Die Hochstapelei ist ein immer wiederkehrendes Phänomen in der Geschichte der
Menschheit. Doch welche psychologischen Voraussetzungen machen diesen Betrug
möglich? Das vorliegende Essay soll spekulativ, anhand des psychologischen Modells des
Selbst, der Wahrnehmungsschemata und unter Zuhilfenahme von zwei charakteristischen
Fällen von Hochstapelei, psychologische Mechanismen aufdecken die erfolgreiche
Hochstapelei möglich machen.
Inhaltsverzeichnis
1 Zusammenfassung
2 Einleitung
3 Kurzbiographien
3.1 Gert Postel
3.2 Torsten Schmitt
4 Wie Hochstapler von Wahrnehmungsschemata profitieren
4.1 Grundsätze zur Kognition von äußeren Objekten
4.2 Die Simulation von Rollen im Kontext von unbewussten Wahrnehmungsschemata
4.3 Die Adaption einer inneren Repräsentanz als pseudo-Anteile des eigenen Selbst
5 Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis
1 Zusammenfassung
Die Hochstapelei ist ein immer wiederkehrendes Phänomen in der Geschichte der Menschheit. Doch welche psychologischen Voraussetzungen machen diesen Betrug möglich? Das vorliegende Essay soll spekulativ, anhand des psychologischen Modells des Selbst, der Wahrnehmungsschemata und unter Zuhilfenahme von zwei charakteristischen Fällen von Hochstapelei, psychologische Mechanismen aufdecken die erfolgreiche Hochstapelei möglich machen.
2 Einleitung
Das psychologische Konstrukt des Selbst ist ein inneres Schema über Fähigkeiten, Grenzen und andere, grundlegende Aspekte der eigenen Persönlichkeit. Im Selbstkonzept des Individuums konstituiert sich, von Erfahrung geprägt, eine Repräsentanz über die eigene Person, deren zentrale Fragen lauten könnten: „Wer bin ich?","Was kann ich?", „Was kann ich nicht?". Für eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit der Umwelt ist eine realistische Selbstkonzeption signifikant wichtig. Von Ihr hängt ab ob wir unsere Fähigkeiten überschätzen oder unterschätzen - also Rückschläge ernten bzw. Möglichkeiten Ziele zu erreichen gar nicht erst nutzen - oder uns Anforderungen, unseren realen Fähigkeiten entsprechend, stellen.
Ein gestörtes Selbst ist zentraler Gegenstand zahlreicher pathologischen Auffälligkeiten. Die Differenz des objektiven Realselbst und dem idealisierten Größenselbst sind beim Krankheitsbild der (malignen) narzisstischen Persönlichkeitsstörung ursächlich für Empathielosigkeit, Manipulation und antisozialem Verhalten (Kernberg 2009). Auch Störungsbilder wie die Depression lassen, den Selbstwert des Individuums beeinträchtigende, Differenzen zwischen Idealselbst und Realselbst erkennen.
Ein regelmäßig gesellschaftliches Aufsehen erregendes Ereignis ist die Enttarnung von pathologischen - also andere und letztendlich auch sich selbst schädigenden - Hochstaplern. Menschen, die eine gesellschaftliche Rolle, oft in Form eines Berufes einnehmen, der sie, objektiv gesehen, fachlich nicht entsprechen können und deren Berechtigung hierzu jeglicher formalen Grundlage (z.b. Abschlüsse von Ausbildungen) entbehrt. Trotzdem sind Hochstapler mitunter sehr erfolgreich und können im Raum zwischen Rollenerwartung und menschlicher Toleranz unter Umständen jahrelang bestehen, ja sogar fachlich versierte „Kollegen" täuschen, bis sie letztendlich doch auffällig werden und die Maske fällt.
In der folgenden Ausarbeitung möchte der Verfasser, unter der besonderen Berücksichtigung des psychologischen Konstruktes des Selbst und dem Modell der Wahrnehmungsschemata, spekulativ die inneren Vorgänge beleuchten, die zur Verankerung von Hochstaplern in gesellschaftlichen Positionen beitragen können.
Dabei soll beispielhaft auf die charakteristischen Fälle des Gert Postel und des Torsten Schmitt eingegangen werden.
3 Kurzbiographien
3.1 Gert Postel
Gert Postel, geboren am 18.06.1958 in Bremen, besuchte die Hauptschule und schloss danach eine Ausbildung zum Postboten ab. Postel erlangte mehrfach leitende Positionen in der Medizin. So bewarb er sich mit gefälschten Zeugnissen als stellvertretender Amtsarzt in Flensburg und wurde eingestellt. Ebenso erschlich er sich eine Stelle in einer Privatklinik und eine Anstellung als Stabsarzt bei der Bundeswehr. Bekannt wurde Postel durch sein Wirken als Oberarzt in einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie in Zschadraß bei Leipzig. Postel fertigte dort u.a. Gutachten für sächsische Gerichte.
