Am 17. Juli 1998 wurde das Römische Statut über die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) von der diplomatischen Bevollmächtigungskonferenz verabschiedet. Dabei stimmten 120 Nationen dem Statut zu, während sich 21 enthielten und 7 dagegen votierten. Bis zum Jahr 2002 ratifizierten 60 Staaten das Statut, woraufhin der Gerichtshof am 1. Juli 2002 seine Arbeit aufnehmen konnte. Bemerkenswert ist nicht nur die in der internationalen Rechtsgeschichte neuartige Form eines Gerichtshofes, sondern auch die Frontenbildung während der Verhandlungen im Vorfeld der Romkonferenz zwischen der Like-Minded-Group (LMG) und der P5-Group (benannt nach den 5 ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - UNSC). Während sich die LMG für einen starken und unabhängigen Gerichtshof aussprach, zielten die Bemühungen der P5-Group auf einen schwachen IStGH ab. Die beiden Verhandlungsparteien waren sich zwar über die grundsätzliche Errichtung eines internatio-nalen Gerichts einig, doch die genaue Ausgestaltung war heftig umstritten. Im Folgenden wird, mit Hilfe des Neorealismus die (Nicht-)Kooperation (abhängige Variable) im Vorfeld der Römischen Konferenzen, erklärt und die Erklärungskraft der Theorie überprüft werden. Dazu wird zunächst die Entstehung des Konflikts um den IStGH aufgezeigt, anschließend die Denkschule des Neorealismus vorgestellt und anhand derer der vorliegende Fall überprüft. Die Ausführung wird sich auf die Zeit bis zur Konferenz von Rom und auf die beiden genannten, wesentlichen Konfliktparteien beschränken.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Entstehung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH)
2.1 Konfliktursprung und Konfliktverlauf
2.2 Die Konfliktparteien
2.2.1 Like-Minded-Group (LMG)
2.2.2 Die P5-Group
3. Der Neorealismus
3.1 Der defensive Neorealismus
3.1.1 Die Struktur des internationalen Systems
3.1.2 Die Akteure im internationalen System
3.2 Der offensive Neorealismus nach John J. Mearsheimer
4. Die Hypothesen
4.1 Hypothese „Hegemonic Leadership“
4.2 Hypothese “Bandwagoning Behavior or Balancing Behavior”
4.3 Hypothese „relative gains“
5. Operationalisierung und Hypothesentest
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Am 17. Juli 1998 wurde das Römische Statut über die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) von der diplomatischen Bevollmächtigungskonferenz verabschiedet. Dabei stimmten 120 Nationen dem Statut zu, während sich 21 enthielten und 7 dagegen votierten.[1] Bis zum Jahr 2002 ratifizierten 60 Staaten das Statut, woraufhin der Gerichtshof am 1. Juli 2002 seine Arbeit aufnehmen konnte.[2]
Bemerkenswert ist nicht nur die in der internationalen Rechtsgeschichte neuartige Form eines Gerichtshofes, sondern auch die Frontenbildung während der Verhandlungen im Vorfeld der Romkonferenz zwischen der Like-Minded-Group (LMG) und der P5-Group (benannt nach den 5 ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - UNSC). Während sich die LMG für einen starken und unabhängigen Gerichtshof aussprach, zielten die Bemühungen der P5-Group[3] auf einen schwachen IStGH ab. Die beiden Verhandlungsparteien waren sich zwar über die grundsätzliche Errichtung eines internationalen Gerichts einig, doch die genaue Ausgestaltung war heftig umstritten.[4]
Im Folgenden wird, mit Hilfe des Neorealismus die (Nicht-)Kooperation (abhängige Variable) im Vorfeld der Römischen Konferenzen, erklärt und die Erklärungskraft der Theorie überprüft werden. Dazu wird zunächst die Entstehung des Konflikts um den IStGH aufgezeigt, anschließend die Denkschule des Neorealismus vorgestellt und anhand derer der vorliegende Fall überprüft. Die Ausführung wird sich auf die Zeit bis zur Konferenz von Rom und auf die beiden genannten, wesentlichen Konfliktparteien beschränken.
