„Es war einmal eine Zeit, da war alles schön und herrlich, das aber war, bevor ich etwas mit Menschen zu tun haben mußte“ (Sullivan 1983, S.245).
Ein Zitat, das nachdenklich stimmt, pessimistisch anmutet und dennoch vermutlich den Kernpunkt der interpersonalen Theorie darstellt. Nach dieser Theorie prägen die frühen Erfahrungen zu wichtigen Bezugspersonen die Persönlichkeit eines Menschen, sein Leben lang. Welche Erfahrungen müssen demnach Psychosepatienten in ihrer Kindheit erlebt haben, damit die Entstehung einer Psychose begünstigt wird? Wie erleben sie die Beziehung zu einem Therapeuten, gibt es vielleicht Ähnlichkeiten zu den Erfahrungen in der Kindheit? Kann eine Therapie die frühen Prägungen aufheben und durch neue ersetzen? Diese Fragen sollen in der vorliegenden Arbeit genauer behandelt und untersucht werden.
Die empirische Erhebung wurde mit SASB- Fragebögen durchgeführt und mit dem Programm MakeMapsWin ausgewertet. SASB, die Structural Analysis of Social Behavior, ist, wie auch die interpersonale Theorie an sich, in Deutschland eher unbekannt, bietet aber vielfältige Anwendungsmöglichkeiten und aussagekräftige Ergebnisse. Daher liegt dieser Arbeit ein recht umfangreicher Theorieteil zugrunde, um die Strukturale Analyse Sozialen Verhaltens, wie SASB im deutschen Sprachraum benannt ist, umfassend zu beschreiben und auch die Konzepte und Ideen, aus denen SASB konstruiert wurde, darzustellen. So soll der Leser zunächst einen Einblick in die interpersonale Denkweise erhalten, auch die Idee der Beschreibung von Verhalten durch ein Kreismodell, dem so genannten Zirkumplex, wird vorgestellt. Darauf aufbauend wird SASB als zirkumplexes Modell interpersonalen Verhaltens dargestellt, neben der reinen Beschreibung der Struktur werden auch bisherige Forschungsergebnisse und die Möglichkeiten in der praktischen Anwendung behandelt. Da sich die Theorie hinter SASB recht komplex darstellt, ist ein größerer Theorieteil auch dahingehend notwendig, um dem Modell gerecht zu werden, ohne wichtige Aspekte auszulassen und dem Leser einen adäquaten Einblick zu erlauben.
Der Theorieteil endet mit der Formulierung der Hypothesen, hierbei werden die zu Anfang aufgeworfenen Fragen ausgeführt und präzisiert, um sie im Anschluss überprüfen zu können. Getestet werden die Hypothesen anhand einer Stichprobe von insgesamt 40 Psychosepatienten, wobei ein Teil der Probanden zusätzlich zur Psychose- auch an einer Suchterkrankung leidet.
Inhalt
A Theorieteil
1. Einleitung
2. Grundlegende Konzepte
2.1 Zirkumplex Modell
2.2 Interpersonale Theorie
2.3 Beziehungsmodelle nach Leary und Schaefer
3. Die Strukturale Analyse Sozialen Verhaltens (SASB)
3.1 Annahmen
3.2 Modellstruktur
3.3 Beziehungsmuster
3.4 Anwendung
3.5 Gutekriterien
3.6 Empirischer Nutzen
4. Hypothesen
B Methodenteil
5. Beschreibung der Stichproben
5.1 Rehabilitation Psychisch Kranker
5.2 Therapiezentrum Psychose und Sucht
6. Aufbau und Setting
6.1 Verwendetes Instrument
6.2 Ablauf und Zeitplan
7. Darstellung der Ergebnisse
7.1 Exemplarische Darstellung eines Einzelfalles
7.2 Reliabilitatsprufung
7.3 Hypothesentestung
7.3.1 Komplementaritat in der Therapie
7.3.2 Introjekt- Unterschiede
7.3.3 Therapeutenverhalten und Introjekt in besten Zeiten
7.3.4 Ubertragungsreaktionen in der Therapeutenbeziehung
7.3.5 Elternverhalten und Introjekt
7.3.6 Unterschiede zwischen den Probandengruppen
8. Diskussion
8.1 Hypothesen
8.2 Auffalligkeiten und kritische Betrachtung
8.3 Ausblick
8.4 Schlusswort
9. Literaturverzeichnis
10. Abbildungsverzeichnis
11. Tabellenverzeichnis
12. Anhang
Anhang 1
Anhang 2
Anhang 3
Anhang 4
Anhang 5
Anhang 6
A Theorieteil
1. Einleitung
„Es war einmal eine Zeit, da war alles schon und herrlich, das aber war, bevor ich etwas mit Menschen zu tun haben muBte“ (Sullivan 1983, S.245).
Ein Zitat, das nachdenklich stimmt, pessimistisch anmutet und dennoch vermutlich den Kernpunkt der interpersonalen Theorie darstellt. Nach dieser Theorie pragen die fruhen Erfahrungen zu wichtigen Bezugspersonen die Personlichkeit eines Menschen, sein Leben lang. Welche Erfahrungen mussen demnach Psychosepatienten in ihrer Kindheit erlebt haben, damit die Entstehung einer Psychose begunstigt wird? Wie erleben sie die Beziehung zu einem Therapeuten, gibt es vielleicht Ahnlichkeiten zu den Erfahrungen in der Kindheit? Kann eine Therapie die fruhen Pragungen aufheben und durch neue ersetzen? Diese Fragen sollen in der vorliegenden Arbeit genauer behandelt und untersucht werden.
Die empirische Erhebung wurde mit SASB- Fragebogen durchgefuhrt und mit dem Programm MakeMapsWin ausgewertet. SASB, die Structural Analysis of Social Behavior, ist, wie auch die interpersonale Theorie an sich, in Deutschland eher unbekannt, bietet aber vielfaltige Anwendungsmoglichkeiten und aussagekraftige Ergebnisse. Daher liegt dieser Arbeit ein recht umfangreicher Theorieteil zugrunde, um die Strukturale Analyse Sozialen Verhaltens, wie SASB im deutschen Sprachraum benannt ist, umfassend zu beschreiben und auch die Konzepte und Ideen, aus denen SASB konstruiert wurde, darzustellen. So soll der Leser zunachst einen Einblick in die interpersonale Denkweise erhalten, auch die Idee der Beschreibung von Verhalten durch ein Kreismodell, dem so genannten Zirkumplex, wird vorgestellt. Darauf aufbauend wird SASB als zirkumplexes Modell interpersonalen Verhaltens dargestellt, neben der reinen Beschreibung der Struktur werden auch bisherige Forschungsergebnisse und die Moglichkeiten in der praktischen Anwendung behandelt. Da sich die Theorie hinter SASB recht komplex darstellt, ist ein groBerer Theorieteil auch dahingehend notwendig, um dem Modell gerecht zu werden, ohne wichtige Aspekte auszulassen und dem Leser einen adaquaten Einblick zu erlauben.
Fur die theoretische Einfuhrung in die Thematik wird uberwiegend mit der, zum groBen Teil englischen, Originalliteratur gearbeitet. Zum einen, weil im deutschen Sprachraum weniger Quellen vorhanden sind, zum anderen aber auch, um zu vermeiden, dass Ungenauigkeiten oder Auslassungen, die in deutscher Sekundarliteratur vorkommen konnen, ubernommen werden.
Der Theorieteil endet mit der Formulierung der Hypothesen, hierbei werden die zu Anfang aufgeworfenen Fragen ausgefuhrt und prazisiert, um sie im Anschluss uberprufen zu konnen. Getestet werden die Hypothesen anhand einer Stichprobe von insgesamt 40 Psychosepatienten, wobei ein Teil der Probanden zusatzlich zur Psychose- auch an einer Suchterkrankung leidet. Die Probanden wurden in zwei Hamburger Therapieeinrichtungen befragt, beide Einrichtungen werden in dieser Arbeit kurz vorgestellt.
Die Ergebnisdarstellung beginnt mit der Beschreibung eines Einzelfalles, um die theoretischen Ausfuhrungen an einem konkreten Beispiel zu veranschaulichen, bevor statistische Berechnungen auf Gruppenebene folgen. Zudem soll hierdurch gezeigt werden, wie SASB in der klinischen Praxis angewendet werden kann, um den Therapieprozess zu unterstutzen. Da Untersuchungen uber die Gutekriterien von SASB fur den deutschen Gebrauch eher selten zu finden sind, wird die interne Konsistenz der Fragebogen auf Gruppenebene mittels einer Berechnung von Cronbachs Alpha ermittelt, um die Reliabilitat des Modells uberprufen zu konnen.
Nach diesen Ergebnissen werden die Hypothesen getestet. Hierzu werden einleitend jeweils erlauternde und weiterfuhrende Hinweise gegeben, um anschlieBend eine statistische Uberprufung durchzufuhren, diese erfolgt beispielsweise durch Korrelationsberechnungen, Varianzanalysen und t-Tests. Hierbei wird auch die Therapieinteraktion zwischen Patient und Therapeut aus Sicht der Patienten untersucht, um einen Einblick zu erhalten, wie die Probanden sich selbst und den Therapeuten einschatzen und beurteilen. Damit wird eine Moglichkeit geschaffen, die Therapie zu evaluieren und zu prufen, ob die aktuelle Vorgehensweise von den Patienten gut aufgenommen wird oder aber Konfliktpotentiale vorliegen.
Die Arbeit schlieBt ab mit einer Diskussion, in der die Ergebnisse besprochen und kritisch betrachtet werden, auch wird ein Ausblick in mogliche Anschlussuntersuchungen gegeben.
2. Grundlegende Konzepte
Die Konstruktion der Strukturalen Analyse Sozialen Verhaltens (SASB) entstand unter der Pramisse von fruheren Modellen und Denkrichtungen. Benjamin (1974) selbst benennt hierbei den faktorenanalytischen Ansatz nach Guttman (1971) und die Modelle zur Beschreibung von Verhalten nach Schaefer (1965b) und Leary (1957) als Grundpfeiler, auf die ihr System aufbaut. Auch die interpersonale Theorie Sullivans ist grundlegend fur die Entwicklung von SASB. Daher wird im Folgenden eine Ubersicht der grundlegenden Modelle und Theorien gegeben, die in die Konstruktion von SASB eingeflossen sind.
