Abstract
Diese Arbeit setzt sich mit den Themen der Zerstörung und des Todes bei Marguerite Duras auseinander, die im Roman Le Vice-consul und in den Verfilmungen India Song und Son nom de Venise dans Calcutta désert untersucht werden sollen. Bei genauerer Befassung mit dem Themenbereich kam die Frage auf, in wieweit diese Themen vertreten sind und ob die Zerstörung bei Marguerite Duras gewalttätigen Charakter besitzt. Mit Beachtung dieser Fragestellungen wird zunächst genauer auf den Schreibstil der Autorin und auf ihre Filmarbeit eingegangen werden. Anschließend stelle ich den Stellenwert der Themen des Todes und der Zerstörung allgemein im Werk Duras` dar und werde diese vor allem in den Naturbeschreibungen und in der Darstellung der drei wichtigsten Protagonisten – Anne-Marie Stretters, des Vizekonsuls und der Bettlerin – genauer untersuchen .
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Zu Marguerite Duras
2.1 Zu ihrem Stil
2.2 Zu ihren Filmen
3 Zu ihren Personen, Orten und Themen
3.1 Das Thema des Todes
3.2 Das Thema der Zerstörung
4 Le Vice-consul
4.1 Die Darstellung der Natur
4.2 Die Bettlerin
4.3 Der Vize-Konsul
4.4 Anne-Marie Stretter
5 India Song
6 Son nom den Venise dans Calcutta désert
7 Abschlussbetrachtung
Literatur
1 Einleitung
Diese Arbeit setzt sich mit den Themen der Zerstörung und des Todes bei Marguerite Duras auseinander, die anhand der drei Werke Le Vice-consul, India Song und Son nom de Venise dans Calcutta désert untersucht werden sollen. Hinsichtlich dieser Untersuchung stellte sich mir bei genauerer Befassung mit dem Themenbereich die Frage, in wieweit diese Themen vertreten sind und ob die Zerstörung bei Marguerite Duras gewalttätigen Charakter besitzt. Mit Beachtung dieser Fragestellungen werde ich zunächst auf Maguerite Duras` charakteristische Art zu schreiben und auf ihre Filmarbeit eingehen. Anschließend werde ich die Themen des Todes und der Zerstörung darstellen und mich dann den drei Werken mit Berücksichtigung dieser Thematik widmen.
2 Zu Marguerite Duras
Marguerite Duras hat Bücher geschrieben und ist später durch das Missfallen der Filme, die nach ihren Texten gedreht wurden, zu der Filmarbeit gekommen. Madeleine Borgomano bezeichnet Duras` Vorgehensweise mit einem Trieb zu den Filmen und vergleicht diesen mit den großen asiatischen Flüssen, die unaufhörlich alles mit sich fortreißen (vgl. Borgomano 1988: 249). Zu diesem Vergleich ist anzumerken, dass Marguerite Duras in Indochina in einer sehr wasserreichen Umgebung aufgewachsen ist und dass bekannt ist, dass viele Bereiche ihres Lebens sie in ihren Werken beeinflusst haben. In Le vice-consul sind beispielsweise mehrere Flüsse präsent, doch mindestens genauso oft erwähnt sie das Meer. Gisele Bremondy schreibt in ihrem Aufsatz La destruction de la réalité, dass Marguerite Duras große Angst vor dem Meer hatte (vgl. Bremondy, 1985: 52). Marguerite Duras verfolgte die Intention, sich mit ihren Werken von den traditionellen Büchern und Filmen abzusetzen. Dies beabsichtigen auch die Mitglieder des Nouveau Roman, zu der Bewegung sie sich selbst jedoch nicht zählte.
