Schon viele Regisseure hatten sich vor Kubrick an einer passenden Darstellung des Vietnamkrieges aus amerikanischer Perspektive versucht. Viele sind gescheitert, etwa am eigenen Anspruch oder an gestelzter Politisierung. Keiner schildert filmisch diesen Krieg wie Kubrick es tat. "Full Metal Jacket" heißt das kontrovers diskutierte Ergebnis seiner zweitletzten Regiearbeit von 1987. Mit seiner typisch pedantisch perfektionistischen Art gelingt Kubrick ein ohne Frage beeindruckendes Werk. Warum besitzt dieser Film Kultstatus sogar unter Kritikern? Welche Merkmale heben ihn von der Masse ab und machen ihn zum Vorreiter?
In dieser Arbeit möchte ich mich mit den Eigenwilligkeiten von "Full Metal Jacket" auseinandersetzen. Zuerst werde ich den Film im Detail vorstellen. Hierbei gehe ich insbesondere auch auf die Romanvorlage von Gustav Hasford ein. Anschließend folgt im Hauptteil ein Überblick des Kriegsfilmgenres sowie die Abgrenzung zu Kubricks "Paths Of Glory" und dem bekannten "Platoon" von Oliver Stone, der als genretypischer Film gilt. Genaues Augenmerk wird gegen Ende der Arbeit auf die Dualität oder besser formuliert die Dualitäten in "Full Metal Jacket" gelegt. In diesem Zusammenhang befasse ich mich auch näher mit der zwielichtigen Persönlichkeit von Private Joker, der wichtigsten Figur. Joker erwähnt im Mittelteil der Handlung die Arbeit des Psychologen C.G. Jung, inklusive seines Dualitätsbegriffs. Der Ansatz wird kurz porträtiert und dann auf den Film bezogen. In einem kurzen Fazit werden schließlich die Erkenntnisse gesammelt, ausgewertet und gegenübergestellt. Stanley Kubrick hat Novitäten eingeführt, „Stilbrüche“ verteidigt und den Einfluss des Geldes ignoriert. Vor allem entstanden aus seiner Hand außergewöhnliche Geschichten. Sein zweitletzter Film "Full Metal Jacket" gehört mit Sicherheit dazu. Wenn Gustav Hasford in der Lage war, das Buch zu schreiben, dann war Stanley Kubrick auch in der Lage, einen Film darüber zu drehen. Zweifelt jemand daran?
Inhalt
1 Einleitung
2 Der Film Full Metal Jacket
2.1 Basisinformationen
2.2 Die Handlung
2.3 Das Buch The Short Timers
3 Full Metal Jacket im Kriegsfilmgenre
3.1 Das Geschäft mit Vietnam
3.2 Als Nachfolger von Paths Of Glory
3.3 Gegenüberstellung mit Platoon
4 Dualität in Full Metal Jacket
4.1 Dramenstruktur nach Gustav Freytag
4.2 Ein Film in zwei Teilen
4.3 Joker und die Dualität des Menschen
4.4 C.G. Jungs Ansatz
4.4.1 theoretische Grundlagen
4.4.2 Die Dualität nach C.G. Jung
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
6.1 Internetquellen
7 Anhang
7.1 Stanley Kubricks Biografie
7.2 Inhaltsangabe von Paths Of Glory
7.3 Inhaltsangabe von Platoon
1 Einleitung
Helmut Schanze hat in seinem Siegener Seminar Meisterwerke der Literaturverfilmung immer betont: „Vor jedem Film steht ein Buch“. Für den amerikanischen Regisseur Stanley Kubrick ist es sogar möglich, aus jedem Buch einen „funktionierenden“ Film zu machen. „If it can be written, it can be filmed“, hat der bekannte Filmemacher einmal verlauten lassen. Stanley Kubrick war schon immer anders, genauso wie seine Filme. Man konnte ihn nicht auf ein Kunstfilmer-Image festmünzen, seine Projekte zeichnen sich durch eine Vielart von Themen und Umsetzungen aus.
Schon viele Regisseure hatten sich vor Kubrick an einer passenden Darstellung des Vietnamkrieges aus amerikanischer Perspektive versucht. Viele sind gescheitert, etwa am eigenen Anspruch oder an gestelzter Politisierung. Keiner schildert filmisch diesen Krieg wie Kubrick es tat. Full Metal Jacket heißt das kontrovers diskutierte Ergebnis seiner zweitletzten Regiearbeit von 1987. Mit seiner typisch pedantisch perfektionistischen Art gelingt Kubrick ein ohne Frage beeindruckendes Werk. Warum besitzt dieser Film Kultstatus sogar unter Kritikern? Welche Merkmale heben ihn von der Masse ab und machen ihn zum Vorreiter?
