1. Einleitung
Die Einführung des bilingualen Unterrichts an deutschen Schulen ist eine Erfolgsgeschichte, die bereits drei Jahrzehnte andauert. Nach der rasanten Entwicklung insbesondere in den vergangenen zehn Jahren steht heute fest, dass diese Unterrichtsform, in welcher die Fremdsprache als Arbeitssprache im Fachunterricht verwendet wird, keine reine Modeerscheinung ist, sondern eine dauerhafte Einrichtung in der deutschen Schullandschaft. Nur so kann sich der fremdsprachliche Unterricht an den Schulen in Bezug auf die Schüler als berufsqualifizierender Aspekt etablieren.
In der einen oder anderen Form wird der bilinguale Sachfachunterricht mittlerweile in allen Bundesländern angeboten. Die Zahl der Schulen wächst von Schuljahr zu Schuljahr und das Interesse der Fachdidaktik an bilingualem Unterricht ist so groß wie nie zuvor. Die Idee, die vor mehr als drei Jahrzehnten im Rahmen von deutsch-französischen Bildungsgängen geboren worden ist, findet bezogen auf die anderen Sprachen und unterschiedlichen Schulformen immer mehr Zuspruch.
Dabei beherrscht vor allem die Vielfalt die bilinguale „Szene“. In den ein-zelnen Bundesländern gibt es zum Teil sehr unterschiedliche Formen der Realisierung des zweisprachigen Unterrichts. Neben einer Konsolidierung bestehender Angebote waren die vergangen Jahre durch einen Trend zur Flexibilisierung bilingualen Unterrichts geprägt, welcher zu einer Ausweitung des Fächerangebots, aber auch zu variableren Organisationsstrukturen geführt hat.
Vor diesem Hintergrund stellt sich verstärkt die Frage nach dem konzepti-onellen Entwicklungsstand in Deutschland. Der unabdingbare interdisziplinäre Dialog hat begonnen und ist ungemein wichtig für das Bestehen des zweisprachigen Sachfachunterrichts. Eine umfassende Didaktik und Methodik des bilingualen Sachfachunterrichts liegt aber noch nicht vor – auch gerade deswegen nicht, weil es ein komplexes Unterfangen ist. Es bedarf des Miteinanders von Fremdsprachen- und Sachfachdidaktikern einerseits sowie von Theorie und bereits etablierten Strukturen der Unterrichtspraxis andererseits. Genau hier, an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, versucht die Literatur verschiedene Beispiele aufzuzeigen, „wie die angestrebte Integration des fremdsprachlichen und sachfachlichen Lehrens und Lernens im einzelnen aussehen kann“ . [...]
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
2. Content and Language Integrated Learning - Eckpunkte der Didaktik des bilingualen Sachfachunterrichts
2.1 Grundlagen
2.1.1 Einleitung
2.1.2 Begriffsbestimmung
2.1.3 Entwicklung bilingualer Angebote
2.2 Uberlegungen zum bilingualen „Mehrwert“
2.2.1 Sprache
2.2.2 Inhalt
2.3 Elemente einer integrativen Didaktik und Methodik im bilingualen Sachfachunterricht
2.3.1 Tendenzen
2.3.2 Integration fachlichen und sprachlichen Lernens: Sechs Thesen
2.3.3 Planungsfelder fur die Integration (fremd-)sprachlichen und fachlichen Lehrens und Lernens im bilingualen Sachfachunterricht
3. Bilingualer Geographieunterricht
3.1 Welche Facher werden bilingual unterrichtet?
3.2 Geographie in einen bilingualen Curriculum
3.3 Ziele des bilingualen Geographieunterrichts
3.4 Didaktik des bilingualen Geographieunterrichts
3.5 Wann ist der Beginn des bilingualen Geographieunterrichts sinnvoll?
3.6 Fachrelevante Arbeitsweisen sowie Unterrichtsmaterialien
4. Beispiele fur verschiedene Unterrichtseinheiten im bilingualen Geographieunterricht
4.1 Settlement, Population and Cities in the USA“
4.2 California here we come“- Ein Beispiel fur bilingualen Geographieunterricht als Frontalunterricht
5. Chancen und Risiken des bilingualen Geographieunterrichts
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
8. Anhang
- verwendete Internetseite(n)
Abbildunqs- und Fotosverzeichnis
Abbildung 1: Basic Interpersonal Communicative Skills (BICS) / Cognitive Academic Linguistic Proficiency
Abbildung 2: Aufgabenstellung / Support
Abbildung 3: Integration des sprachlichen und fachlichen Lernens im bilingualen Sachfachunterricht
Abbildung 4: Geographieunterricht und landeskundlicher Fremd- sprachenunterricht im Vergleich
Abbildung 5: Bilinguale Triangle nach HALLET (1998)
Abbildung 6: Climate graph: Fresno
Abbildung 7 Table: Types of shops in Oxfordshire
Abbildung 8: An American City
Abbildung 9: American counties
Abbildung 10: Skyline of an European and north American City
b) Fotoverzeichnis
Foto 1: Photo of a north American house and city
Foto 2: View of San Francisco
Foto 3: View of Los Angeles
Foto 4: Yosemite National Park
Foto 5: Hollywood, L. A.
Foto 6: Surfing USA
„Die Sprache ist ein Labyrinth von Wegen. Du kommst von einer Seite und kennst dich aus; du kommst von einer anderen zur selben Stelle und kennst dich nicht mehr aus. “ (Ludwig Wittgenstein)
Vorwort
Die Idee fur die vorliegende Arbeit ist wahrend meiner Zeit in den USA 2006 entstanden. Dort wurde mir die Moglichkeit geboten, amerikanische Schuler in den Facher Erdkunde und Religion auf Deutsch zu unterrichte- ten. Die Faszination uber den enormen Lernerfolg war so groB, dass ich mich immer mehr mit der Materie des bilingualen Unterrichts beschaftigt habe, was schlieBlich zu dieser Masterarbeit mit dem Thema „Bilingualer Unterricht im Fach Geographie - Chancen und Risiken“ fuhrte. Ziel dieser soll sein, die vielfaltigen Moglichkeiten des bilingualen Unterrichts aufzu- zeigen und seinen Mehrwert zu unterstreichen.
