Medizinischer Fortschritt wird vor allem in der Intensivmedizin sichtbar. Deren Ergebnis basiert neben fachlich-medizinischen Aspekten auch auf ethischen, rechtlichen, sozialen und menschlichen Komponenten. Bei der Anwendung intensivmedizinischer Behandlungsmethoden an Patienten mit sog. terminalen Erkrankungen entfachen vielfältige Diskussionen. Es werden mögliche medizinische Konstellationen vorgestellt, bei denen beide Fakten, eine sog. terminale Erkrankung als auch der Einsatz der Intensivtherapie, auf einander treffen. Gründe für die Fortsetzung oder Begrenzung von intensivmedizinischen Maßnahmen in Grenzsituationen werden exemplarisch unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert. Dabei spielen medizinische Fakten, rechtliche Rahmenbedingungen, soziale Aspekte und ethische Wertvorstellungen eine ebenso wichtige Rolle wie subjektive Faktoren der handelnden Personen. Maßgeblich ist in jedem Fall die Festlegung von Behandlungs- bzw. Betreuungsalternativen für die Patienten.
Terminale Erkrankungen und Intensivtherapie
Der Segen der modemen Hochleistungsmedizin wird zweifelsohne im besonderen MaBe in der Intensivmedizin sichtbar. Kaum ein Organsystem, dessen Funktion nicht mittels medikamentoser oder technischer Losungen unterstutzt, intermittierend auch ersetzt werden kann. Selbst im manifesten Multiorganversagen bewirkt der zielgerichtete Einsatz des medizinischen Fortschritts nicht selten eine Zustandsverbesserung bis hin zur Genesung. Dieser Fortschritt ist aber jeweils nur so gut, wie das Wissen und Konnen der Personen ist, welche ihn einsetzen. Dazu gehoren neben fachlich- medizinischen Aspekten auch ethische, rechtliche, soziale und menschliche/ charakterliche Komponenten. Medizinischer Fortschritt wird im materiellen als auch im ideellen Sinne teuer erkauft. Es ist ein gehoriges MaB an Verantwortungsbewusstsein der handelnden Personen notwendig, um den hohen Erwartungen der betroffenen Patienten, ihrer Angehorigen, aber auch des medizinischen und nicht-medizinischen Personals in Bezug auf Anwendung und Behandlungsergebnisse der Intensivmedizin gerecht zu werden. Der Bereich von so genannten terminalen Erkrankungen ist davon besonders betroffen. Emotional gefuhrte Diskussionen prallen auf Sachargumente, Ratio trifft Emotion!
Wenn auch theoretisch jede Diskussion schon vor Beginn geklart zu sein scheint: spatestens wenn aus dem abstrakten Beispiel ein konkreter medizinischer Behandlungsfall wird, gewinnt die Komplexitat und Individualitat des Lebens eine ungeahnte Dimension, sprengt sie jede Einfachheit aber auch Logik. Dementsprechend vielschichtig sind auch die Betrachtungsweisen dieser Thematik.
Im Folgenden werden mogliche medizinische Konstellationen vorgestellt, bei denen beide Fakten, eine sog. terminale Erkrankung als auch der Einsatz der Intensivtherapie, auf einander treffen. AnschlieBend werden exemplarisch Grunde fur die Fortsetzung oder Begrenzung von intensivmedizinischen MaBnahmen in Grenzsituationen unter verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert. Dabei spielen medizinische Fakten, rechtliche Rahmenbedingungen, soziale Aspekte und ethische Wertvorstellungen eine ebenso wichtige Rolle wie subjektive Faktoren der handelnden Personen.
Im Rahmen einer Begriffsbestimmung wird man uber die Bezeichnung „terminale Erkrankung“ stolpern. Gemeint ist im Rahmen dieses Beitrags eine Erkrankung, welche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in ihrem naturlichen Krankheitsverlauf zu einem vorzeitigen Lebensende in absehbarer Zeit fuhren wird. Sich vor Augen haltend, dass der naturliche Verlauf dieser eigentlich todlichen Erkrankung medizinisch beeinflusst wird, erleichtert den Umgang mit der Thematik.
In welchen Situationen ware ein Zusammentreffen zwischen terminalen Erkrankungen und einer modernen Intensivtherapie vorstellbar?