2.1 Zirkumplex Modell
Den Modellen von Schaefer (1965b) und Leary (1957) ist gemein, dass beide eine kreisformige Anordnung von Variablen, die Beziehungsverhalten beschreiben, vornehmen. Diese Ordnung wird allgemein als Zirkumplex benannt, dies ist ein „non-metric model for representing a circular ordering among variables“ (Wiggins 1982, S.184).
Der Begriff des Zirkumplex geht zuruck auf Guttman (1954), der in seiner Theorie des Radex die Organisation von Variablen in einen Simplex und in einen Zirkumplex einfuhrt. Radex steht hierbei fur „radial expansion of complexity“ (Guttman 1954, S.260). Im Radex sind die zwei genannten Unterformen von moglichen Anordnungen integriert, der Simplex und der Zirkumplex, beide konnen jedoch auch unabhangig voneinander eingesetzt werden, wie spater in der Modellstruktur von SASB noch zu zeigen sein wird. Der generelle Vorzug des Radex liegt in der klaren und geordneten Ubersicht von gegebenen Variablen sowie der besseren Vorhersage neuer Settings. „A clear design enables one to infer from the structure of a given sample of variables what the structure of the relationsships with new variables of the same design will be“ (Guttman 1971, S.444f).
Die erste Subform des Radex ist der Simplex, eine hierarchische Anordnung von Variablen nach Art des Grades ihrer Komplexitat innerhalb einer Art von Test. In der Entwicklung der Radex- Theorie wird vorrangig Bezug genommen auf Intelligenztestung. Verschiedene Tests, die jeweils beispielsweise numerische Fahigkeiten erfassen, konnen durch den Simplex in eine Rangreihenfolge vom Einfachsten zum Schwersten gebracht werden. „It (die verschiedenen Subtests, M.W.) possesses a simple order of complexity. The tests can be arranged in a simple rank order from least complex to most complex” (Guttman 1954, S.260). Diese Gliederung ist moglich bei Tests derselben Art, bei einer Ordnung von unterschiedlichen Testarten der gleichen Komplexitat ist eine hierarchische Ordnung hinsichtlich der Schwierigkeit folglich nicht mehr moglich. Die Frage nun lautet: „What is the structure of the interrelationships among different simplexes?“ (Guttman 1954, S.325). Um diese zu beantworten, fuhrt Guttman den Zirkumplex ein, eine „circular order of complexity“ (Guttman 1954, S.260). Diese Tests unterscheiden sich hierbei in ihrer Art, durch die kreisformige Anordnung gibt es keine Ordnung von „einfach“ zu „schwer“, die Tests sind ohne Anfang und Ende organisiert und somit ohne eine Differenzierung betreffend ihrer „Wertigkeit“.
Zur Bestatigung der Simplex- Theorie uberprufte Guttman verschiedene Intelligenztests und fand entsprechende Simplex- Ordnungen in ihren Subtests. AnschlieBend zog er aus jedem Simplex- Modell einen Test gleicher Schwierigkeit heraus, der jeweils eine spezifische Art von Intelligenz erfasste. Diese Tests gehorten jedoch alle zu einem „superuniverse (...) of mental abilities^ (Guttman 1954, S.260). Die Hypothese hinter dem Zirkumplex Modell ist, das auch diese Tests eine Ordnung haben, allerdings keine, die sich hinsichtlich einer Hierarchie beschreiben lasst, da alle Tests den gleichen Grad an Komplexitat besitzen. Es wurde jedoch ein Gesetz der Nachbarschaft von bestimmten Tests vermutet, dass sich also bestimmte Tests bzw. Variablen naher stehen als andere. Eine kurze, gelungene Definition der Modellstruktur liefern Dierk, Sommer und Heinrigs:
„Es handelt sich bei Circumplexmodellen ganz allgemein um die geometrische Reprasentanz sogenannter zirkularer Korrelationsmatrizen, innerhalb derer eine Rangreihe von Korrelationskoeffizienten ohne Anfang und Ende gebildet werden kann. Die Variablen lassen sich nach ihrer inhaltlichen Nahe bzw. Ahnlichkeit und Polaritat zueinander kreisformig anordnen, wobei die graphische Nahe die Hohe der jeweiligen Korrelation widerspiegeln soll“ (2002, S.69).
Zur Validierung der Hypothese zog Guttman sechs unterschiedliche Tests aus dem Bereich der geistigen Leistungsdiagnostik mit je gleicher Komplexitat heran und errechnete ihre Interkorrelationen. Tabelle 2.1 zeigt die Ergebnisse, es zeigt sich hier deutlich die Bestatigung der Hypothese.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2.1 Zirkumplex- Tabelle, entnommen aus Guttman 1954, S.330
Guttman hierzu: „There is an unmistakable trend for the largest correlations to be next to the main diagonal, to taper off as they depart from the diagonal, and then to increase again at the northeast and southwest corners” (1954, S.329). Die Nachbarn der Tests weisen jeweils die hochsten Korrelationen auf, dazwischen sind sie deutlich kleiner. Die Ergebnisse spiegeln keinen perfekten Zirkumplex wider, bestatigen aber die zuvor gemachten Annahmen. Tests, die ahnliche Fahigkeiten erfassen, haben untereinander eine hohere Korrelation und erweisen sich zudem als bessere Pradiktoren. Solche Tests, die anders akzentuierte Fahigkeiten erfassen (z.B. Assoziation und schlussfolgerndes Denken im ABC- Test), korrelieren nur gering und haben keine Vorhersagekraft gegenuber dem anderen Test (Guttman 1954, S.332). Jeder der sechs Tests in der Abbildung hat fur sich selbst wiederum einen eigenen Simplex, in dem die Untertests hierarchisch nach dem Grad ihrer Komplexitat geordnet sind. Aus diesen beiden Teilkonzeptionen setzt sich im Anschluss der Radex zusammen, es entsteht ein „radex diagram, wherein tests can differ both in kind and in degree“ (Guttman 1954, S.337). In einer Kreisstruktur sind verschiedene Inhaltssektoren enthalten, die je eine Art von Test reprasentieren, die Abstufungen in der Komplexitat werden durch groBer werdenden Abstand zur Kreismitte symbolisiert, wobei der auBerste Wert der komplexeste ist und die innerhalb liegenden Segmente mit einschlieBt. Abbildung 2.1 zeigt einen solchen Radex, der beispielhaft aus funf unterschiedlichen Testarten mit jeweils vier Komplexitatsabstufungen besteht und dementsprechend 5x4 = 20 „elementary components“ (Guttman 1954, S.337) beinhaltet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2.1 Schema eines Radex, entnommen aus Guttman 1954, S.338
Verschiedene Tests hinterlassen nun einen eigenen „Fingerabdruck“ im Radex, anhand derer sie charakterisiert und eingeschatzt werden konnen, da sichtbar wird, welche Inhalts- und Komplexitatsdimensionen ein ausgewahlter Test besitzt: „Radex theory opens a clear path to better predictions with less tests“ (Guttman 1954, S.261).
Guttman selbst sieht den Schwerpunkt fur die Anwendung des Radex in der Klassifikation von Intelligenztests, eine generelle Anwendung fur alle Arten von Daten wird hier noch nicht offeriert: „I do not propose it as a general theory for any system of intercorrelated variables. For example, I do not believe it appropriate for a type of attitude data discussed in my previous lecture in this series” (Guttman 1954, S.340, Hervorhebung M.W.).
Spater jedoch wurde die Radex- Theorie, speziell die des Zirkumplex, von verschiedenen Autoren auch in Bereichen der Interpersonalen Theorie ubernommen und modifiziert, wichtige Grundlagen hinsichtlich der Zirkumplex- Theorie wurden fur die vorliegende Arbeit von Leary (1957), Schaefer (1959, 1965b) und Benjamin (1974) geschaffen.
Auch Guttman erweiterte das Modell spater noch fur die Strukturierung verschiedener anderer Variablen, wie der Lichtwahrnehmung und sogar der von interpersonalen Beziehungen. Er war uber die vielfaltigen Bestatigungen und neuen Anwendungsbereiche seiner Theorie uberrascht. „It is surprising how many empirical examples have since been found of simplex and the circumplex“ (Guttman 1971, S.444).
Aktuelle Interpersonale Zirkumplex- Modelle gibt es in verschiedenen Varianten in der „psychotherapeutischen ProzeB- und Erfolgsforschung (...), in der Vergleichenden Psychotherapieforschung (...), zur Diagnostik und Untersuchung von Beziehungsstorungen (...) und von Personlichkeitsstorungen (...), bei der Untersuchung von Paarbeziehungen (...) und allgemein zur interpersonalen Storungsdiagnostik“ (Bastine & Tuschen 1996, S.242f).
2.2 Interpersonale Theorie
Der in den Arbeiten von Leary (1957) und Benjamin (1974) vertretene Ansatz ist interpersonaler Natur und fuhrt zuruck auf das Wirken von Henry Stack Sullivan, einem Neopsychoanalytiker der ersten Halfte des 20. Jahrhunderts. Entgegen den Theorien Freuds lehnte Sullivan jedoch viele Annahmen bezuglich der Libido oder des „ES“ ab. Auch hielt er den Menschen fur ein soziales, von Natur aus gutes Wesen und nahm somit einen anderen Standpunkt ein als Freud, der den triebgesteuerten, wilden Menschen postulierte. Sullivan war in erster Linie ein Empiriker und Pragmatiker, er bezog sich auf die beobachtete Wirklichkeit und hatte eine interdisziplinare Betrachtungsweise, etwa durch den Einbezug der Sozialwissenschaften (Rattner 1990). Durch diese breite Berucksichtigung anderer Wissenschaftsgebiete gelang es Sullivan, „eine vollig neue Dimension in die Psychiatrie einzufuhren“ (Conci 2005, S.239). Gleichwohl betonte er, dass Psychiatrie nach seinem Verstandnis noch sehr weit von Wissenschaftlichkeit entfernt und allenfalls als prawissenschaftliche Disziplin zu verstehen sei (Sullivan 1983, S.35f). Um den vielfach geauBerten Vorbehalten gegenuber der Psychoanalyse entgegenzuwirken, wurden verschiedene Testverfahren konzipiert, um den psychoanalytischen Konzepten ein wissenschaftliches Fundament zu geben. Die Erfolge dieser Tests, zu nennen etwa der Rorschach-Test oder der Thematische Apperzeptionstest (TAT), sind jedoch umstritten und werden seit Jahren kontrovers diskutiert[1] (Benjamin 2001, S.27ff).