2.1 Zu ihrem Stil
Marguerite Duras schreibt recht einfach. Youssef Ishaghpour spricht von einer «simplicité apparente» (Ishaghpour, 1985: 101). Ihr Stil ist nüchtern und knapp und trotzdem inhaltsreich, tiefgründig und geheimnisvoll. Noël Carruggi bezeichnet dieses Phänomen folgendermaßen: «(...) [D]ans l`écriture durassienne transparence et obstacle vont ensemble. (...) Le vice-consul présente (...) une dimension cryptique, un noyau caché qui se rélève progressivement par la découverte d`analogies secrètes.» (Carruggi, 1995: 147). In ihren Büchern verbirgt sich häufig wesentlich mehr hinter dem bloßen geschriebenen Wort, was der Rezipient zu entschlüsseln hat. So werden die Personen nicht einführend dargestellt sondern bleiben dem Leser bis zum Ende des Textes eher fremd. Gisele Bremondy bezeichnet Marguerite Duras` Erzählvorgehensweise als eine «dé-réalis[ation de] la narration» (Bremondy, 1985: 55). Sie gibt an, dass Duras gleichzeitig das Präsens, das Imparfait und das Passé Simple verwendet, um den Leser zu verwirren und dass sie mit der Verwendung des Konditional den Leser zu verhöhnen scheint. Bremondy legt sich letztendlich darauf fest, dass Duras die Zeit, den Ort und die Erinnerung nicht derealisiert, sondern diese in ihren eigenen Blickwinkel mit einbeziehen möchte, wobei sie darauf bedacht ist, dass ihre Erzählung authentisch ist. Sie verwendet sehr häufig das Präsens, da sie das Schreiben an sich als einen Prozess betrachtet, der genau in dem Augenblick, in dem sie schreibt, stattfindet. Zwischen 1967-68 hatte sie eine Schreibkrise, die sie zusätzlich darin bestärkte, selbst Filme zu drehen.
2.2 Zu ihren Filmen
Mit Hilfe ihrer Filmarbeit, in der sie sich mit der Frage beschäftigte, wie Menschen denken und wahrnehmen, grenzt sei sich deutlich vom traditionellen Film ab. Besonders auffällig an ihren Filmen ist die Unbeweglichkeit, die Borgomano als eine der Hauptzüge des Durasschen Stils bezeichnet. Ishaghpour schreibt in seinem Aufsatz La voix et le miroir : «[L]e monde du cinéma
ordinaire [est un] monde de «suspense» [et] celui de Duras, un monde de suspense en suspension.» (Ishaghpour,1985 : 100). Des Öfteren folgen mehrere längere feste Einstellungen aufeinander, die abrupt geschnitten werden (vgl. Borgomano, 1988: 249). Treten Personen in ihren Filmen auf, was nicht immer der Fall ist, bewegen sie sich kaum. Oft erstarren sie im Sitzen und werden dem Zuschauer in Form einer Nahaufnahme präsentiert. Dabei regen sich lediglich ihre Gesichter. Diese erstarrte Darstellungsweise erzeugt teilweise die Wirkung eines Gemäldes statt eines Films, worauf ich in 5 genauer zurückkommen werde. Marguerite Duras versucht ihre Arbeit beispielsweise in Form von längeren Schwarzpassagen für den Zuschauer ersichtlich zu machen. Die Schnitte sollen sinnlich wahrnehmbar werden. Dabei schwört sie eine Welt herauf, in der die Kontinuität eine Täuschung ist und in der es zu Lücken kommt. „Der Film wird [dadurch] wirklich zur Schrift.“ (Borgomano, 1988: 251).
Et si la lecture fait voir, ce n`est certes pas l`image du film qu`elle rélève mais bien l`écriture du texte. (...) Nous avons vu qu`elle avait d`abord écrit «pour» le cinéma et qu`ensuite elle était rapidement arrivée à écrire «avec» le cinéma, justement parce qu`elle avait vu que le film ne pouvait pas traduire le tout du texte et que, par conséquent, il opérait une certaine «mise à mort» (...) de l`écrit par l`image qu`elle essaiera de repenser, étant persuadée que si le cinéma arrête le texte il ne le clôt pas. (Raynauld, 1985: 85)
Marguerite Duras a vu que l`image au cinéma «massacrait» le texte en le faisant taire car le
cinéma affirme : il ne faut pas dire, avec les mots, ce que l`image peut dire à leur place.