2. Die Entstehung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH)
2.1 Konfliktursprung und Konfliktverlauf
Nach dem Ende des 1. Weltkrieges gab es erste Bestrebungen die deutschen Kriegsverbrecher (u.a. Wilhelm II.) vor einem internationalen Gericht zur Rechenschaft zu ziehen. Die verweigerte Kooperation der Niederlande, in der der ehemalige deutsche Kaiser im Exil lebte, verhinderte dies jedoch. Erst die Ereignisse des 2. Weltkrieges veranlassten die alliierten Siegermächte zur Durchführung von Kriegsverbrecherprozessen.[5]
Mit dem Aufkommen des Kalten Krieges schwanden alle Möglichkeiten, bei diesem Thema einen realistischen Konsens zu erzielen. Die Idee eines IStGH wurde erst im Jahr 1989 wieder aufgegriffen. Der Karibikstaat Trinidad und Tobago schlug während einer Sondersitzung der „General Assembly“ (GA) der Vereinten Nationen zum transnationalen Drogenhandel vor, einen solchen Gerichtshof einzurichten, um Staaten bei der Strafverfolgung behilflich zu sein. Die GA beauftragte daraufhin die „International Law Commission“ (ILC) mit der Ausarbeitung eines Vorschlags für einen IStGH. Der Entwurf sah einen eher schwachen, an den UNSC gebundenen Gerichtshof. Dieser Aufbau hätte zwar die internationale Souveränität der teilnehmenden Staaten in großen Teilen erhalten, die Arbeit des Gerichtshofs jedoch gelähmt. Als Reaktion auf den Balkankrieg und die dabei verübten massiven Gräueltaten entschied der UNSC im Jahr 1993, ein „International Criminal Tribunal“ für das ehemalige Jugoslawien einzurichten (ICTY). Nur ein Jahr später wurde ein ähnliches Tribunal als Reaktion auf den Völkermord in Ruanda eingesetzt (ICTR). Vor diesem Hintergrund reagierte die GA auf den Entwurf des ILC und ließ im Jahr 1995 einen „Ad-Hoc-Ausschuss“ und ein Jahr später ein „Preparatory Comitee“ (PrepCom) gründen, um den Vorschlag zu prüfen, zu diskutieren und auszuarbeiten. Anstatt sofort einen Konsens zu erzielen, produzierten die Delegierten aus über 100 Nationen eine 300 Seiten fassende Aufstellung von gegensätzlichen und auseinandergehenden Vorschlägen. Dabei trat das Problem auf, dass das Expertenwissen zwischen den einzelnen Delegationen enorm schwankte. Während mächtige, reiche Länder Delegationen mit 10 oder mehr Mitgliedern entsenden konnten, schickten Entwicklungsländer oft nur einen oder zwei Delegierte (größere Delegationen konnten sich logischerweise mit mehr Angelegenheiten intensiver befassen). Entwicklungs- und Schwellenländer (aus Afrika, Lateinamerika und Zentral- und Osteuropa) konnten so nicht effektiv an den Beratungen teilhaben. Deshalb begann die LMG in enger Zusammenarbeit mit der „Coalition for the International Criminal Court“ (CICC), regionale Konferenzen einzuberufen, um den allgemeinen Wissensstand zu verbessern und um effektiver auf die Positionen der Entwicklungs- und Schwellenländer eingehen zu können. Die so organisierten Treffen und Konferenzen, die nicht formal gebunden waren, sondern eher einem freien Gedanken- und Meinungsaustausch dienen sollten, legten den Grundstein für das Romstatut.[6]
Dieses regelnde Statut für den künftigen IStGH wurde auf der Konferenz in der italienischen Hauptstadt in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli von 120 Staaten verabschiedet (21 Enthaltungen und 7 Gegenstimmen à USA, Israel, China, Jemen, Katar, Libyen und der Irak).[7] Das Statut unterschied sich grundlegend vom Entwurf der ILC. Der künftig in Den Haag ansässige IStGH sollte über Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen urteilen.[8]
