen, dass eine Komorbidität zu aggressiven Verhaltensstörungen häufiger bei Jungen als bei Mädchen auftritt (Döpfner, 2002).
Insgesamt werden Kinder und Jugendliche mit ADHS häufiger als Gleichaltrige beim Gesundheitsamt oder anderen medizinischen Einrichtungen vorgestellt. Sie zeigen relativ zu Gleichaltrigen auch häufiger gesundheitsschädliches Verhalten, wie z. B. Rauchen und Alkoholmissbrauch (Rowland, Lesesne & Abramowitz, 2002).
1.5. Ätiologie
Die ADHS-Ätiologie ist bis heute nicht vollständig geklärt. Neueste Studien berichten, dass sowohl genetische als auch umweltbedingte Faktoren, wie z. B. eine vorzeitige Geburt und Rauchen der Mütter während der Schwangerschaft eine bedeutsame Rolle spielen (Rowland, Lesesne & Abramowitz, 2002). Nach Schnoll, Burshteyn und Cea-Aravena (2003) sind sich die meisten Forscher darüber einig, dass der ADHS eine komplexe Ätiologie zugrunde liegt und dass multiplen Ursachen in Erwägung gezogen werden müssen. Die Frage ist, ob ADHS eine erlernte Verhaltensstörung oder eine Störung des Gehirns ist. Verschiedene Untersuchungen haben unterschiedliche Instrumente für die Auswertung der Verhaltens- und Gehirnstörungen bei ADHS entwickelt (Cox et al., 1998).
Die meisten wissenschaftlichen Befunde bestätigen die Annahme, dass ADHS als eine genetisch mitbedingte Störung zu betrachten ist, deren Hauptwurzeln in der veränderten Neuroanatomie, Neurochemie und Neurophysiologie des Gehirns liegen (Monastra, 2005). Die Ursachen dieser Veränderungen (Hirnschädigungen oder genetische Faktoren) sind jedoch nicht geklärt (Döpfner, 2002).
Im Folgenden werden einige Theorien zur Entstehung hyperkinetischer Störungen zusammengefasst.
1.5.1. „Schlechtes-Kind“-Theorie
Eine der ältesten Theorien zu ADHS-Kindern ist die „Schlechtes-Kind“- Theorie, die Still im Jahre 1902 vorstellte. Er beschrieb die Symptome von ADHS und erklärte, dass diese Kinder Probleme mit der moralischen Kontrolle haben und anormal sind (Lubar, 2003). Nach Hill und Castro (2002) glauben auch heute noch viele Leute, dass einige Kinder mit Mängeln in der moralischen Kontrolle geboren werden. Diese Mängel wurden auf genetische Abweichungen zurückgeführt. Da der genetische Code nicht änderbar ist, wurden Trainings empfohlen, die eine Verhaltensänderung des Kindes herbeiführen sollen.
1.5.2. Disharmonische Familie
Disharmonien in der Familie sowie Eheprobleme können Stress bei den Kindern auslösen und dadurch ADHS verursachen (Miller, 1978). Dies ist eine sehr allgemeine Aussage, die prinzipiell für jede psychische Störungen gelten könnte. ADHS ist eine Störung mit multimodalen Ursachen. Es ist anzunehmen, dass Disharmonie und Stress in der Familie die Symptomatik des Kindes verschlechtern. Eine Interaktion zwischen ADHS und Stress in der Familie sollte hier ebenfalls berücksichtigt werden, da eine ADHS ihrerseits ebenfalls häufig Probleme im Familiensystem verursacht und die Leistungsfähigkeit anderer Familienmitglieder beeinträchtigt (Lubar, 2003).
Es wurde berichtet (Hill & Castro, 2002), dass in Familien, in denen die elterliche Disharmonie durch die psychische Störung eines Elternteils besonders verschärft wird, das Auftreten von ADHS beim Kind wahrscheinlicher wird. In einer Familienstudie zeigten Bao-Yu und Lin-Yan (2004), dass die Verhaltensstörungen bei ADHS-Kindern im Zusammenhang mit familiären Umweltfaktoren stehen (vgl. auch Pressman et al., 2006). Diese Ergebnisse können so interpretiert werden, dass ADHS nicht nur aufgrund von Disharmonie und Stress in der Familie auftritt, sondern zusätzlich genetische Anlage eine Rolle spielen (vgl. Sprich et al., 2000). Ein Kind mit der Anlage zu ADHS oder auch anderen Störungen entwickelt sich dann in einer solchen Familie schlechter.
Kinder brauchen eine stabile und vorhersehbare Umgebung und Familie. Meistens sind solche Eltern sehr mit sich und ihren eigenen Interessen beschäftigt, so dass sie keine Zeit haben sich um ihr Kind und seine Bedürfnisse zu kümmern. Als eine Reaktion auf dieses Chaos wird das Gehirn des Kindes in solchen Familie untererregt. Auf diese Weise können sich die Kinder von den Dingen, die in der Familie passieren, ablenken. Dieser Prozess kann langsame Gehirnwellen in ihren EEG-Aktivitäten erhöhen (Hill & Castro, 2002).
Möglicherweise können solche Situationen in der Familie Ablenkungsprozesse und langsame Gehirnwellen verstärken. Dabei dürfen aber die Rolle des genetischen Anteils und neurologische Ursachen bei der Ausprägung dieser Gehirnstörungen nicht vergessen werden. Außerdem können solche Situationen nicht nur zur Hypoarousal- sondern auch zu einem Zustand des Hyperarousal führen.
1.5.3. Elterliche Schwäche
Eine weitere Theorie zu den Ursachen von ADHS geht von elterlicher Schwäche aus. Hill und Castro (2002) berichten, dass psychologische Befunde dafür sprechen, dass die Eltern hauptsächlich für die Ausprägung der Probleme bei ihrem Kind verantwortlich sind. Allerdings lässt sich dies nicht lückenlos beweisen, da einige Eltern von ADHS-Kindern sogar sehr gute Eltern sind. ADHS-Kinder mit guten Eltern haben höhere Chancen auf einen guten Schulabschluss, das Erreichen des Abiturs und auf das Führen eines normalen Lebens. Diese Eltern sind in der Lage, ihrem Kind beizubringen, wie es seine Probleme beseitigen kann. Umgekehrt werden die schwachen nachlässigen Eltern ihrem Kind eine grenzlose Welt bieten. Im Allgemeinen wird die elterliche Schwäche dafür sorgen, dass das Kind unkontrollierbar, undiszipliniert, respektlos, unachtsam, nachlässig und neurotisch wird. Schwache Eltern können ADHS-Symptome verstärken, aber es ist unwahrscheinlich, dass dieses Problem eine Hauptursache von ADHS darstellt.