Liegt bereits eine terminale Erkrankung vor, kann durchaus die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung entstehen. Dies ware der Fall, wenn die Grunderkrankung zwar besteht, die infauste Prognose derselben jedoch zum Zeitpunkt der Aufnahme einer Intensivtherapie nicht bekannt ist. Haufig ist dies im Rahmen der Akutbehandlung von aktuell nicht kontaktierbaren, unbekannten Patienten der Fall, die im Rahmen der Notfallmedizin zur stationaren Aufnahme auf eine Intensivstation gelangen.
Beispiel 1: Der 38-jahrige Patient Dirk E. gelangte nach Wochen der zunehmenden korperlichen Schwache im Rahmen einer Atemwegsinfektion zur stationaren Aufnahme uber die Notaufnahme eines Krankenhauses. Die klinische Situation und die medizinisch-technischen Untersuchungsbefunde ergaben die Diagnose einer ambulant erworbenen Pneumonie. Es erfolgte die intensivmedizinische Behandlung unter anderem mittels Respiratortherapie. In den folgenden Tagen setzte nach mehrmaliger Entfernung des orotrachealen Tubus jedes Mal erneut eine langsam zunehmende respiratorische Insuffizienz mit ausgepragtem Sekretverhalt ein. Letztlich erfolgte eine weiterfuhrende Diagnostik. Diese ergab als Ursache der rezidivierenden Ateminsuffizienz eine Amyotrophe Lateralsklerose.
Intensivmedizinischer Behandlungsbedarf bei Patienten mit terminalen Erkrankungen entsteht aber nicht nur bei unbekannter infauster Prognose. Die Moglichkeiten der modernen Intensivtherapie haben eine Reihe von operativen Interventionen bei Schwerkranken erst ermoglicht. Besonders im Rahmen der Tumorchirurgie werden mittlerweile Operationen durchgefuhrt, die betroffenen Patienten auch ohne realistische Heilungschance ein Stuck Lebensqualitat zuruckgeben. Beispielhaft konnen hier Behandlungen bei entstellenden Tumoren genannt werden. Bei diesen Patienten ist ein operativer Eingriff zur Leidenslinderung nur bei entsprechender intensivmedizinischer Nachbetreuung moglich. Auch eventuelle Komplikationen des Eingriffes werden, soweit moglich, intensivmedizinisch versorgt.
Beispiel 2: Frau Doris L., 46 Jahre alt, erhielt nach Diagnostik eines fortgeschrittenen Karzinoms der linken Kieferhohle und der Wangenschleimhaut am 26.05.2005 die operative Entfernung des Tumorgewebes mit Oberkieferresektion, Rekonstruktion des Orbitarandes und Neck dissection. Anschliefiend wurde die Patientin auf der Intensivstation aufgenommen. Nach zunachst nicht moglicher Extubation infolge deutlicher Schwellungstendenz der oberen Atemwege gelang nach wenigen Tagen das Weaning vom Respirator mit anschliefiender Extubation. Die Patientin wurde am 31.05.2005 auf eine Normalstation des Hauses verlegt. Am 01.06.2005 kam es nachts zu einer plotzlichen Nachblutung aus dem Operationsgebiet. Es wurde eine sichere Blutaspiration und resultierende Hypoxie vermutet. Die Patientin wurde erneut intubiert, kontrolliert beatmet und operativ versorgt. Dabei war auf dem Weg in den Operationstrakt kurzzeitig eine Kompression der A. carotis communis links zur Verringerung der massiven Blutung notwendig. Nach Stabilisierung der Vitalfunktionen wahrend der folgenden intensivmedizinischen Behandlung wurde die Analgosedierung beendet. Bei der Patientin imponierten nun klinisch eine Hemiplegie rechts und eine globale Aphasie. Als morphologisches Korrelat ergab die craniale Computertomographie (CCT) einen Stammganglieninfarkt links.
Es bestehen in der taglichen Praxis auch andere Konstellationen eines Zusammentreffens zwischen terminalen Erkrankungen und Intensivtherapie. Dies trifft vor allem fur den intensivmedizinischen Behandlungsbedarf bei sich erst im Verlauf der Therapie entwickelnder infauster Prognose der Grunderkrankung zu.