Mein besonderer Dank geht an Herrn Dr. Uwe Zagratzki und Herrn Professor Dr. Steffen Wittkowske, die sich bereit erklart haben, mich in meiner Arbeit zu unterstutzen und diese zu uberprufen.
Ein weiterer besonderer Dank geht an meine Eltern, die mir uberhaupt erst mein Studium an der Hochschule Vechta ermoglicht haben. Auch mochte ich mich bei meinen Freunden bedanken, die mich in der Zeit meiner Mas- terarbeit „ertragen“ haben.
Widmen mochte ich diese Arbeit meinem Bruder Lars, der leider im De- zember 2007 plotzlich verstorben ist. Auch bei ihm bedanke ich mich fur die Unterstutzung in den Jahren meines Studiums.
Karin Miosga
1. Einleitung
Die Einfuhrung des bilingualen Unterrichts an deutschen Schulen ist eine Erfolgsgeschichte, die bereits drei Jahrzehnte andauert. Nach der rasan- ten Entwicklung insbesondere in den vergangenen zehn Jahren steht heu- te fest, dass diese Unterrichtsform, in welcher die Fremdsprache als Ar- beitssprache im Fachunterricht verwendet wird, keine reine Modeerschei- nung ist, sondern eine dauerhafte Einrichtung in der deutschen Schulland- schaft. Nur so kann sich der fremdsprachliche Unterricht an den Schulen in Bezug auf die Schuler als berufsqualifizierender Aspekt bestehen.
In der einen oder anderen Form wird der bilinguale Sachfachunterricht mittlerweile in allen Bundeslandern angeboten. Die Zahl der Schulen wachst von Schuljahr zu Schuljahr und das Interesse der Fachdidaktik an bilingualem Unterricht ist so groB wie nie zuvor. Die Idee, die vor mehr als drei Jahrzehnten im Rahmen von deutsch-franzosischen Bildungsgangen entstanden ist, findet bezogen auf die anderen Sprachen und unterschied- lichen Schulformen immer mehr Zuspruch.[1]
Dabei beherrscht vor allem die Vielfalt die bilinguale „Szene“. In den ein- zelnen Bundeslandern gibt es zum Teil sehr unterschiedliche Formen der Realisierung des zweisprachigen Unterrichts. Neben einer Konsolidierung bestehender Angebote waren die vergangen Jahre durch einen Trend zur Flexibilisierung bilingualen Unterrichts gepragt, welcher zu einer Auswei- tung des Facherangebots, aber auch zu variableren Organisationsstruktu- ren gefuhrt hat.
Vor diesem Hintergrund stellt sich verstarkt die Frage nach dem konzepti- onellen Entwicklungsstand in Deutschland. Der unabdingbare interdiszipli- nare Dialog hat begonnen und ist ungemein wichtig fur das Bestehen des zweisprachigen Sachfachunterrichts. Eine umfassende Didaktik und Me- thodik des bilingualen Sachfachunterrichts liegt aber noch nicht vor - auch gerade deswegen nicht, weil es ein komplexes Unterfangen ist. Es bedarf des Miteinanders von Fremdsprachen- und Sachfachdidaktikern einerseits sowie von Theorie und bereits etablierten Strukturen der Unterrichtspraxis andererseits. Genau hier, an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, versucht die Literatur verschiedene Beispiele aufzuzeigen, „wie die ange- strebte Integration des fremdsprachlichen und sachfachlichen Lehrens und Lernens im einzelnen aussehen kann‘[2].
„Die Globalisierung aller gesellschaftlichen, politischen, okonomischen und okolo- gischen Prozesse sowie die weltweite Vernetzung der Kommunikation erfordern die Fahigkeit, sich auch in spezifischen beruflichen und fachlichen Kontexten in einer fremden Sprache zu bewegen, sich in einer Fremdsprache professionell oder wissenschaftlich hoher zu qualifizieren sowie in fremdsprachigen Gesellschaf- ten zu leben und zu arbeiten. ‘[3]
Diese vor allem berufsqualifizierende Fremdsprachenkompetenz ist fur den fremdsprachlichen Unterricht alleine sehr schwer umzusetzen. Hier lassen sich nunmehr sinnvolle Synergien im Verbund mit einem Fachun- terricht in einer Fremdsprache nutzen. Ein zukunftsorientierter Fachunter- richt in der Fremdsprache zielt somit auf eine wissenschaftlich belegte und fachlich angemessene Kommunikationsfahigkeit auf den Gebieten der Wirtschaft, Politik oder Forschung ab.[4]
Bilingualer Unterricht soll die Schulerinnen und Schuler[5] dazu befahigen, uber ihre Erfahrungen, ihre eigene Lebenswelt und ihren Kulturraum in einer ihnen bekannten Fremdsprache zu kommunizieren. Des Weiteren soll der bilinguale Unterricht die Schuler in die Lage versetzen, dass sie uber Phanomene, Gegebenheiten sowie Sachverhalte der zielsprachigen Kultur und Gesellschaft sowie uber Phanomene von kulturubergreifender und universaler Bedeutung, wie zum Beispiel Menschenrechte oder den Klimawandel, diskutieren konnen.
Damit den Schulern die geforderte weiter- und tiefergehende Teilnahme an Kommunikationsprozessen ermoglicht wird, muss der bilinguale Sach- fachunterricht die Lernenden dazu befahigen, in der fremden Sprache nicht nur auf der Ebene der Alltagkommunikation, sondern in wissen- schaftlich fundierter Weise fachlich sowie fachsprachig angemessen zu kommunizieren.[6]
In de]r folgenden Ausarbeitung geht es um eine Darstellung des bilingua- len Unterrichts im Allgemeinen und in der Konkretisierung bezogen auf das Fach Geographie. Es sollen generelle Fragen und Einstellungen in Bezug auf den bilingualen Unterricht und seine Ziele gestellt und weitest- gehend beantwortet werden. Des Weiteren soll der „Mehrwert“ bilingualen Unterrichts beschrieben und erklart werden.
