Die vorliegende Arbeit behandelt für erziehungswissenschaftliche Kontexte ein relativ ungewöhnliches Thema: Es geht um die Konstruktion und Anwendung von Simulaionsprogrammen in einem sozialpädagogischen Handlungsfeld, nämlich einem Wohnheim für verhaltensauffällige Jugendliche. Zum Einsatz kommt hier ein Programm namens Zellularautomat, welcher in der Simulation prognostizieren soll, welche Subgruppen sich innerhalb des Wohnheimes bilden und wie wohl sich die Gruppenmitglieder fühlen. Die Simulationsergebnisse werden in der Folge mit empirischen Erhebungen der Wohnheimgruppe verglichen. Insofern ist das übergeordnete Ziel dieser Arbeit die empirische Testung der Simulationsprogramme auf deren Gegenstandsadäquatheit in Bezug auf sozialpädagogische Praxixfelder. Letztlich zeigt die vorliegende Arbeit auf diese Weise exemplarisch, was bei der Konstruktion und der praktischen Anwendung von Computersimulationsprogrammen in sozialen Handlungsfeldern zu beachten ist.
Inhaltsverzeichnis
Prolog
1. Einleitung
2. Beschreibung des exemplarischen, pädagogischen Gegenstands
3. Mögliche Gründe für die Abstinenz von Computersimulationsprogrammen
in pädagogikrelevanten Wissenschaften und deren Anwendungsbereichen
3.1 Therapeutische Konzepte und Prinzipien in der Jugendhilfe
3.2 Erkenntnistheoretischer Hintergrund in der empirischen Sozialforschung
3.3 Trägerideologie
3.4 Fazit
4. Funktion und Methoden der empirischen Sozialforschung
4.1 Funktion der empirischen Sozialforschung
4.2 Quantitative und qualitative Forschungsmethoden
4.2.1 Grundorientierung und Prinzipien quantitativer Sozialforschung
4.2.2 Grundorientierung und Prinzipien qualitativer Sozialforschung
4.2.3 Die quantitative Befragung
4.2.4 Die qualitative Befragung
4.2.5 Die quantitative Beobachtung
4.2.6 Die qualitative Beobachtung
5. Beschreibung der empirischen Untersuchungen der Jugendgruppe
5.1 Erkenntnisinteresse
5.1.1 Das der Befragung zu Grunde liegende Erkenntnisinteresse
5.1.2 Das der Beobachtung zu Grunde liegende Erkenntnisinteresse
5.2 Methodisches Vorgehen bei der Befragung
5.3 Methodisches Vorgehen bei der Beobachtung
6. Datenauswertung der empirischen Untersuchungen
6.1 Ergebnisse der Befragung
6.2 Ergebnisse der Beobachtung
7. Methodenreflexion
7.1 Reflexion der Befragung
7.2 Reflexion der Beobachtung
8. Computersimulation der Jugendgruppe
8.1 Begriffsdefinitionen
8.1.1 System
8.1.2 Gruppen-, bzw. Systemdynamik
8.1.3 Simulation
8.1.4 Modell
8.1.5 Trajektorie
8.2 Computersimulationsprogramme in den Sozialwissenschaften
8.3 Die Funktionsweise von Zellularautomaten
8.4 Der Zellularautomat MORENO12
8.5 Das dem ZA12 zu Grunde liegende Erkenntnisinteresse
8.6 Konkrete Vorgehensweise bei der Simulation
9. Auswertung und Reflexion der Simulation
9.1 Ergebnisauswertung der Simulation
9.1.1 Vergleich der Simulationsergebnisse mit denen der Beobachtung
9.1.2 Vergleich der Simulationsergebnisse mit denen der Befragung
9.1.3 Befragung der Gruppenerzieher nach der Realitätsnähe der Ergebnisse
9.1.4 Fazit
9.2 Reflexion der Simulationsanwendung
10. Vergleich: Empirische Methoden und Computersimulation
11. Reflexion der Kombination von empirischen Methoden und Computersimulation
12. Anwendungsperspektiven von Computersimulationen in Forschung und
Jugendhilfe
Epilog
Literaturverzeichnis
Anhang
Prolog
Gabis Pulsfrequenz steigt, erster Angstschweiß macht sich als feuchter Film auf ihren Handinnenflächen bemerkbar, Hektikflecken machen sich auf Hals und Wangen wie feuerrote Nordlichter breit. Gabis Gestik und Mimik werden unsicher.
Gabi ist Erzieherin in der stationären Jugendhilfe. Es ist wieder mal Wochenende, viele von Gabis Schutzbefohlenen sind zu ihren Eltern nach Hause gefahren oder sind bei Freunden zu Besuch.
An der Anzahl der auf der Gruppe verbliebenen Jugendlichen gemessen, müsste der Dienst allein zu schaffen sein. Und Gabi ist allein, allein auf der Gruppe, allein in der Heimküche, allein mit fünf Jugendlichen, wovon zwei die Auslöser für Gabis bedauernswerten Zustand sind. „Schwule, behinderte Sau!“, „Eklige Missgeburt, dich hätte Adolf als ersten vergast!“, „Dich alte Lesbe nur kurz später!“, dröhnt es mit pubertärem Bass durch die Küche.
Die Gruppenmitglieder Tim und David beginnen damit, die restlichen Mitglieder zu provozieren und unter Druck zu setzen.
Unsere tapfere Erzieherin überlegt in ihrer Hektik, was in dieser Situation die angemessenste Reaktion auf das Verhalten von Tim und David sein könnte. „Klatsch!“ Das nasse Küchenhandtuch, geführt durch Tims Hand, landet in Kevins Gesicht, die Aufschlagstelle färbt sich augenblicklich rot. Von Kevins linker Augenbraue fallen kleine Stücke von Essensresten und Schmutzwassertropfen.
Dies war die Reaktion Tims auf die trotzige Antwort des viel jüngeren Kevin, der darauf bestand, keine Missgeburt zu sein, jedenfalls nicht mehr als Tim und David auch. Gabis Puls beginnt an ihren Schläfen zu hämmern. Ein unangenehmer Druck in ihren Augäpfeln lässt diese etwas hervortreten. Sie fühlt sich gezwungen zu handeln. Wieder schießen ihr die Gedanken durch den Kopf: „Reagiere ich angemessen und schütze Kevin und die anderen Angegriffenen, oder tu ich so, als ob ich nichts gesehen und gehört hätte, um eine weitere Eskalation, in welche ich dann mit einbezogen würde, zu vermeiden?
Als ordentliche Erzieherin entscheidet sich unsere Protagonistin dafür einzuschreiten: „Tim, entschuldige dich sofort bei Kevin und den anderen Beiden, und heb das Handtuch gefälligst auf! Und was den morgigen Besuch im „Movie World“ angeht, den kannst du dir bei dem Verhalten von der Backe putzen!“ Nach einer Pause des Erstaunens über die eigene Courage fügt Gabi hinzu:„ Das gilt auch für dich, David!“
Einen Moment ist es trügerisch still. Das Warten auf die zu erwartende Reaktion der beiden Übeltäter kommt der jungen Erzieherin wie eine Ewigkeit vor. Sie spürt, wie ihr Herz zweimal aussetzt, spürt, wie es danach schneller zu schlagen beginnt, wie um die ausgelassenen Schläge nachzuholen.
Tim und David werfen sich einen vielsagenden Blick zu, wobei David sich in einem triumphierenden Tonfall an seine Erzieherin wendet: „Das war ja klar, dass unsere kleine Birkenstocklesbe die anderen Schwulis in Schutz nimmt und uns unseren Ausflug streichen will!“ Darauf erwidert Tim drohend: „Kann se haben, aber wenn wir hier wie Knackis gehalten werden, dann verhalten wir uns auch so!“
„Klirr!“ David lässt sofort Taten sprechen, in dem er Julias Handy durch die geschlossene Fensterscheibe wirft. In Gabis Wahrnehmung verharrt das zum Wurfgeschoss zweckentfremdete Telefon für kurze Zeit in der Luft schwebend, um dann, zusammen mit einer Unzahl von Glasscherben, der Schwerkraft folgend, auf dem Innenhof der Einrichtung zu zerschellen.