Elterliche Schwäche ist als Ursache zu allgemein und betrifft viele Störungen. Zudem haben auch unauffällige Kinder mit sorgfältigen und engagierten Eltern bessere Entwicklungschancen. Obwohl dieser Faktor eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Kindes spielt, ist es notwendig seine spezifische Rolle bei der ADHS zu klären. Außerdem sind genaue Kriterien zu klären, nach denen “gute“ von „schlechten“ Eltern unterschieden werden können.
Allgemein wird davon ausgegangen dass biologische Faktoren eine hyperkinetische Störung verursachen, während psychosoziale Faktoren insbesondere einen Einfluss auf den Schweregrad der Auffälligkeiten haben. Die Eltern-Kind-Interaktionen spielen dabei eine wichtige Rolle (Döpfner, 2002). Psychosoziale Risikofaktoren und das Geschlecht des Kindes beeinflussen den Interaktionsprozess zwischen Mutter und Kind bedeutsam. Mütter und Kinder, die hohen psychosozialen Risikofaktoren ausgesetzt sind, zeigen andere Interaktionsmuster als jene, die mit niedrigeren psychosozialen Risiken konfrontiert sind (Dinter-Jorg et al., 1997).
Die Rolle der Mütter ist in ADHS-Familien ausgesprochen bedeutsam. Von den Müttern wahrgenommener negativer Stress ist ein Mediator zwischen Verhaltensproblemen des Kindes und Familienkonflikten (Kendall et al., 2005). In einer Langzeitstudie fanden Esser, Schmidt und Woerner (1990) in Übereinstimmung damit, dass eine Verbesserung in der psychosozialen Umwelt der Familie zu einer Verbesserung der psychiatrischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen führen kann.
1.5.4. Umwelt- und allergische Faktoren
Feingold vertrat Mitte der 70er Jahre erstmals die Hypothese, dass Allergien und Reaktionen auf Gifte ADHS verursachen könnten. Viele Forschungsarbeiten betrachten allergische Reaktionen auf Milcheiweiß, Pollen, Staub, Lösungsmittel, Farb- und Aromastoffe als Faktoren, die bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von ADHS-Symptomen eine Rolle spielen könnten (Döpfner, 2002). Die bisher vorliegenden Befunde lassen sich nicht eindeutig in Bezug auf die Frage interpretieren, ob ADHS durch Umwelteinwirkungen, wie z. B. Giftstoffe, Kunstsubstanzen und/oder Umweltverschmutzungen verursacht wird. Nach derzeitigem Kenntnisstand wird ADHS nicht von einem einzelnen Faktor wie Umweltgiften oder Nahrungsmittelzusätzen verursacht, da bisher keine direkte Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen diesen Faktoren und ADHS gefunden wurde (Hill & Castro, 2002).
1.5.5. Genetische Faktoren
Befunde aus familiengenetischen Untersuchungen, Zwillings- und Adoptionsstudien legen genetische Ursachen bei einigen Subtypen dieser Störung nahe. Bestimmte psychische Störungen, wie z. B. Alkoholismus, Depression, Angststörungen und antisoziale Probleme treten gehäuft bei anderen Familienmitgliedern auf (vgl. Biederman et al., 1987). Einige Familienstudien (z. B. Sprich et al., 2000) unterstützen die Annahme einer genetischen Bedingtheit der ADHS. Bei ADHS-Kindern werden häufiger antisoziale Störung bei den Vätern und histrionische Persönlichkeitsstörungen bei den Müttern gefunden als bei unauffälligen Kontrollen. Alkoholismus tritt ebenfalls bei den Eltern der ADHS-Kinder häufiger auf (Morrison & Stewart, 1971). Die Chance liegt bei etwa 30 %, dass ein ADHS-Kind ein Geschwisterkind hat, welches gleichfalls von der Störung betroffen ist. Dies klärt jedoch nicht die Frage, ob hyperkinetisches Verhalten vererbt wird oder ob das problematische Verhalten aufgrund gestörter Familien-Interaktionen gelernt wurde (Hill & Castro, 2002).
In einer Studie überprüfte Walker (2000) die Prävalenz der ADHS-Symptome bei den biologischen Eltern von ADHS-Kindern. Er verwendete die diagnostischen Kriterien des DSM-IV und des „Attention Deficit Questionnaire-Revised“. Die Ergebnisse zeigen, dass es einen starken genetischen Anteil in der Übertragung von ADHS gibt. In 21 % der Fälle erhielten beide Eltern von ADHS-Kindern eine ADHS-Diagnose, in 61 % der Fälle wies mindestens ein biologischer Elternteil diese Diagnose auf.
Wissenschaftliche Studien zu den für ADHS verantwortlichen Genen konzentrieren sich insbesondere auf dopaminerge Allele. Dies ist darauf zurückzuführen, dass molekularbiologische Forschungen zeigten, dass die klinischen Wirkungen von Stimulanzien durch die Besetzung der Dopamin-Wiederaufnahmetransporter entstehen. Auf diese Weise erhöhen die Medikamente den Dopmaninspiegel im synaptischen Bereich (Monastra, 2005). Frontale Regionen des Gehirns, Basalganglien, und Dopamin-Stoffwechsel spielen eine wichtige Rolle (Döpfner, 2002).
1.5.6. Hirnschädigung
ADHS wird als eine organische Störung, besonders in Verbindung mit den Funktionen des zentralen Nervensystems (ZNS) betrachtet (Ballard et al., 1997). In den 50er und 60er Jahren wurde als Ursache für ADHS eine minimale Hirnschädigung angenommen. Damals glaubten viele Wissenschaftler, dass das zentrale Nervensystem bei ADHS-Betroffenen in struktureller Hinsicht gestört ist (Lubar, 2003).