In dieser Arbeit möchte ich mich mit den Eigenwilligkeiten von Full Metal Jacket auseinandersetzen. Zuerst werde ich den Film im Detail vorstellen. Hierbei gehe ich insbesondere auch auf die Romanvorlage von Gustav Hasford ein. Anschließend folgt im Hauptteil ein Überblick des Kriegsfilmgenres sowie die Abgrenzung zu Kubricks Paths Of Glory und dem bekannten Platoon von Oliver Stone, der als genretypischer Film gilt. Genaues Augenmerk wird gegen Ende der Arbeit auf die Dualität oder besser formuliert die Dualitäten in Full Metal Jacket gelegt. In diesem Zusammenhang befasse ich mich auch näher mit der zwielichtigen Persönlichkeit von Private Joker, der wichtigsten Figur. Joker erwähnt im Mittelteil der Handlung die Arbeit des Psychologen C.G. Jung, inklusive seines Dualitätsbegriffs. Der Ansatz wird kurz porträtiert und dann auf den Film bezogen. In einem kurzen Fazit werden schließlich die Erkenntnisse gesammelt, ausgewertet und gegenübergestellt. Stanley Kubrick hat Novitäten eingeführt, „Stilbrüche“ verteidigt und den Einfluss des Geldes ignoriert. Vor allem entstanden aus seiner Hand außergewöhnliche Geschichten. Sein zweitletzter Film Full Metal Jacket gehört mit Sicherheit dazu. Wenn Gustav Hasford in der Lage war, das Buch zu schreiben, dann war Stanley Kubrick auch in der Lage, einen Film darüber zu drehen. Zweifelt jemand daran?
2 Der Film Full Metal Jacket
„Ich wollte das exotische Vietnam sehen, das Kleinod von Südostasien. Ich habe mir gedacht, ich treffe interessante, anregende Menschen aus einer alten Kultur... und kille sie!“ (Private Joker )
2.1 Basisinformationen
Im Jahr 1987 stellt Stanley Kubrick[1] den Antikriegsfilm Full Metal Jacket[2] fertig. Die erste Arbeit an FMJ - der Titel des Films bezieht sich auf die englische Bezeichnung von Vollmantelgeschosskugeln in Gewehren – beginnt schon viel früher, um 1982 etwa. Die gesamte Produktion wird auf einer Themseinsel in London durchgeführt. Ergänzend werden Archivmaterial und Luftaufnahmen verwendet. Neben Kubrick sind der Verfasser der Romanvorlage The Short Timers, Gustav Hasford, und Michael Herr am Drehbuch von FMJ beteiligt, das später auch für den Oscar nominiert wird. Für die abwechslungsreiche Musik des 116-Minuten-Films bzw. deren Auswahl zeichnen Tochter Vivian Kubrick und Rolling Stones-Sänger Mick Jagger verantwortlich.
Als Schauspieler kann Stanley Kubrick die zumindest zu der Zeit größtenteils unbekannten Matthew Modine (Private Joker bzw. J.T. Davis), R. Lee Ermey (Gunnery Sgt. Hartman), Vincent D`Onofrio (Private Pyle bzw. Leonard Lawrence), Adam Baldwin (Animal Mother), Dorian Harewood (Private Eightball), Arliss Howard (Private Cowboy), Kevin Mayor Howard (Private Rafterman), Ed O’Ross (Lt. Walter J »Touchdown« Tinoshky), John Terry (Lt. Lockhart), Kieron Jecchinis (Crazy Earl) und Kirk Taylor (Private Payback) gewinnen. Kurios in diesem Zusammenhang die Besetzung von R. Lee Ermey als Gunnery Sgt. Hartman. Eigentlich nur als Trainer vorgesehen, füllt der Vietnamveteran und ehemalige Drill Instructor Ermey die Rolle derart überzeugend aus, dass Kubrick ihn kurzerhand richtig für die Rolle übernimmt: „It was quite clear that Lee was a genius for this part".[3]
2.2 Die Handlung
Der Film setzt bei der Kopfrasur der Rekruten im Ausbildungslager der U.S.-Marines in Parris Island, South Carolina in den USA zur Zeit des Vietnamkriegs ein. In der anschließenden Musterung durch ihren Ausbilder Sergeant Hartman erhalten einige Rekruten neue Namen wie Cowboy, Joker, Snowwhite oder Pyle. Diese Umbenennung unterstützt das Ziel des Ausbilders, die späteren Soldaten ihrer Identität zu berauben und zu gefühllosen Killern auszubilden. Neben dem erbarmungslos harten Drill der Grundausbildung müssen die Rekruten die wüsten und obszönen Beschimpfungen sowie Demütigungen aller Art von Seiten Hartmans über sich ergehen lassen. Besonders der fettleibige und ungelenke Private Pyle[4] wird immer wieder zum Opfer der Beleidigungen. Schon bei kleinsten Fehlern wird er bestraft bis hin zur Ausgrenzung – Hartman bestraft schließlich sogar den gesamten Zug an seiner Stelle.
