Wyclif war seiner Zeit um mehr als ein Jahrhundert voraus – er entwickelte Gedanken, die versuchten die gesamte westliche Katholische Kirche bis auf ihre Grundlagen zu verändern. Seine Grundlage war die Predigt über das Gesetz und „die Nachfolge des armen, demütigen und geduldig leidenden Christus“. Überraschend ist dabei aber, wie schnell seine Gedanken, durch die systematische Vernichtung seiner Schriften, in England wieder in Vergessenheit gerieten. In den schlichten Predigten der Lollarden und durch die Hussiten in Böhmen sollten sie aber noch lange Nachwirkungen zeigen und viele Jahre später von Martin Luther wieder aufgegriffen werden.
Wer war John Wyclif?
John Wyclif (weitere Schreibweisen: Wiklif, Wiclef, Wiklef, Wyclyf, Wycliffe, Wykliffe, auch Doctor evan-gelicus genannt) war ein englischer Theologe, Philosoph, Augustiner und Vorläufer der Reformation. Er wurde zwischen 1320 und 1330 in Spreswell (heute: Hipswell) in der Grafschaft Yorkshire, England geboren und starb am 31.12. 1383 in Lutterworth, Leicester. Seine Familie war schon seit langem in Yorkshire ansässig und besaß beachtliche Ländereien. Sein Leben ist eng verbunden mit der Universität Oxford, die ihn stark prägte und an der er den Großteil seines Lebens vom Eintritt um das Jahr 1345 bis zu seinem erzwungenen Ausscheiden 1380 verbrachte. Hier studierte er Philosophie, Theologie und Kirchenrecht.[1]
Mehr als ein Jahrzehnt widmete Wyclif sich dem philosophischen Grundstudium, bis er 1356 das Baccalaureat (erster Akademischer Grad) erwarb und sich später als Magister Artium und Master des Balliol College in Oxford (1363) dem Studium der Theologie zuwenden konnte.[2] 1361 wurde er Pfarrherr in Fillingham, Lincoln und in den Jahren zwischen 1366 und 1372 promovierte er zum Doktor der Theologie und vollberechtigten Lehrer der Theologie. 1368 übernahm Wyclif die Pfarrei Ludgershall, Buckingham und 1374 die Pfarrstelle Lutterworth. Um das Jahr 1371 trat er in den Dienst für die Englische Krone[3] und die letzten Jahre seines Lebens (nach 1380) verbrachte er zurückgezogen im Pfarrhaus von Lutterworth.
Im Lauf seines Wirkens vertrat Wyclif den Grundsatz, dass die Bibel über allem steht, die alleinige Richtschnur und Urwahrheit ist und alles andere (auch Dogmen der Kirchenväter und Päpste) nicht zählt und richtete sich auf dieser Grundlage gegen das Papsttum und den gesamten Klerus, indem er die Machtansprüche und den Reichtum der Kirche, die Heuchelei der Mönchsorden, Bilder-, Heiligen-, Reliquiendienst, Ohrenbeichte und das Priesterzölibat angriff und anprangerte. Als er auch die Transsubstantiationslehre, die Umwandlung beim Abendmahl in Fleisch und Blut, verwarf, zogen sich seine Oxforder Anhänger von ihm zurück und die Universität Oxford verurteilte seine Auffassung 1380/81.
Seine Häresie stand in keinem Zusammenhang zu einer vorherigen Ketzerbewegung und Wyclif engagierte sich auch nicht am konkreten Aufbau einer neuen religiösen Bewegung, trotzdem waren seine radikalen Gedanken „machtvoll genug, eine Bewegung auszulösen, die eine über hundert Jahre währende Verfolgung überdauert, eine eigenständige Literatur und eine ganze Reihe von Märtyrern wie gläubigen Missionaren bis hin zur Reformationszeit hervorbringt“.[4]
Seine Lehre war stark geprägt von der Philosophie des Ultrarealismus (Die Universalien/Allgemeinbegriffe besitzen ein eigenes, unabhängiges Sein in Gott und sind in seinem Willen verankert, Gott selbst ruft sie in die zeitliche Wirklichkeit) und der Metaphysik (Speziell: Das umgreifende Sein stammt von einem ewigen Intellekt, Zufälliges, Undenkbares ist nicht möglich, alles ist vorherbestimmt). Wyclif war ein guter Redner, was selbst seine Gegner anerkennen mussten. Thomas Netter von Walden gestand „er sei zunächst verblüfft [gewesen] über seine mitreíßend vorgetragenen Behauptungen, die von ihm angeführten Autoritäten und die Leidenschaft seines Denkens“.[5]
Vor Anklagen und Verurteilung von Seiten der Katholischen Kirche bewahrten ihn die guten Beziehungen zu hohen politischen Persönlichkeiten (John of Gaunt, Witwe des Schwarzen Prinzen) und sein hohes Ansehen, das er bei den Gelehrten zu den Zeiten seiner Wirksamkeit in Oxford und bei der Bevölkerung genoss. Das waren auch die Beziehungen, die es ihm ermöglichten seine radikalen Abhandlungen zu verfassen und eine derart grundsätzliche und revolutionäre Kritik an der Katholischen Kirche zu üben. Erst nach seinem Tod auf dem Konzil von Konstanz im Jahr 1415 wurden Wyclifs Lehren als Häresie verurteilt und das Urteil symbolhaft durch Verbrennen seiner Gebeine vollstreckt.