(Raynauld, 1985: 86).
Bei ihren Filmen sollte der Zuschauer sich auf die ungewohnte Darstellungsweise einlassen, sehr genau auf die Bilder achten und ihnen folgen. Darüber hinaus kommt es oft zu einer Trennung zwischen Bild und Ton, die sie zum ersten Mal in La femme du Gange durch die Stimmen im Off realisiert hat. Zunächst traten mehrere Stimmen in ihren Filmen auf, wobei sie eine Polyphonie von Stimmen erzeugte. Später drehte sie Filme, in denen nur noch sie selbst aus dem Off sprach. Diese „unbeweglichen, unzusammenhängenden, uneinheitlichen Filme (…) [wollen] weder darstellend, noch erzählend sein. Sie wollen nur zeigen.“ (Borgomano, 1988: 252). Damit verfolgt Marguerite Duras Intentionen, die dem traditionellen Kino völlig entgegengesetzt sind. Ihre Filme verfolgen trotzdem eine erzählende Absicht. In India Song z.B. wird die Handlung dem Zuschauer über vier Stimmen, die einen Dialog führen, näher gebracht, indem sie sich zurückerinnern. Die eine Stimme kann sich besser als die anderen erinnern und so kommt es zu einem „unzusammenhängenden, zerfahrenen, uneinheitlichen Bericht“ (Borgomano, 1988: 252). In den Durasschen Filmen wird dem Publikum der Sinn nicht mitgeteilt, sondern er muss, wie bei ihren Texten, erschlossen werden. Dadurch wird die Imaginationskraft des Zuschauers stärker als in traditionellen Filmen benötigt und gefördert.
3 Zu ihren Personen, Orten und Themen
In ihren Werken, Texten wie Filmen, greift sie häufig auf die gleichen Personen, Orte und Themen zurück. Personen, die in mehreren Werken auftreten, sind z.B. Lol V. Stein, Michael Richardson, der Vize-Konsul und Anne-Marie Stretter. Diese Personen sind nicht in allen Werken auf die gleiche Art und Weise dargestellt. So tritt beispielsweise Anne-Marie Stretter in La femme du Gange unter dem Namen Tatiana auf, die den Liebhaber der jungen Lol V. Stein, Jaques Hold (Michael Richard in Le vice-consul und Michael Richardson in India Song), verführt und für sich gewinnen kann. Die Person Charles Rossett tritt in India Song unter der Bezeichnung des «(…) Jeune Attaché d`ambassade (non nommé)» (I.S.: 7)[1] auf. Der Vize-Konsul trägt im gleichnamigen Werk den Namen Jean-Marc de H. und wird in India Song hingegen nur noch als der «vice-consul de France à Lahore (non nommé)» (I.S.: 7) bezeichnet. Aus den eben genannten Beispielen wird ersichtlich, dass die Namen der Personen oft verborgen oder geändert bzw. umgestellt sind.
Marguerite Duras bezeichnet Personen auch des Öfteren durch die Pronomen il und elle wie z. B.