Funktionelle Hirnschädigungen bei ADHS können durch Elektroenzephalographie gemessen werden. Verschiedene Faktoren kommen als Verursacher dieser Hirnschädigungen in Betracht. Beispielsweise könnten Kopfschläge, Stürze, Unfälle, Giftstoffbelastungen, Nährstoffmängel, hypoxische/anoxische Traumata, genetische Probleme oder Schwangerschafts- bzw. Geburtskomplikationen dafür verantwortlich sein. ADHS kommt allerdings nicht nur aufgrund einer funktionellen oder strukturellen Hirnschädigung zustande (Hill & Castro, 2002).
1.5.7. Hirnkreislauf und Hirnmetabolismus
Die Hirnkreislaufstudien bei ADHS-Kindern zeigen reduzierte metabolische Aktivitäten in frontalen Regionen (Lou, Henriksen & Bruhn, 1984) und auf der rechten Seite des frontalen striatalen Systems (Heilman, Voeller & Nadeu, 1991). In PET- (Positronen-Emissions-Tomographie) Studien wurde gezeigt, dass es in einigen Fällen zu einem abnormen Neurometabolismus kommt (Lubar, 2003). Man findet bei ADHS-Betroffenen ein reduziertes Arousal und einen verringerten Metabolismus von Glukose in den frontalen Regionen und auch in einigen subkortikalen Bereichen (Zametkin et al., 1990).
Neuere Ätiologie-Theorien bringen ADHS in Zusammenhang mit Störungen in kortikalen bzw. subkortikalen Netzen, dopaminergen und noradrenergen Systemen, die für präzise Regelungen der Verhaltensreaktionen verantwortlich sind (Fuchs et al., 2003).
Monastra (2005) berichtet, dass MRI- (Magnetresonanztomographie) und fMRI- (funktionelle Magnetresonanztomographie) Studien signifikante Unterschiede zwischen ADHS-Betroffenen und unauffälligen Kontrollgruppen in der Größe und Symmetrie von Hirnregionen zeigen, die bei der Aufmerksamkeitssteuerung (vorderer „Cingulate Gyrus“, rechts-frontale Region, vordere und hintere Regionen des Corpus Callosum und Caudate) und der Verhaltensenthemmung (Basalganglien und Zerebellum) eine wichtige Rolle spielen. Die Ergebnisse von SPECT- (Single-Photon Emission Computerized Tomography) und PET-Studien bestätigen ebenfalls die Bedeutsamkeit der rechten frontalen Basalganglien sowie des Zerebellums bei ADHS. Außerdem berichten die Autoren von SPECT-Studien über einen reduzierten Hirnkreislauf im rechten lateralen präfrontalen Kortex, im rechts-mittleren temporalen Kortex und beidseitig im Orbital- und Zerebellar-Kortex bei ADHS- Betroffenen.
1.5.8. Elektroenzephalogramm (EEG)
Nach Lubar (2003) wurden seit 1930 Störungen im EEG bei ADHS-Betroffenen berichtet. Grundsätzlich zeigen EEG-Studien bei ADHS-Patienten, eine hohe Aktivität der langsamen Theta-Gehirnwellen in den zentralen und frontalen Regionen des Gehirns. Außerdem bestätigen neuere PET- und SPECT-Studien bei ADHS-Betroffenen Störungen im Gehirnmetabolismus in den zentralen- und frontalen Regionen. Die Kinder zeigen in den präfrontalen Regionen einen reduzierten Gehirnmetabolismus. Diese Auffälligkeiten treten bei der Mehrzahl der Patienten mit ADHS auf. Aus diesem Grunde sind sie geeigneten Kandidaten für die Behandlung mit Stimulanzien und Neurofeedback. Zusätzlich werden bei Teilgruppen der Betroffenen folgende Defizite berichtet: eine Gruppe der Kinder zeigt Defizite im limbischen System. Diese Kinder weisen häufig oppositionelles Verhalten und ausgeprägte Impulsivität auf und sprechen gut auf eine Behandlung mit trizyklischen Antidepressiva wie Imipramin oder Desipramin an. Eine weitere Gruppe von ADHS-Kindern zeigt eine extreme Aktivität im medialen oberen frontalen Gyrus. Diese Kinder weisen häufig Aufmerksamkeitsprobleme mit Zwangsymptomen auf und sprechen zum Teil positiv auf eine medikamentöse Behandlung mit Clomipramin an.
Neben den langsamen Theta-Wellen wird im EEG von Personen mit ADHS meist eine geringe Aktivität der schnellen Beta-Wellen festgestellt, die ein kortikales Unterarousal besonders beim gemischten Subtypus anzeigt (Barabasz & Barabasz, 1995; Chabot et al., 1996; Chabot & Serfontein, 1996; Clarke et al., 1998, 2001a, b; El-Sayed et al., 2002; Hill & Castro, 2002; Janzen et al., 1995; Loo, 2003; Loo & Barkley, 2005; Lubar, 1991; 2003; Mann et al., 1992). Befunde aus Untersuchungen, die EEG, topographisches Hirnmapping und SPECT verwendeten, zeigen Hypoaktivität im präfrontalen und medial-zentralen Lappen bei ADHS-Patienten, besonders während einer Schul- oder Intelligenzaufgabe (Lubar, 1991).
Mann und Mitarbeiter (1992) analysierten QEEG- (Quantitativ-Elektroenzephalogramm) Daten von 25 rechtshändigen ADHS-Kindern im Alter von neun bis zwölf Jahren und verglichen sie mit Daten von 27 unauffälligen Kindern. Sie zeigten, dass bei den ADHS-Kindern relativ zur Kontrollgruppe häufiger Theta-Wellen (4-7.5 Hz) und ein geringerer Anteil an Beta-Wellen (12.75-21 Hz) auftraten. Ein interessanter Befund dieser Studie ist, dass die Unterschiede zwischen den EEG-Mustern von ADHS-Kindern und der Kontrollgruppe in Ruheposition kleiner und beim Lesen oder Zeichnen größer waren. Obwohl die EEG-Unterschiede zwischen ADHS-Kindern und Unauffälligen in allen Regionen des Gehirns nachgewiesen wurden, waren höhere Theta-Wellen in frontalen Regionen und niedrigere Beta 1-Wellen in temporalen Regionen besonders ausgeprägt.