Am 12.05.1998 wurde Postel in Stuttgart festgenommen und 1999 vom Landgericht Leipzig wegen mehrfachen Betruges und Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren ohne Bewährung verurteilt.
Der gelernte Postbote schaffte es mehrfach sich durch einfühlsames, manipulatives Verhalten und rudimentäre Kenntnisse der Medizin in leitende Positionen zu schleichen. Dabei nutzte er das, einen Großteil der interpersonellen Kommunikation beschneidende, Instrument des Telefons um „Vorarbeit", für eine neue Stelle die er besetzen wollte, zu leisten:
„Heute brauche ich, um einen Universitätsprofessor mit angeschlossener Klinik darzustellen, nur noch ein Telefon und etwas soziale Intelligenz, also ein Gespür dafür, wie jemand in der Position, die er vorgibt, sprechen würde.
Dabei müssen falsche Töne unbedingt vermieden, das Sachgebiet des Gesprächsthemas muss allgemein beherrscht werden (Halbbildung reicht aus)" (Postel 2003:26).
In seinen, in der Erstausgabe 2001 erschienenen, Memoiren „Doktorspiele“ schildert Postel detailliert wie er geschickt Vertrauensvorschüsse seiner Gesprächspartner nutzt um Diese nach seinem Gusto zu manipulieren. Erstaunlich scheint, dass der falsche Arzt fachlich nie überführt worden ist. Postel bat stets seine unterstellten Kollegen um Ihre Beurteilung von Krankheitsbildern und konnte so unentdeckt bleiben. Seine ungerechtfertigten ärztlichen Tätigkeiten wurden meist durch Zufälle beendet. In einem Fall verlor Postel seine Brieftasche, in der zwei Personalausweise, ein echter und ein gefälschter, von einer Bediensteten des Krankenhauses gefunden worden sind.
3.2 Torsten Schmitt
Torsten Schmitt wurde 1966 in der Nähe von Bitterfeld in Sachsen-Anhalt geboren. Einen großen Teil seiner Kindheit verbrachte er in Spezialkinderheimen der DDR, wo er oft Gewalt erfuhr. Schmitt wurde zu DDR Zeiten mehrfach straffällig und setzte auch nach dem Mauerfall seine kriminelle Karriere fort.
„Um seine eigene Identität zu rechtfertigen“ (Majestic 2007), wie er selbst sagt, schlüpfte der Sachse im Laufe seines Lebens in verschiedene Identitäten. So gab er sich in der Rolle der frei erfundenen Person des Dr. Manfred Becker als Diplomat des auswärtigen Amtes aus und wies zu dieser Zeit häufig auf seine angebliche Freundschaft zum damaligen Bundesaußenminister Joschka Fischer hin. In seiner Identität als Dr. Manfred Becker verschaffte er sich mit gefälschten Unterlagen hochwertige Güter, die er oftmals kurz darauf wieder verschenkte, und ließ sich nach Vorzeigen seines Diplomatenpasses von der Polizei eskortieren (Schmitt 2006).
In der Rolle eines US Majors mit Diplomatenstatus brachte er es im Rahmen eines Freigangs fertig innerhalb von wenigen Stunden in einer Mecklenburg-Vorpommerschen Kleinstadt am Plauer See eine „NATO-Sicherheitskonferenz unter Wahrung höchster Geheimhaltungsstufe“ (Schmitt 2006: 342) zu organisieren. Dabei mietete er Büroräume, ein ganzes Hotel mit Seeblick und einen kompletten Trakt einer Privatklinik an. Die Büroräume lies er möblieren und mit EDV Technik sowie Waffenschränken ausstatten. Der Bürgermeister des Städtchens war über den Aufschwung in seiner Stadt erfreut und lud Schmitt zum Mittagessen ein (Schmitt 2006: 343). Als das Landeskriminalamt MecklenburgVorpommern zwei Beamte zur Überprüfung von Schmidt entsandte lies er diese mit dem Verweis auf seine diplomatische Immunität einfach stehen und fuhr mit seinem Auto weg.
Schmitt deutet das gewährende Verhalten der Beamten in dem 2007 erschienenen Dokumentarfilm „Die Hochstapler“ als Verunsicherung durch sein überzeugendes Auftreten. Später wurde Schmitt in einem Hotelrestaurant verhaftet und zurück in die JVA überführt.
4 Wie Hochstapler von Wahmehmungsschemata profitieren
4.1 Grundsätze zur Kognition von äußeren Objekten
Möchte man das Wesen der Hochstapelei erfassen, müssen grundlegende psychologische Voraussetzungen für deren Erfolg, also die Anerkennung der Hochstapler in ihrer gespielten Rolle, beleuchtet werden. Wir alle bilden kognitive Wahrnehmungsschemata über Objekte in unserer Umwelt. Diese inneren Repräsentanzen sind Grundannahmen über die Beschaffenheit dieser Objekte, mit der Funktion, die Komplexität unserer Umwelt zu reduzieren und die Effizienz unserer Wahrnehmung zu optimieren.
