Marktinformationsverfahren (MIV) haben eine ambivalente Wirkung auf den Wettbewerb, weil sie ihn sowohl beschleunigen als auch dämpfen können. Namentlich MIV, die zur Verstärkung eines Preis-, Quotenkartells etc. eingesetzt werden, spielen in der Praxis eine große Rolle, bedürfen aber i.R. einer eigenständigen kartellrechtlichen Überprüfung, da in ihrem Hintergrund stehende Kartellabsprachen für Außenseiter oft nicht erkennbar sind.
Bei der Prüfung der kartellrechtlichen Zulässigkeit von Marktinformationsverfahren haben sich in der deutschen und europäischen Praxis unterschiedlichen Ansätze herausgebildet, die in einem Modell zusammengeführt werden können.
Der gemeinsame Ausgangspunkt der beiden Ansätze ist die Vorstellung von einer künstlichen Markttransparenz, die durch horizontale Informationsströme zwischen Konkurrenten entsteht und die natürliche Unsicherheit über aktuelles und zu erwartendes Verhalten der Marktteilnehmer beseitigt. Aus der künstlichen Markttransparenz können einerseits Intentionen der Teilnehmer abgeleitet werden, die auf eine willentliche Koordinierung ihres Marktverhaltens schließen lassen. Der Nachweis einer solchen Koordinierung steht in der Tradition der europäischen Rechtsanwendung. Die besonders in der deutschen Kartellrechtspraxis beheimatete Theorie vom Geheimwettbewerb leitet dagegen aus der künstlichen Markttransparenz bestimmte Reaktionen der Marktteilnehmer ab, die objektiv zu einem bewussten, wenn auch nicht aufeinanderbezogenen Parallelverhalten bzw. Verzicht auf Verhaltensoptionen führen.
Bei der Prüfung der kartellrechtlichen Zulässigkeit von MIV kommt es entscheidend darauf an, welche Eigenschaften eines MIV zur Herstellung einer wettbewerbsschädigenden Markttransparenz führen, wann ein MIV also „aus eigener Kraft“ eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken kann. Die vorliegende Arbeit kommt zum Ergebnis, daß sich solche Eigenschaften nicht pauschal festlegen lassen, vielmehr kommt es auf die wettbewerbliche Wirkung eines konkreten MIV unter konkreten Umständen des Einzelfalls an. Ein MIV kann daher eine Wettbewerbsbeschränkung allenfalls „bewirken“ und niemals „bezwecken“. Dieses Ergebnis reduziert zwar die Rechtssicherheit bei der Gesetzesanwendung, führt jedoch zu mehr Gerechtigkeit bei der kartellrechtlichen Beurteilung von MIV.
Da MIV neben negativen Effekten für den Wettbewerb auch gesamtwirtschaftlich positive Effekte haben können, ist dies im Rahmen ihrer eventueller Legalisierung zu berücksichtigen.
Gliederung
Literaturverzeichnis
Abbildung zu Ziff. B.II.2.a) der Arbeit
A. Marktinformationsverfahren: Definition und Fragestellung
B. MIV im Kartellrecht
I. Qualifikation von MIV
II. Verhältnis zwischen MIV und Wettbewerb
1. Besondere Stellung konnexer MIV
2. Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung
a) horizontale Markttransparenz und Wettbewerb
aa) subjektive Verknüpfung
bb) objektive Verknüpfung
cc) Zusammenfassung
b) Markttransparenz und MIV
aa) Informationsgegenstand
(1) Begriffsbestimmung
(2) Informationsgegenstand in der Praxis
bb) Aggregationsgrad der Daten
c) Zusammenfassung
3. Bewirkte Wettbewerbsbeschränkung
4. Ergebnis
III. Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung
IV. Freistellung
C. Ergebnis
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Verhinderung, Einschränkung, Verfälschung des Wettbewerbs
A. Marktinformationsverfahren: Definition und Fragestellung
Gegenstand dieser Arbeit sind Prozesse des Austauschs von Marktinformationen zwischen Wettbewerbern auf einem Markt soweit sie in einer institutionalisierten Form stattfinden und damit als Marktinformationsverfahren (MIV) bezeichnet werden[1]. Im einzelnen werden darunter Preismeldestellen, Angebotsmeldeverfahren, Absatz- und Kostenmeldeverfahren, Benchmarking, strategische Allianzen und - weiter-gehend - elektronische Marktplätze gefasst[2], die aufgrund der jederzeit verfügbaren Daten ebenfalls als Meldestellen für die Wettbewerber verstanden werden können.