Beispiel 3: Der 79-jahrige Herr Bernhard. F. wurde am 16.03.2004 wegen Teerstuhl in der Inneren Abteilung einer Klinik stationar aufgenommen. Zusatzliche wurde ein akuter Myokardinfarkt gesichert. Es trat ein prolongierter kardialer Schock bei schwer gestorter linksventrikularer Pumpfunktion auf. Der Patient wurde nach Verlegung an ein Universitatsklinikum einer percutanen Koronarintervention unterzogen. Anschliefiend erfolgte bei fortbestehendem low cardiac output die intensivmedizinische Versorgung mit einer differenzierten, hochdosierten Katecholamintherapie, einer Respiratortherapie sowie der Anlage einer intraaortalen Ballongegenpulsation (IABP). Bei akutem prarenalem Nierenversagen wurde ein kontinuierliches Nierenersatzverfahren angewandt. Nach weiteren interventionspflichtigen Komplikationen lag die Endsituation einer schweren Herzinsuffizienz, eines rezidivierenden Nierenversagens und konsekutiv einer respiratorischen Insuffizienz vor. Katecholamin-, Respirator- und Nierenersatzbehandlungen wurden wiederholt eingesetzt. Phasen ohne mindestens eines der genannten Verfahren bestanden nicht mehr. Der Patient ist bewusstseinsklar sowie uneingeschrankt kritik- und entscheidungsfahig.
Eine weitere Situation ergibt sich, wenn aufgrund eines nicht infaust prognostizierten Krankheitsbildes bereits eine Intensivtherapie erfolgreich durchgefuhrt wird und in der Genesungsphase eine Neuerkrankung einsetzt, welche in kurzester Zeit lebensbegrenzend sein wird.
Beispiel 4: Johannes B. wurde im Alter von 83 Jahren im August 2003 an einem kleinen meningothelialen Meningeom WHO-Grad I operiert. Dies war trotz verschiedener kardio-vaskularer Vorerkrankungen mittlerweile seine funfte Operation innerhalb der letzten 10 Jahre. Der postoperative Verlauf war komplikationsfrei. Am Tag der Entlassung von der Intensivstation kam es zu einer plotzlichen Vigilanzminderung und begleitenden Oxygenierungsstorungen. Der Patient zeigte einen Herdblick nach links und eine Hemiparese rechts. In der sofort eingeleiteten radiologischen Diagnostik konnte keine cerebrale Ischamie gefunden und eine intrakranielle Blutung ausgeschlossen werden. Bei zunehmender Symptomatik mit Schluckstorung und stattgehabten Aspirationen wurde eine Intubation und Respiratortherapie eingeleitet. Eine rechtsseitige Pneumonie wurde diagnostiziert und behandelt. Die anschliefiend durchgefuhrte CCT-Kontrolle bestatigte nun den klinischen Befund. Es zeigte sich eine komplette supratentorielle cerebrale Ischamie, eine zusatzliche Subarachnoidalblutung mit Einbruch in das Ventrikelsystem sowie vollstandig aufgebrauchte aufiere und innere Liquorraume.
Zusammentreffen zwischen terminalen Erkrankungen und Intensivtherapie
intensivmedizinischer Behandlungsbedarf bei vorbestehender terminaler Erkrankung und
- a) unbekannter infauster Prognose (z. B. im Rahmen der Akutbehandlung)
- b) bekannter infauster Prognose (z. B. postinterventionell)
intensivmedizinischer Behandlungsbedarf bei sich entwickelnder infauster Prognose durch
- a) Verlauf der Grunderkrankung
- b) Neuerkrankung
Ermittlung von intensivmedizinischen Therapiezielen bei terminalen Erkrankungen
In Zusammenschau der dargestellten Situationen ergeben sich vielfaltige Fragen. Diese betreffen den medizinischen, ethischen, sozialen und auch rechtlichen Rahmen von durchgefuhrten oder auch unterlassenen Therapien im Zuge der intensivmedizinischen Behandlung. Sinnvoll ist es durchaus zu bedenken, dass jede medizinische Behandlung nicht dem Selbstzweck dient, stur und unkritisch einem Automatismus folgt. Dies ist in Zeiten von clinical pathways, leitliniengerechten Therapien und Standardisierungen nicht immer selbstverstandlich. Trotzdem sollten sich sowohl Gedanken zur Therapiebegrenzung [Brody et al. 1997] als auch zur Therapiefortsetzung eher am angestrebten Ziel als am eingeschlagenen Weg orientieren. Somit kommt der Ermittlung des Therapieziels grofite Bedeutung zu.