In einer anderen Studie verglichen Lazzaro und Kollegen (1998) EEG-Daten von 26 ADHS-Jugendlichen mit 26 Unauffälligen, die nach Geschlecht und Alter parallelisiert wurden. ADHS-Patienten zeigten relativ zur Vergleichsgruppe mehr Theta-Wellen in den vorderen Regionen des Gehirns und weniger Beta-Wellen in den hinteren Regionen des Gehirns.
Mit Hilfe von Theta/Beta-Quotienten kann das kortikale Arousal dargestellt werden. Darüber lassen sich ADHS-Kinder von unauffälligen Kindern unterscheiden (Bresnahan & Barry, 2002; Clarke et al., 1991; Monastra et al., 2001). Monastra und Mitarbeiter (1999) untersuchten EEG-Daten von 482 Probanden im Alter von sechs bis 30 Jahren beim Lesen, Hören und Zeichnen. Sie berichten, dass die Theta/Beta Quotienten bei allen ADHS-Probanden, besonders bei den Kindern mit ADHS, im Vergleich zu Unauffälligen, höher lagen. Über das EEG können darüber hinaus Responder und Non-Responder für medikamentöse Behandlungen vorhergesagt werden. Kinder, die auf Medikamente gut ansprechen, zeigen eine extrem langsame Gehirnwellenaktivität (Loo, 2003).
Außer den abweichenden Theta- und Beta-Wellen, berichten einige Forscher über Alpha-Unterschiede zwischen ADHS-Kindern und Kontrollgruppen. Beispielsweise verglichen Crawford und Barabasz (1996) die QEEG- Daten von sieben ADHS- und sieben Kontrollkindern im Alter von neun bis 16 Jahren. Sie fanden, dass bei ADHS-Kindern in der rechten frontalen Hemisphäre im Vergleich zur linken frontalen Hemisphäre (Fp1, Fp2, F7 und F8) während des Hörens einer Geschichte mit geschlossenen Augen und in den temporalen (T3 und T4) und den zentralen Lappen (C3 und C4) während des Rechnens häufiger niedrige Alpha-Aktivitäten (8-10 Hz) auftreten als in der Vergleichsgruppe.
Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Auffälligkeiten im EEG von ADHS Betroffenen durch eine Entwicklungsverzögerung verursacht werden. Bei unauffälligen Kindern reduzieren sich mit zunehmendem Alter die Theta-Wellen, parallel erhöht sich der Anteil der Beta-Wellen. Dies trifft für Kinder mit ADHS nicht zu (Bresnahan & Barry, 2002).
Viele Forschungsarbeiten berichten über Störungen in Frontallappen des Gehirns von ADHS-Betroffenen (Gualteri & Hicks, 1985; Hynd et al., 1991a; Schaughency & Hynd, 1989; Voeller & Heilman, 1988).
Aufgrund dieser Auffälligkeiten, die bei ADHS-Betroffenen auftreten, glauben einige Forscher, dass ADHS eine neuronale Entwicklungsstörung mit psychischen Eigenschaften ist und mittels PET (Zametkin et al., 1990), MRI (Hynd et al., 1991b) und SPECT (Amen et al., 1993) diagnostiziert werden kann.
In einer Studie verglichen Bresnahan, Anderson und Barry (1999) die EEG-Aktivitäten bei 25 ADHS-Kindern, 25 ADHS-Jugendlichen und 25 ADHS-Erwachsenen im Alter von sechs bis 42 Jahren mit den EEG-Daten einer parallelisierten Kontrollgruppe. Die Theta-Wellen-Aktivität lag in allen Altersgruppen mit ADHS höher als bei den unauffälligen Probanden. Mangelnde Beta-Aktivität bei ADHS-Patienten reduziert sich mit dem Alter. Die Autoren schlussfolgern, dass die mangelnde Beta-Aktivität mit der Hyperaktivität und die höhere Theta-Aktivität mit der Impulsivität verbunden sind, weil die Hyperaktivität sich mit dem Alter verringert, während die Impulsivität unverändert bleibt. Zusätzlich bleiben meist auch die Schwierigkeiten in der Aufmerksamkeitssteuerung bestehen
In mehreren Studien wurde berichtet, dass die EEG-Aktivität bei ADHS-Kindern im Vergleich zu Unauffälligen gestört ist. Diese Störungen bestanden meist in höherer Theta-Aktivität und niedriger Beta-Aktivität. De Jong (2001) versuchte in einer Studie mit ADHS-Erwachsenen zu klären, ob diese EEG- Auffälligkeiten auch bei Erwachsenen auftreten. Probanden waren 25 ADHS-Erwachsene vom vorherrschend hyperaktiven Subtypus (ADHS-hy), 17 ADHS-Erwachsene vom vorherrschend unaufmerksamen Subtypus (ADHS-ua) und 32 unauffällige Personen. Beide, ADHS-hy und ADHS-ua, wurden als klinische Gruppen betrachtet. Unter den Probanden waren beide Geschlechter vertreten, alle waren rechtshändig, ihr Alter lag zwischen 20 und 50 Jahren. Die EEG-Aktivität wurde über 19 Elektroden registriert. Die EEGs wurden mit offenen und geschlossenen Augen und während der Durchführung des „Test of Variables of Attention“ (T.O.V.A, Greenberg, 1996) beim Lesen, bei Aufgaben zur selektiven Aufmerksamkeit und beim Hören registriert. Die Ergebnisse zeigen, dass die EEG-Unterschiede zwischen ADHS-Kindern und Unauffälligen auch im Erwachsenenalter bestehen bleiben. Es findet jedoch eine Reduktion im Ausmaß der Unterschiede statt (vgl. auch Bresnahan & Barry, 2002)
1.6. Aufmerksamkeit und Arousalniveau
Aufmerksamkeit ist eine kognitive Fähigkeit, die zum Informationsmanagement benötigt wird. Sie ist für das Lernen, die Informationsaufnahme und die soziale Anpassung des Kindes notwendig (Rizzo et al., 1998). Das Arousalniveau ist eine wichtige Voraussetzung für die Aufmerksamkeitsbereitschaft. Ist das Arousalniveau erhöht oder erniedrigt, ist man impulsiv oder unaufmerksam. (Cho et al., 2004). Wenn jemand übererregt ist, kann er sich nicht auf eine bestimmte Aufgabe konzentrieren. Menschen mit Angststörungen (Hill & Castro, 2002) oder Schizophrenie (Nakamura et al., 2003) sind typische Beispiele dafür. Sie sind übererregt und können sich deshalb nicht auf eine Aufgabe konzentrieren und ein bestimmtes Thema verfolgen. ADHS-Kinder sind im Unterschied dazu untererregt, und sind aus diesem Grunde unaufmerksam und impulsiv. Das Unterarousal ist das Hauptproblem von ADHS-Kindern, die Aufmerksamkeit spielt aber zusätzlich eine entscheidende Rolle bei den Beeinträchtigungen (Hill & Castro, 2002). Eine schlechte Regulation des Gehirns, Schlüsselaspekte der Aufmerksamkeit und das Arousal des Nervensystems sind zu berücksichtigen, um ADHS zu verstehen. Die Behandlung hyperkinetischer Störungen mittels Stimulanzien beruht auf der Hypothese, dass sich die ADHS-Symptome durch neuroendokrine Veränderungen reduzieren lassen (Swanson et al., 1991; Wahlen & Henker, 1991a).