Konnte sich Pyle vorher wenigstens der Unterstützung des Protagonisten Joker sicher sein, führt diese Maßnahme zu einer einmaligen Racheaktion aller Kameraden gegen Pyle, die in ihm endgültig jede emotionale Sensibilität und menschliche Zuversicht zerstört. Pyle entwickelt sich danach endlich zum guten Soldaten. Er besteht die Prüfung zum Marine, nicht zuletzt dank unerwartet guter Leistungen bei Schießübungen. Doch in der letzten Nacht im Lager eskaliert die Situation, als der psychisch labile Pyle auf der Toilette zuerst Hartman und dann sich selbst erschießt.
Die nächste Szene spielt bereits in Vietnam. Der als Kriegsberichterstatter eingesetzte Joker wird auf ausdrücklichen Wunsch – hier zeigt sich die Wirkung der Ausbildung – an die Front versetzt und trifft dort auf den alten Freund Cowboy, mit dessen Zug er während der Tet-Offensive vor der umkämpften Stadt Hué Stellung bezieht. Der Zug vergnügt sich mit vietnamesischen Prostituierten und gibt naive bis verrohte Interviews für ein Aufnahmeteam. Auf einem Späheinsatz im zerstörten Hué gerät Cowboys Zug in einen Hinterhalt eines Scharfschützen, der mehrere Soldaten, u.a. Cowboy, tötet, bevor er von Joker aufgespürt und von Rafterman angeschossen wird. Der Scharfschütze entpuppt sich als minderjähriges Mädchen, das schwer verletzt um den Gnadentod fleht. Joker kommt der Bitte nach und kann somit seinen ersten „amtlichen Kill“ vorweisen. Der Film endet mit dem Abzug der Soldaten in der Abenddämmerung. Sie singen ein Lied über Mickey Mouse. Eine ausführliches Sequenzprotokoll zu FMJ ist in den Anhang aufgenommen.[5]
2.3 Das Buch The Short Timers
FMJ basiert auf der Semi-Autobiografie The Short Timers von Gustav Hasford, der darin seine Erlebnisse als US-Soldat im Vietnamkrieg verarbeitet. Kubrick findet Auszüge des Buchs, dessen deutscher Titel „Höllenfeuer“ lautet, in der Zeitschrift Virginia Kirkus Report.[6] Der Regisseur selbst geht davon aus, „das Buch hätte ihn aufgespürt – nicht er das Buch.“[7] The Short-Timers besteht aus drei Episoden, die sich durch unterschiedliche Erzählstile voneinander absetzen.
Im ersten Teil The Spirit of the Bayonet – geschrieben in einfacher Sprache – werden Jokers Tage im Ausbildungslager wiedergegeben. Brutal Killers erzählt von Joker als Kriegsberichterstatter, seiner Reise nach Hué mit dem Fotografen Rafterman und dem Zusammentreffen mit seinem Freund Cowboy. Dass der Erzählstil mit jedem Teil anspruchsvoller wird, kann man an den „Traum-Sequenzen“ ausmachen, die Beziehung nehmen auf eine Verletzung Jokers. Die abschließende Sektion Grunts macht dahingehend ebenfalls eine Weiterentwicklung durch, weil viel Zeit auf Jokers innere Gedanken verwendet wird. Joker ist mit Cowboys Einheit unterwegs, diesmal allerdings auf einer Mission im Dschungel Vietnams.[8]
Film und Buch weisen zahlreiche Unterschiede auf. Zwar befindet Kubrick den Titel The Short Timers auch für den Film als passend, aber nur „wenn man bereits wüsste, das er sich auf Marineinfanteristen bezieht, die für eine begrenzte Zeit im Vietnamkrieg eingesetzt wurden“.[9]
Dass der gewählte Titel Full Metal Jacket mindestens ebenso große Verwirrung für die Zuschauer mit sich bringt, scheint hier nebensächlich. Alexander Walker geht davon aus, dass Kubrick den Namen wählte, um den Zynismus seines Werks zu unterstreichen. Er zitiert den Regisseur: „Metallhülse [„full metal jacket“] bezieht sich auf die Konstruktion der (...) Pistolenkugel, die aus einem Bleikern und einer Kupferhülse besteht, um das Laden des Gewehrs zu erleichtern. Die Hülse verhindert auch, dass sich das Blei in der Wunde ausdehnt, was die Genfer Waffenkonvention vorschreibt.“[10] Durch das Unterbringen der Ironie eines „menschlicheren Tötungswerkzeugs“ im Titel[11], erreicht Kubrick größere Aufmerksamkeit für die Absurdität des Krieges, die er darstellen möchte.
