1956 erschien von Robert Jungk das Buch „Heller als tausend Sonnen“, das sich mit der Entwicklung der Atombombe (dem Manhattan-Projekt) und dem Schicksal der daran beteiligten Forscher befasste. Dürrenmatt verfasste 1957 eine Rezension dieses Buchs für „Die Weltwoche“ und baute seine Gedanken später in „Die Physiker“ ein.
Mit diesem Stück sollte Dürrenmatt einen Erfolg von Weltrang erlangen. Die Genesis dieser arglistigen Komödie fiel in die Zeit des Baus der Berliner Mauer, der Zeit des Kalten Krieges und nur unerhebliche Monate nach der Uraufführung sollte es zur Kuba-Krise kommen. Am 21. Februar 1962 findet die Uraufführung im Züricher Schauspielhaus statt. Die Weltformel ward von dem genialen Physiker Möbius entdeckt worden. Dieser fürchtet sich jedoch diese Erkenntnis zur Vernichtung der Erde in die Hände einer moralisch degenerierten Menschheit fallen zu lassen. Möbius versteckt sich vor den Folgen seiner Forschungen in der Nervenheilanstalt und spielt den Irren. Was er aber nicht weiß ist, dass zwei politische Geheimdienste ihm auf der Spur sind. Am Ende bleibt nur eine Erkenntnis: Was einmal je gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.
Medienberichte über eine so genannte neue atomare Bedrohung im Nahen Osten lassen „Die Physiker“ in neuem Licht erscheinen, auch die Entwicklung der Gentechnologie stellt erneut und verstärkt die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft, was nicht zu letzt als Anreiz gesehen werden kann, sich erneut mit diesem brisanten Theaterstück auseinander zu setzen.
Die vorliegende Hausarbeit widmet sich unter Berücksichtigung des historischen Kontexts thematischen und formalen Aspekten des Schauspiels „Die Physiker“. Wichtigsten theoretische und dramaturgische Merkmale der vom Autor entwickelten Theaterform sollen dabei aufgegriffen werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. „Die Physiker“ im Blickwinkel der Dramentheorie
2.1. Bauelemente des Dramas und dramaturgische Begriffe
2.2 Theorie und Wirkungsabsicht des Dramas
3. „Die Physiker“ – Ein Deutungsversuch
4. Ausblick
5. Literaturabgaben
1. Vorwort
1956 erschien von Robert Jungk das Buch „Heller als tausend Sonnen“, das sich mit der Entwicklung der Atombombe (dem Manhattan-Projekt) und dem Schicksal der daran beteiligten Forscher befasste. Dürrenmatt verfasste 1957 eine Rezension dieses Buchs für „Die Weltwoche“ und baute seine Gedanken später in „Die Physiker“ ein.
Mit diesem Stück sollte Dürrenmatt einen Erfolg von Weltrang erlangen. Die Genesis dieser arglistigen Komödie fiel in die Zeit des Baus der Berliner Mauer, der Zeit des Kalten Krieges und nur unerhebliche Monate nach der Uraufführung sollte es zur Kuba-Krise kommen. Am 21. Februar 1962 findet die Uraufführung im Züricher Schauspielhaus statt. Die Weltformel ward von dem genialen Physiker Möbius entdeckt worden. Dieser fürchtet sich jedoch diese Erkenntnis zur Vernichtung der Erde in die Hände einer moralisch degenerierten Menschheit fallen zu lassen. Möbius versteckt sich vor den Folgen seiner Forschungen in der Nervenheilanstalt und spielt den Irren. Was er aber nicht weiß ist, dass zwei politische Geheimdienste ihm auf der Spur sind. Am Ende bleibt nur eine Erkenntnis: Was einmal je gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.
Medienberichte über eine so genannte neue atomare Bedrohung im Nahen Osten lassen „Die Physiker“ in neuem Licht erscheinen, auch die Entwicklung der Gentechnologie stellt erneut und verstärkt die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft, was nicht zu letzt als Anreiz gesehen werden kann, sich erneut mit diesem brisanten Theaterstück auseinander zu setzen.
Die vorliegende Hausarbeit widmet sich unter Berücksichtigung des historischen Kontexts thematischen und formalen Aspekten des Schauspiels „Die Physiker“. Wichtigsten theoretische und dramaturgische Merkmale der vom Autor entwickelten Theaterform sollen dabei aufgegriffen werden.