Als Konkretisierung hierfur dient das Fach Geographie. Hierbei handelt es sich um ein sehr beliebtes Fach, wenn es um die Verknupfung der engli- schen Sprache mit einem Sachfach geht. Hier sollen nunmehr die Ziele fur den Geographieunterricht sowie konkrete Ziele aufgezeigt und erlautert werden.
AbschlieBend sollen die Chancen und auch Risiken des bilingualen Sach- fachunterrichts dargestellt und kritisch reflektiert werden.
Alles in allem soll das Ergebnis der Arbeit eine Darstellung des Fur und Wider des bilingualen Unterrichts insbesondere im Fach Geographie sein.
2. Content and Language Integrated Learning - Eck- punkte der Didaktik des bilingualen Sachfachun- terrichts
2.1 Grundlagen
2.1.1 Einleitung
Bilingualer Unterricht hat in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Be- deutung gewonnen. In vielen Landern Europas wird die Unterrichtsform des bilingualen Unterrichts in ganz verschiedenen Varianten praktiziert. Sie reicht vom Kindergarten uber die Berufsschule bis hinein in die Hoch- schulen. Bilingualer Unterricht wird folglich immer beliebter, auch in Deutschland. Hier kommt es mittlerweile sogar so weit, dass bilinguales Lernen und Lehren sich in verschiedensten Formen in den einzelnen Bun- deslandern etabliert.
Die Zahl der schulischen Angebote steigt stetig: So sind die Nachfrage und der Bedarf des bilingualen Unterrichts sowohl bei Schulern als auch bei Lehrern sehr groB. Der Grund hierfur liegt in dem immer intensiveren Blick in die Zukunft und hier insbesondere auf das bevorstehende Studium oder die Berufsausbildung. Ein weiterer Grund stellt das immer weiter zu- sammenwachsende Europa dar, welches eine einheitliche Sprache unab- dingbar macht.
Der bilinguale Unterricht bietet den Schulen die Moglichkeit der Profilbil- dung. Dies wiederum konnte einzelne Schulen von anderen abgrenzen, wodurch sie sich besser positionieren konnten.
Letztendlich heben die Fremdsprachendidaktiker das Potenzial des bilingualen Unterrichts noch einmal positiv hervor, da die Ausweitung des fremdsprachlichen Lernens auf unterschiedlichste Facher mit Blick auf die Authentizitat und die funktionale Differenzierung in verschiedenen Anwen- dungszusammenhangen gefordert wird.
Wenn man die Diskussionen in Bezug auf den zweisprachigen Sachfach- unterricht in den letzten Jahren verfolgt, so ist schnell zu erkennen, dass es sich bei diesem Unterrichtsangebot gleichsam um einen „guten“ Weg handelt, fremdsprachliches und interkulturelles Lernen miteinander zu ver- knupfen. Vor allem die Moglichkeiten und Ergebnisse an den einzelnen Schulen werden immer wieder gelobt. „Schuler sind motivierter und enga- gierter [...]“ oder „[...] die Sprachkompetenz in der Fremdsprache wachst sehr schnell“.[7] sind nur einige wenige Lobeshymnen, die auf den bilingua- len Unterricht gehalten werden.
Die Frage, die sich nun stellt, lautet: Bedeutet bilingualer Sachfachunter- richt nun tatsachlich getting two for the price of one'[8], also Sprach- und Fachkompetenz ohne weiteren Mehraufwand? Dies scheint auf den ersten Blick eine zu einfache Schlussfolgerung zu sein. Sicher hat die Verbrei- tung der bilingualen Unterrichtsform spezifische Moglichkeiten sowohl fur die Fremdsprachen als auch fur das Fachlernen, jedoch stellt sich sicher- lich nicht immer alles so einfach und rosarot dar, wie die Literatur es be- schreibt. Es kommen immer wieder Fragen auf, inwiefern sich die Moglichkeiten des bilingualen Unterrichts als so vielfaltig bezeichnen lassen und inwieweit sich fachliches und sprachliches Lernen miteinander verbin- den lassen. Eine andere Frage, die aufgeworfen wird, lautet: Was ist uberhaupt bilingual am bilingualen Unterricht? Somit muss zunachst eine Begrifferklarung in Bezug auf den bilingualen Sachfachunterricht vorge- nommen werden.
2.1.2 Begriffsbestimmung
Auf europaischer Ebene wird zunehmend der Begriff Content and Language Integrated Learning[9], kurz CLIL, verwendet. Dieser Begriff bezeichnet treffenderweise die beiden Bezugspole des bilingualen Unterrichts. In Deutschland hingegen hat sich vorwiegend der Begriff „bilingual“ durchge- setzt Der Begriff „bilingual“ selbst ist missverstandlich. Er ist zu einem Terminus geworden, der zum einen transparent und zum anderen ohne klare Kontur ist und mit dem sich zum Teil sehr unterschiedliche Realisierungsformen verbinden. Selbst wenn besondere zweisprachige Angebote an bikulturel- len oder internationalen Schulen nicht mit einbezogen werden, verdeutlicht ein Blick in die „Dokumentation der Schulen mit bilingualem Angebot in der BRD des Landesinstituts fur Schule und Weiterbildung 2000“ zum Teil groBe Unterschiede hinsichtlich der Zielsetzung und Organisationsstruk- tur, welche sich auf Schulerschaft, Dauer und Intensitat des Lehrgangs beziehen. Hinzu kommt, dass die im Begriff angelegte Zweisprachigkeit unterschiedlich definiert wird. Sie beinhaltet sowohl die angestrebte Ziel- kompetenz als auch den Einsatz zweier Lern- und Arbeitssprachen als unterrichtsmethodisches Verfahren.