Weiterhin verändert Kubrick einige Namen gegenüber der Originalfassung und lässt die beiden letzten Roman-Episoden zur Scharfschützen-Geschichte verschmelzen. Andere literarisch prägenden Motive werden in der filmischen Umsetzung gänzlich ignoriert: Diverse Anspielungen auf den zweiten Weltkrieg fallen weg. Das das Denken der Soldaten bestimmende Kalendermotiv mit dem Rest der Diensttage (daher auch der Titel The Short Timers, deutsch: Die Kurzarbeiter) taucht nur im Hintergrund auf. In FMJ erfüllt zwar Private Joker die Funktion des aus dem Off berichtenden Erzählers, doch in seiner Gesamtheit zeigt der Film eine Blick-Allmacht. Kennzeichnend hierfür ist das Weglassen der Träume Jokers, welche in Hasfords Text, der deutlicher aus der Ich-Perspektive erzählt wird, detailliert vorkommen.
Wie aus verschiedenen Quellen berichtet wird, gibt es beträchtliche Spannungen zwischen Kubrick und dem Drehbuchautor Hasford, obwohl sie sich nur ein einziges Mal persönlich treffen. Letzterer „erwies sich als jedoch als schwieriger Mitarbeiter und, tatsächlich war er ziemlich unvorhersehbar in seinen Reaktionen und wurde manchmal sogar drohend. Michael Herr, der zweite Drehbuchautor, den Kubrick hinzuzog, war mehr nach dessen Geschmack und gewiss zuverlässiger.“[12] Herr wird zur Verärgerung von Hasford vor ihm im Abspann des Filmes genannt.
Gustav Hasford wird als einer der wichtigsten Schriftsteller zum Thema Vietnamkrieg anerkannt. Der Erfolg bleibt ihm, von FMJ abgesehen, allerdings versagt. Heutzutage wird keiner seiner drei Romane noch gedruckt. Hasford stirbt 1993 einsam und allein in einem Hotel auf der griechischen Insel Aegina.[13] Stanley Kubrick hält The Short Timers für den besten Bericht zum Vietnam-Krieg, denn das Buch „gibt keine politischen oder moralischen Antworten; es ist weder für den Krieg noch gegen ihn. Es schien mir an nichts anderem interessiert als an der faktischen Wirklichkeit“.[14]
[...]
[1] Eine selbst zusammengestellte Biografie von Stanley Kubrick findet sich im Anhang.
[2] Full Metal Jacket wird abgekürzt durch FMJ.
[3] http://www.washingtonpost.com/wp-srv/style/movies/features/kubrick1987.htm
[4] Der Name bezieht sich vermutlich auf die amerikanische Zeichentrickfigur Gomer Pyle (vergl. Rasmussen, Randy; Stanley Kubrick: seven films analysed. Jefferson, USA: Mc Farland & Company, 2001; S. 290). In der deutschen Übersetzung wird aus Pyle der Name Paula.
[5] siehe S. 22
[6] vergl. http://private.freepage.de/cgi-bin/feets/freepage_ext/41030x030A/rewrite/project-net/fmj.htm
[7] vergl. Walker, Alexander: Stanley Kubrick: Leben und Werk. Berlin: Henschel, 1999; S. 311
[8] vergl. http://en.wikipedia.org/wiki/The_Short-Timers
[9] Walker, Alexander: Stanley Kubrick: Leben und Werk. Berlin: Henschel, 1999; S. 311
[10] ebd.
[11] Vergl. ebd.
[12] Walker, Alexander: Stanley Kubrick: Leben und Werk. Berlin: Henschel, 1999; S. 314
[13] http://en.wikipedia.org/wiki/Gustav_Hasford
[14] Seeßlen, Georg/Jung, Ferdinand: Stanley Kubrick und seine Filme. Marburg: Schüren, 2001; S. 263
- Quote paper
- Daniel Efler (Author), 2007, Born to Kill, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147331
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