Sullivans Anliegen war es, eine Wissenschaft der menschlichen Interaktionen zu etablieren, um „nicht nur das einzelne menschliche Individuum (...), sondern die interpersonale Situation zu erforschen“ (Sullivan 1983, S.40). In seinem posthum veroffentlichen Werk „Die interpersonale Theorie der Psychiatrie“ (1953, deutsche Ubersetzung 1983) beschreibt Sullivan ausfuhrlich die Entwicklung des Menschen, von der Geburt bis hin zur Adoleszenz, unter der interpersonalen Perspektive, die sowohl die Entwicklung an sich als auch eventuell auftretende Pathologien und Storungen interpersonal zu erklaren versucht. Im Mittelpunkt der Entwicklung steht die Erfahrung von Angst, die jegliches Verhalten dominiert: „Angst spielt in interpersonalen Beziehungen eine so ungemein wichtige Rolle, dab sie von allen anderen Arten der Spannung unbedingt unterschieden werden sollte“ (Sullivan 1983, S.68). Eine interessante Symbolik dieser Annahme liefert Chrzanowski: „anxiety is an interpersonal umbrella that covers every aspect of human existence“ (1982, S.33). Angst ist also der „Motor“ der Entwicklung und wird schon im Kindesalter erfahren, indem die erlebte Angstspannung der Mutter durch empathische Prozesse auf Seiten des Kindes auf dieses ubergeht und somit das Verhalten des Kindes determiniert, da es die Angst als negativ erlebt und sein Verhalten in Richtung einer Verminderung der Angst ausrichtet (Rattner 1990, S.421). Somit ist die Entwicklung des Menschen kein vom Kollektiv getrennter und nur individuell fokussierter Prozess, sondern wird durch Erfahrungen mit der Umwelt und vor allem mit den wichtigsten Bezugspersonen definiert. Entwicklung und Lernen stellen demnach eine Anpassung an die Umwelt dar, da versucht wird, „sich so zu verhalten, wie man sich in seiner jeweiligen Gesellschaft verhalten sollte“ (Sullivan 1983, S.181), um eine Angstspannung in Folge von unbotmabigem Verhalten zu vermeiden. Diese Anpassungen sind „Manover zum Schutz des Selbstsystems“ (Sullivan 1976, S.94) und konnen sich im Extremfall auch in pathologischen Verhaltensweisen niederschlagen. Demnach sind Verhaltensstorungen zu verstehen als eine Anpassungsreaktion an eine irrationale, stressende Umwelt (in Form von sich inkonsistent verhaltenden Bezugspersonen, insbesondere den Eltern) und sind somit „sogar eine recht bemerkenswerte Manifestation menschlicher Lebensfahigkeit“ (Sullivan 1983, S.33). Wenn beispielsweise ein Kind durch verschiedene Taten Zartlichkeit von seinen Eltern erfahren hat, spater jedoch fur dieselben Aktionen eben keine Zuwendung mehr erfahrt, sondern im Gegenteil sogar noch Bestrafung oder Demutigung erfahrt, so erlebt es eine unlogische, irrationale Umwelt. Durch diese Erlebnisse lernt es, dass eine Forderung nach Zartlichkeit negative Konsequenzen nach sich zieht und es stattdessen besser ist, eine feindliche Grundhaltung zu prasentieren, da es „inmitten von Feinden“ (Sullivan 1983, S.243) lebt. Diese Erfahrungen in der Kindheit konnen das Bild von Gut und Bose verzerren und sich auf das gesamte Leben auswirken, da diese erlernte Grundhaltung bestehen bleibt und spater auch das Verhalten gegenuber anderen Menschen bestimmt (Sullivan 1983, S.242ff). Ein jeder Mensch kann also, sofern eine „geeignete“ Lebensumwelt im Kindesalter vorliegt, Personlichkeitsstorungen entwickeln, falls die Probleme im Elternhaus nicht durch spatere Beziehungen (etwa durch Kontakte in der Peer- Group) abgefangen und ausgeglichen werden (Sullivan 1983, S.285). Demnach ist „der Unterschied zwischen jedem von uns und dem schwierigsten Schizophreniepatienten ein gradueller und kein prinzipieller“ (Conci 2005, S.162). Die Theorie hinter diesen Uberlegungen stellt das Ein-Genus-Postulat dar, nach dem die Unterschiede zwischen zwei Menschen nur auBerst marginal erscheinen, verglichen mit den Unterschieden zu dem nachstverwandten Saugetier oder jedem anderen Lebewesen (Sullivan 1983, S.55f).
Im Zusammenhang mit dem Konzept der Angstspannung stellt das erwahnte Selbst- System einen weiteren zentralen Terminus in der Konzeption Sullivans dar und „enthalt das Insgesamt aller Seelenregungen des Kindes, die von der Umwelt mit Zustimmung, Bejahung, Zartlichkeit und Aufmerksamkeit bedacht werden“ (Rattner 1990, S.424). Dieses Selbst-System ist kein Produkt personlicher Dispositionen, sondern ein Konglomerat aller erlebten interpersonalen Erfahrungen, die schon in der fruhkindlichen Erziehung gesammelt wurden und mittels Internalisierungen der wichtigen Bezugspersonen sowohl das Personlichkeitsbild formen als auch im weiteren Leben bestimmen. Dem Aspekt der Vermeidung von Angst steht der Belohnungscharakter als zweites Element gegenuber, denn das Verhalten des Kindes ist nicht nur gepragt durch das Streben nach einer Verminderung von Angstspannung, sondern auch durch das Streben nach Belohnung und liebevoller Zuwendung seitens der wichtigsten Bezugspersonen (Sullivan 1983, S.191ff). Sullivan selbst nennt im Zusammenhang mit der Entstehung des Selbst-Systems Bezuge zu anderen Disziplinen der Wissenschaft, namentlich George Herbert Mead in der Sozialpsychologie, welcher ahnliche Erklarungsansatze geliefert hat (Sullivan 1983, S.38f). Dieser kritisiert die Stromungen der Psychologie, in denen „die Identitat als ein mehr oder weniger isoliertes und selbststandiges Element“ (Mead 1995, S.207) betrachtet wird. Fur Mead ist die Entwicklung der Identitat ebenfalls ein Prozess, der in der Gemeinschaft ablauft, sie kann sich nur entwickeln, „wenn die Ubermittlung von Gesten in das Verhalten des Einzelnen hereingenommen wird“ und „die Haltung der anderen Wesen den Organismus beeinflussen“ (Mead 1995, S.209f). Die Uberschneidungen mit und Parallelen zu einer interpersonalen Konzeption liegen auf der Hand.
Eine weitere wichtige Grundannahme ist die der reziproken Emotion[2], die jede „Integration in einer personalen Situation“ (Sullivan 1983, S.226) dominiert. Demnach werden erstens „komplementare Bedurfnisse aufgelost oder intensiviert“ (Sullivan 1983, S.226), je nachdem, ob das Bedurfnis, welches an eine bestimmte Person herangetragen wird, erfullt oder aber abgelehnt wird und dann in der Folge verstarkt zu Tage tritt, da das Bedurfnis weiterhin bestehen bleibt. Zweitens werden „reziproke Aktivitatsmuster entwickelt oder desintegriert“ (Sullivan 1983, S.226), auch hier bestimmt die Reaktion des Gegenubers, welches Muster eintritt. Sullivan beschreibt eine solche Konstellation anhand einer Therapeut-Klient-Interaktion. Liegt beim Therapeuten ein latentes Bedurfnis nach einer Unterordnung des Klienten vor, kann diese Situation nur fortbestehen, wenn der Klient, ebenfalls unbewusst, eine unterwurfige Haltung einnimmt, andernfalls wird die Kommunikation desintegriert, sie scheitert. Doch in beiden Fallen ist eine unkonstruktive Arbeit abzusehen, denn wenn der Klient eine untergeordnete Rolle einnimmt und nur die Informationen „abspult“, die in seinen Augen den Erwartungen des Therapeuten entsprechen, kann keine wirkliche, gehaltvolle Zusammenarbeit stattfinden (Sullivan 1976, S.120). Drittens wird die „vorhergesagte Befriedigung oder Versagung ahnlicher Bedurfnisse erleichtert“ (Sullivan 1983, S.226). Denn mit fortschreitender Dauer einer Interaktion wird eine Vorhersage der Reaktion des Gegenubers immer sicherer und es konnen diejenigen Verhaltensweisen geliefert werden, die eine positive Reaktion hervorrufen.
Von besonderer Bedeutung fur die Konstruktion von SASB und somit auch fur diese Arbeit ist der Begriff der „reflected appraisals“ (Sullivan 1947, S.10), demnach gibt es „Verbindungen zwischen der erwachsenen Personlichkeit des Patienten und den Empfindungen des Patienten hinsichtlich seiner fruhen sozialen Erziehungserfahrungen“ (Benjamin 2001, S.25). Die Personlichkeit ist somit eine Verinnerlichung der Erfahrungen, die mit den wichtigsten Bezugspersonen erlebt wurden, die fruhen erfolgreichen und bewahrten Verhaltensweisen werden aufrechterhalten und in neuen interpersonalen Situationen abgerufen: „The point is that the self is approved by significant others, that any tendencies of the personality that are not so approved (...) are dissociated from personal awareness“ (Sullivan 1947, S.22). Dieser Vorgang ist vor allem dann problematisch, wenn sich diese Bezugspersonen unlogisch verhalten und somit unangepasste Verhaltensweisen forcieren: „the preeminent situational determinants of a patient’s maladaptive actions are other people“ (Kiesler 1991, S.452). Ein Beispiel fur eine solche negative Beeinflussung findet sich im vorhergehenden Absatz. Dieses Theorem ist insofern grundlegend fur die vorliegende Arbeit, als dass spater nach Korrelationen zwischen den fruhen, erlebten Elternbeziehungen und der aktuellen Beziehung zum Therapeuten sowie zum transitiven Umgang mit sich selbst gesucht wird. Es sollten sich demnach Zusammenhange zeigen, die eine solche Ubertragung von fruhen Erlebnissen mit den wichtigsten Bezugspersonen und dem aktuellen Verhalten bestatigen. Hinzu kommt seine Ansicht, den Psychiater nicht als AuBenstehenden zu betrachten, sondern als „teilhabenden Beobachter“, der aktiv an der Therapie partizipiert sowie vom Patienten als Bezugsperson angesehen wird, da das Verhalten des Patienten zum GroBteil auf den Therapeuten gerichtet ist (Sullivan 1976, S.16ff). Nur so kann die Befragung der vorliegenden Arbeit gerechtfertigt werden, die den Therapeuten als wichtige, aktuelle Bezugsperson definiert.
