Ines M., 22-jährige Studentin, öffnet ihren Briefkasten. Da ist er, der Brief, auf den sie so lange gewartet hat, endlich. Absender ist die Consulting-Agentur, bei der sie sich beworben hatte. Sie reißt den Umschlag auf: Absage! Aber warum das denn? Sie hatte doch alle Kriterien erfüllt und besaß die geforderten Qualifikationen, die Stelle wäre perfekt für sie gewesen. Doch die Personalmanagerin schreibt, sie würde nicht ins Profil der Firma passen. Woher kam diese Beurteilung? Was wussten die denn schon über sie, abgesehen von den sorgfältig formulierten Bewerbungsunterlagen? Sie ist ratlos, bis eine ihrer Kommilitoninnen bemerkt, dass Ines ein Opfer des SchnüffelVZ geworden ist.
Eine wildfremde Person ist in ihre Privatsphäre eingedrungen, ohne dass sie es gemerkt hatte. Aber was hatte der Arbeitgeberin an der Profilseite ihrer Bewerberin nicht gefallen? Etwa die Bilder, auf die Ines, und somit auch ihr Profil, von anderen Mitgliederinnen verlinkt wurde, welche sie mit mehreren Bierflaschen, überfüllten Aschenbechern und übermüdetem Gesichtsausdruck zeigen? Oder waren es die Titel ihrer Gruppen, wie Scheiß Party, wenn ich meine Hose finde, geh ich heim! oder Mensch wart ihr besoffen! Ihr habt mich 3x fallen lassen!, die auf ihrem Profil als Liste verzeichnet sind? Was macht die individuelle Selbstdarstellung im globalen Netzwerk so riskant, und warum geschieht sie trotzdessen so gewissenlos? Welche Rolle spielen hier die Modernisierungsphänomene Individualisierung und Globalisierung?
Ines M., 22-jährige Studentin, öffnet ihren Briefkasten. Da ist er, der Brief, auf den sie so lange gewartet hat, endlich. Absender ist die Consulting-Agentur, bei der sie sich beworben hatte. Sie reißt den Umschlag auf: Absage! Aber warum das denn? Sie hatte doch alle Kriterien erfüllt und besaß die geforderten Qualifikationen, die Stelle wäre perfekt für sie gewesen. Doch die Personalmanagerin schreibt, sie würde nicht ins Profil der Firma passen. Woher kam diese Beurteilung? Was wussten die denn schon über sie, abgesehen von den sorgfältig formulierten Bewerbungsunterlagen? Sie ist ratlos, bis eine ihrer Kommilitoninnen bemerkt, dass Ines ein Opfer des SchnüffelVZ geworden ist.
Eine wildfremde Person ist in ihre Privatsphäre eingedrungen, ohne dass sie es gemerkt hatte. Aber was hatte der Arbeitgeberin an der Profilseite ihrer Bewerberin nicht gefallen? Etwa die Bilder, auf die Ines, und somit auch ihr Profil, von anderen Mitgliederinnen verlinkt wurde, welche sie mit mehreren Bierflaschen, überfüllten Aschenbechern und übermüdetem Gesichtsausdruck zeigen? Oder waren es die Titel ihrer Gruppen, wie Scheiß Party, wenn ich meine Hose finde, geh ich heim! oder Mensch wart ihr besoffen! Ihr habt mich 3x fallen lassen!, die auf ihrem Profil als Liste verzeichnet sind? Was macht die individuelle Selbstdarstellung im globalen Netzwerk so riskant, und warum geschieht sie trotzdessen so gewissenlos? Welche Rolle spielen hier die Modernisierungsphänomene Individualisierung und Globalisierung?