Das Gesicht unserer bemühten Pädagogin ist mittlerweile krebsrot, die ersten Schweißperlen auf ihrer Stirn erinnern auf diesem Untergrund an Tautropfen auf einem Fliegenpilz. Viel Zeit für den hoffnungslosen Versuch, die in ihren Kopf steigende Hitze aufzuhalten, hat Gabi nicht. Aus dem Augenwinkel sieht sie die drei Opfer von David und Tim aus der Küche flüchten. Nach einer viertel Drehung nach rechts, in Richtung der beiden Unheilstifter, wird Gabi schlagartig der Grund für die plötzliche Flucht klar und dieser lässt das Blut in ihren Adern gefrieren, ihr Gesicht wird kreidebleich, so dass Gabis feuchte Haut so wie die eines Axolotels wirkt. Auch hat ihr Atem starke Ähnlichkeit mit dem eines solchen, wenn es, voller Panik, auf dem Trockenen um Sauerstoff ringt, um dann ins Stocken zu geraten.
Tim hat einen, in der durch das zerstörte Fenster scheinenden Sonne silbern blitzenden, länglichen Gegenstand in seiner rechten Hand und bewegt sich unaufhaltsam damit auf Gabi zu.
„Ein Messer! Er hat das Brotmesser in seiner Faust und kommt immer näher!“ schießt es Gabi durch den jetzt schlecht durchbluteten Kopf. Ihre Knie werden weich, leichter Schwindel stellt sich ein. Übelkeit steigt in ihr auf. Wie durch einen Kokon aus Watte um sich herum nimmt sie dumpf und weit entfernt klingend die Stimme Tims wahr: „Wenn du uns den Ausflug nicht machen lässt stechen wir dich ab, du abartige, behinderte Lesbensau! Fick deine Mudder!“
Plötzlich scheint unsere noch paralysierte Erzieherin diesen kurzen Moment der Schwäche und Handlungsunfähigkeit zu überwinden, in dem sie ihrer sie zu überwältigen drohenden Angst Herr wird.
„Die Situation kennst du doch, leider, aber kein Grund umzukippen! Gehe vor nach Schema F, wie schon tausend Mal zuvor!“ sagt sie sich. Ganz automatisch greift Gabi nach dem an ihren Gürtel geklipsten, mobilen Heimtelefon und wählt.
Tim und David ist schlagartig klar, was dies bedeutet. Sie schauen sich nur an und wissen beide fast gleichzeitig: „Die alte holt die Bullen!“
„Miese Fotze!“, hört Gabi noch, als Tim und David über die ausziehbare Feuerleiter flüchten
Den Rest spult sie routiniert ab. Die Polizei und die Einrichtungsleitung werden informiert und im voraus eine Vermisstenanzeige gestellt. Die drei Opfer werden wie immer mit beruhigenden Worten abgespeist. „Was soll man auch sonst tun?“, denkt Gabi resigniert und stellt sich auf eine lange Nacht des Wartens während ihrer Nachtbereitschaft ein. „Werden die Beiden von der Polizei zurückgebracht oder kommen sie von selbst wieder, geht dann das ganz Theater von vorn los?“ Diese bohrenden Fragen lassen ihren jetzt wieder kräftigen, aber viel zu hohen Herzschlag nicht in einen normalen Bereich sinken. Für den Rest des Tages ist Gabi damit beschäftigt, den Chef auf dem Laufenden zu halten und telefonische Rückfragen der Polizei zu beantworten. Eine Betreuung der drei restlichen Jugendlichen, die Gabis ohnehin schon stark zurückgeschraubten Ansprüchen an ihre Arbeit auch nur annähernd gerecht werden könnte, ist unter diesen Umständen nicht möglich.
Es ist 01:45 Uhr. Es schellt. Gabi öffnet die Tür, nachdem sie über die Gegensprechanlage gehört hat, dass David und Tim von zwei Polizeibeamten zurück gebracht werden. Breit grinsend verschwinden die beiden Ausreißer auf ihre Zimmer. „Für uns ist der Fall erledigt!“, sagt einer der beiden Polizeibeamten mit offen zur Schau getragener Langeweile und fügt spöttisch hinzu: „Wir haben die bösen Jungs fest im Griff, was man von ihnen ja nicht behaupten kann! So was wie Sie dürfte man eigentlich nicht auf Jugendliche loslassen!“, fügt er hinzu und verlässt kopfschüttelnd mit seinem Kollegen die Einrichtung, nur um 30 Sekunden später völlig aufgelöst wieder zu erscheinen. Anklagend sagt er:„Ihre Jungs haben unseren Streifenwagen völlig zerkratzt. Die sind aus dem Fenster, während wir uns mit Ihnen abgeben mussten! Na ja , vielleicht sind die ja doch krasser als wir angenommen haben, jedenfalls sind sie jetzt in unserem Gewahrsam und bleiben über Nacht auf der Wache. Für Sie wird das noch ein Nachspiel haben! Widdersehn!“
Als der Beamte weg ist und endlich Ruhe herrscht, kann sich Gabi das Gefühl der Genugtuung, obwohl sie eine überaus politisch korrekte Erzieherin ist, nicht verkneifen. „Die Bullen haben bei den Beiden auch nichts ausrichten können, obwohl die viel härtere Methoden zur Verfügung haben, um angekündigte Konsequenzen durchzusetzen, als wir hier.“
Kurz bevor der Schlaf unsere tapfer gekämpft habende Erzieherin übermannt, gehen ihr folgende Gedanken durch ihr nicht mehr so stark pulsierendes Kopfinnere: „Verdammt noch mal, ich hatte nur 5 Jugendliche zu betreuen, aber es ist trotzdem eskaliert. Sonst haben wir 12 Jugendliche auf der Gruppe, einschließlich Tim und David und es passiert gar nichts, weil sich gewisse Konstellationen, wie das Dreamteam David und Tim, gar nicht ergeben, weil die Gruppenzusammensetzung, allein durch ihre höhere Anzahl an Mitgliedern, eine Andere ist. Hätte man das voraussehen können, wie sich die Gruppensituation ändert, wenn bestimmte Mitglieder nach Hause fahren und bestimmte hier bleiben, hätte man der Eskalation aus dem Weg gehen können, wenn man so etwas wie hellsehen oder zaubern könnte, hätte man die Gruppe so zusammenstellen können, dass sich jeder einigermaßen wohl fühlt. Tja, ach, wenn ich nur hellsehen könnte.!“ Mit diesem Wunsch schläft Gabi erschöpft über ihrem Bericht über das heute Geschehene ein.
Allerdings träumte sie allerlei albernes Zeug, wie sie nach einer viel zu kurzen Nacht meint. Von einer wundersamen Maschine träumte sie da, die einen aberwitzigen Namen trug, Zellularautomat, oder so ähnlich. Diese geheimnisvolle Maschine ermöglichte es in ihren Träumen, dass Gruppendynamik vorhersehbar und der Beruf der Erzieherin plötzlich viel einfacher wurden. Durch Änderungen in der Gruppenstruktur anhand der Vorhersagen der Maschinen wurde ein ruhiges, individuenbezogenes Arbeiten wieder möglich. Die Jugendlichen erreichten die Ziele ihrer speziell auf sie abgestimmten Therapien viel schneller und einfacher, weil es einfach diese Störfaktoren auf Grund der schlechten Gruppenzusammensetzung nicht mehr gab.