In der zu den oben genannten Befunden passenden „Low-Arousal Hypothese“ von Satterfield und Dawson (1971) wird vermutet, dass hyperaktive Kinder einen niedrigeren Arousalzustand haben. Das reizsuchende Verhalten der Kinder dient einer Erhöhung ihres Arousalniveaus. Die „Low-Arousal Hypothese“ ist bis heute als bedeutsam für ADHS akzeptiert.
2. ADHS-Behandlung
Behandlungsmethoden, die üblicherweise bei ADHS angewendet werden, sind: Medikation mit Psychostimulanzien und Verhaltenstherapie (Rossiter & La Vaque, 1995). Neben Stimulanzien sind auch Antidepressiva erfolgreich zur Behandlung von ADHS angewendet worden (Döpfner, 2002).
Das gängigste klassische Behandlungsverfahren ist die medikamentöse Therapie mit Methylphenidat (z. B. Ritalin®), das direkt an der vermuteten neuroanatomischen Basis ansetzt und als Dopaminagonist zur Verbesserung der Aufmerksamkeit und Verringerung der Hyperaktivität führt. In einem internationalen Konsens über die Behandlung von ADHS (Kutcher et al., 2004) wird ein multimodaler Ansatz empfohlen, in dem sich psychotherapeutische Maßnahmen, insbesondere die Verhaltenstherapie (Selbstinstruktionstraining, soziales Kompetenztraining, Kontingenzmanagement, Elterntraining und Familientherapie; Carr, 2000), und eine medikamentöse Behandlung ergänzen. (siehe Abb. 2.1).
2.1. Medikamentöse Behandlung
2.1.1. Psychostimulanzien
Derzeit werden zwei Hypothesen bezüglich der Frage diskutiert, weshalb die Medikation von ADHS-Kindern mit Stimulanzien wirksam ist: die „Hypoarousal-Hypothese“ (wie im vorherigen Abschnitt beschrieben) von Satterfield und Dawson (1971), und die „noradrenerge Hypothese“ von Zametkin und Kollegen (1990). In der zweiten Hypothese wird vermutet, dass die pathophysiologische Grundlage von ADHS eine Dysregulation des noradrenergen Netzwerkes ist. Das noradrenerge System beeinflusst kortikale Funktionen, inklusive Aufmerksamkeit und Wachsamkeit. Diese Hypothese ist hauptsächlich aus pharmakologischen Befunden abgeleitet. Die Wirkungen der Medikamente (z. B. Stimulanzien) bei der ADHS-Behandlung treten danach durch die Modulierung noradrenerger (Biederman & Spencer, 2000a) und dopaminerger (Solanto, 1998) Funktionen ein.
In beiden Hypothesen wird vermutet, dass ADHS-Kinder untererregt sind und deshalb einen reduzierten Kontakt zu Sinnesreizen aufweisen. Diese Kontaktarmut zu Sinnesreizen provoziert das reizsuchende Verhalten der betroffenen Kinder. Die Medikation mit Stimulanzien hilft den Kindern, ihr Arousalniveau zu erhöhen (Lubar, 2003). Auf diese Weise ist der scheinbar paradoxe Effekt (Stimulanzienmedikationen für eine hyperaktive Person) erklärbar (Hill & Castro, 2002).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Seit den 40er Jahren werden Stimulanzien bei der ADHS-Behandlung verwendet. Zurzeit werden verschiedene Arten von Stimulanzien bei der ADHS-Behandlung eingesetzt um das noradrenerge System zu balancieren. Bei jüngeren Kindern gehört Dextroamphetamin (Dexedrin®) zu den am häufigsten angewendeten Medikamenten. Bei Kindern ab dem sechsten. Lebensjahr bis zur Adoleszenz und sogar im Erwachsenenalter werden Methylphenidat (Ritalin®), ein langwirksames Methylphenidatpräparat (Concerta®) und neuere Arten von Stimulanzien wie Adderall® verschrieben (Lubar, 2003). Die am häufigsten angewendeten Stimulanzien sind Methylphenidat, Dextroamphetamin und Pemolin (Rossiter & La Vaque, 1995).
Aktuelle Befunde zeigen, dass die medikamentöse Behandlung von ADHS-Kindern zunimmt. (Daley, 2004). In den USA nehmen mehr als zwei Millionen ADHS-Kinder jährlich Methylphenidat (MPH) ein. Obwohl die US FDA („United States Food and Drug Administration“) in den 60er Jahren diese Medikamente untersuchte, wurden die pharmakologischen Eigenschaften bei ADHS-Kindern erst in den 80er Jahren an relativ kleinen Stichproben geklärt. Diese Informationen erhöhten unser Wissen über die Serum-Pharmakokinetik und einige pharmakodynamische Eigenschaften von Methylphenidat bei der ADHS-Behandlung. Studien mittels der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) bei Erwachsenen erhöhten unser Wissen über die pharmakokinetischen Eigenschaften von Methylphenidat im Gehirn (Swanson & Volkow, 2002).