In diesem Zusammenhang liegt der Schwerpunkt des Interesses primar auf der Verwendung der Fremdsprache im Fachunterricht. Um diesen nun vom Fachsprachenunterricht abzugrenzen, wird haufig auch von Sach- fachunterricht gesprochen. Wenn im Folgenden also von „bilingualem Un- terricht“ die Rede ist, folge ich der zurzeit gangigen Diktion, indem ich mich auf einen Unterricht beziehe, in dem die Fremdsprache als Arbeits- sprache im Sachfachunterricht verwendet wird. Von gelegentlichen Hin- weisen auf deutsch-franzosische Unterrichtangebote abgesehen, wird da- bei Englisch als Arbeitssprache im Mittelpunkt stehen. „Wahrend franzo- sischsprachige Fachunterricht traditionell fast ausschlieBlich in Fachern des gesellschaftswissenschaftlichen Bereiches stattfindet, ist das Ange- botsprofil im deutsch-englischen Bereich insgesamt differenzierter.“[10]
Studien verdeutlichen, dass hier auch Facher wie Erdkunde, Geschichte, Politik beziehungsweise Sozial-/Gemeinschaftskunde besonders stark ver- treten sind, dass aber auch die Naturwissenschaften, insbesondere Biolo- gie, sowie Facher des musisch-kreativen Bereiches sowie Sport in erwah- nenswerter GroBenordnung angeboten werden.
Auf organisatorischer Ebene ist zu unterscheiden zwischen bilingualen Zweigen, Zugen beziehungsweise Bildungsgangen sowie flexiblen For- men bilingualen Lehrens und Lernens mit kurzerer Laufzeit beziehungsweise der Verwendung der Fremdsprache als Arbeitssprache in einzelnen Unterrichtssequenzen, fur die sich die Bezeichnung Module durchgesetzt hat.[11],
Den „traditionellen“ Modellen der Zuge oder auch Zweige liegt ein instituti- onell verankertes, deutlich strukturiertes, mehrjahriges Curriculum bis zum Abschluss des allgemeinen Bildungsgangs in der betroffenen Schulart zugrunde, das durch Kontinuitat und ein Miteinander von Sprach- und Fachunterricht gekennzeichnet ist[12].Im Regelfall wird dabei die erste Fremdsprache mit erhohter Stundenzahl in den Klassen 5 und 6 unterrich- tet, bevor sie dann ab Klasse 7 nach und nach in einem oder mehreren Sachfachern als Arbeitssprache verwendet wird. Hierbei wird haufig zu- mindest im jeweils ersten Jahr die allgemein gultige Stundentafel fur das entsprechende Fach um eine Stunde erhoht, um zusatzliche Spracharbeit zu leisten oder die zu erwartende anfanglich langsamere fachliche Progression auszugleichen.
Betrachtet man die curricularen Vorgaben einzelner Bundeslander, so ist festzustellen, dass es zum Teil erhebliche konzeptuelle Unterschiede in- nerhalb Deutschlands gibt[13] zum Beispiel bezogen auf das Verhaltnis von Mutter und Fremdsprache im Fachunterricht:
- Niedersachsen etwa spricht von „fremdsprachig erteiltem Sach- fachunterricht“, wobei die Inhalte mit denen des muttersprachlichen Fachunterrichts identisch sind.
- Bayern dagegen geht von einer „sinnvollen Erganzung“ fremd- und muttersprachlicher Unterrichtseinheiten aus.
- In Rheinland-Pfalz hat der bilinguale Fachunterricht curricular ab- gesicherte fremdsprachliche und muttersprachliche Anteile: jeweils zwei Stunden in der Fremd- und eine Stunde in der Muttersprache mit jeweils unterschiedlichen Inhalten.
Neben diesen gesonderten Zugen gibt es jedoch auch Modelle mit kurze- rer Laufzeit. Dabei handelt es sich um Angebote, in denen epochal in ein- zelnen Unterichtssequenzen oder in Projektkursen die Fremdsprache als Unterrichtssprache im Fachunterricht verwendet wird.[14]
Unterschiede existieren auch im jeweiligen didaktischen Selbstverstand- nis. So gibt es in Anlehnung an die Anfange des bilingualen deutsch- franzosischen Unterrichts auch im deutsch-englischen Bereich Angebote mit bikultureller Ausrichtung, die sich auf angloamerikanische „Partnerkul- turen“ beziehen, die Fremdsprache als Partner definieren, wahrend sich die Mehrzahl eher an interkulturellem Lernen, Internatonalitat sowie der Funktion des Englischen als Lingua Franca orientiert.[15]
Hinzu kommt, dass der bilinguale Unterricht von einem politischen Impuls ausgehend aus der Praxis heraus entwickelt wurde. In vielen Fallen ging die Initiative nicht von den curricularen Agenturen, sondern von engagier- ten Lehrern und Lehrerinnen[16] vor Ort voraus. Konzepte wurden nach pragmatischen Gesichtspunkten, und weniger theoriegeleitet, entwickelt und erprobt.
Vor dem Hintergrund dieser Ausgangslage entsteht ein eher heterogenes Gesamtbild, das durch Vielfalt gepragt ist. Trotz allem oder vielleicht sogar gerade deswegen, scheint die Geschichte des bilingualen Unterrichts eine Erfolgsgeschichte zu sein.
2.1.3 Entwicklung bilingualer Angebote
Seit uber 30 Jahren gibt es den bilingualen Unterricht bereits in Deutschland. Die Anfange gehen auf Initiativen in der Folge des deutsch- franzosischen Kooperationsvertrages von 1963 zuruck. Mit Blick auf den europaischen Binnenmarkt und die fortschreitende Integration Europas wurden die zunachst mehrheitlich deutsch-franzosischen Zuge zuneh- mend durch deutsch-englische Angebote erganzt. Der KMK-Bericht [17] von 1999 weist insgesamt 379 Schulen in der Sekundarstufe I aus, davon 250 mit deutsch-englischen Zugen.[18]
Rechnet man die Entwicklung in den einzelnen Landern auf die gesamte Bundesrepublik hoch (allein Niedersachsen hat zum aktuellen Zeitpunkt mit uber 70 Schulen 33 bilinguale Zuge mehr als zur Zeit des KMK- Berichtes), durfte die Gesamtzahl heute bei uber 430 Schulen mit unter- schiedlichen Leistungsniveaus liegen.