„Was für einen Unsinn man manchmal träumt!“, sagt sich Gabi auf ihrer Heimfahrt. „ Zellularautomaten, so ein Blödsinn, so etwas wird es nie geben! Gott sei Dank nicht, denn in meinem Berufsverständnis steht das Individuum im Vordergrund. Maschinen, die Kinder nur als Nummern sehen, um dann Gruppenprozesse vorherzusehen, das ist Teufelswerk und steht deshalb auch in Konflikt mit dem Leitbild unseres kirchlichen Trägers. Na ja, wozu die Aufregung, menschliches Verhalten ist zum Glück so mystisch und unergründlich komplex, dass es solch aberwitzige Maschinen nie geben wird.“
Ein Rest Beunruhigung und Unzufriedenheit, der Gabi unerklärlich ist, bleibt dennoch.
Nach einer kurzen Pause des reflektierenden in sich Hineinhorchens, wie es alle Pädagogen gerne machen, huscht ein schüchterner, noch viel zu schwacher Gedanke, als dass sie ihn weiterspinnen würde, aber immerhin deutlich wahrnehmbar, durch ihren Kopf: „Praktisch und hilfreich wäre solch ein Zellulardingsbums ja doch schon.“
1. Einleitung
Die im Prolog geschilderte Situation hat sich, bis auf die ausschmückenden Beschreibungen der subjektiven Empfindungen und Körperreaktionen der Protagonistin und der nicht ganz ernst gemeinten „Traumpassage“ am Schluss, tatsächlich so zugetragen. Die Informationen zu dieser Situation sind aus einem authentischen Fallbericht einer Erzieherin, die in der stationären Jugendhilfe arbeitet, entnommen. Diese Erzieherin und der Verfasser arbeiten in derselben Jugendhilfeeinrichtung, so dass der Verfasser freien Zugriff auf die erwähnte Fallnotiz hatte. Alle Namen sind, zwecks Anonymisierung, selbstverständlich geändert worden und sind frei erfunden. Die originale Fallnotiz ist im Anhang dieser Arbeit zu finden.
Das Verwunderliche und Bedauerliche ist nicht, dass es solche Vorfälle in der Jugendhilfe überhaupt gibt. Das wirklich Erschreckende ist vielmehr, dass solche Vorfälle dort, wenn nicht an der Tagesordnung, dann zumindest an der Wochenordnung sind. Der Verfasser dieser Zeilen weiß, wovon er redet, da er selbst seit nunmehr 7 Jahren in solchen Einrichtungen als Erzieher tätig ist und ständig in Kontakt mit Kollegen ähnlicher Einrichtungen steht. Diese wissen von einer ähnlich großen Häufung solcher Fälle, von ähnlicher Qualität wie im Prologbeispiel, zu berichten.
Seitens der pädagogisch relevanten Anwendungswissenschaften der Sozialwissenschaften und der Psychologie, wie der Sozialpädagogik, Sozialpsychologie und der Erziehungswissenschaft, fühlen sich viele pädagogische Berufspraktiker allein gelassen. Dies rührt daher, dass von dieser Seite keine wirksamen Lösungsansätze für die eingangs beschriebenen pädagogischen Probleme bzgl. negativer Gruppenprozesse in Aussicht gestellt werden.
Die Erziehungswissenschaft ist, nach Ansicht des Verfassers, strenggenommen eine solche Anwendungswissenschaft und keine eigenständige Wissenschaftsdisziplin, da sowohl der Gegenstand - die Erziehung von Menschen -, als auch die Forschungsmethoden, aus älteren, benachbarten, eigenständigen Wissenschaften wie der Soziologie, Psychologie und der Philosophie stammen (vgl. 4.1).
Mit den herkömmlichen Forschungsmethoden der empirischen Sozialforschung und der Psychologie (vgl. 4.1) ist es nicht möglich, mögen sie auch noch so ambitioniert umgesetzt werden, Gruppenprozesse im Fall hoher Mitgliederzahlen (>10) zu prognostizieren. Die Ergebnisse solcher empirischer Untersuchungen beschreiben Gruppenprozesse also immer nur aus der Retrospektive.
Ein besseres Verständnis für die Regeln von Gruppenprozessen zu erlangen, geschweige denn, den negativen Prozessen durch genaue Prognosen direkt entgegenwirken zu können, ist somit so gut wie unmöglich.
Ganz abgesehen von den mit herkömmlichen Forschungsmethoden nicht zu leistenden Lösungsmöglichkeiten durch Gruppenprozessprognosen, ist es mit großem Aufwand und Schwierigkeiten (vgl. 4.2, 5.3 u. 7.2) verbunden, Gruppenprozesse empirisch, z.B. mittels Beobachtungsverfahren, zu erheben und zu analysieren. Auf Grund dessen ist eine Suche nach möglichen, allgemeinen Gesetzmäßigkeiten von Gruppenprozessen erschwert.. Bei einer solchen (empirischen) Suche wäre es wahrscheinlich, dass sich ein Wust von Datenmaterial ansammelt, von welchem letztlich, wenn überhaupt, nur ein kleiner Teil Relevanz für eine spezielle Forschungsfrage hätte, oder aber ein spezieller Gruppenprozess würde die Forschungsfrage diktieren.
Menschenexperimente, die durch ihr Forschungsdesign einer genaueren Forschungsfrage nachgehen könnten (hier könnten, seitens der Forscher, unabhängige Variablen, wie die Anzahl der Gruppenmitglieder und Handlungsregeln selbst bestimmt werden), sind hingegen aus forschungsethischen Gründen bedenklich. Allerdings ist es bei Menschenexperimenten, im Gegensatz zu naturwissenschaftlichen Experimenten, auch nicht möglich, immer exakt die gleichen abhängigen Variablen bei Wiederholung des Experiments zu erhalten, da eine exakte Wiederholung mit exakt den gleichen unabhängigen Variablen nicht möglich ist.
Formale Modellierungen (Definition „Modell“ vgl. 8.1.4), in Form von Computersimulationsprogrammen (Definition „Simulation“ vgl. 8.1.3), könnten eine elegante Möglichkeit sein, die geschilderten Probleme, in Forschung und berufspraktischer Anwendung, einer Lösung ein Stück näher zu bringen. So besitzen sie die Vorteile eines experimentellen Vorgehens, ohne dabei ethisch bedenklich zu sein. Die ethische Unbedenklichkeit von Computersimulationen ist darin begründet, dass keine „wirklichen“ Menschen handeln, sondern dieses Handeln mit künstlichen Platzhaltern „nur“ simuliert wird. Ziel der Computersimulationen soll in diesem Kontext sein, Gruppenprozesse prognostizierbar zu machen, um ein besseres Verständnis dafür zu erlangen, nach welchen Regeln diese Prozesse ablaufen. Weiter erhofft sich der Verfasser eine direkte pädagogische Anwendungsmöglichkeit der Computersimulation von Gruppenprozessen. Diese direkte Anwendung würde dann in etwa so aussehen, wie es sich Gabi im Prologbeispiel erträumt hat: Gruppenprozesse würden vorhersehbar und man könnte die Gruppenstruktur positiv beeinflussen.
Als angehender Erziehungswissenschaftler und leidgeprüfter Praktiker möchte der Verfasser, im Rahmen dieser Arbeit, ein wenig dazu beitragen, dass sich an der unrühmlichen Situation, dass keine adäquaten Lösungen für die Probleme in der Jugendhilfe angeboten werden, etwas ändert.