die Bettlerin in Le Vice-consul: « Elle le fait. Elle marche pendant des jours (…)» (V.C.: 9)[1]. Orte, die sie häufig zu Handlungsschauplätzen umfunktioniert, sind leere Tennisplätze, Park- und Waldlandschaften, das Gebäude eines Hotels oder einer Botschaft und das Meer. Marli Feldvoß bezeichnet Duras` Orte als „ihre ganz persönlichen Schauplätze aus ihrer Kindheit in Indochina, die sie nicht loszulassen scheinen [und] die das ausmachen, was als das Universum der Duras bekannt geworden ist.“ (Feldfoß, 1988: 274). Dadurch, heißt es weiterhin bei Feldfoß, lassen sich kaum klare Grenzen zwischen Fiktion und Biographie ziehen. Sie spricht von einer „(…) tragisch zu nennenden Ausweglosigkeit, die vom Zwang zur Wiederholung eingeschnürt ist (…)“ (Feldfoß, 1988: 274). Gisele Bremondy schreibt diesbezüglich: «L`auteur nous fait entrer dans sa propre réalité et dans le «Je(u)» de l`autobiographie. Marguerite Duras revient à sa propre mémoire (...)» (Bremondy, 1985: 55). Das Thema der Leprakranken ist beispielsweise in Le Vice-consul ist präsent. In Les parleuses gibt Duras an, in ihrer Kindheit Angst vor einer möglichen Infizierung dieser Krankheit gehabt zu haben. «Eh bien, maintenant, la lèpre est dans mes livres, et j`en ai plus peur, ce qui a fait que (...) le lien a été cassé et que la lèpre s`est répandue dans mes livres, ça m`a guérie de cette peur, c`est une thérapie en somme...» (Duras / Gauthier, 1974: 207). Man kann folglich festhalten, dass die Bereiche, die Duras in ihren Büchern und Filmen thematisiert, teilweise tatsächlich aus ihrem eigenen Leben stammen und durch die Umsetzung in ihr Werk verarbeitet werden.
Bereiche, die sie oft beschäftigen, sind Themen wie das Vergessen, die Erinnerung und die Liebe, die meist extrem dargestellt wird und immer etwas mit dem Tod zu tun hat. Des Weiteren werden bei ihr häufig der Blick bzw. das Betrachten und das Verlangen thematisiert sowie die Themen dieser Arbeit: die Zerstörung und der Tod. Diese Themen findet der Leser immer wieder in ihren Werken konkretisiert. Die Erinnerung spielt bei Marguerite Duras eine wesentliche Rolle. So basiert India Song auf der Erinnerung an die bereits verstorbene Anne-Marie Stretter und auch in Le Vice-consul nimmt sie ein zentrales Thema ein. Die Leerstellen im Buch werden durch Fiktion gefüllt. Diesen Stil bezeichnet man als style blanc. Marcel Proust wendete diesen Stil ebenfalls an und verlagerte sogar wichtige Ereignisse in die Leerstellen. Nicht umsonst erwähnt Marguerite Duras Proust in Le Vice-consul: «Nous avons rêvé d`une femme rose, rose liseuese rose, qui lirait Proust dans le vent acide d`une Manche lointaine. (...) (V.C.: 47) Elle lirait pendant ses couches, rose liseuse aux joues roses, Proust.» (V.C.: 211). Proust ordnet Personen und Städten des Öfteren Farben zu, wobei die Farbe Rosa immer für eine Frau bestimmt ist, die begehrt wird. Duras übernimmt diese Eigenart Prousts in Form von Intertextualität. Dies gibt sie direkt an, indem sie die entsprechende Frau Proust lesen lässt. Das Erinnern ist, wie Proust bereits in seinen Überlegungen niedergeschrieben hat, bei Duras nicht chronologisch gegliedert. Bei beiden Schriftstellern steht die Erinnerung in enger Verbindung mit dem Thema der Zeit, wodurch es wenig Zeitangaben und kein direktes Zeitgefühl gibt. Marguerite Duras lässt Zeitüberlagerungen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart zu. Des Weiteren kommt es zu Zeitraffungen und Zeitdehnungen. Die zehn Jahre, in denen die Bettlerin wandert, beanspruchen genauso viele Seiten des Buches wie der Abend des Balls. Hier besteht wieder eine Parallele zu Proust. Es kommt auch zur Zeitauflösung. So tritt Anne-Marie Stretter in India Song auf, obwohl sie zu dem Zeitpunkt bereits tot ist. Das Foto, das Anne-Marie Stretter zeigt, spielt hier eine wichtige Rolle, da es für die Erinnerung schlechthin steht.