Der bilinguale Unterricht hat damit jedoch noch nicht den Status eines Regelangebots erreicht, auch wenn insbesondere in den neuen Bundes- landern in den vergangen Jahren vor allem den bilingualen Modulen ein gesteigertes Interesse entgegengebracht wird. Durch diese neueren Ent- wicklungen fristet er aber auch kein Nischendasein mehr in der deutschen Schullandschaft, sondern ist zu einer tragenden Saule des schulisch ge- steuerten Fremdsprachenerwerbs geworden und hat sich als qualitatsstei- gerndes Element des fachlichen Arbeitens in den so genannten Sachfa- chern erwiesen.
Neben der quantitativen Ausweitung waren die letzten zehn Jahre auf qualitativer Ebene durch eine Konsolidierung und gleichzeitige Flexibilisie- rung bestehender Angebote gepragt:
- Lehrplane: Mehrere Bundeslander haben curriculare Materialien in Form von Lehrplanen, Handreichungen und Unterrichtsbeispielen uber ihre Ministerien oder padagogischen Institute veroffentlicht.
- Ausbildung: Eine Reihe von Hochschulen bietet Studierenden der Lehramter Zusatzstudiengange fur bilinguales Lernen und Lehren an (so auch die Universitat Osnabruck). Im Rahmen der zweiten Ausbildungsphase haben interessierte Re- ferendare und Referendarinnen mit einer entsprechenden Facher- kombination an ausgewahiten Studienseminaren die Mogiichkeit, eine Zusatzqualifikation fur biiinguaien Unterricht zu erwerben.
- Materialentwicklung: Fur die am haufigsten unterrichteten Facher, wie zum Beispiei Geschichte oder Geographie, gibt es mittierweiie Unterrichtsmateriaiien, die von Schuibuchveriagen und Landesinsti- tuten spezieii fur biiinguaie Lerngruppen in Deutschiand veroffent- iicht werden.
- Schulformen: Neben den Gymnasien bieten verstarkt Reai- und Gesamtschuien biiinguaien Unterricht an. Der KMK-Bericht von 1999 fuhrt aiiein fur Nordrhein-Westfaien 29 Reai- und 13 Gesamtschuien an.
- Beteiligte Facher: Es werden Studien zufoige 12 verschiedene Facher fur den biiinguaien Unterricht ausgewiesen. Eine deutiiche Zunahme gibt es vor aiiem bei den Naturwissenschaften sowie bei berufsorientierenden Fachern wie zum Beispiei Wirtschafts- und Arbeitsiehre.
- Ausweitung auf mehrere Sprachen: Es gibt mittierweiie, zum Beispiei in Bayern, neben der ersten auch die zweite Fremdsprache ais Arbeitssprache im biiinguaien Unterricht.
- Modularisierung: Biiinguaie Moduie werden zunehmend ais Mog- iichkeit genutzt, im Zusammenhang geeigneter Themen die Fremdsprache ais Arbeitssprache auch auBerhaib biiinguaier Zuge einzu- setzen. Dies kann beispieisweise in epochaien Unterrichtsphasen, fachbezogenen Arbeitsgemeinschaften oder facher- und grenz- uberschreitenden Projekten erfoigen.[19]
Diese fiexibie Art und Weise des biiinguaien Lernens und Lehrens kann damit aiien Schuiern die Erfahrung fremdsprachiicher Arbeit in den Sach- fachern ermogiichen. Grundsatziich konnen in weiteren Fachern im Sinne angestrebter Mehrsprachigkeit auch zusatziiche Sprachen einbezogen werden.
Mit Blick auf die systemische und kontinuierliche Integration von fachli- chem und (fremd-)sprachlichem Lernen und Lehren im bilingualen Unterricht konnen und sollen die Module das klassische bilinguale Angebot nicht ersetzen. Vielmehr sind die Module eine eigenstandige Verwen- dungsform der Fremdsprache als Arbeitssprache und der Erziehung zur Mehrsprachigkeit. Sie sollen das Angebot erweitern und damit auch den Schulen beziehungsweise den Schulformen Wege offnen, denen die Ein- richtung eines separaten bilingualen Zuges mit Blick auf Schulprofil, Schu- lerschaft oder personelle Rahmenbedingungen nicht sinnvoll oder realis- tisch erscheint.[20]
2.2 Uberlegungen zum bilingualen „Mehrwert“
„Bilingualer Unterricht ist Sachfachunterricht in einer Fremdsprache; er vertieft und erweitert interkulturelle und fremdsprachliche Kommunikati- onsfahigkeit und Kompetenz.'[21]
So oder ahnlich finden sich beide Pole des bilingualen Unterrichts - sprachliches und interkulturelles Lernen - als zentrale Zielvorgaben in den Empfehlungen und Lehrplanen einzelner Bundeslander wieder.
Was genau aber ist damit gemeint? Wie etwa unterscheidet sich der Spracherwerb im bilingualen Sachfachunterricht von dem im Fremdspra- chenunterricht? Welche inhaltlichen Unterschiede gibt es zwischen mut- tersprachlichem und fremdsprachlichem Fachunterricht?