Steht nach dem Wissensstand der Behandelnden eine terminale Erkrankung fest, so haben sich die folgenden Therapien nicht nur am medizinisch Moglichen sondern vor allem an den bekannten Einstellungen und Wunschen von Menschen am Ende des Lebens zu orientieren. Neben der Schmerzfreiheit sind hier beispielsweise die Nahe zu den sozialen Bezugspersonen, die Wachheit mit klarem Bewusstsein im Sinne eines „die Kontrolle behalten“, die Ordnung der finanziellen Verhaltnisse sowie die Losung von Konflikten zu nennen [Steinhauser et al. 2000].
Wunsche am Ende des Lebens
1. Schmerzfreiheit
2. den Frieden mit Gott finden
3. bei der Familie sein
4. bei klarem Bewusstsein bleiben
5. Behandlungswunsche sind erfullt
6. Finanzen geordnet haben
7. ein lebenswertes Leben haben
8. geloste Konflikte
9. Sterben zu Hause
nach [Steinhauser et al. 2000]
Beispiel 5 (1): Manfred M., 54 Jahre alt, erkrankte 2001 an einer motorischen Systemerkrankung mit Befall des 2. Motoneurons und des peripheren Nervensystems. Es lagen eine hochgradige Tetraparese, eine respiratorische Insuffizienz und eine Dysphagie vor. Die Respiratortherapie und eine Tracheotomie wurden ohne Aufklarung des Patienten uber sein Krankheitsbild und ohne Angebot von palliativmedizinisch orientierten Behandlungsalternativen vorgenommen. Die verbale Kommunikation erlernte er wieder unter der volumenkontrollierten Beatmung durch Schaffung eines Bypasses fur die Exspirationsluft an der Trachealkanule vorbei. Nach der anschliefienden, mehrzeitigen Aufklarung des Patienten uber die infauste Prognose seiner Erkrankung wurde die Zielsetzung der intensivmedizinischen Betreuung neu definiert. Nach einer ausfuhrlichen Befragung uber die eigenen Wunsche gab der Patient nur ein fur ihn akzeptables Ziel an: „Ich mochte um jeden Preis der Welt nach Hause!“. Dies wurde nach umfangreichen Vorbereitungen realisiert. Eine weitererfuhrende Diskussion uber zukunftige Behandlungsziele sowie vor allem uber die moglichen Grenzen dieser Therapien lehnte er ab. Ein zweiter Gesprachsversuch zu diesem Thema wurde nicht mehr umgesetzt.
Der Umgang mit dem Selbstbestimmungsrecht von Menschen
Ein wesentlicher Bestandteil der Entscheidungsfindung pro oder contra eine intensivmedizinische Weiterbehandlung basiert auf dem Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts von Menschen [Kohler 2005]. Dies entspricht den Grundprinzipien der modernen Medizinethik [Beauchamps und Childress 1994]. Allerdings setzt das den entscheidungs- und kritikfahigen Patienten voraus, der in der Lage ist, sein Selbstbestimmungsrecht wahrzunehmen und der im Sinne eines sog. informed consent [zitiert nach: Mitscherlich und Mielke 1960] umfangreich uber die Therapie sowie deren Alternativen informiert wurde. Anderenfalls hat die Ermittlung des mutmafilichen Patientenwillens in einer konkreten Behandlungssituation zu erfolgen.
In der taglichen Praxis der Intensivmedizin liegen nicht die klaren
„Retortenbedingungen“ vor, unter denen Gesprache mit Patienten und Angehorigen uber eine infauste Prognose von Erkrankungen vollig selbstverstandlich und unproblematisch durchgefuhrt werden.
[...]
- Citation du texte
- Eric Hempel (Auteur), 2007, Terminale Erkrankungen und Intensivtherapie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149397
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