Mit unrühmlich ist an dieser Stelle nicht so sehr die Hilflosigkeit der Verantwortlichen in den Sozialwissenschaften und jener in deren Anwendungsbereichen in bezug auf die beschriebenen Problematiken gemeint. Unrühmlich ist vielmehr deren nahezu völliges Ignorieren von Computersimulationen (und den damit verbundenen vielversprechenden wissenschaftlichen Erklärungs- und vielleicht auch anwendungsbezogenen Problemlösungspotential), trotz der geschilderten offensichtlichen pädagogischen Probleme.
Grund für dieses Ignorieren mag sein, dass die bisherigen klassischen mathematischen Modelle für den komplexen Gegenstand der Sozialwissenschaften, „ein zu enges Korsett“ (Klüver 1995, S. 15) darstellen. Aus diesem Grund wird wohl den formalen Computersimulationen ähnlich wenig zugetraut, allerdings ohne sich redlich mit deren Funktionsweise auseinander zu setzen. Ein nicht Funktionieren dieser Techniken wird von vielen Sozialwissenschaftlern Psychologen und pädagogischen Praktikern fraglos angenommen (vgl. 3.2).
Ziel dieser Arbeit ist es deshalb, Computersimulationstechniken, mit deren Hilfe eine Prognose von Gruppenprozessen möglich ist (was an späterer Stelle noch zu zeigen ist), vorzustellen und auf deren forschungsmethodische und praktische Anwendbarkeitstauglichkeit zu überprüfen.
Allein unser kleines Anfangsbeispiel zeigt, was für (praktische) Problemlösungsmöglichkeiten sich aus solchen Prognosemöglichkeiten ergeben könnten.
Zu der für eine solche Arbeit etwas ungewöhnlichen anfänglichen Falldarstellung ist anzuführen, dass diese Vorgehensweise auf eine, zugegeben recht verzerrende Art und Weise, zeigen soll, dass sich die ablehnende Haltung in der empirischen Forschung der Sozialwissenschaften gegenüber Computermodellierungen, bis zu den (sozial-) pädagogischen Praktikern durchschlägt. Verzerrt ist die Falldarstellung durch die (fiktive) Reaktion der Erzieherin Gabi auf ihren (fiktiven) Traum. Dass das Anfangsbeispiel im Prolog die Haltung der pädagogischen Praktiker, zumindest in der Tendenz, aber „zur Kenntlichkeit verzerrt“ (D. Hildebrandt, dt. Kabarettist), kann guten Gewissens behauptet werden, wie der Verfasser aus leidvoller Erfahrung zu berichten weiß. So hört der Verfasser in seinem Berufsalltag immer wieder Äußerungen wie die folgende, wenn er Kollegen darauf hinweist, dass es in der Jugendarbeit von Nutzen wäre, wenn man Gruppendynamiken (Definition „Gruppendynamik“ vgl. 8.1.2) mittels methodisch exakter Modellierungen darstellen würde: „Das bringt nichts, weil Menschen sind alle so verschieden und können nicht mit solch straffen Modellen dargestellt werden. Ein Erzieher sollte sich eher darum kümmern, seine emphatischen Fähigkeiten auszubilden, damit er besser auf jeden Einzelnen eingehen kann, und halt die Chemie zwischen Erziehern und Kids stimmt“ (ein Gruppenerzieher in der Jugendhilfe).
Des weiteren soll in dieser, nicht in allen Teilen ganz ernst zu nehmenden Falldarstellung im Prolog, ganz bewusst und in aller Deutlichkeit mit allen unangenehmen Details, dargestellt werden, welcher Gegenstandsbereich in dieser Arbeit beleuchtet wird. Nicht zuletzt soll durch ein solches Vorgehen das recht abstrakte Thema dieser Arbeit einer pädagogisch interessierten Leserschaft näher gebracht werden, die eher in einer verstehenden, auf den konkreten Menschen bezogenen Tradition verwurzelt ist.
Die forschungsmethodische als auch berufspraktische Anwendbarkeit von Computermodellierungen bzw. Computersimulationen soll, im Rahmen dieser Arbeit, anhand eines Methodenvergleichs überprüft werden.
Zu diesem Zweck sollen die Ergebnisse empirischer Forschungsmethoden (vgl. 4.2) mit denen einer formalen Computermodellierung (vgl.8.4) verglichen werden.
Genau heißt dies, dass Ergebnisse quantitativer Beobachtungen mit der Simulationstechnik eines Zellularautomaten verglichen werden. Des weiteren sollen die Ergebnisse einer quantitativen Befragung die empirische Basis für die Simulation sein. Es sollen also Befragung und Simulation im Rahmen dieser Arbeit miteinander kombiniert werden.
Ziel dieses Vorgehens soll sein, forschungsmethodologische Synergieeffekte, bei einer Kombination von empirischer Analyse und Computermodellierung, aufzuzeigen. Nicht zuletzt soll methodenkritisch überprüft werden, wie realistisch die Prognosen des vorgestellten Simulationsprogramms (schon) sind und welche Vor- bzw. Nachteile dieses gegenüber den empirischen Analysen hat. Dies soll mittels des Ergebnis- bzw. Methodenvergleichs zwischen dem Beobachtungsverfahren und dem Simulationsprogramm realisiert werden. Eine genaue Beschreibung der empirischen Analysen, wie auch der Simulationstechniken ist an späterer Stelle in dieser Arbeit zu finden.
Ein ähnliches Thema wie das dieser Arbeit bearbeitete Kalisch in seiner Diplomarbeit im Rahmen des Fachhochschulstudiengangs Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Dieser verglich ebenfalls empirische Methoden mit einem Computersimulationsprogramm, allerdings wurde ein anderer exemplarischer, pädagogischer Gegenstand untersucht und mit einem Simulationsprogramm verglichen. Kalisch befragte und beobachtete Teilnehmer einer zwei Wochen andauernden Jugendfreizeit. Auch war das Programm ein etwas anderes als das, welches in dieser Arbeit vorgestellt wird. Die Diplomarbeit von Kalisch wurde, genau wie die vorliegende, von Prof. Jürgen Klüver betreut (vgl. Kalisch 2002).
Das oben stehende Zitat des Erziehers in der Jugendhilfe ist im Gespräch mit dem Verfasser entstanden und wurde in Form eines Gedächtnisprotokolls schriftlich festgehalten. Zwecks Anonymisierung wird der Name des Erziehers nicht genannt.
2. Beschreibung des exemplarischen, pädagogischen Gegenstands
Der pädagogische Gegenstand, der empirischen Untersuchungen ist eine Heimgruppe in der „stationären Jugendhilfe“ (auch Heimerziehung genannt) für Hörgeschädigte. In dieser Gruppe arbeitet der Verfasser seit Oktober 2000 als pädagogischer Mitarbeiter im, in diesem Handlungsfeld üblichen, Schichtdienst. Das Verhalten dieser Jugendgruppe ist über ihr Dasein als exemplarischer empirischer Untersuchungsgegenstand hinaus die empirische Basis (vgl. 6.1) des vorgestellten Simulationsprogramms (vgl. 8.4).
Der Träger der Einrichtung, in welche die Jugendgruppe eingegliedert ist, ist ein kirchlicher, evangelischer Träger. Die Gruppe besteht aus 12 Jugendlichen, wovon 10 männlichen Geschlechts und 2 weiblichen Geschlechts sind. Das Alter der Mitglieder liegt zwischen 13 und 18 Jahren.
Der Grad der Hörschädigung reicht von völliger Gehörlosigkeit bis zu einem Grad, der eine lautsprachliche Kommunikation mit technischen Hilfsmitteln (Hörgeräte, spezielle Implantate wie CI`s) fast problemlos zulässt. Mit den gehörlosen Gruppenmitgliedern wird über eine „lautsprachbegleitende Gebärdensprache“ kommuniziert.