Zwischen 70 % und 90 % der ADHS-Kinder ab dem fünften Lebensjahr sind Responder auf Methylphenidat. Bei Kindern unter fünf Jahren liegt die Responderrate bei etwa 50 %. Hauptwirkungen des Medikamentes sind Verbesserungen der Konzentrationsfähigkeit und eine Reduktion des störenden, unangemessenen und impulsiven Verhaltens. Kinder, die dieses Medikament einnehmen, reduzieren häufig auch ihr oppositionelles Verhalten gegenüber Erwachsenen und zeigen verbesserte Beziehungen zu Gleichaltrigen (Döpfner, 2002) Die kurzfristigen Verbesserungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen sind möglicherweise eine Folge davon, dass sich die Kinder besser steuern können. Langfristige Veränderungen in zwischenmenschlichen Beziehungen konnten bei ADHS-Jugendlichen und -Erwachsenen bisher nicht nachgewiesen werden (Pelham & Gnagy, 1999). Durch die medikamentöse Reduktion der Hyperaktivität kommt es zu einer Verbesserung der schulischen Leistungen der Kinder (Döpfner, 2002). Theoretisch wäre zu erwarten gewesen, dass vor allem eine Erhöhung der Konzentrationsfähigkeit eine Verbesserung der Schulleistungen mit sich bringt.
Jensen (2000) berichtet, dass Stimulanzien bei ADHS-Kindern die Zahl der Unterbrechungen im Klassenzimmer und irrelevante Aktivitäten in der Schule reduzieren, Buchstabier- und Rechnungsleistungen verbessern, die Aufmerksamkeitshaltung verbessern, die Aggressivität reduzieren, das Kurzzeitgedächtnis, die Aufmerksamkeit während des Baseballspiels und die Eltern-Kind-Interaktionen verbessern. In einer anderen Studie berichten Rossiter und La Vaque (1995), dass die Hauptwirkungen dieser Medikamente in einer Verbesserung der Aufmerksamkeit, der Kontrolle des impulsiven Verhaltens sowie in einer Reduktion der motorischen Aktivität bestehen. Die Autoren berichten, dass bisher keine Studie langfristige Verbesserungen mit Stimulanzien zeigen konnte. Dies gilt insbesondere nach Beendigung der medikamentösen Behandlung.
Swanson und Mitarbeiter (1993) untersuchten 341 Studien über die Wirksamkeit von Stimulanzien bei der ADHS-Behandlung. Ihre Ergebnisse zeigen, dass Medikamente bei 25 % bis 40 % der Kinder unwirksam sind. Außerdem zeigen viele Kinder, die mit Methylphenidat behandelt wurden, auch Verbesserungen unter Anwendung eines Placebos. Die Kinder, welche positiv auf Stimulanzien ansprechen, zeigen vorübergehende Verbesserungen in der Hyperaktivität, der Aufmerksamkeit, der Impulsivität und der Compliance. Durch die Einnahme von Medikamenten reduzieren sich die Hyperaktivität und die Aggressivität und die schulischen Leistungen verbessern sich. Es gibt aber keine Hinweise auf langfristige Verbesserungen im Lernen, den schulischen Leistungen oder der sozialen Anpassung.
Stimulanzien beeinflussen die Gehirnfunktionen, was mittels EEG messbar ist. Loo und Bonnie (1998) untersuchten die durch Stimulanzien ausgelösten EEG-Veränderungen bei ADHS-Kindern in einer double-blind placebo-kontrollierten Studie. Ihre Ergebnisse zeigen, dass Methylphenidat in den frontalen Gehirnregionen von ADHS-Respondern die Beta-Wellen erhöhen und die Alpha- sowie Theta-Wellen verringern, während ADHS-Non-Responder das umgekehrte Muster zeigen.
35 % der ADHS-Kinder zeigen positive Veränderungen durch eine Placebobehandlung. (Rossiter & La Vaque, 1995). Es wurde zudem berichtet, dass mindestens 30 % der ADHS-Kinder, die mit Stimulanzien behandelt werden, diese Medikamente nur schlecht vertragen bzw. keine wesentlichen Symptombesserungen zeigen (Barkley, 1977; Spencer et al., 1996).
2.1.2. Nebenwirkungen
Psychostimulanzien können schädliche Nebenwirkungen, wie z. B. Appetitreduktion, Schlafstörungen, Erhöhung der Reizbarkeit, Kopf- und Bauchschmerzen haben. Nebenwirkungen treten bei etwa 20 % bis 50 % der behandelten Kinder auf. Es wurde auch von Veränderungen der Stimmung, Schlafstörungen und einer Zunahme von Ticstörungen berichtet (Döpfner, 2002; Greenhill et al., 1999; Lubar, 2003; Rossiter & La Vaque, 1995). Diese Faktoren werden nach Ansicht von Schachter und Mitarbeitern (2001) meist verharmlost.
Insgesamt ist festzustellen, dass Stimulanzien für ADHS-Kinder keine Wundermittel sind. Durch die medikamentöse Behandlung lernen die Kinder nichts. Diese Medikamente reduzieren in den meisten (aber nicht in allen) Fällen nur die Symptome der Störung. Es muss eine psychotherapeutische Behandlung erfolgen, um eine dauerhafte Therapiewirkung zu erreichen (Döpfner, 2002).
2.1.3. Anwendung anderer Medikamente bei der ADHS- Behandlung
Außer Psychostimulanzien, werden in einigen Fällen trizyklische Antidepressiva, Alpha-Blocker und in seltenen Fällen auch antipsychotische Medikamente oder selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) verwendet. Bradley (1937) berichtete, dass Amphetamin-Sulfat hyperkinetisches Verhalten bei ADHS-Kindern reduzieren kann und ihre schulischen und sozialen Leistungen verbessert. Wenn zusätzlich impulsives Verhalten auftritt, werden Antidepressiva wie Desipramin oder Imipramin verwendet. Falls sehr viel aggressives Verhalten auftritt, kann Clonidin helfen. Es wurde berichtet, dass 60 % bis 80 % der ADHS-Kinder mit Medikamenten wirksam behandelt werden können (Lubar, 2003).