3.1 Das Thema des Todes
Das Thema des Todes ist in Marguerite Duras` Werken fast immer präsent. «Et surtout la mort, mort du frère, de la mère, mort désirée, active ou passive, réelle ou symbolique, hantise permanante des textes durassiens.» (Borgomano, 1977: 155). Danielle Bajomée schreibt in Duras
ou la douleur hinsichtlich Duras` Art zu schreiben: «l`écriture (…), qui ne parle que d`amour et de
mort, de mort aimée et d`amour qui agonise» (Bajomée, 1977: 123). Wie bereits in 3 erwähnt, sind
die Themen der Liebe und des Todes nach Marguerite Duras nicht weit voneinander entfernt. «Dire le périssable, ne dire que ce qui, du monde est périssable, transforme ces écrits de fiction, depuis Un barrage contre le Pacifique, en un immense hommage au Néant.» (Bajomée, 1977: 124). Mit Un barrage contre le Pacifique hatte Marguerite Duras ihren ersten Erfolg. Dieses Buch geht auch auf ihr eigenes Leben zurück. Ihre Mutter hatte Land gekauft, welches wertlos war, da es ständig von einer möglichen Überflutung durch den Pazifik bedroht war. Ihre Mutter führte einen ständigen ausweglosen, ungleichen Kampf gegen die Natur, das Meer, was Duras dazu bewegte, diese Verzweiflung niederzuschreiben. Bedenke man ihre Angst vor dem Meer, könnte man vermuten, dass sie auf dieses Kindheitserlebnis zurückzuführen ist. Seit diesem ersten Durchbruch schreibt sie über Themen, die périssables sind. «Les textes sont ici comme traversées sépulcrales qui fixent le sens d`une prose qui se veut célébration des ruines. Dans la solitude du recueillement.» (Bajomée, 1977: 124). Hierzu ist zu sagen, dass Marguerite Duras bereits im Alter von vier Jahren ihren Vater und später ihren Bruder verloren hat, was sich scheinbar in ihren Werken bemerkbar macht: «Ils [die Werke] font retenir le deuil, la plainte, la perte inconsolable, le soupir, la mise au tombeau.» (Bajomée, 1977: 124). Bajomée schreibt, dass Duras durch die Aufmerksamkeit, die ihre Werke erfordern, das Gewesene nicht sterben lässt. Dies wird in India Song deutlich, wo das Leben der bereits verstorbenen Anne-Marie Stretter durch die Erinnerung an sie heraufbeschworen wird. Die Trauer an eine geliebte Person wird durch den altarartig gestalteten Innenraum ausgedrückt. Bajomée spricht davon, dass es schockierend ist, dass Marguerite Duras durch Theaterstücke, Romane und Filme dem Thema des Todes einen faszinierenden Charakter verleiht und spricht davon, dass der Tod diese Faszination und eine Lebendigkeit durch die Gewalt der verrückten, krankhaften Liebe erhält. «Perceptible d`abord dans une série quasi ininterrompue d`images mouvantes qui font la vie et la mort indiscernables dans le caractère funéaire (...)» (Bajomée, 1977: 125). Gerade die Schwierigkeit des Auseinanderhaltens von Leben und Tod ist in India Song vorzufinden, worauf ich in 5 genauer eingehen werde. Bajomée spricht von dem Wunsch durch die Liebe zu sterben, den sie in früheren Werken, die hier nicht thematisiert werden sollen, aufgefunden hat. In Le Vice-consul ist dieser Wunsch u.a. insofern thematisiert, als dass Anne-Marie Stretter und Michael Richard als selbstmordgefährdet eingeschätzt werden. «Cette recherche de l`amour fou, de l`amour qui rend fou s`achève habituellement dans la mort, dans le suicide à deux.» (Bajomée, 1977: 128). Marguerite Duras` Texte sind geprägt durch Sätze, die etwas Totes vollkommen alltäglich beschreiben:
[L]es vrais cheveux ne repoussent pas, leurs racines mortes à Pursat. (V.C.: 17)
[E]lle [la mendiante] reste des nuits dans l`eau mortelle du Gange sans mourir, plus tard, elle rêve qu`elle est morte à son tour, noyée. (V.C.: 70)
(...) m´[le vice-consul] éloigne de Monfort et de la mort, oui, de la mort de mon père mort. (V.C.: 87)
C`est lui qui a tué son père (V.C.: 88)
Il est un peu mort, le vice-consul de Lahore... (V.C.: 100)
(...) à cet homme au regard mort (VC.: 119)
Elle danse avec Charles Rossett. — Qui est-il ? — Oh ! un homme mort... (V.C.: 128)
On songe: Il [le vice-consul] appelait seulement la mort sur Lahore (V.C.: 138)
(...) ils se soûlent à mort... (V.C.: 141)
[E]lle [la mendiante] est là, la tête vide, le coeur mort (V.C.: 149)
Ses enfants morts, car elle [la mendiante] en a eu, sans doute, d`autres enfants morts. (V.C.: 183).