Des weiteren ist zu konstatieren, dass bei jedem Bewohner dieser Heimgruppe Verhaltensauffälligkeiten zu beobachten sind. Diese äußern sich bei einem Teil der Jugendlichen in Form von Fremdaggression und Gewaltverhalten und bei dem anderen Teil in Form von Depression und Autoaggressivität.
Ein Urteil darüber, ob diese Verhaltensauffälligkeiten im pathologischen Sinne wirkliche Verhaltensstörungen sind, möchte sich der Verfasser nicht anmaßen. Das zu beurteilen überlässt er in solchen Fragen kompetenteren Psychologen.
Diese Frage soll für diese Arbeit auch nicht weiter relevant sein, da feststeht, dass es in der vorgestellten Gruppe, bei geringfügigen Änderungen der Gruppenzusammensetzung (durch z.B. Heimfahrten, Mitgliederwechsel oder Zimmerwechsel von einzelnen Mitgliedern bei 2-Bettzimmern etc.) zu Gruppenkonstellationen und in Folge dessen zu krisenhaften Situationen kommt. Solche Krisensituationen untergraben jede erzieherische Bemühung um ein einigermaßen angenehmes Zusammenleben aller Gruppenmitglieder.
So kommt es vor, dass sich beispielsweise 3 Jugendliche, die sonst nicht allzu viel miteinander interagieren, bei Wegfall ihrer sonstigen Bezugsmitglieder, sich zusammentun, d.h., mehr als sonst miteinander interagieren. Dies ist auch weiter nicht bedenklich, doch wenn dies Mitglieder sind, welche sich gegenseitig mit negativ auffallenden Verhaltensweisen befruchten, welche sie als Einzelne oder in anderer Gruppenkonstellation nie an den Tag gelegt hätten, stellen solche Konstellationen ein Problem für die gesamte Gruppe dar.
Diese Problematik wirkt sich in erster Linie negativ auf die schwächeren und weniger devianten Gruppenmitglieder aus, da die Arbeit der Gruppenerzieher so fast ausschließlich auf Deeskalationsbemühungen reduziert wird. Das bedeutet, dass sich die Erzieher zwangsweise mehr mit den devianten Gruppenmitgliedern beschäftigen als mit den weniger negativ auffallenden Jugendlichen.
Aber auch die sich deviant verhaltenden Jugendlichen (deviant z.B. in der Form wie Tim und David im Prologbeispiel) beschneiden sich, durch ihr Verhalten, selbst der individuellen, pädagogisch-therapeutischen Zuwendung. Dies ist so, weil Zuwendungen in Form von Deeskalationsbemühungen im strengen Sinn keine pädagogisch-therapeutischen Handlungen darstellen.
3. Mögliche Gründe für die Abstinenz von Computersimulationen in pädagogikrelevanten Wissenschaften und deren praktischen Anwendungsbereichen
Dieses Kapitel beschäftigt sich in den folgenden Unterpunkten 3.1 – 3.4 mit der Suche nach Gründen für die Abstinenz von Computersimulationstechniken in den pädagogikrelevanten Wissenschaftsdisziplinen und deren Anwendungsbereichen.
3.1 Therapeutische Konzepte und pädagogische Prinzipien in der Jugendhilfe
Der Großteil der pädagogisch-therapeutischen Konzepte, die in der oben beschriebenen Einrichtung praktiziert werden, sind verhaltenstherapeutisch orientierte Konzepte, die von den angestellten Pädagogen umgesetzt werden. Es werden aber auch psychoanalytisch orientierte Ansätze genutzt, welche dann von einrichtungsexternen Psychotherapeuten und Psychologen umgesetzt werden. Diese Konzepte haben alle eins gemein: Sie setzen ausschließlich subjektbezogen am symptombehafteten Klienten an (vgl. Kuhlen 1972, S. 38 ff u. Caspar/Grawe 1996, 65 ff). In Extremfällen werden auch, je nach Indikation, beruhigende oder konzentrationsfördernde Medikamente verschrieben. Ein solches konzeptionelles Vorgehen ist in vielen Jugendhilfeeinrichtungen zu konstatieren.
Grundsätzlich sind Ansätze, die sich um ein positive Beeinflussung des individuellen Schicksals jedes einzelnen Heimbewohners bemühen und eine empathische Haltung gegenüber auffälligen Jugendlichen entwickeln, sicherlich zustimmungswürdig. Auch die Zielsetzung, die Bewohner solcher Jugendhilfeeinrichtungen zu „alltagstauglichen“, „erwachsenen“ Menschen zu erziehen, die sich adäquat auf andere Menschen einstellen können und gesellschaftliche Regeln einhalten (vgl. Diakoniewerk Essen 2002, S.7), ist absolut begrüßenswert.
Aber mit dem Anspruch ausschließlich subjektbezogen-therapeutisch zu handeln, stehen sich gut meinende Therapeuten und Pädagogen, nach Ansicht des Verfassers, oft selbst im Weg.
Die weitgehende Weigerung der zuvor genannten Berufsgruppen, gruppenprozessbezogen, mit Lösungsansätzen zu arbeiten, in denen Individuen „nur“ Nummern sind, Emotionen „nur“ in Skalen „gepresste“ Zahlen sind und „nur“ Systeme (worauf die praktische Arbeit mit Computermodellen abzielen würde; Definition „System“ vgl. 8.1.1) und nicht Subjekte (positiv) verändert werden sollen, ist wenig konstruktiv. In diesem Kontext heißt es in Krüger in Bezugnahme zu Trescher, der ein Konzept „Psychoanalytischer Pädagogik“ vertritt: „Psychoanalyse wird hier als „Kritische Theorie des Subjekts“ verstanden, die den Menschen primär als soziales Wesen begreift und die die Entfaltung und Einschränkung der Persönlichkeitsentwicklung, Prozesse der Bedürfnisbefriedigung und Triebeinschränkung vor dem Hintergrund der jeweiligen historischen Gesellschaftsformation untersucht. In diesem Sinne respektiert Psychoanalytische Pädagogik die Subjektivität und Geschichtlichkeit ihrer KlienTinnen und reduziert sie nicht auf katalogisierbare Merkmale“ (Krüger 1999, S. 115, in Bezugnahme zu Trescher 1992, S. 207[1] ). Das ausschließliche Beharren auf subjektbezogenen Hilfekonzepten, auch wenn sich dies paradox anhört, verhindert, im Kontext der Jugendhilfe, dass der einzelne Jugendliche individuell therapiert und pädagogisch betreut werden kann. Der schon erwähnte Grund dafür ist, dass ein rein subjektbezogenes Arbeiten bei ungünstigen Gruppenstrukturen und -prozessen gar nicht möglich ist, da die Erzieher unter solchen Arbeitsbedingungen zu reinen Deeskalationsmanagern umfunktioniert werden.
In einer solchen Situation setzen aber viele Pädagogen die Möglichkeit subjektbezogen zu arbeiten als gegeben voraus. Offensichtlich ohne zu begreifen, dass diese Möglichkeit zunächst einmal geschaffen werden muss. Subjektbezogenes pädagogisch-therapeutisches Handeln ist demnach, im Kontext der Jugendhilfe, vielmehr Arbeitsziel und nicht gegebene Arbeitsvoraussetzung.
Des weiteren ist darüber nachzudenken ist ob man mit einer ausschließlich empathisch angelegten Hilfekonzeption, eine verhaltensauffällige Klientel erfolgreich therapieren kann. Dies soll aber nicht Thema dieser Arbeit sein.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es einen Therapieansatz gibt, der darauf abzielt, nicht nur die konkrete, deviante Person zu therapieren, sondern deren gesamtes Familiensystem mit in den Therapievorgang einzubeziehen.. Dies ist die sog. „Systemische Familientherapie“ (vgl. Burnham, 1995). Im Rahmen dieser Therapieform soll die Familienstruktur der Herkunftsfamilie der devianten Person analysiert und dann positiv verändert werden, so dass dies wieder positive Auswirkungen auf die deviante Person und die gesamte Familie hat. Dahinter steht die Auffassung, dass Devianz oft aus einer ungünstigen Familienstruktur entsteht und die Devianz des Einzelnen nur das Symptom für eine problematische Familiensituation ist. Diese Problemsituation gilt es, seitens des („Systemischen“) Therapeuten zu erkennen und zu behandeln.