Ökonomische Theorien und Marktbeobachtungen führen zur Erkenntnis, daß ein Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern sowohl fördernde als auch hemmende Wirkungen auf den Wettbewerb haben kann[3]. Man spricht von einer Ambivalenz horizontaler Marktinformationen[4]. Zum einen wirkt ein horizontaler Informationsfluß von einem Wettbewerber zum anderen als Verstärker von schon vorhandenen Tendenzen, weil er ein sowohl wettbewerborientiertes als auch gleichförmiges Verhalten erleichtert. So macht ein mit einem Preis- Mengen- oder Quotenkartell konnexes MIV die Überwachung wettbewerbsschädigender Vereinbarungen einfacher, es erhöht den Druck auf Kartellmitglieder, macht ihren Zusammenhalt fester[5]. Zum anderen haben horizontale Informationsprozesse aber auch eine selbständige objektive Wirkung auf das Wettbewerbsverhalten der Marktteilnehmer. Schnelle Information er-möglicht es den Teilnehmern eines MIV, auf Veränderungen der Marktsituation schneller zu reagieren, ihre Reaktionsverbundenheit steigt und wirkt sich ebenfalls auf den Wettbewerb aus.
Es ist Aufgabe des zum Schutz des Wettbewerbs berufenen Kartellrechts, verschiedene Prozesse des horizontalen Informationsaustausches hinsichtlich ihrer Wirkungen auf den Wettbewerb zu differenzieren und Konsequenzen zu ziehen.
B. MIV im Kartellrecht
Die Rechtsgrundlage für die kartellrechtliche Beurteilung von MIV bilden §1 ff. GWB bzw. Art. 81 EGV. Ausgehend von dem Willen des deutschen Gesetzgebers, §§1 und 2 GWB auch für Fälle mit fehlendem Zwischenstaatlichkeitsbezug dem Art. 81 EGV anzugleichen[6], muß von einer inhaltlichen Übereinstimmung der Tatbestandsmerkmale beider Normen ausgegangen werden. Für die Zwecke dieser Arbeit werden die Normen synonym verwendet, die deutsche und die europäische Rechtspraxis nebeneinander gestellt und Fragen des zwischenstaatlichen Bezugs ausgeblendet. §1 GWB verbietet Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken. Im Rahmen dieser Arbeit sind also die Fragen wichtig, ob MIV eine von §1 GWB erfasste Handlungsform darstellen und wann diese eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt bzw. bewirken kann. Weitergehend stellt sich dann ggf. noch die Frage nach der Spürbarkeit einer Wettbewerbsbeschränkung und einer möglichen Freistellung der MIV vom Kartellverbot.
I. Qualifikation von MIV
Das zwischen Wettbewerbern organisierte und institutionalisierte MIV erfordert das Angebot einer bestimmten Handlungsweise und die Annahme dieses Angebots durch alle Beteiligten. Damit erfüllt ein direkt zwischen Wettbewerbern abgesprochenes MIV das Merkmal einer „Vereinbarung" i.S.v. §1 GWB, die darüber hinaus nicht rechtlich bindend zu sein braucht. Problematisch könnte diese Subsumtion nur werden, wenn die Beteiligten den Austausch von Informationen nicht direkt miteinander, sondern mit einer zentralen Meldestelle vereinbaren. In diesem Fall fehlen nämlich direkte Absprachen zwischen ihnen. Allerdings stehen die einzelnen gleichartigen Verträge der Beteiligten mit der zentralen Meldestelle in einem wirtschaftlichen Zusammenhang und sind nur in diesem Zusammenhang sinnvoll. Die Schaffung größerer Markttransparenz bildet den gemeinsamen Zweck dieser sog. Sternverträge[7]. Deswegen wird von Teilen der Literatur in einem solchen einheitlichen Regelwerk ein Sonderfall des Gesellschaftsvertrages zwischen den Beteiligten gesehen[8]. Von einer anderen Meinung wird eine GbR abgelehnt[9]. Jedenfalls erfüllen die Sternverträge aber die Voraussetzung einer abgestimmten Verhaltensweise, wobei die Abstimmung von der Meldestelle mittels Vorlage gleich-artiger Einzelverträge - welche die Beteiligten dann mit Wissen und Wollen ihrer Gleichartigkeit annehmen - durchgeführt wird. Damit ist §1 auf MIV sachlich anwendbar.