Soziale Netzwerkportale im Internet sind ein Massenphänomen der Moderne und neue Member beeilen sich, gleich nach Registrierung ihre Selbstbeschreibungen, genannt Profilseiten, auszufüllen. Doch hier fängt der von Beck/Beck-Gernsheim geprägte Begriff der „riskanten Freiheiten“ schon an (Beck/Beck-Gernsheim 1994, 11). Was gebe ich von mir preis? Familienstand, Adresse, Hobbies, Mitgliedschaften, Schulbildung, bevorzugte Bücher und Filme. Oder noch mehr? Denn schließlich bin ich nicht Mitglied geworden, um möglichst unauffällig zu bleiben. Angehörige des Verzeichnisses StudiVZ (www.studivz.net) werden mehr oder weniger zur Individualisierung verdammt, denn es ist unbedingt notwendig, einen eigenen Stil zu entwickeln um noch aufzufallen. Die neuen Freiheiten führen somit auch zu neuen Zwängen (vgl. Degele/Dries 2005: 93). Die Freisetzung in der modernen Risikogesellschaft sorgt dafür, dass ein Mitglied beliebigen Gruppen beitreten kann und die persönlichen Angaben frei wählbar sind, doch der Stabilitätsverlust wiederum wirft die Frage auf, was von wem erwartet wird (vgl. Beck 1986: 206). Was gibt mir denn heute überhaupt noch Sicherheit? Wenn ich nicht weiß, wie meine Selbstpräsentation auf einer Internetplatform auszusehen hat, richte ich mich eben nach meinen bereits geknüpften Online-Kontakten, das wird schon richtig sein so. Zur „Selbstverwirklichung“ und auf der „Suche nach der eigenen Identität“ (Beck 1986: 156) bleibt mir in der Risiko- sowie Netzwerkgesellschaft lediglich noch der Austausch mit Gleichgesinnten.
Wird der Begriff Freundschaft durch das StudiVZ sinnentleert?, solche und ähnliche Gruppennamen deuten schon die Oberflächlichkeit der im Web geknüpften Kontakte an. Simmel spricht von virtuellen Bändern in Internetplatformen, die nach Funktion gesponnen werden, Beck von Koalitionen, die situations- und themenabhängig sind und lediglich „Zweckbündnisse im individuellen Existenzkampf“ darstellen (Beck 1986: 159). Ein StudiVZ-Mitglied bringt es schon locker mal auf 200 sogenannte Freunde. Bei dem Verzeichnis wird weder nach Bekanntschaft, Verwandschaft oder Freundschaft noch nach Freund oder Freundin unterschieden, alle Kontakte fallen schlichtweg unter die Bezeichnung Freunde. Es zählt die Quantität, wer hat die meisten Kontakte aus den unterschiedlichsten Bereichen, wer ist am individuellsten. Die virtuelle Freundin wird zur Unternehmerin in der Boombranche Beziehungsmanagement, wer nichts Neues und vorallem nichts Persönliches zu bieten hat, langweilt sein Publikum (vgl Blech et al. 2009: 126). Wer zu wenige Einträge auf der Pinnwand vorweisen kann, zählt schnell zu den „Individualisierungsverlierern“ (Degele/Dries: 91). Es gilt, das eigene Profil ständig zu aktualisieren, neue Kontakte durch die interne Gruschelfunktion zu grüßen oder Kommilitoninnen nette Fotokommentare zu hinterlassen. Vielleicht wird auch eben schnell eine neue Diskussionsgruppe gegründet, deren witziger Titel zum Beitreten einlädt. Und genau diese Tatsache erklärt die Selbstvergessenheit, mit der viele Mitgliederinnen ihre Privatsphäre preisgeben und so für alle und jederzeit abrufbar machen (vgl. Blech et al. 2009: 126). Ein Privatleben im Virtuellen gibt es nicht. Diese stets präsente Öffentlichkeit führt zu überanstrengten Darbietungen, denn schließlich ist nur wirklich cool, wer unter den Millionen von Profilen auffällt.
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- Quote paper
- Fabian Bruckschen (Author), 2009, „Gruschelst du noch, oder schnüffelst du schon?“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/151072