2.2.1 Sprache
Im bilingualen Sachfachunterricht vollziehen die Schuler den Schritt vom Lernen der Fremdsprache zum Lernen in der Fremdsprache. Mit der Aus- weitung fremdsprachlichen Handelns auf unterschiedliche Facher entwi- ckeln sie Fahigkeiten, sich fachlich relevante Problemstellungen in der Fremdsprache zu erschlieBen und spezifische Sachverhalte in Gesell- schaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur zu erortern.[22]
Mit anderen Worten: Die Fremdsprache ist weniger Gegenstand des Un- terrichts als vielmehr Medium zur Bewaltigung von fachspezifischen Lern- und Arbeitsprozessen. Hieraus folgt, dass der gezielte Aufbau fremd- sprachlicher Elemente im Mittelpunkt der sprachlichen Lernprozesse ste- hen muss. Dabei geht es weniger um die Einfuhrung von Fachtermini im engeren Sinne, als vielmehr um eine Versprachlichung fachlicher Denk- und Erkenntnisweisen, also von kognitiven Strukturen und Prozessen des Analysierens, Synthetisierens und Bewertens.[23]
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der sprachliche Zugewinn nur in Teilen auf der Ebene der Alltagkommunikation angesiedelt ist. Auf re- zeptiver Ebene fuhrt die Arbeit mit authentischen fremdsprachigen Materi- alien zu einer deutlich gesteigerten Kompetenz im verstandniserschlie- Benden Umgang mit inhaltlich und sprachlich komplexen Texten. Im sprachproduktiven Bereich lernen die Schuler sich sachlich korrekt, be- grifflich genau und differenziert auszudrucken.
Die „andere“ Art der Sprachanwendung fuhrt zu einer anderen Art des Umgangs mit Fehlern. Bewertet werden primar fachliche Leistungen, nicht die sprachlichen VerstoBe. Diese Tatsache sowie die inhaltsorientierte Verwendung der Fremdsprache in verschiedenen Sachzusammenhangen fuhren im Regelfall zu einer gesteigerten mundlichen Unterrichtsbeteili- gung. Der Bildungswert des bilingualen Unterrichts auf sprachlicher Ebene ist damit zu Recht nicht nur in erweiterten Fremdsprachenkompetenzen herkommlicher Art zu sehen, sondern mehr noch „[...] im groBeren Selbst- bewusstsein der Schulerinnen und Schuler, mit der Zielsprache Englisch in funktionalen Sprachverwendungssituationen freier und selbststandiger umgehen zu konnen.'[24] Wird ihre Bereitschaft hinzugenommen, sich rela- tiv komplexe fachliche Inhalte uber eine Fremdsprache selbststandig an- zueignen, gelangt man auf ubergeordneter Ebene zu Schlusselqualifikati- onen, die heutzutage angesichts einer stetig voranschreitenden Globali- sierung fur die Nutzung der modernen Informationstechnologien, das Stu- dium und die Berufswelt von zentraler Bedeutung sind.[25]
Die Fremdsprachlichkeit erweist sich im Arbeits- und Lernprozess der Sachfacher nur auf den ersten Blick als Hindernis. Neuere Untersuchun- gen lassen darauf schlieBen, dass bilinguales Lernen gerade wegen der notwendigen gezielten Durchdringung auch der sprachlichen Dimension zu einem hoheren Grad an sprachlicher sowie methodischer Bewusstheit und nicht zuletzt Kompetenz fuhrt.[26]
Welche Rolle die Muttersprache in diesem Prozess spielt oder spielen soll, ist in der didaktischen Literatur noch sehr umstritten. Nicht umstritten ist hingegen ihre Bedeutung im Kontext fachlicher Begriffs- beziehungsweise Konzeptbildung. Hier schafft die Arbeit in und mit zwei Sprachen eine zu- satzliche Reflexionsebene beziehungsweise Tiefenscharfe, die vielfaltige Diskussionsanlasse schafft und fur den Sprachgebrauch in Alltag und Wissenschaft sensibilisiert.
2.2.2 Inhalt
Bilingualer Unterricht ist in seinen Anforderungen, Zielen, Inhalten und Methoden grundsatzlich an die geltenden Richtlinien und Lehrplane des jeweiligen Sachfaches gebunden. In diesem Punkt sind die Vorgaben aller Bundeslander gleich. Allerdings streben sie in den meisten Fallen zusatz- liche Schwerpunkte in Form eines vertieften Verstandnisses so genannter Bezugskulturen, so zu finden in NRW beziehungsweise Partnerlander wie zum Beispiel in Bayern, an. Themen und Inhalte sind demzufolge so aus- zuwahlen, dass sie einerseits den curricularen Anforderungen der einzel- nen Facher entsprechen und andererseits - wo moglich - Kenntnisse uber diese Bezugslander vermitteln sowie eine Begegnung mit deren Sichtwei- se initiieren. Dabei sollen uber Perspektivwechsel und kontrastierende Betrachtungsweisen Grundprinzipien des interkulturellen Lernens beruck- sichtigt werden. Begrifflichkeit und Konzept sind hierbei angelehnt an das curriculare Modell der deutsch-franzosischen Zuge, die bis heute noch durch kultur- und sprachenpolitische Vorgaben im Zuge der deutsch- franzosischen Annaherung gepragt sind und demzufolge eine inhaltliche Ausrichtung auf Frankreich und ein entsprechendes Facherprofil mit Be- zug zur Geschichte und Kultur des „Partnerlandes“ aufweisen.[27]
Eine entsprechend klar definierte Orientierung im Sinne bikulturellen Ler- nens und einer einheitlichen Zielsprachenkultur fallt fur deutsch-englische Modelle schwer, macht mit Blick auf die englische Sprache als Bezugs- medium auch wenig Sinn. Denn die Verbreitung des Englischen ist ge- kennzeichnet durch seine Verwendung als:
- Muttersprache in so unterschiedlichen Landern wie GroBbritannien, Irland, den USA sowie Kanada, Australien und Neuseeland,
- gultige Amts- und Verkehrssprache in zahlreichen Landern der so genannten Dritten Welt
- Lingua Franca in Wissenschaft und internationalem Verkehr.