Wie stellte sich Wyclif eine erneuerte Kirche vor?
In intensivem Bibelstudium, und systematischer Bibelauslegung, vor allem der Evangelien und der Apostelgeschichte, versuchte Wyclif das Vorbild Jesu und der ersten Gemeinde auf die Kirche anzuwenden: „Alles, was Christus tat, hat er zu unserer (moralischen) Belehrung getan“.[6] Vor allem Armut, Demut und geduldiges Leiden wurden ihm wichtig – all diese Eigenschaften fand er aber in der Kirche seiner Zeit nicht wieder – stattdessen war sie durchsetzt von Habsucht, Herrschsucht, Geiz, Gier nach irdischen Gütern und Gewalttätigkeit, weil die Bibel nicht mehr ernst genommen wurde. Privilegien und Reichtum trieben die Verweltlichung noch weiter voran.
Wyclif schlug eine Radikalkur vor: Enteignung der Kirche durch die weltliche Macht, weil sie nur so wieder zur wahren, geistlichen Kirche werden konnte, „die sich einzig um die ewige; himmlischen Güter bemüht“.[7] In seinen Augen hatte die katholische Kirche mehr Macht, als ihr gut tat. Die weltlichen Herrscher sollten die Aufgabe übernehmen, das evangelische Gesetz zu verteidigen, in Hingabe an Gott das Volk zu regieren, dem Kirchenstand den zehnten Teil – nicht mehr und nicht weniger und vor allem keine weltliche Herrschaft – zuzuteilen und zusätzlich auf dem Lebenswandel der geistlichen Führer zu achten, die ja ihrerseits das Volk lehren sollten. Das entspräche der Aufforderung Christi, der weltlichen Obrigkeit gehorsam zu sein.
Seine Größe erhalte der Papst durch den König, dem gegenüber er in einem dienenden Verhältnis stehe: Wyclif verglich die Krönung des Königs durch den Papst mit der Aufgabe eines Kämmerers dem König Schwert oder Krone zu reichen.
Aus Wyclifs Sicht waren weder Papst noch Kardinäle heilsnotwendig, denn die Jünger, Petrus mit einbegriffen waren selber keine Päpste, sondern allein Jünger und Helfer Christi. Kardinäle seien von urchristlicher Tradition her keine „legitimierten Amtsträger, sondern Folgeerscheinungen der konstantinschen Wende, mit der die Verweltlichung der Kirche begonnen habe“.[8] Genauso fruchtlos und unnütz seien die klösterlichen Lebensformen und Aufgabenbereiche der Mönche und Bettelbrüder.
Die Vollmacht, die Gott verleiht, war bei Wyclif nicht von einem Amt, sondern von der Rechtschaffenheit und Erbauung jedes Einzelnen abhängig. Auch seien die Gläubigen dem Papst und der geistlichen Führung nur soweit zum Gehorsam verpflichtet, wie sie Jesu Vorbild in Armut und Demut nacheiferten und sein Gesetz lehrten. Laien hätten also das Recht über das Tun der geistlichen Führerschaft zu urteilen, weil die wahre Frömmigkeit die Vorraussetzung für die Verwaltung der Sakramente sei und ein gläubiger Laie die gleiche religiöse Autorität wie ein Priester habe. Hier spielte die Prädestinationslehre eine wichtige Rolle: jeder zum Heil Erwählte war eher ein Priester als ein Laie, wenn er sich durch einen rechtschaffenen Lebenswandel auszeichnete. Umgekehrt konnte ein zur Verdammung Vorherbestimmter ein noch so hohes Amt bekleiden – es konnte ihn nicht retten. Gleichzeitig konnte aber auch kein Mensch, auch kein Papst, gewiss sein, ob er zur Gruppe der Auserwählten gehörte. Als Konsequenz ergab sich daraus, dass die gesamte kirchliche Hierarchie als wirkungs- und sinnlos anzusehen war. Am besten wäre es, so meinte Wyclif später, wenn die Kirche gar keinen Papst hätte, sondern eine kollegiale Leitung wie in den Zeiten, bevor sie weltlichen Besitz besaß.
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[1] Vgl. Freie Enzyklopädie Wikipedia: „Wyclif“ (Online: http://en.wikipedia.org/wiki/wyclif; 26.02.05, 19.00Uhr)
[2] Vgl. Kohlhammer - Gestalten der Kirchengeschichte, Mittelalter II, Band 4, S. 220
[3] Vgl. Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (Online: www.bautz.de/bbkl/wyclif; 26.02.05, 19.00Uhr)
[4] Malcom Lambert, Häresie im Mittelalter, Darmstadt: WBG, 2001, S.237
[5] Malcom Lambert, Häresie im Mittelalter, Darmstadt: WBG, 2001, S.239
[6] Vgl. Kohlhammer - Gestalten der Kirchengeschichte, Mittelalter II, Band 4, S. 223
[7] Vgl. Kohlhammer - Gestalten der Kirchengeschichte, Mittelalter II, Band 4, S. 224
[8] Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (Online: www.bautz.de/bbkl/wyclif; 26.02.05, 19.00Uhr)
- Citation du texte
- Abel Hoffmann (Auteur), 2005, Wer war John Wyclif, wie stellte er sich eine erneuerte Kirche vor und welche Rolle spielte dabei die Übersetzung der Bibel in die englische Volkssprache?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/153203