In der kritischen Auseinandersetzung der Werke Sullivans gibt es in der Literatur unterschiedliche Auffassungen. Fuhrt Rattner noch an, Sullivan „scheiterte (...) am Sexualproblem“, da „die sexuellen Abweichungen fast nicht erortert“ (1990, S.439) wurden, kommt Conci zu dem Schluss, in der Theorie Sullivans „ist es (...) nicht so, daB die Sexualitat (...) eine weniger zentrale Rolle spielt als in Freuds Theorie - sie wird aber in Sullivans Werk vollig neu konzeptualisiert“ (2005, S.379).[3] Hierbei wird Bezug genommen auf Ausfuhrungen Sullivans, in denen es bei der Behandlung von Personlichkeitsstorungen nicht in erster Linie darum geht, alles unter einem sexuellen Blickwinkel zu sehen. Denn es ist, nach Sullivan, falsch zu versuchen, eine Storung zu behandeln, „indem man am Sexualleben herumfummelt (...). Sie kann ihnen (den Psychiatern, M.W.) ein schones Zubrot fur ihre pornographischen Interessen geben“ (Sullivan 1983, S.331). Meistens jedoch wird eine solche sexuelle Storung nur vorgeschoben, um die eigentlichen, tiefer liegenden Probleme zu verdrangen oder von ihnen abzulenken. Hier zeigt Sullivan deutlich die Unterschiede seiner Theorie im Gegensatz zu alteren Modellen (Sullivan 1983, S.331f).
Insgesamt konnte die interpersonale Theorie erst spat an Bedeutung gewinnen, zu Anfang hatte sie vor allem mit Kritik seitens der klassischen Psychoanalyse zu kampfen: „While interpersonal conceptions of personality were largely ignored by the behaviorists and social learning theorists, they were actively resisted by the psychoanalytic establishment (Wiggins 1985, S.627). Erst spater nahm der Einfluss der Konzeption Sullivans vor allem in den USA zu und wurde beispielsweise von Kiesler weitergefuhrt, der unter anderem „six fundamental assumptions regarding human personality“ (1982, S.5) formulierte. In Deutschland ist die interpersonale Theorie auch heutzutage nur wenig verbreitet, wenngleich ihr interdisziplinarer und pragmatischer Ansatz vielfaltige Moglichkeiten verspricht, die eine Ausweitung durchaus sinnvoll erscheinen lassen (Rattner 1990, S.416/438).
2.3 Beziehungsmodelle nach Leary und Schaefer
Lorna Smith Benjamin bezieht sich in der Entwicklung der Strukturalen Analyse Sozialen Verhaltens (SASB) auf zwei fruhere Modelle, die Beziehungen ebenfalls durch ein Zirkumplex- Modell beschreiben. Benjamin (1974) benennt hierbei als Grundlage die Modelle von Leary (1957) und Schaefer (1965b), die jeweils eine zirkumplexe Anordnung von Beziehungsverhalten erstellten, jedoch unterschiedliche Nuancen in den Definitionen der Beschreibungen und Bezeichnungen vornahmen.
Von groBer Bedeutung fur die spatere Forschung im Bereich der interpersonalen Zirkumplex- Theorie war die Arbeit von Leary, dessen „extraordinary book continues to inspire successive generations of psychodiagnosticians“ (Wiggins 1982, S.185). Nachdem zuvor in der Kaiser Foundation Arbeitsgruppe (Freedman, Leary, Ossorio & Coffey 1951, LaForge, Leary, Naboisek, Coffey & Freedman 1954, LaForge & Suczek 1955) umfangreiche Studien durchgefuhrt wurden, wurde durch Leary als einem der Mitglieder dieser Gruppe eine Zusammenfassung und Weiterfuhrung der Ergebnisse vorgenommen und anhand zahlreicher Beispiele die klinische Relevanz einer solchen interpersonalen Betrachtung verdeutlicht. Ziel dieses Ansatzes war es, „to present a comprehensive schema for the organization of personality data“ (Freedman et al. 1951, S.143).
Interessanterweise wurden die Arbeiten Learys ohne Kenntnis des neuen faktorenanalytischen Ansatzes nach Guttman (1954) durchgefuhrt. Und dennoch: „the reasoning seems quite similar“ (Wiggins 1982, S.187). Diese Parallelen zeigen die breiten Verwendungsmoglichkeiten eines zirkumplexen Ansatzes in verschiedenen Bereichen der Datenanalyse auf. Da die Arbeit ohne das Wissen der Forschungen Guttmans erstellt wurde, verwundert es nicht, dass der Begriff des Zirkumplex in diesem Kontext nicht auftaucht, jedoch wird er in der vorliegenden Arbeit, soweit angebracht, anstelle der verwendeten Begrifflichkeiten verwendet, um dem Leser eine stringente Begriffsverwendung zu prasentieren.
Leary nahm in seiner Arbeit eine Untersuchung verschiedener Personengruppen unter dem Aspekt der interpersonalen Theorie nach Sullivan vor. Daher steht vor allem der Mensch mit der Interaktion zu anderen im Mittelpunkt. Er wird nicht isoliert und separat betrachtet, sondern immer in einem Kontinuum, welches andere Personen mit einschlieBt. Leary definiert Verhalten im interpersonalen Raum als „Behavior which is related overtly, consciously, ethically, or symbolically to another human being (real, collective, or imagined)” (Leary 1957, S.4). Die Betrachtung menschlichen Verhaltens unter dem Aspekt dieser Theorie stellt fur ihn den bedeutendsten und vielversprechendsten Ansatz dar, um die Prozesse der Interaktionen, die Aktionen zur Vermeidung von Angst und die jeweiligen Reaktionen der anderen auf ein bestimmtes Verhalten zu beschreiben und zu interpretieren. Viele unterschiedliche Personen beiden Geschlechts, verschiedenen Alters, psychisch Kranke und normale Personen wurden in kleinen Gruppen interpersonalen Situationen ausgesetzt; hier wurde deren Verhalten beobachtet und analysiert. Flankierend kamen verschiedene andere Tests zum Einsatz, um ein breites Spektrum interpersonalen Verhaltens zu erfassen. Die Arbeit baut auf Arbeiten sowie Daten der Kaiser Foundation Arbeitsgruppe auf und fuhrt sie weiter, wenn auch mit teilweise anderen Schwerpunkten. Aufgrund des groBen Erfolges des Werkes von 1957 wird diese Arbeit jedoch subsumierend als „Leary- System“ bezeichnet, auch wenn dies den Arbeiten der anderen Mitglieder der Kaiser Foundation nicht gerecht wird und eine „historical oversimplification (Wiggins 1982, S.187) darstellt.
Interpersonales Verhalten wird in der Arbeit von Leary in funf Ebenen unterteilt, um das gesamte Spektrum moglicher Bezuge zu erfassen. Die erste Ebene beschreibt die offentliche Kommunikation, bewusst oder unbewusst, verbal oder nonverbal, erfasst durch verschiedene Messtechniken wie etwa Soziometrie, Expertenratings oder durch entsprechende Indizes des Minnesota Multiphasic Personality Inventory (MMPI), einem Test zu Erfassung der Personlichkeit[4] Das beschriebene Verhalten in dieser Ebene erfasst das external „objektiv“ messbare Verhalten: „We are concerned at this level with what one person communicates to another“ (Leary 1957, S.91). Es wird sowohl das Verhalten der Person gegenuber anderen Personen betrachtet als auch deren Verhalten gegenuber dem untersuchten Individuum. So ergibt sich ein Bild von der Stellung der Person im Rahmen der zwischenmenschlichen Beziehung. Einen wichtigen Aspekt dieser Ebene der Personlichkeit nimmt die interpersonale Reaktion ein, die Reaktion auf Aussagen von anderen Personen, die oftmals eine den Erwartungen der Person entsprechende Antwort provoziert. Diese Reaktion kann bewusst erfolgen, moglich ist jedoch ebenso „involuntary, automatic behavior“ (Leary 1957, S.99). So wird eine spezielle Reaktion seitens des Empfangers wahrscheinlich, die wiederum das beobachtete Verhalten der Person hervorruft. Dem Leser wird hierbei vermutlich ein bekanntes Paradoxon der Kommunikation ins Gedachtnis kommen, die „sich selbst erfullende Prophezeiung“. Hierbei handelt es sich um „Verhaltensformen, die in anderen Menschen Reaktionen auslosen, auf die das betreffende Verhalten eine adaquate Reaktion ware, wenn sie es nicht selbst bedingt hatte“ (Watzlawick, Beavin & Jackson 2003, S.95). Problematische Implikationen treten vor allem in der Provozierung von negativ zu bewertendem Verhalten auf, so beschreibt Leary anhand eines Beispieles von nonverbaler Kommunikation, wie ein Kind in einer spielerischen Interaktion „pulls aggressive behavior from an initially well- intentioned sympathizer as well as from his original tormentor“ (1957, S.105). Dieses wichtige Phanomen ist aufgrund der Automatisierung und oftmals unbewussten Natur der Reaktion sehr schwer zu therapieren, gleichzeitig jedoch besonders wichtig, um falsche Verhaltensweisen aufzudecken und abzustellen.
Die zweite Ebene des Verhaltens befasst sich mit der bewussten Beurteilung der Umwelt aus Sicht des befragten Individuums. „Level I is what the subject does. Level II is what he says he does” (Leary 1957, S.98). Unschwer lasst sich hier bereits ein erstes Konfliktpotential erahnen, denn das tatsachlich beobachtete Verhalten einer Person muss nicht zwangslaufig kongruent sein mit der eigenen, subjektiven Beurteilung des Verhaltens.