Hieraus ergibt sich ein groBes Spektrum an relevanten Bezugen fur das interkulturelle Lernen. In der Literatur wird zunehmend dafur pladiert:
- den tradierten Kulturbegriff derart zu erweitern, dass er anders als bei dem deutsch-franzosischen Modell mit seiner Festlegung auf die gesellschaftswissenschaftlichen Facher auch Bereiche wie Ar- beitswelt, Naturwissenschaften oder Sport mit berucksichtigt und damit Facher aus anderen curricularen Aufgabenfeldern offnet,
- den inhaltlichen Kanon des jeweiligen Faches nicht unreflektiert in den bilingualen Sachdachunterricht zu ubernehmen, sondern ge- zielt Themen mit Beispielen aus zielsprachlichen Kulturen zu fullen sowie mit eigenkulturellen Inhalten zu vergleichen und damit den Blick nach auBen zu richten, aber auch die AuBensicht auf das Ei- gene zu suchen.
Beide Vorgaben zusammen ermoglichen es den einzelnen Schulen, uber die Auswahl beteiligter Sachfacher und deren inhaltliche Akzentuierung eigenstandige bilinguale Profile zu entwickeln. Diese konnen entweder an einem Fach, einem Aufgabenfeld oder an aufgabenfeldbergreifenden Fa- cherfolgen orientiert sein. Sie sollten sich allerdings nicht ausschlieBlich an dem personellen Zufallsfaktor von an der Schule vertretenen Facher- kombinationen orientieren, sondern einem klar definierten didaktischen Rahmen in Form eines schulinternen bilingualen Curriculums folgen.[28]
Die einzelnen Facher werden in diesem Zusammenhang unterschiedliche Zugange zu interkulturellem Lernen definieren. Ein naturwissenschaftli- ches Fach wie Biologie etwa kann sich an der Funktion des Englischen als Lingua Franca im Rahmen einer global gepragten Fachkultur orientieren, aber auch gezielte inhaltliche Schwerpunkte setzen. Als Beispiel konnte man die Gentechnik im Spannungsfeld ethischer und okonomischer Fak- toren im Vergleich USA und Deutschland nennen. Im Rahmen eines ge- sellschaftswissenschaftlichen Profils lieBe sich eine Europaorientierung uber eine verstarkte Berucksichtigung GroBbritanniens und Irlands reali- sieren.
Insgesamt haben die einzelnen Fachgruppen die Moglichkeit, den oben genannten Begriff der englischsprachigen Bezugskulturen im Rahmen ih- res bilingualen Schulprofils zu definieren, also angloamerikanisch, europa- isch oder global. Sie sollten dabei moglichst viel curricularen Freiraum haben, da nur so die eigentliche Chance des bilingualen Unterrichts wirklich genutzt werden kann, namlich Lehren und Lernen in zwei Sprachen und damit auch in unterschiedlichen kulturellen Kontexten und Traditionszu- sammenhangen, das heiBt auch in fachlichen Traditionen der Schulfa- cher.[29]
Genau hier aber liegt im Vergleich zum muttersprachlichen Curriculum der bilinguale Mehrwert auf inhaltlicher Ebene. Wenn bilingualer Unterricht den Eindruck vermeiden will, dass das fachliche Lernen zu Gunsten des Spracherwerbs instrumentalisiert wird, muss er Antworten auch auf die Frage nach dem Zugewinn fur das Sachfach geben konnen, d.h., er muss uber die Akzentuierung des interkulturellen Lernens ein eigenstandiges inhaltliches Profil ausformen.
2.3 Elemente einer integrativen Didaktik und Methodik im bilingua- len Sachfachunterricht
2.3.1 Tendenzen
Bilingualer Unterricht lebt von der Einsatzbereitschaft der unterrichtenden Lehrer sowie von deren fachlicher, fachsprachlicher und didaktisch- methodischer Kompetenz. Im Rahmen burokratischer Vorgaben wurden in den ersten Jahren bilingualer Unterrichtspraxis an den einzelnen Schulen zum Teil sehr unterschiedliche Modelle nach pragmatischen Gesichts- punkten initiiert und erprobt. Curriculare beziehungsweise didaktisch- methodische Hilfestellungen hatten die Pioniere des bilingualen Unter- richts, wenn uberhaupt, in Form von Handreichungen oder Empfehlungen der jeweiligen Kultusministerien. Eigenstandige Lehrplane, wie etwa in Rheinland-Pfalz, waren und sind die Ausnahme. Kein Wunder also, dass eine enorme Vielfalt das Bild vom bilingualen Unterricht pragt.
Die unterschiedlichen Realisierungsformen sind zunachst einmal nicht das Problem. Ganz im Gegenteil: Im Rahmen einer Erprobungsphase ermogli- chen sie es den einzelnen Schulen, individuell nach den ortlichen Gege- benheiten zu planen. Nach uber 30 Jahren stellt sich aber die Frage nach dem konzeptionellen Entwicklungsstand des bilingualen Unterrichts im Allgemeinen sowie der „real existierenden“ schulischen Angebote im Be- sonderen. Denn einerseits hat sich in der Zwischenzeit die didaktische Grundlagendiskussion deutlich weiterentwickelt. Andererseits aber erfor- dert der oben beschriebene Trend der Flexibilisierung des bilingualen Unterrichts eine terminologische Abgrenzung und eine klarer konturierte cur- riculare Positionsbestimmung.
Der Konsens zwischen Theorie und Praxis faiit dabei offensichtlich schwer. Hochschuididaktiker kritisieren, dass die Unterrichtspraxis ohne einen kiar definierten didaktischen-methodischen Bezugsrahmen stattfin- det. Es wir beispieisweise von praxisnaher Modeiibiidung gesprochen, aber auch von diiettantischem Experimentieren. Praktiker iehnen anderer- seits zu viei didaktischen Uberbau in der Uberzeugung ab, dass die „Schulpraxis der Theorie um Meilen vorausgeeilt ist."[30]
Zudem kommt der interdiszipiinare Diaiog zwischen den Fremdsprachen- und Sachfachdidaktikern nur schwer in Gang. Gerade der ist aber eiemen- tar wichtig, wenn es um die Erarbeitung eines eigenstandigen Profiis des biiinguaien Sachfachunterrichts geht. Wiii man das sprachiiche und inhait- iiche Potenziai des biiinguaien Unterrichts ausschopfen, so muss man „mit beiden Augen sehen"[31].