Die Familien der jugendlichen Heimbewohner sind aber zumeist für die Jugendhilfepädagogen nicht greifbar oder aber nicht bereit, eine solche Therapie durchzuführen. So sehen sich die Heimerzieher fast ausschließlich mit den devianten, einzelnen Jugendlichen konfrontiert.
Die Möglichkeit, mit solchen Therapieansätzen auch jede andere Gruppe (vgl. Burnham, 1995, S.19), außer der Familie, zu therapieren, wird in der pädagogischen Praxis oft genug übersehen. In diesem Zusammenhang kann der Verfasser nochmals mit Recht darauf hinweisen, dass in der Jugendhilfe fast ausschließlich einseitig am einzelnen, symptombehafteten Jugendlichen ansetzend, gehandelt wird. Ein gruppenstruktur- und gruppenprozessbezogenes Arbeiten wird nur äußerst selten angewendet.
Eine sinnvolle (subjektbezogene) Therapie oder Erziehung der jugendlichen Klientel ist, wie schon erwähnt, oft durch ungünstige Gruppenstrukturen und -prozesse unmöglich oder zumindest sehr erschwert. Die Gruppenprozesse, in Form von Gruppenstrukturveränderungen, müssten genau darstellbar und prognostizierbar sein, um sie zu verstehen und um ihnen letztendlich adäquat entgegenwirken zu können.
An dieser Stelle sei erneut angeführt, dass Simulationsprogramme, zu prinzipiellen Aussagen über Gruppendynamiken und vielleicht sogar zu konkreten, realistischen Prognosen für die berufspraktische, pädagogische Anwendung, fähig sind (was in dieser Arbeit zu überprüfen ist). Auf diese Weise könnten diese Programme, in diesem Zusammenhang, einen Problemlösungsansatz bieten, den man als Wissenschaftler und Praktiker nicht einfach ignorieren sollte. Dass diese Programme sicherlich (noch) Schwachstellen aufweisen (vgl. 9.2), kann kein Grund sein, diese als „Spielerei“ abzutun.
3.2 Erkenntnistheoretischer Hintergrund in der empirischen Sozialforschung
Die traditionell auch geisteswissenschaftlich, qualitativ-hermeneutisch und indiographisch (Def. „indiographisch“ vgl. 4.2) orientierten, erkenntnistheoretischen Grundhaltungen in den Forschungsmethoden pädagogikrelevanter Sozialwissenschaften tun ein Übriges, dass Computersimulationsprogramme in diesen Disziplinen so gut wie nicht zur Kenntnis genommen werden (vgl. Klüver 1995, S. 4). In Folge dessen sind solche Programme auch in den entsprechenden praktischen Anwendungsbereichen abstinent.
Eine Begründung für die Ablehnung exakter Modellierungen lautet in diesem Kontext, dass menschliches Verhalten so komplex sei, dass Computermodellierungen niemals eine Komplexität erzeugen könnten, die dieses Verhalten genau beschreiben, geschweige denn prognostizieren könnte: „Solche Programme sind ja ganz nett, so als nettes Spielchen für gestresste Soziologen nach Feierabend, aber mit Wissenschaft hat das nichts zu tun, dafür ist menschliches Verhalten einfach zu facettenreich und zu komplex. Die Befürworter solcher Programme können allem Anschein nach den Unterschied zwischen Science und Fiction nicht mehr wahrnehmen.“. So ein Lehrender für Soziologie an der Universität Duisburg-Essen auf die Frage des Verfassers, ob er sich schon einmal ernsthaft mit Computersimulationen in der Soziologie beschäftigt habe.
Diese Arbeit soll zeigen, dass diese Äußerung des Lehrenden für Soziologie so nicht stehen gelassen werden kann.
Eine andere „Begründung“ ist die, dass, seitens geisteswissenschaftlich orientierter Sozial- und Erziehungswissenschaftler, gefordert wird, dass naturwissenschaftlich orientierte, exakte Methoden in ihren Disziplinen prinzipiell nicht zur Anwendung kommen sollten. Diese prinzipielle Ablehnung der Verwendung von Computersimulationen wird, nach Ansicht des Verfassers, aus der Angst dieser Sozial- und Erziehungswissenschaftler heraus geboren, seitens der naturwissenschaftlich orientierten Wissenschaftsdisziplinen methodisch vereinnahmt werden zu können. Eine solche, auf schiere Abgrenzung abzielende „Argumentation“, hat mit einer argumentativen, fruchtbaren Methodenauseinandersetzung nicht allzu viel zu tun.
An dieser Stelle sei ein Beispiel für eine zuvor genannte Abgrenzungsargumentation angeführt: „Sie als angehender Erziehungswissenschaftler dürfen sich nicht, durch die Verwendung naturwissenschaftlicher Methoden, bei Vertretern quantitativer Sozialforschung und denen naturwissenschaftlicher Disziplinen, rechtfertigen, wenn sie menschliches Verhalten wirklich verstehen wollen! Ich weiß, dass es Kollegen gibt, die Psychoanalyse eher quantitativ angehen und, die haben meiner Meinung nach nichts verstanden. Genauigkeit schützt nicht vor Sinnlosigkeit. Na ja, wer ach so gerne rechnet, der soll das bitte schön tun.“. Dies führte ein Professor des Fachbereichs 2 der Universität Duisburg-Essen aus, als der Verfasser diesen von den Möglichkeiten exakter Methoden überzeugen wollte. Und dies ist nur ein Beispiel, das stellvertretend für viele steht. Um noch ein Weiteres zu nennen: „ Ein solch mathematisch orientiertes Vorgehen missachtet die Persönlichkeit des Einzelnen, es gibt hier kein Unbewusstes, da ein solches methodisches Vorgehen auf der klassischen Lerntheorie basiert, die meiner Meinung nach, durch das Fehlen eben dieses Unbewussten, unvollständig ist. Wenn man möglichst viel über die menschliche Psyche und menschliches Verhalten wissen will, dann ist die Psychoanalyse die Methode der Wahl. Objektivität ist ohnehin nicht zu erreichen, schon gar nicht in den Sozialwissenschaften und der Psychologie. Mal abgesehen davon, dass ein solch unpersönlicher Umgang mit Menschen nicht meinem Menschenbild entspricht. Aber das ist ja reine Geschmackssache“. Vorangegangenes sagte ein Psychologiedozent mit einem Lehrstuhl im Fachbereich 2 der Universität Duisburg-Essen, als der Verfasser dieselbe Argumentation, bezüglich der Möglichkeiten von Computersimulationen, vortrug, mit welcher er schon den zuvor zitierten Professor des Fachbereichs 2 zu überzeugen versuchte.
Der Verfasser dieser Arbeit ist, ob solcher Äußerungen, einer Meinung mit Klüver, der, bezüglich dieses Methodenstreits um die Verwendung von genauen Methoden in den Sozialwissenschaften, schreibt: „Das ist nicht nur für Deutschland charakteristisch, aber hier besonders deutlich, wo die Auseinandersetzungen um die Verwendung exakter Methoden in den Sozialwissenschaften häufig den Charakter von Glaubenskriegen haben.“ (aus Geleitwort von Klüver in Stoica 2000).