Das erste Kapitel der Ausarbeitung widmet sich eben jenem theoretischen Teil, die Dramentheorie. Unter dem Abschnitt „2.1 Bauelemente des Dramas und dramaturgische Bergriffe“ sollen allgemeingültige Termini erklärt und wenn möglich auf das Konzept Dürrenmatts und explizit auf „Die Physiker“ übertragen werden. Besonders das antike Drama nach Aristoteles und dessen drei Einheiten von Ort, Zeit und Handlung stehen dabei im Fordergrund. Gefolgt wird dieses Unterkapitel von den Untersuchungen von „2.2 Theorie und Wirkungsabsicht des Dramas“. Chronologisch der Historie folgend werden hier Wirkungsabsichten und Dramenkonzeptionen von Aristoteles, über Lessing bis zum epischen Theater Brechts skizziert. Teils im Vergleich, teils in Abgrenzung dazu dient dieses Kapitel vor allem der Darstellung Dürrenmatts eigenen Gedankengängen zum Drama. Insbesondere Dürrenmatts Wirklichkeitsidee, Welt- und Geschichtsvorstellung, die untrennbar mit dem Symbol des Labyrinths verbunden ist, soll erarbeitet werden. Eine exponierte Stellung nimmt der das Absurde in der Dramentheorie Dürrenmatts ein und soll auch als solches besonderes in die Betrachtung einfließen.
Im dritten und vorletzten Kapitel sollen eben jene erarbeiteten theoretischen Ansätze auf das Theaterstück „Die Physiker“ übertragen und dieses auf Basis dieses Wissens und unter Berücksichtigung des historischen Hintergrunds, interpretiert werden.
2. „Die Physiker“ im Blickwinkel der Dramentheorie
2.1. Bauelemente des Dramas und dramaturgische Begriffe
„Die Physiker“ sind als Drama angelegt. Das heißt, es handelt sich um ein Durchspiel von Lebensmöglichkeiten, einer Darstellung einer Textvorlage im Bühnenraum, deren Textfunktion durch einen Regisseur, Schauspieler und dem Publikum erweitert wird. Elementares Motiv dieser Dichtkunst ist die „mimesis“, ein Begriff aus der Dramentheorie des Aristoteles, was so viel heißt wie Nachahmung oder Übersetzung. Jener Übersetzungsvorgang dient dazu, dass Grausame auf die Bühne zu bringen und so diskutierbar zu machen, womit es einen eigen Wirkungscharakter erhält. Ziel der „Mimesis“ ist das Erwirken eines Lernprozesses.
Um diese Gattung noch genauer zu fassen kann zwischen dem „Zieldrama“, welches auf einen zukünftigen Höhepunkt hinkonzentriert ist und dem „Analytischem Drama“, bei dem das entscheidende Ereignis dem Stück voraus geht, unterscheiden. Dass es auch Zwischenformen gibt ist natürlich nicht ausgeschlossen. Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ kann man wohlmöglich zunächst für ein „analytisches Drama“ halten, da es zunächst um einen Kriminalfall zu handeln scheint, dem das entscheidende Ereignis, also der Mord schon voraus gegangen ist. Schnell zeigt sich jedoch, dass dem nicht so ist. Dieser Gewaltakt ist nämlich nur Teil einer längeren Handlungsverkettung ist, welche zum eigentlich Kern, bzw. Höhepunkt des Dramas führt, nämlich dem Moment in dem sich die Physiker erkennen und mit der moralischen Frage der Wissenschaft konfrontiert sind.[1]
Das antike Drama wird in zwei Grundformen unterteilt, dabei handelt es sich zum einen um die Tragödie, dem Trauerspiel und zum anderen um die Komödie dem Lustspiel. Ersteres wird so hingehend definiert, als das es sich bei der Tragödie um die Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen Handlung in anziehend geformter Sprache (meist Alexandriner und sechshebiger Jambischer Vers) handelt. Die Ständeklausel diktierte, dass die Hauptfiguren des Stückes von hoher Herkunft und vom Glück bedacht seien, was die Intensivierung der Fallhöhe drastisch steigert. Doch schon bei Lessing im bürgerlichen Trauerspiel ward schon die Ständeklausel, zu Gunsten von mehrdimensionalen Charakteren, die nur zum Teil die Verantwortung für ihre „harmatia“ (Verfehlung) zu tragen hatten. Diese Öffnung des Dramas führte allerdings auch zu einer Öffnung der Sprache.[2]
Die Komödie, die Definition folgt noch immer der aristotelischen Dramenkonzeption, hingegen diente der Darstellung des Gemeinem, Lächerlichem, Hässlichem und Zufälligem. Die Überspitzung diente dem Amüsierzweck. Dürrenmatt nennt sein Drama „Die Physiker“ selbst eine Komödie, wie aus der Überschrift hervorgeht: „Die Physiker. Eine Komödie in zwei Akten.“[3] Bei diesem Hinweis soll es jedoch zunächst belassen werden und erst später im Rahmen einer Stilmittelanalyse auf dieses Komödiantische eingegangen werden.