So schreiben wir unbewusst Menschen in unserer Umgebung Eigenschaften zu obwohl wir sie explizit nicht genau kennen. Diese Zuschreibung von Eigenschaften geschieht aufgrund von Informationen, die wir über das gegenständliche Objekt - auch Personen - im Kontext der aktuellen Situation aufnehmen. Anhand dieser aktuellen Informationen ordnen wir dieses Objekt in ein Schema ein, was sich aus Erfahrungen und Annahmen über Eigenschaften dieser „Objektgattung“ in der Vergangenheit konstituiert hat. Die verinnerlichten einzelnen Eigenschaften dieses Schemas werden dem betreffenden Objekt nun zugeschrieben und haben kognitiv so lange Geltung, bis sie von aktuellen Informationen ergänzt, negiert oder überlagert werden. Trivial könnte man sagen, das einem, aufgrund der aktuellen Informationen als Stuhl eingeordnetem, Objekt so lange die verinnerlichten Eigenschaften eines Stuhles zugeschrieben werden, bis wir feststellen, dass der Stuhl nur eine Attrappe aus Kunststoff (Schema: Attrappe von Stuhl aus Kunststoff) ist und keineswegs die ihm zugedachte Eigenschaft als mögliche Sitzgelegenheit bietet.
4.2 Die Simulation von Rollen im Kontext von unbewussten Wahrnehmungsschemata
Ebenso verhält es sich mit der Zuschreibung von Eigenschaften zu Personen, die uns in der Außenwelt entgegentreten. In seinen Memoiren „Doktorspiele“ beschreibt Gert Postel wie er als „Prof. von Berg von der Universitätsklinik Münster“ (Postel 2003: 24) im Krankenhaus Zschadraß beim Chefarzt, Dr. Gutfreund, anruft um die Bewerbung eines „ausnehmend tüchtigen Funktionsoberarztes, Dr. Postel mit Namen" auf die Stelle als Oberarzt in Zschadraß anzukündigen und diesen dem Kollegen fachlich zu empfehlen. Des weiteren wird umschrieben wie Postel penibel darauf achtet die Situation des Telefonats so realistisch wie möglich erscheinen zu lassen. Der Einsatz von Fachsprache bzw. der in diesem Feld gängigen Art zu sprechen und das Nennen von plausiblen Gründen für den Anruf (Abbau der Stelle an der Klinik in Münster), sowie, scheinbar nebensächliche, Erwähnungen von im gegenständlichen Milieu charakteristischen Verhaltensweisen („Dr. Postel befindet sich gerade auf einer Fahrradtour in Bayern" (Postel 2003: 25)), manipulierten Dr. Gutfreund in soweit, als das diese Informationen über den Gesprächspartner die selbstverständliche, unbewusste Zuschreibung der Eigenschaften des inneren Schemas eines Universitätsprofessors zuließen und sogar nötig machten.
Im weiteren Verlauf schreibt Postel wie ein Bewerbungsgespräch mit anschließender Einstellung zu Stande kommt und Dr. Gutfreund nicht den geringsten Verdacht hegt, er könne es nicht mit einem rechtmäßigen Oberarzt zu tun haben. Postel bewegte sich in seiner Rolle als Mediziner habituell offenbar in einem Raum von, für einen Oberarzt, zulässigen Verhaltensweisen. Die soziale und fachliche[sic!] Anerkennung von Postel als rechtmäßigen Oberarzt wurden durch, als verlässlich anerkannte, allerdings gefälschte, Urkunden noch unterstrichen - Das Wahrnehmungsschema des Oberarztes bei den unkritischen Beteiligten also gestützt. Die fachliche Überführung Postels wurde durch das umgehen von entlarvenden, reale Kompetenz voraussetzende, Untersuchungen umgangen. Im situativen Kontext, und in Anbetracht des sicheren Auftretens von Postel, mussten die Beteiligten davon ausgehen, es mit einem echten Oberarzt zu tun zu haben.
4.3 Die Adaption einer inneren Repräsentanz als pseudo-Anteile des eigenen Selbst
Während die Lektüre von Gert Postels Memoiren den Schluss zulässt, dass sich dieser zu jeder Zeit seines Tuns vollends bewusst war und er die Manipulation von anderen durch ihn als eine überlegene Kompetenz seiner selbst - diese ist also in sein Selbstkonzept integriert - erlebt, scheint bei Schmitt ein grundlegend anderes Muster vorzuherrschen. Postel simuliert anhand seiner eigenen inneren Repräsentanz des Oberaztes eben diesen, während Schmitts komplettes Selbstkonzept unter Verdrängung der eigenen Anteile des Selbst in eine solche Repräsentanz „umzuschalten" scheint.
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- Citation du texte
- Andre Blum (Auteur), 2010, Das psychologische Konstrukt des Selbst bei Hochstaplern und wie diese von kognitiven Wahrnehmungsschemata profitieren, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/153161
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