Diese zweite Ebene beschreibt nur die Selbsteinschatzung der Person: wenn sie sagt, sie sei angesehen und dominant, dann wird dies hier auch dementsprechend angenommen, unabhangig von ihrem tatsachlichen Auftreten (welches der ersten Ebene zuzuordnen ist). Falls hier moglicherweise gegenteilige Verhaltensweisen gezeigt werden, so kann ein verzerrtes Selbstbild vermutet und abgebildet werden. Auch hier gibt es in der Betrachtung zwei Bezuge, zum einen das von der Person sich selbst zugeschriebene Verhalten und das beschriebene Verhalten von anderen Personen. Die Daten, die unter anderem mittels Expertenrating aus Interviews oder durch autobiographische Schriften erhoben werden, zeigen, „how the subject chooses to present himself and his view of the world“ (Leary 1957, S.132). Durch Diskrepanzen zwischen den subjektiven Beschreibungen von Beziehungen eines Patienten, beispielsweise zu seiner Mutter, und der tatsachlichen Beziehung konnen im therapeutischen Kontext durch den Therapeuten Interpretationen bezuglich einer verzerrten Sichtweise der Person gemacht werden, die sich etwa in „defense-mechanism - projection“ (Leary 1957, S.143) auBern und so die Grundlage einer Therapie bilden, da deutlich wird, welche falschlichen Attributionen durch den Patienten vorgenommen werden. Das Phanomen von unterschiedlichen Selbstbeschreibungen und dem tatsachlichen Verhalten ist jedoch keinesfalls ausschlieBlich symptomatisch fur psychisch kranke Personen. Leary konnte an einem Beispiel zeigen, dass auch Topmanager, die vermutlich sogar Vorbilder vieler Menschen darstellen, ebenfalls einer verzerrten Selbstwahrnehmung unterliegen konnen. Sich selbst (4 zweite Ebene) beschrieben alle Manager als zufrieden, stark und verantwortungsvoll, gleichzeitig verneinten sie Verhaltensweisen wie Feindseligkeit und eigene Schwache. Sie alle lagen in ihrer Selbsteinschatzung eng beieinander. In einem zweiten Schritt mussten sie jeweils die anderen Manager mittels soziometrischer Ratings beschreiben, zusatzlich gab es eine weitere Beurteilung durch einen Psychologen. Die so erhaltenen Daten waren also Daten der ersten Ebene und ergaben, mit Ausnahme eines Managers, ein vollig anderes Bild. Die Manager wurden durch ihre Kollegen grundlegend anders eingestuft, die Beschreibungen reichten von kalt, unfreundlich und egoistisch bis hin zu rebellisch, verbittert und misstrauisch. In dieser Gruppe zeigte sich somit deutlich „a wide variety of intense maladaptive behavior (...). It is possible to diagnose this as a fairly ,sick’ group“ (Leary 1957, S.408)[5]. Problematische Selbsteinschatzungen lassen sich somit in den unterschiedlichsten Personenkreisen finden und durch die Daten sichtbar machen.
In der vorliegenden Arbeit wird, wie spater noch naher erlautert, diese Ebene abgebildet, da die subjektive Sicht der Probanden zu verschiedenen Bezugspersonen und zu sich selbst erfasst wird und keine externen Ratings vorgenommen werden.
Die folgenden drei ausbleibenden Ebenen sind fur die vorliegende Arbeit nicht sehr von Belang und werden zum Teil auch im Werk Learys nur mit Einschrankungen verwendet, so dass sie hier nur der Vollstandigkeit halber kurz skizziert werden.
In der dritten Ebene wird das Vorbewusste in Form von Symbolen erfasst. Hier steht nicht die Person an sich im Fokus, sondern eine Fantasiefigur, die moglicherweise ein Symbol ihrer selbst oder einer anderen Person in der realen Welt darstellt. Die erforderlichen Daten werden unter anderem aus den Ergebnissen projektiver Testverfahren erhoben, wie dem Thematischen Apperzeptionstest (TAT). Neben aktuellen kritischen Bewertungen solcher Tests, die „zu den wohl umstrittensten diagnostischen Verfahren gehoren“ (Amelang & Zielinski 2004, S.351), macht auch Leary die Problematik dieses Feldes der Diagnostik deutlich: „The field of projective testing is a theoretical shambles. (...) It can be flatly said that the field of projective testing, whatever its popularity, is an unvalidated or unsatisfactorily validated enterprise” (1957, S.158). Zur Darstellung werden von Leary dementsprechend auch nicht die Ergebnisse des TAT verwendet, sondern die Daten aus der Erhebung selbst werden unter dem Aspekt der interpersonalen Theorie ausgewertet. Jedoch wird angefuhrt, dass viele dieser Daten vermutlich ebenfalls Ebene zwei zuzuordnen sind, denn „the fact that we optain Level III fantasy protocols does not mean that we are necessarily tapping the private world of the patient“ (Leary 1957, S.186), da der Person oftmals klar ist, was mit Hilfe eines solchen Tests erhoben werden soll und er dementsprechende Antworten gibt.
Nicht ausgesprochene und bewusst oder unbewusst ausgelassene Fakten in der Personlichkeitsbeschreibung durch eine Person werden durch die vierte Ebene erhoben, sie stellt gleichzeitig diejenige Ebene dar, mit der die umfassendsten Interpretationen uber verdrangte Prozesse getatigt werden konnen. Diese Ebene wird durch Leary nur am Rande thematisiert, da nur „some tentative, unvalidated techniques for measuring Level IV“ (1957, S.193) existieren und lediglich exemplarische Einzelfallanalysen vorgelegt werden, die nicht mit in den Gesamtkontext des Werkes eingebunden sind.
Die letzte Ebene, die der Werte, misst nicht, wie vielleicht zu vermuten ware, noch eine tiefere Stufe des Bewusstseins, sondern ist im Gegenteil „not a very complicated or deep measurement (Leary 1957, S.200). Hiermit wird erfasst, welche Ideale durch eine Person vertreten werden, die Daten geben also, wie in der zweiten Ebene, eine bewusste Darstellung der Wertvorstellungen eines Individuums wieder. Messinstrumente sind hier die gleichen wie schon in den fruheren Ebenen, nur wird dort einmal nach dem Verhalten von bestimmten Personen oder dem eigenen Verhalten gefragt und in diesem Fall nach idealem Verhalten und Normen. Es ist jedoch keine Wiederholung der Ergebnisse aus vorherigen Ebenen, denn die Ideale einer Person konnen durchaus abweichend sein von ihrer Selbstbeschreibung, die eben diesem Ideal nicht gerecht werden kann. Durch einen Vergleich der Selbstbeschreibung in der zweiten Ebene und dem eigenen Ideal ist es moglich abzuschatzen, wie eng diese beiden Ebenen zusammenhangen. Liegt nur eine geringe Differenz vor, ist davon auszugehen, dass die betreffende Person eine hohe Selbstakzeptanz aufweist. Eine groBe Differenz zwischen Ideal und sich selbst zugeschriebenem Verhalten kann ein Indiz sein fur eine Storung der Personlichkeit oder der Selbstakzeptanz. Einschrankungen fur die Validitat dieser Ebene werden dahingehend gemacht, dass bestimmte Stereotype in einer Gesellschaft maBgeblich fur die Beschreibung der Ideale sind (in der westlichen Gesellschaft beispielsweise Macht und Dominanz) und dementsprechend das tatsachliche Ideal der Person verzerrt werden kann.
In den ersten Forschungen der Kaiser Foundation Arbeitsgruppe wurden nur die drei ersten Ebenen thematisiert und untersucht: „These three divisions of the total personality we have termed the public, the conscious, and the private levels“ (Freedman et al. 1951, S.144). Erst in den spateren Arbeiten wurden die zwei weiteren Ebenen hinzugefugt (LaForge & Suczek 1955), diese wurden von Leary in seinem Werk ubernommen und vertieft.
Grundlage fur die Einteilung und Beschreibung der verschiedenen Aspekte menschlichen Verhaltens ist ein zirkumplexes Modell, welches in Oktanten eingeteilt ist und ein Verhalten sowie dessen Intensitat, Normalitat oder Abnormalitat anhand von 16 interpersonalen Variablen erfasst. Leary prasentiert zunachst einen zweidimensionalen Raum mit der vertikalen Achse „dominance-submission“ und der horizontalen Achse „hostility-affection“ (1957, S.64). Diese grundlegende Einteilung bestand schon in den ersten Arbeiten der Kaiser Foundation Arbeitsgruppe: „The nodal points are those of dominance, hostility, submission, and affiliation“ (Freedman et al. 1951, S.150). Um diese Achsen werden die 16 Variablen gruppiert, so dass sich das in Abbildung 2.2 gezeigte Modell aufspannt und damit jedes beobachtbare Verhalten einem Sektor zuzuordnen ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2.2 Interpersonales Verhalten, entnommen aus Leary 1957, S.65
Der auBen liegende Ring zeigt die acht generellen Kategorien von interpersonalem Verhalten, das erste Wort steht hierbei fur ein moderates, adaptives Verhalten, das zweite Wort beschreibt die extreme, maladaptive Auspragung dieses Verhaltens. Der anschlieBende Ring gibt Beispiele fur extreme Reaktionen, der mittlere Ring zeigt Verhalten, welches eine bestimmte Reaktion vom Empfanger provoziert, die das eigene Verhalten wiederum unterstutzt bzw. rechtfertigt. Der innere Ring zeigt Beispiele fur die adaptive Variante der Reaktionen und bildet dementsprechend den Gegenpart zu den extremen Reaktionen. Die Anordnung dieser Verhaltensbeispiele entspricht dem Aufbau der spateren Modelle, da hier die Ergebnisse so prasentiert werden, dass angepasstes Verhalten nahe dem Mittelpunkt des Kreises platziert ist und mit wachsender Entfernung zur Mitte auch die Pathologie des Verhaltens zunimmt.