Neben dieser Einteilung in Komödie und Tragödie kannte das antike Drama kannte eine feste Einbindung in die Einheit von Handlung, Raum und Zeit. Auch hier folgt Dürrenmatt der aristotelischen Norm:
„[…] Die Einheit des Aristoteles ist die Forderung nach größter Präzision, größter Dichte und größter Einfachheit der dramatischen Mittel. Die Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung wären im Grunde ein Imperativ, den die Literaturwissenschaft dem Dramatiker stellen müsste […]“
Die Einheit der Handlung definiert sich in sofern, als das eine Geschlossenheit und die Konzentration der Handlung vorausgesetzt wird. Verlangt wird die Darstellung einer abgeschlossenen und kompletten Handlung, die eine Kohärenz des Ganzen verlangt. So das einzelne Teile nicht ausgelassen oder ausgetauscht werden dürfen. Diese Reihenfolge des Handlungsstrangs ist fester normativer Richtlinie unterworfen. Am Anfang steht die „Exposition“, also die Einführung des Zuschauers in die Ausgangssituation, Charaktere, Ort, usw. In „Die Physiker“ dient der, der ersten Handlung vorangestellter längere Nebentext[4] von vier Seiten, vor allem der „Exposition“. Hier wird eingehend das Sanatorium „Les Cerisiers“ und das angrenzende Umland beschrieben.[5]
„Ort: Salon einer bequemen, wenn auch etwas verlotterten Villa des privat Sanatoriums >Les Cerisiers<.“
Nähere Umgebung: Zuerst natürliches, dann verbautes Seeufer, später eine mittlere, bainahe kleinere Stadt“[6]
Dies sind die ersten Sätze des Nebentextes mit denen Dürrenmatt die Komödie beginnen lässt. Zum einen weißt diese Passage des Nebentextes typische Merkmale der „Exposition“ auf. Nämlich die Einführung des Zuschauers in den Ort.[7] Zum anderen ist diese Passage des Nebentextes jedoch auch im Hinblick auf die Einheit des Ortes von Belang. Ein Aspekt auf den ich jedoch erst später eingehen werde. Zugleich werden aber auch schon einige Personen wie Fräulein Dr. h.c. med. Mathilde von Zahnd (kurz: Frl. Doktor) oder der Kriminalinspektor Richard Voß vorgestellt, so wie auch die Einführung in die Ausgangssituation und Vorgeschichte erfolgt.
[…] Wenn ich mich anschicke, eine Handlung zu schreiben, die sich, asgen wir, innerhalb zweier Stunden am selben Ort entwickeln und abspielen soll, so muß diese Handlung eine Vorgeschichte haben, und diese Vorgeschichte wird um so größer sein müssen, je weniger Personen mir zur Verfügung stehen. […]“
Genau dieser beschriebene Prozess erfolgt in der „Exposition“. In dem Theaterstück die Physiker zum größten Teil in jenem dem ersten Dialogen vorangestellten Nebentext:
„Einer von ihnen [den Physikern] erdrosselte vor drei Monaten eine Krankenschwester, und nun hat sich der gleiche Vorfall aufs Neue ereignet. So ist denn die Polizei wieder im Hause. […]“[8]
Gefolgt wird die „Exposition“ von der „Intrige“ also der Verwicklung. Die sowohl ein Konflikt steigerndes Moment, als auch die „Perepetie“, den Wendepunkt und das ratierende Moment enthält, in angegebener Reihenfolge, beinhaltet.[9] Der Wendepunkt der Handlung lässt sich bei Dürrenmatts Drama die Physiker leicht verorten, da er diesen kurz vor dem Wechsel zum zweiten Akt geschehen lässt.
„Er reißt den Vorhang herunter und über sie. Kurzer Kampf. Die Silhouetten sind nicht mehr sichtbar. Dann Stille. Die Türen von Zimmer Nummer 3 öffnet sich. Ein Lichtstrahl dringt in den Raum. Newton steht in der Türe im Kostüm seines Jahrhunderts. Möbius geht zum Tisch, nimmt die Manuskripte zu sich.
NEWTON Was ist geschehen?
MÖBIUS […] Ich habe Schwester Monika Settler erdrosselt.“[10]
„MÖBIUS Wer tötet ist ein Mörder, und wir haben getötet. […]“[11]
[...]
[1] B. JEßING, R. KÖHNEN 2003: S. 101
[2] ebd.: S. 100
[3] F. DÜRRENMATT 1998
[4] Nebentext = Titel, Motto, Regieanweisungen, Personenbeschreibungen. Nebentexte können sich zu eigenen epischen Einheiten entwickeln. Die dramatische Rede kennt neben dem Nebentext noch die Kategorie des Haupttextes. Diese wird in Dialog und Monolog (technischer, epischer, lyrischer und dramatischer Monolog und Reflexionsmonolg)
[5] B. JEßING, R. KÖHNEN 2003: S. 100
[6] F. DÜRRENMATT 1998: S. 13
[7] B. JEßING, R. KÖHNEN 2003: S. 100
[8] F. DÜRRENMATT 1998: S. 13
[9] B. JEßING, R. KÖHNEN 2003: S. 100
[10] F. DÜRRENMATT 1998: S. 53/ 1. Akt
[11] F. DÜRRENMATT 1998: S. 75/ 2. Akt
- Citar trabajo
- Magistra Artium Catrin Altzschner (Autor), 2008, Friedrich Dürrenmatts "Physiker" - Dramentheoretische Studien und Deutungsversuche, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149637
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