2.2 Die Konfliktparteien
2.2.1 Like-Minded-Group (LMG)
Sie forderte einen starken, unabhängigen Gerichtshof mit einem unabhängigen Ankläger (Staatsanwalt), mit eingeschränkter Macht bzw. Zugriff des Weltsicherheitsrates dem IStGH Fälle zuzuschreiben sowie automatische Gerichtsbarkeit in den Kernverbrechen (Kriegsverbrechen, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit). Die Forderungen der P5 verstand man als Politisierung des Gerichtshofes und übertriebene Einmischung in die Tätigkeit einer juristischen Institution.[9]
Während einige Staaten gar keinen Gerichtshof wollten (z.B. Syrien und Israel) hatten andere im Jahr 1997 noch keine feste Meinung und unterstützten sowohl die LMG als auch die P5-Group. Zu Beginn der Romkonferenz hatte die Mehrheit sich jedoch den Ansichten der LMG angeschlossen (besonders die „Southern African Development Community“, westafrikanische Staaten und Teile der „RIO-Group“ bestehend aus 18 Lateinamerikanischen Staaten).
2.2.2 Die P5-Group
Unter der Führung der fünf ständigen Mitglieder des UNSC (USA, UK, China, Russland, Frankreich) favorisierte diese Gruppe einen am Entwurf der ILC orientierten Ad-Hoc-Gerichtshof. Solch ein IStGH wäre stark vom Sicherheitsrat abhängig gewesen. Jede Ermittlung oder Prozessaufnahme hätte vom Rat bewilligt werden müssen. Zudem lehnte die P5-Group einen ex officio Staatsanwalt und die automatische Gerichtsbarkeit ab. Viel mehr favorisierten sie mehrere verschiedene Eintritts- oder Austrittsklauseln für Staaten oder ein staatliches Bewilligungssystem (state-consent-mechanism), um die Gerichtsbarkeit des ICC festzulegen. Im Grunde wollte sie ein permanentes Ad-Hoc-Tribunal.[10]
[...]
[1] Vgl. Nicole Deitelhoff, The Discursive Process of Legalization: Charting Islands of Persuasion in the ICC Case, in: International Organization (2009) 63, Cambridge University Press, S. 33-65
[2] Vgl. Nicole Deitelhoff, Angst vor Bindung? Das ambivalente Verhältnis von Demokratien zum Internationalen Strafgerichtshof, in: HSFK, Standpunkte – Beiträge zum demokratischen Frieden, Nr. 5/2002, S. 1-12
[3] In dieser Fallanalyse wird die Position der P5-Group auf die des maßgeblichen Einzelakteurs USA beschränkt.
[4] Vgl. Nicole Deitelhoff (2002), S. 1-12
[5] Vgl. Caroline Fehl, Explaining the International Criminal Court: A `Practise Test` for Rationalists and Constructivists Approaches, in: European Journal of International Relations, 2004; 10; S. 357-397
[6] Vgl. Nicole Deitelhoff (2009), S. 33-65
[7] Vgl. Ebd., S. 33-65
[8] Vgl. Nicole Deitelhoff (2002), S. 1-12
[9] Diese Gruppe umfasste zur Zeit der Einsetzung des PrepCom in etwa 40 Staaten, darunter fast alle europäischen Länder mit Ausnahme von Großbritannien und Frankreich. Im Laufe der Verhandlungen wuchs die Gruppe auf über 60 Staaten an und auch Großbritannien stellte sich auf die Seite der LMG. (Vgl. Nicole Deitelhoff (2002), S. 1-12
[10] Vgl. Nicole Deitelhoff (2009), S. 33-65
- Arbeit zitieren
- Felix Wellisch (Autor:in), 2010, Die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149957
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.