Durch die Abbildung der verschiedenen Ebenen in die gleiche Form, sprich eines Zirkumplexes, ist es daruber hinaus moglich, vergleichende Analysen zwischen den einzelnen Ebenen vorzunehmen. Diese Analysen konnen unter drei Gesichtspunkten vorgenommen werden, um Beziehungen und Differenzen zu verdeutlichen. Die erste Moglichkeit ist es, Veranderungen und Diskrepanzen zwischen den einzelnen Ebenen zu zeigen. So lassen sich beispielsweise Unterschiede zwischen der Selbstbeschreibung einer Person und dem tatsachlich beobachteten Verhalten aufzeigen, so geschehen etwa im erwahnten Beispiel bezuglich der Manager. Eine zweite Moglichkeit besteht in der Betrachtung von Veranderungen uber eine gewisse Zeit hinweg. So ist es denkbar, das Selbstkonzept einer Person am Anfang und am Ende einer langeren Therapie zu vergleichen, um so Erfolg oder Misserfolg der Therapie messen zu konnen. Die letzte Moglichkeit besteht in der Betrachtung der Unterschiede im soziokulturellen Kontext. So kann das Verhalten einer Person stark variieren, je nachdem in welchem Umfeld sie aktuell agiert: „The man who is a lion at home may be a lamb in the office“ (Leary 1957, S.243).
Ein weiteres Zirkumplex- Modell wurde durch Schaefer (1959) gebildet. Dieses Modell weist Ahnlichkeiten und Uberschneidungen mit dem Modell nach Leary auf, jedoch „with a single difference. The fundamental dimensions were hostility - love on the horizontal axis and autonomy - control on the vertical axis“ (Pincus, Gurtman & Ruiz 1998, S.1631). Dem zuvor beschriebenen Modell lagen die zwei Achsen Feindseligkeit - Zuneigung und Dominanz - Unterwerfung zugrunde, eine Einteilung, die auch von den meisten anderen Autoren vorgenommen wird (Wiggins 1982, S.193). Im Schaefer- Modell ist das Gegenteil von Dominanz hingegen nicht Unterwerfung, sondern Autonomie, so dass in diesem Punkt eine unterschiedliche Interpretation vorgenommen wird. Im Gegensatz zu Leary bezog Schaefer sich auf den neuen Ansatz nach Guttman (1954), denn er konnte zeigen, dass die von ihm gefundenen Anordnungen „corresponded closely to Guttman’s theoretical model of a circumplex“ (Schaefer 1957, S.401).
In der Konstruktion eines zirkumplexen Modells elterlichen Beziehungsverhaltens befasste sich Schaefer besonders mit der separaten Beschreibung von mutterlichem und vaterlichem Verhalten, erst im Anschluss wurde eine Zusammenfuhrung in ein generelles Muster elterlichen Verhaltens vorgenommen. Der Grund fur diese getrennte Analyse resultierte aus den Ergebnissen eines Vergleichs von normalen und delinquenten Jungen hinsichtlich der Beschreibung des Verhaltens ihrer Eltern. Hierbei zeigte sich eine signifikant unterschiedliche Beschreibung von Vater- und Mutterverhalten hinsichtlich der Dimension Autonomie und Disziplin, so dass eine getrennte Untersuchung beider Elternteile gerechtfertigt wurde (Schaefer 1965a).
Ziel seiner Arbeit war die Erschaffung eines „ordered, parsimonious nomological network for the domain of maternal behavior“ (Schaefer 1959, S.226). Hieraus lasst sich erahnen, dass besonderes auf eine ubersichtliche und vor allem reduzierte Auswahl und Anzeige der Konstruktvariablen Wert gelegt wurde. In einem ersten Schritt wurden hierzu drei unterschiedliche Datensatze analysiert, um zu zeigen, dass auch bei unterschiedlichen Datensatzen gemeinsame Konzeptionalisierungen in der Darstellung der Variablen gegeben sind. Die Daten wurden mittels Faktorenanalyse aufbereitet. Ein Datensatz betraf das mutterliche Beziehungsverhalten, welches anhand von Beobachtung durch Psychologen erhoben wurde. Die rotierten Faktorenladungen lieBen eine zirkumplexe Anordnung in einem zweidimensionalen Merkmalsraum mit orthogonalen, bipolaren Achsen zu. Der zweite Datensatz gab ebenfalls mutterliches Beziehungsverhalten wieder, die Daten wurden jedoch durch Interviews mit den Muttern erhoben. Auch hier zeigte sich anhand der rotierten Faktorenladungen ein zirkumplexes Modell, welches jedoch nicht so eindeutig war wie beim ersten Datensatz. Dies jedoch kann auch auf den Einfluss der Erhebungsinstrumente zuruckzufuhren sein, denn „the interview data may not be as valid as observation data (Schaefer 1959, S.230). Der dritte Datensatz beschrieb Eindrucke hinsichtlich des vaterlichen Beziehungsverhaltens. Die zirkumplexe Anordnung der unrotierten Faktorenladungen wurde, wenn auch nicht so umfassend, als vergleichbar mit den Ergebnissen der anderen Daten angesehen, da die spezifischen Begrifflichkeiten des Datensatzes vergleichbaren Benennungen in den ersten Datensatzen zugeordnet werden konnten. Dementsprechend konnten fur alle drei Datensatze kongruente Anordnungen im Zirkumplex- Modell verdeutlicht werden. Schaefer uber die Vorzuge eines solchen Arrangements: „The advantage of the cicumplex order over the previous organizations is that it directs attention to the sequential order of variables and does not divide the matrix into discrete clusters or factors ” (Schaefer 1959, S.232, Hervorhebung M.W.).
Nach Abschluss dieser Untersuchungen wurde ein ubergeordnetes, hypothetisches Modell konstruiert, welches die bisherigen Ergebnisse in einem generalisierten Modell von mutterlichem Beziehungsverhalten zusammenfuhrte. Die Ergebnisse lieBen eine Darstellung durch zwei voneinander unabhangige, bipolare Dimensionen als auch durch die Anordnung in einem Zirkumplex zu. Abbildung 2.3A zeigt das zirkumplexe Modell, bei dem es bereits eine erste Einteilung in verschiedene Cluster gab, da auch die Zwischenraume zwischen den vier Extremen der beiden orthogonalen Achsen mit eigenen Bezeichnungen versehen wurden. Dies ist eine grundlegende Methode in der Konzeption von zirkumplexen Modellen, denn nur dadurch, „dass nicht nur die Endpunkte der beiden Dimensionen, sondern auch die Raume zwischen diesen vier Polen definiert sind, nimmt das Modell die Form eines Kreises an“ (Neumann & Tress 2007, S.146).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2.3 A Hypothetisches Modell, entnommen aus Schaefer 1959, S.232
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.2.3 B Revidiertes Modell, entnommen aus Schaefer 1965b, S.557
In einer zweiten Arbeit (1965b) wurden in das hypothetische Zirkumplex- Modell Revisionen dahingehend eingearbeitet, dass Schaefer das Modell um eine weitere Dimension erweiterte und die Achsen- und Clusterbezeichnungen umformulierte. Das revidierte Modell elterlichen Beziehungsverhaltens zeigt Abbildung 2.3B. In der Arbeit wurde das von Kindern bzw. Jugendlichen berichtete elterliche Verhalten sowie die erinnerte Beziehung von Erwachsenen zu ihren Eltern wahrend der Pra- Adoleszenz mithilfe des Children’s Reports of Parental Behavior (CRPBI) nach Schaefer (1965a) untersucht. Auch hier wurden Faktorenanalysen durchgefuhrt und im Anschluss zirkumplexe Anordnungen konzipiert. Es zeigten sich drei Faktoren, durch die ein GroBteil der Gesamtvarianz aufgeklart werden konnte (Schaefer 1965b, S.554). Jeder Faktor hatte hierbei zwei Extrempunkte, denn es zeigten sich unterschiedlich stark ausgepragte „Gruppierungen“ einzelner Skalen des CRPBI an diesen Polen. Die Pole der ersten Dimension wurden durch emotionale Annahme auf der einen und emotionale Ablehnung auf der anderen Seite beschrieben. Die zweite Dimension wurde mit den Polen „Autonomie gewahren“ und „Kontrolle ausuben“ gekennzeichnet, die dritte Dimension unterschied zwischen starker und lockerer Kontrolle. Diese drei Dimensionen von elterlichem Verhalten wurden in einem Modell zusammengefuhrt, wie Abbildung 2.3B zeigt.
Zusammenfassend lasst sich feststellen, dass durch verschiedene Forscher, die je andere theoretische Hintergrunde besaBen und unabhangig voneinander forschten, vergleichbare Resultate bezuglich der Analyse und Darstellung von Beziehungsverhalten erbracht wurden. In beiden Arbeiten nehmen die Autoren eine ahnliche Bezeichnung der horizontalen Achse vor. Sowohl Leary als auch Schaefer sehen Liebe bzw. Zuneigung und Hass bzw. Abneigung als elementare Pole bei der Beschreibung von Beziehungen an. Auf der vertikalen Achse hingegen werden durch beide Autoren unterschiedliche Definitionen vorgenommen. Beide sehen Dominanz bzw. Kontrolle als grundlegend an, die Gegenpole hingegen werden anders gekennzeichnet. Wahrend bei Leary Unterwerfung den Gegenpart von Dominanz bildet, ist es bei Schaefer Autonomie. Beide Konstruktionen sind jedoch in den jeweiligen Arbeiten ausfuhrlich begrundet und statistisch belegt. „Each definition seems reasonable, but the resulting classifications are quite different“ (Benjamin 1974, S.395). In der Konstruktion der Strukturalen Analyse Sozialen Verhaltens fuhrt Benjamin diese beiden Aspekte zusammen und erstellt ein Modell, welches „the most detailed, clinically rich, ambitious, and conceptually demanding of all contemporary models” (Wiggins 1982, S.193) darstellt.
3. Die Strukturale Analyse Sozialen Verhaltens (SASB)
Was ist SASB? Allgemein gesagt ist es eine Methode, um soziales Verhalten und verschiedene Beziehungsmuster darstellen zu konnen. Genauer formuliert, ist SASB zunachst ein an wissenschaftlichen Kriterien ausgerichtetes Modell sozialer Interaktionen, es ist „concrete enough to be tested and proven wrong, yet abstract enough to have broad and meaningful clinical application" (Benjamin 1984, S.123). Eine umfassende Definition bieten Tress, Henry, Junkert-Tress, Hildenbrand, Hartkamp und Scheibe:
„Die SASB-Methode erlaubt, interpersonelle Beziehungen, Personlichkeits- charakteristika oder auch psychotherapeutische Veranderungsprozesse abzubilden, und zwar weitgehend unabhangig von den personlichkeitstheoretischen oder behandlungstechnischen Konzepten, die der jeweiligen konkreten therapeutischen Situation zugrunde liegen. Gleichwohl ist sie in sich selbst nicht theorieunabhangig. Sie gehort zu den interpersonellen Theorien“ (1996, S.216).