Die Gründe für das paradigmatische Beharren auf hermeneutisch-indiographischen Methoden und das gleichzeitige Ablehnen mathematisch-nomothetischer Methoden in großen Richtungsbereichen der Sozialwissenschaften sind sicherlich in den Methodenauseinandersetzungen der deutschen Soziologie zu finden. Die wohl bekannteste dieser Auseinandersetzungen ist der sog. Positivismusstreit, der in den späten 60er Jahren des letzten Jahrhunderts stattfand (vgl. 4.2).
Obwohl sich die Wogen dieses Streites mittlerweile geglättet haben, lassen sich dessen Auswirkungen bezüglich der verschiedenen erkenntnistheoretischen Richtungen in den Sozialwissenschaften bis heute finden. Klüver führt hierzu treffend aus: „Diese Auseinandersetzungen haben sich zwar gegenwärtig verflüchtigt und sind durch gegenseitige Nichtbeachtung ersetzt worden. Die Differenzierung der Soziologie z.B. in quantitative versus qualitative Sozialforschung, Handlungstheorien versus Systemtheorien etc. gehen jedoch ungebremst weiter. Hier sind ganz offensichtlich die Orientierungen an dem jeweils eigenen Paradigma wichtiger als die Versuche, von anderen Positionen für die eigene Sache etwas zu lernen“ (Klüver 1995, S.55).
Lamnek ist in diesem Zusammenhang der Meinung: „Die qualitative Sozialforschung ist nicht zuletzt der Versuch, den restringierten Erfahrungsbegriff der quantitativen Sozialforschung zu überwinden“ (Lamnek 1988, S.9)
Dem Verfasser wäre, in Bezug auf das letzte Zitat, der Begriff des „Ergänzens“ der quantitativen Sozialforschung lieber als der des „Überwindens“. Dieser Wunsch ist dadurch zu begründen, dass es, im Rahmen eines fruchtbaren Methodenstreits, nicht um eine Überwindung bestehender, funktionierender Paradigmen gehen sollte, sondern darum, diese sinnvoll zu ergänzen. Diese Kritik des Verfassers wird an späterer Stelle (vgl.4.2.2) in dieser Arbeit nochmals aufgenommen, auch auf die Gefahr hin, redundant zu erscheinen. Die Wichtigkeit des sich Entfernens von verbissenen geführten, unproduktiven Methodenauseinandersetzungen in den Sozialwissenschaften kann nämlich, nach Meinung des Verfassers, nicht oft genug hervorgehoben werden.
Eine ausschließlich qualitativ orientierte Sozialforschung müsste sich nämlich ebenso eines „restringierten“ Erfahrungsbegriffes bezichtigen lassen wie eine ausschließlich quantitative Sozialforschung.
Dass die Abstinenz von Computersimulationstechniken aber nicht nur auf Geisteswissenschaftler, die paradigmatisch auf ihren Grundhaltungen beharren, zurückzuführen ist, ist bei Klüver zu lesen: „Der Einfluss von Physik und Biologie auf die Sozialwissenschaften ist so alt wie die Wissenschaften selbst; das klassische Konzept der Einheitswissenschaft (unified science) des logischen Positivismus markiert in den dreißiger Jahren nur besonders deutlich die Versuche, das naturwissenschaftliche Erkenntnisprinzip auf die Sozialwissenschaften zu übertragen. Diese Versuche sind gewöhnlich gescheitert (vgl. Klüver 1991 a) und zwar fast immer aus dem Grund, dass die etablierten Ergebnisse und Denktraditionen der Soziologie ignoriert bzw. für unwissenschaftlich erklärt wurden. An ihre Stelle sollte dann jeweils eine gänzlich neue, nämlich naturwissenschaftlich exakte Sozialwissenschaft entstehen“ (Klüver 1995, S. 6)
Der Inhalt dieses Zitates lässt bei einigen Vertretern der Naturwissenschaften, die eine Einheitswissenschaft anstreben, einen „imperialistischen Anspruch“ (Klüver 1995, S. 6) erkennen. „Imperialistisch“ heißt in diesem Zusammenhang, dass sozialwissenschaftliche Grundhaltungen einfach gegen naturwissenschaftliche ausgetauscht werden sollen. Ein solches Vereinnahmungsgebaren animiert die meisten Sozialwissenschaftler natürlich nicht unbedingt dazu, sich mit Techniken zu beschäftigen, die auch nur den Verdacht der Vereinnahmung durch naturwissenschaftliche Grundhaltungen erregen (vgl. Klüver 1995, S. 6).
Dass dieser Verdacht der naturwissenschaftlichen Vereinnahmung der Sozialwissenschaften, zumindest bei dem in dieser Arbeit verwendeten Simulationsprogramm, unberechtigt ist, wird in Kap. 4.2.2 dieser Arbeit deutlich. Dort wird gezeigt, dass naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftlich-hermeneutische Grundhaltungen und Techniken durchaus sinnvoll miteinander kombiniert werden können. Diese Kombination wird so realisiert, dass sich weder die eine noch die andere wissenschaftliche Grundhaltung von der jeweils anderen vereinnahmt fühlen muss.
Die oben stehenden Zitate der die Verwendung von Computersimulationen in den Sozialwissenschaften „kritisierenden“, Lehrenden sind in deren Sprechstunden, die der Verfasser besuchte, zustande gekommen. Der Wortlaut wurde in Form von Gedächtnisprotokollen festgehalten, welche direkt im Anschluss an die erwähnten Sprechstunden geschrieben wurden. Zwecks Anonymisierung werden die Namen der Lehrenden nicht genannt.
3.3 Trägerideologie
Die Gründe für das Ignorieren von Computermodellen und von den damit verbundenen Anwendungshoffnungen, sind aber nicht nur bei den schon erwähnten Berufspraktikern und den Wissenschaftlern der entsprechenden Disziplinen zu finden.
Ein weiterer Grund ist bei den zumeist kirchlichen Trägern der Jugendhilfe zu finden, deren Leitbilder ein ähnlich, indiographisch-subjektbezogenes, „alteuropäisches Menschenbild“ (Meinberg 1988, S.213), postulieren wie die erwähnten Richtungsbereiche der Sozialwissenschaften. Dazu ist im Leitbild des Diakoniewerks Essen, welches ein kirchlich-evangelisches Sozialwerk ist, zu lesen: „Unser Ansatz zielt auf die größtmögliche Unabhängigkeit des Einzelnen. (.) Menschen, die der Unterstützung in unterschiedlichen Lebensbereichen bedürfen, haben aufgrund ihrer Einzigartigkeit das Recht, individuelle Hilfe zu erfahren“ (Diakoniewerk Essen 2000, S.9).
Darüber hinaus stehen, in diesen Trägerkontexten, die Vermittlung kirchlicher Werte und das bei diesen Werten in der Pflicht sein, ganz oben auf der pädagogischen Agenda. So heißt es in der Präambel § 1 der Rahmenordnung für die Internate kirchlicher Schulen im Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland (1975): „Die erzieherische Arbeit ist von der Botschaft des Evangeliums bestimmt. Im gemeinsamen Hören darauf will das Internat jungen Menschen helfen, sich selbst zu finden und darüber hinaus Sinn und Aufgabe des Lebens auch in der Annahme des Mitmenschen und in der Verantwortung in der Gemeinschaft zu erfahren.“ (in Winkens 1990, S. 82).
Im Leitbild des Diakoniewerks Essen heißt es weiter in diesem Zusammenhang: „Die Kirche hat den Auftrag, durch ihre Verkündigung, durch ihr Sein und ihr Handeln die im Evangelium von Jesus Christus bezeugte Liebe Gottes der Welt mitzuteilen. Diakonie ist Lebens- und Wesensäußerung von Kirche. Sie hat ihren Auftrag durch Jesus Christus. (.) Diakonie ist gelebter Glaube. Diakonisches Handeln hat seinen Grund und Anfang in der Liebe Gottes. Diakonie richtet ihr Handeln an der Würde des Menschen als Ebenbild Gottes aus“ (Diakoniewerk Essen 2002, S.4).