Eine Studie von Biederman und Spencer (2000b) über die Wirksamkeit der medikamentösen Behandlungen bei ADHS-Patienten zeigt, dass verschiedene Zusammenstellungen mit noradrenerg/dopaminerger Wirkungsweise bei der Behandlung von ADHS-Patienten effektiv sein können. Wie sie berichten, zeigen viele Studien auch therapeutische Wirkungen bei der ADHS-Behandlung mit trizyklischen Antidepressiva. Außerdem geben die Autoren an, dass Bupropin (ein atypisches Antidepressivum) und Tomoxetine (neuartiges noradrenerges spezifisches Antidepressivum) in kontrollierten klinischen Studien bei der ADHS-Behandlung wirksam sind. Obwohl noradrenerge und Alpha-2-Agonisten ebenfalls sehr häufig angewendet werden, gibt es nur einzelne Studien, die ihre Wirksamkeit bestätigen. Einige Studien unterstützen die therapeutische Wirkung von cholinergen kognitiv steigernden Medikamenten, wie z. B. Anti-Cholinesterase-Hemmern (Donepezil und Tacrine). Obwohl bereits Studien zu alternativen medikamentösen Behandlungen bei ADHS-Patienten vorliegen, werden weitere Forschungsergebnisse in diesem Bereich benötigt, um ihre therapeutische Wirksamkeit bei der Behandlung von ADHS-Patienten abzusichern.
2.1.4. Kritik an der medikamentösen Behandlung bei ADHS- Patienten
Über die Nebenwirkungen, welche den Einsatz der Medikamente (darunter auch Stimulanzien) beschränken, hinaus, gibt es weitere Probleme, bei der Anwendung dieser Medikamente.
Obwohl die medikamentöse Therapie bei der ADHS-Behandlung längst etabliert ist, ist sie weiterhin umstritten (Swanson et al., 1991; Wahlen & Henker, 1991a). Die Wirkungen des Medikaments verschwinden bereits einige Stunden nach Medikamentengabe. Deshalb werden die Dosen gleichmäßig zwei bis drei Mal über den Tag verteilt. Dies gilt besonders für das Ritalin, dessen Wirkung schneller als die der anderen Medikamente, wie z. B. Dexedrin, Concerta und Adderall nachlässt. Normalerweise wird Ritalin in einer großen Dosis am Morgen, einer zweiten am Mittag und einer sehr geringen dritten nach der Schule als Unterstützung bei den Schulaufgaben verschrieben. Die Dosierung richtet sich nicht nach Alter und Körpergewicht. Eine geringe Dosis Ritalin® (z. B. 5 Milligramm) könnte für einen Erwachsenen oder Jugendlichen genügen, während ein Kind aufgrund des abweichenden Stoffwechsels eine größere Dosis benötigt, um therapeutische Effekte zu erzielen (40 Milligramm oder mehr) (Lubar, 1991, 2003).
Erwünschte Symptomverbesserungen treten nur unter der Medikamentengabe auf. Nach Absetzen der Medikation erscheinen die Symptome unverändert wieder, somit sind keine positiven Langzeiteffekte zu erwarten (Döpfner, 2002; Esser, 2002; Lubar, 2003). Mit der Einnahme von Stimulanzien verbessern sich bei ADHS-Kindern zwar das störende Verhalten und die Interaktionen mit Gleichaltrigen, aber es gibt keine Befunde, die eine langfristige positive Wirkung in Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen bei ADHS-Jugendlichen und -Erwachsenen bestätigen (Pelham & Gnagy,1999).
Viele betroffene Eltern berichten, dass ihr Kind mit Einnahme der Medikamente weniger Symptome von Hyperaktivität zeige und eine deutliche Zunahme der Konzentration und Ausdauer zu beobachten sei. Dennoch blieben das Befolgen von Verhaltensregeln und eine deutlich erhöhte Anstrengungsvermeidung weiterhin problematisch (Lubar, 1991).
Problematisch ist weiterhin, dass die medikamentös behandelten Kinder weiterhin eine klinisch bedeutsame Restsymptomatik aufweisen (Döpfner & Lehmkuhl, 2002) und nur geringe Verbesserungen im Sozialverhalten, den sozial/familiären Beziehungen und der schulischen Leistungsfähigkeit zeigen (Conners, 2002). Hyperaktivitäts- und Impulsivitätssymptome werden bei 25 % bis 35 % der ADHS-Patienten mit Stimulanzien nicht beeinflusst, die Aufmerksamkeit sogar bei 40 % bis 50 % (Monastra, 2005). Patienten mit komorbider affektiver oder Angststörung sind weniger respondent gegenüber Stimulanzien (DuPaul, Barkley & Mc Murray, 1994). Außerdem bleiben ADHS-Symptome bei 60 % bis 70 % der Betroffenen in der Adoleszenz und im Erwachsenenalter erhalten. Da Psychostimulanzien keine dauerhafte Reduktion von ADHS-Symptomen bewirken können, müssen sie für eine unbeschränkte Zeit eingenommen werden. Wenn die Kinder das Jugendalter erreichen, sinkt die Compliance bei der Medikamenteneinnahme allerdings meist ab, unabhängig davon, ob die Medikamente positive Wirkungen zeigen oder nicht. Deswegen sind medikamentöse Behandlungen für viele ADHS-Jugendliche und Erwachsene keine geeignete Therapie (Rossiter & La Vaque, 1995).
Aus den genannten Gründen kann eine medikamentöse Therapie der ADHS nur in Kombination mit einer psychotherapeutischen Behandlung sinnvoll sein. Erst dann sind positive Langzeiteffekte zu erwarten (Lubar, 2003). Die medikamentöse Behandlung kann in den meisten Fällen die ADHS-Symptomatik lediglich einschränken und kontrollieren. Das bedeutet, dass sie keine Behandlungsmittel sondern eher ein Kontrollmittel sind. Die Medikamente können den Patienten kurzzeitig dabei helfen, stärker von der psychotherapeutischen Behandlung zu profitieren. Außerdem muss beachtet werden, dass die Einnahme der Medikamente aufgrund unterschiedlicher Nebenwirkungen möglichst kurzfristig gehalten werden sollte. Andernfalls könnte sie zusätzliche Probleme verursachen, die eine Anwendung weiterer Medikamente erforderlich macht.