Das Modell baut auf 36 Verhaltenskategorien auf und besitzt dadurch eine gewisse Sonderstellung im Bereich der interpersonalen Modelle, da hier der Range der verwendeten Kategorien von 4 bis 36 reicht, in den meisten Modellen wird mit 8 bis 15 Kategorien operiert (Wiggins 1980, S.274). Die hohe Zahl an Kategorien im SASB- Modell bietet jedoch den Vorteil, genauere und aussagekraftigere Beschreibungen von Interaktionen vornehmen zu konnen, da es moglich ist, „to capture subtleties in everyday interaction^ (Benjamin 1996a, S.259). Weiterhin ist eine solch detaillierte Unterteilung besonders fur den klinischen Bereich wertvoll, denn dort kommt es oftmals auf Feinheiten im Verhalten an, die im alltaglichen Kontext keine so groBe Bedeutung haben, etwa im Unterschied zwischen dem schlichten Befolgen von Regeln und einer Unterwerfung oder Anpassung, so dass SASB hier ein groBes Potential besitzt (Wiggins 1980, S.275). Durch eine zirkumplexe Anordnung der 36 Verhaltensanordnungen konnen zudem verschiedene Beziehungsmuster beschrieben werden, dies ist ein genereller Vorteil solcher Zirkumplex- Modelle: „Perhaps the greatest contribution of a circumplex model (...) is its precise specification of related, orthogonal, and opposite contrasts“ (Wiggins 1980, S.271).
In diesem Kapitel sollen daher sowohl die Modellstruktur als auch die darauf aufbauenden Beziehungsmuster und Anwendungsmoglichkeiten vorgestellt werden, zudem wird uber die Gutekriterien und bisherige, fur diese Arbeit relevante, Forschungsergebnisse berichtet.
3.1 Annahmen
Neben den beschriebenen grundlegenden Konzepten wurden in der Konstruktion von SASB durch Benjamin (1974) noch eine Reihe von Zusatzannahmen gemacht, die dort allerdings nur kurz eingefuhrt und zum Teil in spateren Publikationen aufgegriffen und weitergefuhrt wurden.
Eine dieser Annahmen bezieht sich auf die Forschungen Murrays (1963) bezuglich dessen „need system“ (Benjamin 1974, S.423, weitergefuhrt bes. in Benjamin 2001, S.27f). Hierbei werden zwei Arten von Bedurfnissen unterschieden, die „primary (viscerogenic) needs, and (...) secondary (psychogenic) needs“ (Murray 1963, S.76). Die Erstgenannten decken vitale, physische Bedurfnisse ab, zu nennen etwa ein Bedurfnis nach Luft, Nahrung oder Stuhlgang. Die sekundaren Bedurfnisse sind psychischer Natur und auBern sich in verschiedensten Beziehungen, auch zu leblosen Objekten, wie unter anderem das Bedurfnis nach Erwerb, Ordnung und Erhaltung. Weitaus wichtiger im Zusammenhang mit SASB sind jedoch die Bedurfnisse im Umgang mit anderen Personen. Auf der einen Seite stehen diese im Zusammenhang mit Macht, wie zum Beispiel das Bedurfnis nach Dominanz, Unterwerfung und Autonomie. Auf der anderen Seite gibt es die Bedurfnisse nach Zusammenschluss mit anderen und Umsorgung, „Bemutterung“ von Personen, aber auch das Bedurfnis, andere abzulehnen und zu ignorieren. Sie stehen demnach im Zusammenhang mit den Arten von Zuneigung zwischen Personen. Zudem gibt es noch ein Sado-Masochistisches Bedurfnisfeld, unterschieden in dem Bedurfnis nach Aggression/Sadismus und Erniedrigung/Masochismus (Murray 1963, S.77ff)[6]. Neben der direkten Deckung einiger dieser Begriffe mit denen des SASB- Modells waren diese Bedurfnisse zudem die Grundlage des in Kapitel 2.3 beschriebenen Modells nach Leary, da dessen Kategorien nach Murrays Bedurfnis- System ausgewahlt wurden (Benjamin 2001, S.29). Somit gab es auch eine „indirekte Brucke“ zwischen den Bedurfnissen nach Murray und der Konstruktion von SASB 1974.
Auch die Unterscheidung Murrays von Alpha und Beta Press wurde spater in die Anwendung von SASB ubernommen (Benjamin 1984, S.121ff). Alpha Press ist „the press that actually exists“ (Murray 1963, S.122), also die Wirklichkeit, demgegenuber bezeichnet Beta Press „the subject’s own interpretation (Murray 1963, S.122) seiner Wahrnehmung, wobei letztere von groBerer Bedeutung fur die Person ist, da die Interpretation einer Situation deren Verhalten bestimmt und diese Uberzeugung starker ist als von auBen herangetragene, „objektive“ Fakten (Murray 1963, S.290). Ubertragen etwa auf ein therapeutisches Setting bedeutet dies, dass die Sicht des Patienten uber eine Beziehung, sei es zu seinen Eltern oder zum Therapeuten, wichtiger ist als die „wirkliche“ Beziehung. Daher ist es Aufgabe des Therapeuten, sich in den Patienten hineinzuversetzen und zu versuchen, die Welt mit dessen Augen zu sehen, um die maladaptiven Betrachtungs- und Verhaltensweisen des Patienten aufzudecken und zu verstehen. Dies kann etwa dadurch geschehen, dass die „Symptome empathisch aus der Sicht des Betroffenen betrachtet werden“ (Benjamin 1996b, S.139). In der vorliegenden Arbeit wird dieser Theorie dahingehend Rechnung getragen, als dass die abgefragten Beziehungen durch die Klienten selbst beschrieben werden und keine externen Ratings stattfinden. Daher ergibt sich ein Bild von Beziehungen, wie sie durch die Klienten wahrgenommen werden, es wird also Beta Press abgebildet, oder auch, gemaB dem Leary- System, die zweite Ebene des Verhaltens (siehe Kapitel 2.3).
Weiterhin wird angenommen, dass es besser ist, eine Person direkt zu einer bestimmten Sache oder Beziehung zu befragen, anstatt auf projektive, indirekte Testverfahren zuruckzugreifen. Dieser Ansatz wird umschrieben mit dem „old medical axiom: ,If you want to know what is the matter with the patient, ask him.’ (...) the subject’s answer is not the whole story, but it appears to provide an excellent starting point” (Benjamin 1974, S.399). Einer solchen Datengewinnung mittels Selbst- Report wurde jedoch vorgeworfen, keine genauen Daten zu liefern, da hierbei Abwehrmechanismen auftraten, die prazise Ergebnisse unmoglich machen wurden, daher konnten nur projektive Tests „echte“ Daten liefern (Benjamin 1974, S.399). Diese Haltung wurde nicht zuletzt durch Murray geteilt, der eine Wiedergabe vergangener oder gegenwartiger Gefuhle durch direkte Befragung anzweifelte (Murray 1963, S.15) und aus diesem Grund den TAT konstruierte, um verdrangte Bedurfnisse messen zu konnen (Benjamin 2001, S.27f). Der Entschluss Benjamins zur direkten Befragung von Personen erscheint jedoch auch aus heutiger Sicht als der vernunftigere, da in projektiven Testverfahren ebenfalls Abwehrmechanismen und Verzerrungen auftreten konnen und die gesamte Validitat bestenfalls als maBig anzusehen ist (vgl. hierzu auch Kapitel 2.3).
3.2 Modellstruktur
Wie im zweiten Kapitel beschrieben, entstand die Konstruktion der SASB nicht aus dem luftleeren Raum heraus, sondern baute auf vorangegangene Theorien und Arbeiten auf, erganzte und modifizierte sie, fugte jedoch auch ganzlich neue Aspekte ein und verknupfte unterschiedliche Arbeiten zu einem neuen, ganzheitlichen Analysesystem sozialer Verhaltensweisen: „SASB was not created; it was discovered“ (Benjamin 1984, S.123).