Aspekte des Todes finden sich auch in der Personendarstellung. Bajomée schreibt, dass der Vize-Konsul wegen der Kenntnis Anne-Maries stirbt (vgl. Bajomée, 1977: 130, genauer in 5). Man kann ihr eine gewisse Machtfunktion über den Tod zuordnen. In Le Vice-consul ist der Tod insofern
präsent, als dass die drei Hauptcharaktere ihren Tod im Verlauf des Lebens erfahren.Hierauf werde ich in 4 genauer eingehen. Bajomée schreibt: «[I]l semble bien que Duras s`inscrive davantage dans la désespérance toujours répétée de l`absence d`un objet désirable et désiré. Elle est une endeuillée (...) qui désire, (...) exhaler sa plainte.» (Bajomée, 1977: 134-135). Wenn man bedenkt, dass sie sehr früh wichtige Menschen ihres Lebens verloren hat, ist das Nicht-loslassen-können nachvollziehbar. Die Themen des Todes und der Zerstörung sind scheinbar dadurch zu zentralen Themen in ihren Werken geworden, durch die sie ihre Trauer zulässt und verarbeitet.
3.2 Das Thema der Zerstörung
Alle Filme außer Nathalie Granger gehen auf einen literarischen Vorläufer zurück, der so zu Ende gebracht wird. Madeleine Borgomano gibt in Cinéma-écriture an, dass Marguerite Duras einen Film produziert, um zu zerstören, was andernfalls nicht aufhört. Den Film betrachtet Duras als Abschlusspunkt. In La femme du Gange wurden drei Bücher zerstört, um das Schreiben zu beenden (vgl. Borgomano, 1985: 76). In dieser Aussage findet man eine sehr zerstörerische Haltung vor, die ihre Filme prägt. Aspekte der Zerstörung befinden sich, wie die des Todes, in der Darstellung ihrer Personen und der Natur. Borgomano schlussfolgert daraus, dass das Kino das Schreiben zum Stillstand bringt oder versucht ein Ende zu setzen. Manchmal sind auch mehrere Bücher dazu notwendig. India Song und Son nom de Venise dans Calcutta désert waren nötig, um La femme du Gange zu Ende zu bringen und zugleich das Schreiben abzuschließen. Mit diesem Kino tötet Marguerite Duras ihre Personen. Sie erklärt sich selbst zur Mörderin der Anne-Marie Stretter und trauert um sie (vgl. Borgomano, 1988: 253). Dies ist jedoch nur ersichtlich, wenn man die Entwicklung ihrer Werke kennt. Marguerite Duras geht es in jedem Fall darum zu verweigern und zu zerstören, aber vor allem um die gezielte Verwirrung des Zuschauers. Diese Filme sind nicht als Adaptionen zu betrachten. Versucht man ihnen chronologisch zu folgen, wird man enttäuscht, da es keine Chronologie gibt und das Erhoffte nicht eintritt oder man nur verwirrt wird. Der Zuschauer sollte sich deshalb auf ihren Stil einlassen, der seine Imaginationskraft weckt. Nach der Zerstörung der reellen Gegebenheiten, schreibt Madeleine Borgomano, entsteht eine Faszination durch die ungewöhnliche Darstellung, die Langsamkeit, den Rhythmus der Stimmen aus dem Off und die enttäuschte Erwartung. Diese Aussage lässt sich nicht auf jeden Menschen beziehen, aber mit Sicherheit auf diejenigen, die sich darauf einlassen und Gefallen an der ungewohnten Darstellungsart finden. Borgomano beschreibt Duras` Zerstörung als eine „eigentümliche und nicht gewaltsame Form der Zerstörung [die eher] einem Initiationsritus [gleicht], einer Durchquerung des Todes, die nichts Negatives an sich hat, auch wenn sie in ein ganz und gar unbestimmtes Unbekanntes mündet.