II. Verhältnis zwischen MIV und Wettbewerb
Eine Vereinbarung bzw. abgestimmte Handlungsweise „bezweckt" eine Wettbewerbsbeschränkung dann, wenn ihr eine objektiv feststellbare Tendenz innewohnt, wenigstens einen der Beteiligten im Einsatz wettbewerblicher Verhaltensparameter zu beschränken[10]. In diesem Sinne stellt das Kartellverbot einen Gefährdungstatbestand dar[11]. Das Merkmal des „Bewirkens" wird demgegenüber überwiegend herangezogen, wenn das Merkmal des „Bezweckens" versagt. Er greift, wenn sich eine Vereinbarung in einem konkreten Fall tatsächlich negativ auf den Wettbewerb auswirkt[12]. Betrachtet wird also im zweiten Fall die kumu-lative Wirkung der Vereinbarung und der Umweltzustände auf den Wett-bewerb in einer konkreten Situation.
1. Besondere Stellung konnexer MIV
Eine sehr große Rolle in der Rechtspraxis spielen mit einem klassischen Kartell verbundene, ihn begleitende konnexe MIV. In fast allen Verfahren der deutschen und europäischen Kartellbehörden erscheint ein MIV im Zusammenhang mit einem konnexen Kartell[13]. Die rechtlichen Konsequenzen für ein solches MIV sind eindeutig: Es teilt das Schicksal „seines" Kartells[14] : MIV-Verträge sind nach §1 GWB ebenfalls wie das Kartell grundsätzlich verboten und nach §134 BGB nichtig; die Realakte des tatsächlichen Informationsaustauschs sind rechtswidrig. Andererseits wäre bei einem nach §2 GWB oder §3 GWB freigestelltem Kartell auch ein angeschlossenes Informationssystem erlaubt. Obwohl der praktische Nutzen dieser Herangehensweise - vom Kartell zum angeschlossenen MIV - für die Entscheidung über die Zulässigkeit eines MIV offensichtlich ist, liegt die größte Schwierigkeit in dem Nachweis eines Kartells[15], da dieses oft getarnt sein und nur ein MIV als „Spitze des Eisbergs" erkennbar zutage treten wird.
[...]
[1] Tugendreich, Marktinformationsverfahren, S. 18.
[2] Tugendreich, Marktinformationsverfahren, S. 25 ff.
[3] Tugendreich, Marktinformationsverfahren, S. 129 ff.; Vollmer, FS-Mailänder, S. 215, 221.
[4] Tugendreich, Marktinformationsverfahren, S. 19.
[5] s.a. Vollmer, FS-Mailänder, S. 215, 221 f.
[6] Immenga/Mestmäcker, Zimmer, §1 GWB, Rn. 7 f.; Tugendreich, Marktinformationsverfahren, S. 202.
[7] KG, WuW/E OLG 3675, 3677 „Baumarkt-Statistik“.
[8] MünchKomm, Ulmer, §705 BGB Rn. 21.
[9] Bamberger/Roth, Timm/Schöne, §705 BGB, Rn. 41.
[10] Immenga/Mestmäcker, Zimmer, §1 GWB, Rn. 157 f.
[11] Tugendreich, Marktinformationsverfahren, S. 219.
[12] Immenga/Mestmäcker, Zimmer, §1 GWB, Rn. 159.
[13] EuG v. 27.10.1994, Rs. T-34/92, Slg. 1994 II, S. 905, Tz. 91 „Fiatagri“; Stanke, BB 2009, S. 912.
[14] Sedemund, FS-Lieberknecht, S. 571, 574; Komm. v. 13.07.1994, Rs. 94/601/EG, Abl. EG 1994 Nr. L 243, S. 1, Tz 134 „Karton“.
[15] Die praktischen Schwierigkeiten der Beweisführung und die Rolle des Indizienbeweises schildert die Europäische Kommission in der Entscheidung 94/601/EG v. 13.07.1994 Abl. EG 1994 Nr. L 243, S. 1, Tz 118 ff. „Karton“.
- Arbeit zitieren
- Oleg Fedunov (Autor:in), 2009, Kartellrechtliche Zulässigkeit von Marktinformationsverfahren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148346
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