Das Dilemma, welches sich beim Vergleich der Modelle nach Leary (1957) und Schaefer (1965b) ergibt, wurde schon am Ende des zweiten Kapitels beschrieben. Es gab zwei Modelle, beide beschrieben Verhalten in einer Zirkumplex- Struktur mit zwei zugrunde liegenden, orthogonalen Achsen[7] Nur wurden auf der vertikalen Achse unterschiedliche Bezeichnungen vorgenommen, „Dominanz“ vs. „Unterwerfung“ bei Leary, „Kontrolle“ und „Autonomie gewahren“ bei Schaefer, beide Bezeichnungen wurden in den jeweiligen Arbeiten begrundet, ihre Gultigkeit nachgewiesen. Und dennoch: „Both opposites make sense, but both cannot be true“ (Benjamin 1984, S.136). Benjamin vermochte dieses Dilemma zu losen, indem ihr System auf drei verschiedenen Betrachtungsweisen aufbaut und dort jeweils einen spezifischen Fokus hat. Somit kann „submit as the complement of dominate“ dargestellt werden, wahrend „emancipate (allow autonomy) the opposite of dominate or control“ (Benjamin 1974, S.395) definiert. Durch diese Betrachtung war es moglich, beide Kontrolldimensionen in ein Modell zu integrieren, ohne auf eine der Achsenbezeichnungen zu verzichten. Abbildung 3.1 zeigt die drei moglichen Foci sowie die Grunddimensionen des Modells. Der erste Fokus zeigt ein transitives, aktives Verhalten einem anderen gegenuber, der zweite Fokus ist intransitiv und ist als Reaktion auf eine Aussage bzw. Handlung zu verstehen, also wie diese aufgefasst und umgesetzt wird. Die Bezeichnungen „elternartig“ fur transitives und „kindartig“ fur intransitives Verhalten sollen eine Veranschaulichung und Prototypisierung dieses Verhaltens sein (Benjamin 1974, S.395), konnen jedoch auch leicht missverstanden werden, da sie keineswegs das Verhalten von Eltern und Kindern darstellen, sondern lediglich eine Kategorisierung von Verhalten abzeichnen, denn sowohl Eltern als auch Kinder konnen agieren und reagieren. Um solchen Missverstandnissen vorzubeugen, wird daher im Folgenden von transitivem und intransitivem Verhalten gesprochen. Der dritte Fokus beschreibt das Introjekt und ist ein Fokus, der von Benjamin entwickelt wurde und somit eine Neuerung in Bezug auf die grundlegenden Modelle darstellt. Der Introjekt Fokus ist intrapsychisch zu verstehen als eine transitive, auf sich selbst bezogene Handlung, also wie man mit sich selbst umgeht. Die Bezeichnungen wurden hierbei in Anlehnung an den ersten Fokus gewahlt nach der Annahme, was passieren wurde, wenn dieses transitive Verhalten nicht auf andere Personen gerichtet ist, sondern auf sich selbst (Benjamin 1974, S.397). Die Idee hinter diesem Gedanken bezieht sich auf Sullivan (1983)[8], hierbei wird angenommen, dass man sich selbst so behandelt, wie es der fruheren, empfundenen Behandlung seitens wichtiger Bezugspersonen entspricht: „It outlines what happens if focus from others is turned inward“ (Benjamin 1984, S.134).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3.1 Grunddimensionen des SASB- Modells, entnommen aus Tress & Junkert 2002a, S.41
Neben dem jeweiligen Fokus sind in Abbildung 3.1 die verschiedenen Achsen zu sehen. Die horizontale Achse beschreibt die Affiliation, die Art der Zuwendung gegenuber anderen oder sich selbst. Sie hat zwei Extrempole und reicht, vereinfacht formuliert, von Hass zu Liebe mit einem neutralen Nullpunkt, der sozusagen absolute Gefuhlskalte beschreibt, die weder negativ noch positiv ist. Die Zahlen auf der Achse beschreiben die Intensitat der Affiliation, je hoher hierbei die Zahl, desto starker ist Hass bzw. Liebe ausgepragt, positive Zahlen kennzeichnen „gutes“ Verhalten (Zuneigung) und negative Zahlen dementsprechend „schlechtes“ Verhalten (Ablehnung). Diese Achse ist fur jeden Fokus gultig und kann daher auf alle vertikalen Achsen gelegt werden, um eine zirkumplexe Figur aufzuspannen. Die drei vertikalen Achsen, die die Dimension der Interdependenz kennzeichnen, sind jedoch fur jeden Fokus unterschiedlich, bauen aber, was die Konstruktion und die Beschreibung der Intensitat betrifft, auf den gleichen Grundsatzen wie die Affiliationsachse auf. Im transitiven Fokus reicht ein Verhalten von „Emanzipation gewahren lassen“ (entsprechend Schaefer) bis hin zu einer rigiden Kontrolle. Im intransitiven Fokus gibt es Reaktionen von „sich loslosen, unabhangig sein“ bis hin zu einer vollkommenen Unterwerfung (entsprechend Leary). Durch diese Differenzierung kann nun, wie eingangs erwahnt, Unterwerfung komplementar zu Kontrolle betrachtet werden, gleichzeitig aber auch „Unabhangigkeit gewahren“ als das Gegenteil von Kontrolle. Im Introjekt reicht die Achse der Interdependenz von einer freien Spontaneitat im positiven Extrem bis zu einer strengen Selbstkontrolle in seinem negativen Pendant (Benjamin 1974, Tress & Junkert 2002a).
Dieser Ansatz wird als „modeling approach“ (Benjamin 1974, S.392) bezeichnet und stellt eine Gegenposition zu einem multidimensionalen Ansatz, wie beispielsweise bei Cattell, dar. Damit soll eine einfache Darstellung gewahrleistet werden, die sich durch zwei oder drei Dimensionen beschreiben lasst und dadurch auf einen Blick erfasst und leichter interpretiert werden kann (Benjamin 1974, S.392).
Legt man nun die Affiliationsachse orthogonal auf die drei Interdependenzachsen, so dass die Nullpunkte jeweils ubereinander liegen, ergibt sich das in Abbildung 3.2 gezeigte „full model“ (Tress & Junkert 2002a, S.39), welches fur jeden Fokus detailliertes Verhalten beschreibt. Die drei Zahlen vor jedem Verhalten kodieren dies, um Beziehungsmuster (beschrieben im folgenden Unterpunkt) besser darstellen zu konnen. Die erste Ziffer kennzeichnet den Fokus (Transitiv, Intransitiv oder Introjekt), die nachste den Quadranten und die letzte die Unterteilung im jeweiligen Quadranten, wobei Verhalten mit Ziffer 0 die jeweilige Achsenbezeichnung ist (Benjamin 1984, S.129).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3.2 Komplettes SASB- Modell, entnom^nen aus Tress & Junkert 2002a, S.42
Die Verhaltensweisen im Full- Modell werden beschrieben durch eine Gleichung, die auf jeden Punkt im System zutrifft: |X| + |Y| = 1. X ist hierbei die Position auf der Affiliationsachse, Y die auf der Interdependenzachse. Wenn man etwa den Punkt „im Stich lassen“ (Ziffer 123) betrachtet, besitzt er die Koordinaten -6/9 auf der Affiliations- und 3/9 auf der Interdependenzachse, die Summe der Betrage ist 1. Es wird hierbei mit den absoluten Werten gerechnet, so dass eine diamanten- oder rhombusformige Figur entsteht; wenn man hingegen mit quadrierten Werten von X und Y rechnet, entsteht eher ein kreisformiges Modell. Es wurde sich jedoch fur ein Diamant- Modell entschieden, da dies den Vorteil hat, dass die Extrempunkte der Pole so deutlicher sichtbar sind als in einem Kreis und daher eher der Vorstellung entsprechen, dass diese Extrempunkte grundlegendes, primitives Verhalten darstellen (Benjamin 1974, S.397).
Dieses Modell wirkt auf den ersten Blick sehr kompliziert, die Fulle an Verhaltensbeschreibungen, zusammen mit Fokus, Affiliations- und Interdependenzachsen sowie den nebenstehenden Nummern kann auf den ersten Blick abschreckend und undurchsichtig erscheinen. Aus diesem Grund wurde ein reduziertes Cluster- Modell erstellt, welches in Abbildung 3.3 zu sehen ist. Hierbei wurden acht Cluster pro Fokus generiert, so dass eine schnellere und einfachere Ubersicht gegeben werden kann. Generell ist das Cluster- Modell als ein Mittelweg zwischen dem umfangreichen Full- Modell und einem einfachen Quadranten- Modell zu verstehen (Benjamin 1982, S.201). Die Kodierungen hierbei sind, im Gegensatz zum Full- Modell, mit nur zwei Ziffern angegeben. Die erste Ziffer zeigt hierbei den Fokus an, die zweite den jeweiligen Cluster.
Die Einteilung in solche Cluster wird auch als die sinnvollste im psychometrischen Kontext betrachtet, da dies einen guten Kompromiss zwischen Ubersichtlichkeit und inhaltlicher Tiefe darstellt. Zudem verwenden die verschiedenen computerbasierten Auswertungsprogramme die Clusterscores, um Vergleiche zwischen verschiedenen Beziehungs- Maps zu berechnen oder Strukturkurven in Korrelation zu theoretischen Verhaltenskurven zu erstellen (Benjamin 1984, S.130).
Um eine grobe Einteilung der Modelle zu geben, kann man alle Verhaltensweisen oder Cluster bezuglich der Affiliationsachse, die auf der linken Seite liegen, als unfreundlich und negativ ansehen, wahrend die rechte Halfte freundliches, positives Verhalten kennzeichnet. Hinsichtlich der Interdependenzachsen ist Verhalten, welches in der oberen
Halfte zu finden ist, als Selbststandigkeit oder Differenzierung zu betrachten, die untere Halfte beschreibt Abhangigkeit oder Verwicklungen (Benjamin 1984, S.127).
[...]
[1] Fur weitere kritische Auseinandersetzung sei auf Teil 2.3 der vorliegenden Arbeit verwiesen.
[2] Im 1976 erschienenen Buch „Das psychotherapeutische Gesprach“ wird dies noch ubersetzt als „wechselseitige Emotion“, im 1983 erschienenen Hauptwerk jedoch als „reziproke Emotion“. Aufgrund der grofieren Relevanz von letzterem wird dieser Terminus fur die vorliegende Arbeit ubernommen.
[3] Die unterschiedlichen Interpretationen sind vermutlich dem fruhen Tod Sullivans geschuldet, der sich daher konsequenterweise nicht mehr zu seinen Ausfuhrungen auBern konnte.
[4] Zum vertiefenden Einblick in den MMPI sei auf entsprechende Literatur verwiesen, z.B. Amelang und Zielinski (2004).
[5] Der Leser sei an dieser Stelle auf Anhang 1 verwiesen, hier wird das Ergebnis anhand eines Zirkumplex- Modells prasentiert.
[6] Aus der groBen Reihe der Bedurfnisse, die Murray in diesem Zusammenhang aufstellt, wurden diejenigen herausgenommen und aufgefuhrt, die auch in SASB zu finden sind.
[7] Die dritte Achse im Schaefer- Modell, die zwischen starker und schwacher Kontrolle unterschied, wird in dieser Betrachtung ausgeklammert, da sie auch nicht in die Konstruktion der SASB einfloss.
[8] Obwohl die Idee des Introjekts nach Sullivan ubernommen wurde, verwendet dieser den Begriff uberhaupt nicht, da er schon vorher in Zusammenhang mit dem Uber-Ich gebraucht wurde und dies etwas ganz anderes darstelle. Daher verwehrt er sich sogar gegen eine Verwendung dieses Terminus in Verbindung mit seiner Konzeption, da dies eine zu grofie Vereinfachung seiner Vorstellungen bezuglich des Selbst-Systems sei (Sullivan 1983, S.193, siehe auch Kap.2.2).
- Citation du texte
- Dipl.-Päd. Michael Wöste (Auteur), 2008, Inter- und intrapersonale Beziehungsmuster und Übertragungsreaktionen - Eine Untersuchung mittels der Strukturalen Analyse Sozialen Verhaltens (SASB), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149241
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