“ (Borgomano, 1988: 253). Sollte die Zerstörung von gewaltsamem Charakter sein, würde eine Darstellung durch schnelle Bewegungen, allgemein mehr Lebendigkeit, und eventuelle Verzweiflung der Darsteller diese Intention treffender zum Ausdruck bringen. An anderer Stelle schreibt Borgomano: «vide et mort deviennent jouissance (...) ou ravissement.» (Borgomano, 1985: 50). Diese Aussage ist besonders treffend in Bezug auf die Person der Bettlerin, die sich in ihrer Verrücktheit bzw. in ihrem Tode wohl zu fühlen scheint (genauer in 4.4). Feldvoß gibt an, dass der vorangetriebene Zerstörungsauftrag der Zerstörung einer traumatisch besetzten Erinnerung galt und bezeichnet diese Vorgehensweise als eine Art symbolischen Selbstheilungsprozess (vgl. Feldfoß, 1988: 275).
4 Le Vice-consul
Das Buch beginnt im Buch, indem Peter Morgan über die Wanderung der Bettlerin schreibt. In der Geschichte gibt es die Erzählebene über diese Wanderung im Präsens und die über den Vize-Konsul. Die beiden Geschichten sind nicht klar voneinander abgegrenzt sondern überlagern sich z.B. dadurch, dass die Bettlerin in beiden präsent ist. Des Weiteren kommt es zu verschiedenen Sichtweisen: «[L]e texte présente à la fois la vision intérieure d`un personnage et le ragard des
autres personnages» (Carruggi, 1995: 67). Diese Darstellungsweise bezieht sich auf alle primären Personen des Buches. Sie werden nicht genau beschrieben oder dem Leser einführend vorgestellt sondern bleiben im Prinzip so fremd wie am Anfang, wodurch keine Identifikation stattfindet (vgl. Carruggi, 1995: 72). Teils erfährt der Leser bei voranschreitender Lektüre anhand von Gesprächen mehr über die Personen, ansonsten ergänzt er sich die fehlenden Punkte durch Fiktion. Borgomano spricht von «textes-traces [qui] dérangent, inquiètent, déstabilisent, mais, par là, provoquent intensément l`imaginaire.» (Borgomano, 1985: 46). Duras` Art zu schreiben ist einerseits sehr verständlich, auf der anderen Seite jedoch geheimnisvoll. Das Geheimnisvolle an der Geschichte ist das Geheimnis um den Vize-Konsul und Lahore sowie um Anne-Marie Stretter. Wichtig dabei ist eine Verbindung mit dem Unbegreiflichen und dem Tod. «(...) Être et Non-être deviennent une seule et même chose. (Carruggi, 1995: 148) Le Vice-consul présente trois «morts dans une vie en cours» et l`état de vie rejoint l`état de mort.» (Carruggi, 1995: 149). Hier befindet sich erneut das Thema des Todes anhand der Personen. Aspekte der Zerstörung und des Todes sind, wie bereits erwähnt, auch in den Beschreibungen bzw. in der Darstellung der Natur vorzufinden.
[...]
[1] Texte théâtre film, India Song, Paris, Gallimard, 1973.
[1] Le Vice-consul, Paris, Gallimard, 1966.
- Quote paper
- Angelina Kalden (Author), 2003, Das Thema der Zerstörung und des Todes bei Marguerite Duras, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15027
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.