Nach iangen Diskussionen hat sich inzwischen die Einsicht durchgesetzt, dass die Kiuft, die zwischen fachiichem und fremdsprachiichem Lernen besteht, geschiossen werden muss. Dies bedeutet, dass
- das funktionaie Miteinander von Fremdsprachenunterricht und bi- iinguaiem Sachfachunterricht gekiart werden muss;[32]
- nach Mogiichkeiten gezieiter Unterstutzung der „language and learning demands'[33] zu suchen ist, um die Diskrepanz zwischen dem auszugieichen, was die Schuier sagen woiien, und dem, was sie sagen konnen.
Hieraus foigt, dass sich eine Didaktik und Methodik des biiinguaien Unterrichts nichts aus der Addition von Fremdsprachen- und Sachdachdidaktik ergeben, sondern dass sie ein eigenstandiges Profii - differenziert in fach- spezifische und fachubergreifende Eiemente - haben mussen.
In der Diskussion zwischen Theoretikern und Praktikern, Fach- und Fremdsprachenvertretern wurden iange fachiiche und fremdsprachiiche Arbeit gegeneinander ausgespieit. Sprache erschien den Vertretern der Sachfacher, und haufig genug auch den Praktikern, die sich in erster Linie als Fachlehrer verstehen, oft als etwas Zusatzliches und meist auch Be- lastendes. Dabei ist es genau umgekehrt; auch wenn der Status als Sach- fachunterricht unumstritten ist, wird der an der fachlichen Progression des jeweiligen Faches orientierte Aufbau einer fachspezifischen Diskursfahig- keit benotigt, um fachliche Inhalte korrekt und differenziert auszudrucken.
Umgekehrt gilt: Fachliches Lernen ist immer auch sprachliches Lernen. Die Schnittmenge wird durch die fachspezifischen, fur das verbale Denken zustandigen kognitiven Prozesse und Begriffsbildungen markiert.[34]
2.3.2 Integration fachlichen und sprachlichen Lernens: Sechs Thesen
Im folgenden Punkt soll keine ausdifferenzierte Theorie von Content and Language Integrated Learning, kurz CLIL, vorgestellt werden, sondern vielmehr eine kleine Didaktik der Integration von sprachlichem und inhaltli- chem Lernen in Eckpunkten dargestellt werden. Diese Eckpunkte werden im weiteren Verlauf der Arbeit immer wieder aufgegriffen.
Bei der Erstellung dieser Didaktik stutze ich mich auf Elemente der Mate- rialentwicklung und der Entwicklung von bilingualen Reihen- und Stunden- konzepten, die sich in den letzten fast zwei Jahrzehnten in der Lehreraus- bildung der zweiten Phase bewahrt haben.
Ich habe nun insgesamt sechs Thesen aufgestellt, welche entweder verifi- ziert oder falsifiziert und naturlich belegt werden mussen.
- These 1:
Integration von Inhalt und Sprache bedeutet fur das bilinguale Sachfach die Verwendung der Fremdsprache als Arbeitsspra- che. Ausgangs- und Bezugspunkt didaktischer Planung ist damit zunachst die Fachdidaktik des Sachfaches. Fremdspra- chendidaktische Konzepte und Methoden unterstützen die fachspezifischen Lehr- und Lernprozesse.
[...]
[1] Vgl. Wildhage/Otten 2007, S. 10.
[2] Ebd.
[3] Finkbeiner 2002, S. 14.
[4] Vgl. ebd., S. 14ff.
[5] Im Folgenden steht der Ausdruck „Schuler" sowohl fur die feminine als auch die maskuline Bedeutung. Dies macht das Lesen der vorliegenden Arbeit weniger kompliziert.
[6] Vgl. Finkbeiner 2002, S. 15ff.
[7] Wildhage/Otten 2007, S. 12.
[8] Ebd., S. 13.
[9] Vgl. ebd., S. 14ff. und Finkbeiner 2002, S. 10ff.
[10] Definition nach KMK 1999.
[11] Vgl. Lohmann 1998 oder Wildhage 2000.
[12] Vgl. Finkbeiner 2002, S. 10.
[13] Vgl. Wildhage/Otten 2007, S. 14ff.
[14] Im Folgenden steht der Ausdruck „Lehrer" sowohl fur die feminine als auch die maskuline Be- deutung. Dies macht das Lesen der vorliegenden Arbeit weniger kompliziert.
[15] KMK ^ Kultusministerkonferenz
[16] Vgl. KMK 1999.
[17] Vgi. Wiidhage/Otten 2007, S. 16f.
[18] Vgl. Christ 2002.
[19] Ministerium fur Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung Rheinland Pfalz 2001, S. 337.
[20] Vgl. Wildhage/Otten 2007, S. 18.
[21] Vgl. Vollmer 2000, S. 51ff.
[22] ZydatiB 2001, S. 7.
[23] Vgl. Wildhage/Otten 2007, S. 19.
[24] Ebd.
[25] Vgl. ebd., S. 20.
[26] Vgl. ebd., S. 21.
[27] Vgl. Rossler 2002.
[28] Rautenhaus 2000, S. 115.
[29] Breidbach 2002, S. 12.
[30] Vgi. Mentz 2001, S. 68ff.
[31] Vgi. Ciegg 2001.
[32] Vgl. ZydatiB 2001/2002.
[33] Vgl. Clegg 2001.
[34] Vgl. Zydatiß 2001/2002.
- Citar trabajo
- Karin Miosga (Autor), 2008, Bilingualer Unterricht im Fach Geographie - Chancen und Risiken, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148154
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