Eine solche an kirchlichen Werten orientierte Zielsetzung verbietet ein naturwissenschaftlich orientiertes Vorgehen in der Jugendarbeit von vornherein. Das ist so zu sehen, da kirchliche Wertvorstellungen mit ihrem subjektbezogenen Menschenbild und ihrer mystischen Weltsicht in Konkurrenz zu der naturwissenschaftlich-nüchternen, nomothetischen Weltsicht der Naturwissenschaften stehen.
Ein exaktes, mathematisch-naturwissenschaftlich orientiertes, technisches Vorgehen in der Jugendhilfe dürfte den Trägerideologen in diesen Handlungsfeldern wie eine (weitere) Vereinnahmung ihrer Zuständigkeitsbereiche durch die Naturwissenschaften, erscheinen.
So werden Computersimulationen zur Analyse und Verbesserung (im pädagogischen Sinn) von Gruppenprozessen, vermutlich auch aus den eben genannten ideologischen Gründen, in Jugendhilfeeinrichtungen unter kirchlicher Trägerschaft abgelehnt. So heißt es in diesem Zusammenhang bei Winkens: „Kirchliche Internate weigern sich oftmals, sich Funktionen und Aufgaben von außen zuschreiben zu lassen“ (Winkens 1990, S. 181).
Bei aller Kritik gegenüber der blockierenden Haltung kirchlicher Träger gegenüber der Verwendung von naturwissenschaftlich-technisch orientierten Hilfeansätzen, ist jedoch anzuerkennen, dass diese Trägerorganisationen in der Jugendhilfe Leistungen erbringen, die ihnen nicht hoch genug angerechnet werden können. Ein mitleidvolles „Belächeln“ der sozialen Arbeit unter kirchlicher Trägerschaft, von welcher Seite auch immer, ist demnach unangebracht.
Eine konstruktive Kritik an Trägerideologien, die den eigenen Hilfeleistungsbestrebungen dieser kirchlichen Träger im Wege stehen, muss aber, im Interesse der potentiellen Hilfeempfänger, erlaubt sein
3.4 Fazit
Im zuvor Geschilderten wird offenbar, dass die Gründe für die Abstinenz von Computersimulationen in Jugendhilfe- und Forschungskonzepten, in verschiedenen Bereichen zu finden sind. Zu diesen Bereichen sind die wissenschaftliche Forschung, die therapeutischen Ansätzen der Jugendhilfe und die (kirchlichen) Trägerideologien der entsprechenden Jugendhilfeeinrichtungen, zu zählen. Diese Bereiche sind jedoch nicht getrennt für die Abstinenz von Computersimulationsprogrammen in Forschung und praktischer Anwendung verantwortlich zu machen, da sie sich gegenseitig, in Form eines Rückkopplungssystems, beeinflussen. Dieses Rückkopplungssystem ist wie folgt zu beschreiben:
Von den entsprechend relevanten Wissenschaftsdisziplinen und den darin verfestigten Forschungstraditionen gehen Impulse für die pädagogische Berufspraxis aus (geisteswissenschaftlich-psychoanalytische, subjektbezogene Forschungskonzepte und entsprechende subjektbezogene Menschenbilder). Haben sich diese Konzepte einmal in der Praxis, in Form von Arbeitstraditionen, etabliert, werden von den Berufspraktikern immer nur die zu den einmal liebgewonnen pädagogischen Konzepten passenden erkenntnistheoretischen Grundhaltungen eingefordert und erwartet.
Die zumeist kirchlichen Träger von Jugendhilfeeinrichtungen beeinflussen die pädagogische Konzeptbildung durch ihr Welt- und Menschenbild, indem sie die Leitbilder für die praktische Arbeit entsprechend formulieren.
Die Leitbilder der Träger orientieren sich wiederum nur an „Forschungen“, die der Trägerideologie Rechnung tragen.
So ist ein nur schwer aufzulösendes Rückkopplungssystem zwischen Forschungstraditionen, Arbeitstraditionen und kirchlicher Trägerschaft zu konstatieren. Dieses ist nahezu resistent gegen dringend erforderliche Neuerungen in Form von sinnvollen Ergänzungen (wie sie Computersimulationen sein könnten) in den pädagogikrelevanten Wissenschaftsdisziplinen und pädagogischer Praxis.
Dieses Kapitel abschließend ist klarzustellen, dass die Einzigartigkeit eines jeden Menschen, die Komplexität menschlichen Verhaltens und die daraus resultierende Schwierigkeit „soziale Beziehungen durch exakte Gleichungen darzustellen“ (Klüver 1995, S.15), durch den Verfasser nicht in Frage gestellt werden sollen. Des weiteren will der Verfasser die Daseinsberechtigung qualitativ-hermeneutischer Vorgehensweisen in den Sozialwissenschaften nicht in Abrede stellen. Klüver führt in diesem Zusammenhang folgendes aus: „So sehr häufig eine größere Genauigkeit und Transparenz in der soziologischen Theoriebildung und Methodik wünschenswert ist, so unangemessen sind auch die Versuche, die legitimen Traditionen einer sich auch hermeneutisch verstehenden Soziologie zu negieren“ (Klüver 1995, S.4).
Dies ist, nach Ansicht des Verfassers und bezugnehmend auf das letzte Zitat, durch folgendes zu begründen: „In vielen Sozialbereichen ist es nämlich weder möglich noch sinnvoll, soziale Beziehungen durch exakte Gleichungen darzustellen ,und der „Sinn“ sozialer Interaktion, wie immer man diesen bestimmen will, ist kaum als Realisation strenger mathematischer Zusammenhänge wiederzugeben“ (Klüver 1995, S. 15). Jedoch auf Grund der Komplexität des Forschungs- bzw. Handlungsgegenstands und ideologischer Vorbehalte forschungsmethodisch in Beliebigkeit und hilfekonzeptionell in annähender Handlungsunfähigkeit zu verharren, kann kein gangbarer Weg sein. Dies sollte besonders einsichtig werden, wenn man sich die zuvor geschilderten Probleme in der Jugendarbeit noch einmal näher vor Augen führt.
Computersimulationen könnten ein Ausweg aus diesem Dilemma sein (was im Rahmen dieser Arbeit zumindest redlich überprüft werden soll), da sie sog. „halbformale Modelle“ sind, „ bei denen man sich vom lähmenden Vorbild der mathematischen Naturwissenschaften weitgehend unabhängig machen kann“ (Klüver 1995, S. 15). Eine genauere, exemplarische Funktionsbeschreibung dieser Modelle wird am Beispiel eines speziellen sog. Zellularautomaten, der für die Simulationen im Rahmen dieser Arbeit verwendet wurde, in Kap. 8.4 vollzogen.
Im Folgenden wird es aber zunächst um die empirische Sozialforschung im Allgemeinen und die empirische Analyse des in Kap. 2. beschriebenen, pädagogischen Gegenstands im Speziellen, gehen.
[...]
[1] Alle in den Klammern erwähnten Werke auf die sich Krüger bezieht werden im Literaturverzeichnis dieser Arbeit nicht aufgeführt, da sie weder als Quellen, noch als Hilfsmittel verwendet wurden. Die Angaben zu diesen Werken stammen alle aus Krüger 1999. Die genauen bibliographischen Angaben zu den in den Klammern erwähnten Werken auf die sich Krüger bezieht sind im Literaturverzeichnis von Krüger 1999 zu finden.
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- Matthias Herrmann (Author), 2003, Empirische Beobachtung und Computersimulation einer Gruppe verhaltensauffälliger Jugendlicher, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147271
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