2.2. Verhaltenstherapie
Verhaltenstherapie hat sich als Therapieform bei der Behandlung von ADHS seit vielen Jahren bewährt (Wahlen & Henker, 1991b). Wesentlicher Bestandteil dieser Therapieform ist der Einbezug der Eltern und Lehrer. Den Erziehungspersonen werden Kenntnisse über angemessene Verstärker für erwünschtes Verhalten sowie ein geplantes Vorgehen bei der Beeinflussung problematischen Verhaltens vermittelt (z. B. Token-Systeme, Auszeiten, beschreibendes Lob, Aufbau einer positiven Beziehung durch installierte Spielzeiten, Regeln für klare Aufforderungen etc.).
Verhaltenstherapeutische Methoden variieren mit dem Schwerpunkt der Therapieziele. So kann sich die Behandlung hauptsächlich auf die Stärkung der elterlichen Erziehungskompetenz konzentrieren, wenn die Verhaltensprobleme primär im familiären Kontext auftreten. Hier sollen die Eltern für Verstärkerprozesse sensibilisiert werden und eigene Anteile der häuslichen Eskalationsspiralen verändern. D.h., angemessenes Verhalten soll mit Aufmerksamkeit und beschreibendem Lob in seiner Auftretenshäufigkeit verstärkt, regelübertretendes Verhalten dagegen durch Entzug von Aufmerksamkeit oder logische Konsequenzen reduziert werden.
Kindzentrierte Methoden der Verhaltenstherapie umschließen Selbstinstruktionstraining zur Verbesserung von Lernstrategien und Leistungsfähigkeit sowie Selbstmanagement-Strategien zur Beeinflussung von problematischem Verhalten. Mittels operanter Techniken (Token-Systeme) wird versucht, problematisches Verhalten in Kindergarten und Schule zu korrigieren (Döpfner, 2002).
2.2.1. Medikamentöse Behandlungen in Kombination mit verhaltenstherapeutischen Methoden
Pelham und Gnagy (1999) fassten die Studien zur Wirksamkeit von verhaltenstherapeutischen Methoden (klinische Verhaltensinterventionen, Elterntraining, Schulinterventionen, Kontingenzmanagement-Techniken und intensive Behandlungen) bei ADHS-Kindern zusammen. Sie berichten, dass verhaltenstherapeutische Methoden zu Verbesserungen des Verhaltens und der schulischen Leistungen von ADHS-Kindern beitragen. Studien zur Wirksamkeit von medikamentösen Behandlungen in Verbindung mit verhaltenstherapeutischen Methoden zeigen, dass jede einzelne der beide Methoden Beschränkungen hat, dass aber eine Kombination aus beiden die besten Resultat erbringt (Wolraich & Baumgaertel, 1997).
Manche ADHS-Betroffene benötigen keine medikamentöse Behandlung und können unter ausschließlicher Verwendung verhaltenstherapeutischer Methoden erfolgreich behandelt werden.
Jensen und Kollegen (2002) untersuchten die Erfolge von medikamentösen Behandlungen, verhaltenstherapeutischen Methoden und einer Kombination aus beiden Methoden bei der Behandlung von 579 ADHS-Kindern im Alter zwischen sieben und 9.9 Jahren. Es wurden vier Gruppen von ADHS-Kindern gebildet: reine ADHS-Kinder; ADHS-Kinder mit zusätzlichen Angststörungen; ADHS-Kinder mit zusätzlichen Störungen des Sozialverhaltens bzw. Störungen des Sozialverhaltens mit oppositionell aufsässigem Verhalten; und ADHS-Kinder mit zusätzlichen Angst- und Verhaltensstörungen (Angststörungen, Störungen des Sozialverhaltens und/oder Störungen des Sozialverhaltens mit oppositionellem aufsässigen Verhalten). Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass bei ADHS-Kindern mit zusätzlichen Angststörungen alle Behandlungsmethoden (medikamentöse Behandlungen, Verhaltenstherapie und eine Kombination aus beidem) effektiv sein können. Bei reinen ADHS-Kindern und solchen mit zusätzlichen Störungen des Sozialverhaltens oder Störungen des Sozialverhaltens mit oppositionell aufsässigem Verhalten können medikamentöse Behandlungen effektiver sein, eine ausschließliche Verwendung von Verhaltenstherapie ohne begleitende medikamentöse Behandlung hat häufiger keinen therapeutischen Erfolg. Bei ADHS-Kindern mit zusätzlichen Angst- und Verhaltensstörungen wird eine kombinierte Methode (medikamentöse Behandlungen und Verhaltenstherapiemethoden) empfohlen.
Jensen und Mitarbeiter (2005) überprüften in einer weiteren Studie die Kosteneffektivität von Therapiemethoden bei der ADHS-Behandlung. Ihre Ergebnisse zeigen, dass die Anwendung von ausschließlich medikamentösen Behandlungen bei ADHS-Kindern ohne komorbide Störungen wahrscheinlich kostengünstiger ist, obwohl eine Kombination von medikamentöser Behandlung und verhaltenstherapeutischen Methoden bei der ADHS-Behandlung bessere Therapiewirkungen als rein medikamentöse Behandlungen zeigt. Bei der Behandlung von ADHS-Kindern mit einer komorbiden Störung ist eine Kombination von medikamentösen Behandlungen und Verhaltenstherapie eine kostenwirksame Therapiemischung.
Das bedeutet: Obwohl es genügend positive Befunde zur kurzfristigen Wirksamkeit und Sicherheit von medikamentöse Behandlungen durch Stimulanzien gibt, müssen psychosoziale Behandlungen, und hier hauptsächlich verhaltenstherapeutische Methoden, in der Schule und zu Hause zu Einsatz kommen, um langfristige Therapiewirkungen zu erreichen (Pelham & Gnagy, 1999). Dies gilt besonders dann, wenn ADHS von einer komorbiden Störung begleitet wird (Rowland, Lesesne & Abramowitz, 2002).
[...]
- Quote paper
- Ali Reza Bakhshayesh (Author), 2007, Behandlung von ADHS-Kindern. Die Wirksamkeit von Neurofeedback im Vergleich zum EMG-